Neue Medien und Bildungsstandards - Über die GDM · 5 Die 22. Herbsttagung unseres Arbeitskreises...

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proceedings Peter Bender; Wilfried Herget; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth (Hrsg.) Neue Medien und Bildungsstandards Bericht über die 22. Arbeitstagung des Arbeitskreises „Mathematikunterricht und Informatik“ in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V. vom 17. bis 19. September 2004 in Soest diverlag franzbecker

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proceedings

Peter Bender; Wilfried Herget; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth (Hrsg.)

Neue Medien und Bildungsstandards

Bericht über die 22. Arbeitstagung des Arbeitskreises

„Mathematikunterricht und Informatik“ in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V.

vom 17. bis 19. September 2004 in Soest

diverlag franzbecker

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Peter Bender; Wilfried Herget; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth (Hrsg.)

Neue Medien und Bildungsstandards

Bericht über die 22. Arbeitstagung des Arbeitskreises

„Mathematikunterricht und Informatik“ in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V.

vom 17. bis 19. September 2004 in Soest

diverlag franzbecker

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Na-tionalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Inter-net at <http://dnb.ddb.de>. Peter Bender; Wilfried Herget; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth (Hrsg.) Neue Medien und Bildungsstandards Bericht über die 22. Arbeitstagung des Arbeitskreises „Mathe-matikunterricht und Informatik“ in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e.V. vom 17. bis 19. September 2004 in Soest ISBN 3-88120-421-0

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Inhalt Bildungsstandards für den Mathematikunterricht — auch mit den neuen Medien? 5

Peter Bender, Paderborn & Wilfried Herget, Halle a.d. Saale & Hans-Georg Weigand, Würzburg & Thomas Weth, Nürnberg

Hauptvorträge Bildungsstandards — ein Weg in die richtige Richtung? 7

Götz Bieber, Potsdam

Bildungsstandards, Kerncurricula und Einsatz Neuer Medien 13 Hans-Jürgen Elschenbroich

CAS und Standards — eine interessante Herausforderung 21 Helmut Heugl, Wien

Podiumsdiskussion Neue Medien und Bildungsstandards — eine Podiumsdiskussion 36

Peter Bender, Paderborn

Sektionsvorträge Dynamische-Geometrie-Software (DGS) in der Erstsemester-Vorlesung — ein Werkstatt-Bericht über ein Entwicklungs- und ein Forschungs-Projekt 40

Peter Bender, Paderborn

Wie hat sich die Mathematikdidaktik unter dem Einfluss von Bildungsstandards und von neuen Medien zu wandeln? 50

Christine Bescherer & Herbert Löthe, Ludwigsburg

Verbreitung von Graphikrechnern und Computer-Algebra-Taschencomputern in Deutschland und Europa 56

Stephan Griebel, Freising

Ansätze zur Förderung mathematischer Kompetenzen — gemäß den Bildungsstandards — mittels der Lernsoftware "LeActiveMath" 59

Christian Groß & Marianne Moormann, Augsburg

Bidirektionale Verbindung von dynamischer Geometrie und Algebra in GeoGebra 63

Markus Hohenwarter, Salzburg

E-Learning-Lektionen helfen Schülerinnen und Schülern bei der Nutzung von Mathematik-Soft- und -Hardware im Unterricht 69

Karl-Heinz Keunecke, Kiel & Angelika Reiß, Berlin

Bildung und Standards im Mathematikunterricht — oder: Was schon beim alten Lietzmann steht 70

Anselm Lambert, Saarbrücken

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Erwerb mathematischer Kompetenzen beim Arbeiten mit CAS-Bausteinen 81 Eberhard Lehmann, Berlin

Neue Instrumente der Standardsetzung und Standardüberprüfung und Neue Medien im Mathematikunterricht: Wirkungen und Wechselwirkungen 82

Timo Leuders, Freiburg

Alte "Neue Materialien ..." — neu betrachtet 94 Elvira Malitte, Halle a.d. Saale

Mathematische Denkweisen beim Umgang mit Hardware und Software 104 Hartwig Meißner, Münster

Neue Medien, neues Denken: Bildungsstandards als "Urmeter" für Kompetenzen 110

Fritz Nestle, Ulm

EMILeA-stat: Multimediales und interaktives Statistiklernen in der Schule 115 Claudia Pahl, Oldenburg & Udo Kamps, Aachen

(Medien-) Kompetenz: von der Nutzung ... zu den Kompetenzen 122 Andreas Pallack, Soest

Beispiele für den Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht 128 Reinhold Thode, Kiel

Erfahrungen zum virtuellen Selbstlernkurs Mathematik und Computer 137 Wolfgang Weigel, Würzburg

Arbeitsgruppen Bildungsstandards in Mathematik, Medien und neue Lernkultur 149

Wolfgang Friebe, Mainz

Die Kraft der Schieberegler oder Welche didaktischen Möglichkeiten stecken in der dynamischen Mathematik? 150

Dörte Haftendorn, Lüneburg

Inwieweit bedarf es zur Überprüfung der Kompetenzen, die mit Neuen Medien erworben werden, der Verfügbarkeit Neuer Medien in der Prüfungssituation? 153

Timo Leuders, Freiburg & Andreas Pallack, Soest

Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht 155 Reinhold Thode, Kiel

Anhang Tagungsprogramm 164 Teilnehmerinnen- und Teilnehmerliste 166 Mini-Historie des Arbeitskreises "Mathematikunterricht und Informatik" 167

Titelgrafik: Rolf Sommer, Halle a.d. Saale, aus Abbildungen im Tagungsband mit Microsoft Office

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Die 22. Herbsttagung unseres Arbeitskreises "Mathematikunterricht und Informatik" in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM) vom 17. bis 19. September 2004 griff mit dem Rahmenthema "Neue Medien und Bildungsstandards" ein ausgesprochen aktu-elles und durchaus auch kritisch-kontrovers diskutiertes Thema auf. Kompetenzen und Standards –– das sind vielleicht die wichtigsten Schlagworte der Bil-dungspolitik der letzten Jahre, zumindest in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In den von der Konferenz der deutschen Kul-tusminister (KMK) verabschiedeten Bildungs-standards vom 04.12.2003 werden Kompe-tenzen, Leitideen und Anforderungsniveaus aufgelistet und an Beispielen erläutert, an denen sich der Mathematikunterricht des Mittleren Bildungsabschlusses orientieren soll bzw. die er erreichen soll. Auch in Öster-reich gibt es entsprechende Aktivitäten. Was eigentlich ist daran nun das Neue? • Warum spricht man von Kompetenzen ––

und nicht weiterhin von Wissen, Fähigkei-ten und Fertigkeiten?

• Spiegeln sich in den Leitideen wirklich neue mathematische oder neue mathe-matikdidaktische Ideen wider –– oder ist das nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Werden hier vielleicht nur Jahrzehnte alte Konzepte erneut aufgewärmt? Und schließlich stellte sich natürlich die Fra-ge, gerade für unseren Arbeitskreis: • Welche Bedeutung kommt im Rahmen

dieser Diskussion zu Standards, Leitideen und Kompetenzen insbesondere den Neuen Medien zu?

Denn die Neuen Medien werden nur sehr vereinzelt in wenigen Unterpunkten der deut-schen Standards angesprochen. So heißt es etwa bei der Kompetenz "Mit symbolischen, formalen und technischen Elementen der Mathematik umgehen": mathematische Werkzeuge (wie Formelsammlung, Taschen-

rechner, Software) sinnvoll und verständig einsetzen. • Welchen Beitrag leisten die (!?) Neuen

Medien zum Erreichen der entsprechen-den Kompetenzen? Welchen Beitrag kön-nen/könnten/sollten sie leisten?

• Welche Kompetenzen, welche Leitideen werden dabei besonders angesprochen?

• Welche Auswirkungen hat dies schließlich auf den Einsatz Neuer Medien im zukünf-tigen Mathematikunterricht?

• Und inwieweit können die Neuen Medien auch einen Beitrag zu einem besseren Abschneiden bei den in nächster Zeit ver-mehrt zu erwartenden Tests leisten?

Ziel der Tagung war also einerseits, einen Überblick über aktuelle Entwicklungen und vorliegende Erfahrungen in diesem Bereich zu gewinnen. Zum anderen waren die Leh-renden an den Schulen und Universitäten als Didaktik-Expertinnen und -Experten gefor-dert, konstruktiv und zugleich kritisch zu die-sen Entwicklungen Stellung zu beziehen, Wünsche und Anforderungen zu formulieren und geeignete didaktisch-methodische Kon-zepte zu entwickeln. Diese Fragen wurden in den Vorträgen, Ar-beitsgruppen und Diskussionen aufgenom-men und in den Beiträgen in diesem Band weiter behandelt und ausgeschärft. Die Teil-nehmenden waren sich rückblickend sicher: Wir wissen jetzt deutlich mehr als vor der Tagung.

Hauptvorträge Wie in den beiden Vorjahren bildeten die drei Hauptvorträge an den drei Tagen das Ta-gungsgerüst. Die Auswahl der Hauptvortra-genden und ihre jeweilige Themenwahl ma-chen bereits sehr deutlich, welches Span-nungsfeld die Diskussionen zu dem Ta-gungsthema eröffneten:

Bildungsstandards für den Mathematikunterricht –– auch mit den Neuen Medien?

Peter Bender, Paderborn Wilfried Herget, Halle a.d. Saale Hans-Georg Weigand, Würzburg Thomas Weth, Nürnberg

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Peter Bender, Wilfried Herget, Hans-Georg Weigand & Thomas Weth

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Für den einleitenden Hauptvortrag am ersten Tag konnte Helmut Heugl, Landesschulin-spektor für Niederösterreich, gewonnen wer-den. Er ist einerseits weit über unseren Ar-beitskreis hinaus wegen seiner reflektierten Expertise und seinem unterrichtspraktischen Engagement in der Nutzung der Neuen Me-dien im Mathematikunterricht national und in-ternational geschätzt, und er ist andererseits maßgeblich beteiligt an der derzeitigen Ent-wicklung der Bildungsstandards für den Ma-thematikunterricht in Österreich.

Sein Vortragstitel "CAS und Standards –– ei-ne interessante Herausforderung" spiegelt eben dieses Spannungsfeld wider. Der erste Teil des Vortrags diente der Begriffsklärung: Arten von Standards, Kompetenzmodelle, Konkretisierung durch Aufgaben –– orientiert an den aktuellen Standards in Österreich, Deutschland, der Schweiz und den USA. Im zweiten Teil ging es um den Einfluss der Neuen Technik und Technologie auf die Rol-le der Mathematik als Fach, aber auch auf die Standards, auf das dort zugrunde gelegte Kompetenzmodell, und nicht zuletzt auf die Aufgabenstellungen. Insbesondere wurden Veränderungen bei den mathematischen Handlungskompetenzen –– Modellieren, Operieren, Interpretieren, Argumentieren –– untersucht.

Götz Bieber aus Potsdam, im deutschen Bundesland Brandenburg mit verantwortlich für die Ausgestaltung und die Umsetzung der Bildungsstandards, eröffnete mit seinem Hauptvortrag den zweiten Tag –– aus seiner Sicht als unterrichtserfahrener Praktiker und fachkundiger Mathematikdidaktiker, der nun seit Jahren in der einschlägigen ministeri-ellen Umgebung wirkt. Sein Vortragsthema stellte recht umfassend und kritisch die Fra-ge: "Nationale Bildungsstandards –– Ein Weg in die richtige Richtung?" Ausführlich und fachkundig wurden der Stand und die Perspektiven der Arbeit an und mit Bildungs-standards in Deutschland beschrieben.

Auch Hans-Jürgen Elschenbroich aus Düs-seldorf, der dritte Hauptvortragende, kommt als Lehrer und Fachseminarleiter aus der Praxis und bringt zudem viele weit gefächer-te Erfahrungen aus diversen Projekten zur Unterrichtsgestaltung, zur Lehrerfortbildung und zur Curriculum-Entwicklung ein.

Unter dem Vortragstitel "Bildungsstandards, Kernlehrpläne und neue Medien" ging es ihm um die Frage: Was verlangen, was ermögli-chen die von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Bildungsstandards im Fach Mathematik beim Einsatz Neuer Medien?

In der Umsetzung der Bildungsstandards be-schreiten die Bundesländer in Deutschland jeweils eigene Wege. Im Vortrag wurden speziell die sog. Kernlehrpläne für die ver-schiedenen Schulformen in Nordrhein-West-falen betrachtet, insbesondere mit Blick auf die folgenden Fragen: Welche Konkretisie-rungen und Ergänzungen ergeben sich dort für den Einsatz Neuer Medien? Wie beein-flussen schließlich PISA-artige Tests durch das künftige deutsche Institut zur Qualitäts-entwicklung im Bildungswesen sowie landes-weite Vergleichsarbeiten bzw. Lernstands-erhebungen den Unterricht und insbesondere den Einsatz Neuer Medien?

Podiumsdiskussion, Sektionsvorträge und Arbeitsgruppen Die Podiumsdiskussion zu dem Tagungs-thema wurde von Peter Bender (Universität Paderborn) gewohnt routiniert vorbereitet und geleitet. Die Podiumsbesetzung mit Hans-Jürgen Elschenbroich, Helmut Heugl, Fritz Nestle und Andreas Pallack sorgte mit durchaus unterschiedlichen Ansichten für ei-ne ausgesprochen anregende Atmosphäre, die auch dem weiteren Verlauf der Tagung förderlich war.

Diese Diskussion zu dem aktuellen Tagungs-thema wurde in den insgesamt 15 Sektions-vorträgen und vier Arbeitsgruppen ausge-sprochen lebhaft und, wie zu erwarten, so-wohl kritisch als auch konstruktiv vertieft. Das meiste davon findet sich in dem vorliegenden Tagungsband, oft aufgrund der nachhaltigen Diskussionen auch über die Tagung hinaus noch aktualisiert und ergänzt.

Dank Die Tagung konnte wie vor zwei Jahren im nordrhein-westfälischen Landesinstitut für Schule in Soest stattfinden –– damit waren auch in diesem Jahr die gewohnt guten Rahmenbedingungen gewährleistet. Wie in den Vorjahren gilt unsere Dank wieder Herrn Dr. Rolf Sommer von der Universität Halle-Wittenberg für die bewährte Gestaltung der Titelseite. August 2005 Peter Bender

Wilfried Herget Hans-Georg Weigand Thomas Weth

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Die Diskussion um Bildungsstandards ist z. T. durch eine sehr starke Fokussierung auf die Überprüfung der Leistungen von Schüle-rinnen und Schülern auf der Basis der KMK-Standards geprägt. Deshalb soll in diesem Beitrag versucht werden, Verbindungen zwi-schen Unterrichtsentwicklungsprojekten und den Bildungsstandards herzustellen (auf-grund des Erfahrungshintergrundes des Au-tors wird im Wesentlichen das BLK-Programm SINUS verwendet). Dazu wird zu-erst eine zeitliche Einordnung der Arbeiten an und mit Bildungsstandards vorgenommen. Anschließend werden Zusammenhänge zu Lehrplänen sowie zur Arbeit mit den Bil-dungsstandards im Unterrichtsalltag herge-stellt.

Zur Einordnung der KMK-Bildungsstandards in die Gesamtentwicklung

Mit der Veröffentlichung der ersten Ergebnis-se der dritten internationalen Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie (TIMSS) wur-den, beginnend mit dem Jahr 1997, in Deutschland nach vielen Jahren wieder Da-ten über Leistungen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich disku-tiert. Eine wesentliche Folge der Diskussion war die Konzipierung des Programms der Bund-Länder-Kommission (BLK) mit dem Ti-tel "Steigerung der Effizienz des mathema-tisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts" (SINUS): Für die Diskussion des Themas "Bildungs-standards" erscheint ein Blick in die 1997 er-schienene Expertise zu diesem BLK-Programm angebracht (BLK 1997). Dieses Programm, dass seit 1998 mittlerweile in der dritten Auflage (SINUS-Transfer, 2. Welle) läuft und eine sehr breite Anerkennung ge-

funden hat, basiert im Verständnis des Au-tors im Kern auf zwei Säulen.

Module des BLK-Programms SINUS

1. Weiterentwicklung der Aufgabenkultur im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht

2. Naturwissenschaftliches Arbeiten 3. Aus Fehlern lernen 4. Sicherung des Basiswissens — verständ-

nisvolles Lernen auf unterschiedlichen Ni-veaus

5. Zuwachs von Kompetenz erfahrbar ma-chen: kumulatives Lernen

6. Fächergrenzen erfahrbar machen: fach-übergreifendes und fächerverbindendes Arbeiten

7. Förderung von Jungen und Mädchen 8. Entwicklung von Aufgaben für die Koope-

ration von Schülern 9. Verantwortung für das eigene Lernen

stärken 10. Prüfen: Erfassen und Rückmelden von

Kompetenzzuwachs 11. Qualitätssicherung innerhalb der Schule

und Entwicklung schulübergreifender Standards

Übersicht 1

Die erste ist das Modulkonzept, auf dessen Basis Fachgruppen in Schulen ihre Probleme des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts bearbeiten. Von diesen Modulen ist vor allem die Weiterentwicklung der Auf-gabenkultur im mathematisch-naturwissen-schaftlichen Unterricht bekannt geworden. Aber auch die anderen verkörpern ein rele-vantes Potential zur Veränderung des Unter-richts, wie z.B. die Schwerpunktsetzung der Schulen im ersten SINUS-Programm deutlich

Bildungsstandards — ein Weg in die richtige Richtung?

Götz Bieber, Potsdam

Die Einführung von Bildungsstandards in Deutschland verfolgt das Ziel, allen Beteiligten am Bildungsprozess der Kinder und Jugendlichen eine gemeinsame Zielperspektive zu geben. Im Beitrag werden Hintergründe für die Arbeit an und mit Bildungsstandards dis-kutiert sowie Anforderungen an die Implementation von Bildungsstandards aus der Sicht des Autors beschrieben.

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Götz Bieber

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gezeigt hat (IPN 2003, 23). So wurden Mo-dul 3 "Aus Fehlern lernen", Modul 4 "Siche-rung des Basiswissens — verständnisvolles Lernen auf unterschiedlichen Niveaus" sowie Modul 5 "Zuwachs von Kompetenz erfahrbar machen: kumulatives Lernen" häufig als Zu-gang zur Veränderung des eigenen Unter-richts gewählt. Einige Schulen zogen aber auch Modul 11 "Qualitätssicherung innerhalb der Schule und Entwicklung schulübergreifender Standards" heran. Dieser Problembereich ist im Rahmen des Modulkonzepts deshalb bedeutsam, weil hier der Fokus auf Ergebnisse eines verän-derten Unterrichts gelenkt wird. "Im Rahmen des Modellprogramms könnten an den Schulen Verfahren für eine entspre-chende Bestandsaufnahme im mathema-tisch-naturwissenschaftlichen Bereich entwi-ckelt werden. Dazu müssten Kriterien disku-tiert, abgestimmt und konkretisiert werden, die aus der Sicht der Fachgruppe geeignet sind, den Stand des Wissens und Könnens in Mathematik und in den Naturwissenschaften zu erfassen. Mit Hilfe von Aufgaben, die ge-meinsam in der Fachgruppe erarbeitet wur-den, könnten sich die einzelnen Lehrkräfte dann über den Leistungsstand und die Leis-tungsfortschritte ihrer Schüler vergewissern. Mit der Diskussion über Leistungskriterien wird ein erster Schritt der Qualitätssicherung vollzogen, mit der Diskussion über die Er-gebnisse der Leistungsüberprüfungen ein wichtiger zweiter. Mit einer Diskussion über mögliche Bedingungen beginnt der Einstieg in die Qualitätsentwicklung. Für die Entwicklung schulübergreifender Qualitätsstandards, die im Rahmen des Mo-

dellversuchs ebenfalls angestrebt werden sollte, liefern die schulinternen Leistungskri-terien und Erhebungsverfahren eine konkrete Grundlage. Die Verfahren geben die Mög-lichkeit zu Leistungsvergleichen unter ver-schiedenen Bezugssystemen und zur Ent-wicklung gemeinsamer Instrumente zur Qua-litätssicherung." (BLK 1997, 97f) Hier wurde ein Konzept dargestellt, dass da-von ausgeht, dass Schulen eigene Standards entwickeln, diese bei sich überprüfen und so Orientierungen für ihre eigene pädagogische Arbeit erhalten. Diese Arbeitsform setzt vor-aus, dass es eine intensive Kooperation von Lehrkräften innerhalb der Fachgruppen gibt (zweite Säule des BLK-Programms SINUS). Die Ausgangssituation zum Thema "Koope-ration 1997" wird wie folgt beschrieben: "Sowohl die empirische Forschung zur Wirk-samkeit 'guter' Schulen (research on effecti-ve schools) als auch in den empirischen Stu-dien zur individuellen Entwicklung einer pro-fessionellen Handlungskompetenz (research on teacher development) ergab, dass be-rufsbezogene Kooperation zwischen Lehr-kräften in unterschiedlichen Stadien ihrer be-ruflichen Entwicklung von zentraler Bedeu-tung ist. Demgegenüber ist die Berufskultur der Lehrerschaft — insbesondere in Deutschland — von einem starken Lehrer-individualismus, von einem schon sprichwört-lichen 'Einzelkämpfertum', bestimmt. Diese Haltung wird hier und da bewusst gepflegt und u.U. gar mit Stolz herausgekehrt, sie verdeckt jedoch nicht selten den wenig glanzvollen Alltag eines unkoordinierten Ne-beneinanderherarbeitens." (BLK 1997, 64) Betrachtet man nun die Ergebnisse der ver-

schiedenen SINUS-Program-me, kann festgestellt werden, dass eine Fülle von Materia-lien in den Schulen bzw. Schulsets entwickelt wurden, die Veränderungsprozesse im Unterricht dokumentieren und Anregungen für andere Schu-len geben (vgl. z.B. die Mate-rialien unter www.sinus-transfer.de oder diverse Pu-blikationen der beteiligten Länder). Dies kann nicht hoch genug gewürdigt werden, denn Bildungsreform bedeutet im Kern Unterrichtsreform (s. Müller, Steinbring & Wittmann 2002, 21). Hinsichtlich ge-meinsamer Zielperspektiven des mathematisch-naturwis-senschaftlichen Unterrichts

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Bildungsstandards — ein Weg in die richtige Richtung?

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lassen sich schulübergreifende Veröffentli-chungen eher vermittelt finden. So haben sich z.B. Lehrplanentwickler einzelner Bun-desländer durch das BLK-Programm SINUS inspirieren lassen und dadurch das Konzept ihrer Pläne begründet. Berücksichtigt man die Beteiligung von Schulen aus 15 Bundes-ländern an diesem Projekt, könnte man die Erwartung haben, das hier über die Länder hinweg schulübergreifende Standards hätte entwickelt werden können. Dies hat vermut-lich implizite über gemeinsame Tagungen und länderübergreifende Kooperationen auch stattgefunden, ist aber nicht explizite formu-liert worden und wohl auch im Rahmen der Arbeitskapazitäten nicht möglich gewesen. Zusammenfassend kann man zu diesem Ex-kurs zum BLK-Programm SINUS feststellen, dass das Thema "Bildungsstandards" im Sin-ne einer gemeinsamen Zielperspektive für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht mindestens konzeptionell Gegen-stand war. Mit der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse (PISA 2001) wurde die Diskussi-on um die Ergebnisse deutscher Schülerin-nen und Schüler neu entfacht und mündete u.a. in die Handlungsfelder der Kultusminis-terkonferenz, die im Dezember 2001 be-schlossen wurden. Eines davon hat den Titel "Maßnahmen zur konsequenten Weiterent-wicklung und Sicherung der Qualität von Un-terricht und Schule auf der Grundlage von verbindlichen Standards sowie eine ergeb-nisorientierte Evaluation" (KMK 2002). Neben anderen Projekten (wie z.B. das BLK-Pro-gramm SINUS und Folgeprojekte) gehört da-zu auch die Erarbeitung von Standards in ausgewählten Fächern. Diese Arbeiten wur-den im Herbst 2002 in länderübergreifend

besetzten Arbeitsgruppen in Angriff genom-men.

Bildungsstandards und ihr Verhältnis zu Lehrplänen

Bildungsstandards greifen allgemeine Bil-dungsziele auf und benennen die Kompeten-zen, die die Schule ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln muss, damit bestimmte zentrale Bildungsziele erreicht werden. Die Bildungsstandards legen fest, welche Kom-petenzen die Kinder oder Jugendlichen bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe erwor-ben haben sollen. Die Kompetenzen werden so konkret beschrieben, dass sie in Aufga-benstellungen umgesetzt und prinzipiell mit Hilfe von Testverfahren erfasst werden kön-nen. (vgl. BMBF 2003, 19) Bildungsstandards in diesem Verständnis be-trachten vor allem — wenn nicht ausschließ-lich — anzustrebende bzw. zu sichernde Er-gebnisse von Lernprozessen von Schülerin-nen und Schülern. Dabei sind mindestens zwei Aspekte bedeutsam. Zum einen steht die bzw. der Lernende im Vordergrund und nicht der zu bearbeitende Inhalt. Damit wird einem Ergebnis der Schulleistungsstudien gefolgt, dass die individuelle Förderung der Lernenden in den Mittelpunkt der Arbeit der Lehrkräfte stellt. Zum anderen wird durch ei-ne Ergebnisorientierung mehr Spielraum für unterrichtliches Handeln, aber auch mehr Verantwortung in die Hand der Lehrkräfte ge-legt. Wie groß dieser Spielraum ist, hängt na-türlich von den in den Bildungsstandards formulierten Anforderungen ab. Deshalb soll auf einige Merkmale guter Bildungsstandards

eingegangen werden. (vgl. BMBF 2003, 24ff) Die Fokussierung, also die Kon-zentration auf den Kernbereich eines Faches wird — eng ver-knüpft mit dem Merkmal der Realisierbarkeit — von Lehre-rinnen und Lehrern sicher sofort unterstützt, verbindet sie sich doch mit Erfahrungen der Um-setzung von Lehrplänen, die sehr häufig als zu voll betrachtet wurden und werden. Gleichzei-tig wird damit aber auch ein Problem der Vergangenheit deutlich: Es ist nicht ausrei-chend gelungen, den Kernbe-reich von Fächern, auch für das Fach Mathematik, zu beschrei-

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ben. Hier können Bildungsstandards helfen, an einem gemeinsamen Verständnis zu ar-beiten. Ein anderes Merkmal wurde während der Er-arbeitung der KMK-Standards intensiv disku-tiert, das der Verbindlichkeit für alle oder kurz gesagt: Mindeststandards vs. Regelstan-dards. Mindeststandards haben auf lange Sicht sicher Vorteile, die auch für die Autoren der Expertise leitend waren. Das betrifft z.B. die Überprüfbarkeit sowie die Orientierung an vereinbarten Bildungsansprüchen für die Ge-sellschaft. Gleichzeitig ist aber auch zu be-denken, dass in der Entwicklungsphase der KMK-Standards weder die Zeit noch die Möglichkeiten für eine Validierung der Anfor-derungen als Mindeststandards zur Verfü-gung standen. Insofern ist nach Auffassung des Autors die Entscheidung der KMK, Re-gelstandards zu entwickeln (vgl. KMK 2004), für diesen Zeitpunkt der Entwicklung gut nachvollziehbar. Für Lehrerinnen und Lehrer stellt sich vor al-lem die Frage, welchen Stellenwert die KMK-Standards für ihre konkrete unterrichtliche Arbeit haben sollen. Die Antwort hängt auch davon ab, wie die Länder diese in konkrete Landesregelungen einbinden. So hat z.B. das Land Brandenburg per Verwaltungsvor-schrift (Brandenburg 2005) geregelt, dass der Unterricht auf der Basis von Rahmen-lehrplänen erteilt wird und die Bildungsstan-dards in den Rahmenlehrplänen berücksich-tigt werden. Darüber hinaus heißt es, dass die Standards bei der Planung von Lernpro-zessen und bei der Überprüfung der Lerner-gebnisse zu berücksichtigen sind. Eine Im-

plementation der Bil-dungsstandards ist also im Land Brandenburg explizit an die Imple-mentation der Rahmen-lehrpläne zu koppeln. Dieses Vorgehen setzt voraus, dass Rahmen-lehrplan und KMK-Standards nicht im Wi-derspruch zueinander stehen, d.h. bildungs-theoretische Leitideen sowie Kompetenzmo-delle in beiden Doku-menten zueinander in Beziehung gesetzt wer-den können. Unter die-ser Voraussetzung kön-nen sich Lehrpläne und Bildungsstandards gut ergänzen. So finden

sich in den Standards die durch die Schüle-rinnen und Schüler zu erreichenden Kompe-tenzen, differenziert nach Anforderungsbe-reichen sowie Aufgabenbeispiele. In den Lehrplänen können Lehrerinnen und Lehrer Orientierungen zu Prozessgestaltung sowie methodisch-didaktische Hinweise finden. Für den Unterricht bedeutet die Einführung von Bildungsstandards eine intensive schul- bzw. fachkonferenz-eigene langfristige Pla-nung, die sich an der Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler orientiert. Um diese anspruchsvolle Aufgabe realisieren zu können, ist ein Perspektivwechsel gegenüber üblichen Planungsritualen, die sich häufig nur am Inhalt orientieren, erforderlich.

Bildungsstandards und unterrichtliche Arbeit im Fach Mathematik

Betrachtet man nun die drei mittlerweile be-schlossenen KMK-Bildungsstandards für das Fach Mathematik (KMK 2004, 2005a, 2005b), wird deutlich, dass ein konsistentes Konzept entwickelt und umgesetzt wurde. Es basiert auf einem dreidimensional gedachten Modell, das allgemeine mathematische Kom-petenzen fachbezogen aufgreift und auf drei Anforderungsbereichen differenziert (ein sehr ähnlicher Ansatz wurde in Österreich ver-folgt; vgl. BMBWK 2004). Als konzeptionelle Basis für die Beschreibung der allgemeinen mathematischen Kompetenzen sowie für die Bestimmung der Anforderungsbereiche wur-

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Bildungsstandards — ein Weg in die richtige Richtung?

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de das Rahmenkonzept von PISA 2000 (s. PISA 2000) verwendet. Inwieweit kann dieses Modell helfen, Unter-richt zu planen und reflektieren? Im Unterricht wird eine hohe Zahl von Aufga-ben eingesetzt, um die Schülerinnen und Schüler mit neuen Phänomenen der Mathe-matik zu konfrontieren, eingeführte mathe-matische Begriffe, Sätze und Verfahren zu festigen und ihre Fähigkeiten zu überprüfen. Will man einschätzen, ob und in welchem Maße die Schülerinnen und Schüler Gele-genheit hatten, die o.g. allgemeinen Kompetenzen anhand der Auseinan-dersetzung mit konkreten mathemati-schen Inhalten zu erwerben, müsste man prüfen, welche Anforderungen in den einzelnen Aufgaben stecken. Stellt man z.B. fest, dass die folgende Aufgabe aus PISA 2003 (Abb. 1; s. PISA 2004, 59f) für die eigenen Schü-lerinnen und Schüler sehr anspruchs-voll ist, stellt sich die Frage nach den Anforderungen, die zur Lösung erfor-derlich sind. Nur 7% der Schülerinnen und Schüler, denen die Aufgabe vor-lag, lösten sie richtig. Die Anforderun-gen der Aufgabe liegen zum einen beim Modellieren, aber auch im Be-reich des Problemlösens. Wird die Idee der Diagonale der Tischdecke aufgegriffen, kann durch gedankliches Verschieben der entstandenen Teil-dreiecke die Lösung 0,5 m² gefunden werden. Um Fähigkeiten dieser Art zu erlernen, müssen heuristische Hilfen zur Verfügung stehen, wie z.B. das Suchen nach geeigneten Hilfslinien.

Kommen Aufgaben, bei de-nen das Modellieren bzw. das Verwenden heuristischer Stra-tegien, Prinzipien und Hilfs-mittel im Unterricht im Vor-dergrund steht, im Verhältnis zu anders gearteten Aufgaben wenig vor, fehlen entspre-chende Lerngelegenheiten. Hinzu kommt, dass verschie-dene Lösungswege diskutiert und hinsichtlich des Findens von Lösungsideen reflektiert werden müssen. Das erscheint nicht neu. Trotzdem ist für den konkre-ten Unterricht die Frage zu beantworten, inwieweit Schü-lerinnen und Schüler im Ver-lauf ihres Unterrichts die Mög-

lichkeit haben, die in den Standards aufge-führten allgemeinen Kompetenzen zu erwer-ben. Mit dem Modulkonzept von SINUS ge-sprochen: Inwieweit ist die Aufgabenkultur (Modul 1) so entwickelt, das Basiswissen so gesichert (Modul 4), ..., dass die Anforderun-gen der Standards (Modul 11) erfüllbar wer-den? Für die einzelne Schule wäre es vermutlich hilfreich, auf Aufgabensets zugreifen zu kön-nen, die sowohl für den Unterricht als auch für eine Überprüfung des mit den Schülerin-

80 cm80 cm

Auf einem quadratischen Tisch liegt eine quadratische Tischdecke.

An allen vier Kanten hängt die Decke 10 cm so über, wie es die Zeichnung zeigt.

Wie groß ist die Tischdecke? Gib ihren Flächeninhalt an.

10 cm

Abb. 1

Übersicht 5

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nen und Schülern erreichten Kompetenzni-veaus geeignet sind. In diesem Sinne sollten die Beiträge der verschiedenen Institutionen, wie vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) mit der Normierung und Überprüfung der KMK-Standards, von Landesinstituten z.B. mit niveaubestimmen-den Aufgaben (s. Bildungsserver des Landes Sachsen-Anhalt) und anderen Einrichtungen verwendet werden.

Zusammenfassung

Bildungsstandards einführen heißt also - Prozesse der Unterrichtsveränderung und

-entwicklung zu fördern, einschließlich der Evaluation der Wirkung unter Berücksich-tigung von Standards und Lehrplänen,

- eine Unterrichtskultur zu entwickeln und zu fördern, die das eigenverantwortliche und auf die individuellen Stärken und Schwächen orientierte Lernen der Schüle-rinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellt,

- die Kooperation von Lehrerinnen und Leh-rern in Richtung des gemeinsamen Be-schreibens der eigenen Probleme, der Veränderungsansätze, und der Evaluation der eigenen Erfahrungen zu fördern und zu fordern sowie

- Unterstützungssysteme auf ihre Tragfä-higkeit hinsichtlich der o.g. Positionen zu überprüfen und ggf. neu zu orientieren.

Literatur BLK (Bund-Länder-Kommission für Bildungspla-

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1 Die Dynageo- und Excel-Dateien können auf der Mathe-Werkstatt [1] im Download-Bereich heruntergeladen werden.

Angelehnt an das Konzept der mathematical literacy der PISA-Studie formulierte die KMK Bildungsstandards für den Mittleren Schulab-schluss, die nicht mehr nur reine Inhaltskata-loge waren, sondern zu erreichende Kompe-tenzen in den Blick fassten. Die Bildungs-standards (KMK 2003) sind schulformüber-greifend und abschlussbezogen formuliert. Sie "benennen präzise, verständlich und fo-kussiert die wesentlichen Ziele der pädago-gischen Arbeit, ausge-drückt als erwünschte Lern-ergebnisse der Schüler. […] Sie legen fest, welche Kompetenzen die Kinder oder Jugendlichen bis zu einer bestimmten Jahr-gangsstufe mindestens er-worben haben sollen." Als allgemeine Kompetenzen werden genannt: Probleme mathematisch lösen, ma-thematisch modellieren, mathematische Darstellun-gen verwenden, mit symbo-lischen, formalen und tech-nischen Elementen der Ma-thematik umgehen, kom-munizieren, mathematisch argumentieren. Die mathe-matischen Inhalte werden nach den Leitideen Zahl, Messen, Raum und Form, funktionaler Zusammen-hang, Daten und Zufall strukturiert. Die Rolle von Medien im Lernprozess wird in den Bildungsstan-

dards nur an einer Stelle explizit angespro-chen, indem verlangt wird, dass "auch Hilfs-mittel, insbesondere elektronische Medien entsprechend sinnvoll eingesetzt werden." Die Bundesländer haben sich verpflichtet, die Bildungsstandards umzusetzen. Beschreiben die KMK-Bildungsstandards auf einem mittle-ren Niveau die zu erreichenden Kompeten-zen für einen Abschluss am Ende der Se-kundarstufe I, so muss dies für die unterricht-

Bildungsstandards, Kerncurricula und Einsatz Neuer Medien

Hans-Jürgen Elschenbroich, Düsseldorf

Im Gefolge der Diskussion um die Resultate der deutschen Schüler in der PISA-Studie wurde Bildung wieder zu einem politischen Thema. Es gab den mittlerweile vielbeschwo-renen Paradigmenwechsel von der Inputorientierung (was soll gelehrt werden) zur Er-gebnisorientierung/ Outputorientierung (was sollen die Schüler gelernt haben). In diesem Beitrag wird darauf eingegangen, welche Möglichkeiten und Probleme die Bildungsstan-dards und ihre länderspezifische Umsetzung für Unterrichtsentwicklung und — entspre-chend der Ausrichtung des Arbeitskreises — für den Einsatz Neuer Medien bieten. Dabei wird an PISA-Beispielen aufgezeigt, wie sich Testaufgaben zu Lernsituationen öffnen lassen und welche Chancen sich für einen visuellen und dynamischen Einsatz neuer Medien ergeben1.

Abb. 1

Abb. 2

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Hans-Jürgen Elschenbroich

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liche Umsetzung noch sequenziert und auf die Schulformen spezifiziert werden. Dabei gibt es zunächst einen (scheinbaren?) Widerspruch zwischen Bildungsstandards (Outputorientierung) und Lehrplänen (Input-orientierung). Dieser löst sich auf der Ebene der Spruchweisheiten durch den Satz "Kein Output ohne Input". In den MNU-Empfehlun-gen zur Umsetzung der Bildungsstandards der KMK wurde der Begriff standardorientier-te Lehrpläne geprägt, der zum Ausdruck bringt, dass die neuen Lehrpläne nicht mehr zu unterrichtende Stoffkataloge vorgeben, sondern zu erreichende Kompetenzen formu-lieren. Die Bildungsstandards geben den Rahmen für die länderspezifischen (bzw. schulspezifischen) Lehrpläne. Das Zusammenspiel von Standards und Kernlehrplänen illustriert folgende Abbildung (vgl. Elschenbroich 2004a), in der die Rolle von Kompetenzen und Leitideen als Binde-glied deutlich wird (Abb. 1).

Kernlehrpläne NRW

In NRW wurden Kernlehrpläne für die ver-schiedenen Schulformen formuliert (von ei-ner gemeinsamen Kommission, was eine hohe Übereinstimmung in der grundsätzli-chen Ausrichtung sicherte). Die fachbezoge-nen Kompetenzen sind hier in prozessbezo-gene und in inhaltsbezogene Kompetenzen unterteilt, die beide gleichberechtigt in zwei Säulen nebeneinander stehen. Die Inhalte werden zwar konservativ nach den 'klassi-schen' Gebieten formuliert, sind aber klar auf Schülertätigkeiten bezogen (Abb. 2). Bemerkenswert sind die Festlegungen der NRW-Kernlehrpläne zum Medieneinsatz, die deutlich über die KMK-Bildungsstandards hi-nausgehen: "Schülerinnen und Schüler set-zen klassische mathematische Werkzeuge und elektronische Werkzeuge und Medien si-tuationsangemessen ein" und "nutzen Geo-metriesoftware, Tabellenkalkulation und Funktionenplotter zum Erkunden inner- und außermathematischer Zusammenhänge". DGS, Tabellenkalkulation und Funktionen-plotter werden damit zu verbindlichen Werk-zeugen (was noch lange nicht in allen Ma-thematik-Kollegien angekommen ist)!

Standardüberprüfung in NRW

Dass das Setzen von Standards die Überprü-fung der erreichten Kompetenzen zur Folge

hat, ist naheliegend. In NRW gibt es derzeit folgendes System von Überprüfungen bis zum Ende der Sekundarstufe II (vgl. MSJK NRW 2004a):

Klasse 3 schulinterne Parallelarbeiten (freiwillig)

Klasse 4 zentrale Lernstandserhebun-gen (VERA)

Klasse 7 schulinterne Parallelarbeiten Klasse 9 zentrale Lernstandserhebun-

gen Klasse 10 zentrale Abschlussprüfungen

(ab 2007) Klasse 11 zentrale Vergleichsklausur

(freiwillig) Klasse 13 zentrale Abschlussprüfungen

(ab 2007)

Die Aufgaben der Lernstandserhebungen 2004 bezogen sich in der Klasse 4 auf die Überprüfung von "Arithmetik, Geometrie, Sachrechnen sowie verschiedenen Tätig-keitsanforderungen (Skizzieren, Schätzen, Argumentieren)" und in der Klasse 9 auf "in-haltsbezogene Kompetenzen: Arithmetik/ Al-gebra, Funktionen, Geometrie, Stochastik" und "prozessbezogene Kompetenzen: Mo-dellieren". Sie sind als Papier&Bleistift-Test angelegt, d.h. es gibt keine umfangreicheren Arbeitsformen, keine Überprüfung sozialer Kompetenzen und keinen Einsatz Neuer Me-dien.

Bei den prozessbezogenen Kompetenzen wird rotierend jedes Jahr ein Schwerpunkt gesetzt. Der Schwerpunkt Werkzeuge ist für 2007 terminiert, man darf auf die Überprü-fung der Werkzeug-Kompetenzen in Papier-&Bleistift-Tests gespannt sein.

Dynamische Visualisierung

In den 70er und 80er Jahren wurden Neue Medien im Mathematikunterricht vorwiegend als 'Rechenknecht' genutzt. Langwierige Be-rechnungen wurden ausgelagert, Iterations-verfahren programmiert usw. Es wurden Zah-len eingegeben und wieder Zahlen ausgege-ben, eine Visualisierung fand noch nicht statt. Dies änderte sich in den 90er Jahren durch das Aufkommen Dynamischer Geometrie-Software und durch die Verbreitung von Ta-bellenkalkulationen. Diese elektronischen Werkzeuge eröffnen nun systematisch Mög-lichkeiten zur dynamischen Visualisierung in einem schülerorientierten Mathematikunter-

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Bildungsstandards, Kerncurricula und Einsatz Neuer Medien

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richt. Sofortige Umsetzungen von umfangrei-chen Berechnungen in Tabellen und Graphi-ken, Zugmodus, Schieberegler und Interakti-vität sind dafür die software-technische Basis. PISA-artige Testaufgaben sind zwangsläufig kurzschrittig kon-zipiert, aus testtheoretischen Gründen wenig vernetzt, mög-lichst eindimensional. Damit un-terscheiden sie sich von frucht-baren Lernsituationen. Natürlich üben diese Testaufgaben einen massiven Einfluss auf den Un-terricht aus. Deswegen soll hier beispielhaft gezeigt werden, wie sie sich zu Lernaufgaben öffnen lassen und welche fruchtbare Rolle die dynamische Visuali-sierung mit Neue Medien dabei spielen kann. Von den prozess-bezogenen Kompetenzen wird die Nutzung elektronischer Werkzeuge dabei natürlich zwangsläufig angesprochen, aber auch das Argumentieren, Problemlösen und Modellieren.

Beispiel 1: Dreieck Die Aufgabe 8 aus PISA-E lau-

tete: "Die Seite AB des Dreiecks ABC ist 6 cm lang. Es werden die Mittelpunkte E und F der Seiten AC und BC eingezeichnet. Wie lang ist EF?" Dazu gehörte eine Graphik (Abb. 3), die of-fenkundig verhindern sollte, dass bloß ge-messen wurde. Die Aufgabe wurde von 33 % der Schü-ler(innen) gelöst. Wie lässt sie sich dynami-sieren und öffnen? Man kann zu einem mit DGS konstruierten Dreieck ABC den Punkt E auf AC beweglich definieren und eine zu AB

parallele Strecke EF konstruie-ren. Ziehen an E zeigt, dass die Länge von EF zwischen der Länge von AC und Null va-riiert. So ist schon plausibel, dass 'in der Mitte' der Seite AC auch ein mittlerer Wert für die Länge EF erreicht wird. Sobald man erkannt hat, dass man dabei auch ein sich verän-derndes Dreieck EFC bekom-men hat, das zu ABC ähnlich ist, kann man dies auch weiter begründen (Abb. 4). Durch eine zentrische Stre-ckung des Dreiecks ABC mit

dem Streckzentrum C und dem Streckfaktor k (zwischen 0 und 1) erhält man ein ähnli-

Abb. 3

Abb. 4

Abb. 5

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Hans-Jürgen Elschenbroich

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ches Dreieck E1F1C, das genau dann den Mittelpunkt von AC als Eckpunkt hat, wenn der Streckfaktor k = ½ ist. Dann muss E1F1 auch halb so lang wie AC sein. Die Dynami-sierung ermöglicht mathematisches Experi-mentieren, Problemlösen und Argumentie-ren.

Beispiel 2: Gleichung Die Aufgabe 13 aus PISA-E lautet schlicht: "Löse die Gleichung 4x + 4 = 3x2." Sie wurde von 6 % der Schüler(innen) gelöst. Sie führt nach einigen Termumformungen zum Resultat x = 2, x = -2/3. Im Sinne von of-fenen und kontextorientierten Aufgaben ist das sicher eher als bescheiden einzuordnen. Wie lassen sich daraus anregungsreiche Lernsituationen schaffen? Zunächst lassen sich die beiden Terme funk-tional auffassen. Mit einem Funktionenplotter können die zugehörigen Graphen gezeichnet werden, und damit erhält man einen graphi-

schen Zugang zu den Lösungen (Abb. 5). Eine Lösung ergibt sich offensichtlich im ganzzahligen Gitterpunkt (2/12), die andere kann durch "Tracen" näherungsweise ermit-telt werden. Schüler(innen) fassen derartige Aufgaben oft intuitiv als Suchaufgabe auf: "Wann haben y1 = 4x + 4 und y2 = 3x2 den gleichen Wert?" Sie versuchen dann, die Aufgabe durch mehr oder weniger systematisches Probieren zu lösen. Dieser numerische Zugang lässt sich ideal mit Hilfe einer Tabellenkalkulation sys-tematisch beschreiten (Abb. 6).

Eine der Lösun-gen kann sofort aus der Tabelle abgelesen wer-den, die andere kann sinnvoll eingeschachtelt werden. Diese Deutung als Suchaufga-Abb. 6

Abb. 7 a b c

Abb. 8

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Bildungsstandards, Kerncurricula und Einsatz Neuer Medien

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be lässt sich weiter mit einem auf DGS auf-bauenden Funktionenplotter im Zugmodus dynamisch visualisieren. Die Schüler(innen) können so die Lösungen im Zugmodus durch Variieren von x interaktiv entdecken (wann fallen P(x/y1) und Q(x/y2) zusammen?) und dabei gleichzeitig ein Grundverständnis für das Lösen von Gleichungen aufbauen (Abb. 7). Schließlich lassen sich in der Gleichung noch die Koeffizienten dynamisieren und mit Hilfe von Schiebereglern variieren (Abb. 8).

Die inhaltsbezogene Kompetenz "Funktio-nen" steht hier im Vordergrund. Ganze Funk-tionenklassen y = mx + n und y = ax2 kom-men zur Untersuchung, und man stößt auto-matisch auf die Frage, wann denn derartige Gleichungen Lösungen haben und wie viele.

Beispiel 3: Bremsweg Die PISA-Beispielaufgabe 10 hatte die u.a. Graphik (Abb. 9) und die Aufgabenstellung "Ein Fahrzeug fährt mit einer Geschwindig-keit von 110 km/h. Welche Strecke legt es während der Reaktionszeit des Fahrers zu-rück?" Hier ist in besonderem Maße Lese-kompetenz beim Lesen diskontinuierlicher Texte gefragt. Wie lässt sich diese Aufgabe für Schülerakti-vitäten öffnen? Zunächst bieten die bekann-ten Fahrschul-Faustformeln einen Ansatz. Etwas dezidierter gilt: sR = v0·tR, sB = v0

2/2b (mit v0 = Anfangsgeschwindigkeit, tR = Reak-tionszeit und b = Bremsverzögerung). Damit lässt sich ein Tabellenkalkulationsblatt mit ei-nem Weg-Geschwindigkeits-Diagramm er-stellen, in dem die Parameter v0, tR und b va-riiert werden können.

Abb. 9

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Hans-Jürgen Elschenbroich

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Fahrer A B

Geschw. vo = 50 70 in km/h

Bremsverz. b = 6 6 in m/sec2

Reaktionszeit tR = 1,5 1,5 in sec

Abb. 10

Das Weg-Geschwindigkeits-Diagramm ist ei-ne seltener genutzte Darstellung, aber hier besonders geeignet. Denn die entscheidende Frage ist die nach der Restgeschwindigkeit nach Zurücklegen einer bestimmten Strecke (vom Wahrnehmen eines Hindernisses bis zum Aufprall oder Stillstand).

Mit dem Tabellenkalkulationsblatt können die Schüler(innen) systematisch experimentieren und so explorierend Modellbildung betreiben (Elschenbroich 2000). Dabei können sie bei-spielsweise entdecken, dass bei einem Tem-po-50-Fahrer und bei einem Tempo-70-Fahrer, die an der gleichen Stelle bremsen, der Tempo-70-Fahrer noch eine Restge-schwindigkeit von ca. 60 km/h hat, wenn der Tempo-50-Fahrer schon steht! Dies Ergebnis ruft immer wieder Überraschung hervor und gibt Anlass zum Nachdenken und Argumen-tieren (die Reaktionszeit ist zwar zeitlich gleich lang, aber der schnellere Fahrer legt in der gleichen Zeit …). Wie von selbst drängen sich weitere Fragen auf: "Was passiert, wenn die Qualität der Bremsen verbessert wird" usw.? Die Kompe-tenzen Modellieren und Argumentieren wer-den dabei gefordert und entwickelt.

Medien und Methoden

Medien und Methoden sind nicht zu trennen. Der Zusammenhang von Medien und Metho-den muss aber bewusst angegangen wer-

den. Weder führt das bloße zur Verfügung stellen von Technologie automatisch zu ei-nem methodisch besseren Unterricht noch führt eine Methodenschulung zwangsläufig zum Einsatz von Neuen Medien. Dass dem methodischen Aspekt besonderes Gewicht beizumessen ist, zeigt die Evaluation der e-nitiative.nrw durch das IFS (Rösner u.a. 2004). Obwohl die Grundschulen in NRW schlechter ausgestattet waren als die ande-ren Schulformen, war dort die Nutzung der Neuen Medien am höchsten. Dies lag zum einen vermutlich an den methodischen und didaktischen Konzepten, in denen differen-ziertes Lernen einen großen Stellenwert hat und zum anderen an der Ausstattung der Grundschulen mit Medienecken statt PC-Räumen. Dass das bloße Vorhandensein Neuer Me-dien nicht automatisch zu einer schülerorien-tierten Lernkultur führt, bestätigt auch eine Untersuchung aus Bayern, die feststellte, "dass neue Medien überdurchschnittlich häu-fig als Präsentations- und Demonstrations-mittel der Lehrkräfte eingesetzt wurden" (Bo-finger 2004). Die folgende Übersicht zeigt die Vielfalt der technischen und methodischen Aspekte: Technische Arrange-ments: • Einzel-Laptop &

Beamer • Computerraum • Handhelds/ Laptop-

klassen • Medienecken • Selbstlernzentren

Methodische Arran-gements: • Einzel-

Demonstration • Einzelarbeit/ Part-

nerarbeit • Gruppenarbeit • Stationenlernen • Freiarbeit

Konzeptentwicklungen

Sollen nicht nur zufällig und sporadisch Fort-schritte erzielt werden, sondern systematisch Unterrichtsentwicklung betrieben werden, so müssen an den Schulen und im Lande sys-tematisch Konzepte entwickelt werden: Un-terrichts-, Methoden-, Medien- und Lernmit-telkonzepte. In den vergangenen Jahren hat es schon di-verse Ansätze zur Entwicklung von Unter-richtskonzepten gegeben. NRW-Projekte wie SelGO und SelMA, BLK-Projekte wie SEMIK und SINUS bzw. SINUS-Transfer stellen die Schüleraktivitäten in den Mittelpunkt. Sie lie-fern wichtige Beiträge zu einer Entwicklung der Aufgaben- und Unterrichtskultur und ge-ben Impulse für die Lehrer-Fortbildung und -Ausbildung. Der Einsatz elektronischer

01020304050607080

0 10 20 30 40 50 60 70 80 m

km/h

Fahrer A Fahrer B

Abb. 11

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Werkzeuge eröffnet hier neue, schülerorien-tierte Möglichkeiten im Mathematikunterricht. Methodenkonzepte beschäftigen sich mit der Integration von Lernmethoden in den Unter-richt (Jonas 2003). Kompetenzen wie Struk-turieren, Recherchieren, Kooperieren, Produ-zieren, Präsentieren lassen sich in den ver-schiedenen Fächern wieder finden (s. [2]). Methodentraining im Sinne des "Lernen Ler-nens" und Lernspiralen nach Klippert leisten einen wichtigen Beitrag zur Unterrichtsent-wicklung, der durch die Neuen Medien ver-stärkt werden kann (Klippert 2004). Jede Schule muss sich in einem Medienkon-zept Gedanken zum Einsatz von Software und Hardware machen (Henrichwark & Vau-pel 2002). Die betrifft nicht nur spezielle Fachsoftware, sondern auch die Einführung in bzw. die sichere Verfügbarkeit von Stan-dardsoftware (wie Textverarbeitung, Tabel-lenkalkulation, Präsentations- und Kreativi-tätsprogramm und den Umgang mit dem In-ternet). Für den Mathematikunterricht werden nur wenige, flexibel einsetzbare Standard-programme benötigt. Eine Tabellenkalkulati-on ist in den gängigen Office-Paketen enthal-ten oder in Form von Star-Office bzw. Open Office kostenfrei verfügbar, eine Dynamische Geometriesoftware wie Euklid DynaGeo oder Geonext ist kostengünstig bzw. kostenfrei erhältlich. Dies reicht in der Sekundarstufe I an Fach-Software schon aus, weil man diese Programme auch ideal als dynamische Funk-tionenplotter nutzen kann (s. [3]). Alternativ kann man aber auch Programme wie Mathe-Ass oder Turbo-Plot nutzen. Für die Sekun-darstufe II sind darüber hinaus CAS wie De-rive oder MuPAD [4] sowie Programme zur Analytischen Geometrie unverzichtbar. Von großer Bedeutung ist die freie Verfüg-barkeit der Werkzeuge, hardwaremäßig wie softwaremäßig. Der klassische PC-Raum kann dies auf Dauer nicht gewährleisten. Handhelds (Graphik-Taschenrechner, CAS-Taschenrechner) oder Notebooks sind eine Lösung, Selbstlernzentren oder Medienecken in den Klassenräumen je nach Schulform ei-ne andere. Welche Entwicklung und Bedeu-tung die PDAs haben werden, lässt sich der-zeit noch nicht absehen. Auf mittlere Sicht wird es aber in irgendeiner Form zu einem 'Computer in der Schultasche' kommen (müssen). Darüber hinaus muss aber auch die Software, mit der im Unterricht gearbeitet wird, zugänglich sein und darf nicht an den Besuch des PC-Raumes gebunden sein. Dies bedeutet, dass entweder frei verfügbare Software eingesetzt werden sollte oder sol-che, die durch freie Viewer oder in Form von

erweiterten Schullizenzen allen Lehrkräften und allen Schülern legal zur Verfügung steht. Lernmittelkonzepte sind bislang eher implizit entwickelt worden. Die Devise "weg vom Be-lehren — selber lernen macht schlau" muss sich auch in den Lehrmitteln widerspiegeln: Weg vom Lehrbuch als alleinigem Medium, hin zur integrierten Lernumgebung (s. [5]) mit Lernbuch, Schülerarbeitsheften, Software-angeboten auf CD/DVD und Internetplattform [6]. Gelungene Beispiele finden sich in den Niederlanden (Getal en Ruimte), erste An-sätze aber mittlerweile auch in unseren Lan-den in Lernmitteln für die Grundschule, die Sekundarstufe I und II und in interaktiven Nachschlagwerken (z.B. [7]). Inwieweit die Schulen sich in ihrem Lernmittelkonzept auf integrierte Verlagsangebote stützen oder ei-gene Zusammenstellungen bevorzugen, bleibt ihnen überlassen. Um nachhaltig und fruchtbar zu werden, müssen derartige konzeptionelle Überlegun-gen an den Schulen nicht isoliert, sondern vernetzt betrieben und durch Fortbildung und Beratung unterstützt werden.

Ausblick

Das deutsche Schulwesen befindet sich der-zeit in einer historischen Umbruchsphase, vielleicht vergleichbar mit der Meraner Re-form vor 100 Jahren und der Bildungsreform-Debatte vor 40 Jahren. Derzeit sind noch vie-le Fragen unbeantwortet: - Bringt der intendierte Paradigmenwechsel

zur Ergebnisorientierung und die Fokus-sierung auf Kompetenzen die erhofften didaktischen Effekte?

- Werden durch eine Betonung des Kalküls in zentralen Prüfungsaufgaben, eindimen-sionale kurzschrittige Testaufgaben, die Reduzierung der Kompetenzen auf sol-che, die durch Tests erfassbar sind, die Bemühungen zur Aufgabenentwicklung und Unterrichtsentwicklung konterkariert?

- Wird durch die Beschränkung auf Pa-pier&Bleistift-Tests der didaktisch frucht-bare Einsatz neuer Medien behindert?

Es gibt hoffnungsvolle Ansätze, aber der Ausgang ist durchaus offen.

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Hans-Jürgen Elschenbroich

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1 Begriffsklärung

1.1 Motive für die Beschäftigung mit dem Thema

Die weltweite Standarddiskussion: Erstmals konfrontiert wurde ich damit durch das Studium der "Princples and Standards" des NCTM am Beginn der neunziger Jahre. Ende der neunziger Jah-re begann die Diskussion auch in Öster-reich. Gefördert; oder man sollte sagen: angeheizt wurde diese Diskussion natür-lich durch die Resultate von TIMSS und PISA. Das erste Ergebnis waren Bil-dungsstandards für die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik für die Sekun-darstufe I sowie für Deutsch und Mathe-matik für die Grundschule. Die ersten Pro-totypen wurden 2004 veröffentlicht. Der-zeit läuft die Pilotphase, an der etwa 150 Schulen aus ganz Österreich teilnehmen. 2002 startete auch ein Projekt mit dem Ziel, Mathematikstandards für die Sekun-darstufe II zu entwickeln. Ein Kennzeichen der ersten Prototypen für Standards ist leider, dass die Bedeu-tung der Technologienutzung für den Ma-thematikunterricht im Zeitalter der Infor-mations- und Kommunikationstechnologie nicht erwähnt wird. Unverzichtbare Grund-kompetenzen zu formulieren, ohne den Einfluss der Technologie zu berücksich-tigen, heißt für mich aber Realitäts-verweigerung und ist technologiefeindlich.

Die neuen Lehrpläne: Seit 2000 haben wir in Österreich neue Lehrpläne für die Sek I und seit 2003 für die Sek II. Zwei Kennzeichen sind: einerseits die Rück-nahme der Verbindlichkeit, die Erweite-rung der Autonomie der einzelnen Schu-len und damit die Rücknahme der Input-

steuerung; und andererseits: das Betonen der Bedeutung der Technologienutzung für das Lehren und Lernen von Mathe-matik, zumindest im Kapitel "Bildungs- und Lehraufgabe des Faches Mathema-tik". Von den Schulbüchern wird diese Lehrplanforderung leider noch nicht aus-reichend beachtet. Diese neuen Lehrplä-ne lösten damit aber auch wieder die Dis-kussion über unverzichtbaren Grundkom-petenzen im Technologiezeitalter aus.

Die Untersuchungen zum Thema "Neue Formen der Leistungsmessung und -bewertung" im Rahmen des CAS-Projektes III (www.acdca.ac.at). Diese Untersuchungen waren für mich die eigentliche Triebfeder für die Beschäfti-gung mit dem Thema dieses Vortrages. Ein immer wieder deutliches Ergebnis un-serer Experimente mit Computer Algebra Systemen (CAS) war ein signifikant schü-lerzentriertes, experimentelles Lernen. Zu dieser Form des Lernens passen aber die traditionellen Formen der Leistungsbeur-teilung nicht. Kennzeichnend für die klas-sische Notengebung ist das Dominieren der Klassenarbeiten. Als Folge dieser Er-kenntnisse starteten wir im CAS-Projekt III Versuche mit neuen Formen der Leis-tungsmessung und -bewertung einerseits mit dem Ziel, neben produktorientierten Formen der Leistungsmessung auch pro-zessorientierte mehr zu forcieren, und an-dererseits mit der Absicht, die Bedeutung unverzichtbarer Grundkompetenzen un-abhängig von der eingesetzten Technolo-gie zu erforschen und zu betonen. Ein Versuch, genannt "Jahresprü-fungszeit", hatte als Ziel, zwei unter-schiedliche Arten von schriftlichen Leis-tungsmessungen zu erproben. Vorgege-ben war eine bestimmte Jahresprüfungs-zeit (z.B. 250 Minuten), die für zwei Arten

CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

Helmut Heugl, Wien

Der erste Teil dient der Begriffsklärung: Arten von Standards, Kompetenzmodelle, Kon-kretisierung durch Aufgaben. Im zweiten Teil geht es um den Einfluss von Technologie auf die Rolle der Mathematik, auf das Kompetenzmodell, auf die Standards und die Aufgaben. Insbesondere werden Veränderungen bei den mathematischen Handlungskompetenzen — Modellieren, Ope-rieren, Interpretieren, Argumentieren — untersucht.

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Helmut Heugl

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von schriftlichen Prüfungsarbeiten ver-wendet werden konnte: - Kurze Arbeiten zur Überprüfung von

Grundkompetenzen (15 bis 30 Minu-ten): Überprüft wurden dabei sozusa-gen die Bausteine des Problemlöse-prozesses, unverzichtbare Grundkom-petenzen, welche die Basis und Vor-aussetzung für das Problemlösen sind. Je nach Ziel waren Hilfsmittel wie CAS-Rechner zugelassen oder auch nicht.

- Problemlösearbeiten: Längere Ar-beiten zur Überprüfung der Pro-blemlösekompetenz (bis 100 Minu-ten), bei denen einerseits ein CAS-Rechner und andererseits auch ande-re Lernmedien zugelassen waren.

Gerade dadurch entstand aber die Dis-kussion über die Frage "Was sind unver-zichtbare Grundkompetenzen im Tech-nologiezeitalter?". Damit wurde diese Untersuchung aber unabhängig von der verwendeten Technologie für die derzeiti-ge Standarddiskussion für die Interpreta-tion der neuen Lehrpläne bedeutsam.

1.2 Was wir mit Bildungs-standards erreichen wollen

Als Instrument der Qualitätsentwicklung ha-ben Bildungsstandards zwei Funktionen:

Orientierungsfunktion: Sie beschreiben den Bildungsauftrag des Faches. Die ei-gentlichen Standards formulieren verbal, was die Schülerinnen und Schüler an be-stimmten Stellen ihres Bildungsweges können sollen, und die Aufgabenbeispiele dienen als Realisierung der Standards im Unterricht und als Instrument der Selbst-evaluation.

Evaluationsfunktion: Bildungsstandards sind Messinstrumente für Qualitätsevalua-tion. Sie können zur Selbstevaluation für Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerin-nen und Schüler verwendet werden, au-ßerdem im Rahmen der Qualitätsevalua-tion einer Schule und natürlich vor allem zur Systemevaluation. Für diese Rolle ist geplant, am Ende der Grundschule und am Ende der Sek I einen bestimmten An-teil der Schülerinnen und Schüler zu tes-ten; am Ende der Sek I sollen je 10% der Schülerinnen und Schüler in Deutsch, Englisch und Mathematik getestet wer-den. Schulen sollen aber auch im Rah-men ihrer Qualitätsevaluation freiwillig an den Tests teilnehmen können.

Aus der Produktmessung in Form von Stan-dardtests müssen natürlich Überlegungen und Maßnahmen zur Prozesssteuerung, al-so zur Verbesserung des Unterrichts abgelei-tet werden. Dies erfordert aber wiederum den Aufbau von Unterstützungssystemen, denn man kann Lehrerinnen und Lehrer und Schu-len mit den Messergebnissen nicht alleine lassen. Bei allen Schulpartnern soll durch die Diskus-sion über und durch die Messung von Stan-dards erreicht werden, dass der Stellenwert schulischer Leistung verbessert wird. Dass wir hier in Österreich Defizite haben, zeigt die PISA-Studie sehr schmerzhaft. Standards sollen nicht nur den Ertrag des derzeitigen Unterrichtes abbilden, sie sollen auch Erwartungen ausdrücken, in welche Richtung der Unterrichtsertrag verändert wer-den soll. Daher darf bei ersten Standard-messungen keine allzu hohe Erfolgsquote erwartet werden. Erreicht werden soll, dass die daraus abgeleiteten Steuermaßnahmen die Erfolgsquote im Laufe der Zeit verbes-sern.

1.3 Begriffsklärung Wenn man fünf Personen fragt, was Stan-dards sind, bekommt man zehn verschiede-ne Antworten. Daher zuerst einige Begriffs-klärungen:

Begriffsklärung 1:

Definition im Brockhaus: Richtmaß, Richtschnur — der durch Ver-einheitlichung geschaffene, feste Maßstab für ein bestimmtes Produkt gleicher Quali-tät. — Standardisierung soll Normen schaffen.

Klarstellung durch das Bildungsministe-rium (BMBWK): Es soll weiterhin Lehrpläne als Steue-rungselement, als Input-Vorgabe geben. Standards sollen zur Output-Messung und als Evaluationsgrundlage dienen.

Begriffsklärung 2:

Inhaltsbezogene Standards sind Vorgaben über Inhalte und zugeord-nete Ziele. Diese Rolle erfüllen überwie-gend die Lehrpläne/Rahmenpläne.

Produktorientierte Standards Leis-tungsstandards

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CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

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beschreiben wesentliche Kompetenzen, über die die Schülerinnen und Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen sol-len.

Standards für den Unterrichtsprozess sind Vorgaben zum Prozess, also Maß-nahmen zur Erreichung der geforderten Schülerkompetenz.

Begriffsklärung 3:

Minimalstandards möglichst alle Ler-nenden sollen sie erreichen.

Regelstandards sollen für durch-schnittliche Schülerinnen und Schüler er-reichbar sein.

Maximalstandards drücken einen Ide-alzustand aus.

Beispiele zur Begriffsklärung

Minimal-standards

Regel-standards

Ideal-standards

Inhaltsbe-zogene Standards

Kern-curricula

Produkt-orientierte Standards

PISA Deutsche/ Österreich. Standards

Prozess-orientierte Standards

NCTM-Standards

Abb. 1

Begriffsklärung 4:

"Orientierungs- und Evaluationsstan-dards" sollen ein erwartetes Niveau ausdrücken Man darf sich am Anfang keine allzu tol-len Ergebnisse erwarten, aber durch ent-sprechende Steuermaßnahmen sollte das Ergebnis im Laufe der Zeit besser wer-den.

"Berechtigungsstandards" mit der Messung ist auch die Vergabe von Berechtigungen verbunden, — es müss-ten daher möglichst viele Schülerinnen und Schüler die Standards erfüllen.

1.4 Ein paar Kennzeichen des österreichischen Standard-konzeptes

Grundlage und theoretischer Rahmen für Standards sind, wie international üblich, Aus-sagen über den Bildungsauftrag des Faches Mathematik und ein Kompetenzmodell

1.4.1 Zum Bildungsauftrag des Faches Mathematik

Unterrichtsgegenstände können heute nicht mehr nur dadurch gerechtfertigt werden, dass sie traditionell schon immer Bestandteil des Fächerkanons waren. Jedes Fach hat nachzuweisen, welchen Beitrag es zur Bil-dung der jungen Menschen liefert. Dieser ist auch im Lehrplan der AHS Oberstufe veran-kert. Wir haben für die Beschreibung der Funktion der Mathematik für die Allgemeinheit und so-mit für die Bildung drei wichtige Rollen dieses Faches ausgewählt: (1) Mathematik als Technik des Problemlö-

sens durch Schließen: Wichtige Phasen des mathematischen Problemlösens sind: Modellbilden – Operieren – Interpretieren.

(2) Mathematik als Sprache: Schülerinnen und Schüler sollen drei Arten von Spra-chen erlernen: Die Muttersprache, Fremd-sprachen und die Sprache der Mathema-tik.

(3) Mathematik als Denktechnologie: Im Mittelpunkt dieses Bildes von Mathematik steht nicht ein ganz bestimmtes mathe-matisches Kapitel, sondern jene heuristi-schen Strategien, jene Denktechnologie, die beim Betreiben von Mathematik er-worben werden und die in vielen Berei-chen des Lebens anwendbar sind.

Schülerinnen und Schüler sollen durch die Beschäftigung mit Mathematik auch persona-le und soziale Kompetenzen erwerben, in-dem sie zum Beispiel lernen, Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen und bewusst Lernstrategien einzusetzen, gemein-sam mit anderen mathematisches Wissen zu entwickeln und Probleme zu lösen. Mathematische Grundbildung umfasst die Fähigkeit, die Rolle zu erkennen, die Mathe-matik in der Welt spielt, mathematisches Wissen funktional, flexibel und mit Einsicht zur Bearbeitung vielfältiger kontextbezogener Probleme einzusetzen und unter Zuhilfenah-me von Mathematik begründete Urteile abzu-geben.

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Helmut Heugl

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1.4.2 Das dreidimensionale Kompetenz-modell

Das Kompetenzmodell unterscheidet zwei fachliche Teildimensionen und beschreibt un-terschiedliche Niveaustufen auf solchen Di-mensionen. Jede Kompetenzstufe ist durch kognitive Prozesse und Handlungen von be-stimmter Qualität spezifiziert, die Schülerin-nen und Schüler auf dieser Stufe bewältigen können, nicht aber Schülerinnen und Schüler auf niedrigeren Stufen. Die sich in einem sol-chen Modell ergebenden Kompetenzklassen müssen gegenüber dem allgemeinen Bil-dungsziel und der Rolle des Faches gerecht-fertigt werden. Bei den fachlichen Teildimensionen sind folgende Dimensionen zu unterscheiden:

Die Handlungsdimension (A) Es handelt sich um fachlich orientierte Ak-tivitäten, die für die Bearbeitung und Nut-zung der inhaltlichen Teilbereiche erfor-derlich sind. Durch eine Unterteilung in vier Klassen (Ausprägungen) werden cha-rakteristische Handlungsbereiche spezifi-ziert, die sich aus dem allgemeinen Bil-dungsziel und der Rolle des Faches ablei-ten lassen. Die Bildungsziele finden sich im Lehrplan.

Die inhaltliche Dimension (B) Die inhaltliche Dimension umfasst the-menbezogene Fähigkeiten im Gegen-standsbereich der Mathematik, die für das schulische Lernen in der Sekundarstufe II besonders relevant sind. Grundlage für die im Folgenden angeführten und be-schriebenen Ausprägungen der inhaltli-chen Dimension ist der Lehrplan.

Die dritte Dimension beschreibt unterschiedli-che Anspruchsniveaus:

Die Komplexitätsdimension Die Komplexitätsdimension bezieht sich auf die Anzahl und Verknüpfung der Denkschritte, die zur Bearbeitung einer Aufgabe erforderlich sind. Durch Kompe-tenzstufen sollen kognitive Leistungen mit unterschiedlichem Anspruchsniveau spe-zifiziert werden. Das Erreichen einer Kom-petenzstufe sagt etwas darüber aus, wel-che Handlungen und mentale Operatio-nen mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt ausgeführt werden können.

Zur Dimension 1: Die Handlungsdimen-sion (A) Aus der Zusammenschau der verschiedenen Rollen der Mathematik lassen sich folgende

vier Ausprägungen (Klassen) eines mathe-matischen Handlungsprozesses formulieren: Ausprägungen der Handlungsdimension A1: Modellbilden, Darstellen A2: Operieren, Rechnen A3: Interpretieren und Dokumentieren A4: Argumentieren und Begründen Sie können wie folgt beschrieben werden: A1: Umfasst die Fähigkeit, ein Problem aus

einer bestimmten Situation in die Spra-che der Mathematik zu übertragen. Dazu ist erforderlich, den mathematischen Stellenwert eines Problems zu erken-nen, die benötigten Daten aufzufinden und auszuwählen und sich für einen Lö-sungsweg zu entscheiden und diesen zu planen. Häufig geht es dabei um einen Übersetzungsprozess von der Alltags-sprache in die Sprache der Mathematik. Umfasst das Nutzen der Möglichkeiten vorhandener technischer Hilfsmittel.

A2: Umfasst die Kompetenz, Verfahren, Re-chenmethoden, Techniken oder Kon-struktionsverfahren, die für das mathe-matische Problem eine Lösung ergeben, auf richtige, effiziente und sinnvolle Wie-se anzuwenden. Damit reicht diese Kompetenz über die reine Rechenfertig-keit hinaus. Eine Lösung kann beispiels-weise auch durch Visualisierung oder durch Verwendung von Tabellen gefun-den werden. Umfasst das Nutzen der Möglichkeiten vorhandener elektronischer Rechen-werkzeuge.

A3: Umfasst die Kompetenz, mathematische Ergebnisse zu verbalisieren, wie etwa: - die Analyse der Brauchbarkeit des

Modells, - das innermathematische Interpretie-

ren der Korrektheit der Lösung, das Untersuchen der Brauchbarkeit der mathematischen Lösung für das praktische Problem,

- die Dokumentation des Lösungswe-ges und des Ergebnisses, das In-terpretieren und Dokumentieren von Ergebnissen bei Verwendung techni-scher Hilfsmittel.

A4: Umfasst die Fähigkeit, mathematische Probleme unter Verwendung der Fach-sprache argumentativ zu behandeln. Umfasst alle Aktivitäten, die mit Argu-mentieren, mit Begründen und mit Be-weisen zu tun haben. Dies inkludiert auch ein Argumentieren betreffend die

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CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

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Entscheidung für ein bestimmtes Modell oder für einen bestimmten Algorithmus. Umfasst Argumentieren und Begründen bei Nutzung von Technologie als Dar-stellungs- und Recheninstrument, sowie bei Nutzung elektronischer Informations-quellen.

Zur Dimension 2: Die inhaltliche Dimen-sion (B) Die vier Klassen spiegeln die wesentlichen Inhaltsbereiche des Lehrplans der Sekundar-stufe II wider: Algebra: — Rechnen in den Zahlenmengen N, Z, Q,

R und C, — Anwenden von Grundgesetzen und Re-

chenregeln, — Exakte Werte, Näherungswerte, Fehler

abschätzen, — Rechnen mit Termen, — Lösen von Gleichungen, Ungleichungen

und linearen Gleichungssystemen, — Nutzen der Algebra in Anwendungssitu-

ationen. Geometrie: — Analytische Geometrie: Rechnen mit

Vektoren im R² und R³; skalares und vektorielles Produkt,

— Gerade und Ebene in verschiedenen Darstellungsformen, Lagebeziehungen, Abstandsberechnungen,

— Kreis und Kegelschnitte, — Trigonometrie: Deuten von Winkelfunk-

tionen im Einheitskreis und im rechtwin-keligen Dreieck; Winkelmaße,

— Auflösen des recht- und schiefwinkeligen Dreiecks, Nutzen der Geometrie in An-wendungssituationen.

Analysis: — Funktionsbegriff, Darstellungsformen

und Eigenschaften von Funktionen, — Lineare, quadratische und rationale

Funktionen, Winkelfunktionen, Potenz- und Wurzelfunktionen, Exponential- und Logarithmusfunktionen,

— Folgen (Monotonie, Schranken, Grenz-wert) und Reihen,

— Differenzialrechnung: Differenzen- und Differenzialquotient, Ableitungsfunktio-nen, Differenziationsregeln,

— Integralrechnung: Stammfunktion, Ober- und Untersummen, bestimmtes Integral,

— Nutzen der Analysis in Anwendungssitu-ationen.

Stochastik: — Erfassen und Interpretieren von Daten,

absolute und relative Häufigkeiten, Kennzahlen der Statistik,

— Wahrscheinlichkeitsrechnung: Baumdia-gramme, abhängige und unabhängige Ereignisse, bedingte Wahrscheinlichkeit, Erwartungswert,

— Wahrscheinlichkeitsverteilungen: Zufalls-variable, Binomial- und Normalvertei-lung,

— Testen von Hypothesen, Schätzen von relativen Anteilen.

Zur Dimension 3: Die Komplexitäts-dimension Die Komplexitätsdimension beschreibt Kom-petenzstufen mit mehr oder weniger komple-xen Denkprozessen (Anzahl und Verknüp-fung der Denkschritte). Im Gegensatz zu den bei einer Schularbeit überprüften im laufenden Lernprozess erwor-benen kurzfristigen Kompetenzen beschrei-ben Standards langfristige Kompetenzen, die bis zum Ende der Sekundarstufe II erworben werden sollen. Es besteht Einigkeit darüber, dass langfristi-ge Kompetenzen, wie sie mit Standards an-gesprochen werden, einen relativ niedrigeren Komplexitätsgrad aufweisen als kurzfristig er-forderliche Kompetenzen bei einer Schul-arbeit im jeweiligen Lernprozess. In diesem Modell werden drei Komplexitätsstufen defi-niert: Niveau I: Geringe Komplexität: Grundkompe-tenzen und einfache Grundbausteine, Niveau II: Mittlere Komplexität: Einfache Ver-knüpfungen von Grundkompetenzen, Niveau III: Höhere Komplexität: Komplexe Verknüpfungen von Grundkompetenzen. Von der Komplexität zu unterscheiden ist der Begriff der Schwierigkeit, der eher individu-umsbezogen gesehen werden muss, also von der Vorbildung des Lernenden beein-flusst wird.

Die Vernetzung der drei Dimensionen Mathematische Kompetenz zeigt sich erst dann, wenn Elemente der Handlungsdimen-sion und der Inhaltsdimension vernetzt mit-einander auftreten, das heißt, wenn Schüle-rinnen und Schüler in wechselnden Situatio-nen mathematisch spezifische Handlungen aufgrund vorhandener inhaltlicher Fähigkei-ten ausführen können.

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Je nach gestellter Aufgabe geschieht dies auf unterschiedlichen Anspruchsniveaus. Diese Vernetzung der Handlungsdimension und der Inhaltsdimension wird in folgender Graphik dargestellt. Die Realisierung eines solchen Kompetenzpaares in Form von Auf-gaben kann in verschiedenen Anspruchs-niveaus erfolgen. Das heißt, die Komplexität wird erst bei einer konkreten Aufgabe ausge-wiesen. Beispiele für Kompetenzen bei Vernetzung der Dimensionen: (1) Modellieren im Inhaltsbereich Geometrie

(A1/B3): Schülerinnen und Schüler ent-scheiden sich für ein mathematisches Mo-dell, für einen Lösungsweg zur Lösung geometrischer Probleme. Dies kann je nach Aufgabe wieder auf verschiedenen Anspruchsniveaus passieren.

(2) Operieren im Inhaltsbereiche Analysis (A2/B2): Schülerinnen und Schüler be-herrschen Rechenverfahren im Bereich Analysis, je nach gestellter Aufgabe auf Niveau I, II oder III.

(3) Interpretieren im Inhaltsbereich Algebra (A3/B1): Schülerinnen und Schüler interpretieren alge-braische Ergebnisse in Hinblick auf mathematische Korrektheit oder auf Brauchbarkeit für das praktische Problem. Aus dem Problem ergibt sich das Ni-veau.

(4) Argumentieren im Inhaltsbe-reich Stochastik (A4/B4): Schü-lerinnen und Schüler begrün-den die Entscheidung für eine bestimmte Wahr-scheinlichkeitsverteilung, je nach Komplexität wieder auf Niveau I, II oder III.

Zwecks besserer Lesbarkeit wer-den zuerst Standards für Hand-lungsdimension und danach Stan-dards für die Inhaltsdimension. Die Vernetzung sowie die Komplexi-tätszuordnung erfolgen dann bei den Aufgaben, die eigentlich erst eine leistungsmäßige Erfassung und Messung der Standards er-möglichen.

2 Der Einfluss von Techno-logie auf Standards

Some mathematics becomes more important — because technology requires it.

Some mathematics becomes less important — because technology replaces it.

Some mathematics becomes possible — because technology allows it.

Bert Waits Dieses Statement von Bert Waits — einem der Pioniere der Nutzung von Computeralge-bra-Systemen in der Schule — zeigt deutlich die zu erwartenden Veränderungen beim Einfluss von Technologie im Mathematik-unterricht. Der Zugang von ACDCA zu den Standards ergab sich aus Beobachtungen unserer Ver-suchsklassen im Bereich Leistungsmessung und Leistungsbewertung. Die Diskussionen zum Thema Leistungsbeurteilung führten zu folgenden Fragen: • Welche fundamentalen langfristigen Kom-

petenzen sind nach wie vor notwendig als

Inhaltsdim.

Handlungsdim.

Komplexität

Level I

Level II

Level III

A1:

Mod

ellier

enA2

: Ope

riere

nA

3: In

terp

retie

ren

A4: A

rgum

entie

ren

Algebra: B1

Analysis: B2

Geometrie: B3

Stochastik: B4(A2,B2)

(A3,B4)

(A1,B2)

Abb. 2

InhaltsdimensionHandlungsdimension

B2: AnalysisB2.11. Den Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung kennen und anwenden können.

A3: InterpretierenA3.3 Interpretieren von Graphen

StandardMit Hilfe des Hauptsatzes

der Differential- und IntegralrechnungGraphen interpretieren

Abb. 3

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CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

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Grundbausteine für die zentrale Rolle des Mathematikunterrichtes, — das Problem-lösen?

• Wie ändern sich fundamentale Kompeten-zen bei konsequenter Nutzung von Tech-nologie?

So kamen wir in der zweiten Hälfte der neun-ziger Jahre zu ersten Vorarbeiten für die De-finitionen von Standards (Heugl 1999, Heugl u.a. 1996 & 2001). Parallel dazu beschloss das Bildungsministerium die Entwicklung von Standards für die Sekundarstufe I und gab ein Projekt zur Entwicklung von Standards für die Sekundarstufe II in Auftrag, an dem auch Mitglieder von ACDCA mitarbeiteten. Die eigentliche Arbeit an technologie-orientierten Standards begann nach Fertig-stellung eines ersten Prototyps für Standards der Sekundarstufe II. Es handelt sich ja um eine stetige Weiterentwicklung des österrei-chischen Standardkonzepts. Genauso wie bei der Entwicklung der Standards für die Se-kundarstufen I und II sind folgende Themen-kreise zu bearbeiten:

Veränderungen Rolle der Mathematik bei Technologieeinsatz (Heugl 2004)

Veränderungen des Kompetenzmodells Veränderungen der Standards Aufgabenbeispiele und Tests

Die Vortragszeit ist natürlich viel zu kurz, um auf alle diese Themenkreise einzugehen, da-her konzentriere ich mich im Folgenden auf den Einfluss der Technologie auf die Hand-lungsdimension.

2.1 Veränderungen des Kompetenz-modells durch den Einfluss von Technologie

Eine mögliche Berücksichtigung des Techno-logieeinsatzes wäre, eine zusätzliche Dimen-sion zu definieren, die die Werkzeug-kompetenz beschreibt. Das war nie ein The-ma, da wir ja die Grundstruktur des dreidi-mensionalen Modells nicht verändern woll-ten. Außerdem wollten wir betonen, dass Werkzeugkompetenz eine typische mathe-matische Kompetenz ist und daher im Modell Platz haben müsste. Daher konzentriert sich die derzeitige Arbeit auf Veränderungen der Handlungsdimension. Ein erster Zugang war, neben den 4 Klassen — Modellieren, Operieren, Interpretieren und Argumentieren — die Handlungen im Zusam-menhang mit Technologienutzung als 5. Klasse dazu zu nehmen. Nach langen Dis-

kussionen entschieden wir, "Werkzeug-handlungen" nicht als 5. Klasse zu separie-ren; solche Handlungen erfolgen ja beim Mo-

Modellbilden,Darstellen

Modellkompetenz:Mathematische Modelle kennenund nutzen

Werkzeugkompetenz:Das Modellangebot der Technologie kennen und nutzen

Textübersetzungskompetenz: Texte zuerst in „Textkonzentrate“ und dann in die Sprache der Mathematik übersetzen

Modulare Kompetenz:Module nutzen, entwickeln, verknüpfen

A1 Modellbilden, Darstellen

Heugl Abb. 4

Operieren,Rechnen

StrukturerkennungskompetenzDurch Strukturerkennung Eingabeund Rechenweg entscheiden

(Hand)kalkülkompetenzOperationen ohne Technologie ausführen

WerkzeugkompetenzOperationen mit Hilfe der Technologie ausführen

KontrollkompetenzEingaben und Ergebnisse überprüfen

Die Handlungsdimension des Operierens beinhaltet die Fähigkeit eines Individuums, einen gegebenen Kalkül in konkreten Situationen zielgerichtet anwenden zu können [Hischer, 1995].

A2 Operieren, Rechnen

Abb. 5

Interpretierenu. Dokumentieren

InterpretationskompetenzInnermathematisches und problembezogenes interpretieren

VisualisierungskompetenzGraph. Darstellungen nutzen und interpretieren

WerkzeugkompetenzNutzen des Werkzeuges zur Interpretation

Dokumentations- und PräsentationskompetenzLösungswege und Ergebnisse darstellen und präsentieren

A3 Interpretieren und Dokumentieren

Abb. 6

Argumentierenu. Begründen

Induktive Schlusskompetenz(„plausibles Schließen“)

Deduktive Schlusskompetenz(„logisch exaktes Schließen“)

WerkzeugkompetenzUnterstützen der Argumentation durch Technologie

KontrollkompetenzKorrektheit von Lösungswegen und Ergebnissen überprüfen

A4 Argumentieren und Begründen

Abb. 7

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dellieren, Operieren, Interpretieren und Argu-mentieren. Also ist es naheliegend sie in die 4 bestehenden Klassen zu integrieren. So entstanden also sozusagen durch "Hin-einzoomen" in diese Handlungsklassen je-weils vier "Subklassen", die eine Beschrei-bung technologiespezifischer Handlungen er-lauben.

Kommentare zum Einfluss von Technolo-gie auf einige "Subklassen":

A1 Modellbilden, Darstellen (Abb. 4) Zur Modellkompetenz und Werkzeug-

kompetenz Technologie bietet eine größere Vielfalt an Prototypen eines Modells, einer For-mel, — auch Modelle, die vorher im Un-terricht nicht verfügbar waren (z.B. Rekur-sive Modelle). Während im traditionellen Mathematikunterricht meist nur ein Proto-typ verfügbar ist und verwendet werden kann, stehen durch Technologie oft meh-rere Prototypen parallel in verschiedenen Fenstern zur Verfügung. Typisch für diese neue Art des mathematischen Denkens und Handelns ist das Arbeiten in einem Fenster und das Hin- und Herpendeln zwischen Fenstern, um die Möglichkeiten der verschiedenen Prototypen nutzen zu können. Wir nennen dieses Handlungs-konzept "Window-Shuttle-Methode" — ei-ne neue Qualität mathematischen Han-delns. Unbedingte Voraussetzung für das Nut-zen verschiedener Prototypen ist eine Werkzeugkompetenz beim Modellbilden, wie zum Beispiel bei rekursiven Modellen, bei Regressionsfunktionen oder bei der Nutzung von Tabellenkalkulationssoft-ware.

Zur Übersetzungskompetenz Der Übersetzungsprozess verläuft norma-lerweise in zwei Phasen: Zuerst werden Informationen über das gegebene Pro-blem (Texte, Daten, graphische Informa-tionen, usw.) in eine komprimierte Form übersetzt; — wir nennen sie "Wortformel". Im zweiten Schritt wird die Wortformel in die Sprachen der Mathematik übersetzt. Mit Hilfe der Technologie und dem da-durch zur Verfügung stehenden erweiter-ten mathematischen Wortschatz kann die Übersetzung in die mathematische Sym-bolsprachen direkter erfolgen. Übliche Tä-tigkeiten beim Übersetzungsprozess: De-finieren von Variablen und Funktionen ( Erweiterung des mathematischen Wort-

schatzes), Nutzen von Befehlen oder Funktionen, die die Technologie bereit stellt, Schreiben von Programmen.

Zur modularen Kompetenz Das Nutzen von Modulen ist nicht neu, je-de Formel aus der Formelsammlung ist letztlich ein Modul (z.B. Cosinussatz, He-ronsche Flächenformel usw.) . Das modu-lare Denken und Arbeiten hat durch das Werkzeug allerdings eine neue Qualität bekommen. Während nämlich im traditio-nellen Mathematikunterricht solche Modu-le der Ausgangspunkt für das Rechnen sind, übernehmen durch Technologie ver-fügbare Module auch das Operieren. Module sind komplexe Wissenseinheiten • in denen Wissen komprimiert wird, und • in denen Operationen durch diese

Kapselung als Ganzes abrufbar und einsetzbar werden. (Dörfler 1991)

Das Entwickeln von Modulen bedeutet al-so die Entwicklung eines kognitiven Sche-mas, das als kognitive Einheit abrufbar ist. Verbunden ist damit auch immer eine Re-duktion der Komplexität. Das modulare Denken und Handeln ist ein besonders gutes Beispiel für die The-se von Willibald Dörfler, dass Technologie nicht nur Kognition unterstützt, sondern Teil der Kognition wird.

A2 Operieren, Rechnen (Abb. 5) Bevor man den Einfluss von Technologie auf Handlungen des Operierens untersucht, soll-te definieren, was Kalkülkompetenz ist: Kalkülkompetenz (anstelle von Rechenfer-tigkeit) ist die Fähigkeit eines Individuums, ei-nen gegebenen Kalkül in konkreten Situatio-nen zielgerichtet anwenden zu können. (Hi-scher 1996) Diese Definition zeigt deutlich, dass Kalkül-kompetenz mehr ist, als Rechnungen nur händisch auszuführen.

Der Einfluss von CAS auf die Kalkül-kompetenz: • Schwerpunktsverschiebung vom Operie-

ren zum Modellieren und Interpretieren, • Schwerpunktsverschiebung vom Ausfüh-

ren zum Planen der Operation, • Schwerpunktsverschiebung von der

Handkalkülkompetenz zu den anderen al-gebraischen Kompetenzen,

• Geringere Komplexität beim händischen Rechnen, insbesondere was die langfristi-ge Kalkülkompetenz betrifft,

• Notwendigkeit der Wergzeugkompetenz,

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• Mehr Praxisnähe bei Anwendungsproble-men,

• In der Theoriephase mehr Konzentration auf das jeweilige mathematische Problem, da Rechenarbeit abgegeben wird,

• Eine bessere Verknüpfung des formalen und inhaltlichen Aspekts der Mathematik.

Die obige Definition führt uns zur Aufglie-derung in die vier "Subklassen" dieser Hand-lungsdimension:

Zur Strukturerkennungskompetenz Auch die Notwendigkeit dieser Kompetenz ist nichts Neues. So hat etwa Günter Malle in seinen Untersuchungen gezeigt, dass ein großer Teil der Schülerfehler beim algebrai-schen Operieren auf Strukturerkennungs-fehler zurückzuführen ist. Eine Voraussetzung für diese Kompetenz ist die Kenntnis der algebraischen Gesetze und Regeln. Richtige Strukturentscheidungen können auch bei Nutzung des Werkzeugs CAS nicht allein mit "trial and error" getroffen werden. Gerade jetzt, wo das Werkzeug die Ausfüh-rung der Operation übernimmt, bekommt die Strukturerkennung eine neue Bedeutung. Strukurerkennung ist nötig • bei der Eingabe eines Ausdrucks: Insbe-

sondere bei linearen Eingabezeilen ist zu-erst einmal eine Strukturerkennung für das richtige Setzen der Klammern nötig.

• bei der Auswahl der passenden Opera-tion: Diese Entscheidung erfolgt auf der Basis einer Strukturerkennung.

• bei der Überprüfung und Interpretation von Ergebnissen: Der Lernende muss Er-gebnisse interpretieren, die er nicht selbst produziert hat. Das angebotene Ergebnis stimmt von der Struktur her oft nicht mit dem erwarteten überein.

• beim Vergleich verschiedener Ergebnisse. Oft ist nicht sofort einsehbar, ob verschie-dene Ergebnisse äquivalent oder ver-schieden sind.

Zur (Hand)kalkülkompetenz Wir können auch in Technologieklassen das Rechnen keinesfalls nur der Maschine als "Black Box" überlassen. Zur Entwicklung von Mathematik im Lernenden sind gewisse Handkalkülfertigkeiten unbedingt notwendig, weil ohne Eigenerfahrung weder die Struktur-erfassung noch die Entscheidung für eine be-stimmte Operation denkbar wäre. Wenn ich sage "wir", so meine ich die Grup-pe "Herget, Lehmann, Kutzler, Heugl" (Her-

get u.a. 2001) die in einem Papier publiziert hat mit dem Titel Welche handwerklichen Rechenkompe-tenzen sind im CAS-Zeitalter unverzicht-bar? Wir gehen aus von einer zweigeteilten Prü-fung, bei der ein Teil ohne moderne techni-sche Hilfsmittel stattfindet, während beim zweiten Teil Technologie wie insbesondere leistungsfähige Taschenrechner und Compu-ter mit CAS eingesetzt werden dürfen. Die-ses Modell einer zweigeteilten Prüfung wird in manchen Ländern, z. B. in Österreich, er-probt; in anderen Ländern, z. B. in England, wird es bereits eingesetzt. Dieser Ansatz könnte ein Kompromiss sein, um sowohl den Wünschen der Technologie-Befürworter als auch den Vorbehalten der Technologie-Geg-ner zu entsprechen. Wir stellen uns im Folgenden eine fiktive schriftliche technologie-freie Prüfung vor und suchen nach Aufgaben und Aufgabentypen, die in einer derartigen Prüfung gestellt wer-den könnten. Die Grenzziehung zwischen Aufgaben, die bei einer technologie-freien Prüfung gestellt würden, und Aufgaben, die bei einer solchen Prüfung nicht gestellt werden sollten, läuft auf die eingangs gestellte Frage hinaus, wel-che handwerklichen Rechenkompetenzen im Technologiezeitalter unbedingt erforderlich sind. Zu diesem Zweck haben wir drei Töpfe de-finiert: –T, ?T, +T Die gesuchte Grenze zwischen Aufgaben, die bei einer fiktiven technologie-freien Prü-fung gestellt würden, und Aufgaben, die bei einer solchen Prüfung nicht gestellt werden sollten, ist fließend und hängt von vielen Pa-rametern ab, natürlich auch vom Schultyp. Wir versuchen eine möglichst allgemeingülti-ge Antwort und schaffen dazu drei "Töpfe", die wir –T, ?T und +T nennen. • Der erste Topf, –T (= ohne Technologie),

beinhaltet jene Aufgaben, die bei einer technologie-freien Prüfung zu stellen wä-ren. In diesen Topf kommen also all jene Aufgaben, von denen wir erwarten, dass Schülerinnen und Schüler sie ohne Zuhil-fenahme irgendeines Taschenrechners oder Computers lösen können.

• Die durch den Topf –T bezeichneten Re-chenfertigkeiten sollen ab der 8. Jahr-gangsstufe gelten bzw. ab jener Jahr-gangsstufe, in der der betreffende Stoff behandelt wird. Diese Rechenfertigkeiten sollen dann über die jeweilige Jahrgangs-

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stufe hinaus dauerhaft erhalten bleiben und wirklich jederzeit gefordert werden können.

• Der dritte Topf, +T (= mit Technologie), beinhaltet jene Aufgaben, die bei einer solchen Prüfung nicht gestellt werden soll-ten, d.h. bei der Lösung dieser Aufgaben darf ein leistungsfähiger Taschenrechner oder ein Computer mit CAS verwendet werden.

• Der zweite Topf, ?T, spiegelt unsere Zweifel, unsere unterschiedlichen Einstel-lungen und zum Teil auch die grundsätzli-che Problematik dieses Themas wieder. Bei den in diesem Topf gelandeten Aufga-ben gingen die Meinungen der vier Auto-ren auseinander, oder wir waren uns ei-nig, dass wir keine Zuordnung zu einem der beiden anderen Töpfe vornehmen wollten oder konnten. Dieser Topf kenn-zeichnet, wie fließend die Grenze für uns (noch) ist.

Wo immer es machbar war, haben wir das Spektrum und die Grenzen eines konkreten Aufgabentyps dadurch abgesteckt, dass wir vergleichbare Aufgabenvarianten für –T und +T angegeben haben.

Beispiele von Inhaltsbereichen: Terme — mit und ohne Klammern — lang-fristige Mindestkompetenzen

–T ?T +T

Schreibe ohne Klammern: 1

a–(b+3) (5+p)2 3a2(5a-2b)

Schreibe ohne Klammern: 2

2(a+b) (a2–3b)(-3a+5b2)

Schreibe ohne Klammern: 3

2(ab) (2a+t)2

Schreibe ohne Klammern: 4

3(5a-2b) (5+p)3

Schreibe ohne Klammern: 5

(3+a)(b–7)

Schreibe anders: 6

2a+2b

Vereinfache 7

x2y2+(xy)2

Faktorisiere 8

3ab+6ac

Faktorisiere 9

x2–4 x2+4x+4 x2–x–6

Wie bereits erwähnt, ist die Aufgabenformu-lierung für den Wert einer Aufgabe mit ent-

scheidend. In der folgenden Tabelle haben wir daher bewusst auf die übliche Aufforde-rung "Multipliziere aus" verzichtet und statt-dessen "Schreibe ohne Klammern" verlangt. Während Ersteres die Anwendung des Dis-tributivgesetzes suggeriert, ist Letzteres neu-tral und erhöht damit den Wert der Aufgabe.

–T9: Diese Aufgabe ist wichtig, weil sie Ent-scheidungs- und Begründungskompetenz entwickeln hilft, die wiederum gebraucht wird, um auf einem Taschenrechner etwa die Tas-te "factor" sinnvoll wählen zu können. Ein Hintergrund-Ziel (im Sinne der Bemer-kungen zum Abschnitt "Brüche und Bruchter-me") ist hier das Distributivgesetz a·(b+c)=a·b+a·c .

Über die Aufgabentypen ?T1 und ?T9 wurde besonders lange diskutiert. Gerade die ein-gangs erwähnte Strukturerkennungskompe-tenz wäre laut Meinung eines Teiles unserer Gruppe ohne die durch diese Aufgaben aus-gedrückte Rechenkompetenz nicht gewähr-leistet. Auf der anderen Seite wurden in den österreichischen Computeralgebra-Projekten Anzeichen dafür gefunden, dass durch das Verwenden von Technologie die Strategie-kompetenz gefördert wird, ohne dass eine gute Entwicklung von Rechenkompetenz an dieser Stelle unbedingt erforderlich wäre.

Die Werkzeugkompetenz … to do mathematics means to transform thinking into operating (and then transfer-ring to the computer). But the essential fact is the entire process and not simply the counter position of contemplating on the one hand and oper-ating on the other.

Bruno Buchberger Nicht nur der Denkprozess über das mathe-matische Problem führt zum gewünschten Ergebnis; — ohne Werkzeugkompetenz im Handlungsbereich des Operierens ist weder die Planung noch die Durchführung der Ope-ration möglich. Handlungen im Zusammen-hang mit der Werkzeugnutzung erfordern ko-gnitive mathematische Prozesse.

Der Einfluss von CAS auf die Werkzeug-kompetenz • Notwendige Werkzeugfertigkeiten müssen

genauso geübt und automatisiert werden wie Rechenfertigkeiten.

• Wachsende Freude und Interesse an Ma-thematik im CAS-unterstützten Unterricht korreliert mit der Werkzeugkompetenz.

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CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

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• Wir beobachten einen unterschiedliche Zugang zu dieser Kompetenz und damit eine unterschiedliche Akzeptanz bei Bur-schen und Mädchen.

• Die notwendigen Befehle und Operatio-nen müssen den Lernenden in kleinen Portionen offeriert werden.

• Vereinbaren von Regeln für die Dokumen-tation des Lösungsweges notwendig

Zur Kontrollkompetenz Seit Mathematik zur Problemlösung benutzt wurde, war es nötig, die Korrektheit der Er-gebnisse zu überprüfen, also zu testen. Eines der wichtigsten Resultate unserer CAS-Projekte lautet: Der Unterricht wird deutlich schülerzentrierter und experimentel-ler. Neben dem Lehrer gewinnt das CAS als Experte an Bedeutung. Dadurch erhöht sich aber die Notwendigkeit des Testens ganz be-deutend. Auf der anderen Seite stellt das Werkzeug völlig neue Testmöglichkeiten zur Verfügung.

Veränderungen bei der Testkompetenz durch den Einfluss von CAS: • Testen ist einfacher und schneller mög-

lich. • Neue Testmöglichkeiten, wie etwa das al-

gebraische oder das graphische Testen. • Testen wird notwendiger, da die Ergebnis-

se ja nicht selber produziert werden. • Experimentelles Arbeiten braucht beglei-

tendes Testen. In CAS-Klassen ist kaum mehr der "algorithmische Gehorsam" zu beobachten, d.h. das einfache Nachvoll-ziehen des Lehrerweges. Man findet Schularbeiten, wo bei 20 Schülerinnen und Schülern 10 verschiedene Lösungs-wege auftreten.

• "Mehr Anwendungen" erfordert neben dem innermathematischen Testen der Korrektheit der Operation auch ein Testen der Brauchbarkeit der Lösung für das praktische Problem.

Diese neue Rolle der Testkompetenz benö-tigt das Einüben von Teststrategien, so wie man im traditionellen Unterricht Rechenfertig-keiten geübt hat. Es ist oft faszinierend zu beobachten, wie erfindungsreich Schülerin-nen und Schüler beim Entwickeln von Test-strategien sind. Beispiele für Teststrategien bei der Untersu-chung der Äquivalenz von Termen: • Nutzen der algebraischen Möglichkeiten

des Werkzeugs CAS (z.B.: expandieren oder faktorisieren)

• Gleichsetzen der Terme

• Bilden der Differenz • Bilden des Quotienten • Graphische Methoden

2.2 Beispiele für "technologie- beeinflusste" Standards

A1 Modellbilden, Darstellen

Zur Modellkompetenz (Kennen und Nut-zen mathematischer Modelle):

Beispiel 1: Prototypen von Funktionen

Der Computer als Medium für Prototypen macht verschiedene Prototypen parallel ver-fügbar und bietet auch Prototypen, die sonst nicht verfügbar wären (z.B. rekursive Model-le, Programme).

Standards: Kennen von Prototypen, die vom Werk-

zeug angeboten werden. Den für das gegebene Problem passen-

den Prototypen auswählen.

Zur Werkzeugkompetenz: Beispiel 2: Kosten und Erlös bestimmen den Gewinn (Böhm 1998) Die Analyse der Produktionskosten c für ein bestimmtes Produkt ergab für unterschiedli-che Produktionsmengen x die folgenden Ge-samtkosten:

Menge x 10 20 30 40 Kosten c 160 188 210 220

50 60 70 80 90 235 255 284 330 390

• Suche ein Modell für die Gesamtkosten-funktion (cost(x)).

• Erstelle eine Tabelle der Gesamtkosten für 0 ≤x ≤50 mit Schrittweite 5.

Tabelle

Wortformel

Graph

Termrekursives Modell

Programm

Prototypen von Funktionen

Abb. 8

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Helmut Heugl

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Standards: Eine Tabelle unter Nutzung des Werk-

zeugs aufstellen (Abb. 9) Die passenden Windows-Variablen aus-

wählen (Abb. 10) Einen Graphen mit Hilfe der Technologie

zeichnen (Abb. 11)

Abb. 9

Abb. 10

Abb. 11

Standards: Sich für ein bestimmtes vom Werkzeug

angebotenes Modell entscheiden (Kubi-sche Regressionsfunktion) (Abb. 12)

Analysieren der statistischen Variablen (Abb. 13)

Speichern und zeichnen des Graphen (Abb. 14)

Abb. 12

Abb. 13

Abb. 14

Zur Übersetzungskompetenz: Beispiel 3: Logistisches Wachstum einer Po-pulation Zweistufiger Übersetzungsprozess:

Standards: Text "komprimieren” → "Wortformel fin-

den" (Abb. 15) Wortformel in die Sprache der Mathematik

übersetzen (Abb. 15) Operieren mit Hilfe der Technologie (Abb.

16; Abb. 17)

Abb. 16

Übersetzung Phase 1:

„Die Wachstumsgeschwindigkeit ist proportionalzur Anzahl der existierenden Individuen und

zur Anzahl der freien Plätze“

y'= c.y.(M-y)c…Proportionalitätskonstante, M…maximale Populationsgröße

Übersetzung Phase 2:

Problem: Logistisches Wachstum einer PopulationVerbale Informationen und Daten

„Textkomprimierung“

Übersetzung in die Spracheder Mathematik

Beispiel 3

Abb. 15

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CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

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Abb. 17

A2 Operieren, Rechnen

Zur Strukturerkennungskompetenz Standards:

Eingabe eines Terms durch Verwendung passender Klammern (Abb. 18)

Beispiel 5: Strukturerkennung bei Eingabe eines Terms

Abb. 18

Zur Werkzeugkompetenz Standards:

Operieren im Graphikfenster (Abb. 19 und Abb. 22)

Operieren im Algebrafenster (Abb. 20) Operieren in der Tabelle (Abb. 21)

Beispiel 6: Kosten und Erlös bestimmen den Gewinn (Böhm 1998) Die Analyse der Produktionskosten c für ein bestimmtes Produkt ergab für unterschied-liche Produktionsmengen x die folgenden Gesamtkosten:

Menge x 10 20 30 40Kosten c 160 188 210 220

50 60 70 80 90235 255 284 330 390

Voraussetzung: Die Kostenfunktion cost(x) und die Durchschnittskostenfunktion cost(x)/x wurden ermittelt. • Suche die "Kostenkehre" (Wendepunkt

der Kostenfunktion).

• Wo sind die Durchschnittskosten minimal ("Betriebsoptimum")?

Abb. 19

Abb. 20

Abb. 21

Abb. 22

3 Ausblick Mit dieser Arbeit ist ein erster Schritt in Rich-tung "Berücksichtigung des Einflusses von Technologie auf Standards" getan. Folgende Aktivitäten sind im Laufen oder in Planung:

Fertigstellung der Adaptierung des Kompetenzmodells:

Bearbeitung der Inhalts- und Komplexitäts-dimension in ähnlicher Weise wie in diesem Vortrag die Handlungsdimension.

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Helmut Heugl

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Überarbeitung der Standards

Bis jetzt gibt es nur exemplarische Beispiele für die Handlungsdimension technologie-beeinflusster Standards. In Zukunft müssen sowohl die Handlungsdimension als auch die Inhaltsdimension überarbeitet werden. Es müssen technologiespezifische Standards flächendeckend eingefügt werden.

Aufgabenpool

Derzeit gibt es für die Sekundarstufe II nur einen öffentlichen Aufgabenpool, der der Orientierung und Steuerung im Hinblick auf langfristige Kompetenzen dienen soll, es gibt noch keinen geheimen Testitempool. Die Entwicklung von Testitems für die eigentli-chen Standardtests hat in der Sek II noch nicht begonnen, wohl aber in der Sek I. Es müssen Aufgaben im Hinblick auf den Einfluss von Technologie untersucht und ent-wickelt werden. Dazu muss man sich auf ein Klassifikationsschema einigen. Derzeit wird bei ACDCA folgendes Schema verwendet:

C0 Aufgaben CAS-neutral —Schülerin-nen und Schüler in "Technologie-klassen" haben weder Vor- noch Nachteile

C+ Aufgaben mit Vorteilen für CAS- Schülerinnen und -Schüler

C– Aufgaben mit Nachteilen für CAS-Schülerinnen und -Schüler

Denkbar wäre auch, das Schema zu verwen-den, das eine internationale Expertengrup-pe aus Belgien, Dänemark, Schottland, Schweiz, Österreich entwickelt hat (Böhm 2004):

C0 Aufgaben, bei denen CAS keine we-sentliche Hilfe darstellen

C1 Aufgaben, die mit Hilfe von CAS we-sentlich schneller gelöst werden können oder trivialisiert werden

C2 Aufgaben, welche die Werkzeug-kompetenz testen

C3 Traditionelle Aufgaben, die durch die Nutzung von CAS ausgeweitet werden (Verallgemeinerung, Einfluss von Parametern usw.)

C4 Aufgaben, die nur mit Hilfe von CAS gelöst werden können

Auf der Grundlage eines solchen Klassifika-tionsschemas muss der Aufgabenpool des Projektes "Bildungsstandards aus Mathema-tik für die Sekundarstufe II" (Liebscher 2004)

überarbeitet werden. Die bestehenden Auf-gaben müssen klassifiziert werden, und es müssen vor allem technologiespezifische Aufgaben beigefügt werden.

Standardtests

Es muss unterschieden werden zwischen • Orientierungstests, die aus dem öffentli-

chen Aufgabenpool entwickelt werden, und

• Standardtests, die in Zusammenarbeit mit der Testpsychologie aus einem gehei-men Itempool entwickelt werden.

Derzeit arbeiten wir in der Sekundarstufe II nur an Orientierungstests. Sie dienen, wie ihr Name sagt, der Orientierung, der Steuerung in Richtung mehr Augenmerk auf langfristige Kompetenzen und können von Lehrerinnen und Lehrern auch als Instrument der Selbst-evaluation eingesetzt werden.

Abschließende Bemerkungen:

Ich habe versucht, in meinem Vortrag auf die Fraugen einzugehen, die auf der Startseite dieser Tagung stehen. Abschließend der Versuch einiger Antworten auf diese Fragen: • Die neuen Medien sollen nicht nur, — sie

müssen bei der Entwicklung und Umset-zung der Bildungsstandards in Deutsch-land und in Österreich eine Rolle spie-len, sonst entwickeln wir Standards für die Vergangenheit und nicht für die Zu-kunft.

• Es ist zu hoffen, dass auch die Universi-tätsmathematik schön langsam die Wir-kung der neuen Medien auf die Rolle der Mathematik registriert und nicht als wich-tigste Voraussetzung von unseren Stu-dentinnen und Studenten weiterhin vor al-lem Rechenfertigkeit erwartet.

• Es ist zu befürchten, dass neue Medien zu einer gefährliche Waffe in den Händen von Lehrerinnen und Lehrern werden, die noch immer einen fertigkeitsorientierten, lehrerzentrierten Unterricht pflegen.

• Es ist zu erwarten, dass der Stellenwert neuer Medien zunimmt, wenn die Hard-ware-Industrie Schüler-Notebooks zu er-träglichen Preisen anbietet. Wir haben schon jetzt in Österreich eine relativ hohe Wachstumsrate an Notebook-Klassen.

• Die Erfahrungen, die wir nach nun mehr als zehn Jahren seit Gründung von ACDCA gesammelt haben, bilden die Grundlage dieser Arbeit am Thema

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CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

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"Technologie und Standards". Auf unserer Homepage www.acdca.ac.at kann man vieles über Möglichkeiten, aber auch über Probleme beim Einsatz von CAS nachle-sen. Derzeit arbeiten wir mit verschiede-nen Partnern an einem neuen Projekt "Medienvielfalt im Mathematikunterricht" und versuchen unter Nutzung verschiede-ner mathematischer Werkzeuge (CAS, Tabellenkalkulation, Dynamische Geome-triesoftware, usw.) einerseits und Medien, die die Kommunikationstechnologie an-bietet (eLearning Software, Internet usw.), andererseits Lernsequenzen zu entwi-ckeln und zu erproben.

Literatur ACDCA (Austrian Center for Didactics of Compu-

ter Algebra) (2001, 2003): Berichte der For-schungsprojekte CAS III and CAS IV. Hompa-ge ACDCA: www.acdca.ac.at

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Buchberger, Bruno (2002b): Logic, Mathematics, Computer Science: Interactions. Vortrag bei LMCS. Schloss Hagenberg

Dörfler, Willibald (1991): Der Computer als kogniti-ves Werkzeug und kognitives Medium. In: Wil-libald Dörfler u.a. (Hrsg.): Computer – Mensch – Mathematik. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 51–75

Gruber, Karl Heinz (1999): Internationaler Work-shop "Evaluation und Qualität im Bildungs-wesen", Blumau. Tagungsband des Zentrums für Schulentwicklung Graz

Haider, Günter & Claudia Reiter (2004): PISA 2003 — Internationaler Vergleich von Schüler-leistungen. www.pisa-austria.at

Herget, Wilfried (1996): Rettet die Ideen! — Rettet die Rezepte? In: Hischer & Weiß (1996), 156–169

Herget, Wilfried, (1999): Wie viel Termumformung braucht der Mensch? — Taschencomputer und Mathematikunterricht. In: Udo Amelung (Hrsg.): Der TI-92 im Mathematikunterricht. ZKL-Texte 7. WWU Münster, 3–19

Herget, Wilfried, Helmut Heugl, Bernhard Kutzler & Eberhard Lehmann (2001): Welche hand-werklichen Rechenkompetenzen sind im CAS-Zeitalter unverzichtbar? In: der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 54, 458–464

Heugl, Helmut (1999): The necessary fundamen-tal algebraic competence in the age of Compu-teralgebra Systems. Proceedings of the 5th ACDCA Summer Academy. http://www.acdca.ac.at

Heugl, Helmut, Walter Klinger & Josef Lechner (1996): Mathematikunterricht mit Computer-algebra-Systemen. Bonn u.a.: Addison-Wesley

Hischer, Horst (1996): Begriffs-Bilden und Kalku-lieren vor dem Hintergrund von CAS. In: Hi-scher & Weiß (1996), 8–19

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Kutzler, Bernhard (1999): Der algebraische Ta-schencomputer als pädagogisches Werkzeug. In: Profil März + April 1999, auch: http://www.kutzler.com

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Lehmann, Eberhard (2002): Mathematiklehren mit Computeralgebrasystem-Bausteinen. Hildes-heim & Berlin: Franzbecker

Liebscher, Marlies (2004): Bildungsstandards aus Mathematik für die Sekundarstufe II. Bericht zum Projekt des BMBWK. CD-Rom des Lan-desschulrates für Steiermark

Schmidt, Günter (1997): Experimentieren, Entde-cken, Modellieren und Veranschaulichen. Skriptum zur Lehrerfortbildung, hrsgg. von Te-xas Instruments Austria

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Einstimmung

Unter der Leitung von Peter Bender, Pader-born, diskutierten am Freitag Abend auf dem Podium Hans-Jürgen Elschenbroich, Düssel-dorf, Helmut Heugl, Wien, Fritz Nestle, Ulm, und Andreas Pallack, Soest. Alle Diskutanten sind durch wissenschaftliche Beiträge zur Rolle der Neuen Medien (NM) insbesondere im Mathematikunterricht (MU) ausgewiesen. Elschenbroich, Heugl und Pallack sind aktu-ell mit der Erarbeitung, Implementierung so-wie Planung der Evaluierung von Bildungs-standards (BS) in ihren jeweiligen Bereichen befasst, während Nestle das Thema aus der Sicht des (nonkonformistischen) Emeritus ohne institutionelle Einbindung anging. In seiner Eröffnung hob Bender darauf ab, dass schon seit dreißig Jahren und mehr nicht zuletzt in diesem Arbeitskreis Überzeu-gungen, Forderungen, Begründungen geäu-ßert wurden, den angemessenen Umgang mit NM in die BS für unsere allgemeinbilden-de Schule einzubeziehen. Diese Gedanken waren zwar früher nicht direkt in diese Worte gefasst worden; und statt von BS haben wir z.B. von einer "vierten Kultur-Technik" ge-sprochen und damit auch nicht genau den Begriff von BS gemeint, wie er heute recht scharf definiert ist (s. dazu KMK 2004 und zahlreiche Beiträge in diesem Band: u.a. Bieber, Elschenbroich, Heugl, Leuders, Pal-lack). Aber dieses aktuelle Thema hat für uns durchaus Tradition. In der gegenwärtigen bildungspolitischen Diskussion sind wir dazu aufgerufen, unsere Stimme zu erheben und mit dafür zu sorgen, dass die NM in den BS verankert werden. — Was gibt es da zu diskutieren? — Es besteht ja nicht gerade Einigkeit darüber, welche NM-Inhalte mit welcher Art der Behandlung mit welchen Zielen und welchen Vorteilen eingebracht werden können. In den letzten

vierzig Jahren haben sich die Paradigmen mehrfach erheblich gewandelt, und es ist nicht von vorneherein klar, ob der gegenwär-tige Stand so zukunftsträchtig ist, dass mit ihm ein Teil der BS-Fundamente zumindest eine Zeit lang zementiert werden kann. Au-ßerdem sind nach wie vor jede Menge breite grundlegende didaktische, methodische, or-ganisatorische, technische, ökonomische usw. Fragen zu klären. In einer ersten Runde gaben die vier Podi-ums-Diskutanten vorbereitete Statements ab, die natürlich auch ihre Vorträge auf der Ta-gung sowie ihre aktuelle Tätigkeit im Zu-sammenhang mit den BS widerspiegelten. In einer zweiten Runde reagierten sie dann ge-genseitig auf ihre Beiträge, und anschließend wurde das Publikum in die Diskussion einbe-zogen.

"Ergebnisse"

Die NM standen zwar nicht immer im Vor-dergrund, aber unterschwellig prägten sie die Diskussion durchaus. Es wurden nicht nur die Segnungen von BS gepriesen, sondern durchweg auch Mängel und Gefahren einge-räumt, so dass grundsätzlich darin Überein-stimmung herrschte, dass (i) BS, wie von der KMK (2004) beschlos-

sen, "eingeführt" werden sollen bzw. (was nicht Dasselbe ist!) "eingeführt" werden;

(ii) die Nachteile und Gefahren, wie sie in der Diskussion teilweise angesprochen wurden, im Auge behalten werden müs-sen;

(iii) die NM bei der Formulierung der BS zu kurz gekommen sind.

Nicht wirklich von Grund auf diskutiert wurde allerdings die fatale Möglichkeit, dass bei der

Neue Medien und Bildungsstandards — eine Podiumsdiskussion

Peter Bender, Paderborn

Zum Tagungsthema "Neue Medien und Bildungsstandards" wurden nicht nur gezielt Hauptvortragende eingeladen sowie weitere Beiträge und Arbeitsgruppen erwartet, son-dern es wurde auch eine Podiumsdiskussion organisiert, mit der den Teilnehmerinnen & Teilnehmern Gelegenheit zu einer freien Aussprache (auf der Basis von einigen kurzen Impulsreferaten) gegeben werden sollte. Im Folgenden wird über diese Veranstaltung be-richtet.

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Neue Medien und Bildungsstandards — eine Podiumsdiskussion

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"Einführung" der BS gemäß (i) die Nachteile und Gefahren gemäß (ii) unvermeidlich so stark ausgeprägt werden könnten, dass BS sich eher kontraproduktiv auf die Bildungs-bemühungen der Gesellschaft auswirken, und dass daran auch eine Intensivierung des Einsatzes von NM entsprechend aufgrund der Kritik (iii) vielleicht nichts ändert.

Einzelne Aspekte

(Bei dem folgenden Bericht gehe ich grob nach dem tatsächlichen Diskussionsverlauf vor, gebe die Äußerungen aber nur sinnge-mäß wieder und konzentriere mich auch nicht darauf, wer was gesagt hat, da viele Aspekte aus mehr oder weniger unterschied-lichen Perspektiven mehrfach angesprochen wurden.) Bei allen Vorbehalten gegenüber der Test-gläubigkeit in den angelsächsischen Ländern und gegenüber dem übertriebenen Geltungs-anspruch der internationalen Vergleichs-untersuchungen TIMSS, PISA usw. muss festgestellt werden, dass man in Deutschland (und wohl auch in Österreich) bis in die jüngste Zeit allzu wenige belastbare Fakten über die Ergebnisse des Schulunterrichts, speziell in Mathematik, zur Verfügung hatte. Mit verantwortlich für diesen Mangel ist die traditionelle Input-Orientierung der deutschen Lehrpläne, die nun durch die Output-Orientie-rung (eben der BS) abgelöst werden soll. Nicht mehr in erster Linie Inhalte, sondern zu erreichende Kompetenzen sind vorgegeben. Es versteht sich von selbst, dass hierbei für ganz Deutschland (entsprechend für Öster-reich) eine gewisse Einheitlichkeit erzielt wer-den soll. Diese Forderung bestand zwar schon immer; sie war aber schon immer nur ungenügend erfüllt, und der Schwenk zur Output-Orientierung, bei dem ja alle Bundes-länder am selben Strang ziehen, sollte jetzt als Katalysator für diese Vereinheitlichung genutzt werden. Nun ist der Wunsch nach Überprüfbarkeit al-lein kein ausreichendes Motiv für die "Einfüh-rung" von BS in der geplanten Form. Aber umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die BS sind so zu gestalten, dass überprüft werden kann, wie weit zu einem gegebenenen Zeit-punkt die definierten Kompetenzen von einer bestimmten Population erreicht sind. Natürlich spielen — zu Recht — die Inhalte doch eine zentrale Rolle als Vorgaben, nun aber vor der Folie der BS. Und, wie mehrfach betont wurde, ist die — unumgängliche —

Produkt-Orientiertheit durch prozess-orien-tierte, soziale usw. Ziele zu ergänzen (zu de-ren Überprüfung man so "exotische" Aufga-benformate wie Lerntagebücher mit beden-ken muss). Diese Anreicherung wiederum steht (nicht als Hauptmotiv, aber auch) im Dienste einer ganz wichtigen Aufgabe: Wie kann das "Tea-ching to the test" verhindert werden? — Für dieses Problem hatte man keine wirklich überzeugenden Lösungen parat; aber es wurde wenigstens ganz deutlich artikuliert. Vielleicht werden in der allgemeinen Wahr-nehmung und auch gerade von den Kolle-ginnen & Kollegen, die sich derzeit mit BS befassen, die BS zu eng verwoben mit Lern-standserhebungen (u.ä.) gesehen. Um es noch einmal zu sagen: Aus praktischen und bildungspolitischen Gründen liegt dieser en-ge Zusammenhang auf der Hand; aber vom Wesenskern her sind BS und Tests zwei Paar Schuhe. Vorübergehend rückte das Ziel der Unter-richtsverbesserung durch BS in den Fokus. Die BS sollen den Lehrerinnen & Lehrern, Schülerinnen & Schülern sowie Eltern Orien-tierungen liefern, und da ist eine Ausrichtung an der Forderung der Überprüfbarkeit wenig nützlich, und deren Erhebung zum leitenden Unterrichtsprinzip muss unterbunden wer-den. Gerade bei TIMSS und PISA hat sich gezeigt, dass Aufgaben (und diese bilden nun einmal die Grundstruktur des MU) völlig unterschiedlich geeignet sind, je nach dem, ob sie als Messinstrument in einem Test oder als Unterrichtsinhalt dienen sollen. Derzeit entwickelt sich eine "Lobby" von Testerinnen & Testern (in Deutschland im neu gegründe-ten "Institut zur Qualitätsentwicklung im Bil-dungswesen" (IQB) manifestiert), und wir Di-daktikerinnen & Didaktiker sowie Lehrerinnen & Lehrer müssen darauf achten, dass unsere Belange den Primat behalten. Bei der Darstellung der Diskrepanz zwischen Aufgaben für Tests und Aufgaben für den Unterricht kamen dann endlich auch die NM stärker in den Blick. Für die Anwesenden stand es außer Frage, dass sie in den BS (gemäß KMK 2004) zu kurz kommen und dass die Autorinnen & Autoren der BS hier einen — wenn nicht blinden, aber doch — getrübten Fleck in ihrer Optik hatten. Es ist müßig zu spekulieren, ob man sich hier viel-leicht zum Zwecke der Akzeptanz (zu viel) Zurückhaltung auferlegt hat. Aus dem Kreis der Diskutanten wurde der Hoffnung Aus-druck gegeben, dass die normierende Wir-kung von BS dennoch günstig für die breite Verwendung von NM im Unterricht sein

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Peter Bender

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könnte, die ja zwar nicht mit vielen Worten, aber eben doch unmissverständlich gefordert wird ("nutzen", "auswählen"). Dem stand die Befürchtung gegenüber, dass — wie in den letzten Jahrzehnten — die Akti-ven und Interessierten unter den Lehrerinnen & Lehrern die NM intensiver und die anderen sie eben weniger intensiv bis gar nicht ein-setzen und auf die Verwendung traditioneller Werkzeuge verweisen, mit denen sie subjek-tiv den BS ja auch Genüge täten. Hier wurde nun in der Diskussion wieder die Evaluation des Unterrichts in den Vorder-grund gerückt: Wie man ja aus allen Erfah-rungen weiß, kann man — beim momenta-nen State of the Art — mit einigen organisa-torischen und technischen Bemühungen viel-leicht Populationen im Umfang der vier, fünf Klassen eines Jahrgangs einer Schule eini-germaßen "objektiv" Tests unterziehen, in denen NM eine mehr als marginale Rolle spielen, über Unterricht, in denen NM eine mehr als marginale Rolle spielten. Wohl kann man sogar den Umgang mit NM zum Ge-genstand einer Prüfung machen, ohne dass in dieser NM zur Verfügung stehen (s. dazu den AG-Bericht von Leuders & Pallack in diesem Band). Andererseits lautet ein recht vernünftiges Prinzip, dass die Umstände des Unterrichts sich auch im zugehörigen Test wiederfinden sollen. Gerade wenn die NM nicht der eigentliche Gegenstand des Unter-richts waren, sondern "nur" Denkzeug, Werk-zeug sowie Medium für Anderes, erscheint es "unfair", wenn sie in der Prüfung nicht ge-nutzt werden dürfen, sondern auf einmal die Prüflinge Dinge treiben müssen, die im Un-terricht die NM übernommen hatten. Die NM verschärfen den Konflikt zwischen Unterricht und (standardisiertem) Test noch tiefgehender in folgender Hinsicht: In einer idealen Form des Unterrichts arbeiten Schü-lerinnen & Schüler mehr oder weniger selbst-ständig an mehr oder weniger umfangrei-chen, komplexen, die Grenzen des Fachs nicht streng einhaltenden Problemen, wobei eine recht freie Nutzung von NM mehr oder weniger essenziell ist (im MU würde es sich hier um ein Ausbund an "Mathematical Lite-racy" handeln). Die dabei erbrachten Leis-tungen mit ihren diversen Facetten, insbe-sondere auch der kompetente Umgang mit Medien, können vielleicht von der verantwort-lichen Lehrperson beurteilt werden, aber sperren sich gegen so etwas wie eine stan-dardisierte Lernstands-Erhebung. Die Diskussion bewegte sich allerdings kaum in diesen Sphären, sondern auf festerem Bo-den: Sollen vielleicht sogar getrennte Tests

veranstaltet werden für Klassen mit und für Klassen ohne NM-Nutzung? Wo bleibt dann die Vergleichbarkeit? Was sind die Vor- und Nachteile eines Zetral-Abiturs? Was ist da-von zu halten, das Abitur in zwei Teile zu zer-legen: in einen zentralen (gegebenenfalls NM-freien) und einen klassen-bezogenen (in dem die Besonderheiten des jeweilgen Un-terrichts, nicht nur NM betreffend, berück-sichtigt werden könnten)? Was spricht für und gegen Multiple Choice als Aufgaben-For-mat? Überhaupt wurde betont, wie schwierig es ist, geeignete Aufgaben zu konstruieren (wie uns TIMSS und PISA mit ihrer aufwändigen Kon-struktion von Aufgaben einerseits und zahl-reichen immer noch vorhandenen Mängeln andererseits drastisch vor Augen geführt ha-ben). Alle diese Fragen waren natürlich der besonderen Brisanz unterworfen, dass mit den NM eine zusätzliche, noch kaum be-herrschte Komponente ins Spiel kommt. Es wurde noch eine ganz andere Facette des Themas "BS & NM" ins Spiel gebracht, näm-lich die Nutzung bzw. viel stärkere Beach-tung der NM auf weiteren Ebenen, ange-sichts des heute bereits erzielten techni-schen Fortschritts: Zum ersten ein viel stär-keres Öffentlich-Machen dessen, was man mit den BS erreichen möchte, nicht zuletzt in Form eines Pools von sehr vielen Aufgaben (in Österreich bereits in Arbeit), sortiert nach Klassen gleichwertiger Aufgaben, die im In-ternet Jederfrau & -mann zugänglich sind und im Prinzip von Jederfrau & -mann ver-bessert und weiter entwickelt werden können und sollen (im Modell-Versuch "SINUS-Transfer" in modifizierter Form ansatzweise bereits realisiert). In diesem Aufgaben-Pool manifestiert sich nicht zuletzt auch für die Lernenden (!), was mit den BS erreicht wer-den soll. Er kann und soll Anregungen für den Unterricht liefern, und aus ihm werden jedes Mal die Test-Aufgaben ausgewählt, wobei die Auswahl innerhalb gewisser Re-striktionen durchaus von Schule zu Schule differieren kann. — Aus dem Plenum wurde ergänzt, dass dieser Aufbau eines Aufgaben-Pools jedoch keine positive Wirkung entfalten kann, wenn die Aufgaben einfach nur auf Ab-ruf im Internet bereit stehen und nicht die Lehrerinnen & Lehrer sie in irgendeiner Wei-se zu den ihren machen. Zum zweiten sollen angesichts der heutigen Möglichkeiten Durchführung und Auswertung der Tests komplett computerisiert werden. Zum dritten schließlich müssten sich auch die Lehrerinnen & Lehrer selbst stärker auf die durch die NM geprägte Lebenswelt der

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Neue Medien und Bildungsstandards — eine Podiumsdiskussion

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Kinder und Jugendlichen einlassen (Stich-wort: z.B. in der Lage sein, eine MMS abzu-setzen), was sich dann wiederum im Unter-richt niederzuschlagen hätte. Man könnte noch stärker formulieren: Die Lehrerinnen- und Lehrer-Rolle muss sich überhaupt än-dern. Genau dazu sollen ja die BS und ihre Überprüfungen beitragen. Natürlich war nicht die Zeit, diese Forderung nach Rollen-Än-derung mit Inhalt zu füllen; es wurde lediglich ihre hochgradige Nicht-Trivialität konstatiert. Vom Plenum aus wurde u.a. betont, dass mit den BS Unterrichts-Entwicklung getrieben werden soll, und dass z.B. ("trotz" der BS) eine gewisse Vielfalt im Unterricht erhalten bleiben muss. Die Rede von Vielfalt bezog sich sowohl auf Inhalte über den "Kern" (von Kern-Lehrplänen im Rahmen von BS) hin-aus, als auch auf Arten und Verwendungs-weisen von NM bis hinab zu Software-Typen. Hier wurde jedoch kein unbehebbarer Wider-spruch zur o.a. normierenden Kraft von BS gesehen. Insgesamt kreiste die Diskussion immer wie-der um die Tests, — auch als das Plenum einbezogen wurde. Allerdings wurde dann auch Kritik an dieser Fokussierung laut. Die-se faktische Akzent-Setzung mag nicht zu-

letzt daher rühren, dass es sich hierbei um den handfesteren Teil des ganzen BS-Kom-plexes handelt und dass die Mehrheit des Podiums sich zu der Zeit gerade intensiv mit diesen Fragen befasste. Vielleicht erscheint (in Anbetracht der grund-sätzlichen Ausrichtung dieses Arbeitskreises) der Einen oder dem Anderen die Gewichtig-keit der NM an der Diskussion etwas zu ge-ring. — Ich meine, dass die BS unser Selbst-verständnis und unsere Arbeit dermaßen in-tensiv berühren (und zwar unabhängig von der zusätzlichen Problematik der NM), dass die Diskussion in der "gehabten" Form Aus-fluss eines legitimen Bedürfnisses von Podi-um und Plenum war und einer wirklich inten-siven Arbeit zu NM bei den BS vorausgehen musste.

Literatur KMK (2004): Bildungsstandards im Fach Mathe-

matik für den Mittleren Schulabschluss. — Be-schluss der Kultusministerkonferenz vom 04.12.2003. Neuwied: Luchterhand http://www.kmk.org/schul/Bildungsstandards/ Mathematik_MSA_BS_04-12-2003.pdf

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1 Einige Merkmale von Dynamische-Geometrie-Software (DGS)

Auch in der Form von DGS ist der Computer Medium, wie es Papier und Bleistift schon immer waren, Werkzeug bzw. wie die Com-puter-Leute sich gerne euphemistisch aus-drücken: Denkzeug, indem er das Geomet-rie-Treiben unterstützt, weniger Tutor, weil sich Aufgaben-Stellungen und Lern-Prozesse doch kaum von selbst ergeben, aber natür-lich Schnell-, Viel-, Genau-, Sauber- und Bunt- (d.h. überhaupt grafisch anspruchsvol-ler) Zeichner und -Rechner (mit unvermeidli-chen Einschränkungen bei "genau" und "sau-ber") und nicht zuletzt Speicher mit der Be-sonderheit, dass man die gespeicherten Ela-borate im Prinzip jederzeit weiter verarbeiten kann. Die auf dem Bildschirm dargestellten geo-metrischen Situationen sind natürlich so we-nig mit den eigentlichen, idealen geometri-schen Begriffen identisch wie auch früher schon die Zeichnungen auf Papier: Handelte es sich dort um Grafit-Würste, haben wir jetzt aus kleinen Quadraten zusammengesetzte Treppen-Figuren. Durch Zusammenkneifen der Augen kann man zwar den abgehackten Eindruck verwischen, aber, und das ist Teil der Computer-Literalität, man weiß ja, dass jeder optische Eindruck am Bildschirm mit im Prinzip quadratischen Pixeln erzeugt wird. Oder: Bei der Bildschirm-Geometrie werden die Punkte mit Absicht dick gezeichnet und, unabhängig von dieser dicken Zeichnung, wird ein Punkt vom Programm als ein Fleck von einer gewissen Ausdehnung aufgefasst, damit gegebenenfalls sich drei Geraden dis-kret-algebraisch und visuell wirklich in ihm

schneiden und damit man ihn beim Ziehen mit der Maus auch trifft. Hier liegt einer der entscheidenden Gründe, warum Kinder die Zeichenblatt-Geometrie primär durch eigenhändiges Zeichnen und nicht am Bildschirm erfahren sollen. Wohl handelt es sich beides Mal um notwendig un-vollkommene Realisate der eigentlichen, ide-alen geometrischen Begriffe, aber beim ei-genhändigen Zeichnen werden eben die Ge-radheit der Geraden (dem Lineal entlang fah-rend), die Kreisförmigkeit des Kreises (mit dem Zirkel) oder die Ausdehnungslosigkeit des Punktes (mit der Bleistift-Spitze) trotz ih-rer Unvollkommenheit direkt erfahren, wäh-rend diese Figuren am Bildschirm das Er-gebnis von algebraischen Berechnungen im Hintergrund und jedenfalls nicht von eigen-händigen Aktionen sind. Also: auch in der DGS ist der Computer nur ein Medium für etwas Anderes, nämlich für den Himmel der geometrischen Ideen; aber mir ist sonst kein Einsatz des Computers in didaktischen Situationen bekannt, wo die computer-generierten Objekte und Aktionen kognitiv so nahe an dem sind, wofür sie ste-hen, nämlich der fachlichen Begrifflichkeit. Eine wichtige Aufgabe der Lehrenden hierbei ist dann gerade, der naiven, vordergründigen Identifizierung des Geschehens am Bild-schirm mit den dahinter stehenden idealen geometrischen Begriffen entgegenzuwirken. Am ehesten findet man diese Nähe des Computer-Geschehens zu den Fach-Begrif-fen wohl noch bei den Naturwissenschaften, besonders in der Physik z.B. bei der Simula-tion realer Prozesse. Allerdings besteht dort ein gewaltiger erkenntnistheoretischer Bruch zwischen den objektiven Natur-Vorgängen als solchen und deren Programmierung für den Computer durch ein menschliches Sub-

Dynamische-Geometrie-Software (DGS) in der Erstsemester-Vorlesung — ein Werkstatt-Bericht über ein Entwicklungs- und ein Forschungs-Projekt

Peter Bender, Paderborn

Zunächst werden einige, vor allem erkenntnistheoretische Merkmale von DGS erörtert und das Entwicklungs-Projekt der Erstsemester-Geometrie mit DGS in Paderborn vorge-stellt. Danach wird die Methode des Forschungs-Projekts zur Wirkung der DGS kurz be-schrieben und an zwei Episoden exemplifiziert. Schließlich wird als Forschungs-Deside-rat die stärkere Berücksichtigung der Lehrperson, des mathematischen Stoffs und über-haupt langfristiger Einflüsse herausgeschält.

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Dynamische-Geometrie-Software in der Erstsemester-Vorlesung

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jekt. Dieser Bruch besteht bei der Geometrie so nicht, es sei denn, man fasst sie als Na-turwissenschaft auf. Es gibt durchaus Men-schen, auch im Bildungs-Bereich, für die die Geometrie ein Teil der Physik (kraftfreie Me-chanik) ist, und im Schul-Unterricht hat man es damit vordergründig gewiss leichter. Aber, jedenfalls in der herrschenden Mei-nung der Didaktik, ist die Geometrie, wie die Mathematik insgesamt, eine Geisteswissen-schaft, also ein Teil der Filosofie, zwar in ih-rem Entstehen und in ihren Anwendungen stark von der Natur und der Wissenschaft von der Natur befördert und beeinflusst; aber sie hat sich, schon bei den alten (Griechin-nen &) Griechen verselbstständigt und unab-hängig davon gemacht. Auch die Rolle als Darstellende Geometrie ist nur sekundär, so-zusagen ein Zubrot (das jedoch durchaus zeitweise im Vordergrund stehen kann). Da gibt es vorzügliche (allerdings aufwändige und teure) CAD-Software für Architektur, Maschinenbau usw. Dagegen sind die DGS dezidiert zum Treiben, Lehren und Lernen von (zunächst) geisteswissenschaftlicher Ge-ometrie geschrieben (und sind viel primiti-ver). Diesen geisteswissenschaftliche We-senszug der Geometrie (einer von mehreren) den Schülerinnen & Schülern (S&S) zu ver-mitteln, ist eine der Aufgaben des Geometrie-Unterrichts (die in der Schule gewiss schwie-riger als an der Universität, aber auch dort, wie die Erfahrungen zeigen, nicht einfach ist). Das ausschlaggebende Merkmal einer DGS, ist die Beweg- und Verformbarkeit der Figu-ren auf dem Bildschirm, womit ein jahrhun-derte-alter Traum von Geometrie Treiben-den, Unterrichtenden und Lernenden in Erfül-lung gegangen ist. Natürlich bewegen sich da keine Pixel; es werden lediglich entspre-chend den Maus-Bewegungen in rascher Folge Bilder erzeugt, die sich jeweils leicht von ihren Vorgängern unterscheiden, und dadurch wird der optische Eindruck einer i.W. kontinuierlichen Veränderung hervorgerufen. So werden auch Assoziationen von Dynamik und Lebendigkeit gefördert (obwohl die Ver-formung der Figuren ja i.a. realitätswidrig ist), und es wird immer wieder logische Evidenz suggeriert, wodurch die didaktische Aufgabe durchaus anspruchsvoller wird. Außerdem werden die zarten Versuche, zumindest in der Didaktik, die Raum-Geometrie und in Verbindung damit den Anwendungs-, allge-meiner: Lebenswelt-Bezug im Geometrie-Un-terricht, zu fördern, direkt zunichte gemacht. Es gibt zwar inzwischen auch leistungsfähige "dynamische" raum-geometrische Software (s. Schumann 2004), aber aus vielen Grün-

den führt sie in der Schule ein Schatten-Dasein, während die ebene DGS durchaus bekannt ist. Allerdings ist auch sie nicht allzu weit verbreitet, weil • Bedeutung und Umfang des Geometrie-

Unterrichts nach wie vor ungenügend sind,

• viele Lehrerinnen & Lehrer (L&L) nicht gut genug mit DGS vertraut sind, um sie im eigenen Unterricht einzusetzen,

• vielleicht auch didaktische Vorbehalte ha-ben,

• die sächliche und räumliche Ausstattung an den meisten Schulen unzulänglich ist.

2 Die Erstsemester-Vorlesung und -Übung in Elementar-Geometrie mit DGS in Paderborn

Diese Hinderungs-Gründe sind bei uns in der Fachgruppe "Mathematik-Didaktik" in Pader-born alle nicht gegeben, und so hat Kollege Rinkens 1998 die Initiative ergriffen und un-sere Erstsemester-Fach-Vorlesung und -Übung in Geometrie auf die Arbeit mit der DGS umgestellt, zunächst mit Cabri Geome-ter, und, wegen der damals unter allen DGS alleinigen Internet-Tauglichkeit, ab WS 01/02 mit Cinderella. Zwar gibt es an einigen Hoch-schulen in Deutschland Geometriedidaktik-Veranstaltungen mit umfangreicher DGS-Verwendung, aber ein so konsequenter Auf-bau der Fach-Vorlesung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Ge-samtschulen mit den entsprechenden Jahr-gangs-Stufen (GHRG; wie es seit 2003 in NW existiert) mit einer DGS ist mir sonst nicht bekannt. "Konsequent" heißt erstens: Auch die Studie-renden haben die Software zur Verfügung, machen ihre Haus-Aufgaben mit dem eige-nen Computer (etwa ein Drittel der Aufgaben auch computer-los) und versammeln sich wöchentlich zur Übung im Computer-Raum, wo sie im Kreis sitzen, die Bildschirme abge-senkt sind, so dass die Studierenden sich gegenseitig sehen und miteinander kommu-nizieren können, und mit einem sog. päda-gogischen Netzwerk der Bildschirm-Inhalt von jedem Rechner auf jeden anderen geholt werden kann (ein Poolraum-Konzept, das auf den Informatik-Kollegen Keil-Slawik in Pa-derborn zurückgeht).

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Peter Bender

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"Konsequent" heißt zweitens: Aus dem "klas-sischen" Geometrie-Curriculum Inhalte aus-wählen, die sich für die Arbeit mit der DGS gut eignen; darauf achten, dass nicht so viele fundamentale Themen ausgelassen werden, so dass dann kein schlüssiger Gesamt-Auf-bau mehr vorhanden wäre, und mit Stoff an-reichern, der zwar vielleicht weniger zentral ist, aber gut zu DGS passt, z.B. die Kegel-schnitte. Dies alles muss in eine Vorlesung gegossen werden, und sehr viele Zeichnungen müssen aufwändig neu erstellt werden. Und natürlich finden trotzdem noch viele Erläuterungen und streckenweise sogar wesentliche Teile der Vorlesung klassisch mit Hilfe der Wand-tafel und Kreide statt. "Konsequent" hieß bei Rinkens drittens (von mir später wieder abgeschafft): Das Ganze wird internet-fähig gemacht; der Text in HTML geschrieben und die (ja beweglichen) Zeichnungen als Java-Applets eingebunden. Hierfür war zusätzliches Personal erforder-lich, und das lief ins Geld. Außerdem waren Pflege und Weiter-Entwicklung mit sehr ho-hem Aufwand verbunden. Ich übernahm zum WS 02/03 die Veranstaltung. Als ich jedoch im WS 03/04 umfangreiche Revisionen beim Text und bei den Applets vornehmen wollte, erwies sich der nötige Einsatz an Zeit als so hoch, dass ich das, bei spätem Start im Sep-tember, bis zum Vorlesungs-Beginn Mitte Oktober nicht mehr hätte realisieren können. Rein technisch hatte ich in meinem ersten Durchgang auch mehr Probleme gehabt als Rinkens davor: Der Dozent bringt ja seinen Laptop mit in den Vorlesungs-Raum, schließt den Beamer an, mit dem dann der Bild-schirm-Inhalt an die Wand projiziert wird, und ruft mit Hilfe des universitäts-internen draht-losen Funknetzes die Internet-Seiten auf. Meiner Erinnerung nach trat bei über einem Drittel der Sitzungen eine technische Störung auf, die ich manchmal selbst beheben konn-

te, für deren Abstellung ich aber häufig einen (jedenfalls relativ zu mir) Experten bemühen musste. Etwa für die Hälfte dieser Störungen war die Erfordernis der Internet-Nutzung ver-antwortlich. Abgesehen davon, dass die Arbeit mit dem Internet irgendwie stilgerechter ist und man sich im Zuge der allgemeinen Euphorie über internet-gestütztes Lernen, zumal bei der E-Learning-Gemeinde, damit hervortun kann, hatten folgende Gründe für den Einsatz ge-sprochen: a) Es sollte überhaupt einmal aus-probiert werden. b) Man kann problemlos fremde Seiten in die Vorlesung einbeziehen, und es war c) daran gedacht, dass auch die Studierenden ihre Laptops in die Vorlesung mitbringen, jeweils die aktuelle Seite aufru-fen, dann eigenständig mit den DGS-Zeich-nungen operieren, Vermutungen äußern bzw. die Ausführungen des Dozenten über-prüfen und so intensiver mitarbeiten. Nicht zuletzt war dies d) in Ermangelung einer Campus-Lizenz der Weg, den Studierenden die Arbeit mit der DGS zu ermöglichen. Für mich waren die ersten drei Gründe weni-ger wert: Es ist arg aufwändig, passende In-ternet-Seiten zu suchen, und die paar Zeich-nungen, die Rinkens von außen eingebaut hatte, haben mir gar nicht so gut in den Kram gepasst. Ich habe sie durch selbst angefer-tigte ersetzt, so wie ich sie gebraucht habe, und mich dabei intensiver mit dem jeweiligen Stoff befasst, was durchaus nützlich war. Insgesamt halte ich das Ideal einer Internet-Vorlesung, die von vielen Lehrenden in un-terschiedlichen Hochschulen erfolgreich übernommen wird, jedenfalls in Mathematik, für eine Schimäre. Wie bei den Lernenden ist auch bei den Lehrenden eine gründliche ei-genständige Auseinandersetzung mit dem Stoff, bis hin zur selbstständigen Entwick-lung, unabdingbar. Die studentische Mitarbeit in der Vorlesung auf der Basis eigener Laptop-Aktivitäten hat nicht funktioniert, und das ist eigentlich kein Wunder. Dazu ist in der Vorlesung einfach nicht genug Zeit. Dort sind simple Fragen möglich, die die Studierenden zum Mitden-ken animieren und den Monolog auflockern, aber keine wirklich selbstständige Erfor-schung einer geometrischen Situation durch sie. Dazu sind andere Arbeits-Formen nötig, bei uns eben die Haus-Aufgaben in Klein-gruppen zu 2–3 Leuten. Schon in den Übungs-Sitzungen haben die Studierenden nicht genügend Muße und zu viel Stress, als dass sie unvorbereitete Aufgaben mit gewis-sem Niveau unangeleitet bewältigen könn-ten. Das geht mir doch selbst so! — Außer-

Abb. 1: Gärtnerinnen- & Gärtner-Konstruktion der Ellipse mit DGS (ausgeführt von Rinkens)

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Dynamische-Geometrie-Software in der Erstsemester-Vorlesung

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dem konnten die Internet-Zeichnungen zwar ziehend bewegt werden, aber sonst konnten keine Manipulationen vorgenommen, z.B. Elemente wesentlich verändert, hinzugefügt, entfernt oder hervorgehoben werden u.v.a.m. Jedenfalls wäre ich die Internet-Bindung ger-ne los geworden, und ich hätte gerne den Vorlesungs-Text und die Zeichnungen (natür-lich mit der DGS) als selbstständige Dateien zum umfassenden Bearbeiten auf CDs ge-brannt und an die Studierenden verteilt sowie außerdem ins Internet gestellt. Leider gab es für Cinderella, die vom Klett-Verlag vertrie-ben wird, nicht so etwas wie eine Campus-Lizenz, und Raubkopien haben wir in unserer Fakultät offiziell abgeschafft. Da kam mir der Zufall zu Hilfe, dass sie ab Oktober 2003 in der von uns verwendeten Version kostenlos wurde. Nun konnte ich meine inhaltlichen und technischen Vorstellungen genau und ohne fremde Hilfe (außer für das Brennen der 130 CDs) realisieren. Im WS 04/05 wurde die Veranstaltung erneut von mir durchgeführt, und man kann kaum noch von einem Projekt sprechen, sondern die Geometrie-Fach-Vorlesung und -Übung mit DGS für das Lehramt GHRG ist inzwi-schen etabliert, auch wenn beim nächsten Mal ein anderer Kollege sie vielleicht wieder auf ganz konventionelle Art abhält. Ein guter Grund für einen solchen Rückzug kann in den beschränkten Kapazitäten gesehen wer-den: Von 1998 bis 2003 hat sich die Zahl der Teilnehmerinnen & Teilnehmer auf etwa 120 verfünffacht. Durch Ausbeutung der Mitarbei-terinnen & Mitarbeiter und der eigenen Per-son konnte die Zahl der Übungs-Gruppen auf vier erhöht werden. Aber im Computer-Raum befinden sich außer Dozenten-Computer und -Stuhl nur weitere 10 Computer und 20 Stüh-le, womit er eigentlich schon überfüllt ist. Und so mussten im WS 03/04 von den 30 Studie-renden einer Gruppe immer 10 stehen. Häu-fig waren außerdem bis zu 3 Geräte defekt. SHK- und Sachmittel werden seit Jahren kontinuierlich gekürzt, so dass in Zukunft sol-che Defekte seltener behoben und weniger Haus-Aufgaben nachgesehen werden kön-nen, usw. Nun möchte ich ein erstes Fazit (z.T. im Vor-griff auf die nächsten Abschnitte) ziehen. Dieses ist nicht neu, hat aber gerade hier einmal wieder seine Bestätigung erfahren. a) Bei vielen empirischen Untersuchungen

zur Wirkung von irgendwelchen Maßnah-men auf Lehr-Lern-Prozesse, gerade auch im Zusammenhang mit Neuen Medi-en, werden volens nolens viele Variablen unzulässigerweise außer Acht gelassen,

obwohl sie einen erheblichen Einfluss ha-ben, besonders gern die Lehrperson. Ob-gleich Herr Rinkens und ich uns als Leh-rende auf sehr vielen Ebenen sehr ähnlich sind, erst recht von außen gesehen, und in dieser Veranstaltung fast Dasselbe gemacht haben, haben sich bei genauer Analyse große Unterschiede gezeigt.

b) Für solche Analysen ist eine ausgeprägte didaktische und fachliche Expertise Vor-aussetzung, und diese fehlt oft.

c) Zwar lassen sich die Erfahrungen mit un-seren Studierenden nicht ohne Abstriche auf die Sekundarstufe I übertragen, aber ich kann für diese angesichts der derzeit üblichen Bedingungen empfehlen, in je-dem Schuljahr ein paar Wochen der Geo-metrie zu widmen und davon jeweils ei-nen gewissen zusammenhängenden Teil (vielleicht 3–4 Wochen) der Arbeit mit DGS, wo man dann wöchentlich vielleicht ca. viermal den Computer-Raum benutzt und in dieser Zeit in diesem Denken drin ist.

d) Bei der Installation von Soft- und Hard-ware sollte man möglichst primitive und narrensichere Systeme verwenden, so dass man auf Dauer auf Fremd-Personal verzichten kann. (Dies ist z.B. ein Teil des Konzepts der Lernstatt Paderborn.)

3 Zur Wirkung der DGS auf das Geometrie-Lernen

Zu diesem Entwicklungs-Projekt (Geometrie mit DGS) wurde ein Forschungs-Projekt vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NW im Rahmen des Innovations-Programms "Wirksamkeitsforschung — Neue Medien in der Hochschullehre" des Kompe-tenznetzwerks "Universitätsverbund Multi-media" und auch von unserer Hochschule fi-nanziert (s. Maczey 2002, Bender & Maczey 2004), i.W. für eine Wissenschaftliche Mitar-beiterin zwei Jahre lang und für 20 Laptops zum Ausleihen an Studierende. Die Laptops waren, wie gesagt, zur Benutzung während der Vorlesung gedacht und, unabhängig da-von, für solche Leute, die keinen Rechner besitzen. Beide Motive sind inzwischen obso-let, das zweite, weil seit 2001 der prozentua-le Anteil der Computer-Besitzerinnen & -Be-sitzer erheblich gestiegen ist. Die Anzahl in-takter Geräte sowie die Leistungsfähigkeit re-lativ zum jeweils aktuellen Standard haben sich natürlich seitdem deutlich verringert, aber ein paar notleidende Studierende kön-nen wir durchaus noch ausstatten.

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Peter Bender

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Unser Forschungs-Interesse galt und gilt hauptsächlich der geometrie-didaktischen Seite. So haben wir unser Projekt unter drei große Fragestellungen eingeordnet: (i) Wie wird der Medien-Einsatz an sich auf

der intellektuellen, emotionalen und sozia-len Ebene wahrgenommen?

(ii) Wie verändert sich das Lernen von Geo-metrie in einer multimedialen Umgebung?

(iii) Wie verändern sich die Auswahl der Inhal-te und die geometrischen Begriffe selbst? (Mit dieser letzten Frage ist die Lehren-den-Seite angesprochen, und sie wird mehr langfristig verfolgt.)

Dazu entwickelten wir einen Fragebogen und führten auf dessen Grundlage in den WS 01/02 und 02/03 Interviews mit zahlreichen Studierenden durch. Zwar handelt es sich bei unserer Klientel nicht um Mittelstufen-S&S, und insbesondere liegt bei ihnen kein Erst-Lernen vor; aber das Lehr-Lern-Niveau ist (unter Beachtung der besonderen Umstände an der Hochschule) durchaus dem in einer gymnasialen Klasse vergleichbar, nicht zu-letzt weil vom schulischen Geometrie-Unter-richt i.a. wenig Substanz übrig geblieben ist. — Unabhängig davon hatten wir uns von den Studierenden (aufgrund ihrer Lebens-Erfah-rung und ihrer beruflichen Interessen) eine höhere Belastbarkeit bei den Interviews, ei-nen weiteren Horizont für unsere Fragestel-lungen und substanziellere Aussagen zu den eigenen Denk-Prozessen versprochen (und wurden in dieser Erwartung letztlich bestä-tigt). Offensichtlich kommen quantitative Metho-den (inklusive der Abschluss-Klausur) für un-ser Vorhaben nicht in Frage. Wir gingen vielmehr qualitativ vor. Die Interviews führten wir aus Ökonomie- und Anregungs-Gründen immer mit zwei Personen; die Interviewerin-nen & Interviewer mussten sich nicht skla-visch an den Frage-Bogen halten. Die Inter-views wurden video-grafiert, stückweise transkribiert und punktuell interpretierend ausgewertet. In dieser Form der Gesprächs-Führung und anschließend in der Interpretation liegt die Annahme der "Existenz von allgemein geteil-ten Regeln sozialen Handelns, die mit einem eigenständigen Geltungs-Anspruch versehen sind, und einer darauf fußenden objektiven latenten Sinn-Struktur der Interaktion" zwi-schen Interviewenden und Interviewten im Sinne Oevermanns (1986, 22ff). Der objekti-ve Charakter wird dadurch verstärkt, dass es um einen engen, stark rationalisierten Be-reich geht, nämlich um das Lernen von Geo-

metrie und um die Elementar-Geometrie be-zogen auf die Vorlesung, und dass die Betei-ligten bewusst darüber sprechen. Möglicher-weise würden der Soziologe Oevermann und die reinen Interpretierinnen & Interpretierer (I&I) diese didaktische Wendung nicht mit-machen. Aber eigentlich ist nicht einzusehen, dass man sich trotz Kenntnis von ersichtlich relevanten nicht-soziologischen Strukturen auf die soziologischen beschränkt. — Allge-mein stützten wir uns auf die Prinzipien der sog. Grounded Theory (s. Strauss & Corbin 1996), und konnten so von Seiten der For-schung legitimieren, was im Zuge des Ausbil-dungs-Auftrags geleistet werden muss, näm-lich die Weiter-Entwicklung der Lehre von Semester zu Semester, wodurch ja die For-schungs-Bedingungen spürbar geändert wer-den. Hier ein Beispiel einer, zugegeben, etwas spekulativen Interpretation einer Episode: Kommilitone A gehört zu den eifrigen Studie-renden, und er fällt immer wieder durch för-derliche unkonventionelle Wort-Beiträge auf. Am Ende hat er auch die beste Klausur ge-schrieben. In der Episode geht es einleitend um die Frage, inwiefern Cinderella das Lernen von Geometrie unterstützen kann. — Für mich macht das Herstellen von geometrischen Zu-sammenhängen, kulminierend in der Tätig-keit des Beweisens, einen bedeutenden We-senszug des Geometrie-Treibens und damit des Geometrie-Lernens aus, und ich habe diesen Wesenszug in der Veranstaltung in-tensiv gepflegt.

"... Vorteile, mit Sicherheit Anschaulich-keit/ . ist absolut äh ... (schnalzt mit der Zunge) verbessert .. ich denke ma dass es . gerade mit Cinderella einfacher ist, so Allgemeinsätze sich mal ranzupacken also nicht . immer die Einzelfälle/ (gesti-kuliert) sondern du kannst halt eben, wenn du jetzt zum Beispiel den, den Tha-leskreis hast, oder was, und willst da gu-cken wie ist, wie ist das mit den rechten Winkeln\ (zeigt mit den Händen ein Dach) Wenn du halt ne normale Skizze machst, dann haste nur, in diesem Thaleskreis, halt eben nur ein rechtwinkliges Dreieck\ Mit Cinderella ziehste eben an dem Punkt auf dem Kreis (zieht in der Luft einen Halbkreis entlang) und siehst Oh, die sind ja alle rechtwinklig\"

Im Fortgang der Episode stimmt er später seiner Interview-Genossin zu, dass Cinderel-la aber dazu verleitet, nicht mehr nach dem Warum der Sätze zu fragen:

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Dynamische-Geometrie-Software in der Erstsemester-Vorlesung

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"Ja ich denke auch, das verleitet halt ir-gendwie dazu . zu sagen . das ist einfach so\ Nicht mehr warum ist das so, sondern das sieht man doch . is ja so\ Das ist halt eben so das, das Cinderella . einem so (lächelnd: ) erleichtert . diesen Schritt zu sagen\ pft (tut so, als würde er etwas über seine Schulter werfen)"

In der nächsten Szene spricht der Interviewer A noch einmal auf sein Thalessatz-Beispiel an und fragt, ob für ihn das Ziehen mit Cinde-rella schon einen Beweis darstellt oder ob er noch etwas hinzufügen müsse:

"Dem, müsste ich noch etwas hinzu, hin-zufügen\ . Das wär ja einfach nur man sieht es ja\ (zeichnet kleinen Halbkreis in die Luft) das ist aber noch kein Beweis\" "Wieso nich/" (4 sec) (A grinst) "Kann ich dir nicht beantwor-ten." "Ne, ich, oder, was denkst du wieso das, wieso is das für dich noch kein Beweis\ .. oder was müsstest du jetzt noch hinzufü-gen in diesem konkreten Beispiel" (2 sec) "Ne klare Argumentationskette\ (grinst leicht) (4 sec, wibbelt mit dem Stuhl und nickt dabei nachdenklich) Praktisch erst mal ne . ich muss ja erst mal irgendwie 'n Satz haben, den ich überhaupt beweisen will, (schnell: ) ja gut das wär vielleicht der Thalessatz, ne/ (lächelt) logischerwei-se ne/ (lacht) (lehnt sich vor, verändert die Sitzposition zu einer aufrechteren) Und dann ähm muss man halt so anfangen mit äh . Voraussetzung, Behauptung . und dann- (schlägt mit der Handkante auf den Tisch) . logisch\ schließen\ Weil du kannst halt eben nicht sagen, es is' so\ . sieht man doch\ dat reicht nich\"

Das klingt ja alles recht zufriedenstellend, — wenn nur der Interviewer jetzt nicht noch nach dem Wert eines Beweises gefragt hät-te:

"angenommen du hast jetzt so'n, das be-wiesen auch, mit Voraussetzung und Be-hauptung/ . Welchen Wert hat jetzt dieser Beweis, den du jetzt noch aufgeschrieben hast\ . für dich\". (bestimmt: ) "Für mich überhaupt kei-nen\" "Hat gar kein Wert\" (bestimmt: ) "Ne\ (schüttelt den Kopf)" "Also für dich wär's genauso auch, sag ich mal wenn du jetzt in Cinderella das anguckst . dann siehste dat is für jeden,

für jedes Dreieck ist das im Thaleskreis so-" (bestimmt: ) "Ja\" (beide nicken)" "Und dann ist das für dich bewiesen\" "Also ja, im Prinzip ist das für mich der Satz\ Der Satz gilt damit für mich\ wenn ich sehe es gilt (zeichnet in der Luft einen Halbkreis) wenn ich sehe es gilt für alle- Dann äh wäre ich prinzipiell schon mal zufrieden\ (lächelt leicht)"

Jetzt sind wir auf einmal nicht mehr so zu-frieden. Offenbar hat A einen recht logisti-schen Beweis-Begriff: es muss eine Dedukti-on erfolgen. Aber nicht die gelungene Deduk-tion überzeugt ihn von der Gültigkeit eines Satzes, sondern wenn er sieht, dass dieser für alle Konstellationen gilt (er nennt dies eingangs "Allgemeinsatz"). Vielleicht zieht er das formale Deduzieren nur formell in Be-tracht, weil er gelernt hat, dass man dies "in der Mathematik so macht", und der Intervie-wer ihn durch sein Nachfragen noch einmal darauf gestoßen hat. Ich möchte ihm gerne unterstellen, dass ihm unterschwellig nicht ganz wohl ist; denn er schwächt seine apo-diktische Aussage ab durch Zusätze wie "im Prinzip (ist das für mich der Satz)" und "wäre ich prinzipiell" — "schon mal" — "zufrieden". Sozusagen: "Ich könnte im Geometrie-Trei-ben fortschreiten und dabei gegebenenfalls den Thales-Satz als wahren Satz benutzen, aber eigentlich weiß ich, dass ich noch etwas daran tun müsste". (Allerdings passt diese Abschwächung auch zu der Interpretation des formalen Deduzierens quasi als formelle Beschwichtigung im Zuge der Nachfrage des Interviewers.) — Ein wenig würde ich A auch einen leicht widerspenstigen Geist gegen-über der autoritär gesehenen Mathematik zu-trauen. Dahinter stecken möglicherweise ge-wisse Schul-Erfahrungen, wo vielleicht von den S&S der Zwang zu unmotivierten und unverstandenen Beweisen als negative Dis-ziplinierungs-Maßnahme empfunden wurde. Die Mathematik-Didaktik ist da eigentlich ein Stück weiter als die verbreitete Schul-Praxis und sieht die Rolle des Beweisens, wie ge-sagt, im Herstellen von Zusammenhängen und deren Plausibel-Machen (durchaus auch in einer positiven Gedanken-Disziplinierung). Der Beweis soll also in erster Linie klären, warum ein Satz gilt und bestenfalls in zweiter Linie, dass er gilt. Gerade in der Geometrie besteht nämlich bei den meisten Sätzen gar kein Anlass, an ihrer Gültigkeit zu zweifeln, weil sie offensichtlich zutreffen, im Schulbuch stehen und schon die Lehrperson von ihnen überzeugt ist.

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Peter Bender

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Dass der Thales-Satz gilt, steht wohl außer Zweifel, wenn man die Situation mit DGS er-kundet hat. Trotz seiner Einfachheit lässt sich auch bei seinem Beweis die Funktion des Herstellens von Zusammenhängen überzeu-gend illustrieren: Der Schlüssel ist die Wan-derung des Scheitels C auf dem Halbkreis. Vom Mittelpunkt M der Seite AB aus ha-ben "alle" Punkte C denselben Abstand, nämlich den Radius, und damit auch densel-ben Abstand wie die beiden Ecken A und B . Es liegen also immer zwei gleichschenkli-ge Dreiecke AMC und BMC vor. Im gleich-schenkligen Dreieck sind bekanntlich die bei-den Basiswinkel gleichgroß, und die insge-samt vier Basiswinkel der beiden gleich-schenkligen (kleinen) Dreiecke ergeben zu-sammen gerade die Winkel des (großen) Dreiecks ABC. Die eine Hälfte von dessen Winkelmaß-Summe 180° befindet sich in A und B , und die andere Hälfte, also 90° , in C . Dass C auf dem Kreis um den Mittelpunkt der Seite AB liegt, ist wesentlich, weil so die Gleichschenkligkeit der beiden Dreiecke ge-währleistet ist. Würde C nach außen oder innen abwandern, würde der Beweis nicht mehr funktionieren, der Winkel in C würde kleiner oder größer als 90° (Hinweis: Um-fangswinkel-Satz). Das ist bei der DGS fast immer so: Für eine Beweis-Führung muss man die Bewegung meistens doch anhalten und am festen Bild argumentieren. Für die Kognition ist dies deswegen angebracht, weil man sich auf die Zusammenhänge am fixierten Bild viel bes-ser konzentrieren kann als am bewegten (vgl. Lewalter 1997). — Wo liegt dann noch der Vorteil einer DGS? — Da kann man eben Auffälligkeiten wahrnehmen, die man im Standbild eventuell gar nicht sieht. Es ist ein wesentliches Problem von DGS, dass sie im Prinzip alle möglichen Fälle und dadurch scheinbar den allgemeinen Satz zeigt, gerade im Kontrast zum Einzelbild. Aber die Bewegungen und Verformungen haben fast nie beweisende Funktion, son-dern (Bender 1989):

(i) Sie vertiefen den Glauben an den Beweis, indem sie ihn plausibler erscheinen las-sen.

(ii) Sie unterstützen die Einsicht in die Allge-meingültigkeit, indem sie viele Fälle, zu-mal Sonder-Fälle, und Übergänge dazwi-schen zeigen.

(iii) Sie erzeugen Vermutungen, Beweis-Ideen usw., indem sie Veränderungen und Invarianten zeigen.

(iv) Sie visualisieren den Ablauf eines Bewei-ses und strukturieren ihn.

(v) Sie stehen für Handlungen und machen die geometrischen Operationen dadurch durchsichtiger.

(vi) Sie fördern funktionales Denken (d.h. oft daran zu denken: was passiert mit der ei-nen Größe, wenn ich eine andere verän-dere? Beim Thalessatz-Beweis z.B.: was passiert mit den beiden Basis-Winkeln an C und mit ihrer Summe, wenn ich C lau-fen lasse?).

(vii) Nur manchmal liefern sie den Beweis selbst (z.B. mit Stetigkeits-Argumenten).

Besonders in meinem zweiten Durchgang im WS 03/04 habe ich vor allem das funktionale Denken und ein angemessenes Beweis-Ver-ständnis zu fördern versucht. — Natürlich tun das alle Geometrie-Lehrenden; aber ich habe eben den Akzent darauf gelegt, viele Aktivitä-ten speziell darauf ausgerichtet, und immer wieder explizit darauf hingewiesen bzw. im Gespräch mit den Studierenden erarbeitet, welche Funktion im Zuge eines Beweises nun ein bestimmtes zu beobachtendes Phä-nomen hat und welche nicht. In diesem Kontext folgende Episode: Bei der Frage nach der Veränderung seines Bildes von Geometrie hat S, ebenfalls ein guter Student,

"... diesen einen Beweis, Beweis vom Satz des Pythagoras zum Beispiel im Kopf ... "Also für mich war das . Besondere oder das Einleuchtende, dass halt . ähm wenn man jetzt ähm meinetwegen an dem obe-ren Punkt, an dem Schnittpunkt der Ka-theten, wenn man jetzt da dran zieht/ dass halt . auf der einen Seite das eine Kathetenquadrat kleiner wird/ je nach dem, und das andere Kathetenquadrat größer\, je nach dem, in welche Richtung man geht\ .. und an irgendeinem Punkt/ wenn halt dieser . bestimmte Punkt, an dem man zieht, jetzt auf der Hypotenuse liegt, ähm . ist halt . ja, ist das Quadrat über der Hypotenuse genauso groß wie

Abb. 2: Beweis-Figur für den Thales-Halbkreis

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Dynamische-Geometrie-Software in der Erstsemester-Vorlesung

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das Quadrat über den . ähm Katheten, wobei das eine Kathetenquadrat ja dann Null ist . oder sein sollte\ Und dass man halt das Verhältnis auch sieht, wie sich das eine Quadrat gegen-über dem anderen verändert\"

Bei der Interpretation wurde S hier aufgrund seiner Rede von dem "Einleuchtenden" un-terstellt, dass er meint, dieses Ziehen liefere einen Beweis. In der Tat leistet dies das Zie-hen mitnichten: Zwar ist tatsächlich in der Randlage, wo die Rechte-Winkel-Ecke auf eine der beiden anderen Dreiecks-Ecken ge-zogen ist, das eine Katheten-Quadrat auf ei-nen Punkt zusammengezogen und das an-dere ist kongruent zum Hypotenusen-Qua-drat (Abb. 3a), d.h. die Pythagoras-Gleichung gilt hier. Dass diese Gleichung beim Ziehen der Rechte-Winkel-Ecke über den Thales-Halbkreis aber erhalten bleibt (Abb. 3b), ist weder visuell direkt sichtbar, noch logisch auf der Hand liegend, und erst dann wieder klar, wenn man an der anderen Dreiecks-Ecke angelangt ist. Aber zwischendurch könnte die Kathetenquadratinhalts-Summe kleiner und dann wieder größer oder größer und dann wieder kleiner werden oder nach einer sons-tigen Gesetzmäßigkeit schwanken. In der Tat ist das so, wenn man sich auf einem anderen Weg von der einen bis zur anderen Ecke be-wegt, z.B. in der Nähe der Hypotenuse, wo zwischendurch die beiden Katheten-Quadra-te zusammen nur etwa halb so groß wie das Hypotenusen-Quadrat sind (Abb. 3c). Ich hatte nach einem gültigen Beweis des Pythagoras-Satzes diese Bewegung vorge-führt, um ihn für alle Fälle (bei fester Hypote-nuse) zu visualisieren und so die Aussage des Satzes, nicht aber seinen Beweis, der Kognition zugänglich zu machen, und dabei

— wohl nicht ganz korrekt — von Plausibel-Machen gesprochen. Anders als meine Mit-I&I unterstelle ich S dieses Verständnis und den Gebrauch des Worts "das Einleuchten-de" in dem Sinn, wie ich das Wort "Plausibili-tät" gemeint habe.

4 Zum Einfluss der Lehrperson

Die Episode mit S ist ein treffendes Beispiel für meine schon lange gehegte Überzeu-gung, dass das Interpretieren allein von sol-chen Episoden eigentlich ungenügend ist, wenn man nicht viel über die Vor-Erfahrun-gen der Beteiligten weiß. Bei Alltags-Situatio-nen sind hierbei die Probleme vielleicht ge-ringer, weil man da von einem weitgehend geteilten Verständnis der Bedeutungen von Wörtern, Wendungen usw. ausgehen kann. Aber wenn es um elaborierte Begriffe geht, bei denen man unterstellen muss, dass sie anlässlich gezielter Unterweisungen gebildet wurden (ob im Sinne der Lehrenden oder nicht), dürfte es nicht reichen, sich auf die je-weilige Episode zu beschränken. Allerdings gibt es auch im Mathematik-Unter-richt deutschland-, ja welt-weit, Standard-Si-tuationen, -Wörter, -Wendungen, -Verständ-nisse usw., wie nicht nur erfahrene L&L, Di-daktikerinnen & Didaktiker, sondern auch ak-tuelle und ehemalige S&S wissen. Hier über anekdotisches Wissen hinauszukommen, war Ziel der Adaption der interpretativen Inte-raktions-Analyse durch Bauersfeld und seine Schüler (s. Voigt 1984) für die deutschspra-chige Mathematik-Didaktik. Mit diesem For-schungs-Ansatz wurden durchaus Erfolge erzielt, aber die (vielleicht zunächst einmal

3a 3b 3c Abb. 3: Visualisierung der Pythagoras-Eigenschaft durch Bewegung der Rechte-Winkel-Ecke C auf dem Thales-Halb-kreis über A und B (diese Abbildung lag beim Interview nicht vor)

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Peter Bender

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wissenschafts-politisch nötige und praktisch unvermeidliche, zugleich aber doch reduktio-nistische) Ausblendung der Einflüsse von Lehrperson, Struktur des Inhalts und langfris-tigen Wirkungen musste bzw. muss über-wunden werden (z.B. Maier, 1995, mit der Akzentuierung des Verstehens-Begriffs und der Rolle der Sprache, sowie Bender, 1991 und 1996, und vom Hofe, 1992, mit dem GVV-Konstrukt). Das von vielen Angehörigen des Bildungs-Systems vertretene zentrale Paradigma der modernen Pädagogik, dass (etwas überspitzt ausgedrückt) das Mitteilen von Sachverhal-ten durch die Lehrperson nichts nützt, son-dern die Lernenden sich diese, möglichst kol-laborativ, kollektiv, kooperativ, kommunikativ und konstruktiv, und zwar i.W. bis aus-schließlich mit ihresgleichen, nur selbst erar-beiten können, zumal wenn sie Computer zur Verfügung haben; — dieses Paradigma halte ich für ein gewaltiges naives, oft ideologisch motiviertes Missverständnis. Der erkenntnis-theoretische Konstruktivismus (dem ich übri-gens selbst anhänge) gibt es jedenfalls nicht her. Natürlich habe auch ich immer wieder einmal ausgelotet, wie weit man die Gestaltung der Lern-Prozesse den Lernenden selbst über-lassen kann. Nachdem da aber der Erfolg zu wünschen übrig ließ, habe ich im zweiten Durchgang mehr "belehrt", und ich meine, dass dadurch das Niveau stieg, und zwar keineswegs nur in Sachen "Wissen und Fer-tigkeiten" (die für mich eh nicht wichtig sind und die kaum abgefragt werden). Allerdings wurden in diesem Durchgang keine auswert-baren Interviews mehr geführt, sondern ich stütze meine Überzeugung auf die Mitarbeit in der Übungs-Gruppe (mit 30 Leuten), in der Vorlesung (mit 120 Leuten), auf die Lösun-gen der Haus-Aufgaben und nicht zuletzt auf die Klausur. — Ich erinnere daran, dass die Studierenden in Haus-Aufgaben und Übungs-Gruppen beliebig viele Gelegenhei-ten zu eigenen Aktivitäten haben. Aber nicht nur diese, sondern auch gezielte Unterwei-sungen durch die Lehrenden sind für jegli-chen Lern-Erfolg unverzichtbar (s. z.B. Wei-nert 1996). Nun will ich, jedenfalls im Prinzip, die Mög-lichkeit einräumen, dass mir vielleicht meine subjektive Sicht einen Streich spielt oder dass es stark von der Persönlichkeit der Leh-renden abhängt, mit welcher Methode sie er-folgreich sind, insbesondere dass man an den pädagogischen Konstruktivismus glau-ben muss, um damit Erfolg zu haben. Aller-dings habe ich in begriffs-intensiven Fächern

wie Mathematik noch keine wirklich erfolgrei-chen Lern-Prozesse erlebt oder überzeugen-de Berichte darüber zur Kenntnis erhalten, die ohne erhebliche Lehrenden-Intervention in Gang gekommen und aufrecht erhalten geblieben wären. Jedenfalls habe ich aus diesen und weiteren Interview-Episoden die Konsequenz gezo-gen, viel mehr der möglichen kognitiven Pro-bleme, die bei diesem Geometrie-Lehrgang auftreten können, quasi prophylaktisch expli-zit anzusprechen. Das reicht natürlich nicht, sondern muss immer auch durch studenti-sche Eigen-Aktivitäten flankiert bzw. vertieft werden. In der von S aufgeworfenen Situa-tion z.B. müssen den Studierenden andere Wege als nur ein Thales-Halbkreis von der einen zur anderen Ecke vorgegeben werden und ein explizites Diskutieren der Flächenin-haltsummen-Konstanz abverlangt werden.

5 Abschließende Bemerkungen

Solche kognitiven Probleme haben sich der Geometrie-Didaktik eigentlich schon immer gestellt, und man kann fragen, was sie mit Neuen Medien zu tun haben. — Die Antwort lautet: Aufgrund deren Einbezug in den Ma-thematik-Unterricht stellen sich diese Prob-leme in erheblich verschärfter Form und z.T. auch in einer neuen Qualität (stellvertretend für viele andere möchte ich auf die Arbeiten von Hölzl, z.B. 2000, verweisen). Das hohe Veranschaulichungs- und Plausibilisierungs-Potenzial einer DGS kann sich, zumal auf das zentrale Paradigma des Beweisens, durchaus auch nachteilig auswirken und er-zwingt besondere Sorgfalt bei der Unter-richts-Vorbereitung und -Durchführung durch die Lehrperson. Wir haben durch die Interviews viele weitere interessante Erkenntnisse gewonnen. Eine möchte ich noch erwähnen: Im ersten Durch-gang haben wir uns noch viel intensiver ex-plizit mit den Eigenarten der Software be-schäftigt, obwohl es uns ja eigentlich auf die Geometrie und nicht auf das Computer-Pro-gramm ankam, und dabei so manches Mal den Tausendfüßler-Effekt erzeugt. Beim zweiten Durchgang haben wir die Software weniger explizit zum Gegenstand des Ler-nens gemacht, sondern sie einfach mit mehr Selbstverständlichkeit verwendet, und die Studierenden habe die Handhabung dabei gelernt. Dieses Vorgehen hat gut funktioniert und kann nach meiner Einschätzung ohne

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Dynamische-Geometrie-Software in der Erstsemester-Vorlesung

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Weiteres auf Vierzehnjährige übertragen werden. Allerdings liegt das an der Einfach-heit einer DGS wie Cinderella und kann nicht auf beliebige Software-Typen verallgemeinert werden.

Literatur Bender, Peter (1989): Anschauliches Beweisen im

Geometrieunterricht — unter besonderer Be-rücksichtigung von (stetigen) Bewegungen und Verformungen. Hauptvortrag auf dem 7. Visua-lisierungs-Workshop in Klagenfurt 1987. In: Hermann Kautschitsch & Wolfgang Metzler (Hrsg.) (1989): Anschauliches Beweisen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky & Stuttgart: Teubner, 95–145

Bender, Peter (1991): Ausbildung von Grundvor-stellungen und Grundverständnissen — ein tragendes didaktisches Konzept für den Ma-thematikunterricht — erläutert an Beispielen aus den Sekundarstufen. In: Helmut Postel, Arnold Kirsch & Werner Blum (Hrsg.) (1991): Mathematik lehren und lernen. Festschrift für Heinz Griesel. Hannover: Schroedel, 48–60

Bender, Peter (1996): Basic Imagery and Under-standings for Mathematical Concepts. — In: Claudi Alsina u.a. (Hrsg.) (1996): 8th Interna-tional Congress on Mathematics Education. Selected Lectures. Sevilla: S.A.E.M. "Thales", 57–74

Bender, Peter & Dorothee Maczey (2004): Wir-kung einer multimedialen Lernumgebung auf das Mathematiklernen. Unveröffentlichter Pro-jekt-Bericht. Paderborn: Universität

Hölzl, Reinhard (2000): Dynamische Geometrie-Software als integraler Bestandteil des Lern-

und Lehr-Arrangements. In: Journal für Mathe-matik-Didaktik 21, 79–100

Hofe, Rudolf vom (1992): Grundvorstellungen ma-thematischer Inhalte als didaktisches Modell. In: Journal für Mathematik-Didaktik 13, 345–364

Lewalter, Doris (1997): Kognitive Informationsver-arbeitung beim Lernen mit computerpräsen-tierten statischen und dynamischen Illustratio-nen. In: Unterrichtswissenschaft 25, 207–222

Maczey, Dorothee (2002): Ein Projekt zum Einsatz Dynamischer Geometriesoftware in der Lehr-amts-Ausbildung. In: Beiträge zum Mathema-tikunterricht 2002. Hildesheim: Franzbecker, 327–330

Maier, Hermann (1995): Verstehen von Lehrer-instruktionen und -erklärungen durch Schüler im Mathematikunterricht. Unveröffentlichter Projekt-Bericht. Regensburg: Universität

Oevermann, Ulrich (1986): Kontroversen über sinnverstehende Soziologie. Einige wiederkeh-rende Probleme und Mißverständnisse in der Rezeption der "objektiven Hermeneutik". — In: Stefan Aufenanger & Margrit Lenssen (Hrsg.) (1986): Handlung und Sinnstruktur. Bedeutung und Anwendung der objektiven Hermeneutik. München: Kindt, 19–83

Schumann, Heinz (2004): Dynamische Raumge-ometrie I. In: Beiträge zum Computereinsatz in der Schule 18, Heft 2. ISSN 0932-2736

Strauss, Anselm & Juliet Corbin (1996): Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialfor-schung. Weinheim: Psychologie Verlags Union

Voigt, Jörg (1984): Interaktionsmuster und Routi-nen im Mathematikunterricht — Theoretische Grundlagen und mikroethnographische Fallun-tersuchungen. Weinheim: Beltz

Weinert, Franz Emanuel (1996): Thesenpapier zum Vortrag "Ansprüche an das Lernen in heutiger Zeit". München: Manuskript

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1 Die Lage nach den Studien

Die TIMS- und PISA-Studien ermöglichen ei-ne globale Einschätzung und lassen gewisse — nicht alle — Gründe für das schlechte Ab-schneiden des deutschen Mathematikunter-richts erkennen. Es nützt nichts, am Design und an Einzelheiten der Studien herumzu-problematisieren. Schließlich stimmen diese Ergebnisse — die Schüler weisen v.a. Fer-tigkeiten im mechanischen Abarbeiten von Rezepten auf — durchaus mit eigenen Erfah-rungen und Einschätzungen bei innovativen Unterrichtsversuchen überein. Auch Unter-suchungen zur Selbsteinschätzung der Stu-dierfähigkeit von Studienanfängern bestäti-gen diese Ergebnisse für die gymnasiale Oberstufe. So erwarten ca. ein Drittel aller Studienanfänger Probleme im Fach Mathe-matik (vgl. Bescherer 2003, Lewin u.a. 2001, etc.) in ihrem Studium. Entsprechend schät-zen Hochschullehrende, dass ein Drittel der Studierenden nicht studierfähig sind (vgl. Ko-negen-Grenier 2002). Die Sicht vieler Mathematikdidaktiker wie z.B. von Bender (2004) mit einer Problemati-sierung der Studien ist daher wenig hilfreich. Er ermöglicht Mathematikdidaktikern ledig-lich, sich aus der Verantwortung für zukünfti-ge Aufgaben heraus zu stehlen. Die Ergeb-nisse der Studien haben ihre Wirkung auf die Bildungspolitik gehabt, und sie sind im Kern auch richtig. Wie auch Bender findet: "Für jemanden mit Einblick in die Schulrealität wa-ren sie keine Überraschung" (ebd., 101). Mit Blick auf die Zukunft lohnt es sich nicht mehr, sich durch Diskussionen über die bisherigen

Studien oder auch die IGLU-Studie aufzuhal-ten.

2 Diskussion der mathema-tischen Bildung

Die Studien brachten das Konzept der "ma-thematical literacy" in die Diskussion, das erst noch auf deutsch verbal und inhaltlich zu fassen ist und auch noch seine Testfähigkeit nachweisen muss. Es wird derzeit ein Riesenaufwand getrieben, hier mit deutscher Gründlichkeit Bildungs-standards für bestimmte Abschlüsse und Stufen zu definieren und damit den Rahmen einer curricularen Basis zu schaffen, die von den Schulen gefüllt werden soll. Und dies Ganze soll flächendeckend in den meisten Bundesländern schnellstmöglich eingeführt werden, nur bedingt koordiniert durch die Kultusministerkonferenz (KMK). Das Ganze wird dann per nicht immer ganz treffender Terminologie als "Kerncurricula", "Leitideen" etc. kommuniziert (etwa Reiss 2004, 68ff). Dabei führt der Begriff "Bildungsstandards" grundsätzlich in die Irre, da unter Standardi-sierung normalerweise die Anpassung von unterschiedlich ausgeprägten Zuständen an eine Norm oder einen Standard verstanden wird. Zumindest in Baden-Württemberg soll aber mit den Bildungsstandards genau das Gegenteil einer Standardisierung erreicht werden, nämlich mehr Freiheiten für die Schulen bzw. die Lehrenden, was im Ver-gleich zum jetzigen sehr homogenen Curricu-

Wie hat sich die Mathematikdidaktik unter dem Einfluss von Bildungsstandards und von neuen Medien zu wandeln?

Christine Bescherer & Herbert Löthe, Ludwigsburg

Ziel dieses Papiers ist eine Standortbestimmung für die Arbeit in der Mathematikdidaktik der nächsten Jahre. Die Autoren fühlen sich dazu durchaus in der Lage, da sie sich in den letzten fünf Jahren neben dem "Tagesgeschäft" der Lehramtsausbildung — unter Einbeziehung von Computernutzung und der Arbeit an den Standards der NCTM (Prin-ciples and Standards for School Mathematics, NCTM 2000) — in dem inhaltlich sehr of-fenen und fächerübergreifenden Projekt Virtualisierung im Bildungsbereich (VIB) auch mit der Problematik der Einbeziehung IKT, neuer Medien und E-Learning befassen konnten. Tenor des Folgenden wird sein, dass sich die mathematikdidaktische Entwicklung und Forschung auf die anstehenden Aufgaben konzentriert und vor allem (zukünftigen) Leh-rern Hilfestellung für die Arbeit der nächsten Jahre gibt.

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Wie hat sich die Mathematikdidaktik zu wandeln?

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lum zu einer Diversifizierung führen wird. Die deutsche Richtung wäre etwa mit einem Beg-riff wie "Rahmencurriculum" — und dem da-mit einhergehenden Verständnis — wesent-lich klarer beschrieben. Die Autoren halten jedoch eine Entwicklung von Bildungsstandards, die die Aktivitäten in den Bundesländern vereinheitlicht, durchaus für sinnvoll und wichtig, möchten aber nicht, dass die Mathematikdidaktik dies, oder gar die Erstellung reiner Aufgabensammlungen, als derzeit wichtigste Aufgabe ansieht. Die "Principles and Standards of School Mathe-matics" des NCTM (NCTM 2000) stellen bei allen Vorbehalten den internationalen "main stream" dar und werden auch von Frau Reiss zutreffend so charakterisiert (vgl. ebd., 69). Der zweitgenannte Autor hat seit etwa 15 Jahren diese Standards als Basis für eine fortgeschrittene mathematikdidaktische Aus-bildung im Lehramtsstudium genutzt. Sowohl von den mathematischen Inhalten, wie auch den geforderten mathematischen Prozessfä-higkeiten können die meisten Mathematikdi-daktiker ihre Vorstellungen in den NCTM-Standards wiederfinden. Die Lehramtsstudierenden, die durch ihre ei-genen Lernerlebnisse am Gymnasium weit-gehend "fragend-entwicklend" sozialisiert und nicht leicht für ein Umdenken gewinnen zu sind, lassen vermuten, dass die Etablie-rung neuer Bildungsstandards in der Schule als äußerst komplexes und aufwändiges Un-terfangen zu sehen ist, das gegen die Lehr- und Lerngewohnheiten der Lehrer geht. Es bedarf also großer und langfristiger Anstren-gungen, um diesen Umdenkprozess bei den Lehrenden, den Schülern und — keinesfalls zu vergessen — den Eltern bzw. der Öffent-lichkeit zu etablieren. Für die Mathematikdidaktik genügt es also auf keinen Fall, die Zukunft einfach passiv zu beobachten, so wie es die Vorsitzende der GDM formuliert: "Spannend wird es, den Prozess der Umsetzung [der Bildungsstan-dards] zu verfolgen. Wie werden Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Schüler mit den Stan-dards umgehen? Werden diese Bildungs-standards der Intention gerecht, weniger vor-zuschreiben und mehr Entscheidungen über die Inhalte in den Hände der Schule und des Lehrers zu belassen? Werden die Bildungs-standards zu besseren Leistungen bei den Schülerinnen und Schülern führen?" (Reiss 2004, 71). Die Mathematikdidaktik muss diesen Prozess der Umsetzung intensiv entwickelnd und for-schend begleiten. Es darf keine Ausrede sein, dass ja die curricularen Grundlagen bei

uns noch nicht ausdiskutiert oder gar von den Kultusministerien noch nicht akkreditiert seien. Die Autoren sind der Meinung, dass für die anstehende Arbeit die NCTM-Standards bei allen Änderungen und Ver-besserungen, die man im Detail anbringen könnte oder möchte, eine tragfähige Grund-lage zum didaktischen und methodischen Entwickeln von Schulunterricht darstellen. Jede weitere Diskussion darüber ist derzeit nicht hilfreich, wenn man wirklich den Schu-len und Lehrern bei den anstehenden Inno-vationen im Unterricht zu helfen will. Sie kann in einigen Jahren wieder aufgegriffen werden, wenn flächendeckende Erfahrungen vorliegen und diese als Diskussionsgrundla-ge dienen können.

3 Aufgaben für die Didaktik der Mathematik beim der-zeitigen Entwicklungsstand von Schulmathematik

Die Schulmathematik aller Schultypen ist in einem äußerst verkrusteten, unbeweglichen Zustand. Das Gros der Lehrenden ist gene-rell Innovationen gegenüber wenig aufge-schlossen. Impulse dazu werden oft "ausge-sessen" oder nur formal erfüllt. Es ist nicht nur das hohe Durchschnittsalter in der Leh-rerschaft, sondern vor allem ihre Unangreif-barkeit durch den Beamtenstatus und durch mächtige Interessenvertretungen, die die In-novationsbereitschaft hindern (vgl. den Bei-trag "Neue OECD-Studie —Schlechte Noten für deutsche Lehrer" in der FAZ vom 16.07. 2004) Der wichtigste Grund ist jedoch die Unsicherheit, was zu tun ist oder wäre. Hier fehlt es vor allem an überzeugenden Vorar-beiten einer Entwicklungsforschung zum Ma-thematikunterricht. Zwar meinen auch die PISA-Autoren: "Insbesondere muss der Ma-thematikunterricht als wesentlicher Einfluss-faktor für die mathematische Leistung nach-haltig verbessert werden." (Blum u.a. 2004, 90) Aber auch sie fordern die Fachdidaktik auf, durch entsprechende Forschung "konsti-tutive Prinzipien qualitätsvollen fachlichen Lehrens und Lernens" (ebd., 90) zu entwi-ckeln. Im Folgenden werden einige aus unserer Sicht notwendige Aufgaben für eine auf die Schule ausgerichtete Mathematikdidaktik thesenartig aufgeführt. Dabei werden sowohl die durch den Innovationsverzug (vor allem durch die Computerpräsenz) noch immer ausstehenden, als auch die neu hinzutreten-

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Christine Bescherer & Herbert Löthe

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den Aufgaben durch die Bildungsstandards berücksichtigt: • Output-Orientierung von Unterricht • Unterstützung von Lernenden bei der

Kompetenzgewinnung • Orientierung an der konstruktivistischen

Lerntheorie • Prozess-Orientierung mathematischen Ar-

beitens und Lernens • Entwicklung diverser Unterrichtsformen

und Formen des Lernens • Entwicklung neuer, den Unterrichtsformen

angemessenen Beurteilungsformen • Rolle von Lernmaterialien in verschiede-

ner medialer Form • Begriffliche Integration des Computers in

die Mathematik • Integration einer informatischen Grundbil-

dung • Nutzung von IT-Techniken für Lehren und

Lernen Wir gliedern diese Aufgaben in vier "Kultu-ren", die aus alten Formen neu entwickelt, gestaltet und eingeführt werden können (Aus Platzgründen werden nur einige erste Ideen dargestellt): • Kultur des Schulfachs Mathematik: Darun-

ter verstehen wir die — unabhängig von der Fachdisziplin "Mathematik" zu den-kende Sicht auf die Mathematik als Schul-fach. Inhaltlich fasst Schulmathematik Ak-tivitäten zusammen, die abgesicherte, formale Methoden erfordern. Damit muss sie auch große Teile eines informatischen Grundwissens enthalten; denn der Ge-brauch von Mathematik in der Realität ist heute ohne Computer nicht mehr denk-bar.

• Unterrichtskultur: Wesentlich für guten Unterricht wird in der Zukunft sein, dass ein geeigneter Methoden-Mix geplant und durchgeführt wird. Das sollte von vorle-sungsartigen Veranstaltungen, über fra-gend-entwickelnde Stunden, kleinschritti-gen Übungs- und Gruppenarbeitsbetrieb bis hin zu projektartigen Epochen gehen. Vor allem sollte auch viel Individualarbeit zu Hause und in der Schule vorgesehen werden. Die Auswahl der Unterrichtsfor-men und ihr Mix hängen naturgemäß je-weils vom Unterrichtsstoff, den zu erwer-benden Kompetenzen und den unterricht-lichen Gegebenheiten ab.

• Medienkultur: Der Umgang mit Medien — besonders mit computergestützten Me-

dien — orientiert sich nicht nur im Mathe-matikunterricht meist weniger an didakti-schen Überlegungen, sondern eher am technisch machbaren bzw. persönlichen Vorlieben oder Abneigungen von Lehrern. Dabei erfordert gerade z.B. der Einsatz von internetbasierten Lehr-Lern-Materiali-en besondere Methoden wie z.B. Web-Quests (vgl. Bescherer 2002).

• Lehrerbildungskultur: Die augenblickliche Lehrerbildung v.a. für das gymnasiale Lehramt geht immer noch von einer star-ken fachlichen Fokussierung aus. Dies hat zur Folge, dass viele jungen Lehrer ih-ren eigenen erlebten Mathematikunter-richt als Referenz für "guten Unterricht" heranziehen. Um ein Umdenken in fach-didaktische Neuerungen zu unterstützen, sind eigene Lernerlebnisse von zentraler Bedeutung (vgl. Gellert 1998, 178: "Aus Mangel an konkreten Vorstellungen, wie Mathematikunterricht spannend und kurz-weilig gestaltet werden könnte ...").

4 Querstandards zum Unterrichtsprozess

Wie lassen sich jetzt Standards in der Schule umsetzen? Die allgemeine Verunsicherung nach TIMSS und PISA führte zu einer gewis-sen Bewegung; die Bildungspolitik hat mit der Entwicklung von Bildungsstandards rea-giert und den Schulen die Aufgabe der Ände-rung der Lernkultur übertragen (z.B. in Pro-grammen wie dem BLK-Projekt SINUS). Es ist nun Aufgabe der wissenschaftlichen Ma-thematikdidaktik, solche Entwicklungen zu unterstützen und voranzutreiben. Zumindest in Baden-Württemberg ist geplant, dass die Entwicklung von Lehr-Lern-Plänen für das konkrete Unterrichtsvorhaben vor Ort durch Lehrerteams in der Schule erfolgen soll. Dabei soll unser Terminus "Lehr-Lern-Pläne" ausdrücken, dass die Lehrinhalte und die Lernprozesse gleichgewichtig von den Entwicklungsteams berücksichtigt werden. Da in der Lehrerschaft ein eher input-orientiertes Denken vorherrscht, kann es leicht zu einer Dominanz der Inhalte kom-men, und es besteht die Gefahr, dass die mathematischen Arbeits- und Lernweisen (im Sinne der Prozessstandards) zu wenig be-rücksichtigt werden. Es ist daher notwendig, dass die Mathematikdidaktik die Entwicklung der Lehr-Lern-Pläne intensiv unterstützt und steuert.

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Wie hat sich die Mathematikdidaktik zu wandeln?

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Die Inhaltsstandards werden neben der rei-nen Textform, die noch etlichen Interpretati-onsspielraum lässt, vor allem durch gute Bei-spiele "illustriert" und weiter konkretisiert. Die Prozessstandards zum mathematischen Ar-beiten der Schüler werden neben theoreti-schen Erörterungen durch beispielhafte Un-terrichtssituationen den Lehrenden nahe ge-bracht. Inhalte können nie ohne geeignete Prozesse gelernt werden, und mathemati-sches Prozesswissen kann nur an Hand thematisierter Inhalte erworben werden. Die-se Verzahnung ist zentraler Bestandteil der Unterrichtsplanung. Das Lehrerteam hat bei der Entwicklung von Lehr-Lern-Plänen folgende Entscheidungs-stufen zu durchlaufen: • Welche Inhalte werden wann gelehrt

(Stoffverteilung)? Dabei ist auf eine sach-gerechte Vollständigkeit entsprechend der Inhaltsstandards der Klassenstufengruppe zu achten.

• Welche Lern- und Arbeits-Prozesse sollen Schüler dabei durchlaufen? Es ist also auf eine Vollständigkeit entsprechend der Prozessstandards, angepasst an die Fä-higkeiten der Schülerinnen und Schüler zu achten. Es ist weitgehend so, dass man alle Prozesse mit allen Inhalten verbinden kann.

• Wie realisiert man dies im Rahmen des Unterrichtsprogramms? Dabei sollten sich Lehrer an so genannten "Querstandards” orientieren, die unten noch näher zu be-schreiben sind.

• Welche Unterrichts- und Beurteilungsfor-men sind angemessen und werden ein-gesetzt?

Dass gerade in Mathematik bei der Einbe-ziehung der Prozesse ein Umdenken weg von Tests und Klassenarbeiten hin zur freie-ren Beurteilung von Präsentationen, Grup-penarbeitsverhalten, Portfolios u.a. stattfin-den soll, muss sicher der Lehrerschaft — mit Nachdruck — nahe gebracht werden. Mathematisches Lernen und Arbeiten — wie es in den Prozessstandards dargestellt ist — erfordert die Ausbildung folgender Fähigkei-ten: • die Fähigkeit, gut zu strukturieren und or-

ganisieren, • das genaue und präzise Arbeiten, • das konsequente Einhalten von Regeln, • ein flexibles Denken und Darstellen abs-

trakter Sachverhalte.

Diese Fähigkeiten spielen selbstredend auch in anderen Fächern eine wichtige Rolle, im Mathematikunterricht sind sie jedoch gerade-zu konstituierend. Für den entsprechend durchzuführenden Un-terricht spielen noch weitere methodische Überlegungen eine Rolle. Die Beachtung der methodischen Freiheit der Lehrenden kann jedoch nicht bedeuten, dass man sie dabei sich selbst überlässt; auch Lehrergruppen sind nur dann erfolgreich, wenn sie mit ge-nügend zeitlichem und finanziellem Freiraum ausgestattet werden. Im Folgenden stellen wir dar, wie dieser me-thodische Prozess, also das "Wie" der Unter-richtsplanung und -durchführung durch "quer-liegende" Standards, so genannte "Quer-standards", gesteuert und unterstützt werden kann. Die einzelnen Querstandards — ausführlich dargestellt in Bescherer & Löthe (2005) — beschreiben die Überlegungen, die Lehrende zum Unterrichtsprozess anstellen sollten: Wie kann Unterricht bei vorgegebenen Inhal-ten und angezielten (mathematischen) Pro-zessen ablaufen, gefördert und unterstützt werden? • Entwicklung mathematischer Produkte:

Mathematische Inhalte und mathemati-sches Arbeiten sollen vor allem durch die Anwendbarkeit und nicht primär als l’art pour l’art motiviert werden. Die Lehrenden konzipieren und motivieren die Entwick-lung mathematischer Produkte wie z.B. "Spickzettel zu einem bestimmten The-ma", einen "persönlichen Schülerduden" zur Gewinnung des Überblicks, begriffli-che Mindmaps zur Fachsystematik, …

• Erwerb und ständige Anwendung von Vorstellungen und mentalen Modellen: Mathematik und Mathematisieren findet im Kopf statt, d.h. in Vorstellungen (men-talen Modellen) und im geistigen Manipu-lieren damit. Die Lehrenden ermuntern und fördern kontinuierlich den Erwerb und die ständige Anwendung von Vorstellun-gen durch die Schüler wie z.B. quasigeo-metrische Darstellungen zur Zahlvorstel-lung, Funktionsmodelle zu Taschenrech-nern und Computersoftware, Denken in Tabellen: Aufbau eines Tabellensystems, …

• Raum zum selbstständigen Lernen: Ma-thematische Kompetenzen entstehen nur durch aktives selbstständiges Lernen. Die Lehrenden geben den Lernenden Raum zum selbstständigen Lernen, d.h. sie er-möglichen, regen an und unterstützen es

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Christine Bescherer & Herbert Löthe

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gezielt. Dazu gehören das Entdecken durch Exploration in einer mathematikhal-tigen Umgebung mit Hilfe geometrischer Modelle, Taschenrechnern, Computeral-gebrasystemen (CAS), Tabellensyste-men, Dynamischer Geometrie Software (DGS), Spezialsoftware (etwa CAD), Logo oder das Sammeln und Verarbeiten von Informationen über Mathematik: Handbü-cher, Formelsammlungen, Lexika, Inter-net, Rekorde und Geschichte zu π.

• Begriffliche Nutzung mathematischer Werkzeuge: Die Nutzung mathematischer Werkzeuge ist integraler Bestandteil ma-thematischen Arbeitens. Die Lehrenden arbeiten die Schüler ein in eine begrifflich und nicht technisch orientierte Nutzung mathematischer Werkzeuge, beispielswei-se klassischer Zeichenwerkzeuge: Kon-struktionen mit Zirkel und Lineal, gute und saubere Zeichnungen als Produkt. Aber ebenso wird die Nutzung computerge-stützter Werkzeuge anhand informati-scher Begrifflichkeit erschlossen werden: Werkzeugabhängigkeit mathematischer Teilgebiete oder als Verständnis von und Sprachmittel zu Algorithmus und Prozes-sor ("Programm für Rechenknecht").

• Organisation des Lernens, organisationa-les Denken: Der Prozess des mathemati-schen Arbeitens, Lehrens und Lernens ist ohne gute (Selbst-) Organisation nicht denkbar. Unterricht muss das Organisie-ren explizit thematisieren. Die Lehrenden setzen die sinnvolle (Selbst-) Organisation des Schülerlernens durch und regen das Denken über organisatorische Aspekte an. Beispiele dafür sind triviale organisa-torische Dinge wie gespitzte Buntstifte, genug Platz zum Zeichnen im Heft oder die Aufstellung von Nachschlagewerken so, dass sie geordnet und greifbar sind. Die "innere" Organisation des Lernens basiert auf "organisationalem Denken" als Summe der Überlegungen und Maßnah-men die notwendig sind, um Aufgabenlö-sungen — alleine oder in Zusammenar-beit mit anderen — in einer effizienten, systematischen und koordinierten Weise zu erarbeiten.

Bei der Realisierung dieser Querstandards im Unterricht können und sollen in allen Fäl-len die Möglichkeiten von informations- und kommunikationstechnologischen Medien ge-nutzt werden. Wobei dies z.Z. eher einzelne isolierte Softwarepakete (von Standardsys-temen bis hin zu Mathlets und Lernprogram-men) sein werden. Ziel ist jedoch eine Integ-ration dieser Dienste auf einem persönlichen

Laptop, den der Schüler als ständig präsen-tes Arbeitsmittel versteht und entsprechend effizient nutzt. Nicht nur der Mathematikun-terricht ist so zu gestalten, dass Schüler fol-gendes Lern- und Arbeitsverhalten erwerben: • an präsentationsorientierten Veranstaltun-

gen so teilnehmen, dass Wissen aus In-formation konstruiert wird,

• an Gruppenarbeit so teilnehmen, dass al-le Beteiligten aktiv an Teilaufgaben tätig sind, ein Gesamtergebnis erarbeiten und dieses kritisch bewerten und präsentieren,

• individuelle Arbeit so ausführen, dass In-formationen aktiv, effektiv, effizient ge-sucht, gefunden sowie bewertet werden und daraus Wissen generiert und für sich selbst und andere repräsentiert wird.

Es ist eine Illusion, dass die augenblickliche Lehrergeneration aus dem Stand, "sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehend", die anstehenden Innovationen, wie sie oben umrissen wurden, sachgerecht umsetzen könnten. Die Unterstützung der Lehrerschaft und die gezielte Ausbildung von Lehrern in der 1. und 2. Phase muss als integraler Be-standteil des gesamten curricularen Prozes-ses entwickelt werden. Die wissenschaftliche Mathematikdidaktik muss in Zukunft dazu notwendige Entwick-lungsarbeit und Anwendungsforschung be-treiben sowie ganze Unterrichtsmodelle er-stellen. Es reicht nicht mehr, einzelne stoffdi-daktische Aspekte und didaktische Modelle herauszuarbeiten. Die Komplexität möglichen Unterrichts muss bei entwickelten Beispielen auch wirklich eingefangen werden. Dabei kann ja auf vielfältige internationale Erfah-rungen zurückgegriffen werden, die ja heute durch das Internet bis hin zu methodischen Einzelheiten leicht zugänglich sind. Man ist nicht mehr allein auf die in Zeitschriften "ver-öffentlichte" — und damit geschönte — Ma-thematikdidaktik angewiesen.

5 Danksagung

Die Arbeit an den Bildungsstandards wird im Ludwigsburger Team schon seit langem und in enger Zusammenarbeit durchgeführt. Ein-zelbeiträge sind nicht mehr genau zuorden-bar. Wir sind jedoch sehr dankbar für diese kollegiale Unterstützung. Schon die Standards der NCTM von 1989 mit ihrem reichhaltigen Begleitmaterial bilde-ten eine ideale Grundlage für zukunftsorien-tierte fachdidaktische Veranstaltungen. Ins-

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Wie hat sich die Mathematikdidaktik zu wandeln?

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besondere Frau Dr. Rose Vogel und Herr Prof. Dr. Joachim Engel haben sich hier schon früh in ihren Arbeitsgebieten enga-giert. Im Teilprojekt 2.1 des Projekt "Virtualisierung im Bildungsbereich" (www.vib-bw.de, auch über www.ph-bw.de), einem fächerübergrei-fenden Projekt im Rahmen der Virtuellen Hochschule Baden-Württemberg, das über 5 Jahre mit erheblichen Mitteln und unter recht offenen Zielsetzungen arbeiten durfte, wurde die Arbeit der NCTM an den Standards 2000 begleitet und in fachdidaktischen Seminaren ständig umgesetzt; Frau Dr. Christine Be-scherer und Herr Dieter Klaudt haben sich hier besonders engagiert und Prof. Herbert Löthe geholfen, trotz seines Projektleitungs-Amtes die Bodenhaftung zu behalten und immer auch in mathematikdidaktischen Bah-nen zu denken. Die neuesten Arbeiten im Arbeitsteam bezie-hen sich auf die Beobachtung des Innovati-onsprozesses an den Schulen und die Ent-wicklung der Querstandards. Außerdem wur-de der Prozess der Entwicklung und Formu-lierung von Bildungsstandards für Computer-nutzung in Angriff genommen und auch schon in einer Arbeitsgruppe der IFIP (www.ifip.or.at) vorgestellt und diskutiert. Besonders dankbar sind wir dem Gesamtkol-legium des Instituts für Mathematik und In-formatik der PH Ludwigsburg, das die Arbeit in jeder Hinsicht unterstützt und mitgetragen hat und vor allem im Forschungskolloquium erhebliche inhaltliche Beiträge geliefert hat.

6 Literatur Bender, Peter (2004): Die etwas andere Sicht auf

den mathematischen Teil der internationalen Vergleichsuntersuchungen PISA sowie TIMSS und IGLU. In: DMV-Mitteilungen 12-2/2004, 101–108

Bescherer, Christine (2001): WebQuests — eine Projektmethode auch für den Mathematikun-terricht. In: mathematica didactica 24, 71–81

Bescherer, Christine (2003): Selbsteinschätzung der mathematischen Studierfähigkeit von Stu-dienanfängerinnen und -anfängern. PH Lud-wigsburg: Dissertation, online veröffentlicht un-ter URN:nbn:de:bsz:93-opus-16269 bzw. URL: http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2004/ 1626/, Zugriffsdatum 12.09.2004

Bescherer, Christine & Herbert Löthe (2005): Ma-thematiklernen und Organisieren. Erscheint in: Peter Bender u.a. (Hrsg.) (2005): WWW und Mathematik — Lehren und Lernen im Internet. Bericht über die 21. Arbeitstagung des Ar-beitskreises "Mathematikunterricht und Infor-matik" vom 26. bis 28. September 2003 in Dil-lingen. Hildesheim, Franzbecker

Blum, Werner u.a. (2004): Mathematische Kompe-tenz. In: PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.) (2004): PISA 2003. Der Bildungsstand der Ju-gendlichen in Deutschland — Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs. Münster u.a.: Waxmann, 47–92

FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) (16.07. 2004): Neue OECD-Studie — Schlechte Noten für deutsche Lehrer http://www.faz.net/s/ Rub6BFE3B22C90E4788814454195D447645/Doc~EF4389237AADB4A64B72444C41DDE1E66~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Gellert, Uwe (1998): Von Lernerfahrungen zu Un-terrichtskonzeptionen — Eine soziokulturelle Analyse von Vorstellungen angehender Lehre-rinnen und Lehrer zu Mathematik und Mathe-matikunterricht. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Forschung

KMK (Ständige Konferenz der Kultusminister) (2003): Bildungsstandards im Fach Mathema-tik für den Mittleren Schulabschluss. Bonn, 04.12.2003

Konegen-Grenier,Christiane (2002): Studierfähig-keit und Hochschulzugang. Köln: Deutscher Instituts-Verlag

Lewin, Karl, Ulrich Heublein, Jochen Schreiber, Heike Spangenberg & Dieter Sommer (2001): Studienanfänger im Wintersemester 2000/ 2001: Trotz Anfangsschwierigkeiten optimis-tisch in die Zukunft. Hannover: HIS

NCTM (National Council of Teachers of Mathe-matics) (2000): Principles and Standards for School Mathematics. Reston, Va.: NCTM

Reiss, Kristina (2004): Bildungsstandards für den Mathematikunterricht. In DMV-Mitteilungen 12-2/2004, 68–71

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Verbreitung der Rechner an Schulen

Seit Anfang der 90er Jahre, also seit Anbe-ginn ihrer Verfügbarkeit, gibt es Graphik-rechner auch in Deutschland. Einige Lehre-rinnen und Lehrer haben frühzeitig das Po-tential, dass in diesen Werkzeugen steckt, erkannt und entsprechende Unterrichtspro-jekte und Schulversuche initiiert. Besonders hervorzuheben ist der mehrjährige Schulver-such in Sachsen-Anhalt, der durch entspre-chende Publikationen hinreichend dokumen-tiert ist. In der Nachfolge dieses Schulver-such hat das Bundesland Sachsen, als sich im Rahmen einer Lehrplanpräzisierung die Gelegenheit bot, den numerischen graphi-schen Taschenrechner ab Klasse 8 am Gymnasium verpflichtend einzuführen. In der Mehrzahl der übrigen Bundesländer hat man sich nicht mit Graphikrechnern, son-dern mit PC-gestützen Systemen wie dem Computer-Algebra-System Derive oder mit Dynamischer Geometrie Software wie Cabri Géomètre oder Geolog beschäftigt. Es ent-stand frühzeitig der Wunsch, derartige Sys-teme ständig zur Verfügung zu haben. Schließlich kam 1995 mit dem Modell TI-92 das erste entsprechende System auf den Markt. Kurz nach der Vorstellung des CAS-Taschencomputers TI-92 gab es bereits zahl-reiche Modellversuche zum unterrichtlichen Einsatz dieses Rechners. Am bekanntesten ist hierbei wohl das breit angelegte TI-92-Projekt aus Österreich.

Bei allen Beteiligten reift die Überzeugung, dass der Einsatz derartiger Taschencompu-ter so wertvoll und für den Unterricht so ge-winnbringend ist, dass deren Verwendung ein Muss für alle Lehrerinnen und Lehrer sein sollte. Es ist rasch klar, dass Strukturen ge-schaffen werden müssen, die eine flächen-deckende Verbreitung derartiger Systeme befördern. Zunächst entstanden lokal Ar-beitsgemeinschaften und Interessensgrup-pen, die ihre Erfahrungen unter einander austauschten. 1996 wurde das Projekt "Tea-chers Teaching with Technology – T³", orga-nisatorisch angebunden an die Universität Münster, in Kooperation mit Texas Instru-ments gegründet. T³ verband von Beginn an die interessierten Kolleginnen und Kollegen aller Länder Deutschlands. Das Drängen seitens der interessierten Leh-rer wurde von den Kultusbehörden zu dieser Zeit teilweise positiv aufgenommen und un-terstützt, teilweise ignoriert oder zumindest nicht unterbunden, teilweise aber auch ernsthaft behindert. Im Rahmen der durch das jeweilige Bundesland eingeräumten Möglichkeiten entwickelten sich starke Multi-plikatorennetzwerke, die sich intensiv um die weitere, systematische Erprobung der Sys-teme, der Lehrerfortbildung und der Entwick-lung von Unterrichtsmaterialien gekümmert haben. Hierbei mussten oft Kompromisse eingegangen werden, da sich manche Idee nicht wie ursprünglich geplant umsetzen ließ. Aktuell werden weitere Fortschritte teilweise durch die Diskussion bzgl. Zentralabitur und G8 in den Hintergrund gedrängt.

Verbreitung von Graphikrechnern und Computer-Algebra-Taschencomputern in Deutschland und Europa

Stephan Griebel, Freising

Graphikrechner und Computer-Algebra-fähige Taschencomputer prägen in zunehmen-den Maße den Mathematikunterricht in Deutschland. Diese Entwicklung begann bereits Anfang der 1990er Jahre mit verschiedenen Modellversuchen und ist bis heute nicht ab-geschlossen. Im Laufe der Jahre haben sich weitreichende Interessentennetzwerke ge-gründet, wobei besonders das Projekt "T3 – Teachers Teaching with Technology", ange-siedelt an der Universität Münster und unterstützt durch Texas Instruments, hervorzuhe-ben ist. Die Verwendung von graphikfähigen Taschenrechnern und CAS-Taschencompu-tern bedingt nachhaltig veränderte Lehrpläne, deren Umsetzung wiederum große An-strengungen im Lehrerfortbildung und Materialentwicklung verlangt. Damit besteht auch für die kommenden Jahre für alle Beteiligten die Aufgabe, die Integration dieser Techno-logien aktiv zu begleiten.

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Verbreitung von Graphikrechnern und Computer-Algebra-Taschencomputern

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Gegenwärtiger Stand in den einzelnen Bundesländern

• In Baden-Württemberg wurde von Vielen CAS befürwortet, nach dem Veto der Schulträger hat man sich letztlich auf den Graphikrechner verpflichtend ab Klasse 11 am Gymnasium geeinigt. Der Einsatz von CAS ist Versuchsschulen vorbehal-ten, wobei jedes Gymnasium auf Antrag beim Kultusministerium Versuchsschule werden kann. Zur Zeit arbeiten etwa 10% der Schulen in der Oberstufe systema-tisch mit CAS. Diese Schulen schreiben ein eigenes Zentralabitur.

• In Niedersachsen gab es für alle Mathe-matiklehrer verpflichtende Schulungen rund um den Einsatz eines Graphikrech-ners im Unterricht. Es wurde zudem eine Vielzahl von Unterrichtsmaterialien entwi-ckelt. Auch waren die Schulbuchverlage frühzeitig mit eingebunden, so dass ge-eignete Lehrwerke zeitgerecht entwickelt werden konnten. Heute ist ab Klasse 7 die Verwendung mindestens eines Graphik-rechners verbindlich, im Rahmen der Möglichkeiten der Schule wird CAS emp-fohlen. Zur Verstärkung dieser Entwick-lung beginnt 2005 ein auf 5 Jahre termi-niertes, breit angelegtes CAS Projekt.

• In Thüringen darf jedes Gymnasium, so-weit es die Finanzierung und Lehrerfort-bildung sichert, CAS ab Klasse 10 einset-zen. Rund 25% aller Gymnasien haben sich bislang für diesen freiwilligen Einstieg entschieden. Seitens des Kultusministeri-ums werden hierzu zwei verschiedene zentral gestellte Abituraufgaben angebo-ten.

• Auch in Mecklenburg-Vorpommern hat man den Schulen eine Übergangsfrist eingeräumt, während der es zwei ver-schiedene zentral gestellte Abiturprüfun-gen gibt. Ab 2008 ist allerdings für alle Schüler am Gymnasium CAS im Abitur Pflicht.

• Sachsen nimmt weiterhin eine Vorreiter-rolle ein. Ab dem Schuljahr 2005/06 wird ab der Klasse 8 am Gymnasium die Ver-wendung eines CAS verbindlich.

• Bayern führt aktuell einen Modellversuch zum Einsatz von CAS in Klasse 10 durch (M3).

• Hamburg plant ein CAS Projekt, begin-nend ab dem Schuljahr 2005/06.

• In Nordrhein-Westfalen wurde das "Ver-wenden von Medien und Werkzeugen" als eigene prozessbezogene Kompetenz in den neuen Lehrplan für die Sekundarstu-fe I aufgenommen. Der Einsatz von CAS ist hierbei in die vielfältigen Aktivitäten von SINUS-Transfer integriert.

• Im Saarland wird CAS im Rahmen des Projektes CASSIS evaluiert.

• Berlin hat mehrere Projekte sowohl in der Sekundarstufe I als auch II durchgeführt.

• In Hessen und Rheinland-Pfalz sind CAS-Projekte auf den Weg gebracht.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass heute (Stand: Mai 2005) kaum mehr ein Bundesland nicht Graphikrechner oder CAS bereits eingeführt hat oder doch wenigstens über diesen Schritt nachdenkt. Wir befinden uns damit gegenwärtig also in einer Situation wie Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre, als der einfache Taschenrechner Ein-zug in den Schulen in Deutschland gehalten hat. Im Übrigen folgen die deutschen Bun-desländer damit lediglich einem internationa-len Trend. Mit Ausnahme von Italien und Spanien sind in allen anderen europäischen und anglo-amerikanischen Industriestaaten einschließlich Australien Graphikrechner oder Computer-Algebra-Systeme gängige Hilfsmittel im Unterricht.

Akzeptanz der Handheld-Technologie

Die zunehmende Verbreitung von Graphik-rechnern und CAS in den Schulen schlägt sich zwischenzeitlich in der Entwicklung von Schulbüchern nieder. Frühzeitig haben sich Paetec mit der Reihe TCP, Schroedel mit den Elementen der Mathematik und Wester-mann mit Mathenetz in diesem Zusammen-hang engagiert. Aber auch Klett, Cornelsen und im Wesentlichen auch allen anderen Verlage integrieren heute diese Rechner in ihre Lehrwerke. Nachdem die Mathematiklehrer Graphik-rechner und CAS-Taschencomputer an die Schulen gebracht haben, sind nun auch die Physik- und Chemielehrer an deren Nutzung interessiert. Die kompatiblen Messwerterfas-sungssysteme ermöglichen die einfache Auf-nahme und Auswertung von Realdaten. Durch die Verfügbarkeit können alle Schüler in die Experimente eingebunden werden, was einen wesentlichen Vorteil gegenüber PC-gestützten Systemen darstellt.

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Stephan Griebel

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In der Vergangenheit wurden Graphikrechner bzw. CAS-Taschencomputer als inkompati-bel zum PC gesehen. Entweder hat man sich für die eine oder die andere Technologie ent-schieden. Durch die zwischenzeitlichen Ent-wicklungen wurde diese Systemgrenze be-reits teilweise überwunden. Derive 6 ist kom-patibel mit dem Voyage 200; TI-InterActive! kann mit dem TI-84 Plus Daten austauschen und Cabri Géomètre gibt es in kompatiblen Versionen für PC und Graphikrechner bzw. CAS-Taschencomputer. Graphikrechner und CAS-Taschencomputer — in der Vergangenheit von manchen mitun-ter auch milde belächelt — wurden zwi-schenzeitlich mit Auszeichnungen bedacht. Sowohl der CAS-Taschencomputer Voyage 200 als auch der Graphikrechner TI-84 Plus Silver Edition wurden mit dem Comenius-Siegel für didaktisch herausragende Multi-mediaprodukte ausgezeichnet.

Zukünftige Entwicklungen

Die Verbreitung von Graphikrechnern und CAS-Taschencomputern wird weiter zuneh-men. Entsprechende Initiativen sind in Pla-nung oder bereits im Gange. Auch hat sich das "Schülernotebook" als Vision erwiesen, deren Verwirklichung noch lange Zeit auf sich warten lassen wird.

Verstärkt interessieren sich auch die Schulen der Sekundarstufe I für das Thema, zum ei-nen, weil Graphikrechner auch hier bereits wertvolle Dienste leisten können, zum ande-ren weil viele Schüler z.B. von der Realschu-le auf das Gymnasium oder Fachgymnasium wechseln, wo Graphikrechner oder CAS-Taschencomputer gängiges Hilfsmittel sind. Noch stecken die Physiker und Chemiker in den Anfangsgründen einer voll integrierten Nutzung von Graphikrechnern oder CAS-Taschencomputern einschließlich der Mess-werterfassungssysteme in ihrem Unterricht, also etwa da, wo die Mathematiker sind vor etwa 7 bis 10 Jahren befunden haben. Es ist zu erwarten, dass die Entwicklung in den Na-turwissenschaften schneller vonstatten ge-hen wird, als in der Mathematik zu beobach-ten war. Zum einen ist die Gerätegrundaus-stattung auf Schüler- und Lehrerseite gege-ben, zum anderen können viele Erfahrungen aus der Mathematik aufgrund der Fächer-kombinationen der Lehrer zumindest leicht auf die Physik übertragen werden. Die gewinnbringende Nutzung von Graphik-rechnern und CAS-Taschencomputern wird noch für viele Jahre ein wesentlicher Punkt der didaktischen Diskussion sein. Es lohnt sich also, sich weiterhin mit diesem Thema zu beschäftigen.

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1 Einleitung

LeActiveMath ist der Name einer Lernsoft-ware, die im Rahmen eines dreijährigen EU-Projekts (FP6, Contr. N°. 507826) für den Bereich Analysis erstellt und evaluiert wird. Unter Einbezug aktueller Ergebnisse päda-gogischer und didaktischer Forschung sowie modernster Technologien soll LeActiveMath eine größtmögliche Anpassung des Kursma-terials an den einzelnen Lerner und seine Lernsituation zulassen. Dabei soll nicht nur die Verbesserung seiner mathematischen Kompetenzen angestrebt werden, sondern diese sollen auch anhand definierter Stan-dards in Form weiter untergliederter Einzel-kompetenzen und entsprechender Kompe-tenzstufen überprüfbar sein.

2 Kurzvorstellung der Lern-software "LeActiveMath"

2.1 Aufbau und Funktionsweise der Lernsoftware

In der Lernsoftware LeActiveMath werden Inhalte aus dem Bereich der Differentialrech-nung präsentiert. Im Wesentlichen sind das ein Rumpf aus inhaltlichen Elementen (Defi-nitionen, Sätze, Beweise, Beispiele sowie zu-sätzliche erläuternde Texte) und ein Pool von Übungsaufgaben. Um den Ansprüchen einer Mathematikstudentin ebenso gerecht zu wer-

den wie denen eines Schülers einer Fach-oberschule, gibt es — wo immer nötig — die inhaltlichen Elemente auf verschiedenen Abstraktionsniveaus. Besondere Varianz wird aber durch die Aufgaben erreicht: Das Pro-gramm wählt aufgrund der über den Lerner gespeicherten Benutzerdaten und selbst ein-gegebener Präferenzen geeignete Aufgaben aus. Dazu bedarf es selbstverständlich ent-sprechender Informationen über die Aufga-ben, sogenannter Metadaten. Hierzu gehö-ren z.B. Schwierigkeit, Abstraktheit und ge-förderte Kompetenzen. Auch die Abhängigkeiten der inhaltlichen Ele-mente untereinander, die speziell für das Funktionieren des Systems erforderlich sind, werden als Metadaten gespeichert. Damit Lerner und Aufgaben zueinander pas-sen, müssen auch Informationen über den Lerner bekannt sein. Besonders bedeutsam ist dabei die Lernhistorie, speziell der Erfolg beim Aufgabenlösen. Dadurch kann das Pro-gramm die Benutzerdaten überprüfen und — falls nötig — entsprechende Anpassungen vornehmen.

2.2 Besonderheiten Abweichend von dem vom Programm zu-sammengestellten Material hat jeder Lernen-de die Möglichkeit, sich selbst eigene "Bü-cher" zusammenzustellen. Ein Student, der sich auf das nächste Se-mester vorbereitet, schließt Übungen als In-

Ansätze zur Förderung mathematischer Kompeten-zen — gemäß den Bildungsstandards — mittels der Lernsoftware "LeActiveMath"

Christian Groß & Marianne Moormann, Augsburg

Aus der konstruktivistischen Perspektive heraus wird der Lernende als ein Individuum angesehen, welches äußere Reize aktiv und selbständig verarbeitet. Die Art und Qualität der Verarbeitung wird durch den Erfahrungs- und Entwicklungsstand des Lernenden be-stimmt, der wiederum als Gesamtheit seiner Wahrnehmungs-, Verstehens- und Verarbei-tungsschemata angesehen werden kann. Lernen ist dann ein Prozess, bei dem neue In-formationen ausgewählt, organisiert und integriert werden müssen. Diese Auffassung vom Lernen stellt einige Herausforderungen an die Ausgestaltung von Lernumgebungen. Im Vortrag wollen wir nun folgende Fragen behandeln: Wie kann die Gestaltung der Lernumgebung im konstruktivistischen Sinne aussehen, wenn diese eine Lernsoftware ist? Wie lässt sich dabei eine Orientierung an den Bildungsstandards realisieren? Hierbei werden Aufgabenformate, Hilfefunktionen u.ä. an Beispielen diskutiert.

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Christian Groß & Marianne Moormann

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halt seines Buches eventuell komplett aus und möchte lediglich ein Nachschlagewerk für die im letzten Semester behandelten De-finitionen und Sätze. Eventuell interessieren ihn auch besonders Beweise, so dass er zu allen Sätzen die Beweise abruft, sich Aufga-ben aus dem Bereich "Argumentieren" an-schaut und die ihn interessierenden heraus-greift. Für Lehrkräfte sind derartige Funktionen ebenfalls interessant. So können sie (z.B. im Hinblick auf anstehende Prüfungen) die Adaptivität des Programms insoweit ein-schränken, als dass sie bestimmte Aufgaben als von allen Lernenden zu bearbeiten aus-weisen. Angestrebt wird außerdem eine Druckversi-on, welche Animationen u.ä. automatisch ausspart. Somit wird dem Nachteil der Ab-hängigkeit vom PC (gegenüber dem Lehr-buch) begegnet und außerdem dem An-spruch der weiten Nutzbarkeit Rechnung ge-tragen. Zu diesem Zweck sollen weiterhin ein Funktionenplotter und ein CAS auch außer-halb entsprechender Aufgaben, die mit die-sen Werkzeugen zu bearbeiten sind, verfüg-bar sein.

3 Wie lässt sich eine Lern-software konstruktivis-tisch und den Bildungs-standards gemäß gestal-ten?

3.1 Konstruktivismus Die wesentliche Überzeugung des Konstruk-tivismus ist, dass Wissen sich im Allgemei-nen nicht von einem zum anderen Menschen z.B. mündlich einfach weitergeben lässt, son-dern dass der Aufbau von Wissen aus einem aktiven Prozess der Wissenskonstruktion be-steht. "Wenn hier von einer konstruktivisti-schen Sicht die Rede ist, dann bedeutet dies, dass ein individueller Aufbauprozess stattfin-det — im Unterschied etwa zu einem Abbil-dungsprozess. Jedes Individuum konstruiert sich nach dieser erkenntnistheoretischen Sicht seine Erkenntnisse selbst" (Krapp & Wiedenmann 2001, 167). Diese Auffassung von einem aktiven Wis-sensaufbau impliziert ein ganz bestimmtes Verständnis der Rollen von Lernenden und Lehrenden. Da Lernen als Auswahl, Organi-sation und Integration neuer Informationen begriffen wird, kommt Lehrenden die Aufga-

be zu, Lerngelegenheiten anzubieten, Mate-rial zur Verfügung zu stellen und vorzustruk-turieren. Nötigenfalls leisten sie Hilfestellung. Insgesamt besteht ein Großteil der Arbeit von Lehrpersonen in der Vorbereitung, während sie in der konkreten Unterrichtssituation eine eher passive Rolle einnehmen. Von den Ler-nenden wird dagegen erwartet, dass sie sich "aktiv" und "selbstständig" mit dem jeweiligen Unterrichtsgegenstand auseinandersetzen. Nun ist sicherlich anzumerken, dass die Ar-beit am Computer die Aktivität der Lernenden erheblich einschränkt. Ebenso scheint es um die Selbstständigkeit bestellt zu sein. Auf den ersten Blick gibt der PC die Richtung vor. Auch die Bedienung einzelner Elemente des Programms, z.B. eines CAS, erfolgt instrukti-onsgeleitet, bietet also kaum Spielraum. Dem kann entgegengesetzt werden, dass die Bearbeitung beispielsweise eines Kurses "Differentialrechnung" am PC im Vergleich zum "PC-freien" Unterricht dieses Themas im Klassenverband deutlich unabhängiger von der Bearbeitungszeit, der Reihenfolge ein-zelner inhaltlicher Elemente und (mit Ein-schränkungen) vom Lernort stattfinden kann. Das Lernen wird individualisiert. Die Software als ergänzendes Angebot außerhalb des re-gulären Unterrichts ist dabei von großem Nutzen. In der Schule ist es nicht das Ziel, die Lehrperson zu ersetzen; vielmehr geht es darum, sie phasenweise zu entlasten bzw. ihr zu ermöglichen, sich um einzelne Schüler intensiver zu kümmern. Den interessierteren Lernenden wird die Möglichkeit gegeben, zu-sätzlich außerhalb des Unterrichts Material zu bearbeiten. Im Gegensatz zur verpflich-tenden Arbeit mit der Software darf man dar-auf hoffen, dass ein Lerner das Programm dann als Zusatzangebot nutzt, wenn äußere Bedingungen, wie die aktuelle Motivationsla-ge oder ein ruhiger Lernort, das Lernen be-günstigen, d.h. die Lernvoraussetzungen gut sind. Darüber hinaus ist es "erlaubt" und er-wünscht, den vom Programm empfohlenen Pfad zu verlassen, was durch die beschrie-benen Funktionalitäten unterstützt wird. Hier werden also Selbstständigkeit und Eigenver-antwortung des Lernenden vorausgesetzt. Die aktive Auseinandersetzung mit den Inhal-ten soll durch verschiedene Aufgabenformate und insbesondere durch deren Wechsel an-geregt werden. Zudem wird nicht auf offene Aufgaben verzichtet, da andere Formate die Vielfalt mathematischen Arbeitens nicht in diesem Umfang abbilden können. Zwar kön-nen diese Aufgaben nicht vom System aus-gewertet werden, jedoch gibt es hier vielfach Unterstützung, die in der Form außerhalb der

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Förderung mathematischer Kompetenzen mittels "LeActiveMath"

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Software nicht denkbar wäre. Beispielsweise können vielfach Definitionen und Sätze be-quem per Link aus der Aufgabe heraus nach-gesehen werden. Häufig verweisen weitere Links auf thematisch ähnliche Beispiele und Aufgaben in auswertbaren Formaten. Per Button können Hinweise aktiviert werden, und auch Bilder und Applets unterstützen ei-nige dieser Aufgaben.

3.2 Bildungsstandards und Kom-petenzen

Bildungsstandards formulieren Anforderun-gen an schulisches Lernen. Sie benennen Bildungsziele in Form erwünschter Lerner-gebnisse, die Schülerinnen und Schüler ei-nes bestimmten Jahrgangs zeigen sollen. Anders formuliert: Bildungsstandards "be-nennen die Kompetenzen, welche die Schule ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln muss, damit bestimmte zentrale Bildungszie-le erreicht werden" (BMBF 2003, 19). Spezi-fizierungen bezüglich des Ausprägungsgra-des einer Kompetenz werden durch Kompe-tenzmodelle vorgenommen. Damit ist der Zusammenhang zwischen Bil-dungsstandards und Kompetenzen geklärt: Bildungsstandards legen Kompetenzen fest. Was aber ist nun "Kompetenz"? Nach Weinert (2001) ist "Kompetenz" eine Disposition, die Personen befähigt, bestimm-te Arten von Problemen erfolgreich zu lösen, also konkrete Anforderungssituationen eines bestimmten Typs zu bewältigen. Dabei um-fassen die verschiedenen Facetten der indi-viduellen Ausprägung der Kompetenz Fähig-keit, Wissen, Verstehen, Können, Handeln, Erfahren und Motivation. Der Lernsoftware LeActiveMath legen wir den mit dieser Definition durchaus konsisten-ten Begriff der "mathematischen Kompetenz" nach Mogens Niss (2003) zugrunde. Er un-terteilt die mathematische Kompetenz in acht Einzelkompetenzen: 1. Mathematisch denken: beherrschen ma-

thematischer Denkweisen, Fragen stellen, Antwortarten kennen (Beweis, Gegenbei-spiel), Konzepte generalisieren, …

2. Problemlösen: identifizieren, formulieren, spezifizieren, …

3. Modellieren: modellbilden, analysieren, mathematisieren, interpretieren, validie-ren, …

4. Argumentieren: begründen, beweisen, …

5. Verschiedene Darstellungsformen: Ob-jekte bzw. Situationen grafisch und als Gleichung darstellen, durch verschiedene Diagrammtypen, …

6. Symbole und Formalismus: formale Sprache dekodieren, Syntax und Seman-tik kennen, Bezüge zu natürlicher Spra-che sehen, …

7. Kommunizieren: verstehen und formulie-ren mathematischer Sachverhalte auf un-terschiedlichen Abstraktionsniveaus, ...

8. Werkzeuge und Hilfsmittel: verwenden von TR, GTR, CAS, …

Dabei ist jede der genannten Kompetenzen mathematikspezifisch. Jede enthält einen analytischen und einen aktiven Aspekt. So beinhaltet das "Modellieren" das Analysieren und Benutzen bereits existierender Modelle ebenso wie das eigenständige Modellieren; "Argumentieren" zielt zum einen auf das Nachvollziehen von Argumentationsketten ab, zum anderen auf das eigenständige For-mulieren von Beweisen, usw. Diese acht Kompetenzen lassen sich in zwei Bereiche unterteilen: Die ersten vier Kompe-tenzen beziehen sich auf das Fragen stellen und beantworten innerhalb und mit Hilfe der Mathematik. Die übrigen befassen sich eher mit der mathematischen Sprache und dem Beherrschen von Werkzeugen. Im Programm erfordern unterschiedliche Aufgaben die jeweilige Kompetenz auf ver-schiedenen Ausprägungsniveaus, die als Kompetenzstufen bezeichnet werden. Reali-siert ist dies in Form von vier Kompetenzstu-fen, die angelehnt an das Kompetenzstufen-modell des PISA-Konsortiums beschrieben werden.

3.3 Aufgabenformate, Hilfefunkti-onen und die damit verbun-denen Schwierigkeiten

Neben offenen Aufgaben werden derzeit fol-gende Aufgabenformate erstellt: Single- und Multiple-Choice-Fragen, die durch Anklicken der richtigen Antworten zu lösen sind, Fill-in-the-blank-Aufgaben(FiB), die den Eintrag ei-nes bestimmten Begriffs oder eines Zahlwer-tes in ein dargebotenes Feld erfordern, und Drag-and-drop-Übungen, bei denen es dar-um geht, aus einem Bereich Elemente per Cursor herauszubewegen und an statische, auf dem Bildschirm räumlich getrennt vorlie-gende Elemente anzudocken. Ziel ist es da-bei, sinnvolle Paare zu bilden.

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Christian Groß & Marianne Moormann

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Neben diesen im Vortrag anhand bereits in der Software realisierter Übungen illustrierten Grundtypen und ihren entsprechenden Vari-anten sind weitere spezielle Aufgabentypen in Vorbereitung. Zu diesen zählen z.B. erro-neous examples, die etwa unvollständige oder fehlerhafte Beweise sein können. Einen Sonderfall von Drag-and-Drop-Aufgaben stel-len "Beweis-Sortier-Aufgaben" dar: Hier wird ein Beweis in seine Schritte zerlegt, die dann in falscher Reihenfolge abgebildet werden. Die Aufgabenstellung ist es nun, die richtige Reihenfolge herzustellen. Concept-Map-Aufgaben, die als eine Erwei-terung von Drag-and-Drop-Aufgaben ange-sehen werden können, vernetzen Begriffe miteinander, indem Hierarchien angegeben werden oder Verbindungslinien gezogen und mit der Art der Relation der Begriffe beschrif-tet werden müssen, usw. Zudem gibt es noch Übungen, deren Bearbeitung die Verwen-dung eines Werkzeuges erfordert (CAS, Funktionenplotter, oder auch des integrierten Lexikons). Die genannten Formate erlauben zumeist ei-ne große Variation und können sehr unter-schiedlich aussehen. Dennoch wäre es wünschenswert, zur Förde-rung bestimmter Kompetenzen offenere, au-tomatisch auswertbare Aufgaben anbieten zu können. Dies gilt insbesondere, wenn es darum geht, eine Kompetenz auf einem hö-heren Niveau zu entwickeln, z.B. die Fähig-keit zu modellieren. Die Lernwirksamkeit des Wechsels von Auf-gabenformaten ist ebenfalls umstritten. Auf der einen Seite wird gern argumentiert, dass mittels des Wechsels der Langeweile vorge-beugt werden soll und verschiedene Formate auch mit verschiedenen Perspektiven und Schwerpunktsetzungen einhergehen. Zum anderen aber wird mit der Cognitive Load theory (Sweller 1994) argumentiert: Hiernach besteht die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Inhalt weggelenkt und un-nötig zusätzliche kognitive Energie von Ler-nenden darauf verwendet wird, sich auf das Format einzustellen. Auch hierzu werden in der Evaluationsphase des Projekts Untersuchungen und Befragun-gen stattfinden. Im Programm "LeActiveMath" sind verschie-dene Formen von Hilfen geplant. Zum einen sind das navigative und strategische Hilfen, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll. Zum anderen sind es Hilfefor-men, die sich speziell auf das gerade zu be-arbeitende Problem beziehen. Dabei lassen

sich im Wesentlichen zwei Varianten unter-scheiden: Die eine Art der Hilfe besteht darin, bei Problemen mit einer Aufgabe zunächst eine artverwandte, jedoch weniger komplexe Aufgabe bearbeiten zu lassen und erst dann die ursprünglich angedachte Aufgabe. Dies dürfte in Fällen sinnvoll sein, in denen es um bestimmte Prozeduren oder Strategien geht, die zwar gelernt und verstanden, aber noch nicht gefestigt oder gar automatisiert sind. Die zweite Variante sind gestufte Hilfen. Hier wird nochmals in "Prozess-" und "Produkthil-fen" unterteilt. "Prozesshilfen" sehen so aus, dass sie noch stärker strategische Kompo-nenten beinhalten oder allgemeinere Hinwei-se. Sie nehmen dem Lerner keine Teilschrit-te, z.B. in Form einer Umformung, ab. "Pro-dukthilfen" sind dagegen stark inhaltsorien-tiert: Ihre Abstufung soll dergestalt sein, dass im ersten Schritt nur der Blick des Lerners gelenkt wird bis hin zum letzten Schritt, der Präsentation einer (Muster-) Lösung. Das Abrufen der unterschiedlichen Hilfen wird vom System aufgezeichnet und je nach Hilfe-Art unterschiedlich bewertet. Wie genau in diesem Bereich die Umsetzung aussieht, ist zu diesem Zeitpunkt noch offen. Das wesent-liche Ziel besteht jedoch darin, dem Lerner eine möglichst minimale und doch optimale Hilfe zu geben. Diese offenen Fragen bedürfen noch intensi-ver Nachforschungen, speziell im Bereich der Misskonzepte und Fehlvorstellungen sowie verschiedener Formen der Evaluation, wie z.B. Interviews mit Schülerinnen und Schü-lern sowie Lehrpersonen.

Literatur Klieme, Eckhard et al. (2003): Zur Entwicklung na-

tionaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bonn: BMBF, Ref. Öffentlichkeitsarbeit

Auch verfügbar unter (16.07.2004): http://www.dipf.de/publikationen/zur_entwicklung_nationaler_bildungsstandards.pdf

Krapp, Andreas & Bernd Weidenmann (Hrsg.) (2001): Pädagogische Psychologie. Weinheim: Beltz, 4. Auflage

Niss, Mogens (2003): Mathematical competencies and the learning of mathematics: The Danish KOM Project, verfügbar unter (16.07.2004): www7.nationalacademics.org/mseb/ Mathematical_Competencies_and_the_ Learning_of_Mathematics.pdf

Sweller, John (1994): Cognitive Load Theory, Learning Difficulty and Instructional Design. In: Learning and Instruction 4, 295–312

Weinert, Franz E. (2001). Vergleichende Leis-tungsmessung in Schulen — eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: Franz E. Weinert (Hrsg.) (2001): Leistungsmessungen in Schu-len. Weinheim und Basel: Beltz, 17–31

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Dynamische Geometrie Software (DGS) und Computeralgebra Systeme (CAS) sind aus dem Mathematikunterricht nicht mehr wegzu-denken, und ihr Einsatz wird inzwischen auch in den Lehrplänen gefordert: "Mathematiknahe Technologien wie Compu-teralgebra-Systeme, dynamische Geometrie-Software [...] sind im heutigen Mathematik-unterricht unverzichtbar." (AHS-Oberstufen-lehrplan für Österreich 2004) Da GeoGebra auf Ideen dieser beiden Soft-waretypen basiert, werden ihre grundlegen-den Eigenschaften im Folgenden zunächst verglichen.

Dynamische Geometrie Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von DGS, die sich in ihrer Ausrichtung und ihrem Funk-tionsumfang teilweise beträchtlich unter-scheiden. Einige prominente Vertreter sind Cabri, Cinderella, Geometer’s Sketchpad, Dynageo sowie Zirkel und Lineal. Trotz aller Unterschiede haben alle diese Systeme zwei wichtige Eigenschaften ge-meinsam: • den Zugmodus und • die Konzentration auf die geometrische

bzw. grafische Repräsentation mathemati-scher Objekte.

Der Zugmodus unterscheidet ein DGS von einem bloßen Zeichenprogramm und bietet durch die Dynamik der grafischen Darstel-lung einen echten Mehrwert gegenüber Pa-pier und Bleistift. Die grafische Repräsentation steht bei allen DGS stark im Vordergrund: typischerweise können auf einem Zeichenblatt mit der Maus Konstruktionen erstellt und dynamisch vari-iert werden.

Computeralgebra Auf Seiten der CAS sind u.a. Derive, Mathematica, Maple und MuPad zu nennen. Die Unterschiede hinsichtlich der Funktionali-tät und Bedienung der einzelnen Programme sind enorm. Als grundlegende gemeinsame Eigenschaf-ten können aber die folgenden beiden Punk-te festgehalten werden: • symbolisches Rechnen und • die Konzentration auf die algebraische

und numerische Repräsentation mathe-matischer Objekte.

Symbolisches Rechnen ermöglicht beispiels-weise das Finden der Ableitung oder des In-tegrals einer Funktion sowie das Lösen von Gleichungen. Die algebraische Seite der Mathematik steht bei einem CAS im Mittelpunkt. Dies zeigt sich auch daran, dass die Eingabe mittels alge-braischer Ausdrücke, Zahlen und Befehle er-folgt.

Unterschiede Duval (1999) geht davon aus, dass mathe-matische Objekte nicht direkt, sondern nur über semiotische Repräsentationen zugäng-lich sind: "... there is no other way of gaining access to the mathematical objects but to produce some semiotic representations." DGS und CAS haben in diesem Sinne unter-schiedliche Sichtweisen auf mathematische Objekte, da sie von einer geometrischen bzw. algebraischen Repräsentation ausge-hen. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen diesen beiden Softwaretypen betrifft die Dy-namik: den CAS fehlt meist ein Pendant zum Zugmodus. Sie erlauben zwar häufig die gra-fische Darstellung von Gleichungen und

Bidirektionale Verbindung von dynamischer Geometrie und Algebra in GeoGebra

Markus Hohenwarter, Salzburg

Dynamische Geometrie Software (DGS) und Computeralgebra Systeme (CAS) haben den Mathematikunterricht verändert. GeoGebra ist ein neues Werkzeug, das versucht, die Möglichkeiten von DGS und CAS miteinander auf bidirektionale Weise zu verbinden. In diesem Artikel wird darauf eingegangen, warum eine solche Verbindung sinnvoll ist und wie diese aussehen kann.

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Markus Hohenwarter

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Funktionen; diese kann jedoch nicht direkt beeinflusst werden. Selten gibt es in CAS ei-ne dynamische Kopplung von Parametern und grafischer Darstellung (z.B. in LiveMath). Für diesen Zweck wird daher gerne auf Ta-bellenkalkulationen zurückgegriffen. Umgekehrt bieten DGS keine bis wenige Möglichkeiten der direkten Eingabe von Glei-chungen oder des symbolischen Rechnens. Es können zwar Gleichungen und Koordina-ten angezeigt werden; eine direkte Manipula-tion derselben ist aber kaum möglich.

Eine Verbindung

Warum und wie? Es liegt nahe darüber nachzudenken, die bei-den Softwaretypen zu verbinden. Schumann hat dies bereits 1991 getan und später sogar ein entsprechendes Bedürfnis konstatiert: "There is a need for further software develop-ment to provide a single package combining the desired features." (Schumann & Green 2000) Es stellen sich dabei zwei Fragen: 1. Warum soll man die Möglichkeiten von

DGS und CAS verbinden? 2. Wie soll eine solche Verbindung ausse-

hen? Die Antworten auf diese beiden Fragen hän-gen natürlich zusammen. Zunächst einmal sollte ein solches System Schülerinnen und Schülern helfen, Mathematik besser bzw. leichter zu verstehen. Laut Duval (1999) muss man, um mathematische Zusammen-hänge zu verstehen, zwischen mehreren se-miotischen Repräsentationen wechseln kön-nen: "There is no true understanding in ma-thematics for students who do not incorpo-rate into their cognitive architecture the vari-ous registers of semiotic representations used to do mathematics." Die Verbindung mehrerer Repräsentationen bringt also Vorteile für das Verständnis von Mathematik. Dabei ist aber natürlich nicht ein bloßes Nebeneinander, sondern ein Mitein-ander entscheidend: wichtig sind die Über-gänge von der einen in die andere Repräsen-tation. Ein System, das DGS und CAS verbindet, sollte daher den Wechsel zwischen geometri-scher und algebraischer Repräsentation er-möglichen, und zwar am besten in beide Richtungen, also bidirektional.

Bidirektionale Verbindung Diese Art der Verbindung geht deutlich über eine bloße Koppelung eines DGS mit einem CAS hinaus. Es geht also nicht darum, eine technische Schnittstelle zwischen diesen bei-den Welten zu definieren, sondern neue Möglichkeiten zu schaffen.

Abb. 1: Verbindung von DGS und CAS

Das geforderte System umfasst die in Abb. 1 skizzierten Bereiche 1, 2 und 3, wobei die neuen Möglichkeiten im Bereich 3 anzusie-deln sind. Ein konkretes Beispiel dazu: Bereich 1: Ein Kreis kann in einem DGS dy-namisch konstruiert, und seine Gleichung kann angezeigt werden. Bereich 2: Ein Kreis kann in einem CAS mit Hilfe seiner Gleichung eingegeben und als statisches Bild dargestellt werden. Bereich 3: Ein Kreis kann mit Hilfe seiner Gleichung eingegeben und dynamisch mit der Maus verschoben werden. Ein System, das alle drei Bereiche abdeckt, erlaubt damit einen bidirektionalen Wechsel zwischen Kreisbild und Kreisgleichung. In diesem Fall werden dazu im Bereich 3 die Möglichkeiten des CAS um die Dynamik des Zugmodus erweitert.

Die eierlegende Wollmilchsau Ein solches Programm kann und muss dabei nicht sämtliche Möglichkeiten von DGS und CAS umfassen. Wie gesagt, geht es eher um neue Möglichkeiten des Nebeneinanders und des Wechsels zwischen den verschiedenen Repräsentationsformen. Dafür eignen sich nicht alle Funktionen eines DGS bzw. CAS gleich gut. Wie ein solches System konkret aussieht, hängt von vielen Design-Entscheidungen ab: Wie soll die Benutzeroberfläche aussehen? Welche Grundobjekte soll es geben? Welche Operationen sollen mit diesen Grundobjekten möglich sein? Welche Konsequenzen erge-ben sich daraus für den Bereich 3 der neuen Möglichkeiten?

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Bidirektionale Verbindung von dynamischer Geometrie und Algebra in GeoGebra

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GeoGebra

GeoGebra steht für dynamische Geometrie und Algebra und stellt eine Realisierung ei-nes solchen bidirektionalen Systems dar (www.geogebra.at). Im Folgenden soll auf ei-nige Design-Entscheidungen bei der Ent-wicklung von GeoGebra eingegangen wer-den.

KISS Prinzip KISS ist ein Akronym und steht für "Keep it small and simple!", was soviel bedeutet wie "Gestalte es einfach und überschaubar!". Dieses aus der Informatik stammende Prin-zip war und ist eine zentrale Leitidee bei der Entwicklung von GeoGebra. Als Unterrichtssoftware soll das System mög-lichst einfach zu bedienen sein, damit Schü-lerinnen und Schüler auch selbst damit Ma-thematik entdecken können. Die Verwen-dung einer Mathematiksoftware erfordert ne-ben mathematischem Wissen natürlich auch Wissen über die Bedienung der Software selbst. Diese zusätzliche Hürde sollte daher möglichst klein gehalten werden. In GeoGebra orientiert sich die algebraische Eingabe nahe an der Schulnotation. Eine Ge-rade kann als g: 3x + 4y = 7, ein Kreis als k: (x – 2)2 + (y + 3)2 = 25 und eine Funktion als f(x) = x3 – 2x eingegeben werden. In den CAS sind üblicherweise alle Befehle nur auf Englisch verfügbar. GeoGebra verwendet Befehlsnamen in der aktuell eingestellten Sprache der Benutzeroberfläche.

Algebrafenster und Zeichenblatt Eine im Mathematikun-terricht verwendete Software beeinflusst auch die Art, wie Schü-lerinnen und Schüler Mathematik sehen und betreiben (Noss & Hoyles 1996). GeoGe-bra bietet daher zwei parallele Repräsenta-tionen der mathemati-schen Objekte: ein Al-gebrafenster und ein Zeichenblatt (Abb. 2). Dieses Design kommt auch der Forderung von Schumann &

Green (2000) nach: "The three solution pro-tocols [graphical, numerical, algebraic] should not be considered separate, but ra-ther as constituting a holistic comprehensive computer-aided approach."

Grundobjekte Die Grundobjekte eines DGS sind Punkte, Geraden, Strecken, Vielecke, Kreise und manchmal allgemeine Kegelschnitte. In Geo-Gebra gibt es zusätzlich auch Vektoren (DGS kennen teilweise nur Pfeile, aber keine Vektoren). An Grundobjekten aus dem CAS-Bereich wurden Zahlen (bzw. Parameter), Winkel, polynomiale Gleichungen 1. und 2. Grades (für Geraden und Kegelschnitte) und später Funktionen in GeoGebra implementiert.

Operationen Entscheidend für den Bereich der neuen Möglichkeiten (Bereich 3 in Abb. 1) sind na-türlich die Operationen auf diesen Grundob-jekten. Ein CAS kann Kegelschnittsgleichun-gen zwar darstellen, es "weiß" jedoch nicht, dass es sich bei einer solchen Gleichung um einen Kegelschnitt handelt. In GeoGebra wird jede eingegebene Glei-chung klassifiziert und als Gerade oder Ke-gelschnitt erkannt. Damit sind nun geometri-sche Operationen für diese erkannten Objek-te möglich: Schneiden mit anderen Objekten, Drehen, Spiegeln, Verschieben, Bestimmung von Mittelpunkt, Scheitel, Hauptachsen usw.

Abb. 2: Oberfläche von GeoGebra

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Umgekehrt kann mit geometrischen Objekten wie Vektoren und Punkten gerechnet wer-den. Der Mittelpunkt einer Strecke AB könnte also bestimmt werden als M = (A+B)/2 oder M = A + 1/2(B–A). Auf weitere besondere Operationen wird im Abschnitt Neue Möglichkeiten weiter unten eingegangen.

Konsequenzen Durch die Festlegung der Grundobjekte müs-sen diese irgendwie eindeutig unterschieden werden. Dies ist ein neues Problem, das erst durch die bidirektionale Verbindung von CAS und DGS entsteht. Stellt beispielsweise das Koordinatenpaar (3,2) einen Punkt oder einen Vektor dar? GeoGebra löst dies durch folgende Konven-tionen: Punkte haben Groß- und Vektoren Kleinbuchstaben als Namen. P = (3,2) liefert daher einen Punkt und v = (3,2) einen Vek-tor. Ein namenloses Koordinatenpaar ist ein Punkt, und um einen namenlosen Vektor zu erhalten, gibt es den Befehl Vektor[(3,2)]. Der Befehl Gerade[(1,1), (3,2)] liefert damit eine Gerade durch die Punkte (1,1) und (3,2). Mit Gerade[(1,1),Vektor[(3,2)]] erhält man hinge-gen eine Gerade durch den Punkt (1,1) mit Richtung (3,2). Ein ähnliches Unterscheidungsproblem gibt es bei der Parabel y = x2. Handelt es sich hierbei um einen Kegelschnitt oder um eine Funktion in x? Dies ist deshalb zweierlei, weil ein Kegelschnitt beispielsweise gedreht wer-den kann, eine Funktion aber nicht. Umge-kehrt kann eine Funktion differenziert oder in-tegriert werden, ein Kegelschnitt nicht. Anders gesagt: mit Kegelschnitten sind ande-re Operationen möglich als mit Funktionen. Wieder wird dies in GeoGebra durch eine Konvention gelöst: Eine Funktion wird als f(x) = x2 oder nur x2 geschrieben. Eine polyno-miale Gleichung zweiten Grades in x und y und damit y = x2 wird als Kegelschnitt inter-pretiert.

Neue Möglichkeiten

GeoGebra bietet im Wesentlichen alle Funk-tionen eines DGS und kann natürlich auch wie ein solches zum Konstruieren verwendet werden. Im Folgenden soll jedoch auf die neuen Möglichkeiten durch die Einführung der Bidirektionalität eingegangen werden.

Analytische Geometrie Die ersten Versionen von GeoGebra (Hohen-warter 2003) waren vor allem für den Einsatz im Bereich der analytischen Geometrie prä-destiniert. Als interessante neue Möglichkei-ten sind hier vor allem die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Parametern und geometrischer Figur zu nennen. Als Beispiel sei hier die Bedeutung der Para-meter p und q in der Parabelgleichung y = x2 + p x + q angeführt. Elschenbroich (2001) stellte dazu ein elektronisches MathView-Ar-beitsblatt vor, bei dem sich durch Änderung der Parameter p und q das Bild der Parabel dynamisch verändert. Ein solches Arbeits-blatt kann auch mit GeoGebra erstellt wer-den, wobei die Veränderung der Parameter nicht nur durch direkte Eingabe, sondern auch mittels Pfeiltasten kontinuierlich möglich ist. GeoGebra erweitert dieses schöne Beispiel um die völlig neue Möglichkeit einer echten bidirektionalen Untersuchung der Parabel-gleichung. Geht man beispielsweise von der Parabel y = x2 + x + 1 aus, so kann diese so-wohl durch Veränderung ihrer Gleichung, als auch durch Ziehen ihrer geometrischen Dar-stellung mit der Maus verändert werden. Es sind also beide Repräsentationen direkt be-einflussbar. Zusätzlich bietet GeoGebra auch geometri-sche Befehle, die ein CAS nicht kennt, hier aber sehr hilfreich sein können: der Befehl Scheitel[par] liefert etwa den Scheitelpunkt der Parabel und kann Ausgangspunkt für ei-ne Untersuchung der Zusammenhänge zwi-schen Scheitelpunkt und Parabelgleichung sein.

Dynamische Analysis Anfangs beschränkten sich die symbolischen Fähigkeiten von GeoGebra auf die Polynom-vereinfachung zur Bestimmung der Normal-form von Kegelschnitten. Damit wird etwa die Gleichung x + y2 = y + y2 intern in x – y = 0 umgewandelt und als Gerade erkannt. Dies ermöglicht die Eingabe von Geraden und Kegelschnittsgleichungen in beliebiger Form. Mit der Version 2.0 wurde das neue Grund-objekt Funktion in x eingeführt und damit das Tor zur Welt der dynamischen Analysis auf-gestoßen. Auch für Funktionen gilt nämlich der bidirektionale Ansatz: So ist es möglich, den Graphen einer Funktion mit der Maus zu ziehen oder mit den Pfeiltasten zu verschie-

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Bidirektionale Verbindung von dynamischer Geometrie und Algebra in GeoGebra

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ben, wobei gleichzeitig die algebraische Re-präsentation dynamisch verändert wird. Seit Anfang dieses Jahres ermöglicht Geo-Gebra auch die symbolische Berechnung von Ableitungen und Integralen. Lässt man sich nun die Ableitung oder das Integral einer Funktion f anzeigen, so werden auch diese Funktionen beim Ziehen von f mit der Maus dynamisch mitverändert. Diese neue Mög-lichkeit nenne ich dynamisches Differenzie-ren bzw. Integrieren. Da in GeoGebra auch die Parameter in Be-fehlen dynamische Größen sind, kann sogar die Ordnung einer Ableitung über einen Zahl-parameter oder eine Streckenlänge dyna-misch verändert werden. Eine wichtige Anwendung von CAS ist das Lösen von Gleichungen. Die geometrische Entsprechung dazu sind Schnittoperationen bzw. Nullstellenbestimmung. Für Geraden und Kegelschnitte war dies von Anfang an auch in GeoGebra möglich. Für Funktionen wurden diese Schnittopera-tionen in der aktuellen Version 2.4 realisiert. Für Polynomfunktionen ermöglicht GeoGebra damit durch die automatische Bestimmung aller Nullstellen, Extrempunkte und Wende-punkte und den Zugmodus für Funktionen eine dynamische Kurvendiskussion.

Weitere Besonderheiten Eine Besonderheit von GeoGebra ist die au-tomatische grafische Darstellung bestimmter Zahlenwerte. Beispielsweise werden die Stei-gung einer Geraden als Steigungsdreieck und das bestimmte Integral einer Funktion als Fläche zwischen x-Achse und Funktions-graph visualisiert. Unter- und Obersummen werden durch Rechtecke dargestellt und kön-

nen im Hinblick auf Funktion, Intervallgren-zen und Anzahl der Rechtecke dynamisch verändert werden.

Abb. 4: Dynamische Unter- und Obersumme

Das interaktive, dynamische Konstruktions-protokoll ermöglicht die schrittweise Wieder-holung einer Konstruktion, das Einfügen von Konstruktionsschritten an beliebiger Stelle und sogar das Ändern der Konstruktionsrei-henfolge. Mit GeoGebra können übrigens auch dyna-mische Arbeitsblätter für einen Internet-Browser erstellt werden. Solche Arbeitsblät-

ter sind besonders dann nützlich, wenn die Schülerinnen und Schüler mit der Bedienung der Software nicht so vertraut sind. Die instru-mentelle Hürde kann so niedrig ge-halten werden. Beispiele für solche dynamischen Arbeitsblätter sind auf der Homepage von GeoGebra zu finden: www.geogebra.at.

Rück- und Ausblick

Die Entwicklung von GeoGebra wurde von mir im Zuge meiner Di-plomarbeit begonnen und wird der-zeit im Rahmen einer Dissertation aus Mathematik-Didaktik an der

Universität Salzburg fortgeführt. Dieses Dis-sertationsprojekt wird von der Österreichi-schen Akademie der Wissenschaften geför-dert. GeoGebra hat bereits mehrere Bildungssoft-ware Preise erhalten: European Academic Software Award 2002 (Ronneby, Schweden), L@rnie Award 2003 (Wien), digita 2004 (Köln) und Comenius Siegel 2004 (Berlin).

Abb. 3: Dynamische Kurvendiskussion

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Markus Hohenwarter

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Durch den Einsatz der frei verfügbaren Soft-ware in Schulen und viele anregende Rück-meldungen von Lehrern wird die Funktionali-tät von GeoGebra stetig erweitert. Dabei wird großes Augenmerk darauf gelegt, bei allen Neuerungen Dynamik und Bidirektionalität zu ermöglichen. GeoGebra verbindet die Möglichkeiten von DGS und CAS in einer neuen Art und Weise, die hoffentlich zu einem verständlichen Ma-thematikunterricht beiträgt.

Literatur Duval, Raymond (1999): Representation, vision,

and visualization: Cognitive functions in ma-thematical thinking. Basic issues for learning. In: Fernando Hitt & Manuel Santos (Hrsg.) (1999): Proceedings of the twenty-first annual meeting of the North American Chapter of PME, Band 1, 3–26

Elschenbroich, Hans-Jürgen (2001): Lehren und Lernen mit interaktiven Arbeitsblättern. Dyna-mik als Unterrichtsprinzip. In: Wilfried Herget & Rolf Sommer (Hrsg.) (2001): Lernen im Mathe-

matikunterricht. Hildesheim: Franzbecker, 31–39

Hohenwarter, Markus (2003): GeoGebra — dyna-mische Geometrie und Algebra. In: Der Mathe-matikunterricht 48, Heft 4, 33–40

Noss, Richard und Hoyles, Celia (1996): Windows on Mathematical Meanings. Learning Cultures and Computers. Dordrecht: Kluwer

Schumann, Heinz (1991): Schulgeometrisches Konstruieren mit dem Computer. Stuttgart: Teubner & Metzler. www.mathe-schumann.de

Schumann, Heinz & David Green (2000): New protocols for solving geometric calculation pro-blems incorporating dynamic geometry and computer algebra software. In: International Journal of Mathematical Education in Science and Technology 31, 319–339

Links GeoGebra: http://www.geogebra.at Oberstufenlehrplan Österreich 2004:

http://www.bmbwk.gv.at/schulen/unterricht/ lp/abs/ahs_lehrplaene_oberstufe.xml

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Die Einführung von grafischen Taschenrech-nern, Taschencomputer oder Mathematik-Software ist aus vielen Gründen für Lehrkräf-te und Lernende beschwerlich. Besonders für diese erste Phase wird ein neuer Weg vor-geschlagen. Dabei werden interaktive E-Learning-Lektionen genutzt, in denen auf ei-nem PC Demonstrationen der Soft- oder Hardware vorgeführt werden. Schülerinnen und Schüler sitzen z.B. mit ihrem Taschen-computer vor dem Bildschirm, sehen sich die Demonstration an und vollziehen sie auf ih-rem eigenen Gerät nach. (Bei Nutzung einer Software wird in einem Bildschirmfenster ge-arbeitet.) Im Unterricht wird eine Aufgabe gestellt, die mit Derive oder einem Taschencomputer ge-löst werden soll. Die Lernenden rufen sich aus einer Liste diejenige E-Learning-Einheit auf, die sie zur Bearbeitung benötigen (Z.B. "Grafen zeichnen" oder "Differenzieren"). Mit dieser Information lösen sie dann einen Teil der Aufgabe, usw. Diese Unterrichtsmethode erlaubt ein dem Lerntempo der oder des Einzelnen ange-

passtes Arbeiten. Die E-Learning-Einheiten decken zahlreiche unterschiedliche Themen ab, so dass sie im Kontext des jeweiligen Un-terrichtes eingesetzt werden können. Diese neue Methode ist bei der Einführung des CAS-Rechners Voyage 200 in Klassen-stufe 12 in der Wieland-Herzfelde-Oberschu-le in Berlin erstmalig angewendet worden. Im Anschluss wurde eine Evaluation bei den Lernenden und den Lehrkräften durchge-führt. Schülerinnen und Schüler haben sich überwiegend sehr positiv zu dem Einfüh-rungsunterricht geäußert. Auch alle Lehrkräf-te ziehen diese Art des Unterrichtes einer konventionellen Einführung der Taschencom-puter vor. Die E-Learning-Module stehen auf der Ho-mepage von T³ (Teachers Teaching with Technology) allen Interessierten zur Verfü-gung: www.t3deuschland.de. (Man gehe zu Materialien in der Menuezeile und wähle den Menuepunkt Lernmodule.)

E-Learning-Lektionen helfen Schülerinnen und Schülern bei der Nutzung von Mathematik-Soft- und -Hardware im Unterricht

Karl-Heinz Keunecke, Kiel & Angelika Reiß, Berlin

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1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit geht u.a. der folgen-den in den Leitgedanken zur Tagung gestell-ten Ausgangsfrage nach: Spiegeln sich in den Leitideen neue mathematische oder di-daktische Ideen wider, oder werden Jahr-zehnte alte Konzepte nun erneut aufge-wärmt? Und leicht lässt sich hier "Leitidee" auch durch andere modische Schlagworte ersetzen. Um diese Frage(n) zu beantworten, werden ein Dutzend Schlagworte der aktuellen Dis-kussionen um Bildungsstandards oder auch um konstruktivistische Lernszenarien den Preußischen Richtlinien von 1925 und den von Walther Lietzmann in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts vertretenen Positionen zum Mathematikunterricht gegen-übergestellt. Es ist mir bewusst, dass im gegebenen Rahmen diese Gegenüberstellung plakativ bleiben muss, und so darf das Folgende ger-ne auch schlicht als eine Parabel von den möglichen Fortschritten bei der Weiterent-wicklung von Mathematikunterricht gelesen werden.

1.1 Mathematikdidaktik als Wissenschaft

Mathematikdidaktik ist heute die Berufswis-senschaft aller Mathematikunterricht in Theo-rie und Praxis Gestaltenden. Aber was macht Mathematikdidaktik eigentlich — unabhängig von ihrer Institutionalisierung durch Lehrstüh-

le an Universitäten, der Möglichkeit zur Pro-motion und dem Vorhandensein einer wis-senschaftlichen Gesellschaft — zu einer Wis-senschaft? Jean-François Lyotard hat in seinem Bericht "Das postmoderne Wissen" Wissenschaft als etwas bestimmt, das Erinnerung und Entwurf hat:

Das Spiel der Wissenschaft impliziert [...] eine diachronische Temporalität — eine Er-innerung und einen Entwurf. Dem aktuellen Sender einer wissenschaftlichen Aussage wird unterstellt, daß er von früheren [...] Aussagen Kenntnis hat [...] und daß er eine Aussage [...] nur hervorbringt, insofern sie sich von den früheren Aussagen unter-scheidet. (Lyotard 1999, 82f)

Neben der Zusammenarbeit mit den Bezugs-wissenschaften (Inter- und Transdisziplinäre Vernetzung) und den interessierten Blicken über den nationalen Tellerrand hinaus (Glo-bale Vernetzung) ist damit auch eine Histori-sche Vernetzung in der eigenen Tradition Voraussetzung für Wissenschaftlichkeit (vgl. Lambert 2004). Mathematikdidaktik ist eine junge Wissenschaft, die ihre eigene Ge-schichte noch kaum entdeckt hat. Die vorlie-gende Arbeit möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, notwendige Erinnerung an "frü-here Aussagen" aufzufrischen als ein Beitrag zur aktuellen wissenschaftlichen Diskussion.

[Die] allgemeine Pädagogik [...] sollte sich bei [...] geschichtlichen Dingen nicht auf-halten, ihr Gegenwartswert ist ausschlag-gebend. Comenius mag man gewiß er-wähnen, aber die für die Gegenwart frucht-tragende Pädagogik beginnt recht eigent-lich erst bei Pesta lozz i und Herbar t ;

Bildung und Standards im Mathematikunterricht — oder: Was schon beim alten Lietzmann steht

Anselm Lambert, Saarbrücken

So mancher Blick zurück zu den "Alten" fördert viel "Neues" zu Tage. Drei Beispiele: "Man soll viel mehr die Schüler zu eigenen Fragen kommen lassen. Der Lehrer soll

zurück treten, soll von Schülern gestellte Fragen von Schülern beantworten lassen." "Auch eine falsch gerechnete Aufgabe hat [...] für den Schüler Wert, wenn er findet,

wo der Fehler steckt." "Wir wollen unsere Schüler zur Selbständigkeit im geistigen Arbeiten erziehen, wollen

sie bewusst methodisch arbeiten lehren." Alles: Walt(h)er Lietzmann, 19?? Hier wird nun ein kleiner Überblick darüber geboten, was wir noch so alles — exempla-risch — schon damals bei Lietzmann finden.

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auch diese Männer sollte man nur verhält-nismäßig kurz als Väter unserer modernen Pädagogik, nicht als Beherrscher würdi-gen. Viel wichtiger erscheint eine Hervor-kehrung des psychologischen Einschlages der neueren Pädagogik, wobei man den Stürmern gegenüber recht kritisch sein wird, aber keineswegs die Ergebnisse ei-ner wissenschaftlichen Experimental-Psy-chologie beiseite schieben darf. (Lietzmann 1926, 111)

1.2 Warum ausgerechnet Walt(h)er Lietzmann?

Karl Julius Walther Lietzmann wurde am 7. August 1880 in Drossen (in der Nähe von Frankfurt/Oder) geboren. Er studierte in Ber-lin und Göttingen, wurde 1903 bei David Hil-bert promoviert und legte 1904 sein Staats-examen ab. Bereits 1908 wurde er Mitglied der Internationalen Mathematischen Unter-richts-Kommission (kurz: IMUK) und ab 1914 Direktor der Oberrealschule in Jena. 1916 erschien als erster Band seiner "Me-thodik des mathematischen Unterrichts" der "2. Teil: Didaktik der einzelnen Gebiete des mathematischen Unterrichts". Der "1. Teil: Organisation, Allgemeine Methode und Tech-nik des Unterrichts" folgte 1919. Im gleichen Jahr wurde er Direktor der Oberrealschule mit Reformgymnasium in Göttingen und er-hielt 1920 einen Lehrauftrag für Didaktik der exakten Wissenschaften an der Universität in Göttingen, an der er später Honorarprofessor wurde.

Abb. 1: Walther Lietzmann (aus Lietzmann 1960)

Von 1923 bis 1926 erschien dann die überar-beitete 2. Auflage, ergänzt um einen "3. Teil: Didaktik der angewandten Mathematik".

Neben den hier genannten Werken hat er ungezählte weitere verfasst bzw. herausge-geben, u.a. auch Schulbücher, Populärwis-senschaftliches und nicht zuletzt (gemeinsam mit Viggo Trier) ein Buch zu Schülerfehlern, das immer wieder überarbeitet neu aufgelegt wurde. Walther Lietzmann ist der Vorläufer einer Theorie und Praxis integrierenden Mathema-tikdidaktik, die in wissenschaftlicher Vernet-zung nach Eigenständigkeit strebt. Seine dreibändige Methodik überragt auch heute noch viele der späteren Versuche, Mathema-tikdidaktik monographisch zu erfassen, und sie ist trotz ihres Alters überraschend aktuell (geblieben): es gibt weniger alte Literatur mit einer deutlich höheren Quote inzwischen verworfener Standpunkte, etwa aus den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Pro-grammierten Unterricht oder aus den 70er Jahren zu Feinstgliederungen von Lernzie-len.

1.3 Methodische Bemerkung Die vorliegende Arbeit bedient sich bewusst ausschließlich bei (Lietzmann 1926), auch um damit zu demonstrieren, dass viele der "neuen" Ideen schon bei den "Alten" nicht nur vereinzelt, sondern bereits systematisch zu-sammengetragen vorlagen.

2 Die preußischen Richtlinien von 1925

Beginnen wir nun also mit dem angekündig-ten Blick in die preußischen Richtlinien aus dem Jahre 1925, die in der Tradition der Me-raner Lehrpläne von 1922 stehen. Dort fin-den wir vorangestellt als "Allgemeines Lehr-ziel" kurz und bündig:

Sicherheit und Gewandtheit im Rechnen mit bestimmten Zahlen, besonders auch im Kopfrechnen, und in der Anwendung dieser Fähigkeiten auf das bürgerliche Leben. Schulung in der richtigen Auffassung von Größenwerten. Erarbeitung und Aneignung von sicheren mathematischen Kenntnis-sen, die zu der Einsicht führen, daß Ma-thematik eine geordnete, aus sich aufbau-ende Wissenschaft ist. Erzielung der Fä-higkeit, das Mathematische in Form, Maß, Zahl und Gesetzmäßigkeit an den Gegen-ständen und Erscheinungen der Umwelt zu erkennen und die gewonnene Erkenntnis selbständig anzuwenden; insbesondere Entwicklung des räumlichen Anschauungs-vermögens und der Fertigkeit im mathema-

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tischen Auffassen der gegenseitigen Ab-hängigkeit veränderlicher Größenwerte. Schulung im logischen Schließen und Be-weisen und ein gewisses Verständnis für den philosophischen Gehalt der mathema-tischen Verfahren und die geistesge-schichtliche Bedeutung der Mathematik. (nach Lietzmann 1926, 261f)

Es war also damals u.a. Ziel des Mathema-tikunterrichts die Lernenden zu befähigen (Output!), "das Mathematische in Form, Maß, Zahl und Gesetzmäßigkeit [...] zu erkennen und [...] selbständig anzuwenden" und die "gegenseitige Abhängigkeit veränderlicher Größenwerte" mathematisch aufzufassen. Das erinnert doch an die neuen Bildungs-standards! Den "philosophischen Gehalt" der Mathematik und ihre "geistesgeschichtliche Bedeutung" finden wir dort allerdings nicht so exponiert.

2.1 Schlagwort: Leitidee In den aktuellen Bildungsstandards finden wir die fünf Leitideen Zahl, Messen, Raum und Form, Funktionaler Zusammenhang, Daten und Zufall (Letztere steht so nicht explizit in den Zielen von 1925):

[Mathematische Kompetenzen] sind jeweils ausgewählten mathematischen Leitideen zugeordnet, um Verständnis von grundle-genden mathematischen Konzepten zu er-reichen, Besonderheiten mathematischen Denkens zu verdeutlichen sowie Bedeu-tung und Funktion der Mathematik für die Gestaltung und Erkenntnis der Welt erfah-ren zu lassen. Folgende mathematische Leitideen sind zu Grunde gelegt: - Zahl - Messen - Raum und Form - Funktionaler Zusammenhang - Daten und Zufall (KMK 2003, 13)

Warum es hier "Zahl", aber nicht "Maß" heißt, bzw. "Messen", aber nicht "Zählen", bleibt geheimnisvoll; — da waren die alten Preu-ßen konsequenter. (Ebenso merkwürdig ist es, dass in (KMK 2003) auf Seite 3 "Persön-lichkeitsentwicklung und Weltorientierung" als ein Ziel schulischer Bildung genannt wer-den, auf Seite 9 aber "Persönlichkeitsent-wicklung und Wertorientierung"; — ist das denn das Gleiche, oder ist das gar egal?)

2.2 Schlagwort: Kompetenzen Neben den Leitideen verwenden die aktuel-len Bildungsstandards allgemeine mathema-

tische Kompetenzen als Ordnungskriterium. Damit:

Aus Inhalt und Aufbau der Bildungsstan-dards können Anhaltspunkte für die Gestal-tung des Mathematikunterrichts abgeleitet werden, die an den Lernprozessen und Lernergebnissen der Schülerinnen und Schüler orientiert sind und nicht allein von der Fachsystematik der mathematischen Lerninhalte abhängt [sic!]. (KMK 2003, 9) Gerade in älteren Lehrplänen wurde teil-weise bis ins Detail festgelegt, welche In-halte in welcher Reihenfolge mit welchen Mitteln zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr behandelt werden müssen. Bildungs-standards fokussieren hingegen auf die Ergebnisse ("outcome") des Lehrens und Lernens. (Reiss 2004, 68) Bildungsstandards orientieren sich an den Kompetenzen der Schülerinnen und Schü-ler. Dabei sind Kompetenzen "die bei Indi-viduen verfügbaren oder durch sie erlern-baren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkei-ten, um bestimmte Probleme zu lösen, so-wie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können" (vgl. Weinert 2001, 27f). Es geht also nicht nur darum, Wissen zu erwerben; untrennbar damit verbunden ist vielmehr der An-spruch, dass dieses Wissen auch sinnvoll angewendet werden kann. Auch hier ge-hen Bildungsstandards über die herkömm-lichen Lehrpläne hinaus. (Reiss 2004, 68f)

Da der Mathematikunterricht als etwas in seiner fachlichen Starre Gefangenes ange-sehen wird, glaubt man, so einen wichtigen neuen Schritt zu unternehmen. Die sechs Kompetenzen (K 1) Mathematisch argumentieren (K 2) Probleme mathematisch lösen (K 3) Mathematisch modellieren (K 4) Mathematische Darstellungen

verwenden (K 5) Mit methodischen, formalen und tech-

nischen Elementen der Mathematik umgehen

(K 6) Kommunizieren sollen in der Auseinandersetzung mit ma-thematischen Inhalten im Verbund erworben bzw. angewendet werden (vgl. KMK 2003, 11). Diese Kompetenzen werden ausdiffe-renziert in je drei Anforderungsbereiche mit zunehmender kognitiver Komplexität:

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Anforderungsbereich I: Reproduzieren Dieses Niveau umfasst die Wiedergabe und direkte Anwendung von grundlegen-den Begriffen, Sätzen und Verfahren in ei-nem abgegrenzten Gebiet und einem wie-derholenden Zusammenhang. Anforderungsbereich II: Zusammenhänge herstellen Dieses Niveau umfasst das Bearbeiten be-kannter Sachverhalte, indem Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten verknüpft werden, die in der Auseinandersetzung mit Mathematik auf verschiedenen Gebieten erworben wurden. Anforderungsbereich III: Verallgemeinern und Reflektieren Dieses Niveau umfasst das Bearbeiten komplexer Gegebenheiten u.a. mit dem Ziel, zu eigenen Problemformulierungen, Lösungen, Begründungen, Folgerungen, Interpretationen oder Wertungen zu gelan-gen. (KMK 2003, 17)

Zur Illustration der Leitideen und der allge-meinen mathematischen Kompetenzen liefert die KMK vierzehn Aufgabenbeispiele (inkl. je einer Lösungsskizze), die auch

zur Adaption und schöpferischen Diskussi-on für Lehrkräfte und Fachkollegien ge-dacht (KMK 2003, 10)

sind. Bevor wir uns hier nun einer solchen Aufgabendiskussion zuwenden, schauen wir noch einmal weit zurück. In den amtlichen preußischen Richtlinien zu den Lehrplänen für die höheren Schulen von 1925 werden "Methodische Bemerkungen" vorausge-schickt. Diese beginnen mit der Darstellung der Allgemeinen Grundsätze. Dann erst fol-gen konkrete Bemerkungen zum Rechnen, zu Arithmetik, Algebra und Analysis und zur Geometrie.

Methodische Bemerkungen I . A l lgemeine Grundsätze. 1. Auf kla-rem Verständnis beruhende, sichere ma-thematische Kenntnisse sind unter ständi-ger Anpassung an die Fassungskraft der Schüler und durch ihre geistige Mitarbeit nach dem Lehrverfahren des Arbeitsunter-richts zu gewinnen bei Verzicht auf gedan-kenloses Auswendiglernen von Erklärun-gen, Sätzen und Regeln und grundsätzli-cher Ausschaltung des Auswendiglernens von Beweisen. Der Lehrstoff ist dahin zu sichten, daß nur solche Sätze und Verfah-ren, die für den inneren Zusammenhang und für die praktische Anwendung einen Wert haben, im Unterricht erarbeitet wer-den. Der Gedächtnisstoff ist auf das Not-wendigste einzuschränken, aber durch fort-gesetzte Wiederholung zu sichern.

2. Das mathematische Wissen ist durch das Lösen von Aufgaben zum Können zu entwickeln. Die Aufgaben sollen sich nicht auf das Einüben des Lehrstoffs beschrän-ken, sondern auch auf das Aufsuchen geo-metrischer und arithmetischer Sätze und auf die Fertigkeit im Schließen und Bewei-sen Wert legen und allmählich zu geistiger Selbständigkeit bei der Behandlung mathe-matischer Fragen führen bis zur Lösung größerer zusammenhängender Probleme. 3. Angewandte Aufgaben sollen der Wirk-lichkeit entnommen sein und zu praktisch wertvollen Ergebnissen führen. Durch Be-rücksichtigung der anderen Unterrichtsfä-cher und der Umwelt des Schülers sind die Anwendungen für sachliche Belehrungen nutzbar zu machen, besonders über die Erscheinungen des wirtschaftlichen Le-bens. Darüber darf aber die Fertigkeit im eigentlichen Rechnen nicht verloren gehen. In den Anwendungen ist engste Verknüp-fung mit der Heimatkunde anzustreben. 4. Der Schüler ist schon frühzeitig dazu anzuleiten, durch einen einfachen Über-schlag oder einen zeichnerischen Entwurf vor der genauern Ausführung seiner Auf-gabe sich Rechenschaft zu geben über das zu erwartende Ergebnis. Es muß ihm zum Bedürfnis werden, sich ein Urteil zu bilden über die Frage nach der Lösbarkeit und der Art und der Anzahl der Lösungen und schließlich die Probe zu machen. 5. Die schon auf der Mittelstufe erzielte Einsicht in die Grenzen der Genauigkeit solcher Rechnungen, die mit Messungen zusammenhängen, wird in den oberen Klassen in allen geeigneten Fällen zu einer Abschätzung der im Endergebnis erreich-ten Genauigkeit gesteigert. 6. Auf Sorgfalt des sprachlichen Ausdrucks und Gewöhnung an klare, übersichtliche Darstellung ist auf allen Stufen größter Wert zu legen. 7. Die Geschichte der Mathematik ist grundsätzlich im Unterricht zu berücksich-tigen bei der Entwicklung des Lehrstoffs ebenso wie bei der Aufgabenstellung. Der Zusammenhang mit der allgemeinen Kul-turentwicklung ist dabei nach Möglichkeit hervorzuheben. Die Schüler der oberen Klassen sind auch zum Lesen geschicht-lich bedeutsamer mathematischer Schrift-steller anzuregen. 8. Die mathematische Bezeichnungsweise folgt den Vorschlägen zur Vereinheitli-chung der mathematischen Bezeichnungen des deutschen Ausschusses für den ma-thematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht. (nach Lietzmann 1926, 262)

Verwenden wir nun eine mathematische Dar-stellung zur Beschreibung von Zusammen-hängen:

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(K1) (K2) (K3) (K4) (K5) (K6) 1., 2.,

3. 2., 4. 3., 4., 5.

3., 6., 8. 3. 6., 8.

Die damals zum 7. Grundsatz erhobene be-wusste kulturelle Einbettung von Mathematik gehört heute nicht mehr zu den explizit ge-forderten Kompetenzen! Wir kommen nun zu der angekündigten Dis-kussion einer Beispielaufgabe aus den Bil-dungsstandards der KMK. Kristina Reiss hat die folgende Aufgabe "Vertragshandy oder Kartenhandy?" hervorgehoben als eine, die

exemplarisch eine Idee von den angestreb-ten Zielen (Reiss 2004, 69)

gibt: Eine Firma bietet Vertragshandys und Kar-tenhandys zu folgenden Konditionen an: Vertragshandy Teddy Active AIKON 3410 Handy 0,00 € Grundgebühr monatlich: 9,95 € Gesprächskosten pro Minute 0,175 €* SMS 0,19 € Bereitstellungsgebühr: 24,95 € (Einmalige Zahlung) Weitere Kosten: keine Kartenhandy Teddy ExtraPlus AIKON 3410 Handy 129,95 € einschließlich 15 € Gesprächsguthaben Grundgebühr monatlich: 0,00 € Gesprächskosten pro Minute 0,412 €* SMS 0,19 € Weitere Kosten: keine * Bei der Errechnung der Gesprächskosten pro Minute wurde ein durchschnittlicher Wert angenommen. Geben Sie eine Kaufberatung, die hilfreich ist für eine Entscheidung zwischen Ver-tragshandy und Kartenhandy. Gehen Sie bei Ihren Überlegungen von ei-ner Nutzungsdauer von 24 Monaten aus (Vertragslaufzeit) und berücksichtigen Sie die "telefonierten" Minuten pro Monat.

In den Bildungsstandards der KMK ist diese Aufgabe eingeordnet als Modellierungsauf-gabe im II. Anforderungsbereich, die der Leit-idee des Funktionalen Zusammenhangs folgt. Betrachten wir sie doch einmal vor dem Hin-tergrund der alten Grundsätze: Dort wird ver-langt (s.o.)

Anwendungen für sachliche Belehrungen nutzbar zu machen, besonders über die Er-scheinungen des wirtschaftlichen Lebens.

Und es ist die Rede von der Einsicht in die Grenzen der Genauigkeit solcher Rechnungen, die mit Messungen zusammenhängen.

Diesen (alten?) Ansprüchen wird die Aufgabe nicht gerecht: Über das Messen (Leitidee!) des verwendeten zufallsbehafteten (Leit-idee!) durchschnittlichen Werts für die Ge-sprächskosten pro Minute wird nichts gesagt, und genau an dieser Stelle liegt doch das ei-gentliche Problem bei der Modellierung von Handykosten, denn wer weiß schon genau, wie viele Minuten sie oder er pro Monat tele-foniert oder gar wie diese Minuten sich auf Haupt-, Neben- und Wochenendtarife und Wer-weiß-was-noch verteilen. Die Musterlö-sung

Mögliche Kundenberatung könnte sein: "Wenn Sie mehr als 26 Minuten im Monat telefonieren, dann lohnt sich ein Vertrags-handy." (Der genaue mathematische Wert beträgt 26,2 min.) (KMK 2003, 38)

entpuppt die behauptete Modellierung einer komplexen realen Si-tuation (a.a.O.)

letztlich als Einkleidung. Die wirkliche ma-thematische Modellierung der Kosten bei un-terschiedlichen Handytarifen kann mit einer solchen Aufgabe nicht gelernt werden. Die einzige sachliche Belehrung, die hier erfol-gen kann, ist die, dass man es sich nicht so einfach machen darf, wenn man Modellbil-dung ernst nehmen möchte! (Vgl. auch Hi-scher & Lambert 2005 sowie Lambert 2005.)

2.3 Schlagwort: Kerncurriculum Im Zuge der Implementierung der Bildungs-standards entwickeln viele Länder nun Kern-curricula, die i.d.R. weniger detailliert als bis-her üblich konkrete inhaltliche Vorgaben für den Mathematikunterricht machen sollen und den einzelnen Schulen und Lehrpersonen mehr eigenen Gestaltungsspielraum zuge-stehen und diese somit vermehrt mit in die Verantwortung nehmen.

Der Lehrer entnimmt seine Aufgabe dem Lehrplan. Dieser wiederum ist durch amtli-che Verfügungen gegeben und ist an der Mehrzahl der Anstalten noch weiter ausge-baut, sei es nun, daß eine Verteilung des Stoffes auf die einzelnen Vierteljahre oder Tertiale vorgenommen ist, sei es, daß im Anschluß an die eingeführten Lehrbücher der durchzunehmende Stoff näher be-zeichnet ist. [...] Immer sind es aber im normalen Falle nur wenige Sätze, die über das Jahrespensum orientieren; sie sind der knappe Leitfaden für die Arbeit eines gan-

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zen Jahres. Wie hat sich der Lehrer mit dieser Aufgabe abzufinden? Der erste Schritt ist die Verteilung des ge-samten Jahrespensums auf die einzelnen Vierteljahre, auf die einzelnen Monate un-ter sorgfältiger Berücksichtigung der Fe-rien, der vor der Versetzung oder der Prü-fung einsetzenden Wiederholungen usw. Nur so ist der bei Anfängern sehr häufigen Gefahr vorzubeugen, daß das Pensum schon nach vier Wochen "fertig" ist, nur so ist auch dem Übelstande entgegen zu ar-

beiten, daß manche Lehrer nie mit ihrem Pensum fertig werden. (Lietzmann 1926, 144)

Inhaltlich werden die neuen Kerncurricula si-cherlich sehr dicht am alten preußischen Lehrplan liegen (auch wenn das Ordnungs-kriterium ein anderes ist); die Stochastik wird heute ihren gebührenden Platz einnehmen, die Geometrie, verglichen mit damals, leider weiter stark reduziert in Erscheinung treten.

Abb. 2: Lehrplan von 1925 zusammengefasst von Walther Lietzmann in Gestalt eines Stichwortschemas.

Er kommentiert dieses Vorgehen mit den Worten: "Was mit den einzelnen Stichworten gemeint ist, wird jedem Lehrer ohne weiteres klar sein." (vgl. Lietzmann 1926, 252f)

3 Thema: Instruktion vs. Konstruktion

Neben bzw. mit der Diskussion um Bildungs-standards ist die Diskussion um Unterrichts-gestaltung im Spannungsfeld von Instruktion und Konstruktion heute in vollem Gange (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl 2001). Unter

anderem wird beklagt, dass Unterricht oft zu lehrer- und stoffzentriert gedacht und ge-macht wird. Diese Klage hat schon eine lan-ge Tradition, und die Reformpädagogen ha-ben zahllose der heute (wieder) angeführten Argumente zu Instruktion und Konstruktion bereits vor vielen Jahren abgearbeitet.

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3.1 Arbeitsunterricht in der Reformpädagogik

Ideen konstruktivistischen Lernens findet man bereits im reformpädagogischen Ar-beitsunterricht, der reflektierende Selbsttätig-keit des Schülers als Lernmethode wollte. Das theoretische und praktische Werk von Hugo Gaudig — der sich in seiner erfolgrei-chen Reformschule auf ein von ihm selbst ausgewähltes Kollegium stützen konnte — hatte (u.a. neben dem von Georg Ker-schensteiner) wesentlichen Einfluss auf die Reformpädagogik.

Der Schulreformer Gaudig dachte weit über seine Zeit hinaus; er wusste, das Ge-sicht der deutschen Schule lässt sich nicht so rasch umprägen, wie ihm das gemein-sam mit seinem Wahlkollegium in seiner Leipziger Schule gelang. Die Schule um 1900, als Gaudig sein Werk begann, war eine Wissensschule, in der vom Schüler im Wesentlichen verlangt wurde, dass er auf-merksam — mit gefalteten Händen — die Worte des Lehrers aufnahm und seine Fragen rasch in vollständigen Sätzen be-antwortete. Was immer in der Schule ge-schah, wurde ausschließlich vom Lehrer bestimmt. Er führte z.B. die physikalischen und chemischen Experimente selbst aus; in den Unterklassen schrieb er den "Auf-satz” an die Tafel, der Schüler schrieb ihn dann auswendig wörtlich auf. Gezeichnet wurde meist nach Vorlage; ein ganzes Jahr lang nichts anderes als Quadrat, Kreis, Oval, Spirale, Schnecke — alles ohne Li-neal und Zirkel. Auch die Schülerschrift musste die vorgeschriebenen Formen nachahmen. Es wurde vieles wörtlich aus-wendig gelernt, oft recht trockener Stoff. Man saß in einer Rangordnung, die von den Leistungen bestimmt war... Die Schule war eine Anstalt, die mit dem bunten Leben draußen kaum Berührung hatte... An der von Gaudig geleiteten Schule herrschte ein neuer Geist, eine frohbeweg-te Atmosphäre. Die Lehrer zeigten den Schülern Wege, wie sie sich selbständig Wissen erwerben könnten. Die Kinder lern-ten beobachten, sich in eine Dichtung ein-leben, zu einem Geschehen Stellung neh-men... Miteinander kamen die Glieder der Klasse ins Gespräch; sie durften, ja sollten fragen, in den Unterricht vieles von ihrem Leben außerhalb der Schule hineintragen, wo es gesichtet, geordnet und geklärt wur-de. Im Lehrer sahen sie den Helfer, dem man vertrauen konnte, wie auch er Ver-trauen in die Kräfte und den guten Willen der Schüler setzte. (Müller 1960)

Der hier geschilderte Unterricht erinnert an viele der heutigen Vorschläge zu neuem gu-ten Unterricht. Das Zitat erinnert aber implizit

auch daran, dass Unterrichtskultur oft durch persönliche Erfahrung, durch eigenes Erle-ben tradiert wird (was der Wirksamkeit von aufgesetzten Reformen entgegenläuft): Char-lotte Müller war Schülerin von Gaudig und hat dann später als Schulleiterin dessen Ideen auch an ihrer eigenen Schule lebendig werden lassen. Lietzmanns Methodik ist durch die Reform-pädagogik und ihren Arbeitsunterricht be-fruchtet worden, auch und gerade weil er sich kritisch mit ihr auseinander setzte (vgl. etwa Lietzmann 1926, 148f und 162f).

Die Vertreter der Gaudigschen Methode sind — was man ihnen nicht übel nehmen kann — sehr tatkräftig für ihre Ansichten eingetreten, sie schießen aber nach meiner Meinung mit ihrer Kritik der Frage-Antwort-methode über das Ziel hinaus. Die Frage-Antwortmethode ist gar nicht so schlecht, wie sie gemacht wird. Auch von der Gau-d igschen Methode lässt sich ohne Schwie-rigkeiten ein auf Tatsachen gestütztes Zerrbild entwerfen. Wenn die Fragen für das allgemeine Klassenniveau zu leicht sind, wenn sie lediglich suggestiv wirken, dann liegt der Fehler eben nicht an der Me-thode, sondern am Fragenden [...]. Der Klassenunterricht muß [...] unbedingt auf das Durchschnittsniveau eingestellt sein. Ich sehe geradezu den Mißerfolg des Ma-thematikunterrichts der älteren Zeit darin, daß diese Einstellung verabsäumt wurde. [...] Die mittlere Einstellung erfordert nun aber, daß gleichwohl auch Fragen fallen, die für die allerschlechtesten Schüler be-antwortbar sind, und andererseits natürlich auch Fragen für die mathematischen Köp-fe. Noch einmal sei es gesagt, die Frage-Antwortmethode braucht durchaus nicht ein Feind gesteigerter Selbsttätigkeit zu sein; wenn sie es sein sollte, liegt es an der falschen Art ihrer Einstellung auf die Schü-ler. (Lietzmann 1926, 149)

3.2 Schlagwort: Frontalunterricht Den Spannungsbogen von der Instruktion zur Konstruktion können wir bei der gelenkt ex-positorischen Unterrichtsmethode beginnen lassen (vgl. Wiechmann 1999, 18).

Die nächstliegende Methode, die auch lan-ge Zeit in unseren höheren Schulen ge-herrscht hat und heute in manchen Fä-chern noch überwiegt, ist die [...] des Vor-trags [...]. Im Leben der höheren Schule durchaus nicht selbstverständliche Dinge wie Aufmerksamkeit, Interesse, [...] beson-dere Veranlagung für den Gegenstand der Darbietung werden als vorhanden voraus-gesetzt [...].

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Andererseits ist es eine Forderung, die man nicht einfach ablehnen darf, unsere Schüler darin zu üben, einen längeren Vor-trag mit Gewinn aufzufassen. Die übliche Fortbildung des Erwachsenen ist nun einmal der Vortrag [...]. (Lietzmann 1926, 145)

Auch heute noch werden auf didaktischen Tagungen i.d.R. Vorträge (meist medial illus-triert) gehalten — sogar über konstruktivisti-sche Lernarrangements! Frontalunterricht ist nicht gleich Frontalunter-richt. Schon der klassische Frontalunterricht kennt eine leistungsfähige Variation, da im Gegenüber von Lernenden und Lehrperson Potenzial zur Binnendifferenzierung steckt:

Man kann aber auch, statt in einer Front vorzugehen, den Einzelunterricht in der Klasse aufrecht erhalten. Jeder Schüler hat seine einzelne Aufgabe, der Lehrer geht von einem Schüler zum anderen, hilft hier und dort ein, kontrolliert hier und dort, kurz, es ist nicht ein Gegenüber von Klasse und Lehrer, sondern ein vielfältiges Gegenüber von Einzelschüler und Lehrer. (Lietzmann 1926, 146)

3.3 Schlagworte: Entdeckendes Lernen und Heuristiken

Eine Skala im Entscheidungsfeld der Unter-richtsmethoden, auf der von der Lehrperson eine situations- und problemadäquate Ent-scheidung getroffen werden muss, ist die vom expositorischen bis zum entdeckenden Vermittlungsstil (vgl. Wiechmann 1999, 14).

Um seine Unterrichtsmethode besonders deutlich zu machen, ließ Pesta lozz i eini-ge Knaben zu Bel l aufs Zimmer rufen, und dieser sollte nun selbst die Knaben prüfen. Er fragte nach dem Beweis des py-thagoreischen Lehrsatzes. Einer der Kna-ben gab einen Beweis. Das sei nicht der richtige, sagte Bel l. Der Knabe: Er könne es auch anders beweisen. Und die übrigen Knaben: Sie hätten auch Beweise gefun-den. Es wurden noch ein paar Beweise gemacht, um zu sehen, ob der englische nicht darunter wäre. Indes er fand sich nicht darunter, und Bel l blieb dabei, das sei der beste, den sie in englischen Schu-len hätten. (Lietzmann 1926, 147)

Die Effizienz und Nachhaltigkeit des entde-ckenden Vermittlungsstils kann man durch die Bildung impliziter oder expliziter, fach-spezifischer oder übergreifender Heuristiken steigern (vgl. auch Bruder 2002).

Ackermann bemerkt dazu ganz richtig: Der Engländer konnte eben nicht be-greifen, daß es nicht darauf ankommt, dem

Schüler einige Rezepte zu geben, daß es "unendlich besser sei, ihr Denken und Können so zu entwickeln, daß sie sich bei den verschiedenen Vorfällen des Lebens selbst zu helfen, selbst Rezepte zu schrei-ben wüßten." Wir nennen unsere Methode die heur is t i -sche, der Franzose hat den Ausdruck méthode de redécouver te geprägt. Der Schüler soll unter der leitenden Hand des Lehrers, selbst die Ergebnisse finden, die er sucht. (Lietzmann 1926, 147)

Nebenbei bemerkt: Wilhelm Heinrich Acker-mann lebte von 1789 bis 1848, und schon Lietzmann verweist im Zusammenhang mit Problemlösestrategien auf George Pólya (Lietzmann 1926, 52).

3.4 Schlagworte: Selbstlernen und Metakognition

Selbsttätigkeit der Lernenden stand in den reformpädagogischen Ansätzen im Vorder-grund, und schon damals war klar, dass die zu erzielende Selbstständigkeit immer einer Reflexion durch die Lernenden bedarf.

Unser Unterricht steht jetzt — oder er soll noch so eingestellt werden — im Zeichen des Arbeitsunterrichts: Wir wollen unsere Schüler zur Selbständigkeit im geistigen Arbeiten erziehen, wollen sie bewußt me-thodisch arbeiten lehren. (Lietzmann 1926, VII) Will man im Arbeitsunterricht wirklich vor-wärtskommen, dann muß man den Schü-lern eine gewisse Untersuchungstechnik beibringen oder besser gesagt, sie von ih-nen erarbeiten lassen. (Lietzmann 1926, 163) Handwerksregeln für die geistige Arbeit muß sich eine Arbeitsgemeinschaft sam-meln. Ziel des Arbeitsunterrichtes ist [...] nicht bloß das Erarbeitete selbst. Neben dieses materiale Ziel tritt das formale, die Einsicht in den Vorgang des Erarbeitens. (a.a.O.)

Bewusste Methode d.h. selbst gesammelte Regeln und reflektierte Einsicht in den Pro-zess des Erarbeitens von Wissen subsum-miert man heute unter Metakognition.

Metakognition (engl. "metacognition") ist der seit Mitte der 70er Jahre verwendete Sammelbegriff für eine Reihe von Phäno-menen, Aktivitäten und Erfahrungen, die mit dem Wissen und der Kontrolle über ei-gene Kognitive Funktionen (z.B. Lernen, Gedächtnis, Verstehen, Denken) zu tun ha-ben. [...] "Bewusstheit" ist [...] ein wesentli-ches Bestimmungsstück von Meta-kognition. Die Fähigkeit, über eigene Ge-danken und eigenes Verhalten zu reflektie-

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ren, spielt eine wichtige Rolle für planvolles und selbstregulatives Lernen. (Hasselhorn 2001, 466)

Heute (wie damals) sieht man im selbstge-steuerten Lernen eine viel versprechende neue Lerntechnik. Aber auch heute noch gibt es Bedarf an pädagogisch-psychologischer Forschung zum selbstgesteuerten Lernen, um zu klären, warum genau es wie genau funktioniert:

Viele Modelle des selbstgesteuerten Ler-nens beruhen eher auf einer Systematisie-rung der vielfältigen Einzelfaktoren, die Be-standteile des selbstgesteuerten Lernens sind, als auf einer klaren Spezifikation des Zusammenspiels psychologischer Prozes-se, die für selbstgesteuertes Lernen kenn-zeichnend sind. Dementsprechend fehlen derzeit präzise Erkenntnisse über die not-wendigen und hinreichenden Bedingungen für erfolgreiches selbstgesteuertes Lernen. (Brunstein & Spörer 2001, 625)

3.5 Schlagwort: Fehler Die Bedeutung des konstruktiven Umgangs mit Fehlern bei der individuellen Konstruktion von Wissen ist in den derzeitigen Lehr-Lern-Theorien wenig umstritten (vgl. auch Fischer & Malle 1985, 2.6).

Fehler machen ist gut? Wer etwas Neues lernt, macht Fehler. Leider haben wir in Deutschland eine Verteufelung des Feh-lers. Dabei ist er der beste Indikator dafür, was man noch nicht kann. Lehrer, die Feh-ler ihrer Schüler "lesen", wissen, wo der Lernprozess des Kindes hängt, und kön-nen gezielt helfen. Fehler sind ein wichtiger Bestandteil des Lernens. (Prenzel 2004, 148)

Lietzmann ging bereits einen Schritt weiter: Lernende sollten auch im Umgang mit ihren eigenen Fehlern selbsttätig vorgehen (kön-nen).

Auch eine falsch gerechnete Aufgabe hat [...] für den Schüler Wert, wenn er findet, wo der Fehler steckt. (Lietzmann 1926, 175)

3.6 Schlagwort: Lehrperson Obwohl derzeit das Selbstgesteuerte Lernen eine Renaissance erlebt, bleibt die Institution Lehrperson im Rahmen des schulischen Ler-nens weiter weitgehend unangetastet. Ihre Aufgabe wird von der Wissensvermittlung zur Moderation umdefiniert.

Spiegel: Ist die viel kritisierte deutsche Leh-rerschaft zu einem [...] Umdenken in der Lage?

Schleicher: Ja, wenn ihnen ein Arbeitsum-feld geschaffen wird, in dem sie selbst kre-ative Lösungen für die Probleme finden können [...]. (Schleicher 2004, 13) Was man vom Schüler fordert, sollte man erst recht vom Lehrer erwarten dürfen. Auch er soll frei seine Arbeitsweise selbst wählen. Ratschläge kann man ihm geben. Ihm die Entscheidung bei der Wahl des Weges abnehmen, heißt, ihn zum geistigen Sklaven machen, heißt, der Bequemlichkeit Vorschub leisten. (Lietzmann 1926, VII)

Nach der Statistik in Spiegel Special 3/2004 Seite 61 beträgt die jährliche Unterrichtszeit einer Lehrperson in Stunden in Deutschland 735 Stunden in Finnland hingegen 555. In der wilhelminischen Zeit bis in die 1920er Jahre hielt eine Lehrperson am Gymnasium 18 Unterrichtsstunden; heute: 18+x (mit x>5).

4 Weitere Schlagworte

Bei den bisher angeführten Schlagworten gab es viele Parallelitäten zwischen damals und heute zu entdecken; — und um Miss-verständnissen vorzubeugen: das heutige Wissen um Lernprozesse ist sicher detaillier-ter als das damalige. Neben den bisher genannten Schlagworten spielen aber noch weitere in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle: im Rahmen der mathematical literacy die Betonung der "Anwendungen von Mathematik" und im Zu-ge der Umsetzung der Bildungsstandards "Zentrale Prüfungen". Bei diesen beiden bleiben nun mehr Spannungen.

4.1 Schlagwort: Anwendungen von Mathematik

Lietzmann propagierte in der Tradition Hugo Gaudigs und im Einklang mit den oben zitier-ten preußischen Richtlinien authentische Problemlösungen.

Es war in einem Landerziehungsheim, in einer Quinta, in der ersten Rechenstunde nach den großen Ferien. Einer der Schüler war aus seinem Elternhaus in Berlin ins Heim zurückgekehrt. Der Lehrer hatte ihm aufgetragen, sich nach allen die Kosten seiner Autofahrt angehenden Dingen ge-nau zu erkundigen. Er berichtete also: An Benzin verbraucht man für 230 km 65 l, an Öl verbraucht man in 3 Stunden 25 l, vom Benzin kostet das Liter 14.– M, vom Öl 12.– M (es war im Jahre 1919, als ich die Unterrichtsstunde hörte). Karbid kostete das kg 10.– M. Man rechnet auf die Le-bensdauer eines Reifens 7000 km, ein Rei-

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Bildung und Standards im Mathematikunterricht — oder: Was schon beim alten Lietzmann steht

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fen kostet 6000.– M, ein Auto mit Reifen 70 000.– M. Das etwa waren die Angaben des Jungen; sie kamen nicht auf einmal heraus, manches wurde von den Kamera-den erfragt. Jedenfalls hatte man nun ein gewisses Sachmaterial beieinander.

(Und selbstverständlich erfolgte die ganze Modellbildung in selbstgesteuerter Selbsttä-tigkeit:)

"Ich gebe euch eine Minute Zeit; überlegt was ihr rechnen wollt!" sagte der Lehrer. Nach und nach kamen die folgenden Pro-bleme zum Vorschein: "Was kostet die Fahrt hierher?" — "Was hat Rehberg ge-spart dadurch, daß er mit dem Auto und nicht mit der Eisenbahn hierher gefahren ist?" — "Wieviel kostet das ganze Benzin?" Schon diese Auslese lehrt, wie wirklich wissenswerte Probleme neben zunächst belanglosen Teilfragen stehen. Man entschied sich dafür, die zweite Frage zu behandeln, die ja die erste mit ein-schließt. Die Schüler brachten aus ihrem Material nach und nach die Einzeldaten heran; selten brauchte der Lehrer ein-zugreifen. Sie fragten erst: "Ist denn ein Reifen kaput gegangen", sahen aber dann selbst ein, daß man, trotzdem das nicht der Fall gewesen, die Abnützung in Rechnung stellen müßte. Sie rechneten erst lustig mit einem Reifen, bis einer plötzlich daran dachte, daß der Wagen ja vier hat. Sie ent-schieden selbst, daß man die Abnützung des ganzen Wagens nicht in Rechnung stellen wollte, weil man keine Unterlagen dafür hätte. Das übrige mag sich der Leser selbst ausmalen. (Lietzmann 1926, 162)

Aber Lietzmann wusste auch, dass Mathe-matikunterricht nicht nur aus Anwendung be-stehen kann, dass das im Laufe der Kultur-geschichte hochstrukturiert erwachsene Ge-samtkunstwerk Mathematik kaum zum reinen Selbstentdecken taugt; — hier schlägt die Stunde der Lehrperson.

Es ist kein Wunder, dass der Arbeitsunter-richt besonders fruchtbar da ist, wo es sich um Anwendungen der Mathematik han-delt. Probleme, die man in Anwendung ma-thematischen Wissens behandeln kann, gibt es in Hülle und Fülle [...]. Größere Schwierigkeiten sehe ich bei der Erarbeitung des Systems. Es ist kein Zwei-fel: ein Schüler oder eine Arbeitsgemein-schaft kann sich nicht die Frucht einer Jahrtausende zu ihrer Entwicklung gebrau-chende Wissenschaft in neun Jahren selbst erarbeiten. Schwierigkeiten sehe ich ebenso bei der Mechanisierung der Me-thoden. Die Schüler, die lange aufs lebhaf-teste darüber debattierten, wie man wohl am zweckmäßigsten zwei größere Zahlen multipliziere, rechnen, wenn es nun wirklich

an die Ausführung geht, langsam und ma-chen Fehler. (Lietzmann 1926, 163)

4.2 Schlagwort: (Zentrale) Prüfungen

Durch die Umsetzung der Bildungsstandards sollen die Lehrpersonen größere Freiheit bei der Gestaltung ihres eigenen Unterrichts be-kommen, andererseits soll durch zentrale Prüfungen die Wirksamkeit ihres Lehrens ("Output") überprüft werden.

Die Länder kommen überein, weitere Auf-gabenbeispiele zu entwickeln und in lan-desweiten bzw. länderübergreifenden Ori-entierungs- und Vergleichsarbeiten oder in zentralen oder dezentralen Prüfungen fest-zustellen, in welchem Umfang die Stan-dards erreicht werden. Diese Feststellung kann zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 erfolgen oder auch schon zu einem frü-heren Zeitpunkt getroffen werden, um In-terventionen zu ermöglichen. (KMK 2003, 4)

Solche Prüfungen können (wie jede Prü-fung), verständig eingesetzt, ein gutes In-strument für Rückmeldungen sein, aber sie bleiben doch stets prinzipiell nicht unproble-matisch. Ein Test zum Systemmonitoring muss primär statistischen Gütekriterien unterliegen. Eine Klassenarbeit sollte die Lerngeschichte einer Klasse berücksichtigen. Das sind unter-schiedliche Anforderungen, und dennoch müssen mancherorts landeszentrale Ver-gleichsarbeiten als Klassenarbeiten in die Notengebung integriert werden. Warum will man Lehrpersonen, die den ihnen anvertrauten Lernenden selbstgesteuertes, die eigenen Erfolge (meta-) kontrollierendes Lernen ermöglichen sollen, nicht zutrauen, ihre eigene Tätigkeit selbstverantwortlich zu kontrollieren? Das ist fragwürdig!

Es ist klar, daß eine Prüfung von Schülern, die man durch ein- oder mehrjährigen Un-terricht ihrer ganzen Eigenart und ihren Leistungen nach kennt, ganz anders aus-schaut, als eine Prüfung von gänzlich Un-bekannten. Vom Standpunkte des Stoffes aus betrachtet wird die Prüfung der eige-nen Schüler schwerer sein; man wird in den Anforderungen im allgemeinen erheb-lich weiter gehen. Auf der anderen Seite aber ist die Prüfung für die Schüler sehr viel leichter, weil sie die Eigenheiten des Lehrers, den Stoff, den er fordert, die We-ge, die er bei den Ableitungen vorzieht, und vieles andere kennen. Entsprechendes gilt vom Lehrer. [...]

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Anselm Lambert

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Daß solche Prüfungen, wo Prüfling und Prüfender einander kennen, bei uns die Regel sind, erscheint mir als ein wesentli-cher Vorzug unseres Schulsystems. Wo, wie in Frankreich oder England, beide Teile einander fremd gegenüberstehen oder so-gar — bei Beschränkung auf schriftliche Prüfungen — einander gar nicht vor Augen kommen, ist das Examen an sich schwe-rer. Trotzdem führt es im Durchschnitt nicht zu höheren Leistungen, trotz eines manchmal unwürdigen Examendrills. Mit großem Eifer werden Sammlungen von Prüfungsaufgaben angelegt, die Fragen in der mündlichen Prüfung werden nach der Schlacht sofort sorgfältigst zugunsten der nächsten Jahrgänge niedergeschrieben. Das Institut der Einpauker blüht. Alles das läßt sich bei unserer Art der Prüfung ver-meiden. (Lietzmann 1926, 207)

Es besteht auch heute gewiss das Risiko, dass durch den (auch offiziell proklamierten) Vorbildcharakter der Prüfungsaufgaben, die erhofften neuen Wege nur als eingefahrene Eingleisigkeit zu verzeichnen sein werden; — die saarländischen Zentralabituraufgaben der letzten 20 Jahre stützen diese Befürchtung.

Die nächsten Jahre werden zeigen, wie die Umsetzung in der Bundesrepublik und in den Bundesländern gelingt. (Reiss 2004, 71)

Und die Frage, die dann zu beantworten sein wird, ist: "Können unsere Schülerinnen und Schüler jetzt besser Mathematik (oder sind sie nur besser in den Tests)?"

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Rost, Detlef H. (Hrsg.) (2001): Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Weinheim: Beltz PVU

Schleicher, Andreas (2004): "Das System ist ge-scheitert". Interview in: Lernen fürs Leben. Re-formwerkstatt Schule. Spiegel Special 3/2004, 11–13

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In den "Bildungsstandards" (KMK 2003) fin-den sich in Kapitel 4.2 "Kommentierte Aufga-benbeispiele". Nach der jeweiligen Aufgaben-stellung wird eine "Lösungsskizze mit der An-gabe von Leitideen und allgemeinen mathe-matischen Kompetenzen sowie deren Zuord-nung zu Anforderungsbereichen angegeben". Der Vortrag beruht im wesentlichen auf den Grundlagen A – D, die durch je eine Abbil-dung dargestellt sind.

Abb. A: Zusammenstellung Kompetenzen

Abb. B: Eine Abbildung zur Erstellung von Klassenar-beitsaufgaben, die die Verwendung von CAS enthalten

Abb. C: Eine Klassenarbeitsaufgabe

Abb. D: Eine Abbildung des "Bausteindreiecks"

Alle Vortragsfolien finden Sie als pdf-Datei in meiner Homepage www.snafu.de/~mirza.

Literatur Kultusministerkonferenz (KMK) (2003): Bildungs-

standards im Fach Mathematik für den Mittle-ren Schulabschluss. http://www.kmk.org/schul/Bildungsstandards/ Mathematik_MSA_BS_04-12-2003.pdf

Erwerb mathematischer Kompetenzen beim Arbeiten mit CAS-Bausteinen

Eberhard Lehmann, Berlin

- Im Mathematik-Unterricht mit Computerprogrammen erweist sich die Verwendung von Bausteinen (Modulen) mit Parametern als ein wichtiges Arbeitsprinzip.

- Mit der Definition, Anwendung und Analyse von Bausteinen werden alle in den Bil-dungsstandards vorkommenden allgemeinen mathematischen Kompetenzen ange-sprochen.

- In Klassenarbeiten (hier mit CAS) spiegeln sich die vom Lehrer intendierten allgemei-nen und fachlichen Kompetenzen wider.

In dem Vortrag werden diese Aussagen durch Beispiele aus dem Unterricht und aus Klassenarbeiten belegt.

Leitideen Allgemeine mathematischKompetenzen

Anforderungsbereiche

L1 ZahlL2 MessenL3 Raum und FormL4 Funktionaler ZusammenhangL5 Daten und Zufall

K1 Mathematisch argumentierenK2 Probleme mathematisch lösenK3 Mathematik modellierenK4 Mathematische Darstellungen verwendenK5 Mit symbolischen, formalen und technischen Elementen der Mathematik umgehenK6 Kommunizieren

AI ReproduzierenAII Zusammenhänge herstellenAIII Verallgemeinern und Reflektieren

Die folgende Abbildung fasst mögliche Aufgabenansätze zusammen:

Konstruktion vonAufgaben mit CAS-

Verwendung

Rechnen mitCAS

Rechnen vonHand

VorgegebeneHandrech-nungen mitCAS nach-machen oderumgekehrt

Aufgaben aus demBausteindreieck(Baustein definieren,analysieren, anwen-den) stellen

Modellie-ren und mitCAS rech-nen /zeichnen

VorgegebeneZeichnungenmit CASnachmachenoder umge-kehrt

Rechnungen visuali-sieren oder Visuali-sierung durch Termerechnerisch erfassen

CAS-Ansätze undCAS-Lösungen /Lösungsteile do-kumentieren

VorgelegteBildschirm-ausdruckeerläuternlassenMit dem CAS

zeichnen

Zeichnen vonHand

Mit dem CASRechenergeb-nisse undZeichnungenkontrollieren

Mit dem CAS expe-rimentell arbeiten,dokumentieren undauswerten lassen

Und wo kommendie Aufgaben-

inhalte her?

Man nehme eine schon vor-handene Aufgabe als "Kern"und wandle diese CAS-gemäßab oder ergänze sie (Aufga-benvariation).

Man konstruiere eine neueAufgabe mit eigenen Ideen fürCAS-Einsatz.

Matthias Schimmelpfennig, Rückert-Oberschule, Klasse 9

Klassenarbeit P-2Aufgabe 1: Im Kosy findest du einen Dreiecksparkur, derdurch die drei Bojen A, B und C abgesteckt wurde und vonSegelbooten einmal umrundet wird. Eine Längeneinheit imKosy entspricht einem Kilometer in der Natur. Gesucht istdie Länge der Segelstrecke.a) Der TI-Baustein rechts im Bild hilft beim Lösen desProblems. Erkläre den Baustein (Skizze !)b) Berechne nun die Länge des Dreicksparkurs.

Das Bausteindreieck

grundlegende Informationen über das Bausteinprinzip

Abb. Das Bausteindreieck: Definieren, Benutzen, Analysieren

Bausteine(Bausteinsammlung)

Benutzenals Black Box

(durch Baustein-Aufrufe)

• Modellieren• Probleme lösen• visualisieren

AnalysierenDie White Box erweitern

Analysieren der mathematischen Substanz durch Parametervariation - experimentieren

DefinierenM verstehen und strukturieren,

modellieren, implementieren, te-sten, dokumentieren (White Box)• selbstdefinierte Bausteine• vordefinierte Bausteine

(vom System vorgege-bene Definitionen)

• Schachtelung von Bausteinen

mit Parameterbelegungen(Datentypen) aus dem

direkten Umfeld des Bau-steins

mit anderenDatentypen

Visualisieren

DasBaustein-Dreieck

Kompetenzerwerb imUnterricht -vieleMöglich-keiten fürKlassen-arbeits-aufgaben

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"Video killed the radio star — In my mind and in my car, we can't rewind we've gone too far." Werden wir diese Zeilen aus einem po-pulären Musiktitel auch in einigen Jahren an-stimmen, wenn wir auf den Weg zurückbli-cken, den der Einsatz Neuer Medien im Ma-thematikunterricht genommen hat? Werden sie zum bloßen Additum oder zum Hobby ei-niger Mathematiklehrer, wenn erst einmal bundesweit und breitenwirksam zentrale Standards und zentrale Überprüfungen ein-geführt wurden? "Die Sehnsucht nach Schul-reformen war groß — jetzt kommen sie alle auf einmal" titelt die ZEIT am 02.09.2004, an-dere unken: "alles bleibt anders." Kommen bei der Geschwindigkeit der aktuellen Um-stellung auf "Output-Orientierung" die zarten Pflanzen erfreulicher Entwicklungen, die sich im Fach Mathematik herausgebildet haben, unter die Räder der großen Reformen? Oder lassen sich die neuen, an Standards orien-tierten Instrumente nutzen, um die Weiterent-wicklung des Mathematikunterrichts im Me-dienbereich zu stärken und zu stützen? Der Arbeitskreis "Mathematikunterricht und Infor-matik" in der GDM befasste sich auf seiner 22. Herbsttagung mit dem Generalthema "Bildungsstandards und Neue Medien". Die-ses wurde offensichtlich deswegen als Ta-gungsthema für würdig erachtet, weil die Mehrheit der Mitglieder eine starke Wechsel-wirkung zwischen seinen beiden "Konstituen-ten" sieht. Am Anfang dieses Beitrags, der einige Per-spektiven künftiger Entwicklungen in diesem Bereich aufzeigen will, sollen zwei Thesen stehen: These 1: Neue Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung des Mathe-matikunterrichts. Sie sind mehr als in ande-ren Fächern fachlicher und methodischer In-novationskeim, d.h. sie stellen eine Chance

für die produktive Weiterentwicklung des Lehrens und Lernens von Mathematik dar. These 2: Über die neuen Formen der Stan-dardsetzung und Standardüberprüfung lässt sich die Qualität der Unterrichtsergeb-nisse messen und damit auch die Qualität des Unterrichts maßgeblich positiv beeinflus-sen. Während die erste These wohl Konsens un-ter vielen Fachdidaktikern ist, muss die zwei-te eher als eine Hypothese der Bildungspoliti-ker angesehen werden. Akzeptiert man beide Thesen einmal versuchsweise, so stellt sich die Frage, inwiefern diese beiden Motoren der Entwicklung, nennen wir sie kurz "Me-dien" und "Standards", in dieselbe Richtung laufen oder gar als Antagonisten wirken.

Abb. 1

Neue Instrumente der Standardsetzung und Stan-dardüberprüfung und Neue Medien im Mathematik-unterricht: Wirkungen und Wechselwirkungen

Timo Leuders, Freiburg

Ist die allenthalben ausbrechende "Standardorientierung" eine Gefahr für die Entwicklung der Nutzung Neuer Medien im Mathematikunterricht? Angesichts der großen Vielfalt der Entwicklungen in den Bundesländern soll hier u.a. ein Einblick in die nordrhein-westfäli-sche Werkstatt gegeben werden: Wie werden neue Medien konstruktiv in neue Stan-dards und neue zentrale Lernstandserhebungen eingebunden?

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Neue Instrumente der Standardsetzung und Standardüberprüfung und Neue Medien im Mathematikunterricht

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Neue Medien und Bildungs-standards als Instrumente ei-ner Reform des Mathematik-unterrichts

Die Parallelen bzw. Divergenzen zwischen den Einflüssen Neuer Medien und Standards lassen sich unter verschiedenen Gesichts-punkten betrachten: Die Innovationswirkung Neuer Medien geht stark vom Fach aus. Im Mathematikunter-richt soll die Verwendung von neuen, fach-spezifischen Werkzeugen wie CAS oder DGS vor allem die mathematischen Prozes-se, wie das Explorieren, das Modellieren oder das Argumentieren stärken (z.B. El-schenbroich 1997, Weigand & Weth 2002, Leuders, Hußmann & Barzel 2005). Stan-dardsetzungen und Standardüberprüfungen hingegen sind zunächst ein fachunabhängi-ger Ansatz, der auf die Besonderheiten des Faches keine Rücksicht nimmt, der — so wird postuliert — für alle wesentlichen Domä-nen eines Faches im Prinzip durchführbar ist. (Tatsächlich gibt es hier diskutierenswerte Probleme mit der Operationalisierbarkeit und Überprüfbarkeit der ganzen Bildungsbreite bzw. bestimmter Kompetenzebereiche.) Hiermit hängt zusammen, an welchem Punkt im komplexen Zusammmenhang von Lehren, Lernen und der Struktur von Bildungssyste-men die beiden Innovationsansätze "Neue Medien" und "Standards" den Hebel anset-zen. Neue Medien werden meist diskutiert in Zusammenhang mit einem Bild von gutem Unterricht, heute würde man sagen: sie steu-ern über den "Input" und über den "Prozess". Das sich zurzeit etablierende System von Bildungsstandards verschreibt sich ganz der Steuerung über den "Output", gemessen an den Leistungen von Schülerinnen und Schü-lern. Die Bildungspolitik setzt hierbei die Leis-tungsnormen und überprüft sie in zentralen Tests. Die inhaltliche Reform findet wesent-lich an den einzelnen Schulen statt. (Spötter könnten behaupten, hier liege ein System der behördlich installierten extrinsischen Motiva-tion vor.) Welcher dieser beiden Ansätze ist der ver-mutlich wirksamere? Dies ist empirisch wohl nicht zu entscheiden und somit bildungspoli-tisch und weltanschaulich bedingten Wie-chenstellungen zu überlassen. Zwar gibt es empirische Hinweise aus der Unterrichtsfor-schung zur Wirksamkeit von (bestimmtem) Unterricht mit Neuen Medien (z.B. Barzel 2005). Deren Generalisierbarkeit ist aber be-grenzt durch die Komplexität von Unterricht

und bleibt so immer auch ein Stück fachdidaktische Hypothese. Auf der anderen Seite ist die größere Wirk-samkeit standardorientierter Bildungssyste-me keineswegs besser empirisch abgesi-chert. Zwar werden Bildungssysteme mehr denn je miteinander verglichen, doch die Übertragbarkeit der Erkenntnisse ist begrenzt durch ihre gesellschaftliche und kulturelle Komplexität. Damit muss klar sein, dass die Wirksamkeit von Output-Steuerung als "bil-dungspolitische Hypothese" angesehen wer-den sollte und sich in den nächsten Jahren in Form "bildungspolitischer Experimente" be-weisen muss. Es ist jedenfalls abzusehen, dass Instrumente zur Messung von Schüler-leistungen in reichhaltiger Zahl entwickelt werden. Dieser Beitrag setzt bei der Frage an, inwiefern diese Instrumente die Bedeu-tung Neuer Medien für den Bereich des Ma-thematikunterrichts angemessen berücksich-tigen können.

Einige Entwicklungslinien am Beispiel von Nordrhein-West-falen

Die zahlreichen Entwicklungen in den ver-schiedenen Bundesländern sind kaum zu überblicken. Am Beginn der neuen Orientie-rung an zentralen Standards (KMK 2003) muss jedenfalls konstatiert werden, dass die Modelle der Bundsländer in der Umsetzung dieser Standards eher divergieren, als dass sie zu einer Vereinheitlichung geführt haben. Daher soll sich die Darstellung hier auf ein einzelnes Bundesland, auf Nordrhein-West-falen, konzentrieren — und das nicht nur, weil der Autor aufgrund der eigenen Beteili-gung mit den Entwicklungen am vertrautes-ten ist. NRW zeichnet sich dadurch aus, dass es sich zum ersten mit der Entwicklung und Implementierung neuer Standards und deren Überprüfungen sehr früh auf den Weg ge-macht hat. Es hat zusammen mit Baden-Württemberg noch vor der Einführung der nationalen Bildungsstandards standardorien-tierte Lehrplanformate vorgestellt (Barzel, Hußmann & Leuders 2005, MNU 2004). Zum zweiten ist in NRW die Umorientierung hin zur "Output-Steuerung" wohl am gravie-rendsten, denn noch im Jahr 2003 gab es hier kein einziges zentrales Instrument der Leistungsüberprüfung. Allenfalls schulinterne Parallelarbeiten, eine als freiwilliges Angebot zu verstehende Parallelklausuren in der gym-nasialen Oberstufe und die Genehmigung

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Timo Leuders

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von lehrerspezifisch gestellten Abiturklausu-ren, führten zur Abstimmung der Anforderun-gen in und zwischen Schulen. Die ab dem Schuljahr 2004/05 sukzessive etablierte Orientierung an Landesstandards sieht (zunächst im Fach Mathematik sowie in Englisch und Deutsch) nach vorliegenden Planungen wie folgt aus: • Curriculare Standards am Ende der Klas-

se 4 (Übergangsprofile), 6, 8 und 10 (Kernlehrpläne);

• Standardüberprüfungen auf der Basis von schulinternen Parallelarbeiten (Klasse 2 und 7), zentrale Lernstandserhebungen in Klasse 4 und 9, sowie zentrale Abschluss-prüfungen nach Klasse 10 und Klasse 12.

Im Bereich der Medienentwicklung war NRW bisher ausdrücklich dezentral orientiert. Die Auswahl und Anschaffung Neuer Medien für den Mathematikunterricht ist ganz in das Er-messen der Schule und des Schulträgers ge-stellt. Dies entspricht voll der erklärten Ab-sicht, die Autonomie der Einzelschule zu er-höhen. Diese Ausrichtung wird sich prinzipiell auch nicht ändern, wohl aber werden die Standards und ihre Überprüfung einen Ein-fluss auf die Entscheidungen in den Schulen haben. In dieser Situation wird die Frage nach der Auswirkung der neuen Standard-orientierung auf die Medienperspektive der Unterrichtsentwicklung besonders virulent. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich in dieser Absicht auf die Fragen: • Wie lassen sich in dieser Situation Neue

Medien in Standardsetzungen und Stan-dardüberprüfungen verankern?

• Wie ist diese Verankerung vereinbar mit dem Grundgedanken von Bildungsstan-dards, Freiräume in der Unterrichtsgestal-tung zu schaffen?

• Welche Wirkungen sind zu erwarten? Welche erwünschten Wirkungen darf man erhoffen? Welche Nebenwirkungen muss man befürchten?

Stärkung Neuer Medien durch Standardsetzung

In den Instrumenten der Standardsetzung (ob es sich nun um die Kernlehrpläne in NRW oder die nationalen Bildungsstandards handelt) gibt es verschiedene Wege der Stär-kung neuer Medien, u.a. die folgenden:

• In Standards kann die Rolle der Medien bei der Formulierung von Kompetenzen explizit, konkret und im Detail beschrieben werden.

• Standards können den Blick auf mathe-matische Prozesse ("Argumentieren", "Problemlösen" etc.) lenken und dazu ei-ne Erläuterung der Rolle der Neuen Me-dien beim Erwerb solcher allgemeiner bzw. "prozessbezogener" Kompetenzen geben.

• Standards können durch die mit ihnen zu-meist verbundene Reduktion der obligato-rischen Inhalte Freiräume für die Arbeit mit Neuen Medien schaffen.

Zu unterscheiden sind Standards also da-nach, in welcher Quantität und Qualität sie den Neuen Medien expliziten Raum geben und ob sie auf den Lernprozess oder die Schülerleistungen fokussieren. Die verschie-denen Texte zur Standards-Setzung, die zur-zeit entstehen, gehen das Problem auf unter-schiedliche Weise an. In den nationalen Bildungsstandards wer-den Neue Medien in die Kompetenzformulie-rungen integriert. Die Verweise auf Tabellen-kalkulation und dynamische Geometrie neh-men allerdings einen sehr geringen Raum ein (KMK 2003). Schülerinnen und Schüler • zeichnen und konstruieren geometrische

Figuren unter Verwendung angemessener Hilfsmittel wie Zirkel, Lineal, Geodreieck oder dynamischer Geometriesoftware,

• beschreiben Veränderungen von Größen mittels Funktionen, auch unter Verwen-dung eines Tabellenkalkulationspro-gramms.

Man könnte sogar herauslesen, dass Neue Medien lediglich zur technischen Übernahme kalkülhafter Abläufe dienen, sozusagen als "Rechenknechte". Dies würde ihre Funktion weit unterschätzen, und es ist die Frage zu stellen, ob in den nationalen Bildungsstan-dards die Bedeutung Neuer Medien wirklich getroffen ist. Ist ein dynamisches Geometrie-system nicht mehr als nur ein digitaler Ersatz für Geodreieck und Zirkel? Geht es nicht eher darum, dass Schüler das Werkzeug ver-wenden, um geometrische Zusammenhänge dynamisch zu erkunden, Vermutungen zu generieren und Begründungen aufzufinden? (vgl. Barzel 2004) Hier zeigt sich, dass die nationalen Bildungs-standards einen Minimalkonsens der Bun-desländer mit unterschiedlich verbreiteter Praxis der Nutzung Neuer Medien darstellen.

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Neue Instrumente der Standardsetzung und Standardüberprüfung und Neue Medien im Mathematikunterricht

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Problematisch kann diese Reduktion dann werden, wenn die Standards "normiert" wer-den sollen, d.h. wenn die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern empirisch unter-sucht werden und zentrale Tests daraus ge-neriert werden. Dies ist die Aufgabe des neu gegründeten "Institut für die Qualitätsentwick-lung in der Bildung" (IQB) in Berlin. Es zeich-net sich bereits ab, dass in den hierfür kon-struierten und auszuwertenden Testaufgaben Neue Medien nur eine untergeordnete Rolle spielen bzw. aufgrund der Rahmenbedingun-gen während des Tests gänzlich unberück-sichtigt bleiben. Entscheidender als die nationalen Standards sind in der Wahrnehmung der Schulen je-doch die jeweils geltenden Standards und Tests auf Landesebenene. Daher soll im Fol-genden die Umsetzung der Medienfrage in den neuen Kernlehrplänen in NRW diskutiert werden. Diese sollen die bis dahin gültigen Lehrplanformate ablösen. Bei der Erarbei-tung waren zwei Zielperspektiven besonders im Blick: Erstens sollten die alten "input-ori-entierten" Stoffkataloge ersetzt werden durch Anforderungen, die Schülerinnen und Schü-ler am Ende von Doppeljahrgangsstufen er-reicht haben sollen. Zweitens sollten anstelle einer umfassenden Fixierung im Detail nur die Kerne mathematischer Grundbildung festgelegt werden; daneben sollten sich Frei-räume für Schulen öffnen. Diese Fokussie-rung auf Lernergebnisse sowie auf Bildungs-kerne erfuhr im Laufe der Arbeit eine starke Bestätigung durch die Kriterien, die die von der KMK beauftragte Kommission über die Einführung und Nutzung von Bildungsstan-dards formulierte (Klieme u.a. 2003). Dieses Umdenken in der Lehrplankonstruk-tion erschöpfte sich aber keineswegs in der geschilderten Reduktion und im Perspektiv-wechsel. Eine weitere Chance wurde im Be-reich des Faches Mathematik darin gesehen, dass die Prozesse mathematischen Den-kens und Arbeitens, die in den nur wenig zur Kenntnis genommenen Präambeln bestehen-der Lehrpläne immer schon umrissen wur-den, nun den auf mathematische Inhalte be-zogenen Anforderungen gleichwertig gegen-übergestellt und ebenso konkretisiert werden konnten. Das führt zu einem Kompetenz-bereichsmodell wie dem Folgenden, in dem inhaltsbezogene und prozessbezogene An-forderungsaspekte analytisch auseinander gezogen und pragmatisch nebeneinander gestellt werden; — im Unterricht durchdrin-gen sich diese Kategorien natürlich:

Fachbezogene Kompetenzen Prozessbezogene Kompetenzen

Argumentieren/ Kommunizieren

kommunizieren, präsentieren und argumentieren

Problemlösen Probleme erfassen, erkunden und lösen

Modellieren Modelle erstellen und nutzen

Werkzeuge Medien und Werk-zeuge verwenden

Inhaltsbezogene Kompetenzen Arithmetik/

Algebra mit Zahlen und Sym-bolen umgehen

Funktionen Beziehungen und Ver-änderung beschreiben und erkunden

Geometrie ebene und räumliche Strukturen nach Maß und Form erfassen

Stochastik mit Daten und Zufall arbeiten

Seine Orientierungspunkte fand dieses Mo-dell während seiner Entstehung in den NCTM-Standards (NCTM 2000) und den eu-ropäischen Kompetenzmodellen (Niss 2003). Welche Rolle spielen in diesem Konzept die neuen Medien? Zunächst ist festzustellen, dass sie nicht allein als Instrumente der Ver-wirklichung der "eigentlichen", inhaltlichen Anforderungen gesehen werden. Die Me-diennutzung wird sogar fundamentalen ma-thematischen Prozessen wie dem Argumen-tieren und Problemlösen gleichgestellt. Die-ser Ansatz unterscheidet sich von dem eher impliziten der nationalen Bildungsstandards. Die Ausgliederung als eigener Bereich ist al-lerdings durchaus diskutierenswert. Das Nut-zen von Werkzeugen steht ja weder im Un-terricht noch in Tests neben dem Modellie-ren, Problemlösen und Argumentieren, son-dern ist immer nur gemeinsam mit solchen Prozessen konkretisierbar. Die Eröffnung ei-ner eigenen Kategorie "Werkzeuge", die zu-dem in die prozessbezogenen Kompetenzen integriert wurde, ist also eher als bildungspo-litische Richtungsentscheidung zu verstehen, die diesem Bereich ein besonderes Gewicht verleihen soll. Bevor der Kompetenzbereich "Werkzeuge" näher betrachtet wird, soll noch dargelegt werden, dass auch die anderen prozess-bezogenen Kategorien in besonderer Weise die Mediennutzung befördern, auch wenn sie sie nicht explizit vorschreiben. So heißt es etwa beim Modellieren in Klasse 7:

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Modellieren — Modelle erstellen und nutzen Schülerinnen und Schüler • übersetzen einfache Realsituationen in

mathematische Modelle (Zuordnungen, li-neare Funktionen, Gleichungen),

• überprüfen die im mathematischen Modell gewonnenen Lösungen an der Realsitua-tion und verändern ggf. das Modell,

• ordnen einem mathematischen Modell (Tabelle, Graf, Gleichung) eine passende Realsituation zu.

Dem Kenner der Möglichkeiten Neuer Me-dien erschließt sich bei diesen Formulierun-gen sofort, welche Rolle eine Tabellenkalku-lation oder eine CAS bei diesen Modellie-rungsprozessen spielen kann. Wer mit die-sen Optionen nicht vertraut ist, übersieht sie allerdings auch. Aus diesem Grunde formu-lieren andere, neue Lehrpläne explizit, wel-che Veränderungen beim Kompetenzerwerb sich beim Einsatz Neuer Medien vollziehen. Dies wird etwa an folgendem Auszug aus der Entwurfsfassung des Kerncurriculums für die gymnasiale Oberstufe der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin deutlich, an deren Erstellung der Autor beteiligt war. (Im Gegensatz zu den Lehrplä-nen in NRW oder in Baden-Württemberg werden hier die gewählten Kompetenzberei-che kurz erläutert und nicht nur durch eine Aufzählung von Anforderungen konstituiert.)

Modellieren Beim mathematischen Modellieren wer-den Situationen aus der Realität zunächst vereinfacht, und anschließend mathema-tisiert, d.h. mit mathematischen Mitteln er-fasst. Die Bearbeitung einer solchen ma-thematischen Beschreibung der Realsitu-ation führt auf Ergebnisse, die in dieser wieder interpretiert werden müssen. Die Besonderheit eines reflektierten Modellie-rens liegt darin, dass die verwendeten bzw. entwickelten mathematischen Mo-delle validiert, d.h. in ihrer Gültigkeit über-prüft und gegebenenfalls auch revidiert werden müssen. Modellieren mit neuen Technologien: Die Darstellung und Verarbeitung umfangrei-cher Daten (z.B. TK) und komplexer funk-tionaler Modelle (FP, DGS) erlaubt die Ar-beit mit ansonsten nicht in praktikablem Rahmen behandelbaren realistischen und authentischen Realsituationen. Dadurch können in größerem Umfang Modelle ent-wickelt, verglichen und verfeinert werden.

Analoges gilt für die Problemlösekompeten-zen wie die folgenden (hier nur ein Auszug aus den Anforderungen am Ende der Klasse 8):

Problemlösen — Probleme erfassen, erkunden und lösen Schülerinnen und Schüler • untersuchen Muster und Beziehungen bei

Zahlen und Figuren und stellen Vermutun-gen auf,

• nutzen Algorithmen zum Lösen mathema-tischer Standardaufgaben und bewerten ihre Praktikabilität,

• nutzen verschiedene Darstellungsformen (Tabellen, Skizzen, Gleichungen) zur Pro-blemlösung,

• überprüfen und bewerten Ergebnisse durch Plausibilitätsüberlegungen, Über-schlagsrechnungen oder Skizzen,

• überprüfen Lösungswege auf Richtigkeit und Schlüssigkeit.

Insbesondere die hier angedeuteten Kontroll-strategien sind beim Arbeiten mit Neuen Me-dien von besonderer Bedeutung. Die hier angeführten Handlungserwartungen sind allerdings nicht explizit an die Verwen-dung Neuer Medien gebunden. Es erschließt sich zwar (wenn auch nicht dem unvorgebil-deten Leser), dass diese Prozesse etwa mit Tabellenkalkulationen und Funktionplotter wesentlich realistischer und aspektreicher zu gestalten sind. Es wäre allerdings wün-schenswert gewesen, die verschiedenen Verbindungen zwischen den Anforderungen in diesen Kompetenzbereichen, den inhaltli-chen Anforderungen und denen im Bereich der Medien- und Werkzeugnutzung auch im Lehrplan aufzuzeigen. Dies hätte aber dem Ziel einer konzisen Darstellung widerspro-chen. Leider ist aber auch in den beigefügten Beispielaufgaben die Rolle der Neuen Me-dien nicht nachdrücklich genug dargestellt. Konsequenterweise könnte man die Unter-richtsentwicklung mit solchermaßen formu-lierten Standards so auffassen, dass die Kompetenzformulierungen keine explizite Mediennutzung beschreiben müssen, dass aber erkennbar sein sollte, dass ihre Verwen-dung ein effizienter Weg des Kompetenz-erwerbs ist. Tabellenkalkulationen etwa er-scheinen als das Medium der Wahl, wenn es darum geht, tabellarische Darstellungen zur Problemlösung heranzuziehen. Ein solcher Lehrplan überlässt es ganz der Entscheidung der Schule, Medien in diesem Sinne auch im Unterricht einzusetzen.

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Neue Instrumente der Standardsetzung und Standardüberprüfung und Neue Medien im Mathematikunterricht

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Mit Recht kann man aber daran zweifeln, dass eine solche Darstellung per se zu ei-nem extensiveren und intensiveren Einsatz Neuer Medien im Unterricht führt. Daher wur-den in NRW explizite Formulierungen ge-sucht, um die Rolle zu beschreiben, die Me-dien bei der fachbezogenen Anwendung von Kompetenzen spielen sollen: Ende Klasse 6:

Werkzeuge — Medien und Werkzeuge verwenden Schülerinnen und Schüler • nutzen Lineal, Geodreieck und Zirkel zum

Messen und genauen Zeichnen, • nutzen Präsentationsmedien (z.B. Folie,

Plakat, Tafel), • dokumentieren ihre Arbeit, ihre eigenen

Lernwege und aus dem Unterricht er-wachsene Merksätze und Ergebnisse (z.B. im Lerntagebuch, Merkheft),

• nutzen selbst erstellte Dokumente und das Schulbuch zum Nachschlagen.

Ende Klasse 8:

Werkzeuge — Medien und Werkzeuge verwenden Schülerinnen und Schüler • nutzen Tabellenkalkulation und Geome-

triesoftware zum Erkunden inner- und au-ßermathematischer Zusammenhänge,

• nutzen den Taschenrechner, • tragen Daten in elektronischer Form zu-

sammen und stellen sie mit Hilfe einer Ta-bellenkalkulation dar,

• nutzen Lexika, Schulbücher und Internet zur Informationsbeschaffung.

Ende Klasse 10:

Werkzeuge — Medien und Werkzeuge verwenden Schülerinnen und Schüler • nutzen mathematische Werkzeuge (Ta-

bellenkalkulation, Geometriesoftware, Funktionenplotter) zum Erkunden und Lö-sen mathematischer Probleme,

• wählen ein geeignetes Werkzeug ("Blei-stift und Papier", Taschenrechner, Geo-metriesoftware, Tabellenkalkulation) aus und nutzen es,

• wählen geeignete Medien für die Doku-mentation und Präsentation aus,

• nutzen selbstständig Print- und elektroni-sche Medien zur Informationsbeschaf-fung.

Diesen Formulierungen liegen einige grund-sätzliche Entscheidungen in der Wahl der Darstellung zugrunde: • Neue und herkömmliche Medien firmieren

unter einer Überschrift, die Wahl der je-weils angemessenen Medien wird explizit als Kompetenz gefordert.

• Es wird versucht, eine Progression in der Anforderungsart und -höhe über die Jahr-gangsstufen darzustellen.

• Es wird keine Festlegung auf bestimmte Systeme getroffen. Ob ein Grafikplotter als Teil eines CAS, als Funktion einer Ta-bellenkalkulation oder als Handheld-Rechner realisiert wird, liegt in der Maß-gabe der Schule und hängt von deren Ausstattung und mediendidaktischen Kon-zept ab.

Der Lehrplan gibt also eine Rahmenorientie-rung für ein solches schulinternes Medien-konzept. Er eröffnet den Schulen dazu die Möglichkeit, den Schulträgern gegenüberzu-treten und Anforderungen in der Medienaus-stattung mit Verweis auf den Lehrplan gel-tend zu machen. Die im Lehrplan formulierten Anforderungen an die Nutzung von Medien und Werkzeugen liegen alle im Anforderungskern, gelten also für alle Schülerinnen und Schüler aller Schul-formen. Sie können im Prinzip Gegenstand einer Überprüfung, insbesondere einer zen-tralen Überprüfung werden. Gegen eine um-gehende und radikale Umsetzung solcher ex-terner Überprüfungen sprechen allerdings ei-nige Gründe: • Schulen sind noch nicht flächendeckend

mit geeigneter Software ausgestattet. • Schülerinnen und Schüler haben noch

nicht Erfahrungen im Umgang mit dieser Software sammeln können.

• Lehrerinnen und Lehrer gehen zuneh-mend selbstverständlicher mit den be-schriebenen Werkzeugen um, dennoch ist nicht davon auszugehen, dass die Mehr-heit sich auch in der Lage sieht, sie didak-tisch reflektiert im Unterricht einzusetzen.

Es kann sich also nur um die zusätzliche Un-terstützung eines langfristigen (und bereits seit langem angelaufenen) Entwicklungspro-zesses handeln. Eine neue Vehemenz wird diesen Prozessen allerdings dann verliehen, wenn die Mediennutzung nicht nur in den Texten der Standardsetzung sondern auch in

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den (zentralen) Instrumenten der Standard-überprüfung eine besondere Bedeutung er-hält.

Stärkung Neuer Medien durch Standardüberprüfung

Konstitutiver Bestandteil einer Orientierung am "Output" sind Instrumente zur Messung von Schülerleistungen. Bisher haben Lehre-rinnen und Lehrer in Deutschland ihren Ma-thematikunterricht in der (kritischen) profes-sionellen Sicherheit gestaltet, ihr Bestes zu tun. Jenseits der internationalen Leistungs-untersuchungen wie z.B. PISA gab es aller-dings keine zuverlässige Wirksamkeitsüber-prüfung. Diese Überprüfung tritt aber nun in unterschiedlichen Formen auf den Plan: Als Lernstandserhebungen (NRW Klasse 9, vgl. Burkard & Orth 2004, in Kooperation mit an-deren Bundesländern auch in Klasse 4, vgl. Helmke & Hosenfeld 2003), als zentrale Ab-schlusstests und künftig auch als nationale "benchmarks". Diese zentralen Instrumente zur empirischen Leistungsmessung zeichnen sich durch gewisse Testgütekriterien empiri-scher Forschung wie z.B. Reliabilität und Ob-jektivität aus. Sie sind durch ihr Format ("pa-per & pencil", objektivierender Auswertungs-schlüssel) allerdings auch gewissen Be-schränkungen unterworfen, was insbesonde-re bei der Verwendung Neuer Medien ins Gewicht fällt. Hierauf geht der Beitrag noch näher ein. Die Medienfrage ist aber nur ein (aus fächerunabhängiger Sicht) marginaler Aspekt. Viele andere Fragen drängen sich auf, wie z.B. die nach Möglichkeit und Gren-zen einer empirisch validen Messung von all-gemeinen Kompetenzen, von individuellem Kompetenzzuwachs oder gar von Lehrerfolg. Ersichtlich ist, dass diese neuen Instrumente der Standardüberprüfung erhebliche Beach-tung an den Schulen finden werden, erwar-tungsgemäß noch mehr als Lehrplantexte. Die Messung von Schülerleistungen wird in jedem Fall Rückwirkungen auf die Gestaltung von Unterricht haben; — das ist ja auch die Intention einer "Output-Orientierung". Be-schworen wird in diesem Zusammenhang oft die Gefahr eines negativen "backwash"-Ef-fektes, d.h. einer unangemessenen Rückwir-kung der Leistungsmessung, z.B. in der Form, dass der Unterricht sich auf das ober-flächliche Einüben von Testaufgaben redu-ziert. Hier ist es ratsam, die Praxis dafür zu sensibilisieren, die verwendeten Aufgaben nach ihrer Funktion zu unterscheiden, d.h. nicht mit Testaufgaben auf Testaufgaben hin

Unterricht zu gestalten (vgl. Büchter & Leu-ders 2005). Dieser genannte "backwash"-Effekt kann aber auch eine positive Rückwirkung bedeu-ten, nämlich dort, wo die Testaufgaben eine Veränderung der Unterrichtskultur vorberei-ten, nahelegen, vielleicht sogar notwendig machen. So können Systeme von Testaufga-ben durch die Inhalte, die in ihnen offensicht-lich abgedeckt werden, oder durch die Kom-petenzen, die in ihnen explizit erkennbar an-gesprochen werden, Anreize für Veränderun-gen in der Unterrichtspraxis sein. In diesem Sinne verleihen sorgfältig konstruierte zentra-le Tests den Texten der Standardsetzung so-gar noch Nachdruck. Im Bereich der Verwen-dung von Medien und Werkzeugen im Ma-thematikunterricht ist dies z. B. spätestens dann der Fall, wenn von Schülerinnen und Schülern ein bestimmter Umgang mit einem Medium in den Testaufgaben verlangt wird. Unter anderem auf diesen "positiven back-wash-Effekt" bei Testaufgaben wollen wir bei den folgenden Argumentationen aufbauen. Die besondere Herausforderung an die Kon-struktion von Testaufgaben besteht nach der vorangehenden Analyse im Kern aus den fol-genden zwei Punkten: (1) Es ist nicht möglich, nun etwa schlicht die Verwendung eines DGS in einem zentralen Test vorzuschreiben, wenn solche Systeme nicht einmal in der Mehrheit der Schulen kurzfristig eingeführt werden können, ge-schweige denn etabliert sind. Die Beschrän-kung auf von allen Schulen bearbeitbare Testformate (z.B. Papier-und-Bleistift-Tests) ist zurzeit also wohl unumgänglich. (Die Ver-wendung eines modularen Tests wäre hier ein naheliegend erscheinender Ausweg aus dieser Beschränkung, birgt jedoch vielfältige Probleme in der Umsetzung, Auswertung und Rückmeldung). An Schulen, an denen es die Regel ist, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht — also im Lernprozess und nicht in der Testsituation — kooperativ an Rechnerplätzen arbeiten, vielleicht auch nur in speziellen Räumen und zu speziellen Zei-ten, müsste im Falle eines Tests ein Durch-führungsmodus gefunden werden, z.B.: • Allen Schülerinnen und Schülern steht im

Rotationsverfahren jeweils zeitweise einzeln ein Rechner zur Verfügung.

• Schülerinnen und Schüler leisten ihre rechnerbezogenen Aufgabenteile gemein-sam ab, was bei der individuellen Auswer-tung der Leistung geeignet eingerechnet, bei einer Auswertung auf Klassenebene

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allerdings nicht berücksichtigt werden müsste.

Die Verfügbarkeit eines universellen Hand-held-Gerätes in der Hand einer jeden Schüle-rin, eines jeden Schülers, sowohl im Unter-richt als auch in der Testsituation, wäre ein Idealfall, der sich an manchen Schulen be-reits als praktikabel in Klassenarbeiten her-ausgestellt hat. (2) Während im vorigen Punkt herausgeho-ben wurde, dass die Beschränkungen auf Seiten der Verfügbarkeit der Werkzeuge zu Beschränkungen im realisierbaren Testfor-mat führen, muss man auch umgekehrt argu-mentieren: Zentrale, objektiv auswertbare Tests sind nur bedingt geeignet, besonders offene und divergente Schülertätigkeiten zu überprüfen. Aus auswertungsökonomischen Gründen bevorzugen sie geschlossene oder halboffene Formate. Im Fach Mathematik liegt das fill-in-Format auf dem Schnittpunkt traditioneller geschlos-sener Aufgabenformate (Rechnung mit ein-deutigem Ergebnis) und testökonomischer Anforderungen. Aufgabenformate, bei denen ein breites Spektrum an Ansätzen oder Nä-herungen möglich, ja, geradezu eingefordert wird, benötigen einen differenzierten Auswer-tungsschlüssel, der möglichst viele potentiel-le Schülerbearbeitungen objektivierbar be-schreibt. In solchen objektivierenden Auswer-tungsschlüsseln reduziert sich allerdings oft die mögliche Wahrnehmungstiefe hinsichtlich der Schülerideen, die einer Lösung zugrunde liegen. Dieses Problem tritt immer dann auf, wenn die Prozesse der Bearbeitung wichtiger werden als das Produkt. Dies trifft in beson-derem Maße auf Aufgaben zu, bei denen Schülerinnen und Schüler für eine gewisse Zeit mit einem elektronischen Werkzeug ar-beiten und nur die Ergebnisse in ihre Testbe-arbeitung übertragen. Den Bearbeitungsweg in einem Text zu schildern, stellt zusätzliche hohe Anforderungen. Künftige Weiterent-wicklungen (z.B. in Form von computer-basierten adaptiven Tests) könnten in Zu-kunft vielleicht Abhilfe schaffen. Desweiteren bleiben bestimmte Kompetenzen, wie etwa das Kommunizieren oder das Präsentieren, den Papier-und-Bleistift-Tests verschlossen. Zentrale Tests dieser Art dürfen also generell (unabhängig von der Medienfrage) nicht die einzigen Instrumente der Überprüfung von Standards bleiben. Vielfältige andere For-men, wie z.B. Facharbeiten, Präsentationen, Portfolios, Forschungshefte, Gruppenprüfun-gen und -präsentationen usw. müssen auch bei Vorliegen "emprisch sauberer" Instru-mente zur Leistungsmessung weiterhin in ih-

rer Entwicklung und Anwendung gefördert werden. (Analoge Probleme haben z.B. die Fremdsprachenfächer, bei denen das Lese- und Hörverstehen leichter dem Testformat zugänglich sind als etwa das Sprechen.) Die Gefahr einer einseitigen "Testkultur", die sich den Anforderungen des zeitgemäßen Mathematikunterrichts nicht stellt, ließe sich etwa so umschreiben: Wie steht es um all die Prozesse, die die Standards anregen sollen? Werden sie nicht getestet, so geraten sie ins zweite Glied. Sind sie nur Zweck zur Errei-chung der Zielfertigkeiten, so geraten sie un-ter lernökonomischen Druck: "Müssen wir heute wieder in den Computerraum, wir möchten lieber noch etwas fürs Abitur / für die Abschlussprüfung üben". Mathematik war in der Sicht einer großen Mehrheit immer nur ein (in seiner Legitimation nicht hinterfragtes) Selektionsfach, das es abzuleisten galt. Durch Neue Medien will man Aspekte der ak-tiven, individuellen und persönlich involvier-ten Auseinandersetzung von Schülerinnen und Schülern mit Mathematik fördern. Wenn nun der Testdruck zu hoch wird, Freiräume nicht wirklich gegeben werden, gewinnt die ursprüngliche Sicht auf das Fach die Ober-hand. Statt aber nun zentrale Tests generell zu ver-dammen, sollen im jetzt folgenden Teil, kon-struktive und realistische Vorschläge ge-macht werden, wie man — auch unter der Bedingung zentraler, "medienfreier", Papier-und-Bleistift-Tests — Aufgabenformate be-rücksichtigen kann, die die Bedeutung der Neuen Medien in der Sicht der Testnutzer unterstreichen und eine Unterrichtsentwick-lung einleiten können.

Einige konstruktive Vor-schläge zur Entwicklung von Auswertungsinstrumenten

Das Dilemma, in der die Konstruktion me-dienbezogener Aufgaben in neuen Test-instrumenten steht, sieht — kurz gefasst — so aus: • Die erwartete Kompetenz in der Nutzung

neuer Medien beim mathematischen Ar-beiten würde am besten dann hervorge-hoben, wenn bei der zentralen Überprü-fung mathematischer Kompetenzen die Nutzung neuer Medien wie selbstver-ständlich vorausgesetzt wird.

Dies ist aber augrund der Rahmenbedingun-gen den Schulen zurzeit nicht umsetzbar.

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• Das (auch nur vorläufige) Auslassen aller Medienaspekte bei den zentralen Tests führt voraussehbar zu einer völligen Mar-ginalisierung der Mediennutzung im Ma-thematikunterricht. Der Druck zentraler Anforderungen, auch vermittelt über Schüler und Eltern, könnte viel Innova-tionstätigkeit unterbinden.

Das Vorgehen bei der Mediennutzung in zen-tralen Tests muss also "schulentwicklerisch" ausbalanciert sein. Die Wechselwirkung zwi-schen Anforderungen und Entwicklungen müssen dabei konstruktiv genutzt werden. Die hierzu folgenden konkreten Beispiele orientieren sich an einer These: These: Zur zentralen Überprüfung der Kom-petenzen, die mit Neuen Medien erworben werden, bedarf es keiner Neuen Medien. Behauptet wird also, dass — in Grenzen — valide und reliable Testaufgaben konstruiert werden können, die den verständigen (z.B. problemlösenden) Umgang mit den Medien überprüfen, ohne dass das jeweilige Medium zum Testzeitpunkt jedem Schüler verfügbar sein muss. Die Existenz solcher Aufgaben in zentralen Tests macht die Bedeutsamkeit der Mediennutzung auch im vorangehenden Un-terricht deutlich. Zudem kann in solchen Auf-gaben vermieden werden, die schiere (tech-nische) Benutzungsfertigkeit der jeweiligen Software zu überprüfen, in dem sie sich auf zentrale Fragen des mathematischen Ver-ständnisses konzentrieren. Diese These soll im Folgenden an Beispielen belegt werden. Nach der oben angeschnittenen Unterschei-dung von Lernsituationen und Leistungssitu-ationen und den jeweils geeigneten Aufga-ben, sollte vorweg allerdings noch deutlich gemacht werden, dass hier bewusst nur Testaufgaben, also Aufgaben zur Überprü-fung von Kompetenzen, vorgestellt werden. Während Aufgaben zum Lernen (also Aufga-ben zum Kompetenzerwerb) möglichst alter-native Ansätze ermöglichen, differenzierend angelegt sein und exploratives Arbeiten för-dern sollten, sind solche Qualitäten bei Test-aufgaben eher problematisch. Hier geht es vielmehr um das Fokussieren auf bestimmte zu überprüfende Kompetenzen und auf die Möglichkeit, möglichst aussagekräftige und auswertbare Ergebnisse von den Schülerin-nen und Schülern zu erhalten. Es geht also hier darum, Gelegenheiten zu geben, "Per-formanz" als Indikator einer zu überprüfen-den Kompetenz zu beobachten.

(1) Dynamische Geometrie Computerbasierte Werkzeuge in der Geome-trie (i.W. DGS) sollen hier u.a. die folgenden Kompetenzen fördern: geometrisch-funktio-nales Denken ("Was passiert wenn…"), Ar-gumentieren mit Invarianten und Symme-trien, heuristische Arbeiten: Erzeugen von Vermutungen, (Gegen)beispielen usw. Wie können solche Kompetenzen in Aufgaben überprüft werden, bei denen kein DGS zur Verfügung steht? Die Gerade b ist parallel zur Dreiecksseite a.

Was ändert sich am Umfang und an der Flä-che des Dreiecks, wenn der Punkt D entlang der Geraden b wandert?

Der Punkt D läuft entlang der Kreislinie.

An welcher Stelle hat das Dreieck die kleins-te Fläche?

Das Regal wird an der Wand hochge-schoben. Punkt B bleibt immer auf dem Bo-den, C immer an der Wand. Das Regal hat die Maße c=2m, e=50cm. — Wie hoch muss die Raumdecke mindestens sein?

Abb. 2

Abb. 3

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Neue Instrumente der Standardsetzung und Standardüberprüfung und Neue Medien im Mathematikunterricht

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Um den Mittelpunkt A läuft ein Kreis k, der durch den Punkt B geht. Der Punkt C läuft auf diesem dem Kreis k entlang. Er bildet den verschiebbaren Mittelpunkt eines Krei-ses, der immer durch den festen Punkt B geht. • Für welche Position von C ist der Kreis

am größten / am kleinsten? • In welchem Verhältnis stehen die Flächen

der beiden Kreise dann? • Wann geht der Kreis um C durch den

Punkt A?

Die hier dargestellten Aufgaben sind alle unter Zuhilfenahme eines DGS bearbeitbar. Dennoch kann jede Aufgabe auch mit Blei-stift und Papier bearbeitet werden, denn es geht hier nicht um das heuristisch-explorative Arbeiten, das Entdecken von Zusammen-hängen, sondern darum, dass Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen, also z.B. das funktionale bzw. dynamische Denken in geo-metrischen Situationen anwenden und reflek-tieren. Die Aufgaben können auch von Schü-

lerinnen und Schülern bearbeitet und erfolg-reich gelöst werden, wenn diese nie zuvor ein DGS bedient haben. Sicher ist jedoch, dass die genannten spezifischen Denkwei-sen durch die Verwendung dieses Werk-zeugs im Unterricht gefördert werden. Damit sind die Aufgaben für eine allgemeine Leistungsmessung innerhalb eines zentralen Tests geeignet und deuten Lehrerinnen und Lehren zugleich an (inhaltlich und schon vom Erscheinungsformat her), dass es sich lohnt, mit einer solchen Software im Unterricht zu arbeiten.

(2) Tabellenkalkulation Die Arbeit mit Tabellenkalkulationen soll Schülerinnen und Schüler u.a. darin unter-stützen, Veränderungen in (diskreten) dyna-mischen Prozessen zu erfassen, funktionale Abhängigkeiten numerisch, dann grafisch darzustellen, Prozesse und Zusammenhänge zu modellieren, Daten zu sammeln, zu ag-gregieren und darzustellen usw.. In den fol-genden Aufgaben, für die ähnliche Kriterien wie unter (1) beschrieben gelten, können Teilaspekte dieser Kompetenzen überprüft werden: Die Tabelle zeigt eini-ge Funktionswerte der Funktion f(x) = x3 -x +1. Gesucht ist eine Null-stelle der Funktion. — Wo und wie wür-dest du sie suchen? Die Tabelle zeigt eini-ge Funktionswerte der Funktion f(x) = x3 -x -1. Gesucht ist eine Null-stelle der Funktion. — Lies aus der Ta-belle ab: • Die Nullstelle liegt

sicher zwischen ____ und ____.

• Die Nullstelle ist vermutlich ungefähr bei _____. Begründe!

• Wie würdest du vorgehen, um die Null-stelle genauer zu ermitteln?

Abb. 5

Abb. 6

Abb. 7

Abb. 4

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Die folgenden Werte wurden der Schul-statistik entnommen und mit Hilfe einer Ta-bellenkalkulation K als Graf dargestellt: Welche Probleme siehst du bei der Darstel-lung? Skizziere, wie die Grafik besser ausse-hen sollte.

(3) Funktionenplotter Durch die Verwendung von Funktionenplot-tern sollen Schülerinnen und Schüler lernen, Veränderungen in dynamischen Prozessen zu erfassen, funktionale Abhängigkeiten gra-fisch darzustellen, Funktionen als Objekte explorieren usw. Das folgende Beispiel (vgl. Schumann 1999) zeigt, wie Aspekte solcher Kompetenzen in eine Testaufgabe fließen können, für die ähnliche Kriterien wie unter (1) beschrieben gelten:

Der Kegel hat eine Höhe und einen Radius von je 10cm. Der einbeschriebene Zylinder hat eine Höhe x, die von 0 bis 10cm variiert. — Welche der Kurven stellt Volumen, Oberfläche und Mantelfläche des Zylinders dar?

Fazit

Im ersten Teil des Beitrags wurde auf verschiedene Gefahren und Chancen hingewiesen, die sich für den Medieneinsatz im Mathematikunterricht ergeben, wenn an Standards orientiertes Testen künftig eine stärkere Bedeutung erhält. Dabei wurden am Beispiel des NRW-Kernlehrplans und der nationalen Standards Möglichkeiten der Verankerung des Medieneinsatzes in Texten

der Standardsetzung diskutiert. Abschlie-ßend sollten einige Aufgabenbeispiele erste Anregungen dazu geben, wie die Ver-wendung von Neuen Medien im Mathematik-unterricht durch zentrale Prüfungen gestärkt werden kann, — auch ohne dass ihre Verfügbarkeit in der Prüfung und im vorangehenden Unterricht im Voraus sicher-gestellt werden muss. Sie tun dies, indem sie zunächst die Medien im äußeren Erschei-nungsbild der Aufgabe verankern und indem sie erkennbar auf Kompetenzen fokussieren, deren Erwerb in besonderem Maße mit Neuen Medien gefördert werden kann. Auf diese Weise können solche Testaufgaben eine behutsame Entwicklung anregen und zugleich Teil eines empirisch abgesicherten Testmodells sein.

Abb. 8

Abb. 8

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Neue Instrumente der Standardsetzung und Standardüberprüfung und Neue Medien im Mathematikunterricht

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1 Einleitung Die Hefte aus der Reihe "Mathematikunter-richt mit Taschenrechner TI" enthalten kon-krete Unterrichtsvorschläge in Form von ausgearbeiteten, nachvollziehbaren Unter-richtsbeispielen. Die hier ausgewählten Bei-träge aus den drei Bänden Lineare Funktio-nen, Quadratische Funktionen sowie Expo-nential- und Winkelfunktionen (Herget & Leh-mann 2001, 2002a, b) werden in Anlehnung an die Standards für Mathematik am Ende der Sekundarstufe I (BMBWK Österreich 2004) und unter Bezug auf die Bildungsstan-dards im Fach Mathematik für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2003) unter Verwen-dung der folgenden Kriterien diskutiert:

Prozessbezogene allgemeine mathematische Kompetenzen P 1 Argumentieren und Kommunizieren P 2 Probleme erfassen und lösen P 3 Modelle erstellen und nutzen P 4 Mathematische Darstellungen und

Werkzeuge verwenden

Inhaltsbezogene mathematische Kompetenzen I 1 Arbeiten mit Zahlen und Maßen I 2 Arbeiten mit Variablen und funktiona-

len Abhängigkeiten I 3 Arbeiten mit Figuren und Körpern I 4 Arbeiten mit Daten und Zufall

Die jeweils vier Kompetenzbereiche der pro-zessbezogenen allgemeinen und der inhalts-bezogenen Kompetenzen werden in Anleh-

nung an die österreichischen Erläuterungen (BMBWK 2004) mit "Ich kann"-Statements untersetzt. Die Grundintention von Standards — sie beschreiben, was Schülerinnen und Schüler wirklich können sollen — wird da-durch besonders gut deutlich (Kasten 1 und 2).

P 1 Argumentieren und Kommunizieren Ich kann Argumentationen wiedergeben, erläutern oder entwickeln. Ich kann mit Alltagswissen argumentieren. Ich kann mathematische Sachverhalte beschrei-ben, begründen, mündlich und schriftlich präsen-tieren. Ich kann Ergebnisse bzgl. ihres Anwendungskon-textes bewerten. Ich kann verschiedene Argumentationen bewer-ten. Ich kann Zusammenhänge, Ordnungen und Struk-turen erläutern. Ich kann Vermutungen begründen. Ich kann Fragen stellen, die für die Mathematik charakteristisch sind. Ich kann auf Fragen und Kritik sachlich und ange-messen reagieren. …

P 2 Probleme erfassen und lösen Ich kann Probleme mit bekannten — auch experi-mentellen — Verfahren lösen. Ich kann Probleme bearbeiten, deren Lösung die Anwendung von heuristischen Hilfsmitteln, Strate-gien und Prinzipien erfordert. Ich kann Probleme selbst formulieren und Lö-sungsideen finden. Ich kann die Plausibilität von Ergebnissen über-prüfen. …

Alte "Neue Materialien ..." — neu betrachtet

Elvira Malitte, Halle a.d. Saale

Vor einigen Jahren wurden für die Reihe "Mathematikunterricht mit Taschenrechner TI"im Schroedel Verlag "Neue Materialien für den Mathematikunterricht mit dem TI-83 / -89 / -92 in der Sekundarstufe I" entwickelt (Hrsg. W. Herget und E. Lehmann). Diese Materialien waren erklärtermaßen als "Ansätze zu einer neuen Unterrichts- und Aufgabenkultur" angetreten, unter Einsatz von grafikfähigen Taschenrechnern und Ta-schenrechnern mit Computeralgebrasystem.

Wie sind heute diese "alten" Beiträge im Lichte der neuen Bildungsstandards einzuschät-zen? Können sie Anregungen geben für einen Unterricht, der die Inhalte und Ziele der Bildungsstandards umsetzt? Werden die Leitideen mit den ausgewählten Inhalten ange-messen berücksichtigt? Welche prozessbezogenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler werden mit den vorgestellten Unterrichtsbeispielen besonders angesprochen? Wo aber zeigen sich Defizite?

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P 3 Modelle erstellen und nutzen Ich kann eine geeignete Formel für ein Problem finden. Ich kann mich für ein bestimmtes Modell zur Be-arbeitung eines mathematischen Problems ent-scheiden und es nutzen. Ich kann Modellierungen vornehmen, die mehrere Schritte erfordern. Ich kann komplexe oder unvertraute Situationen modellieren. Ich kann Ergebnisse einer Modellierung interpre-tieren und an der Ausgangssituation prüfen. Ich kann verwendete mathematische Modelle re-flektieren und kritisch beurteilen. Ich kann einem mathematischen Modell passende Situationen zuordnen. …

P 4 Mathematische Darstellungen und Werkzeuge verwenden

Ich kann vertraute und geübte Darstellungen von mathematischen Objekten und Situationen anfer-tigen und nutzen. Ich kann Beziehungen zwischen Darstellungsfor-men erkennen und zwischen den Darstellungs-formen wechseln. Ich kann verschiedene Formen der Darstellung zweckentsprechend beurteilen. Ich kann eigene Darstellungen entwickeln. Ich kann nicht vertraute Darstellungen lesen und beurteilen. Ich kann mathematische Werkzeuge in Situatio-nen nutzen, in denen ihr Einsatz geübt wurde. Ich kann mathematische Werkzeuge verständig auswählen und einsetzen. Ich kann Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung mathematischer Werkzeuge reflektieren. … Kasten 1: "Ich kann"-Statements für prozessbezo-

gene allgemeine mathematische Kompetenzen

I 1 Arbeiten mit Zahlen und Maßen Ich kann Zahlen und Zahlenmengen geeignet dar-stellen. Ich kann Zahlen den verschiedenen Zahlberei-chen zuordnen. Ich kann an Beispielen die Notwendigkeit von Zahlbereichserweiterungen begründen. Ich kann mit Zahlen und Größen rechnen und da-bei Rechengesetze nutzen. Ich kann Größen messen, Maßeinheiten sinnvoll wählen und umwandeln. Ich kann Überschläge berechnen und Rechener-gebnisse runden. Ich kann Prozent- und Zinsrechnung. Ich kann die Anzahl der Möglichkeiten durch kom-binatorische Überlegungen bestimmen. …

I 2 Arbeiten mit Variablen und funktionalen Abhängigkeiten

Ich kann Sachverhalte mit Variablen, Termen und Formeln beschreiben und damit rechnen. Ich kann funktionale Zusammenhänge erkennen und auf verschiedene Weise beschreiben (Term, Tabelle, Graph, Text). Ich kann unterschiedliche Darstellungen funktio-naler Zusammenhänge analysieren, interpretieren und vergleichen. Ich kann lineare und quadratische Gleichungen und lineare Gleichungssysteme auf verschiede-nen Wegen lösen und die Lösungsvielfalt ange-ben. Ich kann kennzeichnende Merkmale von Funktio-nen bestimmen, insbesondere für lineare, quadra-tische, Exponential- und Sinusfunktionen, und Be-ziehungen zwischen Funktionsterm und Graph herstellen. Ich kann die funktionale Veränderung von Größen auch unter Verwendung eines Tabellenkalkula-tionsprogramms beschreiben. Ich kann Funktionen zur Klärung von Sachfragen verwenden und zu vorgegebenen Funktionen Sachsituationen angeben. …

I 3 Arbeiten mit Figuren und Körpern Ich kann geometrische Strukturen in der Umwelt erkennen und beschreiben. Ich kann geometrische Figuren und Körper mit Hil-fe von Grundbegriffen wie Strecke, Winkel usw. beschreiben und aus ihren Darstellungen erken-nen. Ich kann ein Koordinatensystem verwenden. Ich kann Skizzen und Zeichnungen erstellen und Konstruktionen mit angemessenen Hilfsmitteln wie Zirkel, Lineal, Geodreieck oder dynamischer Ge-ometriesoftware ausführen. Ich kann Eigenschaften und Beziehungen geo-metrischer Objekte (wie Symmetrie, Kongruenz, Ähnlichkeit, Lagebeziehungen) erkennen und be-schreiben. Ich kann Sätze der Geometrie bei Konstruktionen, Berechnungen und Beweisen anwenden. …

I 4 Arbeiten mit Daten und Zufall Ich kann grafische Darstellungen und Tabellen von statistischen Erhebungen auswerten. Ich kann statistische Erhebungen planen, Daten sammeln, sie in Tabellen erfassen und grafisch darstellen und dabei auch geeignete Hilfsmittel (wie Software) verwenden. Ich kann statistische Kenngrößen berechnen und statistische Aussagen interpretieren. Ich kann Zufallserscheinungen in alltäglichen Si-tuationen beschreiben und Wahrscheinlichkeiten bei Zufallsexperimenten bestimmen. …

Kasten 2: "Ich kann"-Statements für inhalts-bezogene mathematische Kompetenzen

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2 Vernetzung von prozess- und inhaltsbezogenen Kompetenzen

Mathematische Grundbildung zeigt sich erst dann, wenn Schülerinnen und Schüler in wechselnden Situationen allgemeine Hand-lungskompetenzen aktivieren und dabei auf inhaltliche Kompetenzen zurückgreifen kön-nen (vgl. auch BMBWK Österreich 2004). Je

nach gestellter Aufgabe ist eine Vernetzung bestimmter allgemeiner und inhaltsbezoge-ner Kompetenzen auf unterschiedlichem An-spruchsniveau erforderlich. In den Feldern der nachfolgenden Matrix sind beispielhaft solche Kompetenzpaare eingetragen (vgl. Kasten 3).

Bei offen formulierten und auch bei komple-xen Aufgabenstellungen werden meist meh-rere Kompetenzpaare angesprochen. Das gilt auch für die ausgewählten Beiträge in

Prozessbezogene allgemeine mathematische Kompetenzen

Argumentieren und

Kommunizieren P 1

Probleme erfassen und lösen

P 2

Modelle erstellen und nutzen

P 3

mathematische Dar-stellungen und Werk-

zeuge verwenden P 4

Arbeiten mit Zahlen und Maßen

I 1

Standards (I 1 / P 3)

Anforderungsbereich I, II, III

Arbeiten mit Variablen und funktionalen Ab-

hängigkeiten I 2

Standards (I 2 / P 1)

Anforderungsbereich I, II, III

Arbeiten mit Figuren und Körpern

I 3

Standards (I 3 / P 2)

Anforderungsbereich I, II, III

Arbeiten mit Daten und Zufall

I 4

Standards (I 4 / P 4)

Anforderungsbereich I, II, III

Inhalts-bezogene

mathe-matische

Kompeten-zen

Kasten 3: Kompetenzschema

Prozessbezogene allgemeine mathematische Kompetenzen

Argumentieren und Kommunizieren

Probleme erfassen und lösen

Modelle erstellen und nutzen

mathematische Darstellungen und Werkzeuge verwenden

Dem ersten Eindruck trauen?; Fuß-Mathe Amts-Mathematik – quadratisch oder linear?

Arbeiten mit Zahlen und Maßen

Der Mond ist aufgegangen; Mit dem Sinus auf der Spur der Sonne

Steil und flach – kreuz und quer; Geradenwälder – mit und ohne Glei-

chungen

Steil und flach – kreuz und quer; Geradenwälder – mit und

ohne Gleichungen Dem ersten Eindruck trauen? ; Fuß-Mathe;

Ein Haifisch und ein Taschenrechner Amts-Mathematik – quadratisch oder linear?;

Drei Chinesen und ein Taschenrechner

Arbeiten mit Variab-len und funktionalen

Abhängigkeiten

Der Mond ist aufgegangen; Mit dem Sinus auf der Spur der Sonne; Sinus-Schwächen und Rechner-Grenzen

Steil und flach – kreuz und quer; Geradenwälder – mit und ohne Glei-

chungen

Steil und flach – kreuz und quer; Geradenwälder – mit und

ohne Gleichungen Arbeiten mit Figuren

und Körpern

Ein Haifisch und ein Taschenrechner

Dem ersten Eindruck trauen?; Fuß-Mathe Arbeiten mit Daten und Zufall Der Mond ist aufgegangen; Mit dem Sinus auf der Spur der Sonne

Inhalts-bezogene

mathe-matische

Kompeten-zen

Kasten 4: Notwendige Kompetenzen für ausgewählte Beiträge in Neue Materialien für den Mathematikunterricht (Herget & Lehmann 2002a, b)

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Neue Materialien für den Mathematikunter-richt (Herget & Lehmann 2001, 2002a, b). Die Matrix im Kasten 4 stellt eine Einordnung der Titel der betrachteten Beiträge in das Kompetenzschema dar. Auf eine Charakteri-sierung der Anforderungsbereiche für die Kompetenzen wird im Weiteren verzichtet.

Zwei Beispiele sollen nun die in Kasten 4 vorgenommene Einordnung erläutern.

3 Ausgewählte Beispiele

3.1 "Der Mond ist aufgegangen …"

Anliegen der Aufgabe "Der Mond ist aufge-gangen ..." ist es, zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über den Zusammen-hang zwischen Tag des Jahres und Mond-scheindauer anzuregen. Wenn eine Ausei-nandersetzung mit dem Funktionsbegriff an sich beabsichtigt ist und verschiedene Dar-stellungsformen (Tabelle, Graph) anhand ei-nes konkreten funktionalen Zusammenhangs untersucht werden sollen, ist ein Einsatz be-reits ab Klasse 7 möglich. Die Aufgabe kann aber auch genutzt werden, um die trigono-metrischen Funktionen zu motivieren und einzuführen, um bereits erworbenes Wissen zu üben und zu festigen, oder zur Wiederho-lung, etwa zu Beginn der Sekundarstufe II. Der Einsatz eines Werkzeuges, mindestens eines Grafikrechners, ist vorteilhaft. Dadurch wird die Bewältigung der Aufgabe, die weit über die rein händischen Möglichkeiten der Bearbeitung hinausgeht, zu einem interes-santen, vielgestaltigen Auftrag.

Wie verändert sich die Mondscheindauer im Laufe der Zeit? — Anstrebenswert er-scheint eine Darstellung der Mondschein-dauer im Koordinatensystem in Abhängig-keit von der Tagesnummer.

Wie lässt sich die Mondscheindauer aus den vorhandenen Daten berechnen? — Es wäre günstig, die Mondscheindauer als Dezimalzahl zu erhalten.

Die aufwändige Dateneingabe lässt sich ele-gant lösen, wenn ein Tabellen-Werkzeug ge-nutzt werden kann. Dann kann den Schüle-rinnen und Schülern eine entsprechende Da-tei zur Verfügung gestellt werden, die die Angaben der Tabelle in den fünf Spalten A–E enthält: A mit einer fortlaufenden Nummerierung/Ta-

gesnummer (Nr) B für die Stunde des Mondaufgangs (MA_h) C für die Minutenangabe des Mondaufgangs

(MA_m) D für die Stunde des Monduntergangs

(MU_h) E für die Minutenangabe des Mondunter-

gangs (MU_m)

Bei Bedarf kann auch noch der folgende Hin-weis gegeben werden: Es kommen zwei verschiedene Fälle in den erfassten Datensätzen vor, je nachdem ob zwischen MA und MU ein Tageswechsel liegt

Aus der Tageszeitung kann man die Daten für den Mondaufgang (MA) und den Monduntergang (MU) entnehmen. Ein Schüler sammelte diese Daten vom 1. Juli bis zum 28. August und legte die folgende Tabelle vor. Sonntags erscheint die Zeitung nicht, und manch-mal vergaß der Schüler auch, sich die Zeiten zu no-tieren. So kam es zu Lücken in der Tabelle.

Nr. Datum MA MU Nr. Datum MA MU 1 01.07. 13:02 00:52 31 31.07. 2 02.07. 14:06 01:14 32 01.08. 3 03.07. 15:09 01:35 33 02.08. 4 04.07. 16:13 01:59 34 03.08. 17:05 01:26 5 05.07. 35 04.08. 18:03 02:05 6 06.07. 17:45 02:24 36 05.08. 18:57 02:52 7 07.07. 19:19 03:29 37 06.08. 19:45 03:47 8 08.07. 20:16 04:12 38 07.08. 20:26 04:51 9 09.07. 21:07 05:03 39 08.08. 21:02 06:02 10 10.07. 21:52 06:02 40 09.08. 11 11.07. 22:30 07:09 41 10.08. 22:02 08:36 12 12.07. 42 11.08. 22:30 09:56 13 13.07. 23:32 09:38 43 12.08. 22:57 11:15 14 14.07. 23:59 10:52 44 13.08. 23:26 12:33 15 15.07. 12:10 45 14.08. 23:58 13:50 16 16.07. 00:25 13:27 46 15.08. 15:04 17 17.07. 00:52 14:44 47 16.08. 18 18.07. 01:22 16:00 48 17.08. 01:19 17:17 19 19.07. 49 18.08. 02:09 18:11 20 20.07. 02:35 18:23 50 19.08. 03:07 18:57 21 21.07. 03:22 19:24 51 20.08. 04:09 19:36 22 22.07. 04:16 20:17 52 21.08. 05:15 20:08 23 23.07. 05:17 21:00 53 22.08. 06:22 20:35 24 24.07. 06:22 21:37 54 23.08. 25 25.07. 07:29 22:07 55 24.08. 07:38 21:08 26 26.07. 56 25.08. 08:34 21:22 27 27.07. 09:42 22:56 57 26.08. 09:38 21:44 28 28.07. 10:48 23:18 58 27.08. 10:42 22:08 29 29.07. 11:52 23:40 59 28.08. 11:45 22:29 30 30.07. 12:56 60 29.08.

Kann man aus diesen Daten etwas Interessantes ablesen? — Versuchen wir es!

Kasten 5 (aus Herget, Malitte & Richter 2002b)

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Kasten 7: Grafische Darstellung der Wertepaare und des Graphen von Y1(x)

oder nicht. Aus diesem Grund kann eine Be-dingungsformel in der Tabellenkalkulation eingegeben werden. Hier ein kurzer Blick auf einige Phasen der Bearbeitung dieser Aufgabenstellung mit CellSheet auf dem Voyage 200. Im Kasten 6 sind die verwendeten Formeln und die grafi-sche Darstellung der ermittelten Wertepaare ersichtlich.

Welche Sinuskurve verläuft in dieser Weise? Es bietet sich an, eine schrittweise Lösung dieser Frage auf verschiedenen Wegen zu versuchen, z. B. in der Weise:

Probiere zunächst Funktionen mit y(x) = a·sin(x)+d

Probiere jetzt Funktionen mit y(x) = a·sin(b·x)+d

Einen recht gut angepassten Graphen (siehe rechts, Kasten 7) liefert z. B. die Funktion Y1(x) = –4·sin(0,22·x)+12 Bei Verwendung einer Tabellenkalkulation auf dem PC stehen weitere Möglichkeiten zur Visualisierung einer schrittweisen Kurvenan-

passung zur Verfügung (Kasten 8). Mit Hilfe der Steuerelemente-Toolbox können Schie-beregler zur Variation der Parameter definiert werden. Die grafische Veranschaulichung im Diagramm und die Wertetabelle (Spalten M und N) spiegeln die sich dynamisch ändern-den Einstellungen für die Parameter wider. Bei der Bearbeitung dieser Aufgabenstellung ergibt sich die Möglichkeit für die Schülerin-nen und Schüler, eine Vielzahl von Kompe-tenzen unter Beweis zu stellen. Das belegt Kasten 9, in dem diejenigen "Ich kann"-State-ments zusammengestellt sind, die bei die-sem Arbeitsblatt angesprochen werden.

Kasten 8: Dynamische Kurvenanpassung in EXCEL

Kasten 6: Formeleingabe in CellSheet und grafische Darstellung der Wertepaare mit dem Voyage 200

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P 1 Argumentieren und Kommunizieren Ich kann Fragen stellen, die für die Mathematik charakteristisch sind. Ich kann Zusammenhänge erläutern. Ich kann Sachverhalte beschreiben, begründen, mündlich und schriftlich präsentieren.

P 2 Probleme erfassen und lösen Ich kann Probleme selbst formulieren und Lö-sungsideen finden. Ich kann Probleme mit bekannten — auch expe-rimentellen — Verfahren lösen.

P 3 Modelle erstellen und nutzen Ich kann eine geeignete Formel für ein Problem finden. Ich kann mich für ein bestimmtes Modell zur Be-arbeitung eines mathematischen Problems ent-scheiden und es nutzen. Ich kann Ergebnisse einer Modellierung interpre-tieren und an der Ausgangssituation prüfen. Ich kann verwendete mathematische Modelle re-flektieren und kritisch beurteilen.

P 4 Mathematische Darstellungen und Werkzeuge verwenden

Ich kann vertraute und geübte Darstellungen von mathematischen Objekten und Situationen anfer-tigen und nutzen. Ich kann Beziehungen zwischen Darstellungsfor-men erkennen und zwischen den Darstellungs-formen wechseln. Ich kann mathematische Werkzeuge verständig auswählen und einsetzen.

I 1 Arbeiten mit Zahlen und Maßen Ich kann mit Zahlen und Größen rechnen und da-bei Rechengesetze nutzen. Ich kann Maßeinheiten sinnvoll wählen und um-wandeln.

I 2 Arbeiten mit Variablen und funktionalen Abhängigkeiten

Ich kann Sachverhalte mit Variablen, Termen und Formeln beschreiben und damit auch rechnen. Ich kann Funktionen zur Klärung von Sachfragen verwenden. Ich kann funktionale Zusammenhänge erkennen und auf verschiedene Weisen beschreiben (Term, Tabelle, Graph, Text). Ich kann Beziehungen zwischen Funktionsterm und Graph herstellen. Ich kann unterschiedliche Darstellungen funktio-naler Zusammenhänge analysieren, interpretieren und vergleichen.

I 4 Arbeiten mit Daten und Zufall Ich kann Daten sammeln und in Tabellen erfas-sen. Ich kann Tabellen von statistischen Erhebungen auswerten.

Ich kann Datenmaterial grafisch darstellen und da-bei auch geeignete Hilfsmittel (wie Software) ver-wenden. Kasten 9: Auswahl der "Ich kann"-Statements, die

bei der Aufgabe "Der Mond ist aufgegangen" (siehe Kasten 5) angesprochen werden

3.2 Amts-Mathematik — quadratisch oder linear?…

In dem Arbeitsblatt (s. nächste Seite, Kasten 11) geht es darum, von zwei Zeitungsaus-schnitten zu einer mathematischen Beschrei-bung einer Funktion zu gelangen. Das The-ma eignet sich zur Vorbereitung der quadra-tischen Funktionen, aber auch zur Vertiefung und Anwendung der linearen Funktionen.

Es sind folgende Schritte notwendig: Aus dem Text heraus die Vorschrift für ei-ne quadratische Funktion erkennen,

diese grafisch veranschaulichen, den Graphen kritisch diskutieren, einfachere Ersatzfunktionen ermitteln. Grafikrechner oder Tabellenkalkulation er-leichtern die Arbeit.

Hier ein kurzer Blick auf einige Phasen der Bearbeitung dieser Aufgabenstellung. Im Kasten 12 (s. nächste Seite) sind der aus dem Gesetzentwurf folgende Funktionsterm, die zugehörige Wertetabelle und der Graph in einem sinnvoll festgelegten Wertebereich dargestellt. Mit einem Blick auf den Graphen ist die Moti-vation gegeben, nach einer einfacheren Vor-schrift zu suchen:

Welche Gerade passt gut dazu? Nach einigem Experimentieren wird eine li-neare Ersatzfunktion gefunden mit z. B. Y2(x) = 140·x. Der Vergleich der Graphen (s. Kasten 10) ist beeindruckend. Nachprüfen zeigt: Die Werte im für unser Problem relevanten Bereich weichen kaum mehr als 3 % von einander ab.

Kasten 10: Grafische Darstellung von Y1(x) und Y2(x)

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Kasten 11 (aus Herget, Malitte & Richter 2002a)

Kasten 12: Erste Ergebnisse für die Aufgabenstellung

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Bei dieser Problemstellung kommen folgende Kompetenzbereiche in Betracht (Kasten 13):

P 1 Argumentieren und Kommunizieren Ich kann mit Alltagswissen argumentieren. Ich kann Fragen stellen, die für die Mathematik charakteristisch sind. Ich kann Zusammenhänge erläutern. Ich kann Sachverhalte begründen, mündlich und schriftlich präsentieren. Ich kann Ergebnisse bzgl. ihres Anwendungskon-textes bewerten.

P 2 Probleme erfassen und lösen Ich kann Probleme selbst formulieren und Lö-sungsideen finden. Ich kann Probleme mit bekannten — auch expe-rimentellen — Verfahren lösen.

P 3 Modelle erstellen und nutzen Ich kann eine geeignete Formel für ein Problem finden. Ich kann mich für ein bestimmtes Modell zur Be-schreibung eines Problems entscheiden und es nutzen. Ich kann Ergebnisse einer Modellierung interpre-tieren, an der Ausgangssituation prüfen und kri-tisch beurteilen.

P 4 Mathematische Darstellungen und Werkzeuge verwenden

Ich kann vertraute und geübte Darstellungen von mathematischen Objekten und Situationen anfer-tigen und nutzen. Ich kann Beziehungen zwischen Darstellungsfor-men erkennen und zwischen den Darstellungs-formen wechseln. Ich kann mathematische Werkzeuge verständig auswählen und einsetzen.

I 1 Arbeiten mit Zahlen und Maßen Ich kann mit Größen rechnen und Maßeinheiten sinnvoll wählen und umwandeln.

I 2 Arbeiten mit Variablen und funktionalen Abhängigkeiten

Ich kann Sachverhalte mit Variablen, Termen und Formeln beschreiben und damit auch rechnen. Ich kann Funktionen zur Klärung von Sachfragen verwenden. Ich kann funktionale Zusammenhänge erkennen und auf verschiedene Weise beschreiben (Term, Tabelle, Graph, Text). Ich kann Beziehungen zwischen Funktionsterm und Graph herstellen.

Kasten 13: Auswahl der "Ich kann"-Statements, die von der "Amts-Mathematik"-Aufgabe

(Kasten 11) angesprochen werden

4 Fazit

Aufgaben spielen eine zentrale Rolle für das Lehren und Lernen im Mathematikunterricht, sei es als Anlass zum Entdecken mathemati-scher Zusammenhänge, zum Üben von Fer-tigkeiten, zum Vernetzen von Begriffen oder als Instrument der Leistungsbewertung. Die Entwicklung und der Einsatz "guter" Aufga-ben werden als zentrales Instrument der Entwicklung von Unterrichtskultur angese-hen. Die Festsetzung bzw. Konkretisierung von Bildungsstandards findet über Aufgaben statt (vgl. Büchter & Leuders 2005, 7–9). Die in den Bildungsstandards formulierten Kompetenzen sollen so konkret beschrieben werden, dass sie in Aufgabenstellungen um-gesetzt und prinzipiell mit Hilfe von Testver-fahren erfasst werden können. Wenn die Umorientierung auf Bildungsstandards Erfolg haben soll, muss sie durch eine intensive Lehrerfortbildung begleitet werden und sich auch schon in der Lehrerausbildung nieder-schlagen (vgl. auch Elschenbroich 2004). Für viele stellt sich heute die Frage, wie man kompetenzorientiert im Unterschied zu einer inhaltsorientierten Art und Weise unterrichten soll. Hier kann die Analyse von Aufgaben wertvolle Anhaltspunkte bieten. Der deutsche Bericht zu den Ergebnissen bei TIMSS zeigt insbesondere, dass relativ viele der deutschen Schülerinnen und Schüler vor allem Schwierigkeiten mit Aufgaben der An-forderungsart "Anwendungsbezogene und mathematische Probleme" haben. Die ge-meinsamen Erklärungen der deutschen Fachverbände DMV, GDM und MNU (1997 & 1998) sprechen diesbezüglich davon, "dass im Mathematikunterricht in Deutschland ge-nerell zu viel Wert gelegt wird auf das routi-nemäßige, manchmal gar schematische Lö-sen innermathematischer Standardaufgaben. Zu kurz kommen insbesondere das selb-ständige, aktive Problemlösen, das inhaltli-che, nicht standardisierte Argumentieren so-wie das Herstellen von Verbindungen ma-thematischer Begriffe mit Situationen aus All-tag und Umwelt." Schon nach TIMSS wurden sehr grundsätzli-che Überlegungen zur Veränderung des Ma-thematikunterrichts in Deutschland ange-stellt. Sie dienten als Grundlage für die vielen SINUS- und SINUS-Transfer-Schulen, die im Rahmen des Moduls 1 "Weiterentwicklung der Aufgabenkultur im mathematisch-natur-wissenschaftlichen Unterricht" und des Mo-duls 8 "Entwicklung von Aufgaben für die Ko-operation von Schülern" sehr engagiert gear-beitet haben (vgl. Bieber 2005). Hier spiegelt

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sich die Überzeugung wider, dass Aufgaben, die aktiv entdeckendes Lernen ermöglichen und ein stimmiges Bild von Mathematik und ihren Anwendungen zeichnen, sowie Aufga-ben, die konkurrierende Lösungsansätze und Erfahrungen für Begriffsbildungen bieten, in der Lage sind, zu einer erwünschten Ent-wicklung des Mathematikunterrichts beizu-tragen (vgl. Büchter & Leuders 2005, 13). Ermutigend sind in diesem Zusammenhang auch die Befunde einer Studie vom Max-Planck-Institut für psychologische Forschung: In Klassen, deren Lehrerinnen und Lehrer mathematisches Verständnis höher ein-schätzten als das Üben von Rechenstrate-gien, waren deutlich stärkere Fortschritte im Lösen von Aufgaben zum erweiterten Ver-ständnis zu beobachten als in den Ver-gleichsklassen. Offene, komplexe, nicht vorgeformte Pro-blemstellungen sind charakteristisch für un-sere Umwelt. Schülerinnen und Schüler sind einerseits das Auftreten derartiger Situatio-nen gewohnt, andererseits muss das prinzi-pielle Herangehen, das grundsätzliche Vor-gehen zu ihrer Bewältigung gelernt und im-mer wieder geübt werden. Der Mathematik-unterricht bietet dazu — insbesondere in der Auseinandersetzung mit Nicht-Routine-Auf-gaben — vielfältige Möglichkeiten. Für die-sen besonderen Aspekt der Bildung bedarf es eines gezielten und zugleich behutsamen Vorgehens. Eine motivierende und zugleich herausfordernde Fragestellung, gepaart mit der Möglichkeit, eigene Ideen auszuprobie-ren, sich mit anderen auszutauschen, nach Lösungshilfen zu suchen und diese zu tes-ten, sind wesentliche Schritte auf dem Weg hierzu (vgl. Herget & Leneke 2005). Zahlreiche erprobte Anregungen für den Ma-thematikunterricht bieten auch (Ulm 2004) und (Herget, Jahnke & Kroll 2001). Mit Blick auf die nationalen Bildungsstan-dards kann festgestellt werden, dass die hier betrachteten Aufgabenbeispiele aus (Herget & Lehmann 2001, 2002a, b) ein breites Spektrum der prozessbezogenen allgemei-nen und der inhaltsbezogenen Kompetenzen ansprechen. Die genannten Beiträge streben insgesamt eine neue Unterrichtskultur an: Mehr Selbst-tätigkeit der Schülerinnen und Schüler, Pha-sen mit Partner und Gruppenarbeit, Offen-heit, Diskussion und vergleichende Bewer-tung von Lösungswegen usw. Folgende As-pekte werden in besonderem Maße berück-sichtigt: Modellbildung, Schilderung von Lö-sungswegen, Argumentieren, Begründen,

Kommentieren, Lösungsvielfalt, Bewerten von Ergebnissen, Bewerten von Modellen. Der Einsatz eines grafikfähigen Taschen-rechners oder eines Taschencomputers mit Computeralgebrasystem wird empfohlen. Dieser Ansatz ist aus meiner Sicht gut geeig-net, viele Kompetenzbereiche ausdrücklich und nachhaltig anzusprechen.

Literatur Bieber, Götz (2005): Vom PISA-Bericht zu konkre-

ten Folgen in der Schule — Wie geht das? In: mathematik lehren 128, 64–65

BMBWK (Zukunftsministerium Österreich) (2004): Standards für Mathematik am Ende der Se-kundarstufe I

Büchter, Andreas & Timo Leuders (2005): Mathe-matikaufgaben selbst entwickeln. Lernen för-dern — Leistung überprüfen. Berlin: Cornelsen Scriptor

DMV, GDM & MNU (1997/1998): Schlechte Noten für den Mathematikunterricht — Anlass und Chance für Innovationen. In: Der mathemati-sche und naturwissenschaftliche Unterricht 50, 182 & 51, 313–314

Elschenbroich, Hans-Jürgen (2004): Bildungsstan-dards Mathematik: eine (nicht nur) aktuelle Dis-kussion. In: mathematik lehren 122, 64–65

Herget, Wilfried, Thomas Jahnke & Wolfgang Kroll (2001): Produktive Aufgaben für den Mathe-matikunterricht der Sekundarstufe I. Berlin: Cornelsen

Herget, Wilfried & Eberhard Lehmann (Hrsg.) (2001): Lineare Funktionen. Neue Materialien für den Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 1 mit dem TI-83/-89/-92. Hannover: Schroedel

Herget, Wilfried & Eberhard Lehmann (Hrsg.) (2002a): Quadratische Funktionen. Neue Mate-rialien für den Mathematikunterricht in der Se-kundarstufe 1 mit dem TI-83/-89/-92. Hannover: Schroedel

Herget, Wilfried & Eberhard Lehmann (Hrsg.) (2002b): Exponential- und Winkelfunktionen. Neue Materialien für den Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 1 mit dem TI-83/-89/-92. Hannover: Schroedel

Herget, Wilfried & Brigitte Leneke (2005): Mathe-matik-Kompetenzen in Klasse 7. Leistungsstu-die MUSA in Sachsen-Anhalt. In: Der Mathe-matikunterricht 51, Heft 2/3, 93–107

Herget, Wilfried, Elvira Malitte & Karin Richter (2002a): Amts-Mathematik — quadratisch oder linear. In: Herget & Lehmann (2002a), 6–15

Herget, Wilfried, Elvira Malitte & Karin Richter (2002b): Der Mond ist aufgegangen … In: Her-get & Lehmann (2002b), 42–53

KMK (2003): Bildungsstandards im Fach Mathe-matik für den Mittleren Schulabschluss. Be-schluss der KMK vom 04.12.2003

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MNU (2003): Empfehlungen zum Umgang mit Bil-dungsstandards im Fach Mathematik. In: Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht (MNU) 56, Heft 4, Sonderbeilage III–X

MNU (2004): Empfehlungen zur Umsetzung der Bildungsstandards der KMK im Fach Mathe-

matik. In: Der mathematische und naturwis-senschaftliche Unterricht 57, Heft 8, Sonder-beilage III–VIII

Ulm, Volker (2004): Mathematikunterricht für indi-viduelle Lernwege öffnen. Sekundarstufe. Seelze: Kallmeyer

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1 Mathematische Denkwei-sen und "Vorstellungen"

Der Mathematikunterricht in Deutschland ist in den letzten 30 bis 40 Jahren "systemati-scher" geworden. Betrachtet man etwa die Veröffentlichungen in fachdidaktischen Zeit-schriften wie beispielsweise "MNU" oder "Praxis der Mathematik", so gab es früher sehr viel mehr Unterrichtsvorschläge, die ein engagierter Lehrer in seiner (meist hoch mo-tivierten) Klasse erfolgreich durchgeführt hat-te und die nun durch eine Veröffentlichung dem Leserkreis "aus dem hohlen Bauch her-aus" zur Nachahmung empfohlen wurden. Gleiches galt im Grundschulbereich, etwa bei Themen zur sog. "Mengenlehre". Heute wird kritischer hinterfragt mit der Kon-sequenz, dass viele "exotische" Ideen ver-borgen bleiben und Individualisten weniger Förderung finden. Veröffentlichungen werden abgelehnt, wenn sie nicht in den allgemeinen Rahmen passen oder nicht gleichzeitig hand-fest überprüfbare empirische Belege beige-fügt werden können. Dies ist nicht zuletzt auch ein Ergebnis der Entwicklung einer neuen Disziplin, der "Didaktik der Mathema-tik". Der rote Faden aus mathematischen, fachdidaktischen und curricularen Anforde-rungen bleibt heute stärker sichtbar, in die-sem Sinne ist der Unterricht "systematischer" geworden. Mit der Entwicklung verbunden ist auch die Tendenz, unbewusste oder intuitive Einfälle oder Unterrichtsideen negativ zu sehen, zu-rück zu drängen oder gar zu vermeiden, "aus

dem hohlen Bauch heraus" ist verpönt. Zwar wird hierdurch der Unterricht transparenter, "mechanischer", "logischer" und bewusster in seinem Ablauf, aber Spontaneität und Kreati-vität verlieren an Bedeutung. Für den Beob-achter heute hat sich damit das Bild von Ma-thematik und von mathematischen Denk- und Arbeitsweisen verändert1. Jeder Mathemati-ker als Forscher benutzt Versuchen und Pro-bieren als ein wesentliches Handwerkszeug, häufig unbewusst, oft spontan und kreativ, aber für den Lernenden im Mathematikunter-richt ist dieses Werkzeug negativ belegt. Folglich werden unsere Schüler immer mehr "Follower" und weniger "Discoverer" (so schon Sharon Dugdale ca. 1980 in einem Vortrag über "green globs" in den USA). Es lohnt sich deshalb, die folgende Frage stärker in den Mittelpunkt zu stellen: Wie kommt die "Mathematik" rein in den Kopf des Lernenden? Eine erste Antwort möchten wir durch Abb. 1 geben (zit. nach Meißner 2002). Welche Vorstellungen entwickeln sich, wie, wann und wodurch? Es ist dies ein Prozess von Kommunikation und Interaktion, der Auf-bau entsprechender kognitiver Netzwerke ist stark beeinflusst durch Einstellungen und Vorerfahrungen. Die zentrale Frage lautet: Welche "Darstellungen" führen zu welchen "Vorstellungen"? Wir wollen diese beiden Begriffe hier in einer sehr breiten Weise gebrauchen. "Darstellun-gen" sind geschriebene oder gesprochene 1 Es wäre sicher erkenntnisreich, die Entstehung der TIMSS- oder

PISA-Ergebnisse auch einmal unter diesem Gesichtspunkt zu ana-lysieren.

Mathematische Denkweisen beim Umgang mit Hardware und Software

Hartwig Meißner, Münster

Es wird berichtet über Veränderungen von Denkweisen im Mathematikunterricht, die sich im Laufe der vergangenen 30 Jahre beobachten ließen. Sicher sind diese Veränderun-gen nicht alle auf die neuen Technologien zurückzuführen, andererseits sind die im Po-tential der neuen Technologien vorhandenen Veränderungsmöglichkeiten noch längst nicht alle ausgeschöpft.

Konkreter: wir unterscheiden syntaktische und semantische Aktivitäten. Syntaktische Ak-tivitäten (Rechnen, Formeln anwenden, Programme anwenden, ...) führen dabei häufig nur zu einem "instrumental understanding" im Sinne von Skemp. Hard- und Software er-lauben dagegen verstärkt auch ein semantisches Arbeiten (mathematisches Experimen-tieren, Simulationen, Versuchen und Probieren, ...) und damit ein begriffliches Verstehen. Insbesondere soll hier die Rolle von Versuchen und Probieren näher untersucht werden. Zahlreiche Beispiele werden die Problematik ausleuchten.

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Mathematische Denkweisen beim Umgang mit Hardware und Software

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Alle Kanten sindsichtbar. Wie sieht der Körper aus?

Sprache, Wörter, Zeichen, Gegenstände, Bilder, Aktivitäten, Handlungen, Aktionen, Formeln, Graphen, Figuren, Symbole, ... "Darstellungen" kann man sehen, hören, be-rühren, riechen, fühlen oder schmecken. Wir assoziieren mit einer "Darstellung" eine Be-

deutung. "Darstellungen" können, innerhalb oder außerhalb des Mathematikunterrichts, versteckt oder codiert, eine mathematische Idee, ein mathematisches Beispiel, einen mathematischen Begriff oder eine mathema-tische Struktur enthalten.

"konkreter":

Abb. 1: Mathematische Vorstellungen entwickeln als Wechselwirkungsprozess

"Darstellungen" führen zu Vorstellungen in uns, zu "skripts", "frames", "micro worlds" oder "Subjektiven Erfahrungsbereichen". Die Vorstellungen sind individuell und entstehen den äußeren Gegebenheiten entsprechend angepasst. Ein und dieselbe Darstellung kann dabei offensichtlich bei verschiedenen Personen zu sehr unterschiedlichen Vorstel-lungen führen. Wir geben ein paar Darstel-lungen an und bitten den Leser, jeweils un-terschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zu suchen: (1) a² ± b² = c² (2) sin x = 1.3 ⇒ x = ? (3) 10log103 = ? (4)

(5)

Ziel des Mathematikunterrichts ist die Ent-wicklung mathematischer Vorstellungen, die umfassend und wirkungsvoll, reichhaltig und flexibel sind. Wir unterscheiden dabei zwei Arten von Vorstellungen, die wir "common-sense Vorstellungen2" und "analytisch-logi-sche Vorstellungen" nennen möchten. Wir weisen damit auf eine Polarität im Denken hin, die auch andere Autoren schon häufig thematisiert haben3. Die Entwicklung "analytisch-logischer Vor-stellungen" stellt gegenwärtig sicherlich den Schwerpunkt im Mathematikunterricht dar. Formales, logisches, deterministisches und analytisches Denken, Reflektieren und Be-wusstmachen stehen im Mittelpunkt. Mehr oder minder nicht wahrgenommen oder igno-riert oder gar unterdrückt werden intuitive, 2 Im Vortrag hatten wir mangels eines besseren deutschen Wortes

von "naiven" Vorstellungen gesprochen. "Naiv” löst jedoch auch negative Assoziationen aus, weshalb wir hier lieber das neutralere Wort "common-sense” benutzen.

3 Vygotzki spricht von spontaneous and scientific concepts, Gins-burg von informal versus written work oder Strauss von common sense knowledge und cultural knowledge. Auch unterschiedliche Zahldarstellungen (analog vs. digital) oder unterschiedliche Tätig-keiten (wie z.B. Schätzen vs. Approximieren) sind hier zu nennen.

E I N S T E L L U N GE N

mathematische Konzepte

Darstellungen

Vorstellungen

baba 22

+−

"ein Bruch ist ..."

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Hartwig Meißner

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spontane Ideen, unbewusst produzierte Re-aktionen, informelle Vorüberlegungen, pau-schale, globale, ganzheitliche Betrachtungs-weisen, Probieren und Testen, Versuch und Irrtum ... Alles dies sind aber notwendige Komponenten bei der Entwicklung von "com-mon-sense Vorstellungen". Beide Arten von Vorstellungen sind notwendig, nicht nur bei der Entstehung von Alltagswissen und -er-fahrungen, sondern auch für die Entwicklung von "scientific concepts", speziell also auch bei der Verinnerlichung mathematischer Kenntnisse und Erfahrungen. Wir fordern zwar mehr Zahlgefühl, Funktionengefühl, Proportionalitätsdenken, Erfahrungen mit Un-endlich, das Beherrschen algebraischer, geo-metrischer oder topologischer Strukturen, aber gleichzeitig sind Diskussionsbeiträge "aus dem hohlen Bauch heraus" ohne Bezug zu analytisch-logischen Argumenten im Un-terricht eher verpönt. Kann der Einsatz von Taschenrechnern und Computern hier etwas verändern? Wir meinen: ja.

2 Hardware und Software verändern Vorstellungen

Taschenrechner und Computer sind (relativ) einfach zu bedienen und arbeiten schnell und zuverlässig. Für den Mathematikunterricht ergibt sich daraus der Vorteil, dass man sehr viel mehr Beispiele "behandeln" kann. Man kann sehr viel mehr üben und damit das Training von Fertigkeiten verstärken. Ande-rerseits sind mit Hilfe dieser Medien aber auch sehr viel intensivere Interaktionen zwi-schen dem Problem und den Gedankengän-gen des Problemlösers möglich. Man kann schnell testen oder probieren, verifizieren oder falsifizieren, und dies so zu sagen im privaten Dialog mit einer Maschine, d.h. ohne Kommentare oder Wertungen durch einen Lehrer im Hintergrund. Betrachten wir zunächst das Training von Fertigkeiten durch häufiges Üben. Die Hard-ware Taschenrechner bzw. Computer dient hierbei als Werkzeug wie Zange, Säge oder Bohrmaschine. Es gibt "Knöpfe" zur Bedie-nung, die in einer vorgegebenen Reihenfolge bedient werden müssen. Wir rechnen oder zeichnen damit, wir sortieren und ordnen Da-ten und präsentieren diese dann in unter-schiedlichen Darstellungsformen. Die Hard-ware bleibt Werkzeug, man muss nicht ver-stehen, warum das so "funktioniert". Auch die heute häufig sehr bedienerfreundli-che Software kann ohne große Probleme

rein als Werkzeug eingesetzt werden, es ist "nur" der vorgegebenen "Bedienungsanlei-tung" zu folgen. Wir plotten und zeichnen, wir vergrößern oder verkleinern, wir erhalten mü-helos zu beliebigen Funktionen die zugehöri-gen Funktionsgraphen. Oder wir erleichtern uns die Darstellung von Datenmengen oder die Darstellung von Beziehungen in Daten-strukturen durch die Nutzung von Spread-sheets. Auch gibt es im Unterricht viele4 Auf-gaben und Aufgabenpakete, die mit Hilfe von DGS oder CAS durch einfache Routinen ge-löst werden können. Die Software erhält Werkzeugcharakter, auch hier ist es nicht notwendig zu verstehen, warum das alles funktioniert. Und wenn im Unterricht und bei den an-schließenden Tests oder Abschlussarbeiten der eigentliche Erfolg des Unterrichts nur an den entstandenen Endprodukten gemessen wird, d.h. nur an den entstandenen "Darstel-lungen" im oben genannten Sinne, so ist für den Schüler die Beherrschung der mit Ta-schenrechner und Computer verbundenen syntaktischen Zeichenverarbeitungstechni-ken das wesentliche Ziel des Mathematikun-terrichts. Instrumental understanding im Sin-ne von Skemp ist hierzu ausreichend, und zahlreiche Unterrichtsbeobachtungen bestä-tigen dies. Das heisst nicht, dass diese Fertigkeiten nicht geschult werden sollten. Natürlich sind sie notwendig. Natürlich ist es notwendig, seine Werkzeuge zu beherrschen. Dies kann aber nicht nur Selbstzweck sein. Gesucht sind vielmehr Problemfelder, zu deren erfolg-reicher Bearbeitung diese Werkzeuge not-wendig sind, d.h. bei denen diese Werkzeu-ge sinnvoll und nützlich eingesetzt werden müssen, bevor man überhaupt zu Antworten auf anspruchsvollere Fragestellungen gelan-gen kann. Beispiele hierzu sind zahlreich bekannt, man müsste sie nur noch häufiger einsetzen. Common-sense Vorstellungen entwickeln sich weitestgehend über Beispiele und Ge-genbeispiele, häufig intuitiv und unbewusst. Der Prozess der Begriffsbildung braucht Ab-grenzungen. Gehört dies noch dazu, oder doch nicht mehr? Komplexe Sachverhalte und -zusammenhänge lassen sich viel bes-ser erfassen, wenn man viele Beispiele dazu studieren kann, mit komplexeren Zahlen in anspruchsvolleren Zahlbereichen und mit Grenzfällen. Die Entwicklung von common-sense Vorstellungen verlangt nach visuellen Darstellungen im direkten Vergleich zu se- 4 leider zu viele

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Mathematische Denkweisen beim Umgang mit Hardware und Software

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quentiellen Darstellungen (etwa Graphen und Funktionsterme oder Grenzwertbetrachtun-gen, Zoomen, etc.). Beziehungen oder Ei-genschaften können so algebraisch oder ge-ometrisch erforscht werden. Anspruchsvolle und reichhaltige "Vorstellun-gen" im Mathematikunterricht entstehen erst, wenn sich gut entwickelte common-sense Vorstellungen und analytisch-logische Vor-stellungen gegenseitig ergänzen. Dann kann man effektiv Vermutungen aufstellen und tes-ten, oder zielgerecht raten und probieren. Man kann experimentieren oder zunächst nur mit Grössenordnungen arbeiten, bevor man den Suchbereich einengt. Das im Mathema-tikunterricht erstrebte analytisch-logische Denken erhält, meist unbewusst, aufgrund der vielseitig gemachten Erfahrungen "aus dem Bauch heraus" neue Impulse oder Ideen für die Veränderung von Sichtweisen. Im fol-genden wollen wir Beispiele geben, wie man Taschenrechner oder Computer als Werk-zeuge nutzen kann, um Ziele des klassi-schen Mathematikunterrichts zu erreichen, die man bisher ohne diese Werkzeuge — und manchmal auch trotz dieser Werkzeuge — nicht so recht erreicht hat.

3 Common-sense Vorstel-lungen entwickeln und ausbauen

Es sollen Beispiele für Unterrichtssituationen zusammen getragen werden, die vornehm-lich die Entwicklung von common-sense Vor-stellungen fördern. Wesentliches Hilfsmittel zur Erreichung dieses Zieles ist der Einsatz von Taschenrechnern oder Computern als Werkzeuge im oben beschriebenen Sinne. Wir beginnen mit Beispielen für den Einsatz einfacher Taschenrechner.

3.1 Wettbewerbe zur Förderung von Rechenfertigkeit und Zahlgefühl

Analog wie im klassischen Unterricht werden Aufgaben gestellt, Kopfrechenaufgaben mündlich oder Aufgabenblätter mit Aufgaben für Kopfrechnen oder schriftliches Rechnen. Im Gegensatz zum klassischen Unterricht ist die Nutzung des Taschenrechners jederzeit erlaubt. Welche Schülerin, welche Schüler-gruppe, welche Bankreihe ... hat als erste al-le Aufgaben richtig beantwortet? Die Wett-bewerbe machen immer wieder Spass, und der Einsatz des Taschenrechners reduziert sich dabei von Wettkampf zu Wettkampf:

"Das dauert ja viel zu lange, im Kopf bin ich doch schneller" oder, bei den schon schrift-lich vorgegebenen Aufgaben, "das geht doch schriftlich viel schneller". Eine Ergänzung zu den Wettbewerben sind Aufgabenpakete "Kaputte Tasten": Mehrere Zifferntasten und ggf. auch Operationstasten sind kaputt, wie kannst Du trotzdem die nachfolgend genann-ten Zahlen in der Anzeige herstellen? Schreibe entsprechende Tastenfolgen auf. Wer hat die kürzeste Tastenfolge?

3.2 Taschenrechnerspiele

Zu einem vorgegebenen Operator und einem vorgegebenen Zielintervall sind durch Raten und Verifizieren passende Eingabezahlen zu finden. In schon vorbereiteten Tabellen sind jeweils EINGABE und AUSGABE zu proto-kollieren, damit aus der Probiertabelle Schlüsse gezogen werden können für die nächste Eingabe. Beispiele sind "Zielwerfen" oder "Faktorfinden". Ähnliche Taschenrech-nerspiele sind "Die große NULL" und "die große EINS". Details siehe (Lange & Meißner 1980a-d). Die Spiele fördern ein meist unbe-wusstes multiplikatives Denken, ein intensi-ves multiplikatives Zahlgefühl und ein unbe-wusstes Proportionalitätsdenken.

3.3 Dezimalzahlen multiplizieren

In einem Gitternetz ist ein Weg von A nach B so auszuwählen, dass das Produkt aller am Weg notierten Dezimalzahlen möglichst klein wird. Mehrere Versuche sind erlaubt, wer fin-det das kleinste Produkt? Ausführlicher siehe (Meißner, Grassmann & Müller-Philipp 1999, 215f). Bei diesem Aufgabentyp wird die com-mon-sense Vorstellung "Multiplikation" erwei-tert: Es gibt auch Faktoren, die verkleinern. Sogar "Grenzwert"-Erfahrungen sind mög-lich, wenn man in geeigneten Kreisbahnen läuft.

3.4 Prozentgefühl

Außerhalb des Mathematikunterrichts5 ver-steht vermutlich jeder, wie "635 + 13 % = ..." zu interpretieren ist. Einfache Taschenrech-ner kommen dieser common-sense Vorstel-lung sehr entgegen, man tippt wie man spricht:

5 vor 20 Jahren gab es heftige Diskussionen, ob eine derartige

Schreibweise auch innerhalb des Mathematikunterrichts erlaubt sei

6 3 5 + 1 3 % =

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Hartwig Meißner

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Bei manchen Taschenrechnern wird sogar der Prozentwert als Zwischenwert angezeigt. Bei diesen Taschenrechnern lassen sich alle 6 Aufgabentypen der Prozentrechnung mit dieser einen Tippfolge lösen. Je nach dem, welche Werte gegeben sind, müssen ggf. der Grundwert oder der Prozentsatz vor der Ein-gabe geschätzt und anschließend verifiziert werden. Bei der klassischen Prozentrech-nung hat der Schüler dagegen erst die richti-ge Formel auszuwählen und diese dann ggf. algebraisch umzuformen. Wie erfolgreich welche "Vorstellungen" bei der Lösung von 6 Testaufgaben waren, zeigt die Graphik, schwarz für den klassischen Un-terricht (500 Schüler) und weiß für unseren Ansatz mit dem Taschenrechner in Haupt-schulen. Details dazu siehe (Meißner 1981, 1982).

Abb. 2

Wir haben diesen Ansatz, d.h. das Beibehal-ten einer "common-sense Tippfolge" mit ggf. Schätzen der Eingabe und anschließendem Verifizieren, auch das "Arbeiten nach dem Prinzip der Einbahnstrasse" genannt. Wir haben diese OWP-Methode6 auch bei den Themen Zinsrechnung, Zinseszins und Wachstum/Zerfall ausprobiert. Hier wurden zwar keine systematischen Tests durchge-führt, aber es wurde jedes Mal deutlich, dass die Schüler Schritt für Schritt ein "Gefühl" für die Größe der einzutippenden Schätzwerte entwickelten. Sie konnten allmählich die Grö-ßenordnung des gesuchten Ergebnisses vor-hersagen, bevor sie überhaupt den Taschen-rechner in die Hand nahmen. Grob unsinni-gen Antworten, wie sie im klassischen Unter-richt aufgrund falscher Formeln, falscher Um-formungen oder durch Rechenfehler auftre-ten, sind wir hier weit weniger begegnet.

6 OWP ist die Abkürzung für One-Way-Principle, vgl. Meißner

(1979)

3.5 Funktions-Vorstellungen

Graph

Tabelle Term Abb. 3

Im klassischen Mathematikunterricht gibt es für die Schüler erhebliche Probleme, beim Thema Funktionen flexibel zwischen den drei Darstellungsformen hin- und herzuschalten. Graphische Taschenrechner oder Computer erleichtern hier den Zugang. Setzt man Funk-tionen-Plot-Software als Werkzeug ein, so erhält man zu jedem Term (als EINGABE) einfach und schnell (ohne den Umweg über Wertetafeln und damit evtl. verbundene Re-chen- oder Zeichenfehler) den zugehörigen Graphen (als AUSGABE). Und analog wie oben kann man dann, wenn der Graph schon gegeben und der Term gesucht ist, sich durch Vermuten und Verifizieren den zuge-hörigen Term erarbeiten. Müller-Philipp (1994) hat in ihrer Dissertation eindrucksvoll nachgewiesen, dass man die im klassischen Unterricht fehlende direkte Kopplung von Term und Graph auf diese Weise aufbauen kann. Die Schüler konnten anschließend, bei linearen und quadratischen Funktionen, auch ohne die Hilfsmittel Taschenrechner oder Computer zu vorgegebene Graphen direkt ei-nen zugehörigen Term oder zu vorgegebe-nen Termen ohne den Umweg über Werteta-feln unmittelbar den Verlauf des zugehörigen Graphen angeben.

4 Zusammenfassung

Wir haben zahlreiche Protokolle vom Aufga-benlösen über Versuchen und Probieren stu-diert; vgl. z.B. (Meißner 1987). Wir fanden dabei einige typische Verhaltensweisen7: • Es gibt Lieblingszahlen, mit denen man

immer wieder gerne als erstes beginnt, unabhängig von der tatsächlichen Aufga-bensituation.

• Um eine mögliche Strategie beim Verbes-sern der Eingabewerte zu finden, wird nur selten logisch-analytisch vorgegangen. Häufig wird nicht alles Wissen, das man hat, auch wirklich eingebracht.

7 Vollrath (1986) beschreibt ähnliche Beobachtungen. Auch bei Kol-

legen stellten wir diese Verhaltensweisen fest, wenn sie sich in neue Computerspiele einarbeiteten (Minesweeper, Freecell, Hearts, Spider Solitar, ...).

50

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1 2 3 4 5 6

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Mathematische Denkweisen beim Umgang mit Hardware und Software

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• Einmal gewählte Strategien sind gegen-über einem Strategiewechsel sehr domi-nant. Ein Strategiewechsel erfolgt weniger häufig oder später als es von den Proto-kollwerten her "logisch" wäre.

• Es wird deutlich mehr probiert als es, lo-gisch betrachtet, notwendig wäre.

• Bei vielen Versuchen ist ein Proportionali-tätsdenken nachweisbar. Wenn es nicht schnell genug geht, wird abgebrochen und an anderer Stelle neu gestartet.

• Das Annähern an ein Ziel nur von oben (oder nur von unten) ist häufiger als das "Einschachteln".

• Immer wieder passiert es, dass noch wei-ter probiert wird, obwohl ein richtiges Er-gebnis schon gefunden wurde.

Zusammengefasst, das Arbeiten nach dem Prinzip der Einbahnstrasse fördert den Auf-bau von common-sense Vorstellungen, und es erlaubt dem Lehrer über die EINGABE-AUSGABE-Protokolle eine gute Einsicht in die beim Schüler häufig unbewusst ablau-fenden mentalen Vorgänge. Dieses operative Erarbeiten neuer Sachverhalte ist jedoch nur möglich durch zielgerichtete Aufgabenstel-lungen und den Einsatz von Hardware und Software als Werkzeuge zum Versuchen und Probieren. Wir plädieren deshalb dafür, Auf-gabenstellungen öfter so abzuändern, dass analytisch-logische Aspekte (Formel, alge-braische Umformungen, ausrechnen) erst dann in den Mittelpunkt treten, wenn zuvor genügend common-sense Vorstellungen ent-wickelt worden sind.

Literatur Gray, Eddie M. & David O. Tall (1991): Duality,

Ambiguity and Flexibility in Successful Mathe-matical Thinking. In: Proceedings of PME 15, Band 2, Assisi, Italien, 72–79

Lange, Bärbel (1984): Zahlbegriff und Zahlgefühl. Münster: Lit-Verlag

Lange, Bärbel & Hartwig Meißner (1980a): Das Taschenrechnerspiel "Zielwerfen". In: Praxis der Mathematik 22, 174–176

Lange, Bärbel & Hartwig Meißner (1980b): Das Taschenrechnerspiel "Die große Null". In: Pra-xis der Mathematik 22, 245–248

Lange, Bärbel & Hartwig Meißner (1980c): Das Taschenrechnerspiel "Die große Eins". In: Praxis der Mathematik 22, 308–311

Lange, Bärbel & Hartwig Meißner (1980d): Das Taschenrechnerspiel "Faktorfinden". In: Praxis der Mathematik 22, 373–375

Meißner, Hartwig (1978): Projekt TIM 5/12 — Ta-schenrechner im Mathematikunterricht für 5- bis 12-Jährige. In: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 10, 221–229

Meißner, Hartwig (1979): Problem Solving with the One Way Principle. In: Proceedings of PME 3, Warwick, England, 157–159

Meißner, Hartwig (1981): Prozentrechnung "man-gelhaft"? In: Beiträge zum Mathematikunter-richt 1981. Hannover: Schroedel, 68

Meißner, Hartwig (1982): Eine Analyse zur Pro-zentrechnung. In: Journal für Mathematik-Di-daktik 3, 121–144

Meißner, Hartwig (1985): Versuchen und Probie-ren — Beobachtungen zum mathematischen Lernprozeß. In: Willibald Dörfler & Roland Fi-scher (Hrsg.) (1985): Empirische Untersuchun-gen zum Lehren und Lernen von Mathematik. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 175–182

Meißner, Hartwig (1987): Schülerstrategien bei ei-nem Taschenrechnerspiel. In: Journal für Ma-thematik-Didaktik 8, 105–128

Meißner, Hartwig (2002): Einstellung, Vorstellung, and Darstellung. In: Proceedings of PME 26, Band 1, Norwich, England, 156-161

Meißner, Hartwig, Marianne Grassmann & Su-sanne Müller-Philipp (Hrsg.) (1999): Proceed-ings of the International Conference "Creativity and Mathematics Education". Münster: West-fälische Wilhelms-Universität

Müller-Philipp, Susanne (1994): Der Funktions-begriff im Mathematikunterricht. Münster u.a.: Waxmann

Sfard, Anna (1987): Two conceptions of mathe-matical notions: operational and structural. In: Proceedings of PME 11, Band 3, Montréal, Kanada, 162–169

Tall, David O. & Shlomo Vinner (1981): Concept Image and Concept Definition in Mathematics, with Special Reference to Limits and Continu-ity. In: Educational Studies in Mathematics 12, 151–169

Vollrath, Hans-Joachim (1986): Search Strategies as Indicators for Functional Thinking. In: Edu-cational Studies in Mathematics 17, 387–400

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Unter einem Medium verstehe ich die An-wendung eines Systems von Funktionalitä-ten, mit deren Hilfe Information transportiert und verarbeitet werden kann. Neu bei den "neuen Medien" ist eine — immer noch ein-geschränkte — Interaktivität, das heißt, die Möglichkeit, Information nicht nur zu spei-chern sondern auch komfortabel zu verarbei-ten. Neu ist der ubiqitäre Zugang zur Infor-mation im Internet. Um diesen grundlegen-den Fortschritt — auch für die Lernorganisa-tion — zu nutzen, ist neues Denken erforder-lich. Anderfalls rinnt der neue Wein aus den alten Schläuchen, ehe er getrunken wird.

Zum Vergleich: Alte Medien, altes Denken Vor 70 Jahren gab es in den Zeitungen des kleinbäuerlichen Württemberg noch Anzei-gen wie "Trächtige Schaffkuh gesucht". Die Schaffkuh zog Wagen und Pflug, kreiste im Göpel, gab bis zu 1800 Liter Milch im Jahr und ein Kalb. Der "Morgen" des fleißigen Schwaben war etwas größer als das bayeri-sche Tagwerk und die Betriebsgröße von 5 bis 6 Morgen mit einer Schaffkuh und Ha-cken für Bäuerin, Bauer und einige Kinder bewältigbar. Zusammen mit 64 Mitschülern half ich, eine normale Grundschulklasse zu füllen. Die da-maligen Medien: Lehrer, Lesebuch, Meer-rohr, Wandtafel. Das Meerrohr war äquiva-lent zu 2 Lehrern und einem Psychologen. Furcht und Schrecken machten den Lehrer zur unangreifbaren Autorität.

Gegenwart in Landwirtschaft und industrieller Produktion: Neue Möglichkeiten, neues Denken Heute gibt es auch in Baden-Württemberg Kühe, die mehr als 8000 Liter Milch im Jahr geben, und auf arrondierten Feldern schafft der Traktor mit einer Arbeitskraft — oft einer Frau — mehrere "Morgen" in einer Stunde. Die Arbeit am Handwebstuhl ist längst für fast alle Anwendungsbereiche durch die me-chanische Weberei ersetzt worden. Statt kostbarer handgeschmiedeter Nägel schlägt man Drahtstifte aus maschineller Produktion ein oder verwendet andere Befestigungs-techniken. Wer trägt noch handwerklich ge-fertigte Schuhe? Die neuen Produktionsmethoden haben bei den alten Produkten für Wohlstand gesorgt. Heute kann sich in Deutschland jeder Schu-he leisten. In meiner Kindheit kamen viele barfuß in die Schule (zum Teil sogar im Win-ter), weil ihre Eltern kein Geld hatten, um ih-ren Kindern Schuhe zu kaufen. Muss sich vielleicht mit neuen Medien die Lehrerrolle so ändern, wie sie sich für den Weber, den Schlosser, den Schuhmacher und die bäuerliche Arbeitskraft geändert hat?

Gegenwart in der Schule: Neue Medien, altes Denken In der Schule ist die Zeit nicht nennenswert fortgeschritten. Zwar unterrichtet heute nie-mand mehr in Klassen mit über 60 Schülern; 25 Schüler heutiger Art sind für die klassi-sche Lernorganisation viel. Eine der heutigen Zeit angemessene Lernorganisation steht trotzdem noch aus.

Neue Medien, neues Denken: Bildungsstandards als "Urmeter" für Kompetenzen

Fritz Nestle, Ulm

e-learning ist in aller Munde und eine herrliche Spielwiese für die Entwickler von Modu-len. Wenn mit e-learning-Modulen eine neue Lernkultur und eine Wirkung über den Um-kreis der Entwickler hinaus entstehen soll, muss e-testing eine Selbstverständlichkeit werden. Bildungsstandards verdienen ihren Namen nur, wenn sie die Anforderungen des Dort-munder Manifests [5] erfüllen. Für die KMK-"Bildungsstandards" trifft dies nicht zu. Am Beispiel der KMK-Beispielaufgabe 14 der "Bildungs-'Standards' für den Mittleren Schul-abschluss" wird erläutert, wie man zu echten Bildungsstandards kommt, die für e-testing geeignet sind.

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Neue Medien, neues Denken: Bildungsstandards als "Urmeter" für Kompetenzen

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Die Methoden in Schule und Lehrerbildung haben sich trotz der in MaDiN [1] und vielen andere e-learning-Aktivitäten versenkten Mil-lionen nicht nennenswert geändert. Bildung wird immer noch fast überall auf allen Ebe-nen unter altem Denken in handwerklicher Einzelarbeit inszeniert, gesteuert von Exper-ten, die von ihrer Unentbehrlichkeit in ihrer derzeit ausgeübten Funktion überzeugt sind. Das gilt auch dann, wenn die e-learning-Mo-dule von vorzüglicher Qualität sind: Die meisten Diskussionspartner — Alltags-menschen, Lehrer, Didaktiker — haben eine Blockierung. Das hat sich zuletzt auch wieder auf der Jahrestagung in Soest gezeigt. Beim Stichwort "Lernen" sehen sie nur den Unter-richt in der klassischen Lernorganisation mit dem Lehrer oder Hochschullehrer als unver-zichtbarer Informationsquelle. Sie haben nicht internalisiert, dass heute autonomes, selbstorganisiertes Lernen leichter möglich ist als je zuvor und sich häufig als effektiver erweist. Lernen ist immer noch lehrerfixiert; die Monopolstellung von Schule und Hoch-schule bei der Vergabe von Berechtigungen stabilisiert dieses Denken.

Altes Denken in der Schule

Der Lehrer bin ich. Ich habe immer recht. Ich muss alles — und zwar viel zu viel — selber tun. Medien sind Selbstbestätigung und Spielwie-se für den Entwickler; sie haben in anderem Kontext keine Bedeutung.

Neues Denken bei der Lernorganisation

In welchen Funktionen braucht man mich als personalen Lehrer, in welchen sind andere Medien und Methoden gleichwertig oder ü-berlegen — und sowohl billiger als auch ef-fektiver?

Ein Teilaspekt: Rund 10 % ihrer Arbeitszeit investieren die Experten für Unterricht in die Planung, Durchführung und Bewertung von schriftlichen Kontrollen des Lernerfolgs der ihnen zugeordneten Schüler. Schon eine Zu-sammenarbeit mit Kollegen der Parallelklas-se ist die Ausnahme. Öffentliche Bildungsstandards aus dem In-ternet könnten 90 Prozent dieser Arbeit über-nehmen [2], und zwar transparent, gerechter, schneller, zeitunabhängig und effektiver. Die Rolle des Lehrers muss sich dann freilich grundsätzlich ändern.

Zukunft des Lernens: Neue Me-dien, neues Lernen? Wo haben die Kids den Umgang mit Compu-ter gelernt? Ehe ihre Lehrer auch nur die ers-ten Schritte am Computer gewagt haben, haben sich viele Jugendliche eine souveräne Sicherheit in der Erkundung der neuen Mög-lichkeiten erworben, mit der sie auch schwie-rige konkrete Anwendungen bewältigen. An-stelle einer systematischen Unterrichtung wurden die jeweiligen Ziele im freien, selbst organisierten Lernen — chaotisch — nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum erreicht; Hilfe dabei bot der Austausch in der sozialen Gruppe. Das heißt, in diesem Lernbereich fand und findet ideales, weitgehend hierar-chiefreies, partnerschaftliches Lernen statt. Viele Lehrer haben gewartet, bis sie selbst belehrt wurden. Die Schule hat sich auf Irr-wegen einer sinnvollen Begegnung mit dem Computer angenähert, dabei aber erst den halben Weg zurückgelegt. Ich erinnere an die Zeit des BASIC-Dreizeilers als "Ziel" der In-formatik in der Schule; sie liegt noch keine zwanzig Jahre zurück. Textsysteme, Compu-teralgebrasysteme, dynamische Geometrie-software, Schnellrecherche im Internet haben den Unterricht und die Lehrpläne, die heute euphemistisch Bildungs-"Standards" genannt werden, bisher nur wenig beeinflusst. Langzeitversuche haben schon vor mehr als dreißig Jahren gezeigt [3], dass allein mit Schulbuch und Lösungsheft erfolgreiches selbstorganisiertes Lernen möglich ist. Heute lassen sich weitaus anspruchsvollere Lern-umgebungen mit interaktiven Multimediapro-grammen offline oder im Internet preiswert realisieren. Bei entsprechender Gestaltung sind diese dem durchschnittlichen Lehrerun-terricht weit überlegen, weil der Lernvorgang damit individualisiert ist und der Leerlauf ge-genüber dem Geleitzug im konventionellen Klassenunterricht wesentlich geringer ist. Man muss nicht gleich mit e-learning-Modu-len beginnen. Solche sind in den vergange-nen Jahren mit einem Aufwand von mehre-ren 100 Millionen € für alle Altersstufen von der Primarstufe bis in den tertiären Bildungs-bereich entstanden. Eine breitere Anwen-dung ist jedoch nicht erfolgt, weil am falschen Ende begonnen wurde: e-learning bekommt erst dann eine reelle Chance, wenn zuerst mit e-testing-Modulen verbindliche Ziele fest-gelegt worden sind [4], die der Lerner alter-nativ mit e-learning oder in klassischem Un-terricht anstreben kann. Das bedeutet natür-lich, dass der Lernerfolg nicht mehr relativ zu einer Lerngruppe, sondern vielmehr relativ zu

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Fritz Nestle

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einem Lernziel bewertet wird und man sich über solche Ziele einigt. Das geht am besten, wenn der (Lehr-) Lernvorgang und die Be-wertung des Lernergebnisses nicht in einer Hand konzentriert sind. Die Entscheidung, ob ein Schuh drückt oder nicht, überlässt man auch bei handgenähten Schuhen nicht dem Schuhmacher, sondern dies entscheidet der Träger der Schuhe. Wie e-testing am besten organisiert wird, wird im Dortmunder Manifest [5] dargelegt. Wenn erst einmal echte Bildungsstandards in passenden e-testing-Modulen entsprechend dem Dortmunder Manifest in größerem Um-fang vorliegen, kann man es ganz der Intelli-genz des Lernenden überlassen, ob er die Lernziele in selbstgesteuertem Lernen oder in einem konventionellen Klassenunterricht erreichen will. Voraussetzung für eine reale Alternative ist, dass die Lernergebnisse nicht in einem manipulierbaren Willkürprozess von den einzelnen Lehrern bewertet werden, sondern dass ausschließlich mit externen Maßstäben gemessen wird. Nur solche externen Maßstäbe verdienen den Namen Bildungsstandards. "Die Schüle-rinnen und Schüler entwickeln sinntragende Vorstellungen von natürlichen (, ganzen, ge-brochenen und rationalen) Zahlen und nut-zen diese entsprechend der Verwendungs-notwendigkeit." erfüllt auch dann nicht die Kennzeichen eines Standards, wenn die KMK diesen Satz als Standard bezeichnet. Dagegen ist es ein klar definierter Standard, wenn man für die Kenntnis des kleinen Ein-maleins fordert: "Es werden innerhalb von drei Minuten 36 zufällig ausgewählten Ein-maleinsaufgaben der Form a*b = ? gestellt. Der Standard ist erreicht, wenn in mindes-tens einem von drei Durchgängen 36 richtige Antworten gegeben werden." Zu einem Stan-dard gehört also sowohl eine inhaltliche An-forderung (36 Aufgaben a*b = ?) als auch ei-ne Angabe zu der Zeit, innerhalb der die An-forderung erreicht werden soll (3 Minuten). Außerdem kann ein Fehlerbereich zugelas-sen werden ("alle richtig" bei mindestens ei-nem von drei Durchgängen). Unter [6] findet man diesen Standard in einer Aufbereitung als Bildschirmübung. Herr Grossmann hat ihn für den Site Bildungs-standards nach der Dillinger Tagung 2003 zur Verfügung gestellt. Der Standard ist öf-fentlich: Jeder, der die Seite aufruft, kann selbst prüfen, ob er den Standard erreicht hat. Beim Einmaleins ist es einfach, einen Stan-dard zu formulieren. Es geht um ein Reiz-

Reaktions-Verhalten zu einer Zufallsauswahl aus einer bekannten, abgeschlossenen Da-tenbasis (121 Einmaleinssätzchen). Wenn es um mathematisches Denken oder um Anwendungsfähigkeiten geht, muss die Datenbasis erst geschaffen werden. Wie man dabei vorgehen kann, soll an der Ma-thematik-Beispielaufgabe 14 der "Bildungs-standards für den Mittleren Schulabschluss" der KMK erläutert werden. Diese Aufgabe 14 geht aus von einem Was-sertank, der aus einem Zylinder mit aufge-setztem Kegel besteht. Verlangt werden eine Schätzung (als Auswahlantwortaufgabe), ei-ne Volumberechnung und die begründete Zuordnung des Füllverhaltens zu einem pas-senden Graphen (Auswahlantwortaufgabe).

Abb. 1

Es dürfte Einvernehmen bestehen, dass der mathematische Anspruch dieser Aufgabe bescheiden, aber sinnvoll ist. Hervorzuheben ist, dass Aufgabe 14 das einzige unter den Beispielen der KMK ist, bei dem auf einfache Korrektur geachtet wurde. Die Aufgabe ist klassisch gestellt, das heißt, die Fragen sind vorgegeben und müssen nicht vom Lernen-den selbst gefunden werden. Um aus diesem Beispiel einen Standard zu machen, muss die Aufgabe parametrisiert werden. Dann entsteht eine Datenbasis, aus der Lern-, Übungs- oder Testsituationen zu-fällig ausgewählt werden können.

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Neue Medien, neues Denken: Bildungsstandards als "Urmeter" für Kompetenzen

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Es gibt — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — eine Vielzahl von Parametern: - Die Einkleidung (Wassertank, Zementsilo,

Rakete, Bleistift, Bohrloch eines Spiral-bohrers, ...),

- ein einkleidungsspezifischer Parameter-bereich für die Größenangaben,

- bei Auswahlantworten die Reihenfolge der Antworten,

- bei Auswahlantworten der Typ ("1 aus n" versus "x aus n"),

- bei Auswahlantworten die Zahlenwerte der vorgeschlagenen Größen bezie-hungsweise die vorgegebenen Grafen,

- die Entscheidung, ob Auswahlantworten vorgegeben werden oder ob eine gebun-dene Freiantwort gefordert wird (die Ant-wortvorschläge zu Teilaufgabe a) sind un-nötig primitiv),

- die Entscheidung, ob die Analyse der Fi-gur verlangt werden soll,

- die Entscheidung, ob die Formeln zur Be-rechnung abgefragt werden sollen und auf Rechnungen verzichtet wird,

- die Entscheidung, ob Einzelfragen vorge-geben werden oder vom Lernenden selbst gefunden werden müssen.

Durch zufällige Festlegung der genannten Parameter entsteht eine Klasse von Aufga-ben, die so umfangreich ist, dass das Aus-wendiglernen, falls überhaupt möglich, müh-samer ist als der Erwerb der einschlägigen mathematischen Grundkenntnisse. Um einen Standard festzulegen, ist noch die Angabe der Bearbeitungszeit nötig, und es muss die Anzahl der geforderten Aufgaben angegeben werden. Ein Hinweis soll nicht unterbleiben: Die Aus-arbeitung solcher Standards wäre ein dank-bares Thema für schriftliche Examensarbei-ten. Diese hätten Praxisbezug — sie wären also sogar nützlich — und würden mit der Definition der Parameterbereiche nicht gerin-ge fachdidaktische Anforderungen stellen.

Neues Denken bei der Evaluation Im Rahmen dieses Beitrags kann das Thema Evaluation nicht behandelt werden. Um so wichtiger ist der Hinweis, dass die klassi-schen Verfahren der Aufgabenevaluation, wie sie bei der Entwicklung psychologischer Tests allgemein angewendet werden (Lie-nert, Rasch, ...) vom Ansatz her für qualifika-tionsdefinierende Bildungsstandards un-brauchbar sind [7].

Unnütze Befürchtungen Die Anwendung externer Maßstäbe weckt Befürchtungen, die von vielen Seiten gepflegt werden. "Teaching to the test" oder " Bil-dungsstandards als geheimer Lehrplan" wer-den als Schreckgespenster aufgebaut. Das Merkwürdige dabei ist, dass über "Learning for the teacher" nicht gesprochen und viel-leicht nicht einmal nachgedacht wird. Da lau-ern tatsächlich Schreckgespenster, die man nicht mit dem Mantel des Schweigens zude-cken sollte, wenn Abhilfe so einfach möglich ist. Die Anpassung an die vermuteten Erwar-tungen des Lehrers ist nicht per se gut. Wenn Kinder für einen guten Lehrer lernen, so kennt dieser seine Verantwortung für an-gemessene Lernziele. Im anderen Fall gibt es die faulen Kompromisse mit "leben und leben lassen", die zu einem großen Teil für das PISA-Debakel verantwortlich sind. Sofern der Test die richtigen Lernziele ab-fragt, ist bei rationaler Betrachtung "Teaching to the test" (besser noch Anreize für "Lear-ning to the test") das Beste, was den Kindern angeboten werden kann. Derzeit werden die tatsächlichen Anforderungen, zum Beispiel bei zentralen Aufgabenstellungen im Abitur, von geheimen Ausschüssen festgelegt, de-ren größte Sorge es ist, dass die Politik nachher mit den "richtigen" Durchschnitten aufwarten kann. Die Lehrer selbst müssen möglichst gut erraten, was die Schüler in den zentralen Vergleichsarbeiten leisten sollen. Als Alternative fordert das Dortmunder Mani-fest öffentlich zugängliche transparente Auf-gabendatenbanken, deren Mannigfaltigkeit so groß ist, dass dem Auswendiglernen und dem sturen Drill ein Riegel vorgeschoben wird. Gerade dadurch kann erreicht werden, dass durch "Teaching to the test" und "Lear-ning to the test" die Qualität der Beschäfti-gung mit Mathematik zunimmt. Man muss sich freilich von der irrigen Vorstellung be-freien, nur eine menschliche Informations-quelle sei in der Lage, mathematisches Den-ken angemessen anzuregen. Es sind die ge-eigneten Rückmeldungen, die intensive kog-nitive Anstrengungen motivieren können. Wer lernen will, mit dem Ball gut umzugehen, braucht einen Ball. Der Ball liefert unmittelbar durch sein Verhalten eine qualifizierte Rück-meldung. Das gilt in jeder Phase des Lern-vorgangs. Mit dem gleichen Ball sammelt man die ersten Erfahrungen, übt die ge-wünschten Balltechniken und zeigt das er-reichte Niveau in Spiel oder Wettkampf. Die Reihenfolge des Erwerbs der Fähigkeiten zum Umgang mit dem Ball liegt fest: Lernen, Üben, Testen.

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Wer Mathematik lernen will, muss sich auf geeignetem Niveau selbst mit Mathematik auseinandersetzen. Es muss eine mathema-tisierbare Situation vorliegen. In einem ersten Schritt erfolgt das Bemühen um die Mathe-matisierung. Wenn das in einigen Fällen be-wusst und begründbar gelungen ist, muss wie beim Ballspiel eine Automatisierung er-folgen. Andernfalls ist das verständig erarbei-tete Wissen und Können nach kurzer Zeit nicht mehr abrufbar; vor allem ist wegen der Bewusstseinsenge des Gehirns die Anwen-dung in einem neuen Zusammenhang nur möglich, wenn aus den einzelnen Kompo-nenten des Gedankengangs ein "Unterpro-gramm" geworden ist. Im klassischen Unterricht wird häufig ein neues Thema begonnen, ehe das alte bei den meisten Schülern dieses Stadium der "Superierung" erreicht hat. Die Folge sind Abiturienten, die nicht nur im Prozentrech-nen, sondern auch in vielen anderen grund-legenden Themenbereichen nur lückenhafte Kenntnisse und Fertigkeiten erworben ha-ben, so dass der Lehrer an der gymnasialen Oberstufe gezwungen ist, auf schwanken-dem Grund ein Gebäude zu errichten, das bei der kleinsten Unvorsichtigkeit zusam-menstürzt. (Im Hochschulbereich setzt sich das fort: Dienstleistungen in der Lehre wie Englisch für Wirtschaftswissenschaftler, Phy-sik für Mediziner, usw. gehen, wie eine Re-cherche im Internet sofort zeigt, in den An-forderungen kaum über das hinaus, was the-oretisch bereits durch die gymnasialen Lehr-pläne abgedeckt sein müsste. Die Ergebnis-se sind blamabel.) Die heutige Schule sichert bei den meisten Inhalten nicht, dass die erarbeiteten Lerner-gebnisse auf Dauer verfügbar sind. Das liegt daran, dass im günstigen Fall zwar genü-gend Zeit für das verstehende Lernen auf-gewendet wird, jedoch die Einsicht in die Notwendigkeit der dauerhaften Sicherung des Gelernten fehlt. Im Gegenteil, mechani-

sierendes Üben wurde — und wird teilweise noch — lange Zeit verteufelt. Ich habe früher in der Schule die altgriechischen "Stammrei-hen" der unregelmäßigen Verben gelernt. Ich kann sie heute noch hersagen. Das hat zwar nicht unmittelbar mit Bildung zu tun, aber es ist die Voraussetzung für die Übersetzung aus dem Griechischen ins Deutsche und das Eindringen in die griechischen Originaltexte.

Lernen, Üben, Testen Wer den Führerschein machen will, benützt in der Regel das gleiche Auto zum Fahren-lernen auf einer verkehrsarmen Straße, zum Üben unter zunehmend schwierigeren Be-dingungen (z.B. Nacht- oder Autobahnfahr-ten) und für die Abnahme der Prüfung, also zum Testen. Entsprechend gilt in der Mathematik, dass eine Auswahl aus der gleichen Aufgabenda-tenbank für Lernen, Üben oder Testen modi-fiziert werden kann. Wenn die Aufgaben in elektronischer Speicherung vorliegen, geht das besonders einfach in drei Schritten: - Für das selbstständige Lernen hält man

Popup-Fenster mit Zusatzinformationen vor und setzt keine zeitlichen Beschrän-kungen. In dieser Phase ist Kontakt in-nerhalb der Sozialgruppe hilfreich.

- Für das Üben werden zusätzlich Bearbei-tungszeiten in Abhängigkeit vom Übungs-stand festgesetzt (am besten vom Ler-nenden selbst); zusätzlich zur Rückmel-dung über "richtig" oder "falsch" wird ein Score ausgegeben.

- Beim Testen wird die Bearbeitungszeit vorgegeben, und die Popup-Fenster wer-den gesperrt. Das Anspruchsniveau kann einerseits über die Zeitvorgaben, ande-rerseits über Einschränkungen bei den Parameterbereichen der Aufgabendaten-bank festgelegt werden.

Quellen

[1] www.madin.net/startseite.html [2] www.bildungsoptionen.de/200mio.htm [3] http://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/2e-imix-t-01/user_files/personal/nestle/ allgemein/

aula.htm; "aula" 4.972, 386ff [4] www.bildungsoptionen.de/etest.htm [5] www.bildungsoptionen.de/manifest.htm [6] www.bildungsoptionen.de/dilli/einmal.htm [7] http://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/2e-imix-t-01/user_files/personal/nestle/alternativen/

kap1.htm#18

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1 Einleitung

Täglich werden wir in unserer von Daten ge-prägten Welt mit Informationen z.B. in Form von Diagrammen konfrontiert, die auf statisti-schen Erhebungen oder Untersuchungen be-ruhen. Diesen zumeist wenig erläuterten Darstellungen sollte man zunächst mit eini-ger Skepsis begegnen. Um eine Sensibilisie-rung der Schülerinnen und Schüler zu entwi-ckeln, ist die Vermittlung von Grundkenntnis-sen in diesem Wissensgebiet und ein kompe-tenter Umgang mit Werkzeugen der Statistik eine wichtige Bildungsaufgabe der Schule. Weiterhin eignet sich der Bereich der Statis-tik, der einen engen Bezug zur Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler zulässt, in ho-hem Maße, vielseitige mathematische Kom-petenzen zu entwickeln. Zum Beispiel bietet es sich im Unterricht an, von den Jugendli-chen statistische Umfragen planen, durchfüh-ren, auswerten und interpretieren zu lassen. Die Ergebnisse können präsentiert werden und regen Diskussionen an. Die Integration Neuer Medien im schulischen Unterricht ermöglicht den Einsatz neuer mo-tivierender Lernumgebungen. EMILeA-stat beispielsweise unterstützt die Lernenden, in-teraktiv Nutzen und Bedeutung statistischer Methodik zu entdecken. Im Folgenden wird zunächst das Projekt "e-stat" vorgestellt, in dessen Rahmen die mul-

timediale, internetbasierte und interaktive Lehr- und Lernumgebung zur angewandten Statistik EMILeA-stat entwickelt und realisiert wird. Anschließend erfolgt eine kurze Dar-stellung von theoretischen Aspekten des Lehrens und Lernens, die bei der Entwick-lung der Inhalte in den Lerneinheiten für Schülerinnen und Schüler berücksichtigt wur-den. Bevor die Struktur der EMILeA-stat-Schülerkurse sowie Beispiele zum Themen-bereich der elementaren Datenanalyse vor-gestellt werden, wird untersucht, welche Kompetenzen der Mathematikunterricht ent-wickeln und fördern soll sowie welche Rolle dabei internetbasierte Lehr- und Lernumge-bungen einnehmen können und welche Be-deutung dem Bereich der Statistik zukommt.

2 Das Projekt "e-stat"

Die mit EMILeA-stat bezeichnete Lehr- und Lernumgebung in der angewandten Statistik wird im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (bmb+f) im Pro-gramm "Neue Medien in der Bildung (För-derbereich Hochschulen)" geförderten Pro-jekts "e-stat" entwickelt (s. Abb. 1). An der Entwicklung arbeiten seit Projektbe-ginn (April 2001) mehrere Universitäten in ei-nem Verbundprojekt zusammen. Die Univer-sität Oldenburg ist dabei die federführende

EMILeA-stat: Multimediales und interaktives Statistiklernen in der Schule

Claudia Pahl, Oldenburg & Udo Kamps, Aachen

Nach den Empfehlungen des Deutschen PISA-Konsortiums (2001) soll der Mathematik-unterricht in der Schule nicht allein auf die Kenntnis mathematischer Formeln und Verfah-ren abzielen, sondern darüber hinaus die Fähigkeit vermitteln, mathematisches Wissen in den verschiedensten Kontexten sinnvoll anzuwenden. Dabei sollen Schülerinnen und Schüler zur kritischen Reflexion unter mathematischen Gesichtspunkten angeregt wer-den. Der Einsatz Neuer Medien trägt zwar nicht automatisch zum Erreichen dieser Ziele bei, kann aber ein hilfreiches Werkzeug auf diesem Weg sein. Lehr- und Lernumgebun-gen im Speziellen unterstützen vor allem dann die Entwicklung mathematischer Kompe-tenzen, wenn die multimediale Aufbereitung von Inhalten unter Berücksichtigung des menschlichen Lernprozesses erfolgt. Mit EMILeA-stat ist im Bereich der Statistik eine Lehr- und Lernumgebung gestaltet wor-den, mit deren Hilfe die Lernenden statistisches Grundwissen u.a. entdeckend und mit vielen Interaktionsmöglichkeiten erarbeiten und den Nutzen und die Bedeutung statisti-scher Methodik erkennen können. Darüber hinaus wird die Fähigkeit geschult, statisti-sches Wissen flexibel und funktional im Rahmen kontextbezogener realer Probleme ein-zusetzen.

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Claudia Pahl & Udo Kamps

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Hochschule. Detaillierte Informationen sind im Internet unter www.emilea.de zu finden. Hinzu kommen zahlreiche assoziierte Partne-rinnen und Partner sowie als Wirtschafts-partner der Springer-Verlag, die Software-häuser SPSS GmbH Software (München) und MD*Tech (Method and Data Technolo-gies, Berlin) und der Versicherungs-/Rück-versicherungsmakler AON Re (Hamburg). Die XML-basierte Lehr- und Lernumgebung EMILeA-stat ist für nichtkommerzielle Ausbil-dung und Schulung dauerhaft kostenlos und frei zugänglich.

Abb. 1: EMILeA-stat: Eine multimediale, interaktive und internetbasierte Lehr- und Lernumgebung in der ange-wandten Statistik

Kernmerkmal der Lehr- und Lernumgebung EMILeA-stat ist die Bereitstellung eines Sys-tems für die unterschiedlichsten Nutzergrup-pen (z.B. Schülerinnen und Schüler, Studie-rende, Teilnehmerinnen und Teilnehmer an beruflichen Aus- und Fortbildungsmaßnah-men) und für differenzierte Anforderungsni-veaus (Cramer, K. et al. 2004). Im Rahmen dieses Beitrags wird der Fokus auf dem Be-reich der Schule liegen.

3 Theoretische Aspekte bezüglich des Lehrens und Lernens

Um das in der Schule vermittelte Wissen funktional und flexibel in einer Vielfalt von Kontexten sinnvoll einsetzen zu können, darf sich der Unterricht nicht auf die Vermittlung reproduzierbaren Faktenwissens beschrän-ken (PISA 2001). Vielmehr gilt es, Lernum-gebungen zu gestalten, die den Umgang mit realistischen Problemen und authentischen Situationen ermöglichen und die Schülerin-nen und Schüler zu eigenständigem Prob-lemlösen anregen. Dabei sollten ebenfalls erklärende und instruktive Anteile in der Lehr- und Lernumgebung enthalten sein, da es sonst leicht zu einer Überforderung und Desorientierung — vor allem der Leistungs-schwächeren — kommen kann. Somit ist ei-

ne Balance zwischen konstruktiver Aktivität seitens der Lernenden und Instruktion durch den Lehrenden anzustreben. Vertreter einer solchen "integrierten Position" zum Lehren und Lernen, des sog. gemäßigten Konstrukti-vismus, sind u.a. Reinmann-Rothmeier & Mandl (2001). In der Lehr- und Lernumgebung EMILeA-stat werden entsprechend der oben genannten Aspekte Schülerinnen und Schüler mit kom-plexen Problemen konfrontiert, die sich an die Erfahrungswelt der Lernenden anlehnen. Situiertheit und Authentizität eröffnen die Möglichkeit, eigene Vorkenntnisse zu aktivie-ren und mit Neuem zu verknüpfen. Neben Erklärungen und Hilfen, die den Lernenden anleiten, werden ebenfalls Anlässe bereitge-stellt, die eine aktive, selbstständige und in-tensive Auseinandersetzung mit dem Lern-gebiet zulassen sowie Prozesse der Reflexi-on und Abstraktion fördern und somit einen aktiven Prozess der Wissenskonstruktion er-möglichen (Thissen 1999). Die Aneignung von (vernetztem) Wissen, das Problemlösen, Reflektieren und Abstrahieren stellen dabei elementare Kompetenzen dar, die es im Schulunterricht zu fördern gilt.

4 (Mathematische) Kompetenzen

Eine zentrale Aufgabe der Schule ist die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf eine aktive Teilnahme an der gesell-schaftlichen und beruflichen Lebenswelt. Da-zu muss u.a. ihre kritische Urteilsfähigkeit entwickelt werden. Beispielsweise äußert da-zu das baden-württembergische Kultusminis-terium (2004), dass gerade der Mathematik-unterricht zur Vermittlung überfachlicher Kompetenzen sowie eines reflektierten und verantwortungsvollen Einsatzes mathemati-scher Kompetenzen beitragen könne. Zu den überfachlichen Kompetenzbereichen gehören in Baden-Württemberg das "Lernen" (es umfasst u.a. das selbstständige Aneig-nen von Lerninhalten, das Lernen in ver-schiedenen Sozialformen), das "Begründen" (dazu gehören u.a. Vermutungen entwickeln, formulieren, untersuchen, Beweismethoden anwenden können, gleichartige Strukturen erkennen, verallgemeinern), das "Problemlö-sen" (das bedeutet problemhaltige Aspekte in inner- und außermathematischen Situationen erkennen und beschreiben, Problemlöse-techniken anwenden, eigenes Denken beim Problemlösen reflektieren, bewerten, Hilfs-

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EMILeA-stat: Multimediales und interaktives Statistiklernen in der Schule

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mittel sachgemäß nutzen) und das "Kommu-nizieren" (dazu gehört mathematische Sach-verhalte angemessen — auch unter Anwen-dung der mathematischen Fachsprache — beschreiben und veranschaulichen sowie in mathematischen Kontexten argumentieren und systematisch begründen). Ähnliche Bedeutung wird dem Mathematik-unterricht auch in den anderen Bundeslän-dern zugeschrieben. Darüber hinaus besteht für das PISA-Konsortium die mathematische Kompetenz ebenfalls "nicht nur aus der Kenntnis mathematischer Sätze und Regeln und der Beherrschung mathematischer Ver-fahren", sondern vielmehr im "verständnisvol-len Umgang mit Mathematik und in der Fä-higkeit, mathematische Begriffe als 'Werk-zeuge' in einer Vielfalt von Kontexten einzu-setzen" (PISA 2001, 141).

5 Möglichkeiten zur Ent-wicklung von (mathema-tischen) Kompetenzen

5.1 Die internetbasierte Lehr- und Lernumgebung

Mit EMILeA-stat ist eine Lehr- und Lernum-gebung geschaffen worden, die bei der Ver-mittlung statistischer Themen alternative und innovative Möglichkeiten bietet, um den her-kömmlichen Unterricht zu unterstützen und die Entwicklung der fachübergreifenden und mathematischen Kompetenzen zu fördern. Es wird versucht, den Schülerinnen und Schülern reichhaltige Lernumgebungen und herausfordernde Problemstellungen zu bie-ten, die zur besseren Motivation und Vermitt-lung von Lerninhalten (visuelles Lernen, au-thentische Umgebungen, Anwendungen oder praxisnahe Beispiele) sowie schließlich zur aktiven Konstruktion von Wissen beitragen. Das Medium Computer verbunden mit dem Internet hat den Vorteil, dass es vielfältig ein-setzbar ist. Das bedeutet beispielsweise, dass eine inhaltliche Nachbereitung, Ergän-zung oder Vertiefung unabhängig von Zeit, Ort und Anzahl der Wiederholungen möglich ist. Somit ist es den Lernenden auch außer-halb des Unterrichts möglich, durch die Wis-senslandschaften zu navigieren und sich in eigenverantwortlichem, selbstgesteuertem Lernen mit den Inhalten zu beschäftigen. Dabei bleibt jedoch zu beachten, dass in ei-nem komplexen Hypermedia-System durch die Möglichkeit der freien Navigation das Problem der Desorientierung ("lost in hyper-

space") auftreten kann. Durch Nutzen der Verlinkung wird — eventuell ziellos — durch die Inhalte navigiert und möglicherweise das Ausgangsthema oder -problem aus den Au-gen verloren. Die für den Lernenden entste-hende kognitive Überlast führt dazu, dass der bisherige Lernweg außer Acht gelassen und eine weitergehende, vertiefte Informations-verarbeitung behindert wird (Tergan 1997). Um eine gute Orientierung und damit einen effektiven Lernprozess in der Lernumgebung zu ermöglichen, ist es notwendig, eine einfa-che und klar strukturierte Benutzungsoberflä-che zu entwickeln. Die Informationseinheiten sind auf ein angemessenes Maß zu reduzie-ren und dem Lernenden sollte eine funktio-nelle und übersichtliche Navigationsstruktur zur Verfügung gestellt werden (Cramer, K. et al. 2004).

5.2 Die Bedeutung der Statistik Die Entwicklung von Kompetenzen erfolgt im Unterricht anhand bestimmter Themenberei-che. Ein Bereich, der in letzter Zeit in den Rahmenrichtlinien zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist die Statistik. Dieser The-menbereich bietet sich in besonderer Weise zur Entwicklung und Förderung mathemati-scher Kompetenzen an. So heißt es beispielsweise in den Rahmen-richtlinien für die Integrierte Gesamtschule in Niedersachsen: "Der Umgang mit Zufall, Wahrscheinlichkeiten und Hypothesen einer-seits und mit Daten andererseits ist aus dem heutigen Alltags- und Berufsleben nicht mehr fortzudenken. Daher können die Themen aus diesem Bereich nicht mehr eine Randstellung im Mathematikunterricht einnehmen, sondern müssen gleichberechtigt aufgegriffen wer-den" (Niedersächsisches Kultusministerium 2003, 39). In der Lehr- und Lernumgebung EMILeA-stat werden vor allem Unterrichtseinheiten zur explorativen Datenanalyse angeboten. Inhalt-liche Schwerpunkte sind • Ablesen, Verstehen und Interpretieren

von grafischen Darstellungen der Statistik, • Erheben, Bearbeiten, Auswerten und Dar-

stellen von Daten (dazu gehören u.a. das Konzipieren von Fragebögen zum Zwecke der Datenerhe-bung, die Darstellung der erhobenen Da-ten in Form von Urlisten, Strichlisten, Stamm-Blatt-Diagrammen, Säulen- und Balkendiagrammen, die Einteilung der er-hobenen Daten in Klassen sowie Lage- und Streuungsmaße).

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Es wird vor allem das Ziel verfolgt, einen kompetenten und kritischen Umgang mit Da-ten zu vermitteln. Außerdem wird durch die Analyse realer und aktueller Daten ein ver-stärkter Praxisbezug hergestellt, der dem Verständnis der Lerninhalte und dem Erken-nen ihrer Bedeutung dient sowie zur Erfül-lung der Anforderungen beiträgt, die die Au-torinnen und Autoren von PISA 2000 an die "Mathematische Grundbildung" stellen. Zum verständnisvollen Umgang mit Mathematik "gehören unter anderem ein Verständnis der Rolle, die Mathematik in der heutigen Welt spielt, sowie die Fähigkeit, Situationen in ma-thematische Modelle zu übersetzen, mathe-matisch zu argumentieren und begründete mathematische Urteile abzugeben" (Stanat et al. 2002).

6 Praktische Umsetzung

Die Erarbeitung von statistischen Wissens-gebieten erfolgt für Schülerinnen und Schüler in erster Linie innerhalb sogenannter Schü-lerkurse. Der strukturelle Aufbau dieser Kur-se, der im Folgenden näher erläutert wird, ist in Abb. 2 grafisch veranschaulicht. Entsprechend den in Kapitel 3 genannten Aspekten sind die Ausgangspunkte von Lernprozessen so gewählt, dass sie der Le-bens- und Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler entnommen sind. Beispielsweise liegt den Kurseinheiten der Lehr- und Lern-umgebung EMILeA-stat für Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 5–10 ein konkre-tes Thema, die Freizeitbeschäftigung von Jugendlichen, zugrunde. Sowohl die am An-fang jeden Schülerkurses aufgeworfene Problemstellung (s. Abb. 2), die es im Laufe des Schülerkurses zu lösen gilt, als auch sämtliche Beispiele, Erklärungen, Datensätze und Aufgaben basieren auf diesem Thema. Mit Hilfe dieser Art der Darbietung neuer In-halte an aktuellen, für die Zielgruppe bedeut-samen und authentischen Problemen, sollen die Schülerinnen und Schüler motiviert wer-den, Verknüpfungen zu ihrer persönlichen Lebenswelt und ihren eigenen Erfahrungen aufzubauen sowie neues Wissen und neue Fertigkeiten zu erwerben (Cramer, K. et al. 2004). In einem Schülerkurs werden die Lernenden durch Aufgaben dazu angeregt, sich zu-nächst selbstständig in ein Thema einzuar-beiten (Abb. 2). Dabei ist es möglich — aber nicht zwingend notwendig — Hilfen, Hinwei-se, Feedback, Lösungen in Anspruch zu nehmen. Diese "Features" werden vornehm-

Abb. 2: Modell: Struktur der Schülerkurse eingebettet in die Lehr- und Lernumgebung EMILeA-stat

Abb. 3: Aufgabe zum Erfassen der Zahlen in der Einheit Diagramme lesen

lich über Java-Applets umgesetzt. Beispiels-weise werden in Aufgaben Drop-Down-Listen (Abb. 3) zur Hilfe genommen, oder Lücken-texte sollen mit "Drag and Drop" vervollstän-digt werden (Abb. 4). Über den Button "Kon-trolle" erhalten die Lernenden eine Rück-meldung zu den bereits bearbeiteten Teilen. Dies geschieht einerseits durch Färbung der

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EMILeA-stat: Multimediales und interaktives Statistiklernen in der Schule

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entsprechenden Felder (s. Abb. 4), anderer-seits werden grafische Symbole zur Bewer-tung der gegebenen Antworten eingesetzt. Die gleiche Idee liegt der Funktionalität des "Lösungsbuttons" zugrunde, der ebenfalls nur zu bereits bearbeiteten Items die korrek-ten Antworten liefert.

Abb. 4: Aufgabe zum sinnvollen Vervollständigen von Aussagen in der Einheit Diagramme lesen

Zur interaktiven Erstellung von Grafiken steht den Schülerinnen und Schülern ein "Grafik-tool" zur Verfügung (Abb. 5).

Abb. 5: Aufgabe zur Erstellung eines Balkendiagramms in der Einheit Diagramme lesen

Abb. 6: Animation zur Entstehung eines Stamm-Blatt-Diagramms in der Einheit Stamm-Blatt-Diagramm

Flash-Animationen dienen der dynamischen Visualisierung komplexer Sachverhalte (s. Abb. 6). Darüber hinaus ist es jederzeit möglich, den Schülerkurs zu verlassen und sich aus der "Stöbern-Welt" fehlende bzw. zusätzliche In-formationen zu besorgen (s. Abb. 2). Die Stöbern-Welt umfasst die gesamten zur Ver-fügung stehenden modularen Inhalte in EMI-LeA-stat. Mit Hilfe eines eigens dafür vorge-sehenen "Buttons" kann man immer wieder an die Stelle im Kurs zurückkehren, an der man ihn verlassen hat. Nach intensiver und kritisch reflektierender Bearbeitung eines Themenbereiches kann der Lernende den Schülerkurs entweder in Richtung "Stöbern-Welt" verlassen oder ei-nen weiteren Schülerkurs bearbeiten (s. Abb. 2). Inhalt der Schülerkurse sind beispielsweise die Themenbereiche • Diagramme lesen, • Diagramme bewerten, • absolute und relative Häufigkeit, • Stamm-Blatt-Diagramme oder • Einteilung der erhobenen Daten in Klas-

sen. In der Kurseinheit Diagramme bewerten wer-den z.B. verschiedene Balken- und Säulen-diagramme zu einem Datensatz vorgestellt. Die Schülerinnen und Schüler sollen Tim, dem Redakteur der Schülerzeitung "Die Penne", bei der Entscheidung helfen, wel-ches der sechs erstellten Diagramme er in seinem Artikel über das Freizeitverhalten von Schülerinnen und Schüler aufnehmen soll (s. Abb. 7). Anhand verschiedener, interaktiver Aufgaben erarbeiten die Lernenden, welche Diagramme sinnvoll sind bzw. welche die er-hobenen Daten nicht gut repräsentieren. Schließlich sollen sie ihre Entscheidung, in-klusive einer Begründung, Tim in einem "Brief" mitteilen (s. Abb. 8). Nach der Beschäftigung mit der Problemstel-lung werden in der Zusammenfassung Güte-kriterien und wichtige Aspekte zu Balken- und Säulendiagrammen gesammelt, die zu-vor von den Lernenden in Eigenarbeit "ent-deckt" wurden. Die Schülerinnen und Schüler werden im Laufe des Lernprozesses zwar immer wieder dazu aufgefordert, sich aktiv mit verschiedenen Problemen auseinander zu setzen, letztlich entscheiden sie jedoch selbst, wie intensiv sie sich mit diesen befas-sen, um Wissen zu konstruieren.

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Claudia Pahl & Udo Kamps

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Abb. 7: Auszug aus der Ausgangssituation zur Einheit Diagramme bewerten

Abb. 8: Entscheidung in Form eines "Briefs" formulieren

Zum Einsatz im Schulunterricht werden den Lehrerinnen und Lehrern Zusatzinformatio-nen zur Verfügung gestellt, in denen auf spe-zielle Inhalte und Ziele des Schülerkurses sowie auf Möglichkeiten zur Einbindung in den Unterricht näher eingegangen wird.

7 Evaluation und Ausblick

Die parallel zur Entwicklung der Lehr- und Lernumgebung durchgeführte Evaluation (formative Evaluation bzw. Prozessevaluati-on) erfolgte beispielseise sowohl in Form von Selbstevaluation in der siebten Klasse eines Gymnasiums und im Rahmen eines Semi-nars für Lehramtsstudierende an der Univer-sität Oldenburg als auch in Form einer Fremdevaluation in einer Gruppe Realschü-lerinnen und Realschüler (Klasse 8–10). In der Realschule wurde EMILeA-stat zur Un-terstützung und Bereicherung des Unterrichts im Rahmen des Projekts "So lügt man mit Statistik" eingesetzt. Weitere Informationen dazu sind unter http://mathematik.ph-gmuend .de/projekte/statistik.htm und http:// www.asr. gd.bw.schule.de/berichte/Artikel FbbS.htm im

Internet zu finden. Den Lernenden ist offline jeweils eine Auswahl von noch nicht im Sys-tem eingebetteten Kursen zur Verfügung ge-stellt worden. Bei der Evaluation ging es vor allem darum, festzustellen, ob die Schülerin-nen und Schüler mit der Struktur des Schü-lerkurses, den interaktiven Java-Applets und Flash-Animationen sowie den angebotenen Texten und Problemstellungen zurechtkom-men. Es sollte untersucht werden, ob diese Elemente als eine positive Unterstützung beim Lernen empfunden werden bzw. inwie-fern sie gegebenenfalls noch verbessert werden können. Allgemein konnte eine große Akzeptanz fest-gestellt werden. Die Texte und zu bearbei-tenden Aufgaben wurden größtenteils gut verstanden, die Hilfen und Kontrollen konn-ten den Lernprozess unterstützen und die grafische Gestaltung der einzelnen Seiten wurde von einer Mehrheit als "gut" empfun-den. Im Umgang mit den interaktiven und dynamischen Elementen hatten die Jugendli-chen so gut wie keine Schwierigkeiten. Als störend wurde jedoch das "Hin- und Her-scrollen" angesehen, wenn ein Modul länger als eine Monitorseite war. Die Evaluation in der Realschule hat bezüg-lich der Inhalte der elementaren Datenanaly-se ergeben, dass den Schülerinnen und Schülern besonders Folgendes gut gefallen hat: "Manipulationen zu entlarven", "es hat auch Spaß gemacht die Statistik zu verfäl-schen", "ich fand's interessant zu sehen, wie man Diagramme verändern kann, ohne es auf den ersten Blick zu sehen", "die Umfrage mit dem Taschengeld hat mir sehr gefallen" usw. Diese und weitere Kommentare zeigen, dass die Jugendlichen den Inhalten der explorativen Datenanalyse Interesse entge-genbringen und sich mit viel Motivation und eigenem Engangement in den Unterricht ein-gebracht haben. Durchweg ist zu verzeichnen gewesen, dass der Umgang mit EMILeA-stat den Nutzerin-nen und Nutzern relativ leicht fiel, auf positive Resonanz gestoßen ist sowie motivierend auf die Schülerinnen und Schüler einwirken kann. Zu untersuchen bleibt allerdings, in welchem Maß und vor allem welche Elemen-te dieser internetbasierten Lehr- und Lern-umgebung im Vergleich zu herkömmlichen Lehrverfahren zur effektiven Unterstützung des Lernens beitragen.

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EMILeA-stat: Multimediales und interaktives Statistiklernen in der Schule

121

Literatur Baden-Württembergisches Kultusministerium

(2004): Bildungsplan 2004. Bildungsstandards für Mathematik. Gymnasium — Klassen 6, 8, 10, Kursstufe. (http://www.leu.bw.schule.de/allg/lehrplan/ gymnasium/gy_s_m.pdf)

Cramer, Erhard, Katharina Cramer, Petra Janzing, Udo Kamps & Claudia Pahl (2003): EMILeA-stat: A web-based learning environment in ap-plied statistics with a focus on learning and teaching in secondary schools. In: Proceed-ings of the IASE satellite conference on Statis-tics Education, CD-ROM

Cramer, Erhard, Katharina Cramer & Udo Kamps (2002): e-stat: A web-based learning environ-ment in applied statistics. In: W. Härdle & B. Rönz (Hrsg.) (2002): COMPSTAT Proceedings in Computational Statistics. Heidelberg: Physi-ca, 309–314

Cramer, Erhard, Katharina Cramer, Udo Kamps & Claudia Pahl (2004): EMILeA-stat: Multimedia-les und interaktives Statistiklernen. Erscheint in einem Sammelband im Verlag Franzbecker, Hildesheim

Cramer, Katharina, Erhard Cramer & Udo Kamps (2004): Die elementar-modulare Struktur der Lehr- und Lernumgebung EMILeA-stat. In: U. Rinn & Dorothee Meister (Hrsg.) (2004): Di-daktik und Neue Medien — Konzepte und An-

wendungen in der Hochschule. Münster: Waxmann, 175–191

Deutsches PISA-Konsortium (2001): PISA 2000 — Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opla-den: Leske + Budrich

Niedersächsisches Kultusministerium (2003): Rahmenrichtlinien für die Integrierte Gesamt-schule – Mathematik http://www.nibis.de/nli1/gohrgs/rrl/rrlmaigs.pdf

Reinmann-Rothmeier, Gabi & Heinz Mandl (2001): Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In: A. Krapp & B. Weidenmann (Hrsg.) (2001): Pädagogische Psychologie. Weinheim: Beltz, 601–646

Stanat, Petra et al. (2002): PISA 2000: Die Studie im Überblick; Grundlagen, Methoden und Er-gebnisse. Berlin: Max-Planck-Institut für Bil-dungsforschung http://www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/ PISA_ im_Ueberblick.pdf

Tergan, Olaf-Sigmar (1997): Hypertext und Hyper-media: Konzeptionen, Lernmöglichkeiten, Lernprobleme. In: Paul Klimsa & Ludwig J. Is-sing (Hrsg.) (1997): Information und Lernen mit Multimedia. Weinheim: Beltz PVU, 123–138

Thissen, Frank (1999): Lerntheorien und ihre Um-setzung in multimedialen Lernprogrammen — Analyse und Bewertung. In: BIBB Multimedia Guide Berufsbildung Berlin http://www.frank-thissen.de/lernen.pdf

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Ein Begriff hat Konjunktur —

wir sollten die Chance ergreifen, diese Konjunktur zu nutzen.

(Dieter Baake 1996)

1 Einleitung

Die Begriffe "Medienkompetenz" und "Kom-petenz" werden nicht nur im wissenschaftli-chen Kontext, sondern auch in umgangs-sprachlichen Zusammenhängen benutzt. Deswegen ist es schwierig — wenn nicht so-gar unmöglich —, über Medienkompetenz zu schreiben, ohne zusätzlich zu erläutern, was darunter eigentlich verstanden werden soll. In diesem Beitrag geht es um Medienkompe-tenz; speziell: Medienkompetenz im Mathe-matikunterricht! Exemplarisch wird darge-stellt, dass die Bildungsstandards für den mittleren Abschluss für das Fach Mathematik Hinweise bzw. Indikatoren enthalten, die Me-dienkompetenz seitens der Schülerinnen und Schüler erfordern. Oder in Form einer Frage: Welche Medienkompetenzen sind notwendi-ge Voraussetzungen, um die in den Stan-dards ausgewiesenen Kompetenzen für das Fach Mathematik zu erreichen, und wie kann man diese Kompetenzen überprüfen? Diese Frage wird im Rahmen dieses Beitrags näher analysiert. Zum Ende gibt es einen Ausblick in die Praxis: Im Rahmen der Lern-standserhebungen Mathematik in Klasse 9 in NRW werden nach und nach Medienkompe-tenzen verstärkt berücksichtigt. Es wird ein kleiner Einblick in den Status quo und die zu-künftige Planung gegeben.

2 Medienkompetenz, Versuch einer Begriffs-klärung

In den letzten Jahren wurde Baackes Defini-tion von Medienkompetenz häufig zitiert und benutzt. Ich greife ebenfalls auf seine Ideen zurück: Baacke (1996) operationalisierte sei-ne Vorstellungen und gliederte den Begriff Medienkompetenz in die vier Bereiche Me-dienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung:

Medienkritik soll analytisch problematische gesellschaftli-che Prozesse erfassen. Jeder Mensch sollte reflexiv in der Lage sein, sein (analytisches) Wissen auf sich selbst und sein Handeln an-zuwenden.

Medienkunde umfasst das Wissen über aktuelle Medien-systeme und deren Bedienung. Die beiden Aspekte Medienkritik und Medien-kunde umfassen die Dimension der Vermitt-lung. Die Dimension der Zielorientierung (umfasst Mediennutzung und Mediengestaltung) liegt im Handeln der Menschen. Hierbei spielt also die Nutzung von Medien eine wichtige Rolle:

Mediennutzung ist in doppelter Weise zu verstehen: Medien sollen angewendet werden, und mediale in-teraktive Angebote sollen genutzt werden können. Mediennutzung geht also über die reine Bedienung hinaus: Es geht darum, Me-

(Medien-) Kompetenz: von der Nutzung ... zu den Kompetenzen

Andreas Pallack, Soest

Die Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Mittleren Bildungsabschluss benen-nen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler bis zu einer bestimmten Jahrgangsstu-fe an zentralen Inhalten des Fachs erworben haben sollen. Zum Erwerb vieler der in den Standards ausgewiesenen allgemeinen und inhaltsbezogenen Kompetenzen ist der Ein-satz Neuer Medien sinnvoll. Fachbezogene Kompetenzen sind damit notwendig mit Me-dienkompetenzen gekoppelt. Insbesondere ist die Frage interessant, welchen Nutzungs-kompetenzen — unabhängig von der Wahl der Technologie (Grafische Taschenrechner, Taschencomputer, PC-Software, ...) — zentraler Stellenwert zugeschrieben werden sollte und wie diese erworben bzw. überprüft werden können.

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(Medien-) Kompetenz: von der Nutzung ... zu den Kompetenzen

123

dien in bestimmten (gegebenen oder selbst gesuchten) Problemsituationen nutzen zu können. Die Fähigkeit, Medien nutzen zu können bezeichne ich im Folgenden als Nut-zungskompetenz.

Mediengestaltung umfasst innovative Veränderungen und (Wei-ter-) Entwicklungen des Mediensystems. In allen Bereichen medienkompetent zu sein, bedeutet also, Kenntnisse über Medienange-bote zu haben, diese Kenntnisse anwenden zu können, die Reichweite, Bedeutung und Seriosität von Medien einschätzen zu können und mit Medien kreativ und innovativ umzu-gehen. In den Bereich Medienkompetenz fallen — weit gefasst — auch Fähigkeiten wie die ver-ständige Nutzung eines Schulbuchs oder der reflektierte Umgang mit gewaltverherrlichen-den Graffiti, da diese Form der Kommunika-tion ebenfalls über Medien geschieht. Im Folgenden wird der Begriff Medienkompe-tenz — und seine Unterbegriffe — stets in Bezug auf Neue Medien verwendet.

3 Beziehungen zwischen mathematischer Kompetenz und Medienkompetenz

Die Standards für den mittleren Bildungsab-schluss im Fach Mathematik beschreiben Kompetenzen, über die Schülerinnen und Schüler zum Ende der Mittelstufe nachweis-lich verfügen sollen. Im Laufe ihrer Schulzeit erwerben Schülerinnen und Schüler auch Medienkompetenzen. Ein Teil dieser Kompe-tenzen können sie im Mathematikunterricht gewinnbringend nutzen bzw. im Mathematik-unterricht erwerben. Es gibt also einen Über-schneidungsbereich zwischen mathemati-scher Kompetenz (wie in den Standards be-schrieben) und Medienkompetenz: In diesen Überschneidungsbereich fällt z.B. ein Teil der Kompetenz, mathematische Werkzeuge verständig auswählen und nut-zen zu können. Schülerinnen und Schüler benötigen Fähigkeiten aus den Bereichen der Medienkunde, der Mediennutzung und den allgemeinen mathematischen Kompe-tenzen, um z.B. elektronische Werkzeuge verständig einzusetzen. Ein weiteres Beispiel ist die Kompetenz Beschreiben Veränderun-gen von Größen mittels Funktionen, auch un-

ter Verwendung eines Tabellenkalkulations-programms. Hier spielen inhaltsbezogene Kompetenzen vernetzt mit Nutzungskompe-tenzen eine hervorgehobene Rolle. Öffnet man seinen Blick ein wenig, so leuch-tet ein, dass auch mathematische Kompe-tenzen Medienkompetenzen fördern können: Schülerinnen und Schüler, die im Mathema-tikunterricht dreidimensionale Objekte be-schrieben, konstruiert und vielleicht sogar am Rechner dargestellt haben, erhalten die Chance, zu Actionspielen (z.B. zu "3D Shoo-tern" wie Wolfenstein 3D oder Duke Nukem 3D) eine neue Einstellung zu gewinnen. Spiele dieser Art offenbaren ihren Problem-gehalt erst, wenn die Spielenden vergessen, dass es sich um eine Simulation der Realität und nicht um die Realität selbst handelt. Für Schülerinnen und Schüler, welche die Tech-nik und die Mathematik dahinter verstehen, scheint es so, als wenn nach und nach die Fäden von Marionetten sichtbar würden. Der Zauber verschwindet. So kann Mathematik-unterricht einen Beitrag liefern, mit Medien kritisch und vernunftgebunden umzugehen (Medienkritik).

3.1 Medienkompetenz im Licht der Standardsicherung

Das Setzen von Standards ist nur sinnvoll, wenn auch überprüft wird, ob und in welchem Maße sie erreicht werden. Die Standards für den mittleren Bildungsabschluss im Fach

Medienkompetenz des

Lernenden

Mathematische Kompetenz des Lernenden

Medienkritik

Medienkunde

Mediennutzung

Mediengestaltung

Inhaltsbezogene Kompetenzen

Allgemeine mathematische Kompetenzen

Abb. 1

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Andreas Pallack

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Mathematik werden derzeit vom IQB stan-dardisiert und normiert (wobei der Autor das Land NRW in einer Arbeitsgruppe vertritt, die für die Entwicklung der Aufgaben im Rahmen die Standardisierung und Normierung der Bildungsstandards verantwortlich ist). Aufga-ben, die für die Standards entwickelt werden, sollten sich ausschließlich auf die Kompe-tenzindikatoren in den Standards beziehen. Medienkompetenz bilden sie deswegen nur indirekt ab: In der Standardisierung und Nor-mierung durch das IQB wird natürlich keine latente Variable Medienkompetenz beschrie-ben, auch wenn Facetten dieser Kompetenz implizit durch die Bildungsstandards erfasst werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass Me-dienkompetenzen — und in diesem Kontext sei auch die Kompetenz, Lehr- und Lernpro-gramme nutzen zu können, erwähnt (Pallack et al. 2004) — keinen sinnvollen Beitrag zum Erreichen der Standards liefern. Exemplarisch betrachtet sei an dieser Stelle die inhaltsbezogene Kompetenz Nutzen sinn-tragende Vorstellungen von rationalen Zahlen ent-sprechend ihrer Verwen-dungsnotwendigkeit (Abb. 2). Im Rahmen des Modellversuchs SINUS-Transfer NRW wurden klei-nere Applets zum Einsatz im Mathematikunterricht entwickelt und im Unter-richt genutzt. Im gezeigten Applet bekommt der Ler-nende leere — mehr oder minder zufällig generierte — Rechteckrepräsentan-ten vorgegeben. Ebenfalls (nahezu) zufällig wird ein Bruch gezeigt. Die Frage

ist nun, ob der Bruch im ge-zeigten Gitter repräsentiert werden kann; und wenn ja: Wie? Die Praxis zeigt: Es er-geben sich interessante Situ-ationen, in denen die Ler-nenden explorieren, spielen, argumentieren und schließ-lich auch die genannte in-haltsbezogene Kompetenz vertiefen. Doch: Auch wenn Schülerin-nen und Schüler mit Hilfe von speziellen Lernprogram-men mathematische Kompe-tenzen in besonderer Weise erwerben könnten: Im Rah-men der Standardsicherung können die Programme

selbst keine Rolle spielen. Das gilt in gleicher Weise für spezielle Geometrieprogramme, Computer-Algebra-Systeme oder Tabellen-kalkulationsprogramme. Aus diesem Fakt lassen sich einige Thesen ableiten: These 1: Die Überprüfung von Nutzungs-kompetenzen, die sich auf den Einsatz spe-zieller Programme beziehen, kann im Rah-men der Standardsicherung keine herausge-hobene Rolle spielen. Jedoch: These 2: Die Nutzung von Neuen Medien kann den Erwerb von mathematischen Kom-petenzen unterstützen. Dieser Kompetenzzu-wachs kann auch durch medien-unabhängi-ge Aufgaben überprüft werden. Nutzungskompetenzen können also indirekt auf mathematische Kompetenzen wirken. Da es aber keine standardisierten Programme gibt, kann die ursprünglich notwendige Kom-petenz zum Erwerb der mathematischen Kompetenzen in der Breite nicht überprüft

Medienkompetenz des Lernenden

Mathematische Kompetenz des Lernenden

Medienkritik

Medienkunde

Mediennutzung

Mediengestaltung

Inhaltsbezogene Kompetenzen

Allgemeine mathematische Kompetenzen Nutzen sinntragende

Vorstellungen von rationalen Zahlen [...] entsprechend der Verwendungsnotwendigkeit.

Abb. 2

MapleDerive

Geonext

Cinderella Excel

CellSheetMedienkompetenz des

Lernenden

Mathematische Kompetenz des Lernenden

Medienkritik

Medienkunde

Mediennutzung

Mediengestaltung

Inhaltsbezogene Kompetenzen

Allgemeine mathematische Kompetenzen

Standardsicherung

CAS DGS

TK GTR

?

Abb. 3

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(Medien-) Kompetenz: von der Nutzung ... zu den Kompetenzen

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werden. Was gemessen werden kann, sind nur die Folgen: Also der Zuwachs im Bereich mathematischer Kompetenzen.

3.2 Nutzungskompetenzen im Rahmen der Standard- sicherung direkt messen

Abstrahiert man jedoch von spezieller Soft-ware und beschränkt sich auf einen Kern von Kompetenzen aus dem Überschneidungsbe-reich mathematischer und Medien-Kompe-tenzen, muss man die Frage erneut stellen, ob man diejenigen Medienkompetenzen, die zur Steigerung oder zum Erwerb mathemati-scher Kompetenz führen bzw. notwendig sind, im Rahmen der Standardsicherung messen kann (Abb. 3). Aus meiner Sicht kommt man in diesem Fall zu einer anderen Antwort: Auch in diesem Fall gibt es Beziehungen zwischen Nutzungs- und mathematischen Kompetenzen des Lernenden. Im Gegensatz zum ersten Beispiel werden hier Nutzungs-kompetenzen in den Fokus genommen, die eine notwendige Voraussetzung zur Erlan-gung einiger in den Bildungsstandards aus-gewiesener mathematischer Kompetenzen sind (z.B. die Fähigkeit, Tabellenkalkulati-onssoftware nutzen zu können, um die Ver-änderung von Größen zu beschreiben). These 3: Zum Erwerb einiger in den Bil-dungsstandards beschriebener Kompeten-zen sind Nutzungskompetenzen notwendige Voraussetzungen. Jedoch (Abb. 4): These 4: Die in den Bildungsstandards be-schriebenen Nutzungskompetenzen sind in der Breite nur (direkt) überprüfbar, wenn (un-abhängig von der konkreten Software) ein Kern von Nutzungskompetenzen existiert. Doch wie sieht dieser Kern aus, und mit wel-chen Typen von Aufgaben kann man diese

Kompetenzen überprüfen? Einer Antwort auf diese Frage möchte ich mich mit Hilfe eines Beispiels nähern:

3.3 Kompetenzen aus dem Kern von Nut-zungskompetenzen beobachten und messen

Beispiel: Aufgabe:

Gesucht ist eine Nullstelle von f(x)=x³–x–1. Mit Variationen dieser Aufgabe könnte z.B. die in den Standards ausgewiesene Kompe-tenz "Schülerinnen und Schüler beschreiben Veränderungen von Größen mittels Funktio-nen, auch unter Verwendung eines Tabellen-kalkulationsprogrammes" überprüft werden. Diese — für die Sekundarstufe I eher unge-wöhnliche — Aufgabe können Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Werkzeugen unter Rückgriff auf zentrale Kompetenzen zur Nutzung einer Tabellenkalkulation angreifen, wenn sie wissen, wie Nullstellen definiert sind: 1. Möglichkeit: Nutzung einer Tabellenkalkulation wie EXCEL:

Lernende, welche dieses Werkzeug verstän-dig einsetzen, werden systematisch (durch Verändern der ersten Spalte) Stellen suchen, für welche die Funktion f Werte annimmt, die nahe bei 0 liegen. 2. Möglichkeit: Nutzung der Vector-Funktion von DERIVE Mit Hilfe der Vector-Funktion kann man sich — ähnlich wie in der Tabellenkalkulation — eine Liste mit Werten der Funktion anzeigen

Medienkompetenz des

Lernenden

Medienkritik

Medienkunde

Mediennutzung

Mediengestaltung

Mathematische Kompetenz des Lernenden

Inhaltsbezogene Kompetenzen

Allgemeine mathematische Kompetenzen

Standardsicherung

Abb. 4

Abb. 5

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Andreas Pallack

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lassen. Diese Werte können dann auf Hinweise auf Nullstellen untersucht werden.

3. Möglichkeit: Nutzung von Listen programmierbarer Ta-schenrechner

Mit den meisten programmierba-ren Taschenrech-nern — in jedem Fall mit den gän-gigen Grafikrech-nern — kann man Wertetabellen mit Hilfe von Listen generieren.

Diese Vorschläge stellen natürlich nur einen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum der Möglichkeiten dar. Genauso gut hätte die Aufgabe mit dem CASIO Classpad, einem grafikfähigen Sharp, einem HP-Rechner oder mit ganz anderen Typen mathematischer Software bewältigt werden können. Auch wurde die Software nicht immer optimal eingesetzt: Natürlich gibt es in CAS wie De-rive auch Befehle, um diese Gleichung un-mittelbar zu lösen. Es war aber in diesem Fall nicht (!) das Ziel zu beschreiben, wie man die Aufgabe möglichst elegant mit Hilfe elektronischer Werkzeuge lösen kann. Viel-mehr steht die Frage im Mittelpunkt, welche software-unabhängigen Nutzungskompeten-zen bei der Überprüfung der Kompetenz Schülerinnen und Schüler beschreiben Ver-änderungen von Größen mittels Funktionen, auch unter Verwendung eines Tabellenkalku-lationsprogrammes eine wesentliche Rolle spielen könnten. Oder anders: Wie äußert sich die Fähigkeit, Veränderungen von Grö-ßen mittels Funktionen, auch unter Verwen-dung eines Tabellenkalkulationsprogrammes, beschreiben zu können, konkret, und was haben diese Tätigkeiten gemeinsam? Der Kern notwendiger Nutzungskompeten-zen würde in diesem Fall die Teilkompeten-zen Schülerinnen und Schüler nutzen Soft-ware zur Erstellung von Wertetabellen sowie Schülerinnen und Schüler nutzen Software

zur Durchführung eines Iterationsprozesses umfassen. Im nächsten Schritt kann man sich nun fra-gen, ob diese Kompetenzen überprüft wer-den können, ohne den Einsatz oder die Kenntnis einer bestimmten Software voraus-zusetzen? Die im Folgenden dargelegten Gedanken stellen nur einen Vorschlag dar, der empi-risch nicht validiert ist! Da es ohne empiri-sche Überprüfung nicht möglich ist, eine la-tente Variable wie Nutzungskompetenz oder Medienkompetenz zu finden, geschweige denn sinnvoll zu stufen, beschränke ich mich hier darauf, eine Idee auszuführen, ohne den Anspruch zu erheben, mit dieser konkreten Aufgabe Nutzungskompetenz oder sogar standardbezogene Nutzungskompetenz messen zu können. Analysiert man die Möglichkeiten zur Lösung des Problems nochmals, fällt auf, dass der 2. Vorschlag aus der Rolle fällt. Zwar kann man mit vielen Programmen Listen erzeugen, die Idee der Tabellenkalkulation kommt dabei oft nur bedingt zum Tragen. Aus meiner Sicht ist eine — wenn nicht die — zentrale Idee der Tabellenkalkulation, dass in einer Matrix aus Spalten und Zeilen Verknüpfungen zwischen den Elementen der Matrix hergestellt werden (vgl. auch (Hischer 2002, 258)). Die 1. und die 3. Möglichkeit tragen dieser Idee Rech-nung. In beiden Fällen muss der Nutzer kon-kret eine Funktion angeben, welche die Spal-ten miteinander verknüpft. Schülerinnen und Schüler, die über die Kom-petenz verfügen, mit einer Tabellenkalkulati-on zu arbeiten — die also die wesentliche Idee der Tabellenkalkulation verstanden ha-ben und umsetzen können —, sollten nur wenig Schwierigkeiten haben, die folgende Aufgabe zu lösen: Aufgabe: In einem Programm kann man Spalten mit-einander verknüpfen. Beispiel:

G F1=G*2 F2=G*31 3,5 7 10,5 2 4 8 12 3 6 12 18 4 8 16 24 5 9 18 27

Abb. 8

Die Werte in der Spalte G können frei ge-wählt werden. In den Spalten F1 und F2 werden Formeln eingegeben. Die Zahlen in den zugehörigen Spalten werden automa-tisch berechnet. Wie kann man mit diesem

Abb. 6

Abb. 7

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(Medien-) Kompetenz: von der Nutzung ... zu den Kompetenzen

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Programm annäherungsweise eine Nullstelle von f(x)=x³–x–1 berechnen? Nutze die dir vorliegende Software / den dir vorliegenden Rechner, um die Berechnung auszuführen, und stelle dar, wie man die Lösung mit Hilfe der vorgestellten Software erkennt.

4 Nutzungskompetenzen in den Lernstands- erhebungen 9 in NRW

Nordrhein-Westfalen hat ein System der Standardsicherung entwickelt, das sich durch das Zusammenspiel von Abschlussprüfun-gen, Lernstandserhebungen und Vergleichs-arbeiten auszeichnet (der Autor leitet am Landesinstitut für Schule / der Qualitätsagen-tur des Landes Nordrhein-Westfalen Arbeits-gruppen zur Entwicklung von Aufgaben für die Lernstandserhebungen und die zentralen Abschlussprüfungen im Fach Mathematik). Sämtliche Elemente der Standardsicherung in der Sekundarstufe I im Fach Mathematik beruhen auf den Kernlehrplänen für das Fach Mathematik (NRW 2004). Ein Ziel der Lernstandserhebungen in Klasse 9 ist die zeitnahe und nachhaltige Implementierung der Kernlehrpläne. Deswegen wird in den ersten vier Jahren (2004 bis 2007) — nach der jetzigen Planung — jeweils ein Schwer-punkt gesetzt (vgl. (Heymann & Pallack 2005)). 2004 lag der Schwerpunkt auf dem Kompetenzbereich Modellieren, 2005 auf Problemlösen. Im Jahr 2006 wird Argumen-tieren folgen und 2007 Werkzeuge nutzen. Die Kernlehrpläne beinhaltet die Nutzung Neuer Medien im Mathematikunterricht. Schrittweise werden nun Aufgaben mit Be-zug zu Neuen Medien entwickelt und im Rah-men der Lernstandserhebungen eingesetzt (Einen ersten Eindruck vermittelt (Pallack 2005)). Dabei wird implizit eine Stufung me-dienbezogener Kompetenzen berücksichtigt (vgl. (Leuders & Pallack 2005)). Der Anteil medienbezogener Aufgaben wird von Jahr zu Jahr zunehmen: 2004 gab es keine Aufga-ben, die offensichtliche Bezüge zu Neuen Medien hatten. 2005 einige Aufgaben Nut-zungskompetenzen überprüfen. Bis 2007 werden Aufgaben entwickelt, welche die Überprüfung von Nutzungskompetenzen in Bezug auf Tabellenkalkulationssoftware,

Funktionenplotter und Dynamische-Geome-trie-Software verfolgen. Im Anschluss an die Lernstandserhebung 2007 wird ein Kompe-tenzniveaumodell für den prozessbezogenen Kompetenzbereich Werkzeuge Nutzen ent-wickelt. Welche Methodik und welches Mo-dell diesem Nivaumodell zu Grund liegen werden, ist zurzeit noch offen. Die Ausschärfung des Kerns von Nutzungs-kompetenzen und das Messbar-Machen die-ser Kompetenzen ist eine Herausforderung, die in den nächsten Jahren bewältigt werden muss. So können breit angelegte Maßnah-men — wie die Lernstandserhebungen in Klasse 9 in NRW — Signalcharakter für die zukünftige Gestaltung von Unterricht auch in Bezug auf die Nutzung Neuer Medien haben.

Literatur Baake, Dieter (1996): Medienkompetenz als Netz-

werk. Reichweite und Fokussierung eines Begriffs, der Konjunktur hat. www.gep.de/medienpraktisch/amedienp/ mp2-96/2-96inh.htm (01.08.2005)

Heymann, Hans-Werner & Andreas Pallack (2005): Mathematikaufgaben für die Lern-standserhebung. Erscheint in: Landesinstitut für Schule & Qualitätsagentur NRW (Hrsg.): Lernstandserhebungen in Nordrhein-Westfa-len. Konzept, Verfahren, erste Erfahrungen und Ergebnisse. Münster: Waxmann

Hischer, Horst (2002) (Hrsg.): Mathematikunter-richt und Neue Medien. Hildesheim & Berlin: Franzbecker

Leuders, Timo & Andreas Pallack (2005): Inwie-weit bedarf es zur Überprüfung der Kompeten-zen, die mit Neuen Medien erworben werden, der Verfügbarkeit Neuer Medien in der Prü-fungssituation? Erscheint in: Peter Bender et al. (Hrsg.): Neue Medien und Bildungsstan-dards. Hildesheim & Berlin: Franzbecker (die-ser Band)

Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (NRW 2004): Kernlehrpläne Mathematik. Frechen: Ritterbach

Pallack, Andreas (2005): Lernstandserhebungen 2005 in Mathematik. Ab Oktober 2005 online verfügbar unter www.learnline.de

Pallack, Andreas et al. (2004): Vorschläge zur In-tegration von Hypermedia im Mathematikun-terricht. In: Journal für Mathematik-Didaktik 25, 3–32

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Einleitung

Zur Einordnung des Vortrages in das Gene-ralthema der Tagung hier zunächst einige einführende Bemerkungen:

Unter den Mathematik-Didaktikern und ins-besondere unter den Teilnehmern dieser MU&I-Tagung sind die folgenden Aussagen sicher unstrittig.

Beispiele für den Einsatz des CCaassiioo CCllaassssPPaadd 300 im Unterricht

Reinhold Thode, Kiel

Man hätte sich — gerade vor dem Hintergrund der Bildungsstandards — gewünscht, dass der Einsatz der mächtigen Tools für den Mathematikunterricht (i.e. CAS, DGS, Ta-bellenkalkulation etc.) den Unterricht wenigstens in Teilen revolutioniert; mindestens hät-te man jedoch erwartet, dass geklärt wird, inwieweit inhaltlich und methodisch Vorhande-nes ergänzt und ggf. verdrängt werden kann. Dass das bisher nach wie vor nicht durchgehend geschehen ist, hat neben vielen ande-ren Gründen die Hauptursache in der eben nicht permanent im Unterricht verfügbaren Software. Seit einiger Zeit gibt es moderne Taschenrechner, die in ihren Möglichkeiten weit über das übliche Maß hinausgehen. Diese Rechner können auf verschiedene Weise einen wichtigen Beitrag zur Verfügbarkeit entsprechender Mathematik-Software leisten. Der Vortrag zeigt an drei im Unterricht erprobten Beispielen (Spiegelungsgeometrie in der Quarta — DGS, Animation; Extremalproblem aus der Optik in der Untersekunda —DGS, Animation, Tabellenkalkulation; Tangentenproblem in der Obersekunda — CAS, DGS, Animation, eActivity) Möglichkeiten des Einsatzes eines solchen neuen Rechners, hier des ClassPad 300 der Firma Casio. Prinzipielle und übergeordnete Fragen zum Ein-satz entsprechender Software können und sollen diskutiert werden.

In einem dazugehörigen Arbeitskreis kann der Rechner an den genannten und im Vor-trag erläuterten oder auch an anderen Beispielen (namentlich Bereich CAS) unter Anlei-tung praktisch ausprobiert und in seinen Möglichkeiten ausgelotet werden.

Abb. 1

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Beispiele für den Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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"Wir sollten die Innovation 'Standards' ernst-nehmen!" "Wir sollten die Innovation 'Computer und neue Medien' (endlich) ernst nehmen!" Es wurde in diesem Kreis schon ausführlich die Frage diskutiert: "Welchen Einfluss haben die neuen Medien auf die Standards?"; und umgekehrt: "Welche Auswirkungen auf den Medieneinsatz haben die Standards?" Ich zitiere hier dazu einige Aussagen aus dem Vortrag "Bildungsstandards, Kernlehr-pläne und Neue Medien" von Hans-Jürgen Elschenbroich, gehalten auf dieser Tagung.

"(In den Standards werden) Medien an einer Stelle explizit vage, aber doch weitreichend angesprochen: 'Hilfsmit-tel, insbesondere elektronische Me-dien entsprechend sinnvoll' einsetzen." "(Dazu ) an vielen Stellen noch implizit mit (Daten u. Zufall, funktionaler Zu-sammenhang etc.)." "'Klassische mathematische Werkzeu-ge und moderne elektronische Werk-zeuge und Medien' sachgerecht ein-setzen und situationsangemessen auswählen." "Explizit genannte Werkzeuge: Gra-phik-Taschenrechner, Dynamische Geometriesoftware, Tabellenkalkulati-on, Funktionenplotter, Computer-Alge-bra, diverse Internet-Applets, Übungs-software, Edutainment." "Von der schlichten Manipulation und Ausgabe von Zahlen zur Dynamischen Visualisierung." "Visuell: Berechnungen sichtbar ma-chen." "Dynamisch: Änderungen sofort um-setzen." "Interaktiv: Reagieren auf Aktionen der Schüler.""Sicherstellen, dass prozess-bezogene Kompetenzen wie Argumen-tieren, Präsentieren etc. nicht den Testverfahren geopfert werden." "'Amtlich' deutlich machen, dass der Einsatz der Neuen Medien demnächst auch überprüft wird, und dazu jetzt schon Beispielaufgaben veröffentli-chen.Insbesondere die letzten Sätze

machen deutlich: Es besteht einerseits die Gefahr, dass zentrale Leistungsüberprüfun-gen und Erfolgskontrollen den Einsatz neuer Medien umgehen. Andererseits ist der Ein-satz neuer Medien keineswegs in jedem Un-terricht selbstverständlich.

Mathematikunterricht unter geeigneter Ver-wendung neuer Medien fördert natürlich auch die Kompetenzbildung in Bezug auf die in den Standards genannten Ziele: "Probleme mathematisch lösen / Mathematisch model-lieren / Mathematisch argumentieren / Ma-thematische Darstellungen verwenden / Kommunizieren". Explizit subsumiert wird der Einsatz der neu-en Medien im Kompetenzbereich "Mit symbo-lischen, formalen und technischen Elemen-ten der Mathematik umgehen". Dazu ist es erforderlich, dass die von El-schenbroich genannten elektronischen Werk-zeuge jederzeit im Unterricht verfügbar sein müssen. Hier setzt der Vortrag an. Ich vertrete die These:

Der Einsatz mächtiger Software hätte mindestens Teile des Un-terrichtes revolutionieren müs-sen.

Damit ist i.W. gemeint: • Computeralgebra-System • Dynamisches Geometriesystem • Tabellenkalkulation • Interaktive Internetseiten • Internetrecherche • Eigene Programmierung • Lernprogramme Die Reihenfolge der aufgeführten Tools möchte ich als Ranking interpretiert wissen. Andererseits denke ich:

Dies ist jedenfalls flächende-ckend — wenn überhaupt — nur in geringem Umfang eingetreten.

Wesentliche Gründe dafür liegen: • Im Bereich der KollegInnen • Im Bereich Ministerium, Fachaufsicht, z.T.

Fortbildungsinstitute • In der nicht gegebenen permanenten Ver-

fügbarkeit der Software Zu den ersten beiden Punkten habe ich mich schon früher ausführlicher geäußert (vgl. u.a. Thode 2001). Meine Einschätzung zu diesen Hemmnissen hat sich in den letzten Jahren nicht wesentlich geändert. In diesem Vortrag geht es um einen Beitrag zur Bereitstellung der o.a. Tools, also um den dritten Punkt.

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Die Realität an den meisten Gymnasien sieht z.Zt. so aus, dass es ein oder zwei Compu-ter- / Medien-Räume gibt, dazu eventuell noch einen Laptop-Pool, der selten Geräte für alle Schüler einer Klasse enthält. Damit fehlt eben die permanente Verfügbarkeit der genannten Tools; denn dazu müsste jeder Mathematik-Unterricht in diesen Räumen stattfinden bzw. die Laptops requirieren. Das ist offensichtlich nicht möglich.

In dieser Situation können die neueren Ta-schenrechner insbesondere der Firmen Te-xas Instrument und Casio für den Mathema-tik-Unterricht jedenfalls Abhilfe schaffen. In diesem Vortrag wird der Casio ClassPad 300 mit einigen seiner Möglichkeiten im Unter-richt vorgeführt. Es gibt eine Reihe von nützlichen Internet-adressen zu diesem Rechner. Stellvertretend seien ohne Anspruch auf Vollständigkeit zwei genannt. www.casio-europe.com/de/ www.classpad.de/ Die Anzahl der Seiten im Web wächst!

Die Schüler haben z.B. eine kleine Einfüh-rung in den Rechner als PowerPoint-Präsentation heruntergeladen und dankbar angenommen. Interessanter war für die Schüler (aller Al-tersgruppen!) die Erkenntnis, einen Taschen-rechner vor sich zu haben, der sich wie ein richtiger Computer benimmt, etwa indem durch Verbindung mit dem PC das Betriebs-system per Download aktualisiert werden kann oder neue Features ergänzt werden können. Hierzu eine kleine Episode, die für Schüler sehr spannend war: Wir waren offenbar die ersten, die ausführlich mit den Modulen "Ta-bellenkalkulation" und "Geometrie" im ge-genseitigen Wechsel gearbeitet haben (vgl. die untenstehenden Beispiele). Erst meldete ein Rechner "fatal error" und war fortan nicht mehr zu benutzen, dann ein zweiter, ein drit-ter. Die Geräte wurden anstandslos von der Firma Casio ersetzt. Als es aber mehr als ein Dutzend Rechner war, musste etwas ge-schehen. Es gab im folgenden eine Connec-tion Käthe-Kollwitz-Schule, Kiel, via Norder-stedt nach Japan zu Casio und in die USA zu Saltire-Software mit dem Ergebnis, dass der Betriebssystemfehler, auf den wir gestoßen waren, diagnostiziert und beseitigt wurde und wir auf demselben Weg zurück eine CD be-kamen, mit der wir unser System updaten konnten. Für Schüler sensationell!

Unterrichtsbeispiele unter Verwendung des ClassPad

Die folgenden Beispiele dienen nicht dazu, zum wiederholten Male vernünftigen Einsatz neuer Medien im Unterricht vorzuführen. Vielmehr ist es die erklärte Absicht, die Mög-lichkeiten dieser Taschenrechner vorzufüh-ren, deren Kauf bei einem Preis von 150 Eu-ro bis 200 Euro und einer Nutzungsdauer

Abb. 2

Abb. 3

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Beispiele für den Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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Abb. 5

Abb. 4

von mindestens 7 Jahren für Schüler bzw. ih-re Eltern zumutbar erscheint. Mit diesen Rechnern kann die angesprochene und not-wendige Verfügbarkeit aller wesentlichen oben erwähnten Tools in jeder Mathematik-stunde gewährleistet werden. Der Vortrag bestand in einer Mischung aus PowerPoint-Präsentation, Emulation des ClassPad auf dem PC und realem ClassPad-Einsatz mit Demonstration mittels Overhead-Projektor. In der jetzt hier vorliegenden schriftlichen Form geht Wesentliches der Dynamik verlo-ren. Nicht umsonst betone ich z.B. gern Dy-namisches-Geometrie-System. Dieser Nach-teil lässt sich in der Form eines Scriptes nicht vermeiden, ich appelliere an die Vorstel-lungskraft der ja zumeist erfahrenen Leser.

Spiegelungsgeometrie in der Quarta

Geradenspiegelung Quasi als Vorübung wurden mit dem ClassPad Figuren gezeichnet und an einer Geraden gespiegelt. Dieser erste Umgang diente der Gewöhnung an den Rechner, und gleichzeitig wurden die Eigenschaften der Spiegelung wiederholt.

Doppelspiegelung an zwei sich schnei-denden Geraden

Die Schüler werden aufgefordert, zwei sich schneidende Geraden zu zeichnen und eine Figur, etwa ein Dreieck, nacheinander an ih-nen zu spiegeln. Das wäre natürlich auch ohne DGS gegan-gen, dabei hätte man aber noch das den Überblick störende Zwischendreieck A'B'C' gesehen. Wir wissen, dass es sich um eine

Drehung handelt, aber was sehen die Schü-ler? Ich glaube, zunächst nichts! Etwas besser wird die Situation — und hier kommt das DGS ins Spiel —, wenn die zwei-te Gerade z.B. am Punkt F angefasst und bewegt wird.

Man kann den Punkt F allerdings auch ani-mieren, ihn etwa auf einer Geraden bewe-gen. Zusätzlich kann die Spur des Punktes C" dabei aufgezeichnet werden. Nach der Animation ist die Sache klar! Mit Hilfe der Messbox (zu technischen Ein-zelheiten vgl. auch den Bericht aus dem zu-gehörigen Arbeitskreis) kann der Drehwinkel (∠CDC") und der Winkel zwischen den Ge-raden gemessen werden. Die Schüler erken-nen dann endgültig: "Es handelt sich um eine Drehung um den Punkt D um den doppelten Winkel, den die beiden Geraden einschlie-ßen und in Richtung erste zur zweiten Gera-den."

Spiegelung an zwei parallelen Geraden

Abb. 6

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Vergleichbares Vorgehen wie eben: Zeich-nen der parallelen Geraden, spiegeln des Dreiecks, animieren und Messbox verwen-den, um Abstände zu ermitteln. Erkenntnis: "Es handelt sich um eine Ver-schiebung um den doppelten Abstand der beiden Geraden und in Richtung erste zur zweiten Geraden senkrecht zu ihnen."

Spiegeln an drei sich schneidenden Geraden

Nach Ausführen der Konstruktion und Verde-cken der Zwischendreiecke äußern die Schü-ler die Vermutung, es handele sich um eine einzige Spiegelung. Also wird mit dem DGS eine Gerade kon-struiert, die Spiegelungsachse sein könnte, und an ihr das ursprüngliche Dreieck gespie-gelt; und siehe da, das dabei neu entstehen-de Dreieck fällt mit dem Dreieck A"B"C" zu-sammen. Werden die Geraden bewegt, än-dert sich dieser Sachverhalt nicht. Das genügte den Schülern als Beweis. Eine von mir (hoffentlich) altersgemäße theoreti-sche Herleitung durch Spiegelungsrechnung wurde nur unwillig angenommen, überfordert Quartaner vielleicht auch. Das Spiegeln an drei parallelen Geraden führt in analoger Weise zum Satz von den drei Spiegelungen, zweiter Teil. Wie zuvor kann über die Messbox die Lage der vierten Spiegelungsgeraden (über Winkel bzw. Ab-stände) endgültig geklärt werden.

Die Gleitspiegelung Der nächste Spezialfall ist die Spiegelung an drei Geraden, bei denen zwei parallel sind und eine senkrecht zu diesen ist. Es ergibt sich bekanntermaßen die Gleitspiegelung.

Ziehen und Bewegen verdeutlicht die Na-mensgebung dieser Abbildung.

Ich wundere mich an dieser Stelle immer, wie stiefmütterlich die Gleitspiegelung in Schul-büchern und im Unterricht behandelt wird. Schüler kennen die Gleitspiegelung als ei-genständige Abbildung schlicht nicht, was of-fenbar nicht nur an ihrer Vergesslichkeit liegt. Nach meiner Ansicht ist allerdings die Gleit-spiegelung für die geschlossene Behandlung der Kongruenzabbildungen unabdingbar. Wie auch immer, die Schüler hatten große Freude daran, Eigenschaften der Gleitspie-gelung herauszufinden. Insbesondere hatte es ihnen der Hjemslevsche Mittelliniensatz angetan: "Bei einer Gleitspiegelung liegen immer die Mittelpunkte der Verbindungsstre-cken Punkt-Bildpunkt auf der Gleitspiegel-achse."

Die Begründung, dass jede beliebige Drei-fachspiegelung eine einfache Spiegelung oder eine Gleitspiegelung ist, die i.w. über geeignete Ersetzung der aktuellen Geraden

Abb. 7

Abb. 8

Abb. 9

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Beispiele für den Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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(-spiegelungen) durch andere, die dieselbe Abbildung leisten, erfolgt, war nur etwas für die leistungsstärkeren Schüler. Die Aussage selbst war allerdings für alle erkennbar.

Reduktionssatz In der Logik des Unterrichtsgeschehens war für die Schüler klar, dass jetzt Vierfachspie-gelungen behandelt werden müssten. Mit der Aussage eben über Dreifachspiegelungen war dann schnell für alle deutlich, dass jede Vierfachspiegelung durch eine Doppelspie-gelung ersetzt werden kann, maximal drei Spiegelungen also ausreichen. Nachdem umgekehrt durch eigenständiges Probieren herausgefunden war, dass zwei kongruente Figuren immer durch eine der eben behandelten Abbildungen ineinander übergeführt werden können, war die Gruppe der Kongruenzabbildungen abschließend be-handelt. Die nächsten beiden Beispiele werden etwas weniger ausführlich dargestellt.

Ein Extremalprinzip in der Untersekunda

Wir rekapitulieren die drei Sätze, mit denen man die gesamte Strahlen- (geometrische) Optik "erschlagen" kann. • Geradlinige Ausbreitung des Lichtes • Reflexionsgesetz • Brechungsgesetz Jetzt wollen wir mit Fermat der Frage nach-gehen, warum das Licht sich so "verhält"? Oder besser ausgedrückt: Können die drei Gesetze durch ein einziges ersetzt werden? Dazu wird zunächst das Reflexionsgesetz auf dem ClassPad simuliert.

Das Licht soll von einem Punkt A auf dem Umweg über einen Punkt E auf einer reflek-tierenden Kante (Fläche) zu einem Punkt B gelangen. Wir messen zunächst die Entfer-nungen AE und EB, während der Punkt E wandert.

Abbildung 12 zeigt, dass der ClassPad bei einer Animation den Wert der gemessenen Größe für alle Animationsschritte in einer Lis-te ablegt.

Wir übertragen die gemessenen Längen in die Tabellenkalkulation des ClassPad und bilden dort die Summe (Abb. 13–15). Danach messen wir im Geometrieteil die Winkel zum Lot und übertragen sie wieder. Die Schüler haben (in Kenntnis des Reflexionsgesetzes) die Tabelle analysiert. Im Ergebnis stellten sie fest: Etwa im 16. Simulationsschritt ist die Summe der Längen minimal, und gleichzeitig sind die Winkel ungefähr gleich. Mit dieser Erkenntnis wird nun (ebenfalls durch Simulation) am Brechungsgesetz

Abb. 10

Abb. 11

Abb. 12

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nachgeprüft, ob sich eine analoge Aussage verifizieren lässt.

Diesmal soll das Licht von einem Punkt A auf dem Umweg über einen Punkt E auf einer

brechenden Kante (Fläche) zu einem Punkt B gelangen. Wir messen wieder zunächst die Entfernungen AE und EB, während der Punkt E wandert. Entsprechende Abbildungen, die die Übertra-gung in die Tabellenkalkulation zeigen, über-springe ich hier. Das Verfahren ist analog zum Reflexionsgesetz. So ganz offensichtlich wie beim Reflexions-gesetz liegen die Verhältnisse hier nicht. Es entwickelte sich im Unterricht eine heftige und spannende Diskussion, die auch zu ei-nem tieferen Verständnis des Brechungsge-setzes geführt hat. Der Zusammenhang zwi-schen Brechungsindex und Lichtgeschwin-digkeit konnte neu problematisiert werden. Am Ende war den Schülern klar, dass die benötigte Zeit für das Zurücklegen der Weg-strecken, die eben nicht immer mit dem kür-zesten (geometrischen) Weg übereinstimmt, minimiert wird. Das war dann auch in der Ta-belle ablesbar.

Abb. 16

Abb. 17

Abb. 13

Abb. 14

Abb. 15

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Beispiele für den Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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Ergebnis: Das Licht "nimmt" den zeitlich kür-zesten Weg.

Das Tangentenproblem in der Ober-sekunda Die Behandlung des bekannten Tangenten-problems am Beginn des 11. Jahrganges zur einführenden Entwicklung der Differential-rechnung mit dem ClassPad verfolgte mehre-re Ziele. Es sollte der Vorgang des Grenzüberganges von den Sekantensteigungen zur Tangen-tensteigung visualisiert werden. Gleichzeitig sollte das Verfahren von z.T. lästigen techni-schen Problemen befreit werden, um die neue Kategorie in der Lösung wirklich zu er-fassen. Schließlich sollten die Entwicklung des Problems und die Lösung möglichst sau-ber dokumentiert werden. Zu diesem letzten Zweck wurde im ClassPad eine geeignete e-Activity entworfen. Das Hin- und Herspringen zwischen den verschiede-

nen Softwaretools des Rechners wird dort besonders einfach und übersichtlich bereit-gestellt, gleichzeitig ist die Eingabe von Text möglich. Die Abbildungen 18 und 19 erklären sich selbst. Bei der Animation lässt sich wunderschön verfolgen, wie die Sekante sich auf die Tan-gente zu bewegt, während der Punkt A auf den Punkt B zuläuft, und schließlich mit ihr übereinstimmt. Dadurch wird das Verfahren anschaulich sehr klar (Abb. 21)! Der Übergang zum CAS schafft die übliche analytische Klärung. Das Wechseln zwischen den einzelnen Soft-wareteilen des ClassPad und insbesondere die hier durchgeführte Animation setzt einige Übung im Umgang mit dem ClassPad vor-aus. Wenn man anstrebt, dass die Schüler ab der 7. Klasse mit diesen Tools vertraut sind und regelmäßig CAS, DGS, Tabellen-kalkulation etc. verwenden, stellt das aller-dings kein Problem dar.

Abb. 18

Abb. 19

Abb. 20

Abb. 21

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Literatur Gjone, Gunnar & Tor Andersen (2004): Form und

Zahl. Eine Einführung zum Einsatz des ClassPad 300 im Mathematikunterricht. Nor-derstedt: Casio Europe

Padlitz, Ludwig (2004): Mathematische Modelle und wissenschaftlich-technische Anwendun-gen. Norderstedt: Casio Europe & Bildungs-verlag E1NSThode, Reinhold (2001): Neue Medien im Mathematikunterricht — Erfah-rungsbericht aus dem "Schulalltag". In: Wilfried Herget & Rolf Sommer (Hrsg.): Lernen im Ma-thematikunterricht mit Neuen Medien. Hildes-heim & Berlin: Franzbecker, 21–28

Todd, Philip, Michael Siebold & Brian Maguire (2002): Wie Sie das Meiste aus ClassPad ma-chen. Beaverton, OR, USA: Saltire Software

Das ist (nur) eine Auswahl. Die Liste der Veröf-fentlichungen steigt schnell an.

Weitere Internetadressen

http://classpad.net u.a. Downloads von eActivity-Dateien

http://www.classpad.org ClassPad-Site der Firma Saltire

http://www.saltire.com Veröffentlichungen, Downloads von Lesepro-ben

Abb. 22

Abb. 23

Abb. 24

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1 Einleitung

Lernen mit dem Internet, E-Learning, Virtuel-le Seminare oder auch computergestütztes Lernen haben heute Konjunktur. Lernt man mit Computer und Internet wirklich besser, erfolgreicher oder schneller? Es gibt bisher insbesondere für den Bereich Mathematik wenige Informationen darüber, wie Studierende mit computergestützem Ler-nen zurechtkommen, ob das allseits gefor-derte Angebot von Multimedia und Interaktivi-tät von Studierenden als nützlich einge-schätzt wird oder nicht. Nach Hartley und Bendixen (2001) kann man Erkenntnisse zum Themenkomplex E-Lear-ning in die Bereiche "Eigenschaften" bzw. "Effekte von Medien", "Instruktionsmethode (z.B. Lehr-Lernverfahren)" und "Einfluss von Lernermerkmalen" unterteilen. Zu jedem die-ser Bereiche gibt es Einzelerkenntnisse. Aus-sagen darüber, wie die Lernenden das aus allen drei Punkten bestehende Gesamtpro-dukt bewerten, findet man bisher nur verein-zelt. Zentraler Bestandteil eines Online-Kurses sind vor allem Multimedia-Elemente in Kom-bination mit erklärendem Text, erläuternden Bildern und interaktiven Angeboten (wie z.B. Java-Applets oder WebMathematica (vgl. Weigel 2003)). Es gibt mittlerweile viele For-schungsergebnisse, die beschreiben, welche Elemente (wie Übungsaufgaben oder Me-dien) von den Lernenden in einem virtuellen Kurs erwartet werden (z.B. Klauser et al. 2001), und man findet Erkenntnisse, wie un-terschiedliche Medien (z.B. Videos, Animati-onen, Applets) für ein E-Learning-Lernange-bot in Schule und Studium erfolgverspre-chend gestaltet werden sollten (vgl. z.B. Huk 2003, Mayer 2001, Gadanidis 2002 und [1], Szabo 1996, Gimenez & Saenz de Jubera 2001).

Zusätzlich hierzu müssen E-Learning-Teil-nehmer mit mehr Computertechnik umgehen, und es ist eine andere Betreuung als bei ei-ner Offline-Veranstaltung erforderlich. Die zentrale Frage lautet, ob auf diese Weise geplante und realisierte Gestaltungen von virtuellen Lehrseminaren einen Einfluss auf den subjektiven Lernerfolg der Teilnehmer haben. Dieser Artikel leistet einen Beitrag zur Dis-kussion um die Gestaltung, die Durchführung und die Organisation von E-Learning im Be-reich Mathematik zum Zweck der Lehrerbil-dung. Es werden der äußere Rahmen der durchgeführten Veranstaltung, inhaltliche Elemente und Erkenntnisse aus einer parallel stattgefundenen Untersuchung vorgestellt.

2 Rahmenbedingungen und Kursinhalte

Der Kurs Mathematik und Computer behan-delt ein computergestütztes Arbeiten in den Gebieten "Geometrie" und "Algebra" (vgl. Abb. 5). Dieser wurde gemeinsam von der Universität Nürnberg-Erlangen und der Uni-versität Würzburg für den Bereich Lehrerbil-dung der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB; s. [2]) entwickelt. Ziele des Lehrgangs sind u.a., Studenten an neue Technologien wie Computer-Algebra-Systeme (CAS) oder Dynamische-Geometrie-Software (DGS) her-anzuführen und angehende Lehrer zu einem kritisch reflektierten Einsatz dieser Medien im Mathematikunterricht anzuregen. Dabei ist es ein wesentliches Anliegen, keine reinen "Ge-brauchsanweisungen" zum Umgang mit der vorgestellten Software zu geben, sondern vielmehr deren themengebundene Einsatz und Grenzen aufzuzeigen. Weitere Details zum Inhalt und Beispiele für die Gestaltung

Erfahrungen zum virtuellen Selbstlernkurs Mathematik und Computer

Wolfgang Weigel, Würzburg

Im Rahmen des Bereichs Lehrerbildung der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB) wurdean den Universitäten Nürnberg-Erlangen und Würzburg der virtuelle Selbstlernkurs Ma-thematik und Computer entwickelt. In diesem Artikel wird aufgezeigt, wie der Ablauf des Kurses im Sommersemester 2004 gestaltet wurde. Es wird über Erfahrungen zur Kurs-durchführung sowie über Einschätzungen der Studierenden berichtet.

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Wolfgang Weigel

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sowie zum Aufbau dieses Kurses werden in Weigel (2005) vorgestellt.

3 Kursdurchführung

Die Veranstaltung wurde im Sommersemes-ter 2004 von der VHB für alle eingeschriebe-nen Studierenden bayrischer Hochschulen angeboten und von der Universität Würzburg betreut. Bei erfolgreicher Bearbeitung von Einsendeaufgaben (vgl. 3.2.3) und einer Ab-schlussklausur war der Erwerb eines schrift-lichen Nachweises möglich. Tragende Elemente für die Gestaltung und Durchführung des E-Learning-Angebots Ma-thematik und Computer lassen sich von fol-genden Fragestellungen ableiten: • Welchen äußeren Rahmen (Lernplattform,

Zugang zum Kurs) bietet man den Studie-renden?

• Wie bereitet man die Lerninhalte erfolg-versprechend auf?

• Welche medialen Hilfsmittel fördern das Verständnis und die Akzeptanz der Lern-inhalte?

• Wie gestaltet man die Kommunikation zwischen Organisatoren und Teilnehmern im Seminar?

Daraus ergeben sich vier zentrale Punkte (vgl. Albrecht 2003), die genauerer Klärung bedürfen. Neben der technischen Basis, der didaktischen Strategie und dem medialen Angebot, werden die Organisation dieser Veranstaltung und die damit verbundene Lernsitutation für die Studierenden nachfol-gend beschrieben.

3.1 E-Learning-Technik Die Lerninhalte sind für die Studierenden via Internet innerhalb der Lernplattform Ever-learn [3] einsehbar. Für die Teilnehmer be-steht die Möglichkeit, mit asynchronen (z.B. Forum) oder synchronen Kommunikations-medien (wie beispielsweise Chat) Kontakt untereinander aufzunehmen. Alternativ gibt es die Möglichkeit, sich das Kursmaterial als CD-Version bzw. als Down-load auf dem heimischen Rechner zu instal-lieren und somit ohne ständigen Internetzu-gang die Inhalte zu bearbeiten. Mit diesem Lernweg ist allerdings die Einschränkung in Kauf zu nehmen, dass server-gestützte In-teraktivitäten (wie WebMathematica (WebM)) nicht einsetzbar sind.

3.2 Didaktische Strategie Am Themenkomplex Algebra (bestehend aus den Modulen Rechenwerkzeuge, Funktionen, Zahlen, Gleichungen) wird aufgezeigt, wie die didaktische Strategie sich in mehrere Be-reiche (wie beispielsweise die Gestaltung und Konzeption des Kursmaterials oder die Aufgabengestaltung) unterteilt.

3.2.1 Lernsituation (s. [4] und [5]) Verschiedene Lerntheorien (z.B. Kognitivis-mus, Konstruktivismus) versuchen zu erklä-ren, wie Aneignung von Wissen durch den Lernenden geschieht. Entsprechend der je-weiligen Sichtweise ergibt sich daraus ein Einfluss sowohl auf die organisatorische, die inhaltliche als auch die gestalterische Umset-zung des Kurses. Eine Fixierung auf lediglich einen lerntheoretischen Ansatz ist hierbei nicht angebracht (vgl. Arnold et al. 2004). Dieser Gedanke ist mit eingeflossen in die Gestaltung der Module. Die Studierenden haben die Möglichkeit, auf eigenen Lernwegen modulweise (wie z.B. "Funktionen", "Gleichungen") die meist mehr-fach codierten Lerninhalte (z.B. durch Video und Text, vgl. Weidenmann 2002) zu explo-rieren. Eine wichtige Rolle kommt hierbei den Aufgaben zu (s. 3.2.3).

3.2.2 Konzeption des Lernmaterials Ein zentraler Aspekt besteht darin, dass die Studierenden sich zunächst selbsttätig (mög-lichst ohne besondere technische Vorausset-zungen) mit den Inhalten auseinandersetzen, und es wurden Möglichkeiten bereitgestellt, um bei Fragen mit anderen Kursteilnehmern zu diskutieren. Anschließend wird den Teilnehmern "ge-zeigt", wie der allgemeine Umgang mit einem CAS aussehen könnte. Eine besondere Her-ausforderung war dabei, das "Zeigen" bzw. "Vormachen" in einem Online-Kurs umzuset-zen. Es wurde versucht, die vielfältigen Ge-staltungsmöglichkeiten einer (realen) Lehr-person mit unterschiedlichen Medien (wie Bild und Video) nachzubilden. Die erlernten Inhalte konnten anhand von Übungs- und Einsendeaufgaben angewendet bzw. vertieft werden. Bei der Aufbereitung der Lerninhalte wurde das eben beschriebe-ne, aus den drei Schritten Experimentieren, Vormachen und Anwenden (EVA) bestehen-de (didaktische) Gestaltungsprinzip, durch-gängig verwendet (vgl. Weigel 2005). An-hand eines Beispiels aus dem Modul "Glei-

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chungen" wird noch einmal das EVA-Prinzip erläutert: 1. Experimentieren: Innerhalb des Moduls

"Gleichungen" wird zu Beginn der einzel-nen Teilabschnitte (wie z.B. "Graphische Verfahren zur Lösung von Gleichungen") versucht, die Studierenden aktiv (mit Ex-perimentieraufgaben (s. [6]), z.B. das Fin-den einer Nullstelle des Graphen einer Funktion durch "Hineinzoomen" in den Graphen (s. Abb. 1)) an den mathemati-schen Sachverhalt und an die Arbeitswei-se mit einem CAS anhand von unter-schiedlichen Themen heranzuführen. Da-bei ist "Explorierendes Arbeiten mit dem Computer" eine zentrale und wichtige Tä-tigkeit auch im Mathematikunterricht (vgl. vom Hofe 2001) und sollte daher von den Studierenden am eigenen Leib erfahren werden. In diesem Zusammenhang wur-

den oftmals interaktive Internetseiten ein-gesetzt (z.B. mit WebMathematica, vgl. Abb. 1).

2. Vormachen: Nach der Phase des Entde-ckens wird mithilfe von Text, Bildern und Videos erklärt bzw. erläutert, wie man für die gestellte Aufgabe ein CAS (am Be-spiel von Derive) für eine Problemlösung einsetzen würde. Die Videos zeigen, wie und was man in der Programm-Oberflä-che an welcher Stelle eingeben oder durchführen muss, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Im zugehörigen Text werden die zentralen Aussagen des Films zusammengefasst und knapp erläu-tert. Eine Bildersequenz beschreibt noch einmal die wesentlichen Inhalte (Abb. 2).

3. Anwenden: Abschließend können die Ler-nenden die Lerninhalte anhand von viel-

Abb. 1: Suchen und Finden einer Nullstelle mithilfe von graphischen Methoden

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fältigen Aufgaben selbst einüben. Anhand von unterschiedlichen Gleichungsproble-men kann das zuvor experimentell ent-deckte und bisher passiv erlernte finden von Nullstellen vertiefend studiert werden. Dabei werden auch verschiedene Varian-ten der Aufgabenstellung oder auch di-daktische Fragestellungen (v.a. in den Einsendeaufgaben; s. 3.2.3) diskutiert.

3.2.3 Konzeption der Lernaufgaben Im Kurs gibt es zwei Arten von Aufgaben: • Übungsaufgaben und • Einsendeaufgaben. Zu jedem Teilabschnitt werden den Lernenden mehrere Übungsaufgaben angeboten, die es ihnen ermöglichen, frei wählbar den vorher diskutierten Lerninhalt zu wiederholen, mit ihm zu experimentieren und ihn zu vertiefen. Beispiel für eine Übungsaufgabe aus dem Bereich Funktionen: "Zeichnen Sie die Graphen zu folgenden Funktionen in ein Koordinatensystem: fa(x)=a·x+2 für a=-3,-2, ...,3. Welche Eigenschaft haben alle Graphen gemeinsam?" Bei Problemen können die Studieren-den untereinander (z.B. via Forum oder Chat) diskutieren oder eine Nachricht an die Betreuer senden. Es werden daher zu Übungsaufgaben im Allgemeinen keine Lö-sungen angeboten. Allerdings werden zu ei-nigen sehr anspruchsvollen Problemen Hin-weise bereitgestellt. Am Ende jedes Moduls gibt es zahlreiche Einsendeaufgaben. Dieser Bereich ist in drei Gruppen untergliedert. Dabei kann grob un-terschieden werden zwischen: • (Mathematischen) Wiederholungsaufga-

ben; • Ergänzungs- und Transferaufgaben; • Mathematisch-didaktischen Aufgaben. Es wird erwartet, dass die Studierenden (in Teams mit maximal zwei Personen) aus je-der Aufgabengruppe eine Aufgabe auswäh-len, bearbeiten und die Lösungen anschlie-ßend per E-Mail einsenden. Pro Modul wurde eine Bearbeitungsdauer von 14 Tagen einge-räumt. Alle Teilnehmer erhalten eine elektro-nische Rückmeldung über die Qualität ihrer

eingereichten Antworten. Be-sonders während der Abgabe zu den ersten drei Modulen wurde denjenigen Studieren-den zusätzliche (technische) Unterstützung angeboten, die nicht rechtzeitig abgegeben hatten. Ab etwa der Mitte der

Veranstaltung wurden für alle Beteiligten frei zugänglich im Forum Lösungsvorschläge zu ausgewählten Aufgaben der bis dahin bear-beiteten Module zum Download angeboten.

3.3 Mediales Lernangebot Die Online-Inhalte werden als HTML mit Me-dienunterstützung (vgl. Abb. 3) angeboten. Bei der Aufbereitung der Texte und der ziel-

gebundenen Ausgestaltung wurde versucht, sich von wissenschaftlichen Kriterien (z.B. Mayer 2001) leiten zu lassen. Weitere Detail-informationen hierzu finden Sie in (Weigel 2005). Medien können den Nutzer auf verschiedene Art ermutigen, sich mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen. Nach Schulmeister (2002) kann man den Grad an Interaktivität eines Multimedia-Lernelements, der dem Lerner angeboten wird, nach sechs Typen-klassen einteilen. Medien (fast) jeder dieser Kategorien wurden zur • Veranschaulichung und Illustration, zur • Erklärung und Vertiefung sowie zum • Ausprobieren und Entdecken eingesetzt. Vor allem während der aktiven Phase des Ausprobierens und Entdeckens können die Lernenden selbst für sie neue Zusammenhänge finden und somit in den ei-genen Lernprozess gestaltend eingreifen. Abbildung 4 zeigt, wie ein Beispiel hierfür aussehen könnte:

Abb. 2: Zum Video werden ergänzende Texte und Bilder angeboten

Abb. 3: Überblick über die eingesetzten Medien

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Die Studierenden können die Graphen einer Scharfunktion in einem Koordinatensystem zusammen darstellen. Man kann eine Funk-tion mit einer Variablen und einem Scharpa-rameter auch als Funktion mit zwei Verän-derlichen auffassen und mit (ein durch Dre-hung und Vergrößerung) manipulierbares 3D-Bild darstellen. Abbildung 4 zeigt die Ne-beneinanderdarstellung von 3D- und 2D-Dar-stellung. Studierenden wird ermöglicht, durch selbstständiges entdeckendes Arbeiten bei-spielsweise herauszufinden, welche Verbin-dung zwischen 2D- und 3D-Graph besteht.

3.4 Organisation Man unterscheidet nach Albrecht (2003) drei Organisationsformen für E-Learning: • Enrichment (Begleitung und Ergänzung

von Präsenzveranstaltungen); • Blended Learning (Präsenzlehre kom-

biniert mit Online-Phasen); • Virtuelle Lehre (Lernmaterial und Be-

treuung ist ausschließlich netzgestützt). Beim Kurs Mathematik und Computer wurde Wissen nur via Internet (bzw. CD-Version) vermittelt. Zusätzlich hierzu gab es drei Pflichttermine, an denen alle Teilnehmer an-wesend sein sollten (vgl. Abb. 5). Daher ord-net sich diese Veranstaltung als Mischform aus "Virtueller Lehre" und "Blended Learning" zwischen beiden Kategorien ein. Es werden wenige zusätzliche Präsenztreffen zusätzlich zum Online-Lernen durchgeführt. Es handelt sich also um eine Erweiterung des virtuellen Lehrangebots. Als möglicher Terminus bietet sich daher "erweiterte virtuelle Lehre" oder "enhanced E-Learning" an.

Im Detail handelte es sich bei den zusätzlichen Termi-nen um eine Startveranstal-tung zu Beginn des Semes-ters, in der über den Ablauf des Seminars, die Anmel-dung am Portal der VHB bzw. an der Lernplattform (vgl. 3.1) und über die Funk-

tionalität der Lernplattform informiert wurde. Am Ende des Semesters wurde in Computer-räumen der Universität Würzburg eine be-aufsichtigte Klausur geschrieben, wobei die Lösungen der Absolventen analog zu den Übungsaufgaben via E-Mail eingereicht wur-den. Nach Beendigung des Themenkomple-xes "Algebra" gab es eine weitere Live-Veranstaltung, in der sowohl organisatori-sche Probleme der Veranstaltung, Wünsche, als auch didaktische Fragestellungen in Gruppenarbeit erarbeitet wurden (vgl. 4.3). Während des ganzen Semesters wurde für zwei Termine pro Woche ein Computerraum reserviert. Zu diesen Zeiten war ebenfalls ein Betreuer vor Ort um evtl. auftretende techni-sche oder fachliche Fragen zu beantworten. Es war den Teilnehmern freigestellt, dieses Angebot zu nutzen. Regelmäßig alle zwei Wochen erhielten die Studierenden zusätz-lich eine Mail mit Informationen über Ände-rungen, Neuerungen oder mit Anmerkungen zu alten Einsendeaufgaben. Eine "Sonderstellung" wurde den auswärti-gen Studierenden eingeräumt. Zwei von drei Live-Veranstaltungen waren für sie nicht ver-pflichtend. Informationen zum Anmeldever-fahren wurden in schriftlicher Form bereitge-stellt. Die Klausur wurde zeitgleich an der je-weiligen (Heimat-) Universität geschrieben. Mit Hilfe einer Studie sollte geklärt werden, wie erfolgreich diese Veranstaltung aus der Sicht der Teilnehmer war.

4 Studie

Bisher gibt es wenig detaillierte Erfahrungen über den (Lern-) Erfolg von Online-Kursen im Bereich "Mathematik" und der Zielgruppe "Lehramtstudierende". Vor allem Informatio-nen, die nicht nur aus einer kurzzeitigen Testphase, sondern einem kompletten Stu-diensemester resultieren, sind nicht zu fin-den. Es werden Erfahrungen zu einem Teil-modul des Kurses einer früheren Akzeptanz-studie, die Ziele der jetzigen Studie, die hier-bei verwendeten Werkzeuge und die Ergeb-nisse der Untersuchung beschrieben. Abb. 5: Zeitlicher und inhaltlicher Seminarverlauf

Abb. 4: Nebeneinanderdarstellung von 3D- und 2D-Darstellung mit identischem Aufsichtswinkel

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4.1 Frühere Untersuchungen Aus einer früheren Akzeptanzstudie, die mit lediglich einem der Module des Kurses durchgeführt wurde, war beispielsweise be-kannt, dass der Kurs gut gegliedert ist und dass aus dem Bereich Multimedia v.a. Vide-os dazu beigetragen haben, Neues zu erler-nen. Aber auch, dass die Lernenden (zu) wenig Zeit in mathematisch-didaktischen Fraugestellungen investieren konnten, da v.a. der zunächst ungewohnte Umgang mit der Lernumgebung und mit der CAS-Soft-ware viele Ressourcen in Anspruch nahm (vgl. Weigel 2005).

4.2 Ziele Von Interesse sind zentrale Fragen der Eva-luation (vgl. Henninger 2001), wie die Über-prüfung der "alten" Ergebnisse oder subjekti-ve Einschätzungen der Lernenden zum Kurs, Veränderungen in den mathematische Fä-higkeiten und die Qualitätsbeurteilung des organisatorischen Konzepts.

4.2.1 Studierendenaussagen Mit Hilfe der subjektiven Einschätzungen der Studierenden sollten Fragen zur Motivation bzw. zur multimedialen Gestaltung und zu deren Verständnis der Lernziele und des Lernerfolgs geklärt werden.

Medieneinsatz Medien tragen zur (anfänglichen) Motivation innerhalb von E-Learning Veranstaltungen bei. Man weiß viel über einzelne Medien-Elemente und wie diese lernwirksam zu ge-stalten sind (z.B. Blömeke 2003, Mayer 2001). Wie sind die Lehramtskandidaten mit dem gesamten Medienpaket (vgl. 3.3) der Schulung zurechtgekommen? Waren die Medien für die Lernenden verständlich?

Lernziele Neben dem themengebundenen Erwerb technischer Kompetenzen im Umgang mit CAS-/DGS-Systemen und deren Einsatz-möglichkeiten lag ein weiterer Schwerpunkt auf der kritischen Reflektion dieser Medien. Wann, wie, in welchem Umfang nutzt man diese Medien; oder auch: welche Probleme können beim Einsatz auftreten? Welche Ziele wurden aus der Sicht der Teil-nehmer verfolgt? Wo war nach deren Mei-nung der Schwerpunkt gesetzt? Gab es Un-terschiede in den Lernzielen zwischen Teil-nehmern und Autoren?

Lernerfolg Noch wichtiger als die Ziele des Kurses ist der Lernerfolg jeder einzelnen Person. Wie schätzen die Lernenden ihren Lernerfolg ein? Was wurde aus ihrer Sicht erlernt (z.B. ma-thematische, technische oder didaktische Kompetenzen)? Konnte der Kurs bei den Studierenden ein Interesse an der Thematik Mathematik und Computer wecken?

4.2.2 Mathematische Fähigkeiten Im Kurs konnten die Lernenden neben tech-nischen Werkzeugkompetenzen, mathema-tisch-didaktischem Fachwissen auch mathe-matische Inhalte wiederholen und erweitern. Antworten zu mathematischen Fragestellun-gen sind im Gegensatz zu didaktischen ein-fach bewertbar und spiegeln den aktuellen Wissensstand zum abgefragten Themenbe-reich eines Probanden wieder. Auf diese Weise kann man zusätzlich zu subjektiven Eindrücken zum Lernerfolg (vgl. 4.2.2) auch objektives Datenmaterial sammeln. Beispiele für Fragen wäre etwa die Umrechnung von (Dezimal-) Zahlen in ein anderes Zahlensys-tem oder das Ablesen von Funktionsglei-chungen aus einem Graphen. Die Frage, die damit zu klären versucht wird, lautet: Wie hat sich die mathematische Leis-tungsfähigkeit im Laufe des Kurses verän-dert?

4.2.3 Organisation und Betreuung Nur ein aufeinander abgestimmtes System von Lerninhalten, passender Lehrmethode, Betreuung der Studierenden bei technischen und fachlichen Fragen sowie eine gute orga-nisatorische Strategie lassen ein lernwirksa-mes Arbeiten erhoffen. Wie erfolgreich war das Konzept des "erweiterten virtuellen Se-minars" (vgl. 3.4)? Wo gab es Probleme bei der Unterstützung der Seminarbeteiligten?

4.2.4 Überprüfung früherer Ergebnisse Inwieweit alle aus der früheren Akzeptanz-studie (vgl. 4.1) gewonnenen Ergebnisse in einer realen Lernsituation reproduzierbar sind, ist nicht klar zu prognostizieren. Es ist beispielsweise damit zu rechnen, dass der bemängelte knappe zeitliche Rahmen des früheren Tests und die daraus resultierenden Folgen in den Hintergrund treten (vgl. Weigel 2005). Um diese Fülle von wichtigen und interes-santen Fragen zu untersuchen, wurden zahl-reiche Evaluationsinstrumente eingesetzt.

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4.3 Evaluationswerkzeuge Während des fast viermonatigen Semesters wurden zur Kontrolle der beschriebenen Zie-le folgende Hilfsmittel verwendet: 1. Online-Fragebögen 2. Präsenztreffen 3. Klausur 4. Interviews mit Teilnehmern Zu 1: Vor Beginn der Testphase wurden alle Beteiligten mit einem zweiteiligen Fragebo-gen zu allgemeinen Daten (Geschlecht, Se-mesterzahl, …), Erfahrungen im Umgang mit Computer und CAS/DGS sowie zu Grundla-gen aus dem Bereich "Funktionen, Zahlen und Gleichungen" befragt. Diese Daten helfen dabei, die Vorkenntnisse im Umgang mit dem Computer und mathe-matischer Software in Erfahrung zu bringen, und erleichtern damit die Einschätzung bei technischen Problemen. Im Anschluss an die Klausur (vgl. Punkt 3) wurden mit einem mehrteiligen adaptiven Online-Fragebogen das Meinungsbild zur Ak-zeptanz der Veranstaltung, zum Medienein-satz und zu den Einsendeaufgaben in Erfah-rung gebracht. Zu 2: Während des Präsenztreffens wurden von den anwesenden Personen in Gruppen-arbeit vier Fragen zu den Vor- und Nachtei-len, zu Veränderungswünschen und zu Mög-lichkeiten für den Computereinsatz im Ma-thematikunterricht erarbeitet. Alle gefunde-nen Punkte wurden innerhalb der Gruppen auf Karteikarten geschrieben und anschlie-ßend zur leichteren Diskussion mit allen Teil-nehmern an die Tafel geklebt (vgl. Abb. 6). Mithilfe der Erfahrungen der (auf Video do-kumentierten) Präsenzveranstaltung konnten

noch während der Kurslaufzeit Veränderun-gen durchgeführt werden. Zu 3: Die Klausur bestand aus drei Aufga-ben, die mit Computerhilfe gelöst werden sollten. Zusätzlich wurde der gleiche Online-Fragebogen wie zu Beginn der Veranstaltung noch einmal gestellt. Aufgrund der langen Zeitdifferenz zwischen Vortest (siehe Punkt 1) und Nachtest sind Übungseffekte, die sich auf den Fragebogen zurückführen lassen, auszuschließen. An-hand dieser Daten war ein Vergleich "Vorher-Nachher" möglich. Zu 4: Am Ende des Semesters, nach absol-vierter Klausur, wurden sieben zufällig aus-gewählte Teilnehmer über ihren Lernerfolg, Aufwand, Arbeitsweise, zu ihren Erfahrungen bzgl. der Kommunikation untereinander so-wie zum Multimedia-Paket und den Einsen-deaufgaben befragt. Mithilfe der Interviews war es möglich, Er-gebnisse bzw. Meinungen der Studierenden (aus den vorher gestellten Fragebögen) ge-nauer zu hinterfragen. Interessante Ergeb-nisse konnten im Interview noch einmal an-gesprochen werden. Aber auch eine Be-schreibung der Teilnehmer, wie (z.B. in Gruppen oder alleine), wie oft (z. B. dreimal pro Woche) und wie die Einsendeaufgaben bearbeitet wurden, konnte dazu beitragen ein konkrete Vorstellung der Lernsituation zu er-halten. Insgesamt helfen die Interviews dabei die Ergebnisse der Fragebögen zu interpre-tieren.

4.4 Ergebnisse In die Auswertung sind die Daten von insge-samt 34 Lehramtsstudierenden (32 aus Würzburg und 2 aus München) von anfäng-lich 37 eingeflossen. Die 10 männlichen und 24 weiblichen Teilnehmer waren durch-schnittlich im dritten bis vierten Semester. 14 beurteilten ihre Kenntnisse im Umgang mit dem Computer als fortgeschritten, 20 ordne-ten sich als Anfänger ein. Lediglich ein Ler-ner benutzte privat keinen Rechner. Alle an-deren verwendeten den Rechner vorwiegend zum E-Mail schreiben, zur Informationsbe-schaffung (jeweils 91%), für Office-Anwen-dungen (82%) und lediglich 15% zum Lösen von mathematischen Problemen. Vor Beginn der virtuellen Veranstaltung hatten fünf Teil-nehmer keinen Internet-Zugang, 21 Modem- oder ISDN- und 8 einen DSL- (oder leis-tungsstärkeren) Zugang. Pro Woche verbrachten sie ca. 3,5 Stunden im Internet.

Abb. 6: Ausschnitt aus den Vorteilen des erweiter-ten virtuellen Seminars aus Sicht der Teilnehmer.

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87% hatten bislang keine Vorerfahrungen mit einem Computer-Algebra-System. Die Kursmitglieder arbeiteten am liebsten zu-hause via Internet (in Abb. 7 schwarz) oder im Rechnerraum des Mathematischen Insti-tuts der Universität Würzburg (kariert). Alter-nativ wurde aber auch gelegentlich am hei-mischen Arbeitsplatz mit der CD-Version stu-diert (grau). Am wenigsten attraktiv war das Studium im Rechenzentrum der Universität Würzburg (schraffiert). Ausgehend von den Zielen der Studie, wer-den nun Erfahrungen und Tendenzen berich-tet.

4.4.1 Studierendenaussagen Die Studierenden bevorzugten vor allem die freie Zeiteinteilung und die Möglichkeit, un-abhängig von festen Veranstaltungsterminen zu lernen (vgl. Abb. 6). 52% hatten Gefallen am Kurs und 47% würden ihn anderen Kommilitonen weiterempfehlen. Nahezu alle Mitglieder der Lerngruppe stuften sich als motiviert während der Veranstaltung ein (83%). Jedoch wurde das sehr große Maß an eigenverantwortlicher Arbeit oftmals auch als schwierig geschildert. Der Zwang zur Abgabe

der Übungsaufgaben förderte allerdings die eigenen Tätigkeiten. Im Präsenztreffen wurde (zunächst) als größter Nachteil der (zu) hohe Zeitauf-wand für die Bearbeitung der Lerninhal-te beschrieben (Abb. 8). Aus den Ein-zelgesprächen ergab sich jedoch, dass wohl lediglich die Personen, die sämtli-che (freiwilligen) Übungsaufgaben zu lösen versucht haben, in ein zeitliches Problem geraten sind. Einige Befragte gaben auch zu verstehen, dass für sie der Aufwand geringer als bei einer "normalen" Veranstaltung sei. Diese er-klärten, dass sie lediglich die Lerninhal-te bearbeiteten, welche nach Einschät-zung der Studierenden unbedingt not-

wendig waren zum Lösen der Einsendeauf-gaben. Aus der abschließenden Befragung ergab sich, dass der Zeitaufwand im Ver-gleich zu gewöhnlichen Veranstaltungen ge-ringfügig größer ist (5-teilige Likert-Skala mit Mittelwert 3; Ergebnis: 2,69±1,45).

Medieneinsatz In der Literatur wird oft darauf verwiesen, dass Medieneinsatz während des Lernens einen Motivationsschub auslöst, dieser aber nach kurzer Zeit wieder abnimmt und damit das Interesse am Lerninhalt sinkt. Die ge-weckte Neugier am Lernstoff und insbeson-dere den dabei verwendeten Medien würde bei einer frühzeitigen Befragung daher ein (zu) gutes Zeugnis attestiert werden. Die folgende Bewertung der Medien im Kurs Mathematik und Computer durch die Teilneh-mer ist von diesem kurzzeitigen Motivations-schub nicht betroffen. Bei dieser Untersu-chung können aufgrund der langen Dauer die vorher beschriebenen Kurzzeiteffekte (sog. Neuigkeitseffekte (vgl. Kerres 2001) ausge-schlossen werden. Die Texte und die darin eingebundenen Me-dien bereiteten keine Probleme. Sie wurden als verständlich (4,06±1,76) und hilfreich (3,78±1,61) eingestuft. Besondere Aufmerk-samkeit wurde den Videos geschenkt. Eine Teilnehmerin beschreibt ihre Erfahrungen damit: "Die Videos waren super, allerdings war ein Zugriff nicht immer möglich und hat somit wieder Zeit in Anspruch genommen." Diese Aussage stellt auch gleichzeitig den damit verbundenen Nachteil heraus. Gele-gentlich kam es zu Problemen bzgl. der Er-reichbarkeit des Servers, womit auch ein Ab-spielen der Videos nicht möglich war. Gene-rell haben die Teilnehmer ohne Breitband-In-ternet-Zugang von Schwierigkeiten berichtet. Für den Einsatz von interaktiven und mulit-

Abb. 8: Ausschnitt aus den negativen Aspekten des erweiterten virtuellen Seminars

Abb. 7: Wo wird mit dem Kursmaterial gearbeitet?

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medialen Elementen ist also eine leistungs-starke Internetverbindung notwendig. Probleme bereiteten den Studenten ebenfalls die WebMathematica-Inhalte. Mit diesen in-teraktiven Webformularen kann jeder Studie-rende schnell und einfach themenbezogene Berechnungen vornehmen (nähere Erläute-rungen hierzu finden sich in (Weigel 2003) und (2005)). Beispielsweise kann mit einem Formular eine Umrechnung einer Dezimalzahl in ein ande-res Zahlensystem vorgenommen werden. Es ist nicht möglich, mit dem gleichen Formular einen Funktionsgraph zu zeichnen (vgl. Abb. 4) oder eine Gleichung zu lösen (vgl. Abb. 1). WebM-Inhalte haben für den Benut-zer den Vorteil, dass für die Untersuchung jeglicher mathematischer Fragestellungen mit Computerunterstützung keine Kenntnis von CAS-Befehlen vorhanden sein muss. Im Vordergrund steht das mathematische Pro-blem und keine technischen Fragen. Inner-halb eines WebM-Formulars müssen jeweils nur einzelne Parameter wie beispielsweise die Grenzen von x- und y-Achse oder der Funktionsterm einer Graphendarstellung ein-gegeben werden (vgl. Abb. 1). Die Teilnehmer beschreiben, dass sie mit WebMathematica "nicht so zurecht" kommen und dass das eigene Handeln stark einge-schränkt ist. Im Vergleich zum flexibel ein-setzbaren Derive sind die interaktiven WebM-Seiten weniger attraktiv. Die bewusst einfach zu bedienenden und kontextbezoge-nen WebM-Elemente wurden nur von weni-gen Kursteilnehmern verwendet. Auf die Frage, ob die im Kurs verwendeten Medien für die Studierenden hilfreich waren, um Wissen zu erwerben, wurde von 24 der befragten Teilnehmer mit Zustimmung oder großer Zustimmung geantwortet. Zusammenfassend: Aus der Summe der Ein-zelergebnisse kann man folgern, dass aus Sicht der Studierenden das systematisch zum Einsatz gekommene Medienpaket (vgl. 3.3) ein erfolgreiches Arbeiten ermöglichte.

Lernziele Die Lernziele waren für die Studenten ange-messen klar formuliert (3,10±1,43). Aus ihrer Sicht sollten vor allem Werkzeugkompetenz zu CAS/DGS (5 Antworten) und Ideen zum Computereinsatz im Mathematikunterricht (9 Antworten) vermittelt werden. Es wurde aber auch von Schulungen zum "graphischen Verständnis" gesprochen. Da-mit könnte gemeint sein, dass im Kurs

• unterschiedliche Methoden zur Darstel-lung von Funktionsgraphen (z.B. 2D- oder 3D-Darstellung) vorgestellt wurden;

• geübt wurde, verschiedene Körper (z.B. einen großen Würfel mit Buchstaben auf den Seitenflächen) mithilfe vieler kleiner Würfel (Hilfsmittel: Software BauWas [7]) zu erstellen.

Ein Proband formulierte hierzu folgende Aus-sage: "Die Veranschaulichung am Computer ist sehr gut für den Unterricht geeignet." Man erkennt, dass die Studierenden im Kurs Ideen zum Einsatz von Neuen Medien im Un-terricht entwickelten. Ein Lernziel — der Er-werb von Nutzungskompetenz (s. [8]) — wur-de erreicht.

Lernerfolg Die Mehrheit aller Befragten war davon über-zeugt (viel) gelernt zu haben (3,8±1,62). Zwei Drittel nannten vor allem einen Kompetenz-gewinn im Umgang mit mathematischen Hilfsprogrammen als ihren persönlichen Lernerfolg. Etwa ein Drittel sahen zusätzlich hierzu noch den konkreten Zusammenhang zum Schuleinsatz. Mehr als 50% der Studie-renden waren der Meinung, dass dieser Kurs (sehr) hilfreich für die Arbeit in der Schule ist (z.B. zur Unterrichtsvorbereitung, zur Gestal-tung der Schulstunden, zur abwechslungsrei-chen Unterrichtsgestaltung). Kritische Stim-men gab es von Teilnehmern mit Schwer-punkt "Grundschule". Sie konnten nur wenige Ideen für den direkten Einsatz im Unterricht mitnehmen. Trägt man alle Aussagen der Studierenden zusammen, erkennt man, dass trotz kleinerer (v.a. technischer) Probleme eine positive Stimmung gegenüber dem erweiterten virtu-ellen Seminar vorherrschte. Vor allem waren ca. 60% der Meinung, dass für sie die The-matik Mathematik und Computer am Ende der Veranstaltung interessanter ist als zu Beginn (3,8±1,62). 25 Teilnehmer haben (viele) neue Möglichkeiten für den Compu-tereinsatz im Mathematikunterricht kennen gelernt (3,9±1,65). Nach Ansicht der Studierenden wurde das Kursziel (Wissen über neue Medien und Ide-en für deren Einsatz zu erwerben) erreicht.

4.4.2 Mathematische Fähigkeiten In den Vergleich der mathematischen Fähig-keiten vor und nach Veranstaltungsende sind nur die Daten von 31 Teilnehmern eingeflos-sen, da es bei einigen wenigen zu techni-

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schen Problemen während der Datenüber-tragung des Fragenformulars kam. Eine detaillierte Auswertung und Analyse ist noch in der weiteren Durchführung. Aus die-sem Grund muss von einer Beschreibung hierzu zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen werden.

4.4.3 Organisation und Betreuung Die Lernenden bewerteten die Bearbeitungs-zeit für die Einsendeaufgaben von zwei Wo-chen als gut. Versuchsweise sollten einige Module innerhalb einer Woche erledigt wer-den. Vor allem aufgrund von technischen Problemen, aber auch wegen der neuen, un-gewohnten Arbeitsweise, hat sich eine schnellere Bearbeitung als nicht durchführbar erwiesen. Mithilfe des Präsenztreffens wurde deutlich, dass von den Teilnehmern neben der (aus-führlicheren) Korrektur der Aufgaben auch Beispiellösungen vermisst wurden (vgl. Abb. 8). Ein Grund mag sein, dass die Teil-nehmer das Anspruchsniveau der Einsende-aufgaben tendenziell schwieriger empfunden haben als das der Übungsaufgaben zu den jeweiligen Unterpunkten eines Moduls. Die per E-Mail zugestellte Korrektur wurde als zu knapp eingestuft. Daraufhin wurde versucht gegenzusteuern, indem die Korrektur aus-führlicher gestaltet wurde und gut bearbeitete Lösungen von Studierenden zu ausgewähl-ten Aufgaben ins Forum gestellt wurden. Die Möglichkeit, bei den Einsendeaufgaben aus-zuwählen (vgl. 3.2.3), bzw. die Chance, sich hier zusätzlich zu engagieren, wurde gelobt (vgl. Abb. 6). Neben dem passiven, lesenden Gebrauch der Foren war auch eine aktive, partizipie-rende Aktivität erwartet worden. Allerdings haben 50% das Forum überhaupt nicht ge-nutzt. Grund hierfür war z.B., dass viele ihre Fragen lieber zu zweit oder mit anderen Kommilitonen erörterten. Es gab also wenig Bedarf und kaum Interesse daran, da das persönliche Gespräch mit weiteren Seminar-besuchern möglich war und auch von vielen (deshalb) bevorzugt wurde. Noch weniger attraktiv war der Chat. Dieser wurde nur von 24% der Teilnehmer als hilfreich empfunden. Nur 59% der Teilnehmer aus Würzburg nutz-ten gelegentlich bis selten das Angebot, zu den betreuten Veranstaltungsterminen zu er-scheinen. Lediglich vier Studierende waren immer anwesend. Dennoch wurde das An-gebot positiv zur Kenntnis genommen. Knapp die Hälfte empfanden es als notwen-dig, sich die Online-Inhalte auszudrucken. So

war es möglich, eigene Notizen einzufügen und man musste nicht am Computer lesen, was für viele unangenehm oder ungewohnt war. Neben der regelmäßigen Kontrolle von Foren auf neue Einträge und der schnellen Beant-wortung von Fragen via E-Mail wurde eben-falls versucht, die Studierenden so weit mög-lich in allen notwendigen Bereichen zu unter-stützen. Als Leitfaden diente hierzu das Stu-fenmodell [9] des Online-Lernens von Sal-mon (2001), das für unsere Bedürfnisse ent-sprechend modifiziert wurde. Eine auswärti-ge Studentin fasst ihre Erfahrungen zum Seminar wie folgt zusammen: "Obwohl die Betreuung sehr gut war, hatte man doch teil-weise das Gefühl etwas alleine dazustehen, weil man bei direktem Kontakt eher einfache Fragen stellen würde. So muss man sich fra-gen, ob eine mathematisch für den Dozenten nicht schwierig scheinende Aufgabe einen Anruf wert ist." Diese Stellungnahme ver-deutlicht, dass es eine Hemmschwelle zu überwinden gilt, um einen Forumseintrag an andere Studierende (bzw. die Betreuer) zu tätigen. Aber es zeigt auch, dass gerade auf-grund der geringen Kommunikation in den Foren (bzw. Chat) kein starkes Gruppenzu-gehörigkeitsgefühl zu den anderen Teilneh-mern aufkam. Im Kurs integrierte Übungs-aufgaben, welche die Benutzung des Forums forderten, waren nicht ausreichend, um eine kontinuierliche Kommunikation mit diesem Medium anzustoßen. Dennoch hat sich gezeigt, dass die Veran-staltungsform enhanced E-Learning sich zu bewähren scheint. Besonders durch das Prä-senztreffen wurden die Probleme der Studie-renden erkennbar. Somit konnte noch im lau-fenden Kurs den Teilnehmern zielgerichtet geholfen werden. Auch die schnelle Beant-wortung von Fragen sollte den Teilnehmern zusätzlich ein Gefühl vermitteln, dass man ih-re Probleme ernst nimmt. Insbesondere die geringe Kommunikation in Foren und die po-sitive Resonanz auf freiwillig wahrnehmbare Termine mit einem Ansprechpartner lassen erkennen, dass Lernen am Computer noch ungewohnt ist. Sowohl soziale als auch tech-nische Aspekte (z.B. lesen und lernen am Monitor) sind noch ungewohnt.

4.4.4 Überprüfung früherer Ergebnisse Die Ergebnisse der beschriebenen Untersu-chung bestätigen in weiten Bereichen die Er-fahrungen der früher durchgeführten Akzep-tanzstudie. Aus dem Bereich Medien wurde das "Vormachen" (vgl. 3.2.2), also die Be-schreibung im Umgang mit Derive anhand

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von Bildschirmvideos, erneut als sehr hilf-reich zum Erreichen der geforderten Lernzie-le eingestuft. WebM-Elemente werden nur von einer geringen Benutzergruppe einge-setzt. Die These, dass es unterschiedliche Lernertypen gibt, die entweder ein offenes, aber dafür komplexes oder ein einfaches und geleitetes System bevorzugen, gewinnt an Plausibilität (vgl. Weigel 2005).

5 Diskussion und Zusammenfassung

Obwohl im Bereich Mathematik immer wieder mit virtueller Lehre experimentiert wird (z.B. E-Learning von Mathematik mit einem neuar-tigen Chat-System [10] an amerikanischen Universitäten wie beispielsweise in Philadel-phia (s. [11])), gibt es bisher wenig Informati-onen über einschlägige Erfahrungen. Dieser Aufsatz hat beschrieben, wie eine Möglich-keit zur Umsetzung eines Online-Kurses aus-sehen kann. In die Planung und Durchfüh-rung müssen neben didaktischen und media-len Aspekten auch neue organisatorische Maßnahmen mit einfließen (z.B. Online-Ein-sendung und Korrektur von Aufgaben). Un-umgänglich hierbei ist, dass man die im Ge-gensatz zu einem "normalen" Seminar nicht unbedingt weniger aufwändige Betreuung der Studierenden sinnvoll (z.B. schnelle Ant-worten auf Fragen) umsetzt. Vor allem zu Beginn einer Veranstaltung geht es darum, die Teilnehmer vor einem frühzeitigen Ab-bruch der Veranstaltung (z.B. aufgrund "gro-ßer" technischer Anforderungen) zu bewah-ren. Es hat sich ebenfalls gezeigt, dass ein Kon-zept mit drei Präsenzphasen (und zusätzli-chen "Fragestunden") den Teilnehmern Ge-legenheit gab, ihre Probleme und Anregun-gen zu äußern sowie ihre sozialen Kontakte in der Gruppe zu pflegen. Dies wäre auch mit virtuellen Kommunikationsmitteln möglich ge-wesen. Allerdings fand dieser Weg wenig Ak-zeptanz. Nachteile und Schwierigkeiten (wie fehlende Beispiellösungen) können somit frühzeitig angegangen werden. Die Feststellung von Vorteilen, wie die freie Zeiteinteilung, decken sich mit Erfahrungen aus anderen Untersuchungen zu virtuellen Veranstaltungen. Der Aufwand für die Veran-staltung ist für die Studierenden aus ihrer Sicht geringfügig höher einzustufen als bei herkömmlichen Veranstaltungen. Ähnliche Ergebnisse fanden auch Glowalla et al. (2002).

Zusätzlich sollte man über weitere Ergän-zungen nachdenken: • Bereitstellung von (knappen) technischen

Dokumentationen zur mathematischen Software;

• Tagesseminar zur Installation und zum Umgang mit CAS/DGS;

• Bessere Einbettung der WebM-Elemente in die Kursstruktur;

• Verwaltungssystem für Einsendeaufga-ben.

Diese Punkte sollten kritisch dahingehend überprüft werden, ob mit ihnen eine Steige-rung der Qualität der Lehre erreicht werden kann. Mehr Ressourcen (schriftlich oder als Veran-staltung) zum Umgang mit der Lernplattform bzw. mit der mathematischen Software ber-gen die Gefahr in sich, dass die (vor allem technisch) unerfahrenen Lerner mit Informa-tion überfrachtet werden. Insbesondere kommt es erfahrungsgemäß zu Problemen, wenn am heimischen Rechner und nicht in der Universität gearbeitet wird. Eine noch bessere Integration und Hinfüh-rung zur Nutzung von WebM-Interkativitäten in die Kursstruktur wäre wünschenswert, um die Studierenden auf die (einfache) Nutzbar-keit hinzuweisen und somit eine größere Ak-zeptanz dieses Mediums herzustellen. Sol-che Veränderungen sollten parallel mit einer genaueren Untersuchung der Frage durchge-führt werden, ob leistungsschwächere Ler-nende ein einfaches und geleitetes System bevorzugen (vgl. 4.1 bzw. 4.4.4). Zur Vereinfachung der Abgabe der Einsen-deaufgaben würde eine einheitliche Web-schnittstelle helfen (z.B. Internetformular, über welches alle Aufgaben an die betreuen-de Institution "hochgeladen" werden können). Um die Transparenz des Abgabevorgangs für die Studenten zu erhöhen, sollte darin ei-ne automatische Bestätigung (via E-Mail) in-tegriert werden. Abschließend ist zu bemerken, dass sowohl von Seiten der Betreuer als auch von Seiten der Studierenden eine letztendlich positive Gesamtbilanz zu ziehen ist. Die Studieren-den konnten (nach eigener Aussage) mithilfe des Online-Kurses sowohl technisches, als auch didaktisches Wissen zum Umgang und Einsatz des Computers im Mathematikunter-richt erwerben. Dennoch müssen noch weite-re Anstrengungen unternommen werden, um diese Art der Lehre für alle zu vereinfachen, um weniger Zeit für Technik und mehr für (didaktische) Lerninhalte zu verbrauchen.

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[6] http://www.sembs.rv.bw.schule.de/forum/ _disc/00000029.htm (06.06.2005)

[7] http://www.bics.be.schule.de/son/machmit/ sw/bauwas/ (06.06.2005)

[8] http://muk-hessen.de/Programm/Angebote/ Nutzungskompetenz/nutzkomp.htm (06.06.2005)

[9] http://www.e-moderating.net/pages/stufen. html (06.06.2005)

[10] http://idw-online.de/pages/de/news99715 (06.06.2005)

[11] http://www.mathforum.org/ (06.06.2005)

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Bildungsstandards sind output-orientiert (bzw. outcome-orientiert?) und benennen al-so die Kompetenzen, "die Schülerinnen und Schüler bis zu einer bestimmten Jahrgangs-stufe an zentralen Inhalten erworben haben sollen" (Vereinbarungen 2003, S. 3). Auch wenn es sich bei diesen Kompetenzen um in-tellektuelle Fähigkeiten handelt, lassen sich diese aber nur in einem Unterricht erreichen, in denen Medien und insbesondere elektro-nische Werkzeuge eingesetzt werden. In den Bildungsstandards in Mathematik sind z.B. unter "K5 Mit symbolischen, formalen und tech-nischen Elementen der Mathematik umge-hen" im 4. Spiegelstrich genannt: "Mathematische Werkzeuge (wie Formel-sammlungen, Taschenrechner, Software) sinnvoll und verständig einsetzen." Diese mathematische Kompetenz reicht aber nicht aus, um in einem Unterricht die Bil-dungsstandards in einer Informationsgesell-schaft zu realisieren. Aus internationalen Untersuchungen (z.B. SITES-M2 2003) ist bekannt, dass der Ein-satz von Medien den Unterricht nicht unbe-dingt verbessern muss. Der Einsatz neuer Medien und elektronischer Werkzeuge dagegen unterstützt eine neue Lernkultur, und nur durch eine neue Lernkul-tur entfalten neue Medien ihr Potential für ei-nen erfolgreichen Lernprozess. Eine neue Lernkultur ist gekennzeichnet durch folgende Eigenschaften: a) bezogen auf Schülerinnen und Schülern:

eigenverantwortliches, selbstständiges,

selbstorganisiertes, selbstgesteuertes Lernen, Auswahl individueller und diffe-renzierter Lernangebote, eigenes Lern-tempo, ...

b) bezogen auf die Lehrkräfte: Betreuung der Schülerinnen und Schüler, partner-schaftlich und teamorientiert, Bereitstel-lung einer Lernumgebung, ...

c) Randbedingungen in der Schule (nur eine Auswahl): 1. ausreichende Ausstattung mit neuen

Medien, 2. Fachräume mit permanenten Lernum-

gebungen (statt Klassenräume), 3. offenere Zeitplanung (mindestens 90

Minuten in Doppelstunden oder Pro-jekttage)

In Mathematik sollten neben der Einführung des Taschenrechners folgende Software ein-geplant werden: Tabellenkalkulation, Dynamische Geometrie-software, Computeralgebrasysteme.

Literatur-Hinweise Vereinbarung über Bildungsstandards für den

Mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10), Beschluss der KMK vom 4.12.2003, www.kmk.org/schul/Bildungsstandards/ bildungsstandards.htm

Second Information Technology in Education Stu-dy — Modul 2 (SITES-M2), Auszug von Er-gebnissen in "Innovative Praxis mit Neuen Medien in Schulen",Institut für Schulentwick-lungsforschung (IFS), Universität Dortmund, 2003

Bildungsstandards in Mathematik, Medien und neue Lernkultur

Wolfgang Friebe, Mainz

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* Teilnehmende an der AG "Die Kraft der Schieberegler" unter der Leitung von Dörte Haftendorn: Markus Hohenwarter, Fritz Nestle, Wolfgang

Pröpper und ca. vier weitere Personen

Einleitende Bemerkungen

Durch die "Schieberegler", auch "Zahlgleiter" genannt, kommt ein neuer Aspekt in die Ma-thematiklehre, den man wohl sogar als "neue Dimension" bezeichnen könnte. Die von den Lernenden selbst — oder vor ihren Augen — bewegten mathematischen Objekte ermögli-chen ein vertiefteres Verstehen als die stati-sche Abbildung mehrerer einzelner Objekte. Im Gegensatz zu "animierten Graphen", de-ren Bewegung in vorgegebenem Tempo ab-läuft, haben nun die Lernenden die Variation im wahren Wortsinn "in der Hand". Natürlich werden dabei Bewegungen mit der Compu-termaus als "Hand" aufgefasst. Es geht im Folgenden auch nur um Schiebe-regler und andere von Hand bewegliche E-lemente, wie sie in schulnaher Standardsoft-ware leicht und stets verfügbar sind. Es geht nicht um speziell für einen Lernzweck herge-stellte Java-Applets o.ä.. In einem Druckwerk wie diesem ist naturgemäß das Wesentliche nicht darzustellen, und aus Platzgründen wird meist auf die Darstellung mehrerer Situ-ationen verzichtet. Die Leserschaft sei auf das Internet verwiesen. Dabei finden sich die vorgestellten Beispiele — und viele weitere — auf den Internetseiten der Referentin. Die Hauptseiten der jeweiligen Software sind e-benfalls Quellen für Vorschläge. Es sei aber nochmals ausdrücklich betont, dass jede Lehrperson für jedes geeignete Vorhaben selbst verständnisfördernde Dateien mit Schiebereglern oder anderen dynamischen Elementen bauen kann und dass dies nach einigen Beispielen auch Lernende können. Diese Tat selbst erhöht die Nachhaltigkeit des Lernens von Mathematik ernorm. Je nach Lerngruppe und Schulform ist hier auch einiges Potenzial für sinnvolle Differenzie-

rung: die Begabteren bauen Lernhilfen für die Mitschüler, erkunden selbst ungewöhnliche Fälle, finden mehrere Wege, Begründungen und Beweise. Die langsamer Begreifenden können in eigenem Tempo den Zusammen-hang vor und zurück visualisiert "abtasten". Dies kann dann auch zur wirklich verstande-nen Grundlage der üblichen rechnerischen Verfahren werden. Deren Ergebnisse sind wiederum in der Interaktion prüfbar.

Beispiele mit Schiebereglern, gegliedert nach Software-werkzeugen

1 Euklid-Dynageo In Euklid-Dyna-geo sind Zahl-gleiter verfügbar, auf deren Werte sich geometri-sche Größen, aber auch mit Koordinaten ver-sehene Inhalte beziehen kön-nen. So lassen sich mit den Schiebereglern die Variable x selbst und auch Parameter einer Kurvenschar vari-ieren. Sind nun die Pa-rabeln genügend bekannt, so kann man Erkun-

Die Kraft der Schieberegler oder Welche didaktischen Möglichkeiten stecken in der dynamischen Mathematik? *

Dörte Haftendorn, Lüneburg

Dynamische Elemente wie Schieberegler oder auf Graphen gesetzte verschiebbare Punkte eröffnen sehr weit reichende Möglichkeiten, mathematische Zusammehänge ein-drucksvoll darzustellen. Der Arbeitskreis wollte sich mit diesen neuen Möglichkeiten aus-einandersetzen.

Abb. 1

Abb. 2

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AG: Die Kraft der Schieberegler

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dungsaufgaben zum Thema "Umkehrfunkti-on" stellen. Es sei angemerkt, dass x auch durch einen direkt auf der a-Achse ver-schieblichen Punkt realisiert werden kann. Bei der Zahlgleiter-Version können Funk-tionsterme griffiger geschrieben werden.

2 Derive 6 In der Version "6" von Derive können Relatio-nen und Funktionen mit Parametern ge-zeichnet werden, wenn vor dem Zeichnen in dem passenden Graphik-Fenster Schiebe-regler eingefügt werden.

Gerade bei Derive wird auf diese Weise die Klarheit erheblich verbessert, da der Nutzer keinen Zugriff auf die Graphenfarben hat und etwaige Belegungen der Parameter mit fes-ten Werten unten an das Arbeitsblatt ange-fügt werden. Die Schieberegler gibt es auch

für das 3D-Fenster. Da eröffnen sich nicht nur Möglichkeiten für Raumflächen zu z = f(x,y), sondern auch für Elemente der Linea-ren Algebra.

3 Excel In Excel sind die Schieberegler etwas ver-steckt, und für ihre Erstellung folgt man güns-tigerweise einer guten Anleitung (bei Rai-

mund Albers, Bremen, oder bei der Refe-rentin per Email anzufragen). Hat man erst einmal einen Prototyp, kann man sehr er-giebige Lernda-teien mit die-sem allgemein verfügbaren Werkzeug er-stellen. Hier sei als Beispiel die logistische Ite-ration gezeigt.

Die Variation von konvergentem Verhalten in das chaotische erfolgt gleitend durch "Ziehen am Parameter". Auch die "Spinnwebgraphik" dazu lässt sich in kontinuierlicher Variation betrachten.

4 GeoGebra Das Werkzeug GeoGebra wurde von Markus Hohenwarter aus Salzburg entwickelt und auf der Tagung vorgestellt. Man kann es mit

Abb. 3

Abb. 4

Abb. 5

Abb. 6

Abb. 7

Abb. 8

Abb. 9

Abb. 10

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Dörte Haftendorn

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Recht ein "Dynamisches Mathematik-Sys-tem" nennen. Vielleicht etabliert sich ja die vom Autor vorgeschlagene Abkürzung DMS. Geometrie und algebraisch-analytische Fä-higkeiten werden vereint in dem Sinn, dass der Nutzer stets frei zwischen geometri-schem und analytischem Handeln wählen kann, die Parametervariation kann mit den Pfeiltasten komfortabel vorgenommen wer-den. Anfang 2005 aber hat Herr Hohenwar-ter, selbst Mitglied dieser AG, zusätzlich Schieberegler geschaffen. Den Beteiligten der Arbeitsgruppe war klar, dass GeoGebra in besonderer Weise die ma-thematische Lehre bereichert und in der Hand der Lernenden ein Werkzeug darstellt, das gut zu üblichen schulischen Themen und Schreibweisen passt. Dieses wurde von der Referentin dann auf der Jahrestagung der GDM in Bielefeld 2005 näher ausgeführt.

Gezeigt ist hier eine Darstellung zum mini-malen Abstand eines Punktes von einem Funktionsgraphen. Ein Schieberegler erübrigt sich, da in GeoGebra (wie auch in Cabri und Cinderella) auf beliebige Graphen ver-schiebliche Punkte gesetzt werden können.

Eine Stärke von GeoGebra liegt darin, dass nachträglich noch die betrachtete Funktion umdefiniert werden kann, so dass dieselbe Datei für eine ganze Klasse von Fragestel-lungen passend ist. Wenn die Lernenden nun Vermutungen äu-ßern, wie der kürzeste Abstand zu finden sei, so können Tangenten und Normalen direkt eingezeichnet werden. Wird die Abstands-funktion analytisch erzeugt, kann sie hier gleich geprüft werden, auch ihre Ableitung und deren Nullstellen sind verfügbar. Die möglichen Vorgehensweisen und Prüfstrate-gien sind bei einer solchen dynamischen Auf-fassung und Realisierung so vielfältig, dass das "geistlose Schema F" keine Chance hat.

Schlussbemerkung

Zu weiteren Erörterungen wie z.B. der Mög-lichkeiten der Ergebnissicherung bei solchem Unterricht ist die Arbeitsgruppe nicht mehr gekommen. Einige gute Erfahrungen liegen vor. Allen war aber klar, dass die Mathematik-Lehrerschaft mit der Dynamisierung von Ma-thematik ein "weites Feld" zu beackern hat, auf dem besseres Verstehen von Mathematik gedeihen kann.

Literatur und Internethinweise Haftendorn, Dörte: www.uni-lueneburg.de/mathe-

lehramt "Mathematik Verstehen", dort auch der Vortag zur GDM-Tagung 2005 in Bielefeld: "Dynamische Mathematik — Bewegung beflü-gelt verstehen" in Kurz- und Langform

Hohenwarter, Markus: www.geogebra.at Mechling, Roland: www.dynageo.de

Abb. 11

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* Teilnehmende an der AG "Inwieweit bedarf es zur Überprüfung der Kompetenzen, die mit Neuen Medien erworben werden, der Verfügbarkeit

Neuer Medien in der Prüfungssituation?" unter der Leitung von Timo Leuders & Andreas Pallack: Ulrike Blase, Nadine Böckenfeld, Inge El-schenbroich, Kristine Friebe, Gaby Heintz, Helmut Heugl, Henrik Kratz, Reinhard Oldenburg, Hans-Dieter Stenten-Langenbach, Christina Völkl

Diese Frage war der Ausgangspunkt für die Arbeitsgruppe, die sich damit auf Thesen aus den Vorträgen von Leuders und von Pallack (in diesem Band) bezog. Mit Blick auf die künftig zunehmende Überprüfung von Schü-lerkompetenzen in zentralen Tests, z.B. in Form von Benchmarks des IQB (vgl. IQB 2005, Blum 2005) zu den nationalen Bil-dungsstandards oder bei den Lernstands-erhebungen in NRW (vgl. LSE 2005, Büchter & Leuders 2005, Heymann & Pallack 2005), stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Neuen Medien im Lernprozess und in Test-situationen. In den Fokus genommen wurde insbesonde-re die Frage, ob medienbezogene mathema-tische Kompetenzen mit Paper-Pencil-Tests — also ohne Nutzung des Mediums während der Testsituation — überprüft werden kön-nen. Aus den verschiedenen Positionen entwickel-te sich ein konsensfähiges, vorläufiges Stu-fenmodell, mit dem man Kompetenzen, die bei solchen medienbezogenen Aufgaben überprüft werden, einordnen kann: 1. Werkzeugkompetenzen 2. Nutzungskompetenzen 3. Medienbezogene mathematische Kompe-

tenzen oder 4. Mathematische Kompetenzen, die zu Me-

dien in Bezug gesetzt werden. Hierbei kommt es weniger auf die (z.T. ad hoc) gewählten Bezeichnungen, als auf die dahinter stehenden Konzepte an. Diese Stu-fen sind geordnet nach einem abnehmenden Bezug zu einer konkreten Verwendung Neu-er Medien im Mathematikunterricht und in Prüfungs- bzw. Testsituationen. Sie sollen im Folgenden näher erläutert werden.

1. Werkzeugkompetenzen ("Bedienungs-kompetenzen"): Mit dem Begriff "Werkzeugkompetenzen" kann man diejenigen (von fachlichen Fragen unabhängigen) Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern bezeichnen, die sie unabhän-gig von einem mathematischen Inhalt einset-zen können, um ein Werkzeug zu bedienen (Beispiele: Formatieren eines Textes mit ei-ner Textverarbeitung, Berechnen einer Zelle mit Hilfe einer Tabellenkalkulation).

2. Nutzungskompetenzen ("Anwendungs-kompetenzen"): Mit "Nutzungskompetenzen" sollen diejeni-gen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schü-lern bezeichnet sein, die sie erworben haben müssen, um ein Werkzeug in Bezug auf ma-thematische Inhalte und Prozesse verständig einsetzen zu können (Beispiel: Nutzen einer Tabellenkalkulation zum Explorieren von Da-ten im Rahmen einer Problemstellung).

3. Medienbezogene mathematische Kom-petenzen: Der Fokus wird auf dieser Stufe nun noch stärker auf die Mathematik als auf den Me-dieneinsatz gelegt. Diese Kompetenzen be-ziehen sich daher auf zunächst werkzeug-unabhängige mathematische Fähigkeiten, bei denen aber die Verwendung bzw. das Wissen über die Verwendung eines Werk-zeugs von Vorteil sein kann. Schülerinnen und Schüler, welche diese mathematischen Fähigkeiten im Unterricht unter der Berück-sichtigung entsprechender Werkzeuge er-worben haben, werden bei der Lösung ent-sprechender Aufgaben Vorteile haben. Dies soll mit Hilfe eines Beispiels erörtert werden:

Inwieweit bedarf es zur Überprüfung der Kompetenzen, die mit Neuen Medien erworben werden, der Verfügbarkeit Neuer Medien in der Prüfungssituation? *

Timo Leuders, Freiburg & Andreas Pallack, Soest

Kurzfassung: S. Überschrift

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Timo Leuders & Andreas Pallack

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Der Punkt D läuft entlang der Kreislinie. An welcher Stelle hat das Dreieck die kleinste Fläche?

4. Mathematische Kompetenzen, die mit Medien in Verbindung gebracht werden: Es gibt bereits eine Vielzahl von Aufgaben, die mathematische Kompetenzen überprü-fen. Diese Aufgaben können — zum Beispiel um sie auf Unterrichtsprozesse zu beziehen — in bestimmte Medienkontexte eingekleidet werden (Beispiel: Abbildung einer Grafik aus Excel mit einer Fragestellung, die sich aus-schließlich inhaltlich auf das Diagramm und nicht auf das verwendete Werkzeug bezieht). Im Rahmen des Arbeitskreises zeichnete sich ab, dass die Beteiligten der Meinung sind, dass Werkzeugkompetenzen, ohne in ein Abfragen von Bedienungsschritten zu verfallen, nur überprüft werden können, wenn das Werkzeug den Schülerinnen und Schü-lern in der Prüfungssituation zur Verfügung steht. Die Beispiele zu den anderen Stufen wurden zwar kritisch gesehen; jedoch gab es durchaus Übereinstimmung dahingehend, dass geeignete Testaufgaben Facetten der übrigen Stufen überprüfen können, auch oh-ne Präsenz der Werkzeuge. Die derzeit im Rahmen der Standardüberprü-fung eingesetzten statistischen Werkzeuge (meist das Rasch-Modell) wird bei den Stu-fen "Werkzeug- und Nutzungskompetenzen" wahrscheinlich keine tragfähige Ergebnisse liefern können, da die Ausstattung und der Einsatz von Medien von Schule zu Schule stark variieren. Die notwendige Unabhängig-keit von der Stichprobe scheint in diesen Fäl-len nicht gewährleistet (vgl. Rost 1996). Inso-

fern müssen auch in diesem Bereich neue Ansätze gefunden werden, wenn der Kompe-tenzerwerb mit Hilfe von Medien in die Kon-

zepte der Standardsicherung mit Hilfe von Leistungsmessung integriert werden soll.

Literatur Blum, Werner (2005): Zur Rolle von Bildungsstan-

dards für die Qualitätsentwicklung im Mathe-matikunterricht. In: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 37, 267–274

Büchter, Andreas & Timo Leuders (2005): From students achievement to the development of teaching: requirements for the feedback in comparative tests. In: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 37, 324–334

Heymann, Hans-Werner & Andreas Pallack (2005): Mathematikaufgaben für die Lern-standserhebung. Erscheint in: Landesinstitut für Schule & Qualitätsagentur NRW (Hrsg.): Lernstandserhebungen in Nordrhein-Westfa-len. Konzept, Verfahren, erste Erfahrungen und Ergebnisse. Münster: Waxmann

Rost, Jürgen (1996): Testtheorie — Testkonstruk-tion. Bern: Huber

Internetseiten LSE (2005)

www.learnline.de/angebote/lernstand9/ IQB (2005) www.iqb.hu-berlin.de/

Abb. 1

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* Teilnehmende an der AG "Einsatz des Casio-ClassPad 300 im Unterricht" unter der Leitung von Reinhold Thode und der Assistenz von Olaf

Fergen: Claudia Hagan, Peter Kirsche, Elvira Malitte, Karel Tschacher, Wolfgang Weigel

Vorbemerkung

Die Veranstaltung war als Workshop geplant. Die Teilnehmer sollten anhand vorbereiteter Beispiele, die sich überwiegend aus dem zu-gehörigen, am Vortage stattgefundenen, Vor-trag gleicher Thematik ergaben, oder aber an selbst gewählter Aufgabenstellung die Ar-beitsweise mit und einen Teil der Möglichkei-ten des ClassPad 300 kennen lernen. Einige Teilnehmer des Workshops plädierten dafür, der Veranstaltung eher den Charakter einer Arbeitsgruppe zu geben. Es sollte ge-meinsam etwas erarbeitet werden. Nach kurzer kontroverser Diskussion wurde eine Mischform gewählt: Zunächst beschäf-tigte sich die Gruppe in einem ersten Teil gemeinsam mit einem Thema. Nach der Pause wurde dann einzeln oder in Klein-gruppen individuell mit dem ClassPad 300 gearbeitet. Dabei standen insbesondere Herr Thode und Herr Fergen den Teilnehmern für die Beantwortung von Fragen zur Verfügung.

Erster Teil Als gemeinsames Thema wurde gewählt: "Die Parabel als Ortskurve derjenigen Punk-

te, die von einem gegebenen Punkt (Brenn-punkt) und einer gegebenen Geraden (Leitli-nie) den gleichen Abstand haben".

Abb. 1

Bezogen auf den ClassPad 300 hieß dies: Arbeit im Geometrieteil (DGS), dort einige Grundkonstruktionen, insbesondere Erahnen der Möglichkeiten der Messbox, und ab-schließend Animation mit Aufzeichnung einer Spur. Für diesen Bericht sollen die wesentlichen Schritte zur Erreichung des Ziels dokumen-tiert werden; dies entspricht dann auch der

Einsatz des Casio ClassPad 300 im Unterricht *

Reinhold Thode, Kiel

Ist die Entwicklung von Standards oder neuer Aufgabenkultur ein Widerspruch zum Ein-satz neuer Medien im Mathematik-Unterricht? Natürlich nicht! Die in den KMK-Standards geforderten Kompetenzen wie Modellieren, Argumentieren oder Kommunizieren lassen sich durch rechnergestützten Unterricht eher als durch konventionellen Unterricht fördern. Gerade offene Aufgaben legen häufig den Einsatz von Softwaretools nahe. Seit einiger Zeit gibt es moderne Taschenrechner, die in ihren Möglichkeiten weit über das übliche Maß hinausgehen. Diese Rechner können auf verschiedene Weise einen wichtigen Beitrag zur permanenten Verfügbarkeit von Mathe-matik-Software (i.e. CAS, DGS,Tabellenkalkulation etc.) im Unterricht leisten. In dieser Arbeitsgruppe konnte ein solcher Rechner, hier der ClassPad 300 von Casio, an verschiedenen Beispielen unter Anleitung praktisch ausprobiert und in seinen Mög-lichkeiten ausgelotet werden. Für die Teilnehmer standen genügend Rechner zur Verfü-gung. Möglichkeit zur Diskussion war gegeben. In dem zugehörigen Vortrag waren an drei im Unterricht erprobten Beispielen (Spiege-lungsgeometrie in der Quarta – DGS, Animation; Extremalproblem aus der Optik in der Untersekunda — DGS, Animation, Tabellenkalkulation; Tangentenproblem in der Ober-sekunda — CAS, DGS, Animation, eActivity) Möglichkeiten des Einsatzes des Rechners demonstriert worden.

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Reinhold Thode

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Vorgehensweise in der AG, da die Mehrheit der Teilnehmer im Umgang mit dem ClassPad 300 wenig geübt war.

Plan Gemäß der definitorischen Vorgabe müssen die Leitlinie (in Abb. 1 durch die Punkte A und B) und der Brennpunkt (D) festgelegt werden. Der spätere Lotfußpunkt (C) soll sich auf der Leitlinie bewegen (Animation). Der Übersicht halber (und wegen der besseren "Attraktion" beim Zeichnen) soll ein Koordina-tensystem mit ganzzahligem Punktraster un-terlegt werden. Aus technischen Gründen kann beim ClassPad ein Punkt nicht auf einer Geraden per Animation bewegt werden, sondern nur auf einer Strecke. Diese Einschränkung ist nicht erheblich, da über Einstellung der Pa-rameter der Punkt über die Enden der Stre-cke hinaus bewegt werden kann. Ein Punkt E wird eingezeichnet und die Be-dingungen aus der Definition hergestellt: • Verbindung von E und C (Strecke durch

zwei Punkte) • Winkel zwischen Leitlinie und der Strecke

EC senkrecht erzwingen (Messbox) • Verbindung von E und D (Strecke durch

zwei Punkte) • Abstand der Strecken EC und ED gleich

erzwingen (Messbox) Die Animation von C starten, dabei die Spur des sich zwangsläufig mitbewegenden Punk-tes E aufzeichnen.

Durchführung DGS-Teil aufrufen und unter "Sehen", "Ganz-zahliges Gitter" anklicken.

Abb. 2

Durch zweimaliges Klicken auf Achsen-kreuz mit Maßstab anzeigen, Kreuz nach un-ten ziehen.

Abb. 3

Die Strecke mit den Endpunkten A und B hin-legen.

Abb. 4

Punkt C auf die Strecke legen, den Brenn-punkt D auf der vertikalen Achse festlegen und einen beliebigen Punkt E einzeichnen.

Abb. 5

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AG: Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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Punkt C und Strecke AB markieren, dann mittels "Edit"-"Animation"-"Animation hinzufü-gen" die Animation eintragen.

Abb. 6

Mittels "Edit"-"Animation"-"Animation bear-beiten" die Anzahl der Schritte erhöhen und den Punkt C links (-0,5) und rechts (1,5) je-weils über AB hinausführen.

Abb. 7

Die Strecken DE und EC markieren, mit dem

Pfeil in die Messbox, aus dem Pulldown-Menü "gleichschenklig" anwählen, dann "Ja" eintippen und danach durch Klicken auf den Haken festlegen.

Abb. 8

Nun wieder EC markieren, sowie AB, erneut in die Messbox, "Winkel" anwählen, 90° ein-geben und wie eben festlegen.

Abb. 9

Man erkennt, wie der Punkt E zunächst leicht nach unten rechts rückt, damit die Bedingung "DE = EC" erfüllt werden kann, danach wan-dert der Punkt E weiter nach innen unten, damit auf diese Weise gleichzeitig "EC or-thogonal zu AB" gilt.

Zuletzt den Punkt E markieren, mittels "Edit"-"Animation"-"Verfolgen" das Aufzeichnen der Spur vorbereiten.

Abb. 10

Schließlich mittels "Edit"-"Animation"-"Ablau-fen (einmal)" die Parabel zeichnen.

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Reinhold Thode

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Abb. 11

Verschieben des Punktes D und erneutes Animieren zeichnet eine neue Parabel.

Abb. 12

Anklicken der Parabel und Übergang zur Messbox liefert eine Wertetabelle.

Abb. 13

Experimentieren mit der Lage des Brenn-punktes bzw. der Leitlinie und gleichzeitiges Betrachten der Wertetabelle liefert eine be-

gründete Vermutung über den Zusammen-hang zwischen Gleichung der Parabel und Öffnungsparameter (Abstand Brennpunkt – Leitlinie).

Die abgebildeten Parabeln sind von der Form y=ax2+c. Explizit: y=½x2, p=1; y=¼x2, p=2; y= 6

1 x2+½, p=3. Daraus entnimmt man y=

p21

x2+c.

Zweiter Teil

Aus dem Vortrag vom Vortag (vgl. die Aus-führungen dort) ergaben sich eine Reihe von Anregungen, die als Themenvorlagen für die eigene Arbeit mit dem ClassPad 300 dienen sollten. Die Vorlagen wurden ausgedruckt den Teilnehmern an die Hand gegeben. Die Themen waren wie folgt:

Thema I: Mehrfachspiegelungen an Geraden (Geometrie / Animation)

Drehung

Abb. 14

Abb. 15

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AG: Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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Translation

Abb. 16

Satz von den drei Spiegelungen

Abb. 17

Gleitspiegelung

Abb. 18

Hjlemslevscher Mittelliniensatz

Abb. 19

Thema II: Fermatsches Extremal-prinzip in der Optik (Geometrie / Animation / Spreadsheet)

Reflexionsgesetz

Abb. 20

Abb. 21

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Reinhold Thode

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Abb. 22

Abb. 23

Abb. 24

Abb. 25

Brechungsgesetz (in gleicher Weise)

Abb. 26

Abb. 27

Thema III: Folgen und Reihen / Tangentenproblem (Main / eActivity)

Experimentieren mit Folgen und Reihen

Abb. 28

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AG: Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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Abb. 29

Abb. 30

Abb. 31

Tangente an die Normalparabel

Abb. 32

Abb. 33

Abb. 34

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Reinhold Thode

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Abb. 35

Abb. 36

Abb. 37

Abb. 38

Thema IV: Ortskurven und ihre Eigenschaften (Geometrie / Animation / Spreadsheet)

Parabel

Abb. 39

Abb. 40

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AG: Einsatz des Casio Classpad 300 im Unterricht

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Ellipse

Abb. 41

Abb. 42

Zykloide

Abb. 43

Einige Teilnehmer bearbeiteten diese The-men, andere untersuchten am ClassPad 300 die Möglickeiten des Statistik-Moduls, der 3-D-Graphik und der e-Activity.

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Tagungsprogramm Freitag, 17.09.2004

Vormit-tags

Anreise im Landesinstitut für Schule (LfS), Paradieser Weg 64, 59494 Soest, Tel. 02921/6831, Fax 02921/683-228

12.30 Mittagessen im LfS

13.30 Eröffnung

Hauptvortrag 13.45 – 14.45

Heugl, Helmut CAS und Standards — eine interessante Herausforderung

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)

D011 Raum 24/25 15.00 – 15.45

Bender, Peter Software für Dynamische Geometrie (DGS) — zukünftig ein Standard für die Lehramts-Ausbildung?

Nestle, Fritz Neue Medien, neues Denken: Bildungs-standards

15.50 – 16.35

Thode, Reinhold Unterrichtsbeispiele für den Einsatz des ClassPad 300 (Casio) — Beitrag zum Medieneinsatz im Mathematikunterricht

Bescherer, Christine & Löthe, Herbert Wie hat sich die Mathematikdidaktik un-ter dem Einfluss der Bildungsstandards und der neuen Medien zu wandeln?

16.35 – 17.05

Kaffee- bzw. Teepause

17.05 – 17.50

Meißner, Hartwig Mathematische Denkweisen beim Um-gang mit Hardware und Software

Pallack, Andreas Medien(kompetenz) — Von der Nutzung zu den Kompetenzen

17.55 – 18.40

Leuders, Timo "Video killed the radio star?" — Neue In-strumente der Standardsetzung und -überprüfung und ihre Wechselwirkung mit der Medien- und Unterrichtsentwick-lung

Lehmann, Eberhard Erwerb mathematischer Kompetenzen mit CAS-Bausteinen

18.45 Abendessen

Podiumsdiskussion 20.15 – 21.45

Moderator: Bender, Peter Teilnehmer: Elschenbroich, Hans-Jürgen, Heugl, Helmut, Nestle, Fritz & Pallack, Andreas

21.45 – …

Gemütlicher Ausklang im … und im "Kaminzimmer", handgemachte Musik, …

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Samstag, 18.09.2004

08.00 Frühstück

Hauptvortrag 08.45 – 09.45

Bieber, Götz Nationale Bildungsstandards — Ein Weg in die richtige Richtung? Stand und Perspektiven der Arbeit an und mit Bildungsstandards

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)

D011 Raum 24/25 09.50 – 10.35

Keunecke, Karl-Heinz & Reiß AngelikaNeue Wege bei der Einführung eines CAS. Schülerinnen und Schüler über-nehmen Verantwortung ...

Xylander, Bert Bildungsstandards und neue Medien im neuen sächsischen Lehrplan

10.35 – 11.00

Kaffee- bzw. Teepause

11.00 – 11.45

Weigel, Wolfgang Erfahrungen zum virtuellen Selbstlern-kurs: Mathematik und Computer

Malitte, Elvira Alte "Neue Materialien…" — neu be-trachtet

11.45 – 12.30

Hohenwarter, Markus GeoGebra — bidirektionale Verbindung von dynamischer Geometrie und Com-puteralgebra

Groß, Christian & Moormann, MarianneAnsätze zur Förderung mathematischer Kompetenzen ... mittels der Lernsoft-ware "LeActiveMath"

12.30 Mittagessen

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)

D011 Raum 24/25 14.00 – 14.45

Kamps, Udo & Pahl, Claudia EMILeA-stat: Multimediales und interak-tives Statistiklernen in der Schule

Griebel, Stephan Verbreitung von Graphikrechnern und Computer-Algebra-Taschencomputern in Deutschland und Europa

15.00 Arbeitsgruppen (mit einer geeigneten Einführung) Thema Leitung

1 Unterrichtsbeispiele für den Einsatz des Casio ClassPad 300 Thode, Reinhold

2 Medienkompetenz in zentralen Aufgabenüberprüfungen Leuders, Timo & Pallack, Andreas

3 Medien und Bildungsstandards in Mathematik Friebe, Wolfgang

4 Termbegriff und Schieberegler Haftendorn Dörte

5 Wandel in der Mathematikdidaktik durch Neue Medien Bescherer, Christi-ne & Löthe, Herbert

18.30 Abendessen

20.00 – Abendprogramm: zu Fuß (ca. 15 min) Ausflug in … ;... Ausklang im LfS

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Sonntag, 19.09.2004 08.00 Frühstück, Zimmer räumen

Hauptvortrag 09.00 – 10.00

Elschenbroich, Hans-Jürgen Bildungsstandards, Kernlehrpläne und neue Medien

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)

D011 D009 10.05 – 10.50

Lambert, Anselm Bildung und Standards im Mathematik-unterricht — oder: was schon beim alten Lietzmann steht

10.50 – 11.20 Kaffee- bzw. Teepause

11.20 – 12.20

Ergebnisse der Arbeitsgruppen, Tagungsbilanz, Abschlussdis-kussion

12.20 Mittagessen, Kaffee bzw. Tee

13.30 Tagungsende

Teilnehmerinnen- und Teilnehmer-Liste (z.T. auf den Stand von Juni 2005 gebracht; ob es sich um den Privat- oder den Dienstort handelt, ergibt sich meistens aus der Mail-Adresse)

Bender, Peter, 33098 Paderborn [email protected] Bescherer, Christine, 24943 Flensburg [email protected] Bieber, Götz, 14974 Ludwigsfelde [email protected] Blase, Ulrike, 47877 Willich [email protected] Böckenfeld, Nadine, 48429 Rheine [email protected] Detering, Eike A., 14513 Teltow [email protected] Elschenbroich, Hans-Jürgen, 41352 Korschenbroich [email protected] Elschenbroich, Inge, 41352 Korschenbroich [email protected] Fergen, Olaf, 22848 Norderstedt [email protected] Friebe, Kristine, 55126 Mainz [email protected] Friebe, Wolfgang, 55126 Mainz [email protected] Griebel, Stephan, 85356 Freising s-griebel@ti-com Groß, Christian, 86135 Augsburg Haftendorn, Dörte, 21335 Lüneburg [email protected] Hagan, Claudia, 97209 Veitshöchheim [email protected] Hartmann, Mutfried, 90478 Nürnberg [email protected] Harzbecker, Ulrich, 21332 Lüneburg [email protected] Heintz, Gaby, 41363 Jüchen [email protected] Herget, Wilfried, 06099 Halle [email protected] Heugl, Helmut, A-1040 Wien [email protected]

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Hofer, Matthias, A-1150 Wien [email protected] Hohenwarter, Markus, A-5020 Salzburg [email protected] Kamps, Udo, 52056 Aachen [email protected] Keunecke, Karl-Heinz, 24159 Kiel [email protected] Kirsche, Peter, 86135 Augsburg [email protected] Kittel, Andreas, 73525 Schwäbisch Gmünd [email protected] Kleifeld, Achim, 50678 Köln [email protected] Klöppner, Göde, 49124 Georgsmarienhütte [email protected] Kratz, Henrik, 60316 Frankfurt [email protected] Lambert, Anselm, 66041 Saarbrücken [email protected] Lehmann, Eberhard, 12209 Berlin [email protected] Lehmann, Ingmar, 10099 Berlin [email protected] Leuders, Timo, 79117 Freiburg [email protected] Löthe, Herbert, 71634 Ludwigsburg [email protected] Malitte, Elvira, 06099 Halle [email protected] Manthey, Hasso B., 14163 Berlin [email protected] Meißner, Hartwig, 48149 Münster [email protected] Moormann, Marianne, 86135 Augsburg [email protected] Nestle, Fritz, 89073 Ulm [email protected] Neveling, Rolf, 42281 Wuppertal [email protected] Oldenburg, Reinhard, 37085 Göttingen [email protected] Pahl, Claudia, 26111 Oldenburg [email protected] Pallack, Andreas, 59494 Soest [email protected] Reiss, Gottfried Reiß, Angelika, 12207 Berlin [email protected] Schlenga, Margit, 03044 Cottbus [email protected] Schmid, Fortunat, CH-8006 Zürich [email protected] Schulz, Wolfgang, 10099 Berlin [email protected] Stenten-Langenbach, Hans-Dieter, 49716 Meppen [email protected] Thies, Silke, 65520 Bad Camberg [email protected] Thode, Reinhold, 24678 Rendsburg [email protected] Tschacher, Karel, 91054 Erlangen [email protected] Ullrich, Peter, 56070 Koblenz [email protected] Völkl, Christina, 90478 Nürnberg [email protected] Weigand, Hans-Georg, 97074 Würzburg [email protected] Weigel, Wolfgang, 97074 Würzburg [email protected] Weth, Thomas, 90478 Nürnberg [email protected] Wittmann, Gerald, 73525 Schwäbisch Gmünd [email protected] Wolff, Klaus-Peter, 76744 Wörth [email protected] Zseby, Siegfried, 10557 Berlin [email protected]

Mini-Historie des Arbeitskreises "Mathematikunterricht und Informatik"

Seit 1978 traf sich der Arbeitskreis jährlich im Frühjahr auf den Bundestagungen der Gesell-schaft für Didaktik der Mathematik (GDM) und meistens im Herbst (ab 1991 immer) zu einer mehrtägigen Tagung, zunächst unter dem Namen AK "Informatik", häufig mit dem Thema "Ma-thematikunterricht & Informatik", das (mit Varianten) schließlich zum Namen des Arbeitskreises mutierte. Fast immer (bis heute) wurde in den "Mitteilungen der GDM" (ISSN 0722-7817) über die Herbsttagung berichtet, manchmal zusätzlich oder ersatzweise an anderen Stellen. Seit 1991 gibt es jährlich eine Buch-Veröffentlichung: Bericht über die n-te Arbeitstagung des Ar-beitskreises "Mathematikunterricht & Informatik" in der GDM. Hildesheim (& Berlin): Franzbe-cker.

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Nr Zeitraum Ort Er Berichterstatter Bericht 0 29.09.1978 Paderborn 78 K.-D. Graf liegt bei Horst Hischer vor 1 29.–31.08.79 Bottrop 80 K.-D. Graf Mitteilungen der GDM 23, 23–24 2 10.–12.10.80 Bottrop 80 K.-D. Graf liegt bei Horst Hischer vor 3 12.–14.10.81 Augsburg 82 K.-D. Graf Mitteilungen der GDM 28, 19–20 4 11.–13.10.82 Osnabrück 83 Herbert Löthe

Klaus Menzel In: Log In 3 (1983), Heft 1, 3–4 & Mitteilungen der GDM 30, 9–12 (Graf)

5 10.–12.10.83 Erpfingen 84 K.-D. Graf Mitteilungen der GDM 33, 5–7 & 34, 38–41 6 07.–09.10.85 Kassel 85 Horst Hischer für die Bezirksregierung Hannover 7 05.–07.10.87 Waldfisch-

bach 88 K.-D. Graf Mitteilungen der GDM 46, 12–14

8 22.–24.09.89 Wolfenbüttel 90 Wilfried Herget Mathematik, Computer und Allgemeinbil-dung. Mathematik-Bericht 90/3. TU Clausthal

Nr Zeitraum Ort Er Herausgeber Motto der Tagung, Titel des Bands 9 27.–29.09.91 Wolfenbüttel 92 Horst Hischer Mathematikunterricht im Umbruch? —

Erörterungen zur möglichen "Trivialisie-rung" von mathematischen Gebieten durch Hardware und Software

10 26.–27.09.92 Wolfenbüttel 93 Horst Hischer Wieviel Termumformung braucht der Mensch? — Fragen zu Zielen und Inhalten eines Mathematikunterrichts angesichts der Verfügbarkeit informatischer Methoden

11 08.–10.10.93 Wolfenbüttel 94 Horst Hischer Mathematikunterricht und Computer — Neue Ziele oder neue Wege zu alten Zie-len?

12 23.–26.09.94 Wolfenbüttel 95 Horst Hischer Michael Weiß

Fundamentale Ideen — Zur Zielorientie-rung eines künftigen Mathematikunterrichts unter Berücksichtigung der Informatik

13 22.–25.09.95 Wolfenbüttel 96 Horst Hischer Michael Weiß

Rechenfertigkeit und Begriffsbildung — zu wesentlichen Aspekten des Mathematik-unterrichts vor dem Hintergrund von Com-putersystemen

14 20.–23.09.96 Wolfenbüttel 97 Horst Hischer Computer und Geometrie — Neue Chan-cen für den Geometrieunterricht?

15 24.–27.09.97 Wolfenbüttel 98 Horst Hischer Geometrie und Computer — Suchen, Entdecken, Anwenden

16 01.–04.10.98 Wolfenbüttel 00 Horst Hischer Modellbildung, Computer und Unterricht 17 24.–26.09.99 Wolfenbüttel 00 Wilfried Herget

H.-G. Weigand Thomas Weth

Standardthemen des Mathematikunterrichts in moderner Sicht

18 22.–24.09.00 Soest 01 Wilfried Herget Rolf Sommer

Lernen im Mathematikunterricht mit neuen Medien

19 28.–30.09.01 Dillingen 02 Wilfried Herget Rolf Sommer H.-G. Weigand Thomas Weth

Medien verbreiten Mathematik

20 27.–29.09.02 Soest 03 Peter Bender Wilfried Herget H.-G. Weigand Thomas Weth

Lehr- und Lernprogramme für den Mathematikunterricht

21 26.–28.09.03 Dillingen 05 Peter Bender Wilfried Herget H.-G. Weigand Thomas Weth

WWW und Mathematik — Lehren und Lernen im Internet

22 17.–19.09.04 Soest 05 Peter Bender Wilfried Herget H.-G. Weigand Thomas Weth

Neue Medien und Bildungsstandards

23 23.–25.09.05 Dillingen Uli Kortenkamp Informatische Ideen im Mathematikunterricht