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1 Neue Politische Ökonomie: Die Diskussion um soziale Wohlfahrtsfunktionen Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg SS 2007 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München Pol. Ökonomie

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Neue Politische Ökonomie: Die Diskussion

um soziale Wohlfahrtsfunktionen Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

SS 2007

Prof. Dr. Lars P. FeldRuprecht-Karls-Universität Heidelberg,ZEW Mannheim, Universität St. Gallen

(SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifoMünchen

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Die Diskussion um soziale Wohlfahrtsfunktionen

Aufbau der Vorlesung

• Das Pareto Optimum als allokative Idee• Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion• Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen• Arrows Unmöglichkeitstheorem• Das Medianwählertheorem• ‚Probabilistic Voting‘

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Das Pareto Optimum als allokative Idee I

• Pareto-Kriterium als weit akzeptiertes Werturteil für die Beurteilung von Politikmaßnahmen– Eine Allokation wird nicht geändert, wenn durch

sie niemand besser gestellt wird, ohne dass jemand anderes schlechter gestellt wird.

• Problem– Zu jeder Produktionstechnologie existiert eine

Nutzenmöglichkeitskurve …– mit unendlich vielen Möglichkeiten, Wohlfahrt

auf die beteiligten Individuen umzuverteilen.

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Das Pareto Optimum als allokative Idee II

• Problem– Kein interpersoneller Nutzenvergleich.– Verteilung bleibt unberücksichtigt.– Nutzen hängt nur vom eigenen

Konsumniveau ab.• Politische Fragestellung

– Welchen der unendlich vielen Pareto-effizienten Verteilungszustände wählt man?

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion I

• Politikberatung erfordert die Festlegung auf ein eindeutiges gesellschaftliches Optimum. – Bergson (1938) und Samuelson (1947)

entwickeln dazu das Konzept einer sozialen Wohlfahrtsfunktion.

– Symbole: • W = der reale Wert aller möglichen sozialen

Zustände.• zi = mögliche soziale Zustände.

),,...( 21, nzzzWW =

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion II

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande? – zi und W sollen so gewählt werden, dass sie die

ethischen Werte in einer Gesellschaft bzw. der darin lebenden Individuen reflektieren.

– Ziel: Definiere zi und W und die Restriktionen so, das sinnvolle Bedingungen erster und zweiter Ordnung im Maximierungsproblem resultieren.

– Grundsätzlich können alle Gesellschaftszu-stände unter zi gefasst werden

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion III

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande? – Das Pareto-Optimum liefert nur eine Anzahl

notwendiger Bedingungen für ein gesellschaftliches Optimum (Marginalbedingungen).

– Sie stellen sicher, dass auf der Transforma-tionskurve produziert wird, dass alle Tausch-möglichkeiten ausgeschöpft sind usw.

– Mit Pauschalsteuern und -subventionen lässt sich ein Pareto-Optimum sicherstellen.

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion IV

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande? – Bergson und Samuelson lösen dieses Problem

mit einer Variante der sozialen Wohlfahrtsfun-ktion, bei der die Nutzenindizes aller Individu-en als Argumente eingehen.

),,...,,( 21 sUUUWW =

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion V

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande? – Problem: Wie sieht diese Funktion aus und wie

sind die Eigenschaften der darin enthaltenen Nutzenfunktionen?

– Interpersonelle Nutzenvergleiche sind notwendig.

– Ausnahme: lexikographische Präferenzen • der Nutzen eines Individuums wird allen anderen

vorgezogen

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion VI

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande? – Eine soziale Wohlfahrtsfunktion auf Basis

ordinaler Nutzenfunktion führt nur dann zu eindeutigen Lösungen, wenn eine diktatorische Lösung bevorzugt wird.

– Wohlwollender Diktator.– Beweis: Samuelson zitiert nach Mueller (2003)

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion VII

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande?

U1

A

U2

Pol. ÖkonomieAbbildung 1: Das ‘Optimum Optimorum’

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion VIII

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande? – Die Form der sozialen Wohlfahrtsfunktion

wird durch ethische Regeln bestimmt.– Beispiele:

),...( 21 sUUUW +++=

),*...**( 21 sUUUW =

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion IX

• Wie kommt die soziale Wohlfahrts-funktion zustande? – Additive soziale Wohlfahrtsfunktion als

utilitaristische (Jeremy Bentham).– Multiplikative soziale Wohlfahrtsfunktion nach

John Nash (1950).– Unterscheidung: Sollten absolute oder anteilige

Nutzendifferenzen betrachtet werden?– Rawls‘sche SWF: das am schlechtesten gestellte

Individuum soll besser gestellt werden.– Alternative: Wahl der sozialen Wohlfahrts-

funktion als Verfassungsregel.

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion X

• Beurteilung sozialer Wohlfahrtsfunktionen– Allen bisher besprochenen SWF liegt ein kardinales

Nutzenkonzept zugrunde.– SWF sind immer Formalisierungen von

Werturteilen; es gibt keine „wissenschaftlich korrekte“ SWF.

– SWF können geeignet sein, ein optimum optimorumu.d.B. gegebener fixierter Werturteile zu identifizieren.

– Aber: Besteht das politische Problem nicht gerade im Streit über Werturteile?

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Die klassische soziale Wohlfahrtsfunktion XI

• Beurteilung sozialer Wohlfahrtsfunktionen– „Die Verwendung der Exaktheit suggerierenden

Schreibweise einer mathematischen Funktion erweckt bei manchen Beobachtern allzu leicht die Vorstellung, dass das, was mit diesen Symbolen angedeutet wird, in der realen Welt wissenschaftlich nachweisbar sein muss. Auch an dieser Stelle sei nochmals mit allem Nachdruck betont, dass es sich bei der Manipulation mit Wohlfahrts-funktionen […] nur um Gedankenexperimente eines bestimmten Betrachters handeln kann, von denen man kaum mehr erwarten darf als eine gewisse Hilfe bei der Ordnung und Disziplinierung der eigenen Gedanken.“(Egon Sohmen, Allokationstheorie und Wirtschaftspolitik, Tübingen 1976, S. 336f.)

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen I• Alternative Vorgehensweise zur Bestimmung

einer sozialen Wohlfahrtsfunktion– Wie kommt man von vielen individuellen

Präferenzordnungen zu einer gesellschaftlichen Präferenzordnung?

– Annahme bestimmter Voraussetzungen individueller Rationalität, die hinreichend zur Definition einer individuellen Präferenzordnung sind.

– Übertragung dieser Postulate auf eine soziale Präferenzordnung.

– Bei diesem Schritt werden gewisse ethische Normen einer Gesellschaft ausgedrückt, die aber auf Entscheidungsverfahren und nicht auf Verteilungen bezogen sind.

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen II

• Der Ansatz von Arrow (1951)– Welche ethischen Normen sollten wir einem

kollektiven Entscheidungsprozess auferlegen?– Welche Entscheidungsprozesse verletzen diese

Axiome nicht?– Enttäuschende Antwort: Es gibt keinen

Entscheidungsprozess, der selbst schwache und ethisch wenig ehrgeizige Axiome erfüllt.

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen III

• Die Axiome von Arrow (1951)– Einstimmigkeit– Nicht-diktatorische Lösungen– Transitivität– Unbeschränkter Politikbereich– Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen IV

• Einstimmigkeit– Pareto Kriterium: Wenn eine individuelle

Wertvorstellung über gesellschaftliche Lösungen von keiner anderen gegenteiligen Wertvorstellung eines Individuums in Frage gestellt wird, dann wird diese Wertvorstellung in die gesellschaftliche Präferenzordnung aufgenommen.

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen V

• Nicht-diktatorische Lösung– Kein Individuum befindet sich in der Position,

seine Präferenzen gegenüber den anderen Mitgliedern der Gesellschaft durchzusetzen.

– Wenn ein Individuum seine Wertvorstellungen äußert und alle anderen Individuen sind gegenteiliger Ansicht, dann wird die Wertvorstellung des einen Individuums nicht in die gesellschaftliche Präferenzordnung aufgenommen.

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen VI

• Transitivität– Die soziale Wohlfahrtsfunktion bildet eine

konsistente Ordnung aller möglichen alternativen Gesellschaftszustände ab.

– Wenn Zustand a einem Zustand b und dieser einem Zustand c vorgezogen wird, dann wird auch a dem Zustand c vorgezogen.

– Wenn die Individuen in einer Gesellschaft zwischen a und b und zwischen b und c indifferent sind, dann sind sie auch zwischen a und c indifferent.

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen VII

• Unbeschränkter Politikbereich– Es existiert eine universale Alternative, so dass

für jeden paarweisen Vergleich von Alternativen durch alle Individuen, jede dieser möglichen Alternativen in einer individuellen Rangordnung enthalten ist.

– Man darf mit anderen Worten den Individuen nicht die Möglichkeit entziehen, auf eine (relevante) Alternative zurückzugreifen.

– Jede Politik muss gewählt werden können.

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Axiomatische soziale Wohlfahrtsfunktionen VIII

• Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen– Die individuelle Wahl zwischen zwei

Gesellschaftszuständen darf nur von diesen beiden Alternativen und nicht von anderen Alternativen abhängen.

– Vermeidung interpersoneller Nutzenvergleiche– Keine Information, die den kardinalen

Nutzenvergleich erlaubt, wird zugelassen.

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Arrows Unmöglichkeitstheorem I

• Beweis der Unmöglichkeit– Auf Basis der Axiome lässt sich mathematisch

zeigen, dass keine gesellschaftliche Alternative existiert, die alle fünf Axiome erfüllt (Mueller (2003; S. 582ff.)

• Arrow-Theorem– Wenn mindestens zwei Individuen beteiligt sind und

mindestens drei Alternativen in einer gesellschaftlichen Präferenzordnung erfasst werden müssen, dann ist jede gesellschaftliche Präferenzordnung, die die Axiome (i), (iii), (iv) und (v) gleichzeitig erfüllt, eine diktatorische Lösung,

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Arrows Unmöglichkeitstheorem II

• Beispiel aus Blankart – Drei Stimmbürger A, B und C stimmen über

die Häufigkeit der Müllabfuhr in einer Gemeinde ab.

– Es gibt drei Varianten: • Häufig: H = 2 mal wöchentlich• Mittel: M = 1 mal wöchentlich• Wenig: W = 1 mal alle 14 Tage.

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Arrows Unmöglichkeitstheorem III

• Beispiel aus Blankart– Die Stimmbürger A, B und C haben

unterschiedliche Präferenzen, die sich in unterschiedlichen Rangfolgen ausdrücken.

• A ist reinlich und präferiert H > M > W.• B ist mittelmäßig interessiert und will M > W > H.• C möchte möglichst wenig Müllabfuhr: W > H > M.

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Arrows Unmöglichkeitstheorem IV

• Beispiel aus Blankart– Lässt man über diese Alternativen paarweise

mit einfacher Mehrheit abstimmen, so ergibt sind ein Abstimmungszyklus (cycling).

• (1) H gegen M 2:1; H > M.• (2) M gegen W 2:1; M > W.• (3) W gegen H 2:1; W > H• damit: H > M > W > H.

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Arrows Unmöglichkeitstheorem V

Wähler A B C C*

Rangfolge

I H M W W

II M W H M

III W H M H

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Arrows Unmöglichkeitstheorem VI

• Beispiel aus Blankart

I

II

III

H M W

Abbildung 2: Zyklische Mehrheiten bei mehrgipfligenPräferenzen

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Arrows Unmöglichkeitstheorem VII

• Beispiel aus Blankart– In der Praxis wird das Arrow Paradox nicht

immer gleich sichtbar, da meist nur zweimal (im Beispiel) abgestimmt wird.

– Der letzte Konsistenz-Test auf Transitivität der gewählten Gesellschaftszustände wird nicht mehr durchgeführt.

– Dadurch resultiert ein scheinbar eindeutiges Ergebnis.

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Arrows Unmöglichkeitstheorem VIII

• Beispiel aus Blankart– Diese Eindeutigkeit hängt jedoch von der

Reihenfolge der Abstimmungen ab.• H gegen M und M gegen W: H > M > W.• M gegen W und W gegen H: M > W > H.• W gegen H und H gegen W: W > H > M.

– Je nachdem, welche Vorlage der Vorsitzende (agenda setter) zuerst abstimmen lässt, resultiert ein anderes Ergebnis.

– Der Zyklus wird erzeugt, wenn Präferenzen mehrgipflig sind.

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Das Medianwählertheorem I

• Eingipfligkeit der Präferenzen– Bei Präferenzverteilung C* statt C, d.h. W > M

> H statt W > H > M:• M gegen W: 2:1; M > W.• W gegen H: 2:1; W > H.• H gegen M: 2:1; M > W.• M > W > H, d.h. M > H.

– Es setzt sich der sog. Medianwähler bei der Abstimmung durch.

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Das Medianwählertheorem II

• Graphische Darstellung des Medianwählermodells

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W HC* B A

Abbildung 3: Das Medianwählermodell bei eindimension-alen Entscheidungen

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Das Medianwählertheorem III

• Das Medianwählermodell gilt unter folgenden Annahmen– Stimmbürger sind gleichzeitig Konsumenten

der öffentlichen Güter und Steuerzahler.– Alle Wahlberechtigten stimmen ab.– Der Kostenaufteilungsschlüssel zur

Finanzierung der öffentlichen Güter ist unabhängig vom konkreten Projekt festgelegt.

– Budgetdeckung ist vorgeschrieben.– Es wird über jede Vorlage separat abgestimmt.

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Das Medianwählertheorem IV

• Das Medianwählermodell gilt unter folgenden Annahmen– Die Präferenzordnungen sind eingipflig. Diese

Annahme bedeutet eine Einschränkung in den überhaupt zugelassenen Präferenzen.

– Angenommen wird ein Projekt nach der einfachen Mehrheitsregel.

– Koalitionen unter den Wählern werden aufgrund von Verhandlungskosten als unmöglich erachtet.

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Das Medianwählertheorem V

• Besonderheiten– Das Medianwählergleichgewicht ist im

allgemeinen kein Pareto-Optimum. – Stabile Mehrheiten ergeben sich auch

unter anderen Mehrheitsregeln (qualifiziertes Mehr).

– Die Ergebnisse des Medianwählermodells ergeben sich nur in der direkten Demokratie.

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Das Medianwählertheorem VI

• Bei Mehrgipfligkeit der Präferenzen gilt das Medianwählermodell nicht.– Mit zyklischen Mehrheiten ist um so eher zu

rechnen, je vielgestaltiger die Präferenz-ordnungen der Individuen sind.

– Zyklen können nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Präferenzordnungen völlig homogen sind.

– Schleicht sich ein Verteilungselement in den kollektiven Entscheidungsprozess ein, so sind Zyklen wahrscheinlich.

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Das Medianwählertheorem VII

• Warum so viel Stabilität?– Häufig fehlt der letzte Konsistenztest

paarweiser Abstimmungen in der Realität.– Agenda Setting– Prinzip der Einheit der Materie: Heterogene

Fragen dürfen nicht miteinander verknüpft werden.

– Struktur im politischen Prozess: In der Regel existieren direkte Demokratien nicht mehr.

• In repräsentativen Demokratien wird ein Geflecht von Entscheidungsstrukturen genutzt (‚checks and balances‘)

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Das Medianwählertheorem VIII

• Das Medianwählermodell in repräsentativen Demokratien– Anthony Downs (1957): Unter bestimmten

Bedingungen setzt sich der Medianwähler auch in repräsentativen Demokratien durch.

– Der Inhalt der Wahlprogramme lässt sich auf eine Dimension reduzieren. Die Wähler haben diesbezüglich eingipflige Präferenzen.

– Restriktion auf ein Zwei-Parteien-System– Politiker sind Stimmenmaximierer.

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Das Medianwählertheorem IX

• Das Medianwählermodell in repräsentativen Demokratien– Die Wähler entscheiden sich für die Partei, die

ihren Präferenzen am nächsten liegt.– Die Wähler und die Politiker sind vollständig

informiert.– Wahlen finden permanent statt (permanente

Wiederwahlrestriktion).– Die Wahlbeteiligung beträgt 100 %.

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Das Medianwählertheorem X

• Das Medianwählermodell bei mehrdimensionalen Entscheidungen

Abbildung 4: Das Medianwählermodell bei mehrdimen-sionalen Entscheidungen

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Das Medianwählertheorem XI

• Das Medianwählermodell bei mehrdimensionalen Entscheidungen– Zwei politische Fragen: x1 und x2 (Schulen und

Krankenhäuser).– Fünf Wählergruppen mit Nutzenfunktionen Ui,

die durch Indifferenzkreise abgebildet sind. – Der Punkt in der Mitte jedes Kreises repräsen-

tiert den Idealpunkt jeder Wählergruppe (‚blisspoints‘): Bezeichnung mit Ziffern.

– Auf den Geraden zwischen den Punkten lassen sich Kontraktkurven bilden.

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Das Medianwählertheorem XII

• Das Medianwählermodell bei mehrdimensionalen Entscheidungen– Alle Punkte außerhalb des durch

Kontraktkurven gebildeten Vielecks sind Pareto-inferior.

– Das Pareto-Set befindet sich innerhalb des Vielecks.

– Punkt P als status quo.– Bei einer Präferenzverteilung wie in

Abbildung 4 kann der status quo aufgrund zyklischer Mehrheiten nicht verändert werden.

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Probabilistisches Wählerverhalten I

• Bisher: Pessimistische Sicht in der politischen Ökonomie– Mehrheitsentscheidungen sind inhärent

instabil.– „Political economy is a dismal science.“

(Thomas Carlyle).– Optimistischerer Standpunkt findet sich in der

Theorie des probabilistischenWählerverhaltens.

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Probabilistisches Wählerverhalten II

• Deterministisches Wählermodell ist unrealistisch– Nutzenunterschiede politischer Programme

sind nur ungenau bekannt.– Wähler kennen die Inhalte der

Parteiprogramme nur unvollständig.– Parteien kennen den Wählerwillen nur

unvollständig.– Parteien richten sich daher an der Wahrschein-

lichkeit des Stimmengewinns in Wahlen aus.

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Probabilistisches Wählerverhalten III

• Das Modell– Der Generalsekretär der Partei 1, Herr Heil,

maximiert über alle Wähler i die Summe der Wahrscheinlichkeiten π1i, dass die Wähler für die SPD stimmen.

– Herr Pofalla von der CDU maximiert die Wahrscheinlichkeit π2i.

– Beide verfolgen eine Strategie der erwarteten Wählerstimmenmaximierung.

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Probabilistisches Wählerverhalten IV• Das Modell

– Die Wahrscheinlichkeiten erklären sich aus den Reaktionen der Wähler auf Nutzenunterschiede in den Wahlprogrammen.

– Graphisch ergeben sich anstelle von Nutzengebirgen Wahrscheinlichkeitsgebirge, deren oberster Punkt erreicht wird, wenn eine Partei gerade den Idealpunkt des Wählers einnimmt.

– Der Wettbewerb drängt die Parteien zur Verwirklichung der Wählerpräferenzen.

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Probabilistisches Wählerverhalten V• Das Modell

– Im Gleichgewicht bieten beide Parteien das gleiche Wahlprogramm an.

– Es entscheidet aber nicht mehr notwendigerweise der Medianwähler.

– Die Parteien gleichen den Grenznutzen der Wähler gewichtet mit ihren politischen Reaktionen aus.

• Größere Reaktionen rufen stärkere Veränderungen auf Seiten der Parteien hervor.

• Präferenzintensitäten werden berücksichtigt.

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Probabilistisches Wählerverhalten VI• Das Modell

– Sind die marginalen Reaktionen gleich, so entspricht die Lösung im Modell probabilistischen Wahlverhaltens derjenigen einer Bentham‘schen Wohlfahrtsfunktion.

– Die neoklassische Welt ist wieder in Ordnung.

• Problem– Annahme konkaver Wahrscheinlichkeitsfunk-

tionen (Kirchgässner, 2000).– Bewegt sich eine Partei weg vom Optimum

verliert sie viel und gewinnt wenig.

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Probabilistisches Wählerverhalten VII• Problem

– Vernünftig, wenn die Wählerpräferenzen nicht zu weit auseinander liegen.

• Bsp.: allgemeine Fragen wie in der Steuerpolitik.

– Liegen die Wählerpräferenzen weit auseinan-der (Minderheitenprobleme, moralisch be-frachtete Entscheidungen), oder werden sie von Abgeordneten mit klaren Instruktionen vertreten, so resultiert erneut Instabilität.

– Annahme konkaver W‘keitsfunktionenentspricht damit einer Restriktion der zugelassenen Präferenzen (wie bei Arrow).

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Zusammenfassung I

• Ausgangspunkt der politischen Ökonomie ist die Diskussion um soziale Wohlfahrtsfunktionen

• Arrow zeigt, dass sich individuelle Präferenzen nicht widerspruchsfrei unter allgemeinen Bedingungen aggregieren lassen.

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Zusammenfassung II

• Die Rolle der Medianwählermodells– zyklische Mehrheiten ergeben sich bei

mehrgipfligen Präferenzen und mehrdimensionalen Entscheidungen.

– Nur anwendbar in direkten Demokratien.– Aber: Why so much stability?

• Probabilistisches Wählerverhalten– Arbeiten mit einem ‚Trick‘, um Stabilität zu

erhalten.– Präferenzrestriktion wie bei Arrow.

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Literatur

Literatur

– Arrow, K. J. (1951), Social Choice and Individual Values, New York: John Wiley and Sons, rev. ed.

– Bergson, A. (1938), “A Reformulation of Certain Aspects of WelfareEconomics,“ Quarterly Journal of Economics 52, pp. 314-44.

– Downs, A. (1967), An Economic Theory of Democracy, New York: Harper and Row.

– Kirchgässner, G. (2000), “Probabilistic Voting and Equilibrium: An Impossibility Result,“ Public Choice 103 (1-2), pp. 35-48.

– Mueller, D.C. (2003), Public Choice III, Cambridge University Press, Cambridge.

– Nash, J. F. (1950), “The Bargaining Problem,” Econometrica 18, pp. 155-62.– Samuelson, P. A. (1947), Foundations of Economic Analysis, Cambridge:

Harvard University Press.