Neues zu Diagnostik und Behandlung der Demenz · Symptome der Demenz • Verstärkte...

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Neues zu Diagnostik und Behandlung der Demenz Ralf Ihl Alexianer Demenzforschungszentrum Krefeld © Ihl, 2015 Klinik für Gerontopsychiatrie und psychotherapie, Alexianer Krefeld GmbH Im Klinikreport des Focus 2015 seit 6 Jahren unter den besten Kliniken in Deutschland für Menschen mit Alzheimerkrankheit Jahrestagung Alzheimergesellschaft Düsseldorf und Kreis Mettmann Düsseldorf, 28. Februar 2015

Transcript of Neues zu Diagnostik und Behandlung der Demenz · Symptome der Demenz • Verstärkte...

Neues zu Diagnostik und Behandlung

der Demenz

Ralf Ihl

Alexianer Demenzforschungszentrum Krefeld

© Ihl, 2015Klinik für Gerontopsychiatrie und –psychotherapie, Alexianer Krefeld GmbH

Im Klinikreport des Focus 2015 seit 6 Jahren unter den besten Kliniken in Deutschland für

Menschen mit Alzheimerkrankheit

Jahrestagung Alzheimergesellschaft Düsseldorf und Kreis Mettmann

Düsseldorf, 28. Februar 2015

Krankheitszeichen

© Ihl, 2015

Symptome der Demenz

• Verstärkte Vergesslichkeit

• Orientierungsstörungen

• Sprachstörungen

• Gefühlsstörungen

• Wahnvorstellungen

• Erhaltene Fassade

• Weitere Symptome:

Motorische Unruhe, Umherlaufen, Halluzinationen, Unsicherheit,

Interesselosigkeit, Fehlende Organisation von Körperpflege und

Kleidung, Blasen- und Darmentleerungsstörungen,

Persönlichkeitsveränderungen

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Steckbrief Demenz

70 Prozent Alzheimer, 20 Prozent Gefäße, Rest diverse andere

Mit 65 Jahren einer von 100, mit 80 einer von 5, mit 90 jeder dritte

Durchschnittliche Dauer 6-8 Jahre

Heilung und Krankheitsstopp bis heute unmöglich

Medikamente „verzögern“ den Verlauf um bis zu 3 Jahre

Beginn ca. 30-40 Jahre vorher

Risikosenkung möglich!

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Demenzen diagnostizieren

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Aktuelle Definition kognitiver Störungenunter Berücksichtigung des DSM V

6

SCD: Subjektive Kognitive Störung1 SCD-I working group

1. Klagen über oder Hinweise auf

eine kognitive Störung?Keine kognitive Störung

2. Objektivierbare Klagen?

-

3. Unabhängigkeit beeinträchtigt?

NCD: Neurokognitive Störungmajore Form

NCD: Neurokognitive Störungminore Form

-

+

+

+

-

© Ihl 2015

1Jessen et al., A conceptual framework for research on

subjective cognitive decline in preclinical Alzheimer's disease.

Alzheimers Dement. 2014 Nov;10(6):844-52.

GDS 12

GDS 22

GDS 32

GDS 4-72

2Reisberg B, Ferris SH, de Leon MJ, Crook T (1988) Global Deterioration Scale

(GDS). Psychopharmacol Bull 24: 661-663

Ursache?

-

Risiko

erhöhend

+

Risiko

senkend

+

Einflussfaktoren kognitiver Störungen

Therapie

(+)

Ursächlich

-

Vorbeugend

-

Behandelnd

(+)

Psychosozial

(+)

Medikamente

(+)

© Ihl 2015

© Ihl, 2015

Medikamentös behandeln

(+)

Welt-Leitlinie Demenz der

Föderation der Gesellschaften für Biologische Psychiatrie WFSBP

Ihl et al. 2011, 2015

Kein Antidementivum heilt oder stoppt die AD

Lediglich für die symptomatische Besserung sprechen hinreichende

Daten (Evidenz level B, Empfehlungsgrad 3

Donepezil, Galantamin, Memantin, Ginkgo biloba Extrakt

und Rivastigmin ermöglichen

einen moderaten Effekt

für eine begrenzte Zeit

bei einem Teil der behandelten Menschen

Keine der Substanzen hat die Überlegenheit über eine der

anderen bisher hinreichend belegen können.

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N=828, D nach 12 Monaten = 1,86, SD 0,67, p<0.006, Canevelli et al., 2014

Donepezil und eine Kombination mit Ginkgo biloba Extrakt im VergleichICTUS-Studie, Canevelli et al., 2014

Welt-Leitlinie Demenzder Föderation der Gesellschaften für Biologische Psychiatrie

Ihl et al. 2015

Behandlung der NPS

• 1. „Ursachenbeseitigung“

• 2. Psychologische Intervention

• 3. wenn alles nicht hilft: Medikamente

• Die Datenlage reicht für medikamentöse Empfehlungen nicht

aus.

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Medikation und ihre Folgen:

Negative „Behandlungskaskaden“

• AChI Inkontinenz anticholinerges MedikamentGill et al., 2008 Int J Urol, Sakakibara et al., 2009, Arch Int Med

• AChI Synkope, Bradykardie HüftfrakturGill et al., 2009 PLos Med, Park-Wyllie et al., PLoS 2010

• Neuroleptika Sturz Schenkelhalsbruch Pneumonie

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Stürze als Multimorbiditätsfolge

Prävention

• Medikationsreduktion

• Training

• Physiotherapie

• Katarakttherapie

• Vitamin D Gabe

Tinetti and Kumar, 2003, Cameron et al., 2010, Cochrane Reviews

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Psychosozial behandeln

(+)

GRUNDLEGENDE

VERHALTENSWEISEN

• Versuchen Sie, die Ursachen des auffälligen Verhaltens herauszufinden.

• Vermeiden Sie Schuldzuweisungen: die Alzheimerkrankheit ist für die Auffälligkeiten verantwortlich.

• Versuchen Sie, einfühlsam zu reagieren. Aggression und Unverständnis verstärken die Auffälligkeiten.

• Fördern Sie alle noch vorhandenen Fähigkeiten. Helfen Sie mit beim Beginn von Tätigkeiten und lassen Sie sie alleine zu Ende führen.

• Nutzen Sie die Schwächen des Patienten zu beider Vorteil.

• Zeigen Sie Humor in lustigen Situationen, die Krankheit ist hart genug.

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Durchschnittliche Kosten Heimversorgung pro Jahr

Beispiel Pflegestufe 2

Quelle Statistisches Bundesamt 2013: Pflegestatistik 2011 und

Pflegereport 2012 Barmer GEK

Euro pro Jahr

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Eigenanteil Heimversorgung pro Jahr

Beispiel Pflegestufe 2

Quelle Statistisches Bundesamt 2013: Pflegestatistik 2011 und

Pflegereport 2012 Barmer GEK

Euro pro Jahr

Versorgung organisieren

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Koord

ination

Vers

org

ung

Menschen in ihrer Wohnung und Pflegende

Aufbau und Anpassung

individueller

Versorgungsstrukturen

Beratung in rechtlichen,

finanziellen

u. a. Angelegenheiten

MST

Medico-Soziales

Team

Ansprechpartner

auf Station

Begleitender unabhängiger Koordinator (BUK)

Demenz-

koordinator

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Hausarzt Institutionen u.a.Krankenhaus

Bedarf

Ansprechpartner

Gesundheits-

check

Unzureichende

Unterstützung

Unfall oder

Krankheit

Koordination

Qualitätsmanagement,

Strukturentwicklung und

Öffentlichkeitsarbeit

Hilfen

Risiko erhöhende Faktoren

+

Genetische Belastung (derzeit für weniger als 1 Prozent verantwortlich)

Amyloidbelastung

Körperliche Krankheiten wie Herz- und Kreislauferkrankungen

Diabetes etc.

Risiko senkende Faktoren ignorieren

Einflüsse von außen wie Gifte und Stress

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Risiken senken

+

Risikosenkung

Körperlich

Aktivität

Senkt das

Demenzrisiko

unabhängig

von der Art Geistig

und nur ohne

Stressz. B. auch ein

Spaziergang

z. B.

Zeitungslesen,

Theaterbesuch,

Spiele

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Risiko senken

Körperliche Aktivität

http://www.fda.gov/ohrms/dockets/dockets/06q0458/06q-0458-sup0001-02.pdf

DI MI DO FR SA SOMO

An den meisten Tagen der Woche

Minuten

30

60

90

Minimum

Übergewicht halten

Gewichtsreduktion

Über die übliche

Bewegung hinaus

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Risikosenkung

Schlaf

Bild: Ralf Ihl © Ihl, 2015

<60 min mindert Risiko

>60 min erhöht Risiko

(Asada et al., 2000)

Erholsamer Schlaf beugt vor, weil er hilft

Amyloid abzubauen und die Abwehr stärkt.

Nach körperlichem Training ist der Schlaf

erholsamer.

(Landry und Liu-Ambrose, 2014)

Ernährung

Bilder: Ralf Ihl

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Risikosenkung mit Substanzen

• Trinkjoghurt Souvenaid

• 20-Jahres Studie zu Ginkgo Biloba EGb761 in der Risikosenkung fand bei 3612 Teilnehmern die EGb761, Piracetam oder keines von beiden benutzten, dass Egb 761 nicht aber Piracetam das Risiko senkten, einen Abbau der Hirnleistung zu erleiden (Hélène Amieva et al. PLOSone 2013 8:1)

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Getränke

Level Getränk

1 Wasser

2 Milch mit niedrigem Fettanteil (1%) und zuckerfreie Sojagetränke

3 Kaffee und Tee ohne Zucker

4 Kalorienfreie Getränke mit Zuckerersatz

5 Getränke mit hohem Kalorieanteil und begrenzten Gesundheitsorteilen

(Fruchtsäfte, Vollmilch, Limonaden mit Zucker und Honig; alkoholische und

Sportgetränke),

6 Getränke mit hohem Zuckeranteil und niedrigem Nährwert (Soft drinks und

andere Getränke mit erheblichem Zuckerzusatz wie Fruchtsäfte, mit

Geschmacksstoffen angereichertes Wasser, Kaffee oder Tee)

Level 1 entspricht dem optimalen Getränk, Level 6 dem schlechtesten.

Rivera JA, Muñoz-Hernández O, Rosas-Peralta M, Aguilar-Salinas CA, Popkin BM,Willett

WC; Comité de Expertos para las Recomendaciones. Beverage consumption for a healthy

life: recommendations for the Mexican population] Salud Publica Mex. 2008 50:341-4

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Grüner Tee

Bei Mäusen: Die Plaquebelastung war im Cingulus, Hippocampus, und im entorhinalen Kortex auf

54%, 43%, und 51% reduziert Sarkosyl-lösliche phosphorylierte tau-Isoformen wurden unterdrücktRezai-Zadeh K et al. 2008

Höherer Konsum von grünem Tee ist beim Menschen mit einer geringeren Prävalenz für kognitive

Störungen assoziiert.N=1003, Selbstauskunftsfragebogen, Kuriyama S et al., 2006

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Grüner Tee täglich reduziert das Risiko auf ein Viertel,

Schwarzer Tee oder Kaffee hingegen nichtNoguchi-Shinohara et al., 2014

Getränke: Alkohol

zwei Glas Wein senken das Risiko

Wenig Alkohol!

Mehr Wein, Hochprozentiges und Bier erhöhen das Risiko

pro Woche

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W3-Fettsäuren

1

Epidemiologie

Canadian study on Health and aging und

Rotterdam study: Keine Effekte

Meta-analysen HinweiseBeispiele: Fotuhi M, Mohassel P, Yaffe K. Fish consumption, long-chain omega-3 fatty acids and risk of

cognitive decline or Alzheimer disease: a complex association. Nat Clin Pract Neurol. 2009 5(3):140-52.

Issa AM, Mojica WA, Morton SC, Traina S, Newberry SJ, Hilton LG, Garland RH,Maclean CH. The

efficacy of omega-3 fatty acids on cognitive function in aging and dementia: a systematic review. Dement

Geriatr Cogn Disord. 2006;21(2):88-96.

Studien HinweiseBeispiele: Morris MC, Evans DA, Tangney CC, Bienias JL, Wilson RSFish consumption and cognitive

decline with age in a large community study. Arch Neurol. 2005 62(12):1849-53 Morris MC, Evans DA,

Tangney CC, Bienias JL, Wilson RSFish consumption and cognitive decline with age in a large

community study. Arch Neurol. 2005 Dec;62(12):1849-53

Bild: Ralf Ihl

© Ihl, 2015

Vitamine und Obst

Vitaminzufuhr könnte vorbeugen, wenn Risiken beachtet werden

Devore EE, Grodstein F, van Rooij FJ, Hofman A, Stampfer MJ, Witteman JC, Breteler MM

Dietary antioxidants and long-term risk of dementia. Arch Neurol. 2010 Jul;67(7):819-25

Solfrizzi V, Frisardi V, Seripa D, Logroscino G, Imbimbo BP, D'Onofrio G, Addante F, Sancarlo D, Cascavilla L, Pilotto A, Panza F.

Mediterranean diet in predementia and dementia syndromes Curr Alzheimer Res. 2011 Aug;8(5):520-42.

Obst (z. B. Ananas und Erdbeeren)

und Gemüse beugen vor

Bild: proDente e. V:

Bild: proDente e. V:

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Antioxidativa

Beispiel: Walnuss

Walnüsse beinhalten einen hohen Antioxidativa-Anteil

ICAD 2010: Abha Chauhan, New York, berichtete von geringerem

Alzheimerrisiko und erhöhter kognitiver Leistung bei Mäusen mit einer

Diät, die auf den Menschen bezogen etwa 30 g Walnüsse am Tag

beinhaltete.

Foto: Roland

Nonnenmacher

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Übersichtsarbeit: Poulose et al., 2014

• Kalorienreduktion

Vorbeugung: Gewicht

Foto: aboutpixel.de/Yarik

Gustafson, 2008, Flöel, 2010

↑ Hilft vor Beginn

der Krankheit

↓ Schadet nach Beginn der Krankheit

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• Bei „genauerer Untersuchung“ stellte man fest, dass

die Raucher verstorben waren,

Rauchen

Anfangs dachte man: „Rauchen beugt vor“,

denn es gab weniger Raucher unter den Alzheimerkranken

Nichtrauchen beugt vor!

„Negative Vorbeugung!“

bevor sie Alzheimer bekommen konnten.

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Rauchen und Alzheimer

Passivrauchen

N=2692, Mitrauchen zuhause primäres Kriterium

Ergebnis: Risiko an Alzheimer zu erkranken verdoppelt

Rauchen und cerebrale Atrophie

(Chen, Alzheimer´s & Dementia 2012 8:590)

Durazzo et al., Alzheimer´s & Dementia 2012 8:513

N=186, 2-Jahre follow-up MRI-Untersuchung

Raucher zeigten im Vergleich zu Nichtrauchern eine

Atrophie insbesondere in von Alzheimer typischerweise

betroffenen Arealen

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Insulin Nasenspray

• Craft et al., 2012

• Insulinspray in die Nase verbessert das Gedächtnis und

andere Funktionen des Gehirns

• Verschiedene Studien stützen die Hypothese

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Hilft Zähneputzen?

2355 Teilnehmer mit 60 und mehr Jahren Extremgruppenvergleich:

hohe und niedrige Besiedlung der Zunge mit dem Bakterium Porphyromonas gingivalis.

Signifikant schlechtere Werte bei hoher Belastung

- beim verzögerten Erinnern (OR 3.0)

und

- bei serieller Subtraktion (OR 2.0).

Bestätigte sich auch nach Berücksichtigung einer sozialen Stratifizierung.

Bilder: proDente e. V:

© Ihl, 2015

Mehr Bakterien im Mund gehen mit schlechteren kognitiven Leistungen einher.

Gertrude H Sergievsky Noble JM, Borrell LN, Papapanou PN, Elkind MS, Scarmeas N, Wright [email protected] Center, Columbia University Medical Center, New York, NY, USA. Periodontitis is associated with cognitive impairment among older adults: analysis of NHANES III. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2009 Nov;80(11):1206-11. Epub 2009 May 5.

© Ihl 2015

Menschen mit Serumantikörpern gegen Mundbakterien haben ein

höheres Risiko, an einer Demenz zu erkranken

Sparks Stein P, Steffen MJ, Smith C, Jicha G, Ebersole JL, Abner E, Dawson D 3rd.

Serum antibodies to periodontal pathogens are a risk factor for Alzheimer's

Disease. Alzheimers Dement. 2012 May;8(3):196-203. doi: 10.1016/j.jalz.2011.04.006

Lipopolysaccharide von Porphyromonas gingivalis fanden sich bei der

Untersuchung in 4 von 10 Gehirnen von Menschen mit Demenz nicht aber bei 10

Kontrollgehirnen

Poole S, Singhrao SK, Kesavalu L, Curtis MA, Crean SJ. Determining the Presence of Periodontopathic

Virulence Factors in Short-Term Postmortem Alzheimer's Disease Brain Tissue. Journal of Alzheimer's

Disease, 2013, DOI: 10.3233/JAD-121918.

Bilder: proDente e. V.

Hilft Zähneputzen?

Viren, Bakterien, Prione und selbst Pilze stehen im Verdacht, eine Entzündung

Auszulösen, die Demenzen auslösen können.Pathogenic microbes, the microbiome, and Alzheimer’s disease (AD)James M. Hill, Christian Clement,

[...], and Walter J. Lukiw Front Aging Neurosci. 2014 6:127

• Hakanson et al., 2009

• Verheiratete haben nur ein

Drittel des Demenzrisikos

gegenüber Alleinstehenden

Vorbeugung

Heiraten

© Ihl 2015

Anteil von Menschen mit 5 oder mehr Erkrankungen bei 58 bis 63-jährigen

17%

7%

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Alterssurvey 2010, DZA

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Bild: Ralf Ihl