Neuregelung des Länderfinanzausgleichs · 2016. 5. 14. · 54. Jahrgang – ifo Schnelldienst...

4
54. Jahrgang – ifo Schnelldienst 2/2001 Ein flexibles Tarifmodell für den Länderfinanzausgleich Der Länderfinanzausgleich ist ein kom- plexes System der Umverteilung der Fi- nanzkraft unter den Ländern. Der Aus- gleich durchläuft mehrere Stufen, die sich teils ergänzen, teils auch widersprechen. Insgesamt führt er zu einer weitreichen- den Nivellierung der Finanzausstattung verbunden mit übermäßigen Grenzbelas- tungen der Länderhaushalte. Diese De- fekte des heutigen Systems gehen auf ver- schiedene Elemente zurück. Bei den fi- nanzschwachen Ländern basieren die hohen Grenzbelastungen auf dem Um- satzsteuer-Vorwegausgleich und den Fehl- betrags-Bundesergänzungszuweisungen, bei den finanzstarken Ländern dagegen auf dem progressiven Umverteilungstarif, der im horizontalen Länderfinanzausgleich angewandt wird. Alle genannten Instru- mente dienen jedoch allein dem Abbau der Finanzkraftdifferenzen zwischen den Bundesländern und müssen daher im Ver- bund gesehen werden. Übermäßige Nivellierung und hohe Grenzbelastungen Der Umsatzsteuer-Vorwegausgleich soll die Finanzkraft finanzschwacher Länder bereits vor dem horizontalen Länderfi- nanzausgleich im engeren Sinne auf 92% des Länderdurchschnitts anheben. Die Ausgleichszahlungen unter den Ländern reduzieren sodann die Finanzkraftdiffe- renzen nach Maßgabe des Ausgleichsta- rifs. Auf dieser Stufe erreichen alle Län- der mindestens 95% der durchschnittli- chen Finanzkraft. Die über dem Durch- schnitt liegende Finanzkraft der Zahler- länder wird dabei mit bis zu 80% zur Finan- zierung der Ausgleichszahlungen heran- gezogen. Schließlich sorgen die Fehlbe- trags-Bundesergänzungszuweisungen für eine nahezu vollständige Angleichung der Finanzausstattung. Die ursprünglich fi- nanzschwachen Länder verfügen nach Finanzausgleich – bezogen auf die ge- wichteten Einwohner – über mindestens 99,5% der durchschnittlichen Pro-Kopf- Finanzkraft. Den Anforderungen an ein rationales Aus- gleichsverfahren genügt dieses System nicht. Zwar dient der Länderfinanzaus- gleich primär distributiven Zielen. Er soll jedem Land eine Mindestfinanzkraft ga- rantieren und darüber hinaus eine be- grenzte Annäherung der relativen Finanz- kraftpositionen der Länder herbeiführen. Bei der Verfolgung dieser Ziele ist aber auf die Anreizkompatibilität zu achten. Zahler und Empfänger dürfen das Interesse an der Stärkung ihrer eigenen Wirtschafts- und Finanzkraft nicht verlieren. Dies impli- ziert den Verzicht auf eine überzogene Nivellierung. Insbesondere dürfen die mit einer Steigerung der Steuerkraft einher- gehenden Mehreinnahmen nicht vollstän- dig durch geringere Zuweisungen oder höhere Zahlungen aufgezehrt werden. Genau dies ist aber im heutigen System der Fall. Bei den Empfängerländern führen höhere Lohnsteuereinnahmen sogar zu Verlusten für die Landeskasse. Die Zah- lerländer verzeichnen zwar gewisse Mehr- einnahmen, ihre Abschöpfungsquoten lie- gen aber mit rund 90% in der Spitze extrem hoch. Derartige Grenzbelastungen unterminieren das Bemühen der Länder um eine wachstums- und beschäfti- gungsorientierte Standortpolitik. Gerade die finanzschwachen Länder befinden 3 Neuregelung des Länderfinanzausgleiches Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dauert das Ringen um einen neu- en Finanzausgleich an. Die Geberländer beklagen eine »Übernivellierung« und dadurch eine zu starke Abschöpfung der Steuerkraft der finanzstarken Länder: »Das derzeitige Aus- gleichssystem biete keine Anreize, die Wirtschaftskraft zu stärken und die Einnahmequellen auszuschöpfen.« Ist eine grundlegende Neukonzeption des Länderfinanzausgleichs bei der anstehenden Reform zu erwarten? Wolfgang Scherf* * Prof. Dr. Wolfgang Scherf ist Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre II (Öffentliche Finanzen) an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Transcript of Neuregelung des Länderfinanzausgleichs · 2016. 5. 14. · 54. Jahrgang – ifo Schnelldienst...

Page 1: Neuregelung des Länderfinanzausgleichs · 2016. 5. 14. · 54. Jahrgang – ifo Schnelldienst 2/2001 Ein flexibles Tarifmodell für den Länderfinanzausgleich Der Länderfinanzausgleich

54. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 2/2001

Ein flexibles Tarifmodell fürden Länderfinanzausgleich

Der Länderfinanzausgleich ist ein kom-plexes System der Umverteilung der Fi-nanzkraft unter den Ländern. Der Aus-gleich durchläuft mehrere Stufen, die sichteils ergänzen, teils auch widersprechen.Insgesamt führt er zu einer weitreichen-den Nivellierung der Finanzausstattungverbunden mit übermäßigen Grenzbelas-tungen der Länderhaushalte. Diese De-fekte des heutigen Systems gehen auf ver-schiedene Elemente zurück. Bei den fi-nanzschwachen Ländern basieren diehohen Grenzbelastungen auf dem Um-satzsteuer-Vorwegausgleich und den Fehl-betrags-Bundesergänzungszuweisungen,bei den finanzstarken Ländern dagegenauf dem progressiven Umverteilungstarif,der im horizontalen Länderfinanzausgleichangewandt wird. Alle genannten Instru-mente dienen jedoch allein dem Abbauder Finanzkraftdifferenzen zwischen denBundesländern und müssen daher im Ver-bund gesehen werden.

Übermäßige Nivellierung undhohe Grenzbelastungen

Der Umsatzsteuer-Vorwegausgleich solldie Finanzkraft finanzschwacher Länderbereits vor dem horizontalen Länderfi-nanzausgleich im engeren Sinne auf 92%des Länderdurchschnitts anheben. DieAusgleichszahlungen unter den Ländernreduzieren sodann die Finanzkraftdiffe-renzen nach Maßgabe des Ausgleichsta-rifs. Auf dieser Stufe erreichen alle Län-der mindestens 95% der durchschnittli-chen Finanzkraft. Die über dem Durch-schnitt liegende Finanzkraft der Zahler-länder wird dabei mit bis zu 80% zur Finan-zierung der Ausgleichszahlungen heran-

gezogen. Schließlich sorgen die Fehlbe-trags-Bundesergänzungszuweisungen füreine nahezu vollständige Angleichung derFinanzausstattung. Die ursprünglich fi-nanzschwachen Länder verfügen nachFinanzausgleich – bezogen auf die ge-wichteten Einwohner – über mindestens99,5% der durchschnittlichen Pro-Kopf-Finanzkraft.

Den Anforderungen an ein rationales Aus-gleichsverfahren genügt dieses Systemnicht. Zwar dient der Länderfinanzaus-gleich primär distributiven Zielen. Er solljedem Land eine Mindestfinanzkraft ga-rantieren und darüber hinaus eine be-grenzte Annäherung der relativen Finanz-kraftpositionen der Länder herbeiführen.Bei der Verfolgung dieser Ziele ist aber aufdie Anreizkompatibilität zu achten. Zahlerund Empfänger dürfen das Interesse ander Stärkung ihrer eigenen Wirtschafts-und Finanzkraft nicht verlieren. Dies impli-ziert den Verzicht auf eine überzogeneNivellierung. Insbesondere dürfen die miteiner Steigerung der Steuerkraft einher-gehenden Mehreinnahmen nicht vollstän-dig durch geringere Zuweisungen oderhöhere Zahlungen aufgezehrt werden.

Genau dies ist aber im heutigen Systemder Fall. Bei den Empfängerländern führenhöhere Lohnsteuereinnahmen sogar zuVerlusten für die Landeskasse. Die Zah-lerländer verzeichnen zwar gewisse Mehr-einnahmen, ihre Abschöpfungsquoten lie-gen aber mit rund 90% in der Spitzeextrem hoch. Derartige Grenzbelastungenunterminieren das Bemühen der Länderum eine wachstums- und beschäfti-gungsorientierte Standortpolitik. Geradedie finanzschwachen Länder befinden

3

Neuregelung des Länderfinanzausgleiches

Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dauert das Ringen um einen neu-

en Finanzausgleich an. Die Geberländer beklagen eine »Übernivellierung« und dadurch eine

zu starke Abschöpfung der Steuerkraft der finanzstarken Länder: »Das derzeitige Aus-

gleichssystem biete keine Anreize, die Wirtschaftskraft zu stärken und die Einnahmequellen

auszuschöpfen.« Ist eine grundlegende Neukonzeption des Länderfinanzausgleichs bei der

anstehenden Reform zu erwarten?

Wolfgang Scherf*

* Prof. Dr. Wolfgang Scherf ist Inhaber der Professurfür Volkswirtschaftslehre II (Öffentliche Finanzen) ander Justus-Liebig-Universität Gießen.

Page 2: Neuregelung des Länderfinanzausgleichs · 2016. 5. 14. · 54. Jahrgang – ifo Schnelldienst 2/2001 Ein flexibles Tarifmodell für den Länderfinanzausgleich Der Länderfinanzausgleich

Zur Diskussion gestellt

i fo Schne l ld ienst 2/2001 – 54. Jahrgang

sich in einer Armutsfalle, denn ihre Anstrengungen zur Ver-besserung der Wirtschafts- und Finanzkraft zahlen sich der-zeit zumindest finanziell nicht aus.

Kompromiss zwischen Effizienz und Verteilung

Ein reformierter Länderfinanzausgleich muss einen tragfähigenKompromiss zwischen ökonomischer Effizienz und Umvertei-lung herstellen. Die für das heutige System charakteristischeÜberbetonung der distributiven Ziele steht einer solchen Lösungentgegen. Die allokativen Grenzen der Umverteilung werdenbislang zu wenig gesehen und berücksichtigt. Die folgendenÜberlegungen sollen zeigen, dass die weitgehend anerkann-te Forderung nach einer angemessenen (aber nicht gleichen)Finanzausstattung der Länder mit einer effizienzsteigerndenReform des Ausgleichsverfahrens durchaus vereinbar ist.

Den Kern einer Neuordnung bildet die Einführung eines ein-fachen linearen Ausgleichstarifs. Dessen Vorteile liegen dar-in, dass Zuweisungen und Beiträge nach derselben Regelbestimmt werden, die Ausgleichs- und Abschöpfungsquo-ten stets übereinstimmen und die Einhaltung der Finanz-kraftreihenfolge der Länder automatisch gesichert ist. Derlineare Tarif dient primär der deutlichen Verringerung derGrenzbelastungen der Länder. Eine reduzierte Nivellie-rungsintensität des horizontalen Länderfinanzausgleichs führtallerdings nicht weiter, wenn die positiven Wirkungen durchentgegengesetzte Effekte an anderer Stelle neutralisiert wer-den. Daher setzt der Wechsel zu einem linearen Ausgleichs-tarif zwingend die Abschaffung der Fehlbetrags-Bundeser-gänzungszuweisungen voraus. Die entsprechenden Mittelsollte der Bund den Ländern über einen höheren Anteil ander Umsatzsteuer zur Verfügung stellen.

Das allokative Ziel der Verbesserung der Leistungsanreizescheint darüber hinaus auch den Verzicht auf eine garan-tierte Mindestfinanzkraft und damit auf den Umsatzsteuer-Vorwegausgleich zu implizieren. Da die Finanzkraft nachFinanzausgleich in der Sockelzone nicht auf eine Verände-rung der Finanzkraft vor Finanzausgleich reagiert, führt einefixe Sockelgarantie zu einer marginal hohen Belastung derfinanzschwachen Länder. Tatsächlich ist dieser Konflikt zwi-schen allokativen und distributiven Ausgleichszielen schwerzu lösen. Leistungsanreize setzen voraus, dass ein Teil derMehreinnahmen im Landeshaushalt verbleibt. Wenn dieSockelgarantie dennoch greifen soll, können die fiskalischenAnreize nur oberhalb dieses Niveaus angesiedelt werden.

Elemente eines flexiblen Tarifmodells

Im Folgenden wird ein Modell vorgestellt, das die Vorzüge deseinfachen linearen Ausgleichstarifs mit dem Ziel der garantier-ten Mindestfinanzkraft auf anreizkompatible Weise zu ver-

knüpfen versucht. Der Vorschlag geht von einer Verteilung derUmsatzsteuer nach Einwohnern aus und platziert die Sockel-garantie im Ausgleichstarif. Sie wird über eine Flexibilisierungdes Ausgleichssatzes angesteuert. Für den Fall, dass mit demvorgegebenen normalen Ausgleichssatz die erwünschte Min-destfinanzkraft nicht erreicht werden kann, muss die Möglich-keit einer Anpassung nach oben bestehen. Mit Blick auf dienegativen Konsequenzen zu hoher Grenzbelastungen ist aberauch das Ausmaß der zulässigen Abschöpfung zu limitieren.

Das Modell enthält dementsprechend drei mögliche Aus-gleichssätze: (1) den Normalsatz, der anzuwenden ist, solan-ge dabei kein Land nach Finanzausgleich unterhalb derSockelgarantie liegt, (2) den Garantiesatz, der gerade genü-gen würde, um die Sockelgarantie für das relativ finanz-schwächste Empfängerland oder für eine kleine Gruppebesonders finanzschwacher Länder sicherzustellen, und (3)den unter Anreizgesichtspunkten gerade noch zumutbarenMaximalsatz, der die Obergrenze der Abschöpfung der Zah-lerländer markiert. Der effektive Ausgleichssatz wird in diesemModell also nicht generell vorgegeben, sondern gegebenen-falls – wie heute auch – erst im Finanzausgleich endgültig fixiert.

Der Normalsatz bringt zum Ausdruck, in welchem Maße eineAnnäherung der Finanzkraftpositionen der Länder oberhalbder Sockelgarantie erfolgen soll. Er wird häufig mit 50% bezif-fert; allerdings ohne zwingende Begründung dafür, dass aus-gerechnet dieses Niveau den Ausgleichszielen entspricht.Der Garantiesatz kann durchaus über dem Normalsatz lie-gen. Er wird zum einen durch die Sockelgarantie bestimmt,die im Folgenden nicht mit 99,5%, sondern mit immer nochsehr hohen 95% angesetzt wird. Zum anderen entscheidetdie relative Finanzkraft der finanzschwachen Länder überden Garantiesatz. Liegt diese vor horizontalem Länderfi-nanzausgleich etwa bei 75%, dann muss die Differenz zumDurchschnitt um 20 von 25 Prozentpunkten verringert wer-den, was einen Garantiesatz von 80% impliziert.

Der Garantiesatz kommt nur zur Anwendung, wenn er überdem Normalsatz liegt. Wie das obige Beispiel zeigt, kannder Garantiesatz den Normalsatz allerdings deutlich über-steigen. Wenn die Mindestfinanzkraft hoch angesetzt wirdund – daran gemessen – viele finanzschwache Länder exi-stieren, besteht die Gefahr, dass trotz linearem Tarif zu hoheGrenzbelastungen erreicht werden. Mit Blick auf die Anreiz-kompatibilität muss daher eine Sicherung gegen übermäßi-ge Belastungen der Länderhaushalte eingebaut werden. Die-se Aufgabe übernimmt der Maximalsatz, der die marginaleAbschöpfung limitiert.

Einführung einer Belastungsgrenze

Die Einführung einer Belastungsgrenze läuft auf die Flexibi-lisierung der garantierten Mindestfinanzkraft hinaus. Da der

4

Page 3: Neuregelung des Länderfinanzausgleichs · 2016. 5. 14. · 54. Jahrgang – ifo Schnelldienst 2/2001 Ein flexibles Tarifmodell für den Länderfinanzausgleich Der Länderfinanzausgleich

54. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 2/2001

Zur Diskussion gestellt

Garantiesatz aus allokativen Gründen nicht mehr angewandtwerden darf, wenn er über dem Maximalsatz liegt, wird dieSockelgarantie – ebenso wie der Normalsatz – zu einer Ziel-größe, die nicht unter allen Umständen eingehalten werdenkann. Von der angestrebten Sockelgarantie ist aber nur dannein Abschlag vorzunehmen, wenn die marginale Belastungder Zahler- und auch der Empfängerländer ansonsten einkritisches Niveau überschreitet.

Am Beispiel der Lohnsteuer lässt sich die Bedeutung desMaximalsatzes illustrieren. Derzeit erhalten die Länder 42,5%des Lohnsteueraufkommens. Berücksichtigt werden aberauch zur Hälfte die Steuereinnahmen der Gemeinden, denen15% des Lohnsteueraufkommens zufließen. Im Länderfi-nanzausgleich werden also 50% des Lohnsteueraufkom-mens als Länderfinanzkraft gewertet. Im Falle eines Anstiegsdes regionalen Lohnsteueraufkommens um 100 DM nimmtdie für den Ausgleich relevante Finanzkraft des Landes um50 DM zu. Bei einem Normalsatz von 50% müsste ein Zah-lerland demnach 25 DM zusätzlich in den horizontalen Län-derfinanzausgleich einzahlen, während ein Empfängerland25 DM weniger erhalten würde. Da dem jeweiligen Lan-deshaushalt tatsächlich aber nur 42,50 DM zufließen, beläuftsich die marginale Abschöpfungsquote nicht auf 50%, son-dern bereits im Normaltarif auf 58,8%.

Sollte der Normalsatz von 50% nicht ausreichen, um dieSockelgarantie von 95% zu gewährleisten, kommt derGarantiesatz ins Spiel. Dies geschieht im vorliegenden Bei-spiel, sobald die relative Pro-Kopf-Finanzkraft der finanz-schwachen Länder vor horizontalem Länderfinanzausgleich90% unterschreitet. Liegt die relative Finanzkraft etwa bei85%, so steigt der Garantiesatz auf 66,7%. Die für einen sol-chen Bedarfsfall vorgesehene Erhöhung der Ausgleichsin-tensität kann aber nicht beliebig fortgesetzt werden. Beläuftsich der erforderliche Garantiesatz, wie im obigen Beispiel,auf 80%, so würde ein Land nach einem effektiven Zuwachsvon 42,50 DM bei der Lohnsteuer im horizontalen Länder-finanzausgleich 40 DM wieder verlieren. Dies entsprächeeiner unter allokativen Gesichtspunkten kaum noch vertret-baren effektiven Abschöpfungsquote von 94,1%. Daher siehtdas Modell eine Obergrenze der Belastung vor. Wird diegerade noch als zumutbar angesehene Abschöpfungsquo-te zum Beispiel mit 80% angesetzt, dann darf der Maxi-malsatz 68% nicht überschreiten.

Ein finanzschwaches Land mit einer relativen Finanzkraft von75% vor horizontalem Länderfinanzausgleich erreicht beidiesem Ausgleichssatz allerdings nur noch 92% statt 95%der durchschnittlichen Länderfinanzkraft nach Finanzaus-gleich. Die unter Berücksichtigung der Belastungsobergrenzemaximal mögliche Sockelgarantie kann und muss folglichvon der angestrebten Sockelgarantie abweichen, solangeausgesprochen finanzschwache Länder existieren. Unterden gewählten Bedingungen liegt die Finanzkraft vor Finanz-

ausgleich, unterhalb der die angestrebte Sockelgarantie nichtmehr eingehalten werden kann, bei 84,4%.

Derzeit erreicht die relative Finanzkraft der finanzschwachenLänder allerdings nur knapp 60%, wenn die Umsatzsteuerausschließlich nach Einwohnern verteilt wird. Die mit demMaximalsatz von 68% erreichbare Sockelgarantie würdedaher bei nur 87,2% liegen. Wenn weniger als 92% als unzu-mutbar gelten, muss der Umsatzsteuer-Vorwegausgleichin reduziertem Umfang beibehalten werden, um die Finanz-kraft vor horizontalem Finanzausgleich nach dem flexiblenTarifmodell auf 75% des Länderdurchschnitts anzuheben.Freilich verharrt dann die Grenzbelastung der betroffenenLänder auf unverändert hohem Niveau. Um dem entge-genzuwirken, könnte man bei der Umsatzsteuerverteilungan den Fehlbeträgen eines mehrjährigen Referenzzeitrau-mes anknüpfen. Eine Steigerung der Steuerkraft eines extremfinanzschwachen Landes würde dann nicht mehr sofort,sondern mit zeitlicher Verzögerung zu einer Reduktion derUmsatzsteuerergänzungsanteile führen.

Funktionsweise des Ausgleichsmechanismus

Die Funktionsweise des Ausgleichsmechanismus kann ambesten ausgehend von einer Situation aufgezeigt werden,in der besonders finanzschwache Bundesländer den kriti-schen Wert noch nicht erreichen. Solange ihre Finanzkraftunter 75% liegt, erfolgt eine Aufstockung auf dieses Niveauüber den Umsatzsteuer-Vorwegausgleich und danach einAusgleich der verbleibenden Fehlbeträge mit dem Maxi-malsatz. Auf diese Weise werden nach Finanzausgleich min-destens 92% des Länderdurchschnitts erreicht.

Kommt es nun zu einer schrittweisen Verbesserung der re-lativen Finanzkraft der finanzschwachen Länder über die75%-Grenze hinaus, so entfällt der Umsatzsteuer-Vorweg-ausgleich. Dennoch steigt die Sockelgarantie schrittweisebis auf den Zielwert von 95%. Dies geschieht über den Aus-gleichssatz, der solange unverändert auf seinem maximalzulässigen Niveau bleibt, bis die relative Finanzkraft derfinanzschwachen Bundesländer 84,4% erreicht hat. Weite-re Verbesserungen werden dann zu einer allmählichenReduktion des Ausgleichssatzes bis auf 50% und der Grenz-belastungen bis auf 58,8% genutzt. Realisierbar sind dieseWerte, wenn es gelingt, die Finanzkraft der finanzschwa-chen Bundesländer auf 90% zu steigern.

Das vorgeschlagene Modell verbindet die Vorzüge eineslinearen Tarifs mit einer Mindestfinanzkraftgarantie, die sogestaltet ist, dass die finanzschwächeren Länder einen star-ken Anreiz zur Verbesserung ihrer Finanzkraftposition behal-ten. Die begrenzte Flexibilisierung des Ausgleichssatzes undder Garantiegrenze ermöglicht einen Kompromiss zwischenden allokativen und distributiven Zielen des Finanzausgleichs.

5

Page 4: Neuregelung des Länderfinanzausgleichs · 2016. 5. 14. · 54. Jahrgang – ifo Schnelldienst 2/2001 Ein flexibles Tarifmodell für den Länderfinanzausgleich Der Länderfinanzausgleich

Zur Diskussion gestellt

i fo Schne l ld ienst 2/2001 – 54. Jahrgang

Das Gewicht der beiden Ziele variiert mit den Finanzkraft-differenzen der Länder und passt sich somit den Erforder-nissen der jeweiligen Situation an.

Dies wird deutlich, wenn man das Tarifmodell auf die der-zeitigen Verhältnisse überträgt. Solange die neuen Ländermit einer ausgeprägten Finanzschwäche zu kämpfen haben,dominiert das Bemühen, eine Sockelgarantie zu realisieren,die möglichst nahe bei der auf Dauer gewünschten Zielgrößeliegt. Den ausgleichspflichtigen Ländern wird daher der unterAnreizaspekten gerade noch als vertretbar angesehene Aus-gleichssatz zugemutet. Im Zuge eines ökonomischen Auf-holprozesses der neuen Länder profitieren diese zunächstvon der schrittweise auf ihr Normalniveau steigenden Sockel-garantie. Weitere Fortschritte werden jedoch zur Verminde-rung der Grenzbelastungen genutzt, bis auch dort der Ziel-wert erreicht ist, der über den Normalsatz des linearen Aus-gleichstarifs festgelegt wird.

Das Modell zeichnet sich dadurch aus, dass dem Ziel einergarantierten Mindestfinanzkraft grundsätzlich Priorität vordem Ziel einer möglichst geringen, dem Normalsatzangenäherten Ausgleichsquote eingeräumt wird. Allerdingsist dabei die allokativ motivierte Obergrenze der margina-len Abschöpfung einzuhalten. Sobald die Sockelgarantieeiner Senkung der Nivellierungsintensität nicht mehr imWege steht, wird die Ausgleichsquote so schnell wie mög-lich auf den Normalsatz reduziert. Infolgedessen gewinnendie allokativen Kriterien des Finanzausgleichs mit der Ver-ringerung der Finanzkraftdifferenzen an Bedeutung. In eineroptimistischen Perspektive – bei erfolgreichem Aufholpro-zess in den ostdeutschen Ländern – bewegt sich dasSystem auf diese Weise automatisch in Richtung eines stär-ker allokativ orientierten Finanzausgleichs. Langfristig wäredieses Ziel trotz der Rücksichtnahme auf die besonderenAnpassungs- und Ausgleichserfordernisse in der Über-gangsphase erreichbar.

Unterschiede zu anderen Modellen

Seine Flexibilität unterscheidet das skizzierte Modell vonanderen Vorschlägen, die einen linearen Ausgleichstarif ohneSockelgarantie empfehlen. Um die Anpassungsproblemebei einem Systemwechsel zu entschärfen, ist vorgesehen,den Empfängerländern den Status quo in Form von Fest-beträgen zu garantieren, die in der Folgezeit schrittweiseabgebaut werden sollen. Der Vorteil einer solchen Lösungliegt darin, dass die Pauschaltransfers das Marginalkalkülder Länder nicht mehr beeinflussen, da ihre Höhe nicht vonder aktuellen Entwicklung der relativen Finanzkraft abhängt.Dies ist aber auch mit dem Problem verbunden, dass sichder Finanzausgleich mit der Zeit zu sehr von den tatsächli-chen Finanzkraftpositionen lösen und seine politische Akzep-tanz darunter leiden kann.

Der entscheidende Nachteil der einfachen linearen Tarifmo-delle besteht jedoch darin, dass sie keine Mindestfinanzkraftgarantieren können oder wollen. Die geplanten Pauschal-transfers in der Übergangsphase sind geeignet, diesen Punktzu verschleiern. Länder, die nach der Umstellung in Schwie-rigkeiten geraten, kommen bei einem rein linearen Aus-gleichstarif jedenfalls nicht mehr in den Genuss einer Sockel-garantie. Solange dieses Element aus verteilungspolitischenGründen als unverzichtbar angesehen wird, ist eine schritt-weise, flexible und auch auf Dauer tragfähige Tarifreform derbessere Weg. Das primäre Reformziel der Herabsetzung derGrenzbelastungen lässt sich damit erreichen, ohne zentra-le Prinzipien des Länderfinanzausgleichs aufzugeben.

Mit der Implementierung eines flexiblen Tarifmodells könnenallerdings nicht alle Defekte des Länderfinanzausgleichsbehoben werden. Neben der Lösung des Tarifproblems sindder Abbau von Sonderregelungen (Hafenlasten, Stadtstaa-tenprivileg) und die Einstellung der Bundesergänzungszu-weisungen mit Ausnahme der Aufbauhilfen für die neuenBundesländer wesentliche Punkte einer Neuordnung derFinanzverfassung. Sie wird nur gelingen, wenn sich die poli-tischen Entscheidungsträger nicht allein an kurzfristigen fis-kalischen Eigeninteressen orientieren, sondern erkennen,dass alle Beteiligten von einem anreiz- und wachstums-freundlicheren Länderfinanzausgleich auf Dauer profitieren.

Literatur

Scherf, W. (2000), Der Länderfinanzausgleich in Deutschland. Ungelöste Pro-bleme und Ansatzpunkte einer Reform, Frankfurt am Main.

6