Neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinal- Traktes ... · VIP (Vasoaktives intestinales...

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08/2016 ONKOLOGIE heute UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES 39 Neuroendokrine Neoplasien (NEN) des Verdauungstraktes stellen eine seltene und bezüglich ihrer Bio- logie, Klinik und Prognose heterogene Gruppe von Tumorerkrankungen dar. Dies stellt hohe Anforde- rungen an die Diagnostik und Therapie dieser an Inzidenz zunehmenden Tumoren und erschwert eine einheitliche Therapieempfehlung. Wichtigstes therapeutisches Prinzip ist die komplette chirurgische Tumorentfernung. Ist diese nicht möglich, erfolgt die Therapie in der Regel multimodal und multidis- ziplinär und orientiert sich an der vorliegenden Tumor-Entität, dem individuellen Spontanverlauf so- wie der klinischen Beschwerdensymptomatik des Patienten. Klassifikation und Prognose Gastro-entero-pankreatische Neu- roendokrine Neoplasien (GEP-NEN) sind seltene Tumoren mit einer Inzi- denz von etwa 5/100.000 Einwoh- nern bei einer geschätzten Präva- lenz von 35/100.000. Sie machen 5 % aller Neoplasien des Gastroin- testinaltrakts aus mit einem Häu- figkeitsgipfel zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr bei ausgegliche- nem Geschlechterverhältnis [1]. Über die letzten 30 Jahre lässt sich ein stetiger Anstieg der Inzidenz- zahlen beobachten, der wahr- scheinlich der besseren Diagnostik geschuldet ist. Neben dem Stadium der Erkrankung sind der Differen- zierungsgrad des Tumors, das Alter bei Diagnosestellung sowie die Pri- märtumorlokalisation wesentliche prognostische Faktoren. Auch wenn die Prognose der differen- zierten GEP-NET eher als günstig eingeschätzt wird, liegt die kumu- lative 5 Jahres-Überlebensrate nur zwischen 45 und 70 % [2]. Heute wird zwischen einer großen Anzahl morphologisch und biolo- gisch gut definierter Tumorentitä- ten unterschieden, so dass der im- mer noch oft verwendete Begriff des „Karzinoids“ bzw. des „Insel- zelltumors“ nicht mehr ausreicht, um diese heterogene Tumorgrup- pe zu klassifizieren. Aktuelle Grundlage für die Diagnostik und Therapie von GEP-NEN bildet die Klassifizierung nach WHO 2010 mit einem proliferationsbasierten Gra- ding und die lokalisationsbezoge- nen TNM-Klassifikation [3, 4]. Diese Informationen sind vor Therapiebe- ginn obligat zu fordern, da sie nicht nur eine Abschätzung der Prognose des Patienten ermöglichen sondern auch wesentlich für die Therapie- auswahl sind ( Abb. 1). Die WHO- Klassifikation aus dem Jahr 2010 impliziert, dass alle NEN potentiell Neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinal- Traktes: Diagnostik und interdisziplinäre Therapie Christian Fottner, Matthias M. Weber; Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, I. Medizinische Klinik und Poliklinik; Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ENETS center of excellence V.a. Neuroendokrine Neoplasie Mikroskopie Morphologie: vereinbar mit NEN Differenzierungsgrad: hochdifferenziert vs. gering differenziert Immunhistologische Diagnosesicherung Synaptophysin, Chromogranin A Proliferationsbasiertes Grading Makroskopie / Klinik TNM-Klassifikation Tumorgröße, Lymphknoten, Metastasen Organlokalisation, funktionelle Aktivität, hereditärer Hintergrund Klassifikation von NEN nach WHO 2010 Neuroendokriner Tumor (NET) • G1 • G2 (klein/großzelliges) neuroendokrines Karzinom (NEC) G3 Gemischtes Adeno-/neuroendokrines Karzinom Hyperplastische und präneoplastische Läsion Grad Ki-67 Index (%) Mitosen (10 HPF) G1 ≤2 <2 G2 3-20 2-20 G3 >20 >20 Abb. 1: Strukturiertes Vorgehen für die Diagnostik und Klassifikation von GEP-NEN

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UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES 39

Neuroendokrine Neoplasien (NEN) des Verdauungstraktes stellen eine seltene und bezüglich ihrer Bio-logie, Klinik und Prognose heterogene Gruppe von Tumorerkrankungen dar. Dies stellt hohe Anforde-rungen an die Diagnostik und Therapie dieser an Inzidenz zunehmenden Tumoren und erschwert eineeinheitliche Therapieempfehlung. Wichtigstes therapeutisches Prinzip ist die komplette chirurgischeTumorentfernung. Ist diese nicht möglich, erfolgt die Therapie in der Regel multimodal und multidis-ziplinär und orientiert sich an der vorliegenden Tumor-Entität, dem individuellen Spontanverlauf so-wie der klinischen Beschwerdensymptomatik des Patienten.

Klassifikation und Prognose

Gastro-entero-pankreatische Neu-roendokrine Neoplasien (GEP-NEN)sind seltene Tumoren mit einer Inzi-denz von etwa 5/100.000 Einwoh-nern bei einer geschätzten Präva-lenz von 35/100.000. Sie machen5 % aller Neoplasien des Gastroin-testinaltrakts aus mit einem Häu-figkeitsgipfel zwischen dem 50.und60.Lebensjahrbeiausgegliche-nem Geschlechterverhältnis [1].Über die letzten 30 Jahre lässt sichein stetiger Anstieg der Inzidenz-zahlen beobachten, der wahr-scheinlich der besseren Diagnostikgeschuldet ist. Neben dem Stadiumder Erkrankung sind der Differen-zierungsgrad des Tumors, das Alterbei Diagnosestellung sowie die Pri-märtumorlokalisation wesentlicheprognostische Faktoren. Auchwenn die Prognose der differen-zierten GEP-NET eher als günstigeingeschätzt wird, liegt die kumu-lative 5 Jahres-Überlebensrate nurzwischen 45 und 70 % [2].Heute wird zwischen einer großenAnzahl morphologisch und biolo-gisch gut definierter Tumorentitä-ten unterschieden, so dass der im-mer noch oft verwendete Begriffdes „Karzinoids“ bzw. des „Insel-zelltumors“ nicht mehr ausreicht,um diese heterogene Tumorgrup-pe zu klassifizieren. Aktuelle

Grundlage für die Diagnostik undTherapie von GEP-NEN bildet dieKlassifizierung nach WHO 2010 miteinem proliferationsbasierten Gra-ding und die lokalisationsbezoge-nen TNM-Klassifikation [3, 4]. DieseInformationen sind vor Therapiebe-

ginn obligat zu fordern, da sie nichtnur eine Abschätzung der Prognosedes Patienten ermöglichen sondernauch wesentlich für die Therapie-auswahl sind (� Abb. 1). Die WHO-Klassifikation aus dem Jahr 2010impliziert, dass alle NEN potentiell

Neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinal-Traktes: Diagnostik und interdisziplinäre TherapieChristian Fottner, Matthias M. Weber; Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen,I. Medizinische Klinik und Poliklinik; Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,ENETS center of excellence

V.a. Neuroendokrine NeoplasieMikroskopie

Morphologie: vereinbar mit NENDifferenzierungsgrad: hochdifferenziert vs. gering differenziert

Immunhistologische Diagnosesicherung Synaptophysin, Chromogranin A

Proliferationsbasiertes Grading

Makroskopie / KlinikTNM-Klassifikation

Tumorgröße, Lymphknoten, Metastasen

Organlokalisation, funktionelle Aktivität, hereditärer Hintergrund

Klassifikation von NEN nach WHO 2010Neuroendokriner Tumor (NET)

• G1• G2

(klein/großzelliges) neuroendokrines Karzinom (NEC)• G3

Gemischtes Adeno-/neuroendokrines KarzinomHyperplastische und präneoplastische Läsion

Grad Ki-67 Index (%) Mitosen (10 HPF)G1 ≤2 <2G2 3-20 2-20G3 >20 >20

Abb. 1: Strukturiertes Vorgehen für die Diagnostik und Klassifikation von GEP-NEN

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maligne sind und sich lediglich hin-sichtlich ihrer Wahrscheinlichkeitzu metastasieren unterscheiden.Unter dem Begriff des „Neuroen-dokrinen Tumors“ (NET) wird dieGruppe der gut bis mäßig differen-zierten Neuroendokrinen Neopl-asien zusammengefasst und an-hand des Proliferations-basiertenGradings weiter in G1 und G2 un-terteilt, während die niedrig diffe-renzierten, rasch proliferativen,klein- oder großzelligen (G3) Tu-more als Neuroendokrine Karzino-me (NEC) bezeichnet werden. Dieprognostische Relevanz des Gra-dings konnte in mehreren Studienbelegt werden und erlaubt eine gu-te Korrelation mit der mittlerenÜberlebensdauer.

Klinik und Diagnose

Das Beschwerdebild, das durchGEP-NEN verursacht wird, ist in ers-ter Linie abhängig vom primärenUrsprungsort des Tumors und derFunktionalität. Etwa 30 % aller

GEP-NEN sind hormonaktiv undkönnen, je nach freigesetztem Pep-tid-Hormon, ein spezifisches klini-sches Beschwerdebild verursachen.[5]. Eine Übersicht über die wich-tigsten Hormonsyndrome, ihre bio-chemische Diagnostik und medika-mentöseTherapiegibt � Tab.1.DieMehrzahl der GEP-NEN sind klinischhormoninaktiv und können durchmechanische Probleme oder Blu-tungen symptomatisch werden.Häufig wird die Diagnose als Zu-fallsbefund bei der Appendekto-mie, der Routine-Endoskopie oderim Rahmen des Nachweises von Le-bermetastasen gestellt. Da nur sel-ten eine spezifische Beschwerdes-ymptomatik vorliegt, werden GEP-NEN typischerweise erst in einembereits fortgeschrittenen Tumor-stadium diagnostiziert.Neben der biochemischen Diagnos-tik spezieller Hormonsyndromestellt das Chromogranin A (CgA)den wichtigsten neuroendokrinenTumormarker dar. Es besitzt für alle

GEP-NEN eine Sensitivität von 50 –90 % und eine Spezifität von 83 –99 % und korreliert mit dem klini-schen Tumorverlauf. Problematischist der Einsatz von CgA als Suchpa-rameter bei Verdacht auf das Vor-liegen eines GEP-NEN, da auch eineVielzahl anderer Faktoren wie dieEinnahme von Protonenpumpen-Inhibitoren, eine chronisch atrophi-sche Gastritis oder eine einge-schränkte Nierenfunktion zu er-höhten Spiegeln führen können.Chromogranin A sollte daher nurals Verlaufsparameter bei bekann-tem Vorliegen eines NET benutztwerden und nicht als initialer Such-parameter [5].Den höchsten diagnostischen Stel-lenwert für die Detektion der Pri-märlokalisation von GEP-NEN unddie Selektion geeigneter Patientenfür eine SSTR-basierte Peptid-Radiorezeptor-Therapie (PRRT) hatdie funktionelle bildgebende Dia-gnostik mittels Somatostatin-Re-zeptor (SSTR)-Szintigraphie oder –deutlich besser - PET (In111Octreo-tid-Szintigraphie bzw. 68GaDOTA-TOC-PET). Diese weist für gut diffe-renzierte GEP-NEN eine Sensitivitätvon mehr als 90 % auf. Vorausset-zung ist die Expression von SSTR aufder Zelloberfläche, die je nach Tu-morentität in 60 bis 95 % zu findenist [6]. Die Endosonographie spielteine wichtige Rolle für die Beurtei-lung von NET des Magens und Duo-denums, des Pankreas und des Rek-tums.

Therapie

Wichtigstes und einzig kurativestherapeutisches Prinzip ist die kom-plette chirurgische Tumorentfer-nung [7]. Auch bei nicht kurativoperablen Patienten kann es beilangsam wachsenden, gut (G1)oder mäßig (G2) differenziertenNET sinnvoll sein, palliative chirur-gische Maßnahmen durchzufüh-ren. Die optimale therapeutischeGesamtstrategie muss für jeden Pa-

Syndrom Leitsymptome HormonSymptomatischemed. Therapie

Häufig

InsulinomHyperinsulin.

nüchtern -hypoglykämie

Insulin

DiazoxidEverolimus

(bei metasta siertem Insulinom)

(SSA)Gastrinom

(Zollinger- Ellison-Syndrom)

Therapierefraktäre Ulcera, Diarrhoe

GastrinPPI (hochdosiert)

(SSA)

Karzinoid- Syndrom

Diarrhoe, Flush, abd. Schmerzen.

Bronchokonstriktion

Serotonin (Diagnostik: 5-Hydroxy-

Indolessig säure im 24-h-Sammel urin)

SSA INF

Serotoninantagonisten(Telotristat-Ethyl in klin. Studien)

LoperamidTinctura opii

Selten

VIPom (Werner Morrison-

Syndrom)

Wässrige Diarrhoe, Hypokaliämie, Achlorhydrie

VIP(Vasoaktives intestinales Polypeptid)

SSALoperamid

Tinctura opiiggfs. Kalium

GlukagonomDiabetes mellitus,

nekrolytisches migratorisches Erythem

GlukagonSSA

Insulin/ggfs. orale Antidiabetika

* SSA Somatostatin-Analoga, PPI Protonenpumpeninhibitoren, INF Interferon

Tab. 1: Klassifikation, Leitsymptome und symptomatische medikamentöse Therapie-optionen hormonaktiver GEP-NEN.

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tienten individuell im Rahmen ei-nes spezialisierten interdisziplinä-ren Tumorboards festgelegt wer-den. Nach Ausschöpfen der chirur-gischen Optionen spielt neben ei-nem möglichen antiproliferativenAnsatz die symptomatische Thera-pie mit Erhalt der Lebensqualitätdes Patienten eine wesentliche Rol-le. Die palliative Therapie sollte denindividuellen Spontanverlauf derTumorerkrankung, die Beschwer-den und die Wünsche des Patientenberücksichtigen. Prinzipiell kannzwischen einer symptomatischen(medikamentösen) Behandlungfunktionell aktiver neuroendokri-ner Tumoren und einer antiproli-ferativen Therapie unterschiedenwerden. Bei Vorliegen eines klini-schen Hormon-Syndroms bestehtdie Notwendigkeit für eine spezifi-sche medikamentöse Behandlung,da die Hormonsekretion in vielenFällen für den Patienten belasten-der sein kann, als der eigentlicheTumor. Aufgrund der sehr unter-schiedlichen Wachstumskinetikvon NEN mit teilweise längeren Pe-rioden des klinischen Wachstums-stillstandes, auch ohne spezifischeantiproliferative Therapie, solltedie IndikationzurTherapieeskalati-

on mit Ausnahme der Somatosta-tin-Analoga (SSA) in der Regel erstbei nachgewiesenem Tumorpro-gress oder entsprechender klini-scherBeschwerdesymptomatikundunter Abwägung des Nutzen/Ne-benwirkungsverhältnisses erfolgen(� Abb. 2).

Symptomatische medikamen-töse Therapie

Somatostatin-Analoga (SSA)Mehr als 85 % aller GEP-NEN expri-mieren den Somatostatin-Rezeptor(SSTR) Subtyp 2, an welchen die So-matostatin-Analoga (SSA) Octreo-tid und Lanreotid mit hoher Affini-tät binden. Während Octreotiddreimal täglich subkutan verab-reicht werden muss, erlaubt dieKomplexierung der SSA mit Mikro-sphären (Octreotid LAR, 20-30 mgi.m. alle 28 Tage) oder Polymeren(Lanreotid Autogel, 90-120 mg tiefs.c. alle 28 d) die Applikation in mo-natlichen Intervallen. Metaanaly-sen zeigen für beide SSA ein sehrgutes biochemisches und klinischesAnsprechen in bis zu 80 % [8]. Auf-grund ihrer guten antisekretori-schen Wirksamkeit und ihres güns-tigen Nebenwirkungsprofils geltenSSA als Therapeutika der 1. Wahl

zur Kontrolle eines Hormonsynd-roms. Die meisten Nebenwirkun-gen (Diarrhö, Bauchschmerzen,Obstipation, aufgeblähter Bauch,entfärbter Stuhl) treten zu Beginnder Therapie auf und bessern sichbei dauerhafter Anwendung.Interferon-α (INF) besitzt ebenfallseine antisekretorische Wirkung beiNET, kommt aber aufgrund desdeutlich schlechteren Nebenwir-kungsprofils nur als Therapieopti-on der 2. Wahl insbesondere beiSSTR negativen NET zum Einsatz[9]. Die � Tabelle 1 zeigt weitereMedikamente, die bei der Behand-lung spezifischer Hormonsyndro-me eingesetzt werden können.

Antiproliferative Therapie nichtkurativ behandelbar GEP-NEN

Aufgrund der Heterogenität derTumoren bezüglich ihres biologi-schen Verhaltens und der Prognosekönnen keine einheitlichen allge-meingültigen Therapieschematavorgegeben werden. Vergleichen-de Studien zu den verschiedenenTherapieoptionen existieren eben-so wenig wie Daten über die opti-male Therapiesequenz. Die Ent-scheidung für ein spezielles Thera-piekonzept muss daher individuellfestgelegt werden. Eine Orientie-rung für die Erstellung eines indivi-duellen Therapiekonzeptes gebendie 2016 neu publizierten Leitliniender Europäischen Neuroendokri-nen Tumorgesellschaft (ENETS)[10]. Bei der Auswahl der antiproli-ferativen Therapie muss neben derWirksamkeit auch die Verträglich-keit der Therapie berücksichtigtwerden, um für den Patienten einemöglichst gute Lebensqualität zuerhalten. Aggressive Therapiemaß-nahmen sind primär bei Patientenmit schnell wachsenden Tumorenoder bei Patienten, deren klinischeSymptome auf keine der üblichennebenwirkungsärmeren Behand-lungsoptionen ansprechen, indi-ziert. Den Versuch eines schemati-

Therapie neuroendokriner TumoreDie drei Säulen der Therapie

Erhalt der Lebensqualität

Symptomkontrolle

Kontrolle des TumorwachstumsVerlängerung der

Lebenserwartung

symptomatischeTherapie

chirurgischeTherapie

antiproliferativeTherapie

HeilungDebulking

Behandlung von Komplikationen

Therapie neuroendokriner Tumore

Die drei Säulen der Therapie

chirurgischeTherapie

Heilung

Debulking

Behandlung von Komplikationen

symptomatischeTherapie

Erhalt der Lebensqualität

Symptomkontrolle

antiproliferative Therapie

Kontrolle des Tumorwachstums

Verlängerung der Lebenserwartung

Abb. 2 : Therapieprinzipien bei Gastro-entero-pankreatischen NEN

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schen Therapiealgorithmus nichtoperabler, metastasierter GEP-NENstellt � Abb. 3 dar.

MedikamentöseTherapieoptionen

Somatostatin-Analoga (SSA)In der prospektiven, randomisier-ten Placebo-kontrollierten PRO-MID-Studie konnte bei Patientenmit metastasierten, hoch differen-ziertenNETG1desDünndarmserst-mals ein signifikanter antiprolifera-tiver Effekt von Octreotid gezeigtwerden, mit einer Verlängerungdes progressionsfreien Überlebens(PFS) von 5,9 unter Placebo auf 15,6Monate unter Octreotid LAR 30mgalle 28 Tage i.m. bei gleichzeitigsehr guter Verträglichkeit [11]. Dieantiproliferative Wirksamkeit von

SSA wurde dann eindrücklich durchdie CLARINET-Studie bestätigt [12],einer prospektiven, randomisier-ten, Placebo-kontrollierten PhaseIII Studie, zur Wirkung von Lanreo-tid Autogel 120mg alle 28d s.c. beiPatienten mit nicht-funktionellen,gut bis mäßig differenzierten GEP-NET G1/2 (Ki-67 Index bis 10 %). DieTherapie mit Lanreotid führte zu ei-ner signifikanten Reduktion des Ri-sikos für einen Krankheitsprogressum mehr als 50 % (p=0.0002, HR0,47 [95% CI: 0,30 – 0,73]) mit einersignifikanten Verlängerung desmedianen PFS von 18 Monaten un-ter Placebo auf über 30 Monate,wenn man die offene Extensions-studiemiteinbezieht,dadasmedia-ne PFS innerhalb der randomisier-ten Studie unter Lanreotid noch

nicht erreicht war. Dabei war derantiproliferativeEffektvonLanreo-tid unabhängig von der hepati-schen Tumorlast, dem Proliferati-onsstatus sowie der Lokalisationauch bei pankreatischen NET nach-weisbar. Aufgrund ihrer nachge-wiesenen antiproliferativen Wir-kung und ihrer guten Verträglich-keit kann die Therapie mit lang-wirksamen SSA daher auch bei hor-moninaktiven gut differenziertenund langsam wachsenden GEP-NETals antiproliferative Therapieopti-on der 1. Wahl angesehen werden.

ChemotherapieHoch differenzierte und in der Re-gel langsam wachsende GEP-NETsind im Allgemeinen weitgehendChemotherapie-resistent. Ausnah-

Gut differenziert gering differenziert NEC G3 NET G1 / G2

Hormonaktiv Dünndarm Pankreas langsames Wachstum

Somatostatinanaloga + ggfs. spezifische antisymptomatische Therapie (INF, PPI, Telotristat etc.)

schnelles Wachstum, hohe Tumorlast

Platin-basierte Chemotherapie

Progress

Everolimus(DD / Lunge) Stabilisation,

geringere Tumorlast

PRRT OR nötig,

dissem ininierter Befall,

hoher SSTR- Upt ake

lokal ablative Therapie

STZ + 5FU TEM CAP

OR nötig, disseminierter

Befall, rascher Progress,

höherer Ki-67-Index

EverolimusSunitinib Stabilisation,

geringere Tumorlast dominanter

Leberbefall Progress

Progress Progress

Studien, experimentelle Therapien !?

Abb. 3 : Schematischer Therapiealgorithmus nicht operabler, metastasierter GEP-NEN,(DD = intestinale NET; OR = objective response; SSTR = Somatostatin-Rezeptor).

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men hiervon sind pankreatischeNET sowie die gering differenzier-ten, hochproliferativen NEC G3. Sozeigen pankreatische NET ein ob-jektives Therapieansprechen auf ei-ne Kombinationschemotherapiemit Streptozotocin, (Doxorubicin)und 5-FU in etwa 40 % und eineStabilisierung der Erkrankung in et-wa 50 % [13]. Die Dauer des An-sprechens liegt bei etwa 9 Mona-ten, das PFS nach 2 Jahren bei ca.40 % und das Gesamtüberleben bei75 %. Insgesamt ist diese Therapierelativ gut verträglich und stelltlaut ENETS guidelines die Therapie-option der 1. Wahl bei progredien-ten NET G1/G2 des Pankreas mit ho-her Tumorlast oder klinischer Sym-ptomatik dar. Alternativ wird Te-mozolomid, ein methylierendes Zy-tostatikum der 4. Generation, inKombination mit Capecitabin mitvielversprechenden Ergebnissenzur Therapie pankreatischer NETeingesetzt. Niedrig differenziertehoch proliferative NEC G3 sprechenin der Regel gut auf eine Platin-ba-sierte Chemotherapie an, mit einerORR von etwa 40 %, aber einemmeist nur kurzen PFS von knapp 9Monaten und einer schlechte Pro-gnose mit einer 2 Jahres-Überle-bensrate von ca. 20 %. Die potenti-ell schwerwiegenden Nebenwir-kungen einer Platin-basierten Poly-chemotherapie vor allem in Bezugauf ihre Hämato- und Nephrotoxi-zität erfordern eine optimale sup-portive Therapie.

Molekular zielgerichtete TherapieIn einer prospektiven, randomisier-ten, doppel-blinden Placebo-kon-trollierten Zulassungsstudie an 177Patienten mit pankreatischen NETund dokumentiertem Progress in-nerhalb von 12 Monaten, konnteunter Sunitinib (37,5 mg/d p.o.) ei-ne Verlängerung des PFS von 5,5auf 11,4 Monate gezeigt werden(HR 0,418). Das objektive Thera-pieansprechen nach RECIST lag un-

ter Sunitinib bei 9,3 % vs. 0 % unterPlacebo [14]. Eine Verlängerungdes PFS konnte dabei in allen Sub-gruppen nachgewiesen werden,unabhängig von Proliferationsin-dex, der hormonellen Aktivitätoder einer Vorbehandlung mit SSAoder Chemotherapie. In der pro-spektiven, randomisierten, doppel-blinden Placebo-kontrollierten Zu-lassungsstudie (RADIANT-3) an 410Patienten mit pankreatischen NETund dokumentiertem Progress in-nerhalb von 12 Monaten zeigte sichunter der Gabe von 10 mg Everoli-mus täglich eine Verlängerung desmedianen PFS von 4,6 auf 11,0 Mo-nate (HR=0,35;p<0,0001)unabhän-gig vom Proliferationsindex, derhormonellen Aktivität oder einerVorbehandlung mit SSA oder Che-motherapie. Auch hier lag die ORRbei lediglich 4,8 % [15].In einer weiteren prospektiven,randomisierten, doppel-blindenPlacebo-kontrollierten Phase-IIIStudie (RADIANT-4) konnte erst-mals auch bei fortgeschrittenen,progredienten, nicht funktionellenNET der Lunge und des Intestinalt-rakts sowie bei NET mit unklaremPrimarius ein antiproliferativer Ef-fekt von Everolimus (10 mg/d p.o.)belegt werden [16]. Dabei wurdean > 300 Patienten gezeigt, dassEverolimus im Vergleich zu Placebodas mediane PFS signifikant von 3,9auf11Monate (HR0,48,p<0;00001)verlängert.Eine signifikante Verlängerung desGesamtüberlebens (OS) konnte bis-her in keiner der Studien mit mole-kular zielgerichteten Therapienoder SSA gezeigt werden.

Lokoregionäre ablativeTherapieverfahren

Die lokal ablative Therapie spieltbei den bevorzugt in die Leber me-tastasierenden NET eine wichtigeRolle. Bei einzelnen kleineren Le-bermetastasen ist eine Thermoab-lation (Radiofrequenzablation, La-

serablation) möglich. Bei multiplenLebermetastasen bietet sich dietransarterielle Embolisation (TAE)der oft stark hypervaskularisiertenLebermetastasen an. Neben der al-leinigen Verwendung von Mikro-sphären zur Gefäßembolisationkann diese zusätzlich mit einer lo-kalen Gabe eines Chemotherapeu-tikums kombiniert werden (TACE).Die verfügbaren Daten zeigen fürbeide Verfahren vergleichbare Er-gebnisse mit einem radiologischenAnsprechen von 53 bzw. 56 % fürdie TACE bzw. TAE. Die Remissions-raten liegen bei bis zu 80 % mit ei-nem medianen OS nach Embolisati-on von 70 Monaten und einer Über-lebensrate von 40 – 65 % nach 5Jahren, weshalb lokal ablative Ver-fahren bei progredienten gut diffe-renzierten NET mit dominanter Le-bermetastasierung als Therapieop-tion der 1. Wahl in Erwägung gezo-gen werden sollten [17]. Alternativkann die selektive interne Radio-therapie (SIRT) mit 90Yttrium mar-kierten Mikrosphären eingesetztwerden. Die hierzu publiziertenDaten an kleineren Patientenkol-lektiven zeigen ähnliche Anspre-chraten ohne jedoch eine Überle-genheit gegenüber der TA(C)E zei-gen zu können.

Peptidradiorezeptor-Therapie(PRRT)

Durch die stabile Markierung vonSomatostatinanaloga mit Radionu-kliden wie 90Yttrium oder 177Lute-tium ist der Einsatz dieser Radio-peptide im Sinne einer systemischwirksamen PRRT möglich. Bisherveröffentlichte Metaanalysen unddie Daten dreier größerer Patien-tenkollektive aus den aktivsten eu-ropäischen Zentren zeigen eineORR von 6 – 33 % (im Mittel 31 %),wobei komplette Remissionen sehrselten beobachtet werden. Meistkann durch die Therapie eine Stabi-lisierung des Tumorwachstums er-reicht werden (44 – 88 %, im Mittel

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Priv.Doz. Dr. med.Christian Fottner,Mainz

52 %), während ein Fortschreitender Erkrankung in 12 – 24 % (imMittel 17 %) beobachtet wird [18].Im letzten Jahr wurden erstmalsDaten der NETTER-1 Studie vorge-stellt. In dieser multinationalen,prospektiven, randomisierten Pa-rallelgruppen-Studie waren 229 Pa-tienten mit gut differenzierten NETdes Dünndarms und Tumor-Progr-esses unter Octreotid LAR (30 mg/4Wochen) entweder mit 4 ZyklenPRRT (je 7,4 GBq Lu-DOTATATE)oder einer verdoppelten Dosis vonOctreotid LAR (60 mg /4 Wochen)behandelt worden. In der PRRT-Gruppe erhielten 76 % der Patien-ten alle vorgesehenen 4 Zyklen, ei-ne dosislimitierende Toxizität warlediglich bei 5 % der Patientennachweisbar. Das mediane PFS warin der PRRT Gruppe bisher nochnicht erreicht und betrug in derKontrollgruppe 8,4 Monate (HR0,24, p<0,0001). Die ORR betrug inder PRRT-Gruppe 18 % im Ver-gleich zu 3 % in der Hochdosis Oct-reotid-Gruppe (p=0,0008). Die Inte-rim-Auswertung des Gesamtüber-lebens zeigte 13 Todesfälle in derPRRT-Gruppe und 22 Todesfälle inder Kontrollgruppe (p=0,019). Dieswar zwar nicht signifikant, lässt je-doch für die weitere Nachbeobach-tungs-Periode eine signifikanteVerbesserung des Gesamtüberle-bens in der PRRT Gruppe erwarten.Wichtigste Grad 3-4 Nebenwirkun-gen im PRRT-Arm waren: Neutro-penie, Thrombozytopenie undLymphopenie (1 %, 2 % und 9 %),die im Kontroll-Arm nicht nach-weisbar waren [19].Voraussetzung für die PRRT ist einehohe SSTR-Dichte. Die Patientenmüssen eine normale Nierenfunkti-on und eine ausreichende Kno-chenmarkreserve aufweisen, dasich als hauptsächliche Nebenwir-kungen vor allem beim Einsatz von90Yttrium eine radiogene Kno-chenmark- sowie Nierenschädi-gung zeigen kann. Aufgrund der

geringeren Strahlungsaktivität undReichweite finden sich renale Ne-benwirkungen bei Verwendungvon 177Lutetium als Radionuklidseltener. Hier wird allerdings einediskret erhöhte Rate von lympho-proliferativen Erkrankungen undmyelodysplastischen Syndromenals Spätfolgen beobachtet. Signifi-kante Unterschiede bezüglich derWirksamkeit lassen sich mit den bis-lang veröffentlichen Daten nichtbelegen. Der optimale Zeitpunktdieser Therapieform im therapeuti-schen Algorithmus von GEP-NEN istebenfallsnichtgeklärt.Hiermüssendie Ergebnisse der Langzeit-Nach-beobachtung der NETTER-1 Studieabgewartet werden.

Radiotherapie

Daten zur radioonkologischen The-rapie von GEP-NEN liegen nicht vor.Eine sinnvolle Indikation zur Radio-therapie kann bei symptomati-schen Metastasen zur lokalen Kon-trolle des Tumorwachstums gege-ben sein, insbesondere bei Kno-chen- oder Hirnmetastasen. Ziel isthier die Verbesserung der Lebens-qualität und die Symptomkontrol-le, was häufig durch die Bestrah-lung als nützliche Ergänzung ande-rer Therapieverfahren gelingt.

Fazit

• GEP-NEN stellen eine selteneund in Bezug auf ihr biologischesVerhalten und die Prognose hete-rogene Gruppe von Tumorerkran-kungen dar.• Grundlage für Diagnostik undTherapie bildet die Klassifizierungnach WHO 2010, das proliferations-basierte Grading und die lokalisati-onsbezogene TNM-Klassifikation• Das klinische Beschwerdebild istmeist unspezifisch und abhängigvom primären Ursprungsort des Tu-mors und der Funktionalität .• Chromogranin A ist der wich-tigste Tumormarker bei GEP-NEN.

• Die funktionelle Diagnostik mit-tels Somatostatin-Rezeptor–Szinti-graphie/PET spielt eine entschei-dende Rolle bei der bildgebendenDiagnostik.• Aufgrund der Heterogenitätvon GEP-NET kann keine einheitli-che Therapieempfehlung vorgege-ben werden. Wichtigste therapeu-tische Prinzipien sind die komplettechirurgischeTumorentfernungundbei metastasierten Tumoren dieTherapie mit SSA.• Bei weiterem Progreß muss dasTherapiekonzept individuell undmultidisziplinär festgelegt werdenund sich an der vorliegenden Tu-mor-Entität, dem individuellenSpontanverlauf und der Beschwer-densymptomatik (Quality of Life)orientieren.

Literatur: www.onkologie-heute.info

Interessenkonflikte:CF: Vortragshonorare/Kongressreisekos-ten-Unterstützung durch die Firmen No-vartis Oncology GmbH, Ipsen PharmaGmbH, Pfizer Oncology.MMW: Vortragshonorare/Kongressreise-kosten-Unterstützung durch Novartis On-cology GmbH, Ipsen Pharma GmbH, PfizerOncology und Forschungsförderung durchNovartis und Ipsen.

Korrespondenzadresse:Priv.Doz. Dr. med. Christian FottnerSchwerpunkt Endokrinologie und Stoff-wechselerkrankungenI. Medizinische Klinik und PoliklinikUniversitätsmedizin MainzLangenbeckstrasse 155101 MainzTel.: 06131/17-7260Fax.: 06131/[email protected]