Neurointensiv

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Ischämischer Schlaganfall (Hirninfarkt)- Nutzen der Thrombolyse Erst im Jahr 2011 wurde die Zulassung von rt-PA (Alteplase) für die systemische intravenöse Thrombolyse beim ischämi- schen Schlaganfall vom 3-Stun- den-Zeitfenster auf ein 4,5-Stun- den-Zeitfenster erweitert. Den- noch stellt sich im Alltag oft die Frage nach der Ausweitung des Zeitfensters auf bis zu 6 Stunden und es bestehen Ausschlusskri- terien in der Zulassung für Grenzsituationen wie beispiels- weise „Alter über 80 Jahre“, deren Plausibilität fraglich ist und auch durch die Studien bis- lang nicht explizit adressiert wa- ren. Die 2012 vorgelegte IST-3- Studie schloss 3.035 Patienten ein. Bei zwei Dritteln der Lyse- Patienten waren bereits mehr als drei und bei einem Drittel mehr als 4,5 Stunden vergangen und 53% der Patienten waren bereits über 80 Jahre alt. Beim primären Studienendpunkt „Überleben in Selbstständigkeit“ nach 6 Mo- naten (Oxford Handicap Score OHS 0–2) waren mit 37% in der rt-PA-Gruppe und 35% in der Kontrollgruppe keine signifikan- ten Unterschiede festzustellen, allerdings war das funktionelle Ergebnis in der Thrombolyse- gruppe etwas besser (245 vs. 215 ohne bleibende Behinderung = OHS 0–1). In der Subgruppen- Analyse zeigte sich, dass die Aus- sicht auf ein gutes Outcome am besten war, wenn während des 3-Stunden-Zeitfensters lysiert wurde. In einer Folgepublikation wurden die Ergebnisse der Thrombolyse nach 18 Monaten analysiert. Die Sterblichkeit in der Alteplasegruppe unterschied sich mit 34,9% nicht von der- jenigen der Kontrollgruppe mit 35,1%. Allerdings wiesen signi- fikant mehr Patienten nach der Thrombolyse einen niedrigen Behinderungsgrad (OHS 0–2) auf, als in der Kontrollgrup- pe (35,0% vs. 31,4%), was einer adjustierten OR von 1,28 (1,03– 1,57; p=0,024) entspricht. Intrazerebrale Blutung (ICB) – Soll der Blutdruck drastisch oder moderat gesenkt werden? Bei einer ICB erscheint es auf den ersten Blick plausibel, den Patienten in der Akutphase auf einen möglichst niedrigen Blut- druck einzustellen. Andererseits wurden auch Bedenken geäu- ßert, dass dadurch vielleicht das Perifokalgewebe minderperfun- diert würde, was sich wiederum nachteilig auf die Ödementwi- cklung auswirken könnte. Nun wurde in der INTER- ACT-2-Studie an 2.839 Patienten mit spontaner ICB untersucht, inwieweit eine strenge intensive Blutdrucksenkung mit einem Ziel von < 140 mmHg innerhalb einer Stunde oder eine leitlinien- gemäße moderate Senkung auf <  180 mmHg mit Antihyper- tensiva nach Wahl des Arztes vorteilhaft wäre. 719 der 1382 intensiv Behandelten (52,0%) verglichen mit 785 der 1.412 kon- ventionell Behandelten (55,6%) zeigten den negativen Endpunkt Tod oder schwere Behinderung (mRS 3–6). Dies entsprach einer gerade nicht mehr signifikanten OR von 0,87 (0,75–1,01; P=0,06). Kommentar Damit zeigte die intensive Blut- drucksenkung einen deutlichen Trend zugunsten einer 13%-igen Verringerung eines schlechten Outcomes, wenngleich auch der Unterschied gerade nicht bzw. nur grenzwertig signifikant war. Immerhin hat die Studie gezeigt, dass eine drastische Blutdruck- senkung bei Hirnblutungen nicht schadet. Man darf also in der Praxis den Blutdruck zumin- dest unter Werte von 140– 160 mmHg senken – ohne Nach- teile befürchten zu müssen. Originalpublikation IST-3 collaborative group, Sander- cock P, Wardlaw JM, Lindley RI et al (2012) The benefits and harms of intravenous thrombolysis with re- combinant tissue plasminogen ac- tivator within 6 h of acute ischae- mic stroke (the third internatio- nal stroke trial IST-3): a randomised controlled trial. Lancet 379:2352- 2363 IST-3 collaborative group (2013) Effect of thrombolysis with alte- plase within 6 h of acute ischae- mic stroke on long-term outcomes (the third International Stroke Trial [IST-3]): 18-month follow-up of a randomised controlled trial. Lancet Neurol 12:768-776 Originalpublikation Anderson CS, Heeley E, Huang Y et al (2013) INTERACT2 Investiga- tors. Rapid blood-pressure lowe- ring in patients with acute intrace- rebral hemorrhage. N Engl J Med 368:2355-2365 Korrespondenzadresse Update Intensivmedizin · Neurointensiv 456 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 6 · 2013 Prof. Dr. Dipl. Psych. F. Erbguth Klinik für Neurologie Klinikum Nürnberg Breslauer Str. 201 90471 Nürnberg frank.erbguth@klinikum- nuernberg.de Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Intensivmedizin 2013 und entsprechen den Seminarunterlagen des 5. Intensiv Update 2013 der med update GmbH. Med Klin Intensivmed Notfmed 2013 · 108:456–457 DOI 10.1007/s00063-013-0270-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Redaktion: S. Kluge, Hamburg

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Page 1: Neurointensiv

Ischämischer Schlaganfall (Hirninfarkt)- Nutzen der Thrombolyse

Erst im Jahr 2011 wurde die Zulassung von rt-PA (Alteplase) für die systemische intravenöse Thrombolyse beim ischämi-schen Schlaganfall vom 3-Stun-den-Zeitfenster auf ein 4,5-Stun-

den-Zeitfenster erweitert. Den-noch stellt sich im Alltag oft die Frage nach der Ausweitung des Zeitfensters auf bis zu 6 Stunden und es bestehen Ausschlusskri-terien in der Zulassung für Grenzsituationen wie beispiels-weise „Alter über 80 Jahre“, deren Plausibilität fraglich ist und auch durch die Studien bis-lang nicht explizit adressiert wa-ren.

Die 2012 vorgelegte IST-3-Studie schloss 3.035 Patienten ein. Bei zwei Dritteln der Lyse-Patienten waren bereits mehr als drei und bei einem Drittel mehr als 4,5 Stunden vergangen und 53% der Patienten waren bereits über 80 Jahre alt. Beim primären Studienendpunkt „Überleben in Selbstständigkeit“ nach 6 Mo-naten (Oxford Handicap Score OHS 0–2) waren mit 37% in der rt-PA-Gruppe und 35% in der Kontrollgruppe keine signifikan-

ten Unterschiede festzustellen, allerdings war das funktionelle Ergebnis in der Thrombolyse-gruppe etwas besser (245 vs. 215 ohne bleibende Behinderung = OHS 0–1). In der Subgruppen-Analyse zeigte sich, dass die Aus-sicht auf ein gutes Outcome am besten war, wenn während des 3-Stunden-Zeitfensters lysiert wurde.

In einer Folgepublikation wurden die Ergebnisse der Thrombolyse nach 18 Monaten analysiert. Die Sterblichkeit in der Alteplasegruppe unterschied sich mit 34,9% nicht von der-jenigen der Kontrollgruppe mit 35,1%. Allerdings wiesen signi-fikant mehr Patienten nach der Thrombolyse einen niedrigen Behinderungsgrad (OHS 0–2) auf, als in der Kontrollgrup-pe (35,0% vs. 31,4%), was einer adjustierten OR von 1,28 (1,03–1,57; p=0,024) entspricht.

Intrazerebrale Blutung (ICB) – Soll der Blutdruck drastisch oder moderat gesenkt werden?

Bei einer ICB erscheint es auf den ersten Blick plausibel, den Patienten in der Akutphase auf einen möglichst niedrigen Blut-druck einzustellen. Andererseits wurden auch Bedenken geäu-

ßert, dass dadurch vielleicht das Perifokalgewebe minderperfun-diert würde, was sich wiederum nachteilig auf die Ödementwi-cklung auswirken könnte.

Nun wurde in der INTER-ACT-2-Studie an 2.839 Patienten mit spontaner ICB untersucht, inwieweit eine strenge intensive Blutdrucksenkung mit einem Ziel von < 140 mmHg innerhalb einer Stunde oder eine leitlinien-gemäße moderate Senkung auf <   180 mmHg mit Antihyper-tensiva nach Wahl des Arztes

vorteilhaft wäre. 719 der 1382 intensiv Behandelten (52,0%) verglichen mit 785 der 1.412 kon-ventionell Behandelten (55,6%) zeigten den negativen Endpunkt Tod oder schwere Behinderung (mRS 3–6). Dies entsprach einer gerade nicht mehr signifikanten OR von 0,87 (0,75–1,01; P=0,06).

KommentarDamit zeigte die intensive Blut-drucksenkung einen deutlichen Trend zugunsten einer 13%-igen Verringerung eines schlechten

Outcomes, wenngleich auch der Unterschied gerade nicht bzw. nur grenzwertig signifikant war. Immerhin hat die Studie gezeigt, dass eine drastische Blutdruck-senkung bei Hirnblutungen nicht schadet. Man darf also in der Praxis den Blutdruck zumin-dest unter Werte von 140–160 mmHg senken – ohne Nach-teile befürchten zu müssen.

Originalpublikation

IST-3 collaborative group, Sander-cock P, Wardlaw JM, Lindley RI et al (2012) The benefits and harms of intravenous thrombolysis with re-combinant tissue plasminogen ac-tivator within 6 h of acute ischae-mic stroke (the third internatio-nal stroke trial IST-3): a randomised controlled trial. Lancet 379:2352-2363

IST-3 collaborative group (2013) Effect of thrombolysis with alte-plase within 6 h of acute ischae-mic stroke on long-term outcomes (the third International Stroke Trial [IST-3]): 18-month follow-up of a randomised controlled trial. Lancet Neurol 12:768-776

Originalpublikation

Anderson CS, Heeley E, Huang Y et al (2013) INTERACT2 Investiga-tors. Rapid blood-pressure lowe-ring in patients with acute intrace-rebral hemorrhage. N Engl J Med 368:2355-2365

Korrespondenzadresse

Update Intensivmedizin · Neurointensiv

456 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 6 · 2013

Prof. Dr. Dipl. Psych. F. Erbguth Klinik für Neurologie Klinikum Nürnberg Breslauer Str. 201 90471 Nürnberg frank.erbguth@klinikum- nuernberg.de

Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Intensivmedizin 2013 und entsprechen den Seminarunterlagen des 5. Intensiv Update 2013 der med update GmbH.

Med Klin Intensivmed Notfmed 2013 · 108:456–457 DOI 10.1007/s00063-013-0270-y© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Redaktion: S. Kluge, Hamburg

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Hypoxische Enzephalopathie nach kardiopulmonaler Reanimation

Eine neuere Studie analysierte den prädiktiven Wert 1.) der neurologischen Untersuchung, 2.) des NSE-Werts und 3.) des Medianus-SEPs bei Patienten nach CPR unter Hypothermie. 391 Patienten wurden prospek-tiv multizentrisch untersucht mit Erhebung der Hirnstamm-ref lexe, Glasgow-Coma-Scale-Werte, NSE-Bestimmungen und SSEP-Untersuchung während der Hypothermie und nach der Wiedererwärmungsphase. Ins-gesamt starben 55% der Patienten während des Beobachtungszeit-raums. Dabei verlief die neurolo-gische Erholung der Überleben-den erstaunlich dynamisch. Ein großer Anteil der – nach einem Monat noch schwer betroffenen – Patienten verbesserte sich inner-halb des sechsmonatigen Nach-verfolgungszeitraums deutlich, sodass letztlich insgesamt 32% der Patienten ein gutes klinisches Outcome aufwiesen. In Bezug auf die verschiedenen diagnos-tischen Verfahren zeigten sich die höchsten Spezifitätswerte für 1.) nach 72 Stunden fehlende Pupillen- sowie Kornealref lexe

und für 2.) die fehlende N20s-Antwort in den SSEP, während und insbesondere nach Hypo-thermiebehandlung (stärkster Parameter!).

Andere übliche Kriterien, wie die NSE-Bestimmung oder der klinische Nachweis von Streck-synergismen, wiesen dagegen eine niedrigere Spezifität zur Vorhersage eines schlechten Out-comes auf.

KommentarDie Arbeit belegt methodisch einwandfrei, dass unter Hypo-thermiebedingungen einzelne Prognoseparameter nicht isoliert betrachtet werden sollten – vor allem in Richtung einer Abgabe einer negativen oder infausten Prognose. Den einzelnen bisher als prognostisch ungünstig be-werteten Teilbefunden wie hohe NSE-Werte, Myoklonien oder bestimmte MR-Befunde kommt unter Hypothermie eine gewisse

Unsicherheit zu. Oft wird auf die Ableitung der SSEPs angesichts der Störquellen auf der ICU und der schwierigen Logistik verzich-tet. Die Arbeit ermahnt, auf diese wichtigen Befunde für die Erstellung eines prognostischen Gesamtbildes nicht zu verzich-ten. Diese und andere aktuelle Arbeiten zum gleichen Thema beinhalten die Kernaussage: zunächst abwarten, keine über-eilten Prognoseaussagen, nach 72 Stunden ausführlich klinisch-neurologisch untersuchen und SEPs anfertigen.

Originalpublikation

Bouwes A, Binnekade JM, Kuiper MA et al (2012) Prognosis of co-ma after therapeutic hypothermia: A prospective cohort study. Ann Neurol 71: 206–212

KommentarDie Daten bestätigten den Nut-zen der systemischen Thrombo-lyse beim akuten Hirninfarkt. Unterstrichen wurde nochmals der „zeitkritische Aspekt“ der Therapie: Je früher thromboly-

siert wird, umso wahrscheinli-cher ist ein gutes Ergebnis. Auch wird in bisherigen Beobach-tungsdaten jetzt prospektiv be-stätigt, dass auch Patienten im Alter von mehr als 80 Jahren von der Lyse profitieren. Die systemi-

sche Thrombolyse funktioniert also auch in solchen „Grenzsitu-ationen“ der offiziellen Zulas-sung. Das 4,5-Stunden-Fenster muss man allerdings nicht über-schreiten.

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457Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 6 · 2013 |

▶ Neue europäische Empfehlungen zum Management der Subarachnoidalblutung

In den neuen europäischen Emp-fehlungen zum Management von SABs und intrakraniellen Aneurys-men wurden wichtige Eckpunkte festgelegt. Im Akutmanagement der Subarachnoidalblutung sollten Patienten zunächst immobilisiert werden und mit Antiemetika, An-algetika und Laxanzien behandelt werden. Hyperglykämien von über 10 mmol/l sollten mittels Insulin gesenkt werden; ebenso sollte eine erhöhte Körpertemperatur gesenkt werden. Bis zur Ausschaltung des Aneurysmas sollte der systolische Blutdruck unter 180 mmHg syst. gehalten werden. Die Aneurysmen sollten so schnell wie möglich durch OP (Clipping) oder interventionell (Coiling) ausgeschaltet werden – wobei das Management zwischen den beteiligten Fächern Neuroradio-logie, Neurochirurgie und Neuro-logie festgelegt werden sollte. Die bevorzugte Therapie ist mittlerweile das Coiling. Zur Prophylaxe von Va-sospasmen sollte Nimodipin 60 mg oral alle vier Stunden gegeben wer-den.

Steiner T et al (2013) Cerebrovasc Dis 35: 93–112

▶ Delir auf der ICU Nach der ICD-10-Definition handelt es sich beim Delir um eine gleichzei-tige Störung von Bewusstsein und Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Psychomoto-rik, Emotionalität und des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die internationale Intensivmedizin nimmt das „Delir“ als hirnorganisches Psychosyndrom zunehmend in den Fokus; insbeson-dere die Arbeitsgruppe um Ely et al. hat Prävalenzen bis zu 75% gefun-den. In Deutschland wird das Delir als unvermeidbare Begleiterschei-nung des ICU-Settings eher vernach-lässigt. Eine gute Zusammenfassung der Bedeutung des Delirs für die Intensivmedizin findet sich in einem Übersichts-Beitrag in den „Annals of Intensive Care“. Außerdem wurden 2013 die neuen amerikanischen Delir-Leitlinien publiziert als eine umfassende Empfehlung zum Umgang mit dem Delir auf Intensiv-stationen.

Cavallazzi R et al (2012) Ann Intensive Care doi:

10.1186/2110-5820-2-49

Barr J et al (2013) Crit Care Med 41:263-306

D Veranstaltungshinweis

Köln, 19.09.–20.09.2014 Intensiv Update 2014 6. Internistisches Intensiv- Up date-Seminar – Unter der Schirm herrschaft der DGIM, DGIIN und DIVI