Neuropsychologie der Emotionen : Veränderungen im Erkennen ... · Zusammenfassung _____ _____ 90...
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Zusammenfassung _____________________________________________________________________________________
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5. Zusammenfassung
Das Interesse der Wissenschaft an der Emotionsforschung ist in den letzten Jahren
zunehmend gestiegen. Durch verschiedene Studien konnten verstärkt Hinweise darauf
erhalten werden, daß die älteren Hypothesen die Bedeutung des limbischen Systems als
das einzige emotionalen Zentrum des Gehirns überschätzten. Es wird aufgrund der
neuen Ergebnisse heute vielmehr angenommen, daß nicht alle Emotionen in gleicher
Weise verarbeitet werden und verschiedene Emotionen in jeweils unterschiedlichen
Hirnarealen und Bahnsystemen lokalisiert sind.
In Vorstudien von verschiedenen Autoren konnte die Bedeutung der Amygdala in der
Wahrnehmung von Angst aufgezeigt werden: bei bilateraler Amygdalaläsion wiesen die
Betroffenen starke Einbußen in der Erkennung von Angst auf.
Diese Resultate induzierten weitere Studien. Sprengelmeyer et al. (1996, 1997)
untersuchten Chorea Huntington-Patienten hinsichtlich ihrer Wahrnehmung von
Emotionen. Dabei konnte neben einer generellen Beeinträchtigung im Erkennen von
Emotionen ein spezifisches Erkennungsdefizit für die Emotion Ekel (aus visuellem und
auditorischem Material) nachgewiesen werden. Gray et al. (1997) stellten in weiteren
Untersuchungen fest, daß bereits bei präsymptomatischen Chorea Huntington-
Genträgern das spezifische Defizit im Erkennen von Ekel nachweisbar ist.
Hier schließt die vorliegende Studie an, die zum einen die Entwicklung der
dokumentierten Defizite im Erkennen von Emotionen und spezifisch von Ekel im
Verlauf der Erkrankung untersucht. Dazu werden zwei Gruppen von Huntington-
Patienten verglichen: kurz erkrankte Chorea Huntington-Patienten mit nur milder
Symptomatik und länger Erkrankte in klinisch fortgeschritteneren Stadien.
Zum anderen wird untersucht, ob es auch entsprechende Einbußen in der Empfindung
von Emotionen gibt, wobei auch hier wieder die Emotion Ekel im Vordergrund des
Interesses steht.
Untersucht werden die sechs Basisemotionen Glück, Trauer, Überraschung, Angst,
Ekel und Wut.
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Die Wahrnehmung sozialkommunikativer visueller Signale wird mit Hilfe des
Megamix-Tests auf der Basis des Emotionshexagons untersucht. Der Scott’s emotional
sounds-Test wird angewandt, um das Erkennen emotionaler Signale anhand von
Intonation in Sprache zu analysieren. Das semantische Verständnis wird mit Hilfe des
Semantischen Klassifikationstests überprüft.
Zur Untersuchung der Empfindung von Emotionen allgemein werden kurze Emotionen
evozierende Geschichten eingesetzt, die Emotionalen Vignetten oder Reisenzein-
Geschichten genannt werden. Die Empfindung der Emotion Ekel im Speziellen wird
unter Einsatz eines Ekelfragebogens nachgegangen.
Die am Anfange jeder Untersuchung durchgeführten Hintergrundtests untersuchen
notwendige Basisleistungen, welche als Einschlußkriterien dienten.
In bezug auf das Erkennen von Emotionen wiesen die Chorea Huntington-Patienten
deutliche Schwierigkeiten auf, dem präsentierten Gesichtsausdruck die jeweils
entsprechende Emotion zuzuordnen. Die größten Defizite lagen dabei auf Seiten der
länger erkrankten Huntington-Patienten. Dabei war auch in unserer Studie das
spezifische Defizit im Erkennen der Emotion Ekel nachzuweisen, das besonders gut
darzustellen war in der Gruppe der erst kurz erkrankten Huntington-Patienten.
Auch im Erkennen von Emotionen anhand der Intonation in Sprache wiesen die Chorea
Huntington-Patienten größere Einbußen auf, wobei auch hier die länger Erkrankten die
schlechtesten Leistungen darboten. Allerdings wurde hier die Emotion Ekel nicht am
schlechtesten erkannt, sondern gehörte eher zu den besser erkannten Emotionen.
Der Semantische Klassifikationstest lieferte ein vergleichbares Ergebnis wie der Scott’s
emotional sounds-Test.
Aus diesen Resultaten läßt sich schließen, daß bei der Chorea Huntington-Erkrankung
die Erkennung von Emotionen beeinträchtigt wird, wobei diese Einbußen mit
Progression der Erkrankung zunehmen. Insbesondere fällt ein spezifisches Defizit im
Erkennen von Ekel aus emotionalen Gesichtsausdrücken auf.
Bei den Untersuchungen zur Empfindung von Emotionen fiel auf, daß die Chorea
Huntington-Patienten vermehrt inadäquate emotionale Reaktionen auf die präsentierten
Kurzgeschichten von Reisenzein zeigten im Vergleich zu der Kontrollpersonengruppe.
Dabei schnitten die länger erkrankten Huntington-Patienten am schlechtesten ab.
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Einzige Ausnahme bildete hier die Emotion Ekel. Sie wurde von der Patientengruppe
häufiger richtig zugeordnet als von den Kontrollpersonen.
Hinsichtlich der Intensität der provozierten Gefühle durch die geschilderten Situationen
war kein signifikanter Gruppenunterschied festzustellen. Nur das Ekelempfinden war
auch hier wieder bei den Chorea Huntington-Erkrankten (HD 1 > HD 2) stärker
ausgeprägt als bei den Kontrollpersonen.
Diese Tendenz zeichnete sich auch in den Ergebnissen des Ekelfragebogens ab. Hier
reagierten die Huntington-Erkrankten häufiger und intensiver mit dem Gefühl von Ekel
als die Kontrollpersonen. Auffällig war weiterhin, daß die länger erkrankten
Huntington-Patienten am stärksten geekelt reagierten.
Hieraus ist zu schließen, daß neben dem Erkennen auch das Empfinden von Emotionen
durch die Chorea Huntington beeinträchtigt wird, was sich mit Progression der
Krankheit steigert. Einzig die Emotion Ekel wird unverändert adäquat empfunden und
sogar intensiver erlebt im Sinne einer Hypersensualität.
Dieses Ergebnis deckt sich nicht mit den Vorstudien von Sprengelmeyer et al. (1996,
1997), in welchen eine Hyposensualität für Ekel bei Chorea Huntington nachgewiesen
wurde. Dennoch deuten beide Ergebnisse auf eine Dysfunktion hin, welche spezifisch
für die Emotion Ekel ist.
Diese spezifischen Funktionseinbußen bei der Chorea Huntington-Erkrankung sind
nicht einfach entsprechenden pathologischen anatomischen Korrelaten zuzuordnen, da
die cerebralen Veränderungen weitgestreut sind und verschiedene cortikale und
subcortikale Strukturen befallen.
Zum einen kommt es zur Atrophie der Amygdalae, so daß die ebenfalls deutlich
eingeschränkten Defizite im Erkennen und Empfinden von Angst und Wut bei der
Chorea Huntington dieser Struktur zugeordnet werden.
Hauptsitz der Pathologie sind aber vor allem die Basalganglien, so daß wir die
ermittelten spezifischen Dysfunktionen hinsichtlich der Emotion Ekel am ehesten mit
einer Funktionsstörung der Basalganglien in Verbindung bringen. Die Auswertung der
vorliegenden kraniellen computertomographischen Aufnahmen von Huntington-
Patienten durch zwei erfahrene Neuroradiologen konnten im Rahmen dieser Studie
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keine genauere Lokalisation der Verarbeitung von Ekel nachweisen als eine
vorwiegende Verknüpfung mit subkortikalen Strukturen. Diese Studie unterstützt damit
Untersuchungen von anderen Erkrankungen, die ebenfalls dem Formenkreis der
Basalganglienpathologien zugeordnet werden, wie den Zwangserkrankungen
(„obsessive compulsive disorders“). Auch bei diesen Erkrankungen konnte man
spezifische Erkennungsdefizite für Ekel nachweisen.
Es sind weitere Studien nötig, um mehr über die einzelnen Verarbeitungsmechanismen
von Emotionen, ihrer Erkennung und Empfindung, sowie deren Verknüpfungen zu
erfahren und die neuroanatomischen Korrelate zu erforschen.
Ein Beitrag sei durch diese Studie geleistet, die ferner auch zum besseren Verständnis
der neuropsychologischen Auffälligkeiten der Chorea Huntington-Krankheit und damit
zum besseren Umgang mit den Erkrankten beitragen möchte.