New FAKULTAT F¨ UR INFORMATIK¨ · 2010. 4. 1. · Der Physiker Edward Teller pragte wie kaum ein...

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FAKULT ¨ AT F ¨ UR INFORMATIK DER TECHNISCHEN UNIVERSIT ¨ AT M ¨ UNCHEN Seminararbeit Wissenschaftler & Ethik Edward Teller Author: Markus Dauberschmidt Date: 11. Februar 2010

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  • FAKULTÄT FÜR INFORMATIKDER TECHNISCHEN UNIVERSITÄT MÜNCHEN

    Seminararbeit Wissenschaftler & Ethik

    Edward Teller

    Author: Markus DauberschmidtDate: 11. Februar 2010

  • Abstract

    Der Physiker Edward Teller prägte wie kaum ein anderer Wissenschaftler die Geschichte des20. Jahrhunderts. Seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn beeinflusste er die Forschungim Bereich der Nuklearenergie, war am Design der ersten Atombombe beteiligt und forciertedie Entwicklung der Wasserstoffbombe. Neben seinem Wirken in Wissenschaftskreisen warer lange Jahre als Berater der US-Regierung tätig. Aufgrund seines Auftretens schaffte er es,entscheidenden Einfluss auf die Präsidenten der Vereinigten Staaten und dadurch auf die Welt-politik zu Zeiten des Kalten Krieges zu nehmen. Edward Teller war ein Mann, der Zeit seinesLebens den Kommunismus verachtete und sein Wirken darauf ausrichtete, die Expansion derSowjetunion und einen Übergriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika zu verhindern. SeinHandeln und seine radikalen Ansichten sorgten dafür, dass er in seinen Kollegenkreisen inspäteren Jahren gemieden wurde. Seit seiner rufvernichtenden Aussagen in der Oppenheimer-Anhörung galt er in Wissenschaftskreisen als persona non grata, ein Stigma, das er für den Restseines Lebens nicht ablegen konnte.

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  • We had a countdown that stopped – where I was, ten miles from point zero – at minus 30 seconds.Then silence. A long time. I was sure it misfired. I was lying on the ground as instructed, looking at it –not as instructed – (wearing) heavy welding glass. And than, at the right time – or, I thought it was toolate – it was early in the morning, quite dark – a very weak amount of light. I remember clearly, in thefirst second, my thought was, ”Is this all?” Then I remembered I had this heavy welding glass on, andgloves, so no light could enter. So when this light – maybe in two seconds – started to fade, I tipped myhand and looked down at the sand. And you know, it was as though I had removed a curtain and brightsunlight came in. Then I was impressed. Then I saw the brilliant flash. Not looking at it, but lookingat the sand next to me. And of course we all were very much aware of the point that, in a few weeks,this would not be just an experiment. And some of us, including me, did have real doubts whether thisshould be used without first demonstrating it.

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  • 1 Tellers Jugend und Studienjahre

    Edward Teller wird am 15. Januar 1908 in Budapest im damaligen Kaiserreich Österreich-Ungarn geboren. Sein Vater führt ein gutgehendes Rechtsbüro und liest Recht an der Bu-dapester Universität, was der Familie ein weitgehend sorgenfreies Leben ermöglicht. SeineMutter ist Deutsche, sein Vater ein ungarischer Jude. Als Kind wird Edward von seiner Mutterverhätschelt und ist sehr still und nachdenklich. Bereits im Vorschulalter beginnt er sich fürZahlen und Mathematik zu interessieren.

    Den ersten Weltkrieg überstehen die Tellers relativ unbeschadet. Doch als nach dessen Endedie ”Diktatur des Proletariats” unter Bela Kun über Ungarn hereinbricht, ändert sich ihre Lage.Edward Teller lernt zum ersten Mal den Kommunismus kennen. Die Familie wird aufgrundihrer jüdischen Wurzeln zu sozialen Außenseitern, dem Vater ist es nicht länger gestattet, ander Universität zu lehren. Soldaten ziehen plündernd durch die Straßen und nisten sich auchim Haus der Tellers ein. Erst als 1919 die Serben zurückschlagen und die Rumänen und denKommunismus aus Ungarn vertreiben, bessert sich die Situation kurzzeitig. Die Serben unterMiklos Horthy sorgen jedoch bald für neuen Terror und schüren den Antisemitismus mit demVorwurf, die Juden wären Schuld an Bela Kuns Schreckensherrschaft, welcher selbst jüdischeWurzeln hat. In den kommenden Jahren werden über 5.000 Juden hingerichtet. Edward Tellersagt später [5, S. 8]:

    During my first eleven years I had known war, patriotism, communism, revolution,anti-semitism, facism and peace.

    Figure 1.1Edward Teller als

    Jugendlicher

    Mit neun Jahren kommt Edward ins Gymnasium. Er hasst dieSchule, da ihm der Stundenplan und die Fächerauswahl nicht zusagen.Aufgrund seines stillen Charakters hat er keine Freunde und seinegehobene Erziehung lässt ihn sich von dem rüpelhaften Benehmenseiner Mitschüler distanzieren. Auch die Lehrer schneiden ihn, da eroftmals mit Wissen brilliert, das erst ein bis zwei Schuljahre später ver-mittelt wird. Man hält ihn für einen Angeber.

    Mit den Jahren bessert sich die Situation: Edward beschütztschwächere Mitschüler vor Rowdies und erfährt so Akzeptanz. Er gibtNachhilfe in Mathematik und Physik und findet erste Freunde. EinigeJahre später macht sein Vater ihn mit Leo Szilard, John von Neumannund Eugene Wigner bekannt. Edward beschließt Physik studieren, aberseine Abstammung macht es ihm schwer.

    Im Jahr 1925 beginnt Edward Teller auf Wunsch seines Vaters dasStudium der Chemie an der Universität in Budapest. 1926 verlässt Un-garn, um in Deutschland an der Universität in Karlsruhe sein Studiumder Chemie fortzusetzen.

    1928 nimmt Edward Teller das Studium der Physik an der Technischen Universität in Münchenauf. Das Studium unter Professor Sommerfeld gefällt Edward Teller jedoch nur begrenzt:die respektvolle Distanz zwischen dem ”Herrn Geheimrat” und den Studenten widersprichtseinen Ansichten einer offenen Forschung.

    Kurze Zeit später bewirbt er sich an der Universität von Leipzig, um unter Werner Heisen-berg sein Studium der Physik fortzusetzen. Heisenberg gilt zur damaligen Zeit als ”Super-star” der Physik. Tellers Bewerbung wird akzeptiert und er setzt sofort alles daran, in die

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  • 1 Tellers Jugend und Studienjahre

    Gemeinschaft um Heisenberg aufgenommen zu werden. Seine tief sitzende Sorge der eige-nen Fehlbarkeit ist jedoch unbegründet, und er wird schnell ein akzeptiertes und gern gese-henes Mitglied der Gruppe um Heisenberg. Während seiner Zeit in Leipzig lernt EdwardTeller Carl von Weizsäcker und Lev Landau kennen. Heisenberg erkennt Tellers Potential undlässt ihn schwierige Probleme bearbeiten, die er selbst nicht lösen kann. Eine Aufgabe ist dieErforschung des Hydrogen-Ions, welches Edward Teller zu seiner Doktorarbeit erklärt. Eben-falls in Leipzig lernt Edward Isidor Rabi kennen, zu dem von Anfang an eine gewisse Distanzherrscht. Rabi wird später zu einem der größten Kritiker Tellers.

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  • 2 Der Beginn einer wissenschaftlichen Karriere

    Mit 22 Jahren gibt Edward Teller seine Dissertation ab, nach eigener Ansicht noch unvollkom-men, aber bei weitem detaillierter als viele Arbeiten seiner Kommilitonen. Anschließend be-wirbt er sich für eine Forschungsstelle bei dem Dänen Nils Bohr, erhält jedoch eine Absage.Er bleibt daraufhin vorerst bei Heisenberg, bei dem er als Postdoc Tutorien für die Studentenhält. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigt sich, dass Teller ein hervorragender Lehrer ist. Balddarauf wechselt er an die Universität Göttingen, wo er mit Arnold Eucken und James Franckzusammenarbeitet.

    1932 reist Teller zu Vorträgen von Enrico Fermi nach Italien und lernt den Physiker dortpersönlich kennen. Mit ihm wird ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden. Ein Jahr späterkommen in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht, die Ausgrenzung der Judenbeginnt. Teller muss seine Anstellung aufgeben und reist nach England aus. Kurz daraufnimmt er in Kopenhagen unter Niels Bohr eine neue Anstellung auf.

    1934 heiratet Edward Teller seine Jugendliebe Mici Harkanyi. Nur drei Tage später ist Tellerzurück im Forschungslabor.

    1935 bietet ihm der russische Physiker George Gamow, den er während seiner Studien-zeit in Deutschland kennengelernt hat, eine Stelle an der George Washington University an,woraufhin Edward Teller mit seiner Frau in die USA emigriert. Die Arbeit mit George Gamowist für Edward Teller eine sehr erfüllte Zeit. Teller verhält sich kollegial, stellt sich nicht in denVordergrund, was sich auch bei gemeinsamen Publikationen zeigt (z.B. ”Jahn-Teller”-Effekt,nicht ”Teller-Jahn”).

    Figure 2.1Franklin D. Roosevelt

    Im Jahre 1937 analysieren Gamow und Teller die physikalischenVorgänge bei einer thermonuklearen Kernfusion. Teller gelingt es,seinen Studienfreund Hans Bethe ebenfalls für das Thema zu begeis-tern und sie arbeiten zu dritt an dem Thema. Niels Bohr besuchtGeorge Gamow und Edward Teller 1939 in den USA und bringt ih-nen eine Nachricht mit, die die Ereignisse der nächsten Jahre bestim-men wird: ”Uranium splits” - Die Spaltung des Atomkerns wurde ent-deckt. In Deutschland wird die Behauptung durch Lisa Meitner, OttoHahn und Fritz Strassmann in Experimenten bestätigt und auch an derCarnegie University in den USA ebenfalls erfolgreich nachgewiesen. Esdauert nur wenige Tage, bis sich im Büro des Physikers J. Robert Op-penheimer – dem späteren ”Vater der Atombombe” – ein erstes Tafel-bild mit dem schematischen Aufbau einer Bombe findet, welche ihreZerstörungskraft aus der freigesetzten Energie der Kernspaltung zieht.

    Leo Szilard warnt davor, dass Hitler vorhaben könnte, eine Bombe zu bauen, und damit dieLage in Europa zu seinen Gunsten zu kippen.

    Wissenschaftler versuchen die US Navy über die neuen Erkenntnisse zu informieren, dortwird aber zunächst keine Notwendigkeit für Nuklearwaffen gesehen. Zwischen Fermi undSzilard entwickelt sich ein Disput, wie die Kernspaltung am besten kontrolliert werden kann.Der Streit zwischen den beiden eskaliert derart, dass Teller als Vermittler zwischen den beidenfungieren muss.

    Die wissenschaftliche Gemeinschaft bittet Albert Einstein, einen Brief an die Königin vonBelgien zu schreiben. Darin wird sie davor gebeten, die Uranvorräte in Belgisch-Kongo keines-

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  • 2 Der Beginn einer wissenschaftlichen Karriere

    falls an die Deutschen zu verkaufen, um diesen Rohstoffe für die Atomforschung vorzuenthal-ten. In wissenschaftlichen Kreisen ist man sich einig, dass, wenn Nuklearwaffen entwickeltwerden, es keinen Frieden geben kann, solange deren Einsatz nicht reglementiert wird. Deswe-gen setzen Szilard und Einstein wenig später einen zweiten Brief an den damaligen Präsiden-ten der USA, Franklin D. Roosevelt auf. Es dauert zwei Monate, bis Präsident Roosevelt denBrief von Einstein und Szilard schlussendlich in Händen hält, doch der Präsident reagiert so-fort: Er bildet das ”Advisory Committee on Uranium”, dem u.a. Teller, Szilard, Wigner undSachs angehören. Als die Army nach den notwendigen Ressourcen fragt, die für eine kontrol-lierte Kernreaktion notwendig sind, antwortet Teller mit ”Etwas Graphit – für vielleicht – 6.000USD”. Zum ersten Mal bringt Teller durch seine Untertreibung Dinge ins Rollen. Wenige Tagespäter wird die Summe bereits auf 30.000 USD angehoben. Das Geld wird bewilligt, doch eswird zunächst wieder ruhig um die Gruppe.

    Im Jahr 1940 ruft Präsident Roosevelt zum ”Pan Am Science Congress” auf und hält dorteine flammende Rede, die Teller nach eigenen Angaben als den Auslöser ansieht, alles zu tun,was in seiner Macht steht, um sein neues Heimatland zu schützen. Ein Ergebnis des Kon-gresses ist, dass ein neues geheimes Gremium gebildet wird, welches die Entwicklung derAtombombe forcieren soll, dem aber nur amerikanische Staatsbürger angehören dürfen. Iro-nischerweise werden dadurch die brillanten Köpfe Teller, Fermi und Szillard von vornhereinausgeschlossen, die jedoch die Knowhow-Träger sind. Schließlich einigt man sich auf eineBeraterrolle, der Status ”Full member” wird jedoch nicht erteilt. Das Gremium arbeitet her-aus, dass Plutonium (Symbol Pu, Ordnungszahl 94 im Periodensystem) weitaus besser für dieKernspaltung geeignet ist als das ursprüngliche Uran (U-235), da deutlich weniger Plutoniumnötig ist, um die kritische Masse für die Kernspaltung zu erreichen.

    Otto Frisch und Rudolf Peierls, zwei deutsch-britisch bzw. österreichisch-britische Wis-senschaftler, verfassen 1940 ein Memorandum, dass sog. MAUD-Memorandum, in welchemeindringlich vor der Gefahr des Baus einer Atombombe durch Nazi-Deutschland gewarntwird. Die Erforschung der Kernspaltung in England ist weiter fortgeschritten als in den USA.Aufgrund der durch den Krieg bedingten wirtschaftlichen Lage in Europa sieht man aber nurdann eine realistische Chance, den Deutschen zuvorzukommen, wenn die Bombe in den USAentwickelt wird. Das Memorandum wird in die USA gesendet, bleibt dort aber lange Zeitunter Verschluss, bevor es den Forschern zugänglich gemacht wird. 1943 erhält das Innenmin-isterium der Sowjetunion ebenfalls eine Kopie der MAUD Papiere, die hilfreiche Informationenfür den Bau der russischen Atombombe liefern.

    In Forschungskreisen steht man dem Bau einer Atombombe zunächst kritisch gegenüber,doch ein bedeutendes Ereignis sorgt dafür, dass die (moralischen) Zweifel entkräftet und diegemeinsamen Anstrengungen forciert werden: Am 7. Dezember 1941 wird der amerikanischeStützpunkt auf Pearl Harbour angegriffen und die USA treten in den 2. Weltkrieg ein.

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  • 3 Los Alamos

    Aus dem ganzen Land werden nun die fähigsten Wissenschaftler zusammengezogen, denn essteht das ehrgeizige Ziel im Raum, in nur 19 Monaten die erste Atombombe zu konstruieren.Als Standort für das sogenannte Manhattan-Projekt wird Los Alamos in Neu Mexiko erwählt.Innerhalb weniger Monate wird eine Kleinstadt aus Wohngebäuden, Forschungszentren undVersuchsbauten aus dem Nichts geschaffen. Brigadegeneral Leslie Groves leitet das Projektund überzeugt J. Robert Oppenheimer, die wissenschaftliche Leitung zu übernehmen.

    Figure 3.1Leslie R. Groves

    Zum ersten Mal wird nun die potentielle Sprengkraft einer Atom-bombe realistisch berechnet. Als Maßeinheit werden Kilotonnen TNTverwendet. Zum Vergleich: 1917 verunglückte ein mit Sprengstoff be-ladenes Schiff im Hafen von Halifax. Dabei handelte es sich um eineder schwersten nichtatomaren Explosionen. Es entstand ein 1,9 Kilome-ter hoher Feuerball, 1.3km2 der Hafenbezirke wurden dem Erdbodengleichgemacht, es gab über zweitausend Tote. Die Explosion konntenoch in über 360 Kilometer Entfernung wahrgenommen werden. DieHalifax-Explosion wird mit einer Sprengkraft von etwa drei Kiloton-nen TNT gleichgesetzt. Zum Vergleich: Die erste Atombombe wird eineSprengkraft von etwa 15 Kilotonnen TNT besitzen.

    Am 2. Dezember 1942, findet die erste kontrollierte atomare Ketten-reaktion in dem von Enrico Fermi gebauten ersten Reaktor ”ChicagoPile-1” statt. Fermi demonstriert dort, dass die atomaren Kräfte unterKontrolle gezwungen werden können. Im ”Chicago Pile-1” wird späterdas Plutonium hergestellt, das im Trinity-Versuch und im Nagasaki-Bombenabwurf verwen-det wird. Später erfährt man, dass es bei der ersten Demonstration des Reaktors beinahe zueiner unkontrollierten Kettenreaktion gekommen wäre und dass es reines Glück war, dass derReaktor früh genug abgeschaltet wurde, bevor die Kernspaltung unkontrollierbar wurde. Esbreitet sich eine allgemeine Euphorie aus: In Wissenschaftskreisen wächst die Hoffnung, dassman die Nazis besiegen kann.

    Robert Oppenheimer fragt Edward Teller explizit für die Arbeit in Los Alamos an, wasdiesem sehr schmeichelt. Auf dem Weg zum Forschungszentrum unterhalten sich Oppen-heimer und Teller im Zug. Oppenheimer versucht, die Gesinnung Tellers zu erfahren, indem erandeutet, dass man sich zu gegebener Zeit dem Militär wiedersetzen müsste, wenn es die Situ-ation notwendig machen würde. Teller reagiert brüskiert und entgegnet, dies sei Landesverrat.Oppenheimer lässt das Thema sofort fallen und wird Teller nie mehr in Bezug auf solche The-men ansprechen. Teller bleibt dieser Moment jedoch noch lange in Erinnerung.

    Im Los Alamos herrscht eine ”Summercamp” Atmosphäre. Die Abende sind von Partiesgeprägt, man trifft sich zum Grillen, Wandern oder Musizieren. Die lockere Stimmung kann je-doch nicht den enormen Leistungsdruck verdecken, unter dem Edward Teller steht, will er einebedeutende Position in dem Projekt erhalten. Kurz darauf kommt es zum ersten Rückschlag fürTeller. Hans Bethe, den Teller selbst mit viel Aufwand dazu überredete, an dem Atombomben-projekt teilzunehmen, wird an seiner statt Leiter der theoretischen Abteilung. Eine Position,die Teller für sich schon sicher glaubte. Entschieden hatte dies Oppenheimer, der durch IsidorRabi beeinflusst wurde. Als Grund führt er an, Teller sei zu zerstreut. Er sei zwar ein genialerWissenschaftler, widme sich aber nie einem Thema bis zum Schluss. Er sei ein ”brick combinatorinstead of a brick builder”. Diese Zurückweisung lässt Tellers alte Wunden aus der Jugendzeit

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  • 3 Los Alamos

    wieder aufbrechen. Er ist sehr verletzt und fängt an, nun alles persönlich zu nehmen.Bedingt durch sein Wissen zur Kernfusion und Gespräche mit Enrico Fermi möchte Teller

    parallel an einer ”Super”-Bombe arbeiten, welche die Kernfusion nutzt, da dieser eine nochweitaus höhere Zerstörungskraft innewohnt als einer gewöhnlichen Bombe, die auf dem Spal-tungsprinzip basiert. Während eine Atombombe im Kilotonnen Bereich angesiedelt ist, würdeeine Wasserstoffbombe in den Megatonnen Bereich vordringen. Das Thema ”Super”-Bombewird jedoch gegenüber der Fissionsbombe niedrig priorisiert: Beide Themen können aufgrundvon Ressourcen-Engpässen nicht parallel angegangen werden und die Entwicklung der Fis-sionsbombe wird bereits als schwierig eingeschätzt. Für Teller ist das eine erneute Enttäuschung,er fühlt sich verraten.

    Zusammen mit John von Neumann entwirft Edward Teller die Implosionstheorie für dieAtombombe. Aufgrund seiner Frustration weigert er sich jedoch, sich an den mühsamenBerechnungen zu beteiligen. Weitere Physiker müssen für diese Aufgaben extra eingestelltwerden. Unter diesen befindet sich auch der deutsche Physiker Klaus Fuchs. Durch Tellers Ar-beitsverweigerung kommt es zum Bruch mit seinem alten Freund Hans Bethe. Edward Tellerwird in den nächsten Wochen und Monaten immer häufiger Stein des Anstoßes für Unruhen:Was anfangs noch als Exzentrismus angesehen wird (spätes Aufstehen, Pianospielen mitten inder Nacht) wird nun zum Grund für Beschwerden.

    Nach der Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 fällt für viele Wissenschaftler schlagartigder Grund weg, weiter an einer so fürchterlichen Waffe wie der Atombombe zu arbeiten.

    Figure 3.2Die ”Trinity”-Bombe

    Die Armee teilt den Plan mit, die Bombe nun gegen denbestehenden Kriegsfeind Japan einzusetzen. Sahen die Wis-senschaftler bislang den Einsatz eines Atomangriffs als vielle-icht einzige Möglichkeit an, die deutsche Kriegsmaschineriezu vernichten, so wird die Wahl dieser Möglichkeit gegenalle anderen ”geringeren” Gegner nun ausgeschlossen undmoralisch und ethisch verurteilt. Es muss als gesichert ange-sehen werden, dass das Militär zu diesem Zeitpunkt bereitsüber die Information verfügte, dass Japan ohnehin in Kürzekapitulieren würde. Natürlich wird diese Information an dieWissenschaftler in Los Alamos nicht weitergegeben, um Un-ruhe zu vermeiden. Szilard und Franck erstellen eine Petitionan den Präsidenten, die Atombombe nicht einzusetzen, sobaldsie fertig gestellt wird. Teller soll die Petition in Los Alamos verteilen und unterschreibenlassen. Dieser möchte sich jedoch zunächst mit Oppenheimer besprechen. Oppenheimerreagiert überraschend und fährt Teller an, was ihm einfällt, mit diesem Thema zu kommen.Teller leitet die Petition darum nicht an die Forscher weiter, was er nach eigenen Angabenspäter bereut. Nach dem Tod Präsident Roosevelts am 12. April 1945, wenige Wochen vorKriegsende, übernimmt Truman das Präsidentenamt. Die schwere Entscheidung über den Ein-satz der Bombe wird an das Militär abgegeben.

    In verschiedenen Gremien wird diskutiert, ob es moralisch vertretbar sei, die Waffe gegenzivile Ziele einzusetzen. Valide Gegenargumente werden von den Befürwortern innerhalbvon Minuten entkräftet und die Entscheidung fällt zugunsten des Bombeneinsatzes. Tellerentschuldigt sich dafür bei seinen Freunden Szilard und Franck.

    Der erste Atombombentest, Trinity genannt, findet am 16.Juli 1945 statt (siehe auch einleit-endes Zitat von Edward Teller ). Nach dem Test spricht Oppenheimer geschockt die berühmtgewordenen Worte ”I have become death, the shatterer of worlds”. Russland ist über seinSpionagenetzwerk bereits im Bilde. Die USA beabsichtigen, die Bombe zur Einschüchterunggegenüber Russland zu gebrauchen. Russlands Atomprogramm ist jedoch bereits in vollemGange, ohne dass die Amerikaner überhaupt davon ahnen.

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  • 4 Die Nachkriegszeit und der Bau derWasserstoffbombe

    Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima am 6. August 1945 und Nagasaki am 9.August 1945 kapituliert Japan bedingungslos. Der zweite Weltkrieg ist beendet.

    Die meisten Wissenschaftler verlassen nun Los Alamos und kehren an die Universitätenzurück. Teller will in Los Alamos bleiben, um weiter an seinem Steckenpferd der ”Super” zuarbeiten, aber nur wenn man ihn zum Leiter der technischen Abteilung macht. Dieser Wunschwird ihm jedoch verweigert. Teller ist außer sich und droht damit, Los Alamos zu verlassen.Tellers größte Angst, ist in dieser Zeit ein wiedererstarktes Russland. Nach seiner Meinunggefragt sagt er [5, S. 111]:

    [. . . ]Our only hope of facing future dangers in a realistic way is to explore the pos-sibilities of improving the atomic bomb[. . . ]

    Während man in Hiroshima und Nagasaki zum ersten Mal die gewaltigen Zerstörungskräftedieser Waffen erlebt hat, und nicht wenige Wissenschaftler moralische Skrupel bekommen beidem Gedanken, was sie da geschaffen haben, spricht Edward Teller also bereits davon, nochgewaltigere Bomben zu bauen, ohne über die Folgen für Mensch und Natur nachzudenken.Ihm geht es nur um militärische Überlegenheit.

    Teller und seine Kollegen berechnen mit Hilfe von ENIAC, dem ersten Großrechner in denUSA, die Reaktionen, die bei der thermonuklearen Explosion ablaufen werden. Die Ergebnissewerden auf einer Fachtagung präsentiert. Tellers Wissenschaftskollegen sind jedoch sehr skep-tisch was die Ergebnisse betrifft, da Teller einige bekannte atomare Wechselwirkungen bewusstignoriert und wohlwollende Annahmen über deren Ablauf trifft, um die Machbarkeit der ”Su-per” zu betonen.

    Figure 4.1Igor Kurtschatow

    Teller verfasst daraufhin einen Bericht, der beschreibt, bis wann dieSuper-Bombe entwickelt werden könnte. Wie auch schon bei der Pla-nung für den ersten Atomreaktor trifft er sehr optimistische Aussagenund behauptet, in ”zwei oder drei Jahren” eine einsatzfähige Waffebauen zu können. Dennoch schlägt sein Plan fehl: das Programm wirdnicht ausgeweitet. Präsident Trumans Eindämmungspolitik erfährt Un-terstützung durch Winston Churchill, der in einer seiner berühmten Re-den den Begriff des Eisernen Vorhang prägt. Churchill bestärkt die USAdarin, ihr Atomwaffenmonopol auch für die Durchsetzung politischerZiele gegenüber der Sowjetunion einzusetzen. Man beginnt mit dem”Arms race”.

    Währenddessen liefert der deutsche Physiker Klaus Fuchs an dieSowjetunion detaillierte Blaupausen zum Nachbau von ”Little boy”, derersten Atombombe. Der Bau der russischen Atombombe unter AndreiSacharow ist dank dieser übermittelten Pläne bereits weit fortgeschrit-ten. Edward Teller überarbeitet den Aufbau seiner Super-Bombe, her-aus kommt das ”Alarmclock”-Design. Er fordert erneut Tests für sein

    neues Design, doch nach wie vor ignoriert man in Los Alamos seine Forderungen, listet seineArbeiten in den Berichten nicht einmal als aktives Projekt. Teller ist in den Jahren 1946-1947

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  • 4 Die Nachkriegszeit und der Bau der Wasserstoffbombe

    auf einem emotionalen Tiefpunkt. Sein Gemüt verdunkelt sich zusehends und er bekommtDepressionen. Seine Arbeiten sind erfolglos, er verlässt Los Alamos, um wieder an der Uni-versität von Chicago zu lehren.

    Die Welt dreht sich weiter: 1948 wird die Tschechoslowakei eingenommen, China wirdkommunistisch. Nach einer Meinungsverschiedenheit riegelt Russland den deutschen Ost-sektor ab und verhängt ein Embargo über Berlin. Der Stadt droht im kommenden Winter eineHungerkatastrophe. Die Amerikaner unter William H. Tunner bauen die Berliner Luftbrückeauf und verhindern die Kapitulation der Stadt.

    Nachdem sich die politische Weltlage verschärft, wird Los Alamos wiedereröffnet. DerPhysiker Stan Ulam überzeugt Edward Teller davon, dort wieder zu arbeiten. Am 29. August1949 zünden die Russen unter dem wissenschaftlichen Leiter Kurtschatow die erste russischeAtombombe Joe-1.

    Die USA sind paralysiert. Die erste russische Atombombe wurde erst in einigen Jahren er-wartet. Radikale wie Lewis Strauss fordern umgehend den Bau der ”Super”, während eineandere Gruppe mit Vertretern wie Oppenheimer dem Ganzen kritisch gegenüberstehen. Ed-ward Teller kann nach wie vor nur seine Reports vom Stand von vor 3,5 Jahren vorstellen, esgibt noch keine neuen Ergebnisse. Es stellt sich heraus, dass Präsident Truman von dem ThemaWasserstoffbombe noch überhaupt nichts weiß. Somit ist er anfällig für diejenigen, die einenschnellen Erfolg versprechen und ein düsteres Bild eines erstarkten Russlands malen. Teller en-gagiert sich in Lobbyarbeit und versucht, die Regierung zu überzeugen, die ”Super” zu bauen,während sich Wissenschaftler wie Bethe und Fermi explizit gegen die ”Super” aussprechen.Teller ist brüskiert: Wenn die Wirkung des Einsatzes der Bombe auch verheerend wäre, sowäre sie in seinen Augen doch ein probates Mittel der Abschreckung. Die USA haben zudiesem Zeitpunkt bereits beinahe 100 Atomsprengköpfe in ihren Waffenlagern.

    Inzwischen wird bekannt, dass seit langer Zeit bereits Spionage durch Russland betriebenwird. Im Rahmen des Lend-Lease-Act Programms der US-Regierung verlassen nicht nur Kriegs-waren, Waffen und Rohstoffe das Land Richtung Sowjetunion, sondern auch Forschungs- undStaatsgeheimnisse. Nachdem ein Flieger Richtung Sowjetunion aus Los Alamos mit 50 Diplo-matenkoffern voll von Blaupausen und Konstruktionsanleitungen zum Bau der Atombombeabgefangen wird, ist klar, dass die Russen über das amerikanische Atomprogramm informiertwurden. Als einer der aktivsten Spione wird Klaus Fuchs enttarnt, der im großen Stil Russ-land mit allen Details rund um den Bau der Atombombe versorgte, und der als wichtigsterBaustein im russischen Atomprogramm angesehen werden kann. Seine gezielt gelieferten In-formationen ermöglichten es der Sowjetunion, mit ihrem Atomprogramm innerhalb kürzesterZeit zu den USA aufzuschließen. Vor diesem Hintergrund beginnt die ”Hexenjagd” unter JosefMcCarthy auf russische Spione und prokommunistische Personen.

    Als der US-Regierung bewusst wird, wieviel die Sowjetunion bereits über den Bau von Kern-waffen weiß, setzt Hektik ein. Präsident Truman hat keine Zweifel, dass der Bau der Wasser-stoffbombe die richtige Entscheidung ist und ordnet an, diese schnellstmöglich zu entwickeln.

    Teller hat den Politikern viel versprochen und kommt wenig voran. Stan Ulam spricht esals einer der ersten aus: Die ”Super” mit dem von Teller vorgeschlagenen Design wird nichtfunktionieren. Die von ihm veranschlagten Mengen an Tritium (Wasserstoffisotop, welches fürdie Kernfusion notwendig ist) werden bei weitem nicht ausreichen, um die Selbstentzündungzu ermöglichen. Von Neumann bestätigt dies durch Berechnungen auf ENIAC. Tellers Berichtean die Regierung werden vorsichtiger. Er eckt immer mehr bei seinen Physikerkollegen an, ersteht unter enormen psychischen Druck. Zudem ist er der Ansicht, dass Oppenheimer ihnaktiv boykottiert. Er sieht an jeder Ecke Feinde.

    Stan Ulam hat die Idee, die thermonukleare Reaktion durch Komprimierung des Brennstoffesmittels Kernspaltung einzuleiten. Er erzählt Teller von seinen Erkenntnissen. Dieser ist zunächstzurückhaltend allem gegenüber, was nicht von ihm stammt, greift dann aber die Idee auf und

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  • ist später überzeugt, dass dies die Lösung zum Bau der Wasserstoff-Bombe sein muss. Späterwird sich Edward Teller jedoch ganz anders an dieses Ereignis erinnern: Angeblich hatte Tellerdie gleiche Idee schon Wochen zuvor, wobei er jedoch auf Strahlungskomprimierung setzte.Es wird ein gemeinsames Paper verfasst, doch Teller beansprucht nach und nach den Ruhmder Entdeckung für sich. Stan Ulams Ideen werden als hinführend, aber falsch abgetan. Ulamist darüber sehr verletzt und distanziert sich von dem Paper. Nachdem die neue Idee erneutdurchgerechnet und verifiziert worden ist, gibt man dem neuen Design hohe Chancen auf Er-folg. Der George Test auf Eniwetok soll Gewissheit bringen. Nach der Explosion, findet man beider Analyse Neutronenspuren auf dem Filmmaterial – der Beweis, dass eine thermonukleareReaktion stattfand und Stan Ulams Idee richtig war. Man wird später von dem ”Teller-Ulam-Design” sprechen (Bemerke: Während Teller in seinen frühen Jahren aus Höflichkeit bei derBenennung von wissenschaftlichen Arbeiten seinen Namen häufig erst an zweite Stelle setzte,beansprucht er nun den Ruhm, als Erster genannt zu werden, für sich.)

    Die George-Testserie ist ein voller Erfolg und Teller sieht endlich seine Zeit gekommen. Allerd-ings wird ihm entgegen seiner Erwartung wieder nicht die Leitung des Projektes übertragen.Aus Enttäuschung kündigt er erneut in Los Alamos.

    Am 1.November 1952 detoniert die erste Wasserstoffbombe mit dem Codenamen Ivy Mikeauf dem Eniwetok Atoll im Pazifischen Ozean. Ivy Mike hat eine niemals zuvor von Men-schen geschaffene Sprengkraft von 10,5-12 MT TNT und explodiert in einem über 5km breitenFeuerball. Die Explosionswolke erstreckt sich bis in 37km Höhe und hat eine Ausdehnung von161km am oberen Rand und über 20km am Stamm der Wolke. Teller selbst war ist diesem Testnicht anwesend, weil er nicht glaubte, dass Los Alamos eine funktionierende Bombe würdebauen können. Er verfolgt das Geschehen jedoch an einem Seismographen in Berkely, der dieSchockwelle, die tief im pazifischen Ozean erzeugt wurde, immer noch auffing. Voller Eu-phorie telegrafiert er nach Los Alamos die Botschaft ”It’s a boy!”, deren Bedeutung dort sofortverstanden wird.

    Edward Teller fordert nun mehr denn je von seinen politischen Freunden ein zweites Lab-oratorium neben Los Alamos, um dort mit Hochdruck an der thermonuklearen Bombe zuforschen, doch immer wieder wird sein Wunsch abgelehnt. Schließlich sucht er in Washing-ton direkt Unterstützung für seine Forderung. Dabei lernt er Ernest Lawrence kennen. Dieserist Feuer und Flamme für Tellers Lebensziel, dem Kommunismus durch ein militärisch starkesAmerika Einhalt zu gebieten. Lawrence nutzt seinen Einfluss: In der Nähe von Livermorewird 1952 ein neues Forschungslaboratorium errichtet, das Lawrence Livermore National Lab-oratory. Enrico Fermi und John von Neumann versuchen Teller davon abzuhalten, in das neueLabor in Livermore zu wechseln, weil dort nicht die Wissenschaft regiert, sondern das Militär.Sie sorgen sich um Teller, der sich damit selbst aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft auss-chließen würde. Nichtsdestotrotz unternimmt Edward Teller alles, um 1958 sogar Direktor desLaboratoriums zu werden.

    Die USA besitzen mittlerweile ein Arsenal von über 1.000 Atombomben, während die Öf-fentlichkeit über das ganze Thema nur sehr wenig weiß. Dwight D. Eisenhower, ein ehemaliger5-Sterne-General, wird neuer Präsident der USA.

    Am 12. August 1953 detoniert die erste russische Wasserstoffbombe, Joe 4. Diese ist nachdem ursprünglichen ”Layer-Cake” Design von Teller gebaut. Im Gegensatz zur amerikanis-chen Wasserstoffbombe ist das russische Modell jedoch mobil, wenngleich auch mit 400 KTSprengkraft recht schwach. Die Analysen der Explosion zeigen jedoch, dass die Russen beiweitem noch nicht so weit in ihren Forschungen sind, wie Teller die ganze Zeit proklamierte.

    Erst im Frühjahr 1954 erfährt die Öffentlichkeit in einem Artikel im Time-Magazin mehr überIvy Mike. Teller und Lawrence werden in diesem Artikel als die treibende Kraft beschriebenund das neue Livermore-Laboratorium als ausführende Einheit genannt. In Los Alamos istman darüber sehr aufgebracht, da die Tatsachen völlig verdreht werden. Teller versucht halb-

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  • 4 Die Nachkriegszeit und der Bau der Wasserstoffbombe

    herzig, eine Gegendarstellung zu erwirken, aber seine Formulierungen machen das Ganze nurnoch schlimmer.

    Das Livermore Laboratorium steht unter Erfolgsdruck und muss sich politisch bewähren.Der Altersdurchschnitt liegt bei nur 29 Jahren (häufig werden die Forscher direkt nach dem Ab-schluss von den Universitäten abgeworben), also deutlich unter dem der erfahrenen Physikerin Los Alamos. Das Arbeitsumfeld ist teilweise erschreckend: Büros entstanden aus ehema-ligen Duschräumen, der ”Konferenzraum” für vertrauliche Gespräche ist ein am Rande desAreals geparkter Wagen. Man konzentriert sich in Livermore darauf, kleine, möglichst mo-bile Atomwaffen zu entwickeln. Die zwei ersten großen Tests schlagen spektakulär fehl underzielen nur Bruchteile der angesagten Sprengkraft. Lawrence versucht nach wie vor, dem Lab-oratorium den Anschein einer zivilen Forschungsanstalt zu geben, wogegen sich Teller jedochverwehrt.

    1954 wird Robert Oppenheimer angeklagt, ein sowjetischer Spion zu sein, sowie die En-twicklung der Wasserstoffbombe aktiv zu behindern. Er wird daraufhin zu einer Sicherheit-sanhörung geladen. In der Vorbereitungszeit des Verfahrens versuchen Oppenheimers Anwälteauch mit Edward Teller zu sprechen. Oppenheimers Anwalt Garrison erinnert sich, dass in denGesprächen eine so starke Antipathie Tellers gegen Oppenheimer spürbar war, dass man sichentschloss, Teller besser nicht als Zeuge der Verteidigung zu laden. Anwalt der Gegenseite istRoger Robb, einer der gerissensten Anwälte der damaligen Zeit in Washington. Diesem fälltbeim Durchlesen der Klageschrift sofort auf, dass es eigentlich keine handfesten Anklagepunktegibt, denn eine ”hemmende Meinung” gegenüber einem bestimmten Thema zu haben, ist auchin den USA der damaligen Zeit keine strafbare Handlung.

    Während in Washington die Vorbereitung für die Sicherheitsanhörung auf Hochtouren laufen,wird auf dem Bikini Atoll am 28. Februar 1954 die Wasserstoffbombe ”Bravo” gezündet. FürBravo wird eine neue Technik verwendet: trockenes Lithium-6-Hydrid anstatt verflüssigterGase. Die Berechnungen prognostizieren eine Sprengkraft von etwa 5 MT, allerdings werdeneinige physikalische Seiteneffekte übersehen. ”Bravo” explodiert mit einer Sprengkraft von fast15 MT und lässt von der Insel nichts übrig. Ein über vier Meilen breiter Feuerball breitet sichaus, der zunächst gar nicht so aussieht, als würde er enden wollen. Nicht viel später werdensehr hohe Strahlungswerte gemessen, die teilweise 200 mal über dem maximalen Grenzwertliegen, der pro Woche an Strahlung verkraftet werden kann. Forschungsteams von benach-barten Inseln müssen in einer Notevakuierung in Sicherheit gebracht werden. Selbst 100 Meilenvom Sprengpunkt entfernt ist die Strahlungsbelastung höher, als man es sich je hätte vorstellenkönnen. Ein japanisches Fischerboot, die ”Lucky Dragon” kommt zu trauriger Berühmtheit:Die Besatzung befindet sich zur Zeit der Explosion weit außerhalb des Sperrbezirks, dennochwird die Besatzung so stark verstrahlt, dass ein Besatzungsmitglied stirbt. Die USA gebenspäter an, die ”Lucky Dragon” habe sich innerhalb der Sperrzone aufgehalten. ”Bravo”, die er-ste Bombe in der Testserie ”Castle”, ist die stärkste Bombe, die jemals von den USA gezündetwurde.

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  • 5 Oppenheimers Sicherheitsanhörung

    1954 beginnt die Verhandlung gegen Oppenheimer. In über vier Wochen andauernden Befra-gungen wird der Forscher zermürbt. Der Anwalt der Gegenpartei, Robb, spielt gekonnt mitden Fakten und lässt Oppenheimer sich unbemerkt selbst belasten und wiedersprechen. Vielebekannte Forscher werden vorgeladen, um für bzw. gegen Oppenheimer auszusagen. Einigeseiner vermeintlichen Freunde ändern in letzter Minute ihre Meinung und sprechen sich gegeneine Verlängerung Oppenheimers Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Auch Edward Tellerwird als Zeuge der Anklage vorgeladen. Fermi und Bethe beschwören Teller, sich nicht vonseinen Emotionen leiten zu lassen, und nur Fakten vor der Anhörung zu nennen. Kurz vorseiner Aussage trifft sich Edward Teller mit Charter Heslep, einem der AEC Public Informa-tion Officers. Dieser notiert sich die folgenden Punkte [5, S.240f]

    Since the case is being heard on a security basis, Teller wonders if some way can befound to ’deepen the charges’ to include a documentation of the ’consistently badadvice’ that Oppenheimer has given, going all the way back to the end of the warin 1945.

    Teller feels deeply that his ’unfrocking’ [of Oppenheimer] must be done or else - re-gardless of the outcome of the current hearing - scientists may lose their enthusiamsfor the program’.

    Am Abend vor seiner Aussage erinnert sich Teller [5, S.241] ”I spent the evening pacing thehotel room floor and worrying about how best to make my statement without creating doubt aboutOppenheimer’s loyalty.”. Hans Bethe versucht Teller ins Gewissen zu reden, dass seine Aussageneutral erfolgen sollte und erinnert sich [5, S.241] ”The two of us, Rose and I, talked to Edward for atleast an hour and tried to make clear to him that he should not testify agains Oppie... It was a desperatediscussion. He said that he didn’t like Oppenheimer making decisions. He had made so many mistakes.The fact that he was destroying a persons’s life by speaking out didn’t seem important. He was sorry,but that was what he had to do. I don’t think it was what he owed other people. I think it was enirelyhimself, and the strongest reason was that Oppie had opposed his pet project. As simple as that”.

    In der Anhörung versucht Teller durch Anspielungen, Oppenheimer zu diskreditieren. Gle-ichzeitig ist er aber immer bemüht, dies nicht zu offensichtlich erscheinen zu lassen. Einerseitsscheint er moralische Skrupel zu haben, andererseits will er Oppenheimer vernichtet sehen [5,S.243ff]

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  • 5 Oppenheimers Sicherheitsanhörung

    Robb:

    To testify the issues here, let me ask you this question: Is it your intention in any-thing that you are about to testify to, to suggest that Dr. Oppenheimer is disloyal tothe United States?

    Teller:

    I do not want to suggest anything of the kind. I know Oppenheimer as an intellectu-ally most alert and very complicated person, and I think it would be presumptuousand wrong on my part if I would try in any way to analyse his motives. But I havealways assumed, and I now assume, that he is loyal to the United States. I believethis, and I shall believe it until I see very conclusive proof to the opposite.

    Robb:

    Now a question which is a corollary to that: Do you or do you not believe that Dr.Oppenheimer is a security risk?

    Teller:

    In a great number of instances, I have seen Dr Oppenheimer act - I understood thatDr Oppenheimer acted - in a way which for me was exceedingly hard to under-stand, and his actings frankly appeared to me confused and complicated. To thisextend I feel I would like to see the vital interests of this country in hands whichI understand better and therefore trust more. In this very limited sense I wouldlike to express the feeling that I would feel personally more secure if public matterswould rest in other hands.

    Und später:

    Gray:

    Do your feel it would endanger the common defense and security to grant clearanceto Dr. Oppenheimer?

    Teller:

    I believe that Dr. Oppenheimer’s character is such that he would not knowingly andwillingly do anything that is designed to endanger the safety of this country. To theextent, therefore, that your question is directed towards intent, I would say I do notsee any reason to deny a clearance. If it is a question of wisdom and judgemenet,as demonstrated by actions since 1945, then I would say one would be wiser not togrant clearance.

    Nach seiner Aussage wendet Edward Teller sich an die National Academy of Sciences undüberzeugt diese, sich nicht für Oppenheimer auszusprechen. Er schreibt an Lewis Strauss:

    Most of the physicists are quite level-headed about the Oppenheimer case. I fearedthat the scientific community will be split wide open. I’m still apprehensive butmuch more optimistic than I was two weeks ago when attending the hearing. In anycase I feel very certain that Oppenheimer’s continued interfering was exceedinglyharmful. I hope I can speak about that interference in the past tense.

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  • Die Untersuchungskommission kommt zu der Entscheidung, dass Oppenheimer kein Spionsei und man kein Fehlverhalten feststellen könne. Als der Bericht an die ermittelnden Commis-sioners geht, sehen diese das jedoch anders, bauschen die Anklagen weiter auf und entziehenOppenheimer die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Der finale Report geht Oppenheimer undseinen Anwälten zu. Es kommt zu einem folgeschweren, peinlichen Vorfall: Ein Commissionervergisst ein Transkript der gesamten Anhörung (über 900 Seiten!) im Zug und dieses findetseinen Weg in die Presse. Nun kann alle Welt lesen, was Teller gegen Oppenheimer ausgesagthat. Teller erinnert sich [5, S.249]:

    The exile I was to undergo at the hand of my fellow physicists, akin to the shunningpractised by some religious groups, began almost as soon as the testimony wasreleased. My recollections of that painful period is general rather than specific: Iwas more miserable than I had ever been before in my entire life.

    Lewis Strauss erinnert sich, dass Teller ihm gegenüber sagte:

    I have made up my mind that I can take the gaffe. I am no longer interested inanything except truth. I have complete confidence in the fact that my friends willeventually come to the conclusion that in telling what I believed to be the truth, Ihave done the cause of science in the service of my country the best that I could.

    Diese Aussagen zeigen deutlich, dass Teller in keinster Weise sein Handeln gegenüber Fre-unden und Forscherkollegen als falsch ansieht, sondern im Gegenteil verletzt und beleidigtreagiert, da man sein Handeln kritisiert.

    In diesen Tagen kommen Berichte über ”Ivy Mike”, der ersten Wasserstoffbombe, an dieÖffentlichkeit, und Teller wird über Nacht zum Star: Die Boulevard Presse tauft ihn ”Mr H-Bomb” und ”Father of the H-Bomb”, und sogar das renommierte Life-Magazin will ihn inter-viewen. Als seine Forscherkollegen das erfahren, wenden sie sich endgültig von ihm ab [5,S.250].

    Our interview ran later than I hoped, so by the time Coughtlan and his group wereleaving, many of the participants in the conference were already assembled for apicnic on the terrace (in Los Amalos) outside the dining room. The first person Ispotted was Bob Christie, with whom we had shared a house for a year. I hurriedover, reaching out to greet him. He looked me coldly in the eye, refused my hand,and turned away. I was so stunned that for a moment I couldn’t react. Then Irealised that my life as I had known it was over.

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  • 5 Oppenheimers Sicherheitsanhörung

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  • 6 Kalter Krieg und SDI

    Für Teller bedeuten die nächsten Wochen und Monate sein persönliches Waterloo: Geschnittenvon seinen Kollegen, verlassen von seinen ehemaligen Freunden, muss er erfahren, wie alleiner in wissenschaftlichen Kreisen ist. Als dann auch noch ein Buch über Teller erscheint, welchesseine Taten in das schönste Licht rückt, erreicht die negative Haltung Teller gegenüber einenHöhepunkt. Obwohl er sich von dem Buch distanziert, sind seine Briefe an die Verleger jedochnicht unbedingt voller Kritik. Teller bespricht sich mit Lewis Strauss, wie er seinen Ruf wiederherstellen kann, da er sehr unter der Verachtung der Kollegen leidet.

    Sein alter Freund Enrico Fermi stirbt an Magenkrebs, was Teller sehr trifft. Er verfasst nuneinen Artikel im Science-Magazin, in dem er die Verdienste von Oppenheimer und Los Alamoshervorhebt und ihnen den gebührenden Ruhm zuspricht. Er verspricht sich davon, dass manihm die Hand zur Versöhnung reicht, doch seine Umwelt ist bereits so verbittert wegen ihm,dass man dem Artikel misstraut und ihn nur als einen neuen Trick von Teller sieht, um Mitleidzu erhaschen. Seine neuen Freunde sind nun die Militärs, nicht mehr seine Physikerkollegen.

    Die Öffentlichkeit erfährt von dem Bravo-Test und dessen verheerender Auswirkung auf dieumliegenden Inseln aufgrund von radioaktivem Fallout. Überall kommt es nun zu kritischenMeinungen zu den Atomtests, man spricht über genetische Mutationen, die Gefahr für Eu-ropa aufgrund von Fallout, der durch ungünstige Wetterverhältnisse verbreitet wird, und vonGefahren für die Zivilbevölkerung. Die Nation ist hin und hergerissen: einerseits will manstarke Waffen, um sich gegen die Sowjets zu schützen, andererseits gibt es den öffentlichenAufschrei zum Thema Fallout. Die Entwicklung von ”sauberen” Bomben ohne radioaktivenFallout im unteren Kilotonnen Bereich wird forciert. Man plant, Atombomben wie konven-tionelle Granaten einzusetzen. Los Alamos und Livermore produzieren einige Prototypen fürdie Navy, doch diese wünscht sich leistungsfähigere Bomben. In seiner bekannten Art ver-spricht Teller, der Navy in fünf Jahren eine saubere Bombe zu liefern mit mehr Sprengkraft alsgewünscht und dennoch leichter. Das bringt ihm letztlich erneut den Zuschlag für den En-twicklungsauftrag. In Livermore ist man davon jedoch nicht gerade begeistert, denn dort wirdman nun die utopischen Versprechungen, die Teller den Militärs gegeben hat, nun irgendwieumsetzen müssen.

    Der öffentliche Druck, Atomwaffentests einzustellen, wächst. Auf der Londoner Frieden-skonferenz verhandeln die USA mit den Sowjets über einen Teststop. Das Aufrüsten sollgestoppt werden, ein Ende des Kalten Krieges erreicht werden. Teller warnt davor, dass dieSowjets die geplanten Abkommen verletzen könnten und unterirdische Tests durchführen könn-ten, die man nur sehr schwer entdecken würde. Mit sauberen Bomben hätte man jedochein schlagkräftiges Arsenal von kleinen Bomben zur Hand, mit denen man Europa schützenkönnte. Eisenhower will jedoch nicht von seinem Vorhaben abweichen, die Tests einzustellen,da der öffentliche Druck zu groß ist. Aber er stimmt zu, bei seiner nächsten Rede den Punktanzubringen, dass die USA nur deswegen weiter testen wollen, um kleinere und saubereBomben zu entwickeln, mit denen die amerikanische Bevölkerung geschützt werden kann.Eisenhower denkt sogar laut darüber nach, den Russen die Technologie zukommen zu lassen,um Fallout beim Einsatz von Atombomben generell zu vermeiden. Teller und Lawrence könnenEisenhower jedoch überzeugen, dass die Bomben weitere neue Technologien beinhalten, dieman nicht den Russen in die Hände spielen sollte. Die Rede des Präsidenten wird interna-tional kritisiert. Die Russen fragen laut nach, wie man von ”sauberen Bomben sprechen kann,die schmutzige Dinge tun”. Man misstraut den USA und die Chance auf einen Teststop ist fürs

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  • 6 Kalter Krieg und SDI

    Erste vertan.Am 4. Oktober 1957 senden die Russen den ersten Satelliten Sputnik in den Weltraum.

    Dadurch entfachen sie neue Ängste vor Atombomben, die, getragen von Raketen aus demWeltraum, ihr Ziel erreichen. Spionage bringt jedoch die Erkenntnis, dass die Russen soweitnoch nicht sind.

    Am 19. September 1957 führt Teller ein weiteres Experiment durch, den Rainier Test, die er-ste unterirdische Atombombenzündung. Er ist über das Ergebnis erfreut: sauber, kein Fallout,keine größeren Zerstörungen und nur über Seismographen zu entdecken. Rainier schuf alsonicht nur die Basis für falloutfreie Tests, sondern auch die Gewißheit für die USA, Testsper-rverträge unterlaufen zu können, sollten jemals welche abgeschlossen werden.

    Analysen seiner Wissenschaftskollegen zur Forderung eines Teststops versucht Teller au-seinanderzunehmen, indem er deren Aussagen als Übertreibungen darstellt. Als es dann tat-sächlich zu einem einjährigen Teststop kommt, lässt das Livermore Lab nichts unversucht, umaufzuzeigen, wie leicht man die Vorgaben unterlaufen kann. Die Erkenntnisse belasten dasfrisch geschaffene Vertrauensverhältnis zwischen Sowjets und USA erneut schwer. Die USAfordern doppelt so viele Überwachungsstationen wie vorher, und immer wieder zeigen die”Livermore Guys” neue Wege, wie man das gleichzeitige Explodieren mehrerer Bomben z.B.als Erdbeben tarnen könnte. Am Ende seiner Amtszeit stellt Präsident Eisenhower resigniertfest, dass es ihm nicht gelungen ist, einen Teststop zu verabschieden. Die technologische Elite,vor der man sich in Acht nehmen müsse, sind [5, S.284] ”[sic]Teller und von Braun”.

    Das neue Lieblingsprojekt von Teller sind ”Bomben zum Wohle der Wirtschaft”: Atom-bomben sollen Krater für Bergwerke sprengen, ein zweiter Panamakanal soll entstehen (mit-tels 26 Wasserstoffbomben mit insgesamt 16,7 MT Sprengkraft) und in Alaska möchte er einenkünstlichen Hafen mit Hilfe von Wasserstoffbomben schaffen (Projekt ”Chariot”). Über dieübliche Propagandamaschine (Fallout ist nicht schlimm, es gibt keine Langzeitschäden) schaffter es, die Einheimischen für seine Pläne zu begeistern. Doch als die PR-Delegation nach einpaar Wochen wieder nach Alaska kommt, sieht die Lage anders aus: Die Inuit, die nur wenigeMeilen vom geplanten Ground Zero leben und dort ihre Jagdgründe haben, haben sehr vielekritische Fragen an die Delegation und zeigen sich überaus informiert über das, was beimBravo-Test passierte. Die Inuit sorgen sich vor allem über die Anhäufung von Strahlung inden Karibus, ihrer Hauptjagdbeute. Man verspricht, dass keine Gefahr besteht. Jeder Hauchvon Fallout werde sofort durch das Meer weggetragen oder hätte sich innerhalb von Stundenverflüchtigt. Alles sei sauber und völlig gefahrlos. Auch in den USA bekommt die Sache derEskimos Unterstützung und es dauert nicht lange, bis das Projekt ”Chariot” auf unbestimmteZeit verschoben wird (wegen terminlichen Abstimmungen, wie es offiziell heißt - tatsächlichwill man der Blamage zuvorkommen, dass das Projekt offiziell gestoppt wird). Man beschließtkurzerhand, die Explosion auf dem Testgelände in Nevada durchzuführen, wo damals auch”Trinity” gezündet wurde. Die Detonation erfolgt offiziellen Angaben zufolge ohne Probleme:nicht mehr als 5% der Strahlung seien ausgetreten. Tatsächlich sind es jedoch 25%. Es ist diegrößte Bombenzündung, die jemals auf dem Territorium der USA stattfand. Die Falloutwolkezieht aufgrund schlechten Wetters über bewohntes Gebiet und sorgt für viel ”Aufregung”. AnOperation ”Chariot” ist nun nicht mehr zu denken: Wäre es dort zu dem gleichen Vorfallgekommen, wäre die ganze Westküste Alaskas verseucht worden, der Fallout hätte bis nachSibirien getragen werden können. Bis heute hat sich das Konzept des zivilen Einsatzes dersauberen Bomben nicht bewähren können.

    Interessant ist, wie Teller zu dem Ganzen stand: Aus seinen Reaktionen sieht man schnell,dass es ihm egal gewesen wäre, ob ein Kanal oder ein Hafen gebombt worden wäre - es gingihm nur darum, weiterhin Bomben testen zu können. Es steht zu diesem Zeitpunkt bereits fest,dass in dem Teststop-Moratorium nur die friedliche Nutzung von Atombomben zugelassenwürde, und das Chariot-Projekt wäre ganz klar ein Cover-Up für militärische Tests gewesen.

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  • Figure 6.1Vergleich der größten Atombomben-Explosionen

    J. F. Kennedy, mittlerweile Präsident, ist fest entschlossen, die Mission seines VorgängersEisenhower abzuschließen, einen kompletten Teststop zu erreichen. Im Pentagon und im AECwerden nun neue Köpfe eingesetzt, die diesem Ziel wohlwollend gegenüberstehen. Die Hard-liner der 50er Jahre werden nach und nach ersetzt. Doch auch Teller wird in ein Komiteeberufen, wohl aber nur, um ihn zu integrieren. Das Waffenarsenal der beiden Superstaatenist mittlerweile so groß, dass ein mehrfacher Overkill möglich ist. Beide wissen, dass es nichtdrauf ankommt, wer zuerst angreift, denn der Vergeltungsschlag würde den Gegner auf jedenFall auch vernichten. Somit ist klar: Der Erstschlag muss ultimativ sein und dem Gegner keineMöglichkeit für einen Vergeltungsschlag bieten (”Mutual assured destruction”). Die Idee desRaketenabwehrschilds wird geboren: Atombomben in sehr großer Höhe sollen die feindlichenballistischen Raketen zerstören.

    Im April 1961 kommt es zur Invasion an der Schweinebucht und die politische Lage spitztsich zu. Die Russen kündigen an, die Atomtests wieder aufzunehmen. 31 Tests im Megaton-nen Bereich werden durchgeführt. Kennedy schreibt an Chruschtschow, dass dieser die Testswegen der Gefahr radioaktiven Fallouts einstellen soll, aber die Bitte verhallt. Die Hardliner inden USA drängen daraufhin, ebenfalls die Tests wieder aufzunehmen. Am 30. Oktober 1961zünden die Russen die 58 MT ”Tzar”-Bombe, die bis heute größte jemals gezündete Wasser-stoffbombe.

    Technisch wäre eine Sprengkraft von 100 bis 150 MT möglich gewesen, wenn eine vierteStufe integriert worden wäre. Es handelt sich um eine atmosphärische Zündung. Die freige-setzte Energie beträgt 1,5% der Leistung der Sonne, mehr als die zehnfache Sprengkraft allerBomben im zweiten Weltkrieg, und die Detonationswelle wandert dreimal um den gesamtenErdball.

    Teller beschwört Kennedy, sofort wieder mit eigenen Tests anzufangen und Bomben-Bunkerfür die Bevölkerung zu errichten. Kennedy bleibt keine Wahl: er lässt wieder Tests zu. Manmerkt schnell, dass nicht nur die Russen während des Moratoriums heimlich getestet haben,da auch die amerikanischen Wissenschaftler innerhalb kürzester Zeit wieder Tests durchführenkönnen und somit vorbereitet gewesen sein müssen. Teller verfolgt weiterhin die Idee einesRaketenabwehrschildes. Bei Tests in der Atmosphäre kommt es zu elektrischen Beeinträchti-gungen von Radios, Alarmanlagen schlagen an und Solar-Panele von Wettersatelliten werdenbeschädigt. Der elektromagnetische Impuls (EMP), der hierfür verantwortlich ist, wird ent-deckt.

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  • 6 Kalter Krieg und SDI

    Teller versucht Senatoren und Armee-Funktionäre im ganzen Land davon zu überzeugen,gegen einen Teststop zu stimmen. Dies gelingt ihm so gut, dass die Gefahr besteht, dassKennedy mit seinem Vorhaben bereits an den eigenen Leuten scheitern würde. Kennedy istklar, dass ein vollständiger Teststop nicht zu erreichen ist, und dass ein Kompromiss gefun-den werden muss, der zumindest unterirdische Tests erlaubt. Teller arbeitet mit der Presse,führt Aussagen von Nobelpreisträgern an, die seiner Meinung sind, tritt im Fernsehen undim National Press Club auf. Doch am 24. September stimmt der Senat dennoch für eine Ein-schränkung des Testbetriebs.

    Der Fermi-Preis (für herausragende Forschung im Nuklearbereich, benannt nach seinem er-sten Preisträger Enrico Fermi) des Jahres 1962 soll, auf Tellers Vorschlag hin, an Robert Oppen-heimer gehen. Der Preis soll eine Art Rehabilitation Oppenheimers sein. Kennedy kündigt am22. November an, dass er den Preis überreichen wird. Doch am Nachmittag des gleichen Tagesfällt Kennedy einem Attentat zum Opfer. Bei der Preisverleihung schütteln sich Teller und Op-penheimer erstmals wieder die Hände: ein Bild, das für Aufruhr sorgt. Für Teller ist es eine in-nere Befriedigung, er verspricht sich davon auch die eigene Rehabilitation in Forscherkreisen.Doch zu Tellers Unglück verfehlt die Aktion seine Wirkung: Wieder wird sie vor allem seinemSelbstmitleid zugeschrieben und das Schisma bleibt bestehen.

    Livermore arbeitet immer noch an einer SDI Studie: zwei Typen von Raketen sollen ankom-mende Raketen des Feindes vernichten. Ronald Reagan, damals noch Senator, besucht Liver-more und ist sehr beeindruckt von der Forschungsarbeit. Teller und Reagan sind sich sofortsympathisch.

    Figure 6.2Ein Student wirft

    Edward Teller eineTorte ins Gesicht

    Der neue Röntgen-Laser-Sprengkopf an den Raketen muss getestetwerden. Wieder wird Alaska als Testgelände vorgeschlagen. Die In-sel Amchitka am westlichen Ende wird erwählt, auch wenn die Gefahrvon Erdbeben besteht, weil sie sehr nah am Rim of Fire liegt. Da es sehrviele Kavernen in der Gegend gibt, besteht das Risiko, dass Radioak-tivität austritt und das Meer verseucht, aber die Bedenken werden bei-seite gewischt: Wieder spielt Livermore mit der globalen Sicherheit, umseine Tests durchführen zu können. Der Test auf Amchitka findet statt.Offiziell gibt es keinerlei Komplikationen, man erfährt jedoch später,dass es sehr wohl eine Reihe kleinerer Erdbeben gab und auch wiederRadioaktivität ausgetreten ist.

    In Berkeley gehen die Studenten auf die Barrikaden: Die öffentlicheMeinung zum Thema Nuklearwaffen ist aufgeheizt und man führt”Tribunale” gegen jene Forscher durch, die der Welt die Atomwaffen

    brachten. Ein Student wirft Edward Teller eine Torte ins Gesicht.Pro-kommunistische Tendenzen, ebenso wie die Che Guevara Themen, finden nun an der

    Universität Anklang und stehen in krassem Gegensatz zu den Ansichten der Forscher der er-sten beiden Weltkriege. Es kommt zu einem Generationenkonflikt. Die Tribunale sollen her-ausstellen, wie viel Kriegsforschung tatsächlich an den Universitäten betrieben wird, geradeauch im Hinblick auf den gerade entfachten Vietnam Krieg. Auch Teller soll ”verhört” werden,erscheint jedoch nicht. Die Stimmung ist angeheizt und eskaliert. Ein wütender Mob zieht zumAnwesen der Tellers, wo er nur durch ein massives Polizeiaufgebot gestoppt werden kann. Eskommt zu ”Kill Teller!”-Rufen.

    Tellers Idee, mit Hilfe von Bomben die anfliegenden Raketen zu zerstören, wird immer mehrkritisiert. Zu gering ist die Chance, mit Hilfe einer Bombe ein sich so schnell bewegendesObjekt wie eine Atomrakete zu zerstören. Allein schon die Zeit, bis die Bombe einsatzbereitwäre, würde viel zu lange dauern. Bei einem Großangriff der Sowjetunion mit 1.000 Raketenwäre zudem die Chance, alle Raketen abzufangen, gleich Null. Die Testserie wird trotz allerKritik fortgeführt. Der Haupttest führt zu Erdbeben der Stärke 7,0 auf der Richterskala. Durch

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  • sich öffnende Risse im Gestein gelangen große Mengen von Radioaktivität in den Pazifik unddie Atmosphäre. Zwischen der Sowjetunion und den USA wird 1972 der Anti-Ballistic Treatygeschlossen, der die Anzahl der Raketen auf 100 Stück limitiert und bestimmt, dass diese nuran zwei Standorten stehen dürfen. Teller kritisiert den Vertrag und wirft der Regierung vor,die Bevölkerung bewusst dem Angriff von Atomraketen auszusetzen, statt in die Verteidigungzu investieren.

    Leo Szilard, einer der letzten ”Verbündeten” von Teller, stirbt 1964 an einem Herzinfarkt(er hatte wie viele seiner Kollegen ebenfalls Krebs, wurde aber durch eine Strahlentherapieoffenbar geheilt). Teller wird immer mehr zum Außenseiter, er schließt sich republikanischenGruppierungen und Lobbys an.

    1979 kommt der Film ”Das China Syndrom” in die Kinos, der von einem atomaren Störfallhandelt. Der Inhalt des Films wird zwölf Tage später Wirklichkeit, als sich die Geschichte inPennsylvania im Reaktor auf ”Three-Mile Island” fast genauso abspielt. Es kommt beinahezu einer Kernschmelze, weil ein Kühlventil am Reaktor nicht korrekt arbeitet. Es kommt zurProtesten von Atomkraft-Gegnern. In einem Alter, wo andere Menschen an ihren Ruhestanddenken, legt Teller nun richtig los: Teller kämpft wie ein Löwe, um den Ruf der Atomkraft zuschützen, und attackiert alle Kritiker in Fernsehinterviews und der Presse, die etwas anderesbehaupten. Die Anstrengung ist zu viel für ihn und er erleidet einen Herzinfarkt, von dem ersich jedoch erholt. Im Juli 1979 setzt er eine ganzseitige Anzeige im Wallstreet Journal ”I wasthe only victim of Three-Mile Island”. Darin beschuldigt er prominente Kritiker wie Jane Fondaund Ralph Nader, für seinen Herzinfarkt verantwortlich zu sein. Beide haben sich öffentlichstark gegen Atomkraft engagiert und Teller kritisiert.

    Teller rührt 1981 in Washington erneut die Werbetrommel und versucht, zusätzliche Gelderfür die Entwicklung einer neuen Technologie zu sichern: gepulste Röntgenstrahlen sollen dieRaketen der Gegner gezielt abschießen. In seinen Präsentationen verkauft er ein System, welchesim Prinzip ”fast fertig” ist, das in Wirklichkeit aber gerade erst einen ”Proof of concept” Sta-tus erreicht hat. Man stellt der Regierung in Aussicht, dass in nur vier bis fünf Jahren dasAnti-Raketen-Abwehrschild fertig sein könnte, bei nur ca. 50 Mio USD pro Jahr Budget, undsogar schneller, wenn es mehr Geld gäbe. Er verschweigt jedoch, dass noch sehr viel Grundla-genforschung betrieben werden muss, und vier bis fünf Jahre eine unrealistisch optimistischeZeitschätzung waren.

    Die Rüstungsausgaben in Milliardenhöhe stürzen die USA in die größte Regression seit den1930er Jahren. Es kommt zu Demonstrationen. Eine Synode der Kirche fordert ein Ende der”unmoralischen Handlungen”. Die Regierung lehnt im Dezember 1982 eine Anfrage über998 Millionen USD ab, die der Präsident für die Rüstung ausgeben möchte. In einem neuenGremium wird das ”SDI” Programm (oder auch ”Star wars”, wie es intern genannt wird) unterdie Lupe genommen. Es stellt sich heraus, dass die Zeit- und Kostenschätzungen bei weitem zuniedrig beziffert wurden. Teller ist außer sich und droht, das Gremium zu verlassen, wenn dasLaserprojekt nicht einer weiteren Überprüfung unterzogen wird. In diesem zweiten Berichtwerden die Erfolgschancen für das Projekt bereits wesentlich positiver gesehen und es wirdfortgeführt. Mittlerweile spricht man aber offen von einem Zeitpunkt zum Ende des Jahrhun-derts für die Fertigstellung des Systems.

    Hans Bethe, der sich mittlerweile gegen den militärischen Einsatz der Atomenergie ausspricht,führt eine Bestandsaufnahme der SDI Technologie durch. Sein Resumée: Machbar, aber sehrschwer zu realisieren. In seiner Ansprache an die Nation im März 1982 spricht sich der Präsidenterneut für das SDI Programm aus, Tellers Lobbyarbeit war wieder einmal erfolgreich. Nachwie vor gibt es aber noch nicht einmal einen funktionierenden Prototypen. Die ursprünglicheKritik, im All basierte ”Geschütztürme” seien ein leichtes Ziel für gezielte Gegenangriffe, wirdmit einer neuen Taktik begegnet: Die Geschütztürme sollen von der Erde ins All geschossenwerden, sich im All positionieren und von dort angreifen. Ein logistisch fast unlösbares Prob-

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  • 6 Kalter Krieg und SDI

    lem, was aber ebenfalls völlig unter den Tisch gekehrt wird. Auch dass feindliche Raketen ineinem sehr flachen Winkel unter der Atmosphäre fliegen könnten und dadurch nicht von denLasern zerstört werden können, wird heruntergespielt.

    Teller wird von Reagan die ”National Medal of Science” verliehen, die höchste Ehrung fürWissenschaftler in den USA. Doch nach wie vor fließen die gewünschten Gelder für SDI nicht.1983 kommt es nach dem versehentlichen Abschuss einer Zivilmaschine mit 60 US-Bürgerndurch die Sowjets und nach einer Truppenübung fast zur Eskalation.

    Die Sowjets sind sehr beeindruckt von den Entwicklungen im SDI Programm und gebenoffen zu, bei dieser Entwicklung wirtschaftlich nicht mithalten zu können. Auch auf sow-jetischer Seite besteht die Angst, dass durch eine Verlagerung des Kriegsschauplatzes in denOrbit das ”Arms race” weitergeht. Im Winter 1983 gibt es schließlich den ersten erfolgreichenTest mit Röntgen-Lasern. Teller verkauft dies als Durchbruch. Es sei nun nur noch eine Fragedes Geldes, bis man ein funktionierendes System habe. Woran es der Waffe vor allem nochfehlt, ist die Helligkeit des Lasers. Neue Hochrechnungen ergeben, dass das System hinter denLasern eine Energie von 74 MT aufbringen müsste, um alle Laser zu speisen und wirksam einegrößere Anzahl von Raketen zu bekämpfen. Auch schwankt die Anzahl der Raketenstationenzwischen 90 und 2.300 und würde etwa 2,4 Trillionen USD kosten. Teller phantasiert weiter,dass das System dann aber höchst effektiv selbst gegen hunderttausende von Raketen wäre.

    1985 wird Gorbatschow Präsident der Sowjetunion und ändert Vieles. Er macht deutlich,dass die Russen nicht so weit sind, wie man glaubt und dass eine SDI Entwicklung auf rus-sischer Seite den Staat vor ein ernstzunehmendes finanzielles Problem stellen würde. DiesesBekenntnis beeinträchtigt die Daseinsberechtigung des SDI-Systems erheblich.

    Inzwischen benennt man ”SDI” in ”Super Excalibur” um. Es wird weiter experimentiert undimmer mehr Geld in das Projekt gesteckt. Bis Ende 1991 werden es 3,7 Milliarden USD sein.Doch schon 1985 kommt es zu schweren Problemen. Man stellt fest, dass die notwendige Hel-ligkeit der Laser nicht erreicht werden kann, und dass bisherige Ergebnisse Fehlmessungenaufgrund der Legierung waren. Das ganze Projekt steht nun auf der Kippe. Für die Wis-senschaftler würde das bedeuten, dass sie in den letzten fünf Jahren einem Gespenst hinter-her gejagt sind. Leitende Manager nehmen ihren Hut. Ein groß angelegter Test ”Goldstone”schlägt fehl: Der Testaufbau wurde unter dem Zeitdruck nicht korrekt durchgeführt und derLaser erzielt nur etwa 10% der geplanten Leistung.

    Gorbatschow setzt mit Glasnost und Perestroika auf eine neue Lösung im Atomkonflikt. InReykjavik wird den USA ein großes Angebot gemacht: Die Sowjetunion wird auf 50% ihrerAtomwaffen verzichten, wenn die Entwicklung am SDI-Projekt eingestellt wird. Die USA bit-ten sich Bedenkzeit aus, weisen das Angebot am Ende jedoch ab. Russland legt nach: Russlandwürde auf alle seine Atomwaffen verzichten, wenn kein SDI entwickelt würde! Doch die USAlehnen das Angebot erneut ab, und zerstören damit die Hoffnung auf ein Ende eines Konflik-tes, der seit 40 Jahren die Weltpolitik bestimmte.

    Das SDI Programm ist immer größerem Druck in der Öffentlichkeit ausgesetzt: überzogeneVorstellungen, zu hohe Kosten und übertriebene Leistungsfähigkeit lassen die Zukunft desProgramms ungewiss erscheinen. Teller lässt die Röntgenlasertechnologie fallen und stürztsich auf eine neue Idee: ”Brilliant pebbles”, eine Art Asteroidenfeld von 100.000 selbstlenk-enden ”Kieseln” im All, die sich auf ankommende Raketen stürzen und diese zerstören sollen.Das neue Konzept soll nur einen Bruchteil der Kosten verursachen und bereits in drei Jahrenfertig sein. Wieder beweist Teller sein Geschick in der Lobbyarbeit: Reagan ist davon sehrangetan, sein Nachfolger Bush jedoch eher weniger. Als kurz darauf herauskommt, dass dieLeistungsfähigkeit der SCUD-Raketen im Golfkrieg übertrieben war, verliert das Thema auf-grund von Kritik aus der Öffentlichkeit insgesamt zusehends an Zuspruch. Bis heute ist ”SDI”jedoch ein aktives Projekt und Bestandteil der amerikanischen Verteidigungspolitik, wenn auchmittlerweile mit sehr untergeordneter Wichtigkeit.

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  • 1989 fällt die Berliner Bauer und die Sowjetunion bricht zusammen. Teller bereist nach demFall des eisernen Vorhangs den Ostblock und besucht nach mehr als 50 Jahren wieder seineHeimat. Dort wird er für sein Lebenswerk geehrt und ihm wird die Ehrenprofessur der EotvosUniversität von Budapest verliehen.

    Wenige Jahre vor seinem Tod wird Teller von Präsident George W. Bush die Freiheitsmedailleverlieren, eine der beiden höchsten zivilen Auszeichnungen in den USA. Nach dem Tod seinerFrau Mici im Jahr 2000 lebt Teller noch drei Jahre, bevor er 2003 an einem erneuten Schlaganfallstirbt.

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  • 6 Kalter Krieg und SDI

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  • 7 Ethische Aspekte

    Edward Teller war ein Mensch, der zum Erreichen seiner persönlichen Ziele weder vor ethis-chen, persönlichen noch gesellschaftlichen Grenzen Halt machte. In seiner Jugendzeit kenntman Teller als einen strebsamen jungen Mann, der stets darauf bedacht ist, wertgeschätzt zuwerden und Anerkennung zu erhalten. Noch während seiner Studienzeit ist er von Selbst-zweifeln geplagt und unsicher, ob er in die Gesellschaft bekannter Wissenschaftler aufgenom-men wird. Er arbeitet viel und ist bescheiden. Bei der Erstellung bedeutender wissenschaftlicherArbeiten dieser Zeit nennt er seinen Namen nie als erstes, auch wenn die Hauptarbeit beimanchem Arbeiten auf seinen Schultern ruhte. Dieser stille, besonnene Mensch hat jedochin frühester Jugend die Grausamkeiten und Gewalt von Diktatoren in seiner Heimat kennen-gelernt und diese mit dem Kommunismus verbunden. Der Horror vor dieser Regierungsformsollte die Entscheidungen seines ganzen Lebens beeinflussen.

    Als er in den 1940er Jahren persönlich an seinen Aufgaben wächst und lernt, dass seinTun bedeutsame Entscheidungen herbeiführen kann, wird er selbstbewusster. Er erkennt,dass er gebraucht wird, beginnt seinen Status auszukosten und seine Eigenheiten auszuleben,anstatt sie aus Furcht vor Kritik und Zurückweisung zu verstecken. Sein neu erworbener Rufermöglicht es ihm nun auch, kritisch die Arbeiten und Entscheidungen anderer zu kommen-tieren.

    Wie ein Kind stürzt er sich auf das Thema Atomwaffen. Wenn Edward Teller über dieWasserstoff-Bombe spricht, wirkt es nicht, als würde er von einer Waffe sprechen, die mit ihrenFolgen die gesamte Menschheit vernichten könnte, sondern eher von einem ”Spielzeug”, daseinem viele spannende Stunden bereiten kann. Teller will dieses Spielzeug verstehen, bauenund verbessern.

    ”I do not want [sic] a hydrogen bomb because it would kill more people. I wanteda hydrogen bomb because it was new. Because it was something that we did notknow and could know. I am afraid of ignorance.”

    [5, S.258]Während seine Forscherkollegen sich nach den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Na-

    gasaki von Atomwaffen distanzieren, träumt Teller schon von viel größeren und mächtigerenWaffen mit um ein Vielfaches stärkerem Vernichtungspotential, welche die Sowjetunion in ihreSchranken verweisen würden.

    Seine Lobbyarbeit in Washington ermöglicht es ihm, entscheidenden Einfluss auf die Vertei-digungspolitik der USA zu nehmen. Teller trug damit wesentlich dazu bei, dass sich die USAim ”Arms race” mit der Sowjetunion messen mussten. Dass die Welt für Jahrzehnte der Gefahreines atomaren Weltkriegs ausgesetzt war, nahm er billigend in Kauf oder ging z.B. mit seinerAnti-Teststop-Kampagne bewusst auf Konfrontationskurs und riskierte eine Eskalation.

    Als ihm klar wird, dass sein Wunsch, die Wasserstoff-Bombe entwickeln zu dürfen, nicht so-fort erfüllt wird, sucht er den Grund dafür bei anderen und insbesondere in der Person RobertOppenheimers. Mit seinen rufvernichtenden Aussagen in Oppenheimers Sicherheitsanhörungrächt er sich auf seine Weise an dem Wissenschaftler und trägt dazu bei, dass Oppenheimerseiner Rolle als Regierungsberater nicht länger wahrnehmen kann.

    Nachdem auch die Sowjetunion das Wissen zum Bau von Wasserstoff-Bomben erlangt hat,sucht er ein neues Betätigungsfeld im Weltraum. Dort versucht er durch den Aufbau von

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  • 7 Ethische Aspekte

    atombetriebenen Verteidigungsanlagen seinen Einfluß aufrecht zu erhalten. Dadurch setzt ererneut das Gleichgewicht der Mächte zwischen der Sowjetunion und den USA aufs Spiel.

    Edward Teller lebte sein Leben lang gemäß seiner eigenen Überzeugungen. Er sah dieAtomkraft immer als etwas Gutes und nie als möglicherweise schädlich für die Menschheit.Sein Wirken war von einer abgrundtiefen Angst vor und Misstrauen gegenüber dem Kom-munismus geprägt. Sein Tun diente oftmals nur der Befriedigung seines eigenen Sicherheits-bedürfnisses, während es dem Planeten großen Schaden zufügte.

    ”Ohne Teller wäre es eine bessere Welt gewesen.”

    (Isidor Rabi)

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  • Bibliography

    [1] atomicarchive.org: Exploring the History, Science, and Consequences of the Atomic Bomb.http://www.atomicarchive.com/index.shtml.

    [2] Edward Teller - A life dedicated to science. https://publicaffairs.llnl.gov/news/teller_edward/.

    [3] Edward Teller Biography – Academy of Achievement. http://nuclearweaponarchive.org/.

    [4] The Nuclear Weapon Archive - A Guide to Nuclear Weapons. http://nuclearweaponarchive.org/.

    [5] Peter Goodchild. Edward Teller, the real Dr. Strangelove. Weidenfeld & Nicolson, 2004.

    [6] Richard Rhodes. Dark sun. Simon & Schuster, 2005.

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    http://www.atomicarchive.com/index.shtmlhttps://publicaffairs.llnl.gov/news/teller_edward/https://publicaffairs.llnl.gov/news/teller_edward/http://nuclearweaponarchive.org/http://nuclearweaponarchive.org/http://nuclearweaponarchive.org/http://nuclearweaponarchive.org/

    AbstractTellers Jugend und StudienjahreDer Beginn einer wissenschaftlichen KarriereLos AlamosDie Nachkriegszeit und der Bau der WasserstoffbombeOppenheimers SicherheitsanhörungKalter Krieg und SDIEthische AspekteBibliography