Nils Ballhausen Neubaugebiet Bökelbergturfirma Planungsgruppe B verstehen, die bereits das neue...

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34 | Bauwelt 22 2004 Nils Ballhausen Neubaugebiet Bökelberg Was bleibt der Stadt Mönchengladbach vom Mythos? Was kann, was soll vom Stadion am Bökelberg bestehen bleiben? Rund um die ehemalige Kiesgrube ist ein „besseres“ Wohngebiet gewachsen. Bauwelt 22 2004 | 35 Das Luftbild verdeutlicht die Nähe der Wohnhäuser zum Stadion. Die über- dachte Westtribüne sowie die Nord- und die Südkurve zeichnen noch die Hänge der ehemaligen Kiesgrube nach; der Ostwall wurde 1972 aufge- schüttet. Die Plünderung des Inventars fand nicht statt. Kein Herausschneiden von Rasenstücken, kein Abschrauben von Sitzschalen, Zaunelemen- ten, Wellenbrechern oder Lautsprechern. Nach dem letzten Abpfiff eines Bundesligaspiels im Mönchengladbacher Stadion vor zwei Wochen durfte es nicht zur chaotischen Souvenirjagd der Fans kommen, weil hier im Juni das 23. Nato-Musikfest stattfindet und die Amateur- mannschaft von Borussia Mönchengladbach noch die nächste Saison spielen wird, bevor im nächsten Jahr die Bagger kommen werden. Zu gegebener Zeit will der Verein einen geregel- ten Verkauf von Devotionalien organisieren. In der Stadt stellt sich die Frage, wie man den „Mythos Bökelberg“ im Stadtteil Eicken über- bauen soll. Die feierliche Einweihung des Fußballplatzes an der Bökelstraße fiel in das Jahr 1919. Die Borussia hatte fünf Jahre zuvor eine aufgelas- sene Kiesgrube gekauft und diese zum Teil in Eigenarbeit zu einem für damalige Verhält- nisse vorbildlichen „Naturstadion“ hergerich- tet. Die Hänge, die durch den Kiesabtrag an drei Seiten entstanden waren, eigneten sich be- sonders gut als Zuschauertribünen. Im Laufe der Zeit wurden mit Spaten immer wieder ein- mal Stufen in die Schräge gestochen, um den Zuschauern bei Regen wenigstens etwas Stand- festigkeit zu geben. Als Sitzgelegenheit genüg- ten einige Bretter. Mit solchen primitiven Bau- maßnahmen gelang es, zeitweise mehr als 20.000 Zuschauer in der „Kull“ (Kuhle) unter- zubringen. Im Jahr 1954 musste der Verein das gesamte Areal an die Stadt verkaufen, um sich zu ent- schulden. Seit Beginn der sechziger Jahre hat die öffentliche Hand in den Ausbau investiert. Zunächst wurden die Hänge ringsum mit Be- tonstufen befestigt, 1966 die Westtribüne über- dacht. Inzwischen war die Borussia in die Fuß- ball-Bundesliga aufgestiegen, so dass auch aus wirtschaftlichen Gründen eine Steigerung der Zuschauer-Kapazität erforderlich wurde. Da Mönchengladbach als Austragungsort der Weltmeisterschaft 1974 – ebenso wie für 2006 – keine Berücksichtigung fand, blieb es beim stufenweisen Ausbau des Standorts. Bis 1978 wurde der Westhang mit der Haupttribüne aufgestockt, ein neues Dach und die Flutlicht- masten kamen hinzu, und die Tribüne an der Gegengeraden wurde mit einem Wall geschlos- sen. Doch obwohl der Verein in den siebziger Jahren europaweite Berühmtheit erlangt hatte, blieb es bei 8722 überdachten Sitzplätzen (Ge- samtkapazität: 34.000 Plätze). Daran hat sich bis zuletzt nichts geändert. Die Nachbarschaft entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer begehrten Wohn- adresse, was die Ausbaumöglichkeiten des Sta-

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Nils Ballhausen

Neubaugebiet BökelbergWas bleibt der Stadt Mönchengladbach vom Mythos?

Was kann, was soll vom Stadion amBökelberg bestehen bleiben? Rundum die ehemalige Kiesgrube ist ein„besseres“ Wohngebiet gewachsen.

4. Mönchengladbach-imp 26.05.2004 11:49 Uhr Seite 34

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Das Luftbild verdeutlicht die Nähe derWohnhäuser zum Stadion. Die über-dachte Westtribüne sowie die Nord-und die Südkurve zeichnen noch dieHänge der ehemaligen Kiesgrubenach; der Ostwall wurde 1972 aufge-schüttet.

Die Plünderung des Inventars fand nicht statt.Kein Herausschneiden von Rasenstücken, keinAbschrauben von Sitzschalen, Zaunelemen-ten, Wellenbrechern oder Lautsprechern. Nachdem letzten Abpfiff eines Bundesligaspiels imMönchengladbacher Stadion vor zwei Wochendurfte es nicht zur chaotischen Souvenirjagdder Fans kommen, weil hier im Juni das 23.Nato-Musikfest stattfindet und die Amateur-mannschaft von Borussia Mönchengladbachnoch die nächste Saison spielen wird, bevor imnächsten Jahr die Bagger kommen werden. Zugegebener Zeit will der Verein einen geregel-ten Verkauf von Devotionalien organisieren.In der Stadt stellt sich die Frage, wie man den„Mythos Bökelberg“ im Stadtteil Eicken über-bauen soll. Die feierliche Einweihung des Fußballplatzesan der Bökelstraße fiel in das Jahr 1919. DieBorussia hatte fünf Jahre zuvor eine aufgelas-sene Kiesgrube gekauft und diese zum Teil in Eigenarbeit zu einem für damalige Verhält-nisse vorbildlichen „Naturstadion“ hergerich-tet. Die Hänge, die durch den Kiesabtrag andrei Seiten entstanden waren, eigneten sich be-sonders gut als Zuschauertribünen. Im Laufeder Zeit wurden mit Spaten immer wieder ein-mal Stufen in die Schräge gestochen, um denZuschauern bei Regen wenigstens etwas Stand-festigkeit zu geben. Als Sitzgelegenheit genüg-

ten einige Bretter. Mit solchen primitiven Bau-maßnahmen gelang es, zeitweise mehr als20.000 Zuschauer in der „Kull“ (Kuhle) unter-zubringen. Im Jahr 1954 musste der Verein das gesamteAreal an die Stadt verkaufen, um sich zu ent-schulden. Seit Beginn der sechziger Jahre hatdie öffentliche Hand in den Ausbau investiert.Zunächst wurden die Hänge ringsum mit Be-tonstufen befestigt, 1966 die Westtribüne über-dacht. Inzwischen war die Borussia in die Fuß-ball-Bundesliga aufgestiegen, so dass auch aus wirtschaftlichen Gründen eine Steigerungder Zuschauer-Kapazität erforderlich wurde.Da Mönchengladbach als Austragungsort derWeltmeisterschaft 1974 – ebenso wie für 2006 –keine Berücksichtigung fand, blieb es beimstufenweisen Ausbau des Standorts. Bis 1978wurde der Westhang mit der Haupttribüneaufgestockt, ein neues Dach und die Flutlicht-masten kamen hinzu, und die Tribüne an derGegengeraden wurde mit einem Wall geschlos-sen. Doch obwohl der Verein in den siebzigerJahren europaweite Berühmtheit erlangt hatte,blieb es bei 8722 überdachten Sitzplätzen (Ge-samtkapazität: 34.000 Plätze). Daran hat sichbis zuletzt nichts geändert.Die Nachbarschaft entwickelte sich im Laufeder Jahrzehnte zu einer begehrten Wohn-adresse, was die Ausbaumöglichkeiten des Sta-

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dions zusätzlich einschränkte. Im Gegensatz zuVereinen wie Schalke o4, Borussia Dortmundoder 1. FC Köln, die im Zuge der WM 1974 völ-lig neue Stadien zur Verfügung gestellt beka-men, war die wirtschaftliche Entwicklung derBorussia stark beeinträchtigt. Damit verbun-den folgte in den achtziger Jahren der allmäh-liche sportliche Niedergang. 1991 kam das Pro-jekt „Sportpark Bökelberg“ ins Gespräch, daseinen umfassenden Stadion-Neubau vorsah, ergänzt um VIP-Logen, Tiefgaragen, 200-Bet-ten-Hotel und „Bökelberg-Therme“. Ein vonder Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten be-fand jedoch die Chancen möglicher Anwoh-nerklagen gegen die ganzjährig geöffnete Ver-gnügungsstätte als zu gewichtig, so dass sich Stadt und Verein endgültig vom Bökelberg alseinem öffentlichen Ort verabschiedeten und einen Neubau an anderer Stelle favorisierten.Dass es auch bis zum Bau des neuen Stadionsam Nordpark zahlreiche Querelen, Streichun-

gen und Neuplanungen gab, sei hier nur kurzerwähnt. Hinter der Autobahn, fünf Kilometerentfernt vom Stadtzentrum, ist inzwischen et-was entstanden, für das der Begriff „Zweck-bau“ am treffendsten erscheint. Die Stadt lobte im Herbst vergangenen Jahres„aus finanziellen Gründen“ keinen Wettbe-werb aus, sondern forderte sechzehn Mönchen-gladbacher Architekturbüros in Form einerMehrfachbeauftragung zu Vorschlägen auf, wiedas stadteigene 5,2 Hektar große Areal für„qualitätvolles gehobenes Wohnen“ städtebau-lich neu zu ordnen sei (Honorarkosten: 90.000Euro). Ein 16-köpfiges Gremium aus Lokalpo-litikern und Mitgliedern der Bauverwaltungwählte vier Arbeiten aus. Unter ihnen tretenzwei gegensätzliche Haltungen zutage: Die ei-ne (Hartmann Architekten) sieht die Integra-tion von Teilen des alten Stadions vor, die an-dere (Planungsgruppe B) die Tilgung jegli-cher Spuren vor Ort.

Das Konzept „Wohnen am Fohlenpark“von Hartmann Architekten, Mönchen-gladbach, sieht u.a. elf rund um dasehemalige Spielfeld aufgeständerteMehrfamilienwohnhäuser vor. Flut-lichtmasten sowie Teile der Tribünenund des „heiligen“ Rasens sollen er-halten und in eine öffentliche Grün-anlage eingebettet werden.Rechts: das nivellierende städtebauli-che Konzept der Planungsgruppe B

Lagepläne im Maßstab 1 : 2500

Gewöhnlich werden die Preisträger danach umeine Überarbeitung gebeten, um die konkre-ten Vorgaben der Stadt in ihre Konzepte ein-zuarbeiten (in der Tat gab es keine Vorgabenzu Dichte und Art der künftigen Bebauung).Ernsthaft zu befürchten ist aber, dass in derBauverwaltung selbst zu Papier und Stift ge-griffen wird, um aus den verschiedenen Kon-zepten ein paar Ideen herauszuklauben unddiese zu einem – für alle unbefriedigenden –Konsens-Plan zu verschmieren. Der Verein hält sich in der Sache zurück. Ermuss seine neue Spielstätte ab der kommen-den Saison als Heimstätte etablieren, was an-gesichts des traditionsreichen Vorgängerbausdem Versuch gleichkommt, eine Vase aus derMing-Dynastie durch Tupperware zu ersetzen.Es braucht dafür viel Marketing und keines-falls Zeugnisse der „guten alten Zeit“, die au-thentischer wirken könnten als das künfti-ge „Borussen-Museum“ draußen im Nordpark.

4. Mönchengladbach-imp 26.05.2004 11:52 Uhr Seite 36

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Das vereinseigene und noch namen-lose neue Stadion für 60.000 Zu-schauer liegt im EntwicklungsgebietNordpark – mit eigener Autobahnaus-fahrt. Mit Bussen werden die nichtmotorisierten Fans herbeigeschafft.

Fotos: Udo Meinel, Berlin;Luftbilder: Dieter Wiechmann, Mön-chengladbach

Außerdem steckt über Bürgschaften auch kom-munales Geld im Neubau am Rande der Stadt,das zu erlösen man der Stadt nicht unnötig erschweren mag, indem man vielleicht etwasmehr erwartet als eine Gedenktafel vor demWohngebiet. In diesem Sinne muss man wohlauch das Konzept der Düsseldorfer Architek-turfirma Planungsgruppe B verstehen, die bereits das neue Stadion am Nordpark reali-siert hat. Dietmar Haasen, einer der Firmen-inhaber, hat seinen Sitz nicht weit vom Bökel-berg. Ihm wird eine gewisse Nähe zum CDU-Fraktionsvorsitzenden Rolf Besten unterstellt,in dessen Wahlkreis das Bökelberg-Stadionliegt. Besten habe sich sogar, im Hinblick aufdie Kommunalwahl im September, seinen Wäh-lern gegenüber festgelegt, dass alles so kom-men wird, wie Architekt Haasen es vorgeschla-gen hat. Viele Anzeichen deuten auf eine jener Verqui-ckungen hin, wie sie aus anderen Städten mit

jahrzehntelanger Ein-Parteien-Regierung be-kannt sind. Unterstellt man den Verantwortli-chen nur das redlichste Motiv – die Erzielungeines maximalen Erlöses für die Stadtkasse –,dann stellt sich die Frage, warum hier eineeinzigartige Chance leichtfertig vertan wer-den soll. Gibt es in Mönchengladbach einenöffentlichen Ort, der bekannter ist? Jeder Pro-jektentwickler dürstet nach einem solchen„Alleinstellungsmerkmal“, nach Authentizität,Symbolik, Bildern. Gibt es zu wenig Interes-senten, die genau dort wohnen möchten, woeinst Günter Netzer flankte?Die Marktkräfte haben den Fußball an die Pe-ripherie zentrifugiert. Die öffentliche Handmuss mehr Kapital aus dem Bökelberg schla-gen als die anvisierten 12 Millionen Euro, dieeine Eigenheimparzellierung erbringen könnte.Die Öffentlichkeit hat einen berechtigten An-spruch darauf, dem Bökelberg auch nach derÜberbauung Respekt erweisen zu können.

4. Mönchengladbach-imp 26.05.2004 11:53 Uhr Seite 37