Not-Erfassung und Dokumentation von historischen Freiräumen · Teilbereiche einschließen....

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Not-Erfassung und Dokumentation von historischen Freiräumen Nach der Flut ist vor der Flut. von Dr.Jörg-U.Forner, TU Berlin Das Frühjahr steht bevor, und damit wieder starke Regenfälle und große Schmelzwassermengen. Auch in diesem Jahr sind wieder Überschwemmungen zu erwarten. Schäden an einzigartigem Gartenkulturgut bleiben dabei nicht aus. Wir erinnern uns: Über weite Teile Deutschlands er- goß sich im Jahr 2002 eine riesige Wassermenge. Land unter, Kultur-Landschaft drunter. Im Anschluß an die notständige Zeit äußerte sich die Solidarität in Deutschland in einer großen Hilfewelle. Was nach dem langsamen Wasserabfluß zurückblieb, war ein Meer an Zerstörung und Schäden. Das Ausmaß war lange Zeit nicht abzuschätzen und die nachhaltige Folgen sind vielfach noch heute sichtbar. Betroffen waren sowohl die prominenten Garten- und Parkanla- gen wie z.B. Schloß Pillnitz und der Dresdner Zwin- ger, wie auch weniger bekannte, z.T. noch gar nicht wissenschaftlich erschlossene Anlagen sowie kultur- historische Landschaftsbestandteile. Die ansässigen Menschen haben zunächst versucht, die Schäden an ihren Behausungen und Gebäuden notdürftig und mit den verfügbaren Mitteln zu behe- ben. Eine allgemeingesellschaftliche Beschäftigung mit den Freiräumen bzw. Neuanlage der Außenanla- gen zögerte sich noch mindestens bis zum Beginn der folgenden Vegetationsperiode hinaus. Umso wichtiger wäre daher eine professionelle Bestandser- fassung gewesen, die bereits unmittelbar die ersten wichtigen Schritte vorbereitet und unternimmt, bevor vermeidbare Folgeschäden auftreten. Es ist stets zu befürchten, daß eine rasche, gut gemeinte Hilfe durch unqualifiziertes Personal, teils größere Schäden beim Auf- und Abräumen verursacht als die eigentliche Ka- tastrophe. Systematische Begehungen, Austauschge- spräche, protokollierte Begutachtungen sowie genau dokumentierte Bauaufnahmen und Kartierungen, wel- che die Anlagen und Bestandteile in ihrem konzeptio- nellen, konstruktiven und kompositorischen Wesen 1 erfassen, müssen erfolgen, um ausführungsorien- tierte und geplante Maßnahmen zu fundieren. Die Primärschäden reichen von kleinen Vernässun- gen und Feuchtigkeitsschäden über lokale Auswa- schungen und Vegetationsschäden bis hin zu voll- ständig weggespülten Anlagen und massiven Bau- werkszerstörungen. Die Vegetation erleidet vornehm- lich Schäden durch Staunässe, Wurzelfreilegung bis zur Entwurzelung, Überdeckung durch kontaminierten Schlamm und Sedimentablagerungen. Auch bei kul- turhistorischen Nutzpflanzungen ist eine langfristige Schädigung zu erwarten, da bestimmte Flächen als toxisch kontaminiert zu gelten haben. Insbesondere die baulichen Objekte aus Naturstein wie Marmor oder Sandstein zeigen bereits rasch ein komplexes Reaktionsbild auf das starke ätzend-ölige Agens. Die den Anlagenbetreuern lang bekannten Gründe der permanenten Substanzverluste, die Garten- und Parkanlagen sowie Kulturlandschaften jeder Größe in 1 vgl. Vitruv'sche Trias utilitas, firmitas, venustas, in: GERMANN, 1987, Vitruv, Vitruvianismus und Rodes Übersetzung, in: VITRUV 1987: VITRUV. de architec- tura (Baukunst des Marcus Vitruvius Pollio), in: RODE, August (Übers.) 1796: Baukunst des Marcus Vitruvius Pollio (VITRUV. de architectura) Baukunst Bd.1 u. 2, Bücher I-V u. VI-X, [Nachdr.d. Ausg. 1796, Göschen Joachim Verlag, Leipzig], Verlag für Architektur, Artemis Verlag, Zürich/ München, S.7-24. Beim Elbhochwasser im August 2002 traten die Gewässer stark über die Ufer. Viele Skulpturen und gartenhistorischen Ausstat- tungselemente waren über lange Zeit einer aggressiven öligen Feuchtigkeit ausgesetzt, welche die Oberflächen beschädigten.

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Not-Erfassung und Dokumentation von historischen FreiräumenNach der Flut ist vor der Flut.

von Dr.Jörg-U.Forner, TU Berlin

Das Frühjahr steht bevor, und damit wieder starkeRegenfälle und große Schmelzwassermengen. Auchin diesem Jahr sind wieder Überschwemmungen zuerwarten. Schäden an einzigartigem Gartenkulturgutbleiben dabei nicht aus. Wir erinnern uns: Über weite Teile Deutschlands er-goß sich im Jahr 2002 eine riesige Wassermenge.Land unter, Kultur-Landschaft drunter. Im Anschlußan die notständige Zeit äußerte sich die Solidarität inDeutschland in einer großen Hilfewelle. Was nachdem langsamen Wasserabfluß zurückblieb, war einMeer an Zerstörung und Schäden. Das Ausmaß warlange Zeit nicht abzuschätzen und die nachhaltigeFolgen sind vielfach noch heute sichtbar. Betroffenwaren sowohl die prominenten Garten- und Parkanla-gen wie z.B. Schloß Pillnitz und der Dresdner Zwin-ger, wie auch weniger bekannte, z.T. noch gar nichtwissenschaftlich erschlossene Anlagen sowie kultur-historische Landschaftsbestandteile. Die ansässigen Menschen haben zunächst versucht,die Schäden an ihren Behausungen und Gebäudennotdürftig und mit den verfügbaren Mitteln zu behe-ben. Eine allgemeingesellschaftliche Beschäftigungmit den Freiräumen bzw. Neuanlage der Außenanla-gen zögerte sich noch mindestens bis zum Beginnder folgenden Vegetationsperiode hinaus. Umsowichtiger wäre daher eine professionelle Bestandser-fassung gewesen, die bereits unmittelbar die erstenwichtigen Schritte vorbereitet und unternimmt, bevorvermeidbare Folgeschäden auftreten. Es ist stets zubefürchten, daß eine rasche, gut gemeinte Hilfe durchunqualifiziertes Personal, teils größere Schäden beimAuf- und Abräumen verursacht als die eigentliche Ka-tastrophe. Systematische Begehungen, Austauschge-spräche, protokollierte Begutachtungen sowie genaudokumentierte Bauaufnahmen und Kartierungen, wel-che die Anlagen und Bestandteile in ihrem konzeptio-nellen, konstruktiven und kompositorischen Wesen1

erfassen, müssen erfolgen, um ausführungsorien-tierte und geplante Maßnahmen zu fundieren.

Die Primärschäden reichen von kleinen Vernässun-gen und Feuchtigkeitsschäden über lokale Auswa-schungen und Vegetationsschäden bis hin zu voll-

ständig weggespülten Anlagen und massiven Bau-werkszerstörungen. Die Vegetation erleidet vornehm-lich Schäden durch Staunässe, Wurzelfreilegung biszur Entwurzelung, Überdeckung durch kontaminiertenSchlamm und Sedimentablagerungen. Auch bei kul-turhistorischen Nutzpflanzungen ist eine langfristigeSchädigung zu erwarten, da bestimmte Flächen alstoxisch kontaminiert zu gelten haben. Insbesonderedie baulichen Objekte aus Naturstein wie Marmoroder Sandstein zeigen bereits rasch ein komplexesReaktionsbild auf das starke ätzend-ölige Agens. Die den Anlagenbetreuern lang bekannten Gründeder permanenten Substanzverluste, die Garten- undParkanlagen sowie Kulturlandschaften jeder Größe in

1 vgl. Vitruv'sche Trias utilitas, firmitas, venustas, in: GERMANN, 1987, Vitruv, Vitruvianismus und Rodes Übersetzung, in: VITRUV 1987: VITRUV. de architec-tura (Baukunst des Marcus Vitruvius Pollio), in: RODE, August (Übers.) 1796: Baukunst des Marcus Vitruvius Pollio (VITRUV. de architectura) Baukunst Bd.1u. 2, Bücher I-V u. VI-X, [Nachdr.d. Ausg. 1796, Göschen Joachim Verlag, Leipzig], Verlag für Architektur, Artemis Verlag, Zürich/ München, S.7-24.

Beim Elbhochwasser im August 2002 traten die Gewässer starküber die Ufer. Viele Skulpturen und gartenhistorischen Ausstat-tungselemente waren über lange Zeit einer aggressiven öligenFeuchtigkeit ausgesetzt, welche die Oberflächen beschädigten.

ihrer Existenz bedrohen, sind vielfältig. Natürliche Al-terungsvorgänge, Zerstörung der Baustoffe durch In-fektionen, Folgen menschlicher Entwicklung, vonLeichtsinn und Fahrlässigkeit sowie vonUnwissenheit2 führen zu einer nachhaltigen Schädi-gung der historischen Substanz. Weitere Bauschädenund Vegetationsschädigungen entstehen durch Che-mikalien, korrodierende Stoffe, Materialermüdung,Verstürze, Wind- und Schneelasten, Feuchtigkeit,Vernässungen, Klimaeinflüsse, Bakterien, Schäd-linge, Pilze, Brände, Erschütterungen, tierische Abla-gerungen oder nachhaltige Deformationen durchDruck- und Zugkräfte, die einen dringenden Einsatzvon anlagegeschichtlichen Untersuchungen zur einst-weiligen Sicherung, zum denkmalpflegerischen Erhaltoder zur ‘restdokumentarischen Erfassung’ der starkabgängigen, einsturzgefährdeten oder offengelegtenhistorischen Freiraumobjekte bzw. ihrer konstruktivenElemente erfordern.3 Jedoch sind diese Ursachenmeist nicht so zeitlich abrupt und flächendeckend wiedies vielfach entlang der Gewässer geschehen ist.

Häufig wird in solch einem Fall ein möglichst interdis-ziplinär erweitertes ‘Not-Team’ z.B. mit einem garten-historisch erfahrenen Landschaftsarchitekten, Garten-denkmalpfleger, Historiker, Dendrologen, Agronomen,Botaniker, Archäologen, Archäobotaniker oder auchÖkologen zusammenzustellen sein, welches jedochin seinen Wirkungsweisen eingeschränkt handlungs-fähig sein muß, da eine umfassende Vorbereitung füreine Bestandsaufnahme meist nicht (mehr) möglichist.4

Die Planung und Durchführung solcher Aufnahmen

richten sich wie bei den gängigen Erfassungsschrittenund ihren Untersuchungsinhalten nach Objekttyp,Umfang, Zeit, Personal, Finanzierung und Schadens-dimension. Vom Optimum an Erfassungstechnik undderen Dokumentation einer ‘normalen Bauaufnahme’5

müssen objektangemessen behutsam Abstriche vor-genommen werden, wenn dies die Umstände, wiePersonal- und Zeitmangel oder ein unverhältnismäßi-ger Kostenaufwand in dieser Lage meistens erforder-lich machen. Im schlimmsten Falle kann dies zu einer‘baubegleitenden Maßnahme’ führen, bei der zwi-schen Bau- oder Räummaschinen versucht wird, dieÜber-Reste doch noch zu erfassen und zu dokumen-tieren. Durch die den Gartendenkmalpflegern und An-lageforschern auferlegte Verantwortung, das ‘garten-und freiraumgeschichtliche Erbgut’ durch bestmögli-che Objektsicherung und Dokumentation materiell alsauch ideel zu sichern, kann es nur als sehr unbefriedi-gend angesehen werden, wenn nur ein durch die Si-tuation vorgegebenes Minimum an Feld- und Erfas-sungsarbeit angeboten und ausgeführt werden kann.Allerdings lohnt der Einsatz auch noch so geringerMöglichkeiten eventuell doch, um Veränderungenoder gar die vollständige Beseitigung von Kulturgut zustoppen und gänzlich zu vermeiden. Auch die ‘Inkun-abel der deutschen Denkmalpflege’, die Marienburgkonnte letztendlich nur durch die Vorlage einer durchGILLY begonnenen und durch weitere Bauforschervervollständigten wissenschaftlich fundierten Bauauf-nahmepublikation vor einem drohenden Abriß gerettetwerden.6 Selbst eine komplette schichtweise Freile-gung und Ausgrabung von gebauten Elementen bzw.

2 nach PIEPER, 1983, Sicherung historischer Bauten, Berlin/ München,.S.7; vgl. auch SANPAOLESI, 1972, Factors contributing to the deterioration of monu-ments, in: UNESCO 1972: preserving and restoring monuments and historic buildings, UNESCO, hrsg. v. United Nations Educational, Scientific and CulturalOrganisation, Paris, S.109ff.

3 vgl. FORAMITTI, 1976, Architektur-Photogrammetrie I. Internationales Symposium für Photogrammetrie in der Architektur und Denkmalpflege, Bonn, 10. - 13.Mai 1976. Vorträge 1. Arbeitsheft 16. Der Wert moderner photogrammetrischer Kulturgüterarchive, hrsg. vom Landeskonservator Rheinland, Rheinland Ver-lag, Köln, S.32ff.

4 vgl. auch LAIRD, 1994, ‘Conjectural Replanting’. Leitlinien zur Wiederbepflanzung historischer Gärten aufgrund von Analogieschlüssen, in: Die Gartenkunst,6. Jahrgang, 2.Heft/ 1994, Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms am Rhein, S.325

5 vgl. FORNER, 2002, Erfassung historischer Freiräume. Dokumentationssytematik bei der Bestandserhebung und Bauaufnahme von gebauten Elementen inhistorischen Gärten, Parks und Kulturlandschaften, Dissertation an der TU Berlin 2002

6 vgl. SCHMIDT, 1987, Bauaufnahme. Die Entwicklung der Methoden im 19.Jahrhundert, in: Jahrbuch 1986 des Sonderforschungsbereiches (SFB) 315, Erhal-ten historisch bedeutsamer Bauwerke. Baugefüge, Konstruktionen, Werkstoffe, Universität Karlsruhe, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, S.50-51

Viele Bereiche der Wörlitzer Parkanlagen waren nur noch mit demBoot zu erreichen oder blieben bis zum Ablaufen der Wassermen-gen unzugänglich für Inspektionen. Nicht alle Vegetationsbestand-teile überstanden die lang anhaltende z.T. toxische Staunässe.

Entwurzelte Baumgreise beschädigten beim Umfallen im SturmMitte Juli 2002 auch jüngere Gehölzgruppen sowie originaleschmiedeeiserne Zaunkonstruktionen im Schloßgarten Berlin-Char-lottenburg. Jahrringanalysen müssen an ausgewählten Exemplarenerfolgen, um vorhandene Bestandsdokumente zu aktualisieren.

deren unterirdischen Konstruktionsbestandteilen magerst durch eine solche Ausnahmesituation gerechtfer-tigt und möglich sein, ohne weitere anderörtliche in-takte historische Zeugniswerte der gleichen Typart fürUntersuchungen beeinträchtigen zu müssen. Schließ-lich kann eine Dokumentation vor, während und nachmassiven Eingriffen bzw. gar vollständiger Beseiti-gung von zeugnishafter Freiraumsubstanz bei einersogenannten 'Abbruchdokumentation' wenigstensnoch dazu führen, daß eine "Gewährleistung der Erin-nerung" erzielt wird.7 Eine gewissenhafte Dokumenta-tion darf allerdings in keinem Falle als Alibi zur legiti-mierten Zerstörung und Abräumung herhalten!Läßt es die objektive Sachlage nicht anders zu, so

sollte nach Absteckung des Zeit- und Personalrah-mens zuerst nach Möglichkeiten und Wegen zur Ar-beitsbeschleunigung gesucht werden. Die zentralenFragen lauten:- Welche automatisierten Verfahren und Methoden

können vor Ort eingesetzt werden?- Welche Vermessungs-, Zeichen- und Abbildungshil-

fen vereinfachen und beschleunigen die dokumen-tarische Erfassungsarbeit?

Erst als letztes Mittel können und sollten die o.g.gemäßigten und behutsamen Abstriche in der Erfas-sungsarbeit erfolgen. Diese werden - je nach betrach-tetem Erfassungsobjekt - und der Situation entspre-chend von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen und

7 MARTIN/ SCHMIDT/ HASPEL, 2000, Denkmalschutzrecht in Berlin. Ein Leitfaden für die Praxis, Darstellung unter Einbeziehung der finanz- und steuerrechtli-chen Aspekte, Kulturbuch-Verlag, Berlin, S.114f.; vgl. auch KÜHLENTHAL, 1983, Die Abteilung Bau- und Kunstdenkmalpflege, in: BAYERISCHES LANDES-AMT FÜR DENKMALPFELEGE (Hrsg.) 1983: Denkmalpflege in Bayern. 75 Jahre Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Arbeitsheft 18, Eigenverlag,S.130

Selbst bei zerstörten Elementen in historischen Gärten lassen sichbei gezielter Suche noch Belege für die angewandte Bauweise unddie gartenbaulichen Großformen finden. Originale Wegeeinfassungaus Kunst- und Naturstein im Schloßpark Potsdam-Babelsberg.

Auch beim vollständigen Abräumen geschichtlicher Bausubstanzlassen sich dennoch Spuren sichern und auswerten, die eindeutigeHinweise und Fakten zum Objekt liefern, um dieses wieder in dieOrtsgeschichte einzufügen. Abbild einer historischen Garteneinfas-sungsmauer mit Giebel und Pergolaverankerung im Wandputz desGebäudes; Gartendenkmal Berlin-Pankow 2002.

Sicherungsmaßnahmen, Reparaturen und unausweichliche garten-und landschaftsbauliche Arbeiten in historischen Gärten müssenstets dazu genutzt werden, um zeitgenössische Bauweisen, Kon-struktionsprinzipien oder spezifische Abweichungen von der ge-schichtlichen Bautheorie und Ausführungspraxis zu dokumentieren,wie hier beim Kabelverlegen im Schloßgarten Bln.-Charlottenburg.

sich alleine an den vorgefundenen Realitäten (z.B.Schadensausmaß, intakte Restbaukörper, Zugäng-lichkeit der verbliebenen Bereiche etc.) zu orientierenhaben. Im Gegensatz zu Hochbaubefunden ist es beispiels-weise nicht möglich, komplexe geschichtliche Wege-aufbauten oder Beläge mit irgendwelchen Einschrän-kungen aufzunehmen.8 Sind Beschränkungen erfor-derlich und auch dazu noch vertretbar, so bieten sichfür ein so extremes Beispiel wie die ‘baubegleitende’oder ‘sicherungstechnische Maßnahme’ nachfol-gende weitere Reduzierungsmöglichkeiten an, die al-lerdings keinesfalls als Grundregel gelten sollen:- Läßt sich nach einer photographischen Gesamtauf-

nahme, einem "Durchphotographieren" 9 - auch derfrischen Schadensbilder - die Bearbeitung des Ver-bliebenen auf die wesentlichen (beständigen, intak-ten) Teile der Anlage/ des Freiraumelementes ein-schränken? Auf welche Informationen durch Ansich-ten, Schnitte oder Aufsichten kann man verzichten?

- Ist eine gut ausgeführte, exakt vorgenommenezeichnerische Dokumentation unumgänglich, odergenügt eine Skizze mit Maßangaben, die durch er-weiterte Photodokumentation als "Erinnerungs-hilfe"10 unterstützt wird und zu späterem Zeitpunkt -z.B. durch digitale Bildverarbeitung - nachgearbeitetwerden kann?

- Ist das Aufmessen, die Sicherung und die Untersu-chung des vorgefundenen Materiales überall erfor-derlich; kann man dies auf wenige ausgewählteStellen (wie Fundamente, oberirdische Mauerteile,Konstruktionsbestandteile o.ä.) beschränken oderreichen die - automatisch und photodokumentarisch

erstellten - Informationen bezüglich der funktiona-len, objektchronologischen, materialtechnischenund zustandshaften Einordnung sowie Untersu-chung des Objektes aus?

Auch im unangenehmsten Falle muß die Zeit reichen,ein Maßband auf vorläufige Ausgangs- oder Ansatz-punkte wie Bauwerke oder (unter dem Umstand)Bäume bezogen "auszurollen", von denen aus Ob-jektteile sowie Befunde eingemessen und wenigstensdie Großformen mit einem durchgängigen Längs- undeinem Querschnitt bzw. -profil aufgenommen werdenkönnen. Falls nur skizzenhafte Erfassung aufgrunddes Zeitdruckes möglich ist, so muß diese entspre-chend klar ausgewiesen und die Unzulänglichkeitenmarkiert werden, um eine verfälschte Einschätzungder Ergebnisse - durch Interpretation als korrektesAufmaß - zu vermeiden. Die Aufnahme sollte wenig-stens ebenso noch die intakten bzw. zugänglichenTeilbereiche einschließen. Natürlich kommt einer pho-tographischen Dokumentation in diesen Extremfällenein außerordentliches Gewicht zu, so daß diesesschnelle und mit einer hohen Informationsdichte be-züglich der aufzunehmenden Elemente arbeitendeErfassungsverfahren auf jeden Fall zum Einsatz kom-men muß.11 Dabei sollte das Festhalten bau- undkunstgeschichtlicher ebenso wie von landschaftsbau-lichen Informationen Vorrang erhalten.12

Selbst der bauseits oder im näheren Umfeld gelagerteAushub und Objektschutt, kann vor seiner ordnungs-gemäßen Entsorgung noch auf unterschiedlicheSachverhalte geprüft werden.13 Dies können im Falle

8 vgl. FORNER/ HALLMANN, 2003, Historische Bauforschung und Materialverwendung im Garten- und Landschaftsbau; Wegebau und Wasseranlagen, Ab-schlußbericht DFG-Forschungsprojekt, Eigendruck TU Berlin, Berlin

9 NEHRING, 1985, Erfassen und Inventarisieren historischer Gärten und Freiräume, in: HENNEBO, Dieter (Hrsg.) 1985: Gartendenkmalpflege. Grundlagen derErhaltung historischer Gärten und Grünanlagen, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, S.118

10 CRAMER, 1984, Handbuch der Bauaufnahme, 1. Aufl., Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, S.10011 ebd., S.10012 vgl. PETZET und MADER, 1993, Praktische Denkmalpflege, 2. Aufl., Kohlhammer, Stuttgart, S.15713 vgl. auch CRAMER, 1993, Das veränderte Gebäude - Nutzung, Struktur, Materie, in: Bauforschung und ihr Beitrag zum Entwurf. Veröffentlichung des Insti-

tutes für Denkmalpflege an der ETH Zürich, Band 12, Vortragsreihe an der Abteilung Architektur der ETH Zürich im SS 1991, ,Verlag der Fachvereine, Zürichu. Teubner, Stuttgart, S.65ff

Dendrochronologische Analysen von Gehölzen, die in überkomme-nen Gartenanlagen vorgenommen werden, können in vielen Fälleneindeutige Hinweise zu lange vergangenen Ereignissen geben undz.B. mündliche Überlieferungen verifizieren oder widerlegen, hierabgestorbener Maulbeerbaum am Schloß Charlottenburg.

Genaue dendrometrische Untersuchungen an Sturmopfern - hierim Schloßpark Sanssouci nach dem Sturm Mitte Juli 2002 - lassenvielfach repräsentative Aussagen zu vergleichbaren Gehölzen glei-cher Altersstruktur und Pflanzweise zu, und helfen dort weitereMaßnahmen und Anaylsen vorzubereiten bzw. zu vermeiden.

eingestürzter oder beseitigter Mauerwerke die ver-wendeten Steinformate, der benutzte Mörtel und Putz(z.B. Lehmmörtel, Lehmputz, Lehmfeinputz, Lehmun-terputz mit Zuschlägen etc.) oder die unterschiedli-chen Natursteinqualitäten mitsamt ihrer Bearbeitungs-spuren traditioneller Handarbeiten und Verarbeitungs-techniken von Stein oder Holz sein.14

Über die farbigen mineralischen Zuschlagstoffe derMörtel und Putze wie z.B. Kienruß, Steinkohlen-asche, Schiefermehl, Portlandzement oder aber auchZiegelmehl in allen erdenklichen Farbabstufungenlassen sich ebenso noch chemisch im Labor auf-schlußreiche Informationen z.B. über regionale Trans-portwege oder Materialgewinnungsarten liefern. Eslassen sich zwar auch aus Bauschutt von Bruchstei-nen sowie Putz- und Mörtelresten bei genauer mine-ralogischer Analyse des verwendeten Materiales ge-gebenenfalls zeitliche Einordnungen erreichen. Eswerden sich aber dadurch "kaum Erkenntnisse überdas Aussehen entsprechender Bauteile" herausarbei-ten lassen15, sofern keine landschaftsarchitektoni-schen Großformen erhalten geblieben sind.

Auch bei (not-)gefällten oder umgelegten alten Bäu-men, die Opfer von Erosion, Staunässe oder Wasser-druck wurden, sind sowohl noch dendrochronologi-sche bzw. dendrometrische Informationen als auchHinweise zu historischen Schnitt- und Pflegearbeitendurch genaues Erfassen und pflanzensoziologischesBestimmen der Überreste zu gewinnen, um eine"spätere genetisch identische Vermehrung exakt" vor-nehmen zu können.16

Analog zu den Untersuchungen der bei dezidiert ge-

planten und systematisch vorgenommen gartenhisto-rischen Grabungen anfallenden vegetativen Restewie z.B. Pollen, Samen oder Früchte können hier vorOrt ‘ambulant’ gewonnene Relikte auf unterschiedlich-ste Weise chemo-botanisch und anhand von äußerenBestimmungsmerkmalen auf ihre Zugehörigkeit zubestimmten Pflanzengattungen analysiert werden. Esmuß dabei sichergestellt sein, daß die Befundstellenund Beprobungsflächen keine neuen Eintragungenund Kontamination aufweisen. Ein Hinweis auf gege-bene Zweifel ist im Bericht zu hinterlegen.Auf die Sicherung und die Rückgewinnung von histo-rischen Baumaterialien zur ‘Spoliennutzung’, welcheunter diesen Umständen anfallen, kann an dieserStelle nicht vertiefend eingegangen werden.17 Aller-dings kommt auch hier der ordnungsgemäßen und lo-gistisch-katalogisierenden Erfassung und Beschrei-bung eine hohe Gewichtung zu, da z.B. spätere Aus-besserungsarbeiten mit diesen hier gewonnenenBaustoffen vornehmlich in einem engen räumlichen(regionalen) Kontext ohne weite Streuung stattfindensollten.Eine vehement große Bedeutung erlangt in diesenNotfällen der Bericht, welcher nicht nur die besonde-ren Umstände der Bergung und Dokumentation, son-dern alle, auch noch so unscheinbaren und flüchtigenBeobachtungen festhalten und diese mit möglichstreichhaltigem Photomaterial unterstützen sollte.18

Werden in dem oben beschriebenen bedauerlichenFall diese vorgehend genannten Minimalanforderun-gen nicht erfüllt, so kann nur noch von der Registrie-rung einer ausgelöschten Anlage bzw. eines zerstör-ten Freiraumelementes gesprochen werden, welcheaus dem kulturhistorischen Kontext praktisch mit so-fortiger Wirkung getilgt wurden.Leider gehören die beschriebenen notdürftigen Auf-nahmeverfahren mit anzunehmender Sicherheit insteigendem Maße in den nächsten Monaten und Jah-ren zum Auftrag des Gartendenkmalschutzes undzum gartendenkmalpflegerischen Erhebungsalltag,nicht nur durch derartige Naturkatastrophen, sondernauch solange ein weiterer Verfall an kulturhistorischerSubstanz von gebauten Elementen in Gärten, Parksund Kulturlandschaften nicht durch eine umfassendeund tiefgreifende gesellschaftliche Bewußtseinsände-rung in Form einer angemessenen Sensibilisierungder Bevölkerung gebremst und verhindert wird. Trotz ihrer geringen dokumentarischen Möglichkeitenund dadurch eingeschränkten Ergebnisse sollten‘Not-Bauaufnahmen’ eine unbestrittene Bedeutung in-

14 vgl. auch SIGEL, 1993, Alles Erhaltene wird zum redenden Zeugnis. Das Gartendenkmal mit der Elle des Baudenkmalpflegers gemessenen, in: Die Garten-kunst, 5. Jahrgang, 2.Heft/ 1993, Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms am Rhein, S.276

15 GROSSMANN, 1993, Einführung in die historische Bauforschung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, S.14916 vgl. LAIRD, 1994, S.32617 SCHRADER, 1993, Auf der Suche nach historischen Baumaterialien. Ein Handbuch und Ratgeber, 3. Aufl., Suderburg-Hösseringen, Edition : anderweit Ver-

lag; vgl. auch SCHRADER, 1996, Bergung historischer Baumaterialien zur Wiederverwendung, Suderburg-Hösseringen anderweit18 vgl. auch PETZET und MADER, 1993, S.100

Historische Umfassungsmauer des Parks in Oranienbaum, die imMauerkronenbereich massive Schäden aufweist. Solche Wundenkönnen helfen, prinzipielle Einblicke in Konstruktion und Bauweisenzu gewinnen. Brennproben und petrographische Untersuchungenzeigen Mischungsverhältnisse der verwendeten Zuschlagstoffe.

nerhalb der Gartendenkmalpflege und Anlagefor-schung erhalten, und zudem als Chance begriffenwerden, vorher eventuell unbekannte historische Hin-terlassenschaften und Tatsachen offenzulegen. Wennmöglich geschieht dies unter den gegebenen Um-ständen exakt, sorgfältig und systematisch durch pra-xisorientiert auszubildende ‘Nachwuchs-Gartendenk-malpfleger’ unter kontinuierlicher Weitergabe von Er-fahrungen. Durch derartige Dokumentationsarbeitenlassen sich möglicherweise geplante substanzzer-störende Untersuchungen an einem anderen, ähnli-chen historischen Freiraum zunächst vermeiden oderdiese insgesamt besser vorbereiten.19

Grundsätzlich sollten sich diese vorzunehmenden‘Not-Aufnahmen’ von dem 'normalen' Mindestmaß20

an zu erbringenden Erhebungsleistungen nicht allzuweit entfernen. Dabei wird oft ein gewisses Maß anImprovisation, welche schon bei alltäglichen Bauauf-nahmeverfahren als durchaus angebracht angesehenwerden kann, um zu gewünschten Ergebnissen zukommen21, notwendig sein, damit sich das bestmögli-che Informationspaket dennoch zusammenbindenläßt.

Jörg-Ulrich Forner, Dr. Dipl.-Ing., Jahrgang 1969, Stu-dium der Landschaftsplanung an der TU Berlin, 1997-2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fürLandschafts- und Umweltplanung, Fachgebiet Land-schaftsbau-Objektbau/ Freiraumplanung der TU Ber-lin, Dissertation über die 'Erfassung historischerFreiräume. Dokumentationssystematik bei der Be-standserhebung und Bauaufnahme von gebautenElementen in historischen Gärten, Parks und Kultur-landschaften' 2002, [email protected]

19 vgl. auch SCHMIDT, 1987, S.4120 vgl. FORNER, 200221 vgl. CRAMER, 1984, S.17