Nutzen-Schaden-Abwägung in der Palliativmedizin Über den ... · medicine show that certain...

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Available online at www.sciencedirect.com Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 105 (2011) 171–175 Schwerpunkt I Nutzen-Schaden-Abwägung in der Palliativmedizin Über den schwierigen Stand der Palliation angesichts der Versprechungen der kurativen Medizin Norbert Schmacke Universität Bremen, Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften. Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsversorgungsforschung Zusammenfassung Die Bedeutung von Palliativmedizin als interdisziplinärer und multiprofes- sioneller Betreuung von Patientinnen und Patienten mit schwersten Krank- heitsverläufen ist mit denselben methodischen Standards zu untersuchen wie die klinische Medizin insgesamt. Die Studienlage zur Palliativmedizin zeigt zum einen, dass bestimmte Standards, so in der Schmerztherapie, nach wie vor nicht ausreichend implementiert sind. Zum anderen ist ein Mangel an methodisch angemessenen Studien zur Untersuchung von Pal- liativmedizin als einer komplexen Intervention zu verzeichnen. Diese For- schungsdefizite sind umso bedauerlicher, als sich insbesondere im Bereich der Onkologie zeigen lässt, dass der Nutzen durch das Angebot palliativer Behandlungsteams vor allem bei Erkrankungen mit besonders ungünstigen Verläufen besonders groß ist. Schlüsselwörter: Palliativmedizin, Onkologie, Messinstrumente, Studiendesigns, Schmerztherapie, Nutzen-Schaden-Abwägung (Wie vom Gastherausgeber eingereicht) Balancing benefit and harm in palliative care: The difficult position of palliative medicine in view of the promises of curative medicine Summary The significance of palliative care as an interdisciplinary and multi-professional approach to treating patients with extremely severe medical conditions should be investigated using the same methodological standards as for clinical medicine in general. Clinical studies in palliative Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Norbert Schmacke, Fachbereich Human- und Gesundheitswissenschaften. Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsversorgungsfor- schung, Wilhelm Herbst Strasse 7, 28359 Bremen. E-Mail: [email protected] Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2011.03.001 171

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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 105 (2011) 171–175

Schwerpunkt I

Nutzen-Schaden-Abwägung in derPalliativmedizinÜber den schwierigen Stand derPalliation angesichts derVersprechungen der kurativenMedizin

Norbert Schmacke∗

aften. Arbeits- und Koordinierungsstelle

Universität Bremen, Fachbereich Human- und GesundheitswissenschGesundheitsversorgungsforschung

ZusammenfassungDie Bedeutung von Palliativmedizin als interdisziplinärer und multiprofes-

sioneller Betreuung von Patientinnen und Patienten mit schwersten Krank-heitsverläufen ist mit denselben methodischen Standards zu untersuchenwie die klinische Medizin insgesamt. Die Studienlage zur Palliativmedizinzeigt zum einen, dass bestimmte Standards, so in der Schmerztherapie,nach wie vor nicht ausreichend implementiert sind. Zum anderen ist ein

Schlüsselwörter: Palliativmedizin, Onkologie, Messinstrumente, Studiendesign(Wie vom Gastherausgeber eingereicht)

Balancing benefit and harm in palliative care: Tin view of the promises of curative medicine

SummaryThe significance of palliative care as an interdisciplinary andmulti-professional approach to treating patients with extremely severe

∗Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Norbert Schmacke, Fachbereich Human- und Gesundschung, Wilhelm Herbst Strasse 7, 28359 Bremen.E-Mail: [email protected]

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ)doi:10.1016/j.zefq.2011.03.001

Mangel an methodisch angemessenen Studien zur Untersuchung von Pal-

liativmedizin als einer komplexen Intervention zu verzeichnen. Diese For-schungsdefizite sind umso bedauerlicher, als sich insbesondere im Bereichder Onkologie zeigen lässt, dass der Nutzen durch das Angebot palliativerBehandlungsteams vor allem bei Erkrankungen mit besonders ungünstigenVerläufen besonders groß ist.

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medical conditions should be investigated using the same methodologicalstandards as for clinical medicine in general. Clinical studies in palliative

heitswissenschaften. Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsversorgungsfor-

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medicine show that certain standards, e.g. in pain therapy, have stillnot been sufficiently implemented. There is also a lack of methodolo-gically appropriate studies to investigate palliative medicine as a com-plex intervention. This research deficit is all the more regrettable as

– specifically in the field of oncology – it can be demonstrated thatthe benefit provided by the services of palliative care teams is verylarge, especially for patients with a particularly unfavorable course of thedisease.

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ey words: palliative care, oncology, measuremAs supplied by publisher)

intergrund,Die Palliativmedizin widmet sich derehandlung und Begleitung von Pati-nten mit einer nicht heilbaren, progre-ienten und weit fortgeschrittenen Er-rankung mit begrenzter Lebenserwar-ung‘‘ – so formuliert es die Deutscheesellschaft für Palliativmedizin [1]. Pal-

iativ,, medizin‘‘ setzt ein interdiszipli-äres, multiprofessionelles Konzept vor-us; gleichwohl wird der Begriff häufign einer ausschließlich ärztlich gepräg-en Weise verwendet. Zudem wird deregriff Palliation in der Praxis sehr he-erogen aufgefasst. Das Adjektiv ,,nichteilbar‘‘ führt immer noch viel zu häufigu der ethisch nicht akzeptablen Formu-ierung ,,Wir können nichts mehr für Sieun‘‘. Demgegenüber wird in palliativenituationen unter ,,Behandlung‘‘ land-äufig vor allem den fortwährenden Ein-atz klassischer Therapieschemata unterer Idee der ,,ultima ratio‘‘ verstanden,uch wenn keine Nutzenbelege dafürorliegen. Der Autor versteht Palliativ-edizin demgegenüber primär als be-

astbare Zusage einer verlässlichen Be-leitung für Patienten mit schwerennd schwersten Krankheitsverläufen, inenntnis der Möglichkeiten und Gren-en der eingesetzten Behandlungsver-ahren: damit stellt sich die Frage nacher Evidenz völlig unabhängig von denuschreibungen ,,kurativ versus pallia-iv‘‘. Voraussetzung derartiger verlässli-her Begleitung ist nicht zuletzt eineohe kommunikative Kompetenz an-esichts der Konfrontation von Patientnd Arzt mit der Endlichkeit des Lebens.ies führt zu den Thesen des Artikels:

Kuration und Palliation bilden ein nurscheinbar leicht zu operationalisie-

rendes Gegensatzpaar.Aus dem Dilemma hilft nur die Verein-barung von Behandlungszielen undderen empirische Untersuchung.

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instruments, research designs, pain therapy, risk

,,Palliation‘‘ als Intervention ist prin-zipiell genauso gut untersuchbar wiealle anderen Interventionen.Auftauchende methodische Pro-bleme (vor allem bei komple-xen Interventionen) sind nichtpalliations-spezifisch.Die Publikationslage zeigt, dassPalliation immer noch zu denCinderella-Segmenten der Forschunggehört: es gibt zu wenige und zu we-nig gute Studien zum Stellenwert vonPalliation innerhalb von umfassendenBehandlungskonzepten.

atientenzentrierung undesspunkte

ür die Beantwortung der Frage nachem Nutzen von Palliation erscheint Zielührend, sich Gedanken darüber zu ma-hen, welche Ansprüche die hier ange-prochene Gruppe Kranker erfüllt wis-en sollte [2–6]:

Dies ist zu allererst das ausdrückli-che Interesse für die Patientenpers-pektive: eine Grundhaltung, die zurguten Medizin gehört.Dazu gehören angemessene Infor-mation über die Krankheitssituationwie über Chancen und Risiken vonBehandlungskonzepten; dies ist ausethischer Perspektive unstrittig.Und dies setzt die Kunst des Über-bringens schlechter Nachrichten vor-aus: Dies ist Teil des Heilkundeauf-trags. Hierzu liegen evaluierten Cur-ricula vor.Last not least: Ehrlichkeit in der Kom-munikation: sie erzeugt keineswegs –wie häufig gesagt - Hoffnungslosig-keit.

n der Forschung werden bislangm häufigsten folgende Endpunkteerwendet: Hospitalisierungsdauer,chmerzintensität, Übelkeit, Erbrechen,

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efit ratio

Obstipation, Fatigue, Atemnot undDepression. Für die Ermittlung von Le-bensqualität werden sowohl generi-sche wie krankheitsspezifische Scoresverwendet [7], auch Zufriedenheitsska-len kommen zum Einsatz, deren Vali-dität allerdings stark hinterfragt wird[8]. Ökonomische Studien bleiben hieraußer Betracht, auch wenn sie häufiggerade zur Legitimation der Stärkungpalliativer Versorgungsstrukturen ver-wendet werden, z.B. bezüglich der Ein-führung von palliativen Liaisondienstenim Krankenhaus [9].

Defizite derSchmerztherapieDie Frage nach dem Nutzen von,,Palliative Care‘‘ führt immer zum Be-reich der Schmerzbehandlung. Wennman die Studien auswählt, welchedie Schmerzthematik mittels eines vali-den Index, des Pain-Management-Index(PMI) beforscht haben, dann stößt mannach wie vor auf beängstigende Hin-weise wie ,,Nearly one of two pati-ents with cancer pain is undertrea-ted‘‘ [10,11]. In einem neueren syste-matischen Review fanden Lorenz et al,,strong evidence‘‘ gemäß GRADE nungerade für eine breite Palette von Ver-fahren zur Behandlung von krebsindu-zierten Schmerzen; ebenso für die psy-chotherapeutische und medikamentöseBehandlung von krebsassoziierter De-pression. Von genereller Bedeutung er-scheint der Hinweis, dass der Einsatzvon geschulten Palliativteams zur Er-mittlung des Behandlungsbedarfs wiezur Verfolgung der Behandlungsergeb-nisse ein gut belegtes Konzept zurBetreuung von Patientinnen und Pa-

tienten mit stark verkürzter Lebenser-wartung ist. Mit Blick auf das Feldder Schmerztherapie kommt die Au-torengruppe zu der Aussage: ,,. . .the

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vidence base for improving cancer painakes failing to relieve pain clearlynjustifialble.‘‘ [12].

CT als praktikableroldstandardach der Pilotstudie von Schneidermant al hat eine weitere Arbeitsgruppe un-ersucht, ob ein aktives Zugehen vonitgliedern eines Palliative-Care-Teams

uf Patientinnen und Patienten mitchlechter Prognose im Setting von In-ensivstationen den Effekt einer akzep-ablen bzw. wertgeschätzten Verkür-ung intensivmedizinischer Maßnah-en mit sich bringt. Schneiderman et al

onnten in einer RCT zeigen, dass dasnstrument eines ethischen Konsulta-ionsdienstes im Krankenhaus zu ei-er Reduzierung der Krankenhaus- und

ntensivstationsdauer führt, ohne dassies die Lebenserwartung weiter ver-ürzt, und dass in dieser Studie sowohluf professioneller Seite wie bei den Be-roffenen und ihren Angehörigen hoheufriedenheit mit dem Konsultations-ienst geäußert wurde. In einer weite-en prospektiven Kohortenstudie führteer Einsatz eines aufsuchenden Pallia-ivteams zu identischen Ergebnissen:ie Aufenthaltsauer auf der Intensiv-tation wurde bei gleicher Mortalitäts-ate fast halbiert [13,14]. Kontrolliertetudien zum Nutzennachweis komple-er palliativer Interventionen sind lei-er rar. Ein weiteres Beispiel stellt dieCT von Bakitas et al zur Untersu-hung eines psychoedukativen Ansat-es dar, in welchem geschulte Pflege-innen und Pfleger Kranke mit starkingeschränkter Lebenserwartung um-assend betreuten. Die hier ermittelteebensqualität zeigte im Vergleich zurontrollgruppe eine deutliche Verbes-erung, während der Schweregrad derrankheitssymptome sich nicht verän-erte [15]. Es sei angemerkt, dass fürie Entwicklung hochwertiger klinischeresigns und die Interpretation von Stu-ienergebnissen qualitative Forschungelbstverständlich auch in Feldern der

alliativmedizin unverzichtbar ist; bezo-en auf RCT geht es hier um die immerieder geäußerte Vermutung, derartigetudien seien aus ethischen, ökonomi-

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schen oder pragmatischen Gründen inder Palliativmedizin nicht durchführbar.

Das BeispielBronchialkarzinomHervorzuheben ist soweit, dass es keineprinzipiellen methodischen Problemegibt, sowohl Einzelinterventionen derPalliativmedizin als auch komplexe In-terventionen [16] wie etwa den Ein-satz unterschiedlicher Formen von pal-liativen Behandlungsteams in angemes-senen Designs zu beforschen. Dies istvon besonderer Bedeutung, wenn esdarum geht, die Sinnhaftigkeit klassi-scher Behandlungsansätze v.a. in derOnkologie bei der Behandlung von Pa-tientinnen und Patienten in weit fort-geschrittenen Krankheitsstadien zu dis-kutieren. Dies lässt sich am Beispieldes nicht-kleinzelligen Bronchialkarzi-noms exemplarisch erläutern. Die zu-sätzliche Gabe eines monoklonalen An-tikörpers zur bisherigen Standardthera-pie mit Cis-Platin und Vinorelbin ver-längerte die Überlebenszeit in der Ver-umgruppe um 11,3 Monate gegenüber10,1 Monate in der Kontrollgruppe. DieAutorengruppe interpretierte dieses Er-gebnis wie folgt: ,,Addition of Cetuxi-mab to platinum-based chemotherapysets a new standard for the first-linetherapy of non-small cell lung can-cer‘‘[17]. Die Auseinandersetzung mitderartigen therapeutischen Fortschrit-ten erfordert zum einen eine Abwä-gung zwischen Nutzen und Schaden,und hierzu findet sich bezüglich derhier zitierten Studie in der kommen-tierenden Literatur folgende Einschät-zung: ,,This extra time was accompa-nied by a substantially higher rate offebrile neutropenia, along with higherfrequencies of acne-line rash, diarrhea,and infusion-related reactions‘‘. Und inder Gesamtbewertung heißt es: ,,Theonly reasonable conclusion is that a ma-gic anticancer bullet aimed at an im-portant target missed by a wide mar-gin‘‘[18]. Was tatsächlich als klinisch re-levanter Fortschritt zu bezeichnen ist,

wird vor allem bei den malignen Tu-morerkrankungen mit schlechter Prog-nose zu einer immer drängenderenFrage. Wie relativ leicht Bewertungen in

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in anderes Licht gestellt werden kön-en, zeigt eine Stellungnahme der ita-

ienischen Gesellschaft für Thoraxchirur-ie, an welcher der Erstautor genannteretuximab-Studie ebenfalls beteiligt ist:

‘Although the number of treatment op-ions for patients with advanced NSCLCas increased recently, their results re-ain modest and further research isandatory’’ [19]. Es ist absehbar, dassie Deutung von therapeutischen Er-ebnissen, die sich in einer Zunahme derebenserwartung von einem oder we-igen Monaten niederschlagen, Anlassu endlosen Diskussionen gibt, an derennde immer die Einschätzung stehenann, dass im Falle von Behandlungs-erläufen mit infauster Prognose nichtsnversucht gelassen werden dürfe. Undenau in diesem Kontext gewinnt –ie bislang schwach ausgebildete - For-chung zum Nutzen von Palliativmedi-in ihre fundamentale Bedeutung. Ininem randomisierten Design wurdentersucht, welchen Nutzen Patientin-en und Patienten mit fortgeschritte-em nicht-kleinzelligem Bronchialkarzi-om von der frühzeitigen Einbindung

n ein multiprofessionelles palliatives Be-andlungskonzept zusätzlich zur klas-ischen Chemotherapie (so genanntertandard) erfahren. Patienten und Pati-ntinnen der Interventionsgruppe wei-en zum einen eine höhere Lebensquali-ät und eine Abnahme von Symptomeniner Depression auf. Zum zweiten wur-en Patientinnen und Patienten im In-erventionsarm in der Endphase ihrer Er-rankung weniger aggressiv behandelt.nd drittens – der vielleicht prima vi-ta überraschendste Befund - war ihreberlebenszeit bei konservativer Schät-ung mit 11,6 Monaten um 2,7 Monateänger [20]. Selbst bei vorsichtiger Inter-retation dieser Befunde ist offensicht-

ich, wie drängend es ist, Forschung zurtablierung palliativmedizinischer Kon-epte deutlich zu intensivieren.

ealth Literacy undatientenberatung

er Satz, Palliativmedizin sei immerann indiziert, wenn man nichts mehrür Patienten tun könne, erscheintit der Studie von Temel et al noch

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inmal in einem neuen Licht, da end-ültig die Frage auf der Tagesordnungteht, wo Patientinnen und Patientennter palliativer Betreuung nach allenriterien der klinischen Medizin gegen-ber der rein somatisch orientiertenedizin bezüglich aller einschlägigenutcome-Parameter profitieren. Und esird damit noch deutlicher, wie wich-

ig es ist, Patientinnen und Patientenmfassend zu informieren und somitalliativmedizin in ein rechtes Licht zuücken. Venook und Selim vom Com-rehensive Care Centre der Universität

n San Francisco haben 2002 einen Fra-enkatalog [21] formuliert, der betrof-ene Patientinnen und Patienten ermu-igen soll, sich ein eigenes Bild von ihrerituation zu machen:

Should any other tests be done to de-termine whether my cancer has me-tastasized?Should I see another physician to re-view the treatment of my metastatictumor or to offer another viewpoint?If metastases are present, what effectdo they have on the treatment planand the curability of my cancer?Could I benefit from an investigatio-nal therapy available at another insti-tution?How sick will the proposed chemo-therapy make me relative to its po-tential benefit?

‘Another Viewpoint’’ würde danachas Angebot umfassen, mit dem Mit-lied eines Palliativteams Kontakt auf-ehmen zu können und die Chance zuekommen, Palliation als bewusste Ent-cheidung und nicht als Ausdruck vonussichtslosigkeit begreifen zu können.

chlussfolgerungenDie Begrife ,,Kuration‘‘ und,,Palliation‘‘ sind Konstrukte, die em-pirischer Hinterlegung bedürfen. Zielführend ist allein die Beschreibungund angemessene Beforschung vonTherapiezielen.

Die Idee der Kuration profitiertscheinbar unbegrenzt von den Fort-schritten der Medizin und hat dasKonzept der Palliation unzulässiger-

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weise in Forschung und Praxis zurück-gedrängt.Palliation ist nach wie vor un-terforscht und muss aus grund-sätzlichen Überlegungen wie ange-sichts des demographischen Wandelsaus der ,,Cinderella‘‘-Rolle herausge-bracht werden.Palliative Care muss sowohl bezüg-lich einzelner Instrumente, prominentist nach wie vor die Schmerztherapie,als auch als komplexe Interventionmit den jeweils angemessenen Me-thoden systematisch untersucht wer-den.Palliative Care ist weit mehr als Ster-bebegleitung, sie muss endgültig Teileiner neuen Behandlungskultur wer-den.Palliative Care verweist in besonde-rer Weise auf das Thema ,,Health Li-teracy‘‘: Forschungsergebnisse müs-sen mit den Instrumenten der kri-tischen Bewertung sowohl Klinikernwie Patientinnen und Patienten in an-gemessener Weise zur Verfügung ge-stellt werden.Wege der Finanzierung dieses skiz-zierten ,,Programms‘‘ werden sichallerdings nicht von selbst ent-wickeln, da die dominierende Lo-gik der Forschungslandschaft sich ander Entwicklung und Implementie-rung neuer Produkte und Märkte ori-entiert und nicht an dem notwendi-gen Blick auf patientenzentrierte Ver-sorgung.

nteressenkonflikteeine.

iteratur[1] http://www.dgpalliativmedizin.de/diverses/

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Paper of the Month #24 - patientensicherheitschweiz

Sexton JB, Berenholtz SM,Goeschel CA, et al.Assessing and improving safety climate in alarge cohort of intensive care unitsCritical Care Medicine 2011; ePub ahead ofprint

Thema: Messen und Verbessern desSicherheitsklimas in der Intensivmedizin

Das Sicherheitsklima, also die messbare Ma-nifestation der Sicherheitskultur, hat einewesentliche Bedeutung für die Patientensi-cherheit und das Risikomanagement. Studienin einzelnen Einrichtungen zeigen, dass dasKlima durch verschiedene Interventionen po-sitiv beeinflusst werden kann, wobei unklarist, in wie weit die Interventionen und ihre Ef-fekte auf andere Einheiten übertragbar sind.Bislang existieren jedoch kaum Studien, dieeine positive Beeinflussung des Sicherheits-klimas durch gezielte und vergleichbare In-terventionen in einer grösseren Gruppe vonInstitutionen zeigen.Sexton et al. untersuchten nun den Effekteiner breit angelegten Intervention auf dasSicherheitsklima in einer grossen Kohortevon Intensivpflegestationen (IPS) in Michigan(USA). Die IPS nahmen einerseits an einemumfassenden abteilungsbasierten Sicherheits-programm (CUSP, comprehensive unit-basedsafety program) teil. Dies ist in mehreren Pha-sen aufgebaut und beinhaltet verschiedenetheoretische und praktische Einheiten undMassnahmen, wie bspw. das Einüben der

eine ,,Tagesziel‘‘-Checkliste zur Förderungder Kommunikation auf der IPS und einBündel von evidenz-basierten Massnahmenzur Vermeidung von beatmungsassoziiertenPneumonien. Die IPS nahmen freiwillig amProjekt teil. Die Veränderung des Sicherheits-klimas zu Beginn (2004) und 2 Jahre nachder Intervention (2006) wurde durch die Be-fragung der Mitarbeitenden der Intensivstatio-nen mit dem Safety Attitudes Questionnaire(SAQ) erfasst. Bei der Auswertung war die re-levante Einheit die IPS, nicht das Individuumwelches auf einer IPS arbeitet und den Frage-bogen beantwortet hatte. Untersucht wurdedie durchschnittliche Veränderung des Sicher-heitsklimas in den IPS. Die IPS wurden fürbeide Befragungen (vorher-nachher) klassi-fiziert als ,,verbesserungsbedürftig‘‘ (<60%der Mitarbeiter, die ein gutes Klima berich-ten) oder als ,,erfolgreich‘‘ (>=60% der Mit-arbeiter berichten positives Sicherheitsklima).Eine 10%-ige Verbesserung des Anteils derMitarbeitenden, die ein positives Klima be-richten, wurde als Ziel definiert. 71 IPS nah-men an der Studie teil und führten Befragun-gen vor und nach der Intervention durch. Diedurchschnittlichen Rücklaufquoten lagen bei71% (2004) und 73% (2006). Insgesamt wur-den knapp 8000 Fragebogen beantwortet. 5von 7 Items des Sicherheitsklima-Fragebogensverbesserten sich signifikant von 2004 auf2006. Während des Zweijahreszeitraumskonnte eine Verbesserung von 42.5% auf52.5% der IPS mit einem berichteten, durch-schnittlichen positiven Sicherheitsklima erreichtwerden. In 2004 wurden 87% der IPS als‘‘verbesserungsbedürftig’’ klassifiziert gegen-über 47% in 2006. Die als ‘‘erfolgreich’’ ein-

Ergebnisse zur Reduktion unerwünschter Er-eignisse liegen aus der Studie noch nicht vor.Die Studie zeigt, dass deutliche Verbesserun-gen des Sicherheitsklimas in kulturell sehr un-terschiedlich geprägten Institutionen im Zugevon breit angelegten Interventionen erzieltwerden können. Gleichwohl lässt das Studi-endesign keine Aussage über die direkte Kau-salität zwischen Intervention und Veränderun-gen zu. Der Erfolg ist vermutlich darauf zu-rückzuführen, dass es sich zwar einerseits umein standardisiertes Programm handelt, wel-ches aber andererseits auf der aktiven Mit-arbeit und Entwicklung der Mitarbeitendenberuht und damit Raum für individuelle Ad-aptionen lässt. Genau diese Verknüpfung vonFormalisierung und spezifischen Rahmenbe-dingungen gilt es, bei grossräumigen oder na-tionalen Programmen zur Verbesserung derPatientensicherheit sorgsam abzuwägen.

PD Dr. D. Schwappach, MPH, Wis-senschaftlicher Leiter der Stiftung fürPatientensicherheit.Dozent am Institut für Sozial- undPräventivmedizin (ISPM), Universität Bern

Link zum Abstract:http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21297460(Den Volltext können wir aus CopyrightGründen leider nicht mit versenden).

Korrespondenzadresse:PD Dr. David Schwappach, MPHWissenschaftlicher Leiter/Scientific Head,Stiftung für Patientensicherheit/Patient SafetyFoundationAsylstrasse 77

Identifikation von Sicherheitsrisiken oder dieAufarbeitung einzelner Ereignisse. Andererseitsbeinhaltete die Intervention: ein Bündel vonevidenz-basierten Massnahmen zur Vermei-dung von katheter-assoziierten Infektionen,

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gestuften IPS nahmen von 13% auf 54% zu.Die Verbesserung zeigte sich für alle unter-suchten Spitaltypen, auch wenn kleinere undkonfessionsgebundene Institutionen beson-ders starke Verbesserungen erzielen konnten.

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