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Das erste Factbook des Nestlé-Zukunftsforums erschien 2010 und setzt sich auseinander mit der Bedeutung von Essen und Trinken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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Factbook I: Die gegenwrtige und knftige Bedeutung von Essen und Trinken fr den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland

im Auftrag des Zukunftsforums der Nestl Deutschland AG

Bonn, August 2010

_________________________________________________________________ Verfasser: Martin Schulte, unter Mitarbeit von Elias Butzmann

Ahrstrae 45 53175 Bonn Telefon: 0228 372044 Telefax: 0228 375869 E-Mail: [email protected] Internet: www.denkwerkzukunft.de

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Inhalt Vorbemerkung Kurzfassung 1. 2. Die Bedeutung von Essen und Trinken fr den gesellschaftlichen Zusammenhalt Die Bedeutung gemeinsamen Essens und Trinkens in Deutschland 6 7 10 15 15 22 28 32 33 33 37 39 40 41 42

2.1 In Mehrpersonenhaushalten wird berwiegend gemeinsam, aber nicht selten in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre gegessen 2.2 Alleinlebende essen oft alleine 2.3 Berufsttige essen morgens und mittags hufig in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre 2.4 Bewohner von Alten- und Pflegeheimen essen hufig alleine oder in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre 3. Knftig fortschreitender Bedeutungsrckgang gemeinsamen Essens und Trinkens

3.1 Zahl von Familien und jungen Paaren, die in gemeinschaftsfrdernder Atmosphre essen, geht deutlich zurck 3.2 Anteil sozial schwacher Familien, die in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre essen, drfte steigen 3.3 Zahl lterer Paare, die gemeinsam essen, nimmt deutlich zu 3.4 Zahl lterer Alleinlebender, die berwiegend alleine essen, steigt 3.5 Immer mehr junge und Alleinlebende mittleren Alters werden beim Essen die Gesellschaft anderer vermissen 3.6 Berufsttige werden tagsber noch hufiger in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre essen als heute 3.7 Knftig werden immer mehr Menschen in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und damit hufig in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre essen 4. 5. Schwchung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und steigende soziale Kosten Handlungsoptionen zur Strkung der gemeinschaftsfrdernden Funktionen von Essen und Trinken

43 47 49 49 49 51 53 54

5.1 Bewusstsein schaffen 5.2 Angebote, Orte und Formate fr Problemgruppen bereitstellen 5.3 Gemeinschaftsverpflegung gemeinschaftsfrdernd ausbauen 5.4 Forschungslcken schlieen Bibliographie

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Verzeichnis der Schaubilder

Schaubild 1: Schaubild 2: Schaubild 3: Schaubild 4: Schaubild 5: Schaubild 6: Schaubild 7:

Quellen des Glcks 2009 Freude an gemeinsamem Essen nach Geschlecht und Altersgruppen 2008 Zeitlicher Aufwand fr Essen und Trinken und andere ausgewhlte Aktivitten 2001/2002 Anzahl der blicherweise gemeinsam mit anderen eingenommenen Mahlzeiten nach Lebensphase/Haushaltstyp 2008 Anteil der Mtter, die tglich bzw. meistens mit ihren Kindern essen 2010

10 12 14 16 17

Anzahl der blicherweise gemeinsam mit anderen eingenommenen Mahlzeiten nach Lebensphase/Haushaltstyp und sozialer Schicht 2008 19 Anteil der Mehrpersonenhaushalte, in denen berwiegend nicht zu festen Tageszeiten gegessen wird nach Lebensphase/Haushaltstyp und sozialer Schicht 2008 20 Anteil der Mehrpersonenhaushaushalte, in denen das Abendessen berwiegend schnell bzw. nebenbei zu sich genommen wird nach Lebensphase/Haushaltstyp und sozialer Schicht 2008

Schaubild 8:

21

Schaubild 9:

Anteil der Alleinlebenden, die blicherweise dreimal tglich alleine essen und die beim Essen oft die Gesellschaft anderer vermissen nach Altersgruppen 2008 23 24 26 27 28 29 30 34 35 36

Schaubild 10: Anteil der Alleinlebenden, die sich mit Freunden und Bekannten zum Essen treffen nach Altersgruppen 2008 Schaubild 11: Anteil der Alleinlebenden, die normalerweise dreimal tglich alleine essen nach Altersgruppen und sozialer Schicht 2008 Schaubild 12: Anteil der Alleinlebenden mit nur wenigen Bekannten nach Altersgruppen und sozialer Schicht 2008 Schaubild 13: Anteil der Alleinlebenden, die beim Essen oft die Gesellschaft anderer vermissen nach Altersgruppen und sozialer Schicht 2008 Schaubild 14: Anteil der Personen, die beim Essen hufig die Gesellschaft anderer vermissen nach Erwerbsstatus 2008 Schaubild 15: Ernhrungsdefizite der berufsttigen im Vergleich zur nicht berufsttigen Bevlkerung 2008 Schaubild 16: Die Wertschtzung von Essen als Quelle von Genuss und Gemeinschaft nach Lebensphase/Haushaltstyp 2008 Schaubild 17: Freude am gemeinsamen Kochen nach Lebensphase/ Haushaltstyp 2008 Schaubild 18: Unter 60-Jhrige in Mehrpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 2025

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Schaubild 19: Anteil der kinderlosen Frauen nach Bildungsstand und Altersgruppen 2008 Schaubild 20: ber 59-Jhrige in Mehrpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 2025 Schaubild 21: ber 59-Jhrige in Einpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 2025 Schaubild 22: 20- bis unter 60-Jhrige in Einpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 2025 Schaubild 23: 0- bis 5-jhrige Kinder in Ganztagsbetreuung in Deutschland 2006 bis 2030 Schaubild 24: Entwicklung der pflegebedrftigen Bevlkerung in Deutschland 1999 bis 2030

38 39 40 42 44 45

Verzeichnis der TabellenTabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Ernhrungsdefizite von Alleinlebenden im mittleren Alter 2008 Ess- und Ernhrungsweisen Berufsttiger in der Mittagspause 2009 Kritik Berufsttiger an der Kantinenverpflegung 2009 25 31 52

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Vorbemerkung Essen und Trinken tragen entscheidend zum physischen und psychischen Wohlbefinden der Menschen bei. Whrend die Frage, was und wie viel Menschen essen, ausfhrlich untersucht wurde, wurde der Frage, wie Menschen essen, bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Sie ist Gegenstand dieses Factbooks. Im Mittelpunkt steht dabei die Bedeutung von Essen und Trinken fr Gemeinschaft und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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Kurzfassung 1. Essen und Trinken haben groe Bedeutung fr Gemeinschaft Zwischenmenschliche Beziehungen werden mageblich durch gemeinsame Aktivitten und Erlebnisse gefestigt. Hierbei spielen Essen und Trinken seit je her eine groe Rolle. 2. Essen und Trinken haben vielfltige gemeinschaftsfrdernde Funktionen Als Gemeinschaftserlebnis erfllen Mahlzeiten verschiedene Funktionen. Sie bieten Raum und Zeit fr Gesprche mit dem Partner, Freunden oder Kollegen (Kommunikationsfunktion), dienen der Frsorge und Erziehung von Kindern (Sozialisationsfunktion), knnen Defizite in anderen Lebensbereichen ausgleichen (Kompensationsfunktion) und psychisches und physisches Wohlbefinden frdern (Gesundheitsfunktion). 3. Die Menschen in Deutschland essen mehrheitlich gemeinsam Die groe Mehrheit der Bevlkerung in Deutschland nutzt die gemeinschaftsfrdernden Funktionen von Essen und Trinken. Hierzulande genieen fast neun von zehn Menschen Mahlzeiten besonders dann, wenn sie diese gemeinsam mit anderen einnehmen. Acht von zehn Menschen essen regelmig mindestens einmal tglich in Gesellschaft anderer. berdurchschnittlich gilt dies fr Menschen, die mit einem Partner zusammen leben, eine Familie haben und/oder ber einen festen Freundes- und Bekanntenkreis verfgen. 4. Ausgenommen hiervon sind Menschen, die sozial schwach eingebunden sind Dort allerdings, wo diese sozialen Netzwerke fehlen oder nur schwach ausgeprgt sind, ist die Bedeutung gemeinsamer Mahlzeiten deutlich geringer. berdurchschnittlich trifft dies auf sozial schwache Familien, Alten- und Pflegeheimbewohner sowie Menschen, die alleine leben, zu. Von den ber 60-jhrigen Alleinlebenden isst sogar jeder zweite so gut wie immer alleine. Fr sie haben Essen und Trinken den Charakter als Gemeinschaftserlebnis weitgehend eingebt. Auch Berufsttige essen zumindest unter der Woche hufiger als andere Bevlkerungsgruppen entweder alleine und/oder in einer gemeinschaftsabtrglichen Atmosphre. 5. Knftig drfte die Bedeutung gemeinsamen Essens und Trinkens abnehmen Zwar werden in Deutschland Essen und Trinken auch knftig mageblich dazu beitragen, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen. Doch drfte sich bei unvernderten Sicht- und Verhaltensweisen sowie institutionellen Rahmenbedingungen ihre Bedeutung hierfr weiter abschwchen. Denn whrend der Anteil der Bevlkerungsgruppen, die berdurchschnittlich oft gemeinschaftsfrdernd essen und trinken, an der Gesamtbevlkerung zurckgeht, nimmt der Anteil der Bevlke-

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rungsgruppen, die hufig alleine und/oder in einer gemeinschaftsabtrglichen Atmosphre essen, zu: Junge Paare und Familien mit Kindern werden auch knftig mehrheitlich die gemeinschaftsfrdernden Potentiale von Essen und Trinken nutzen. Insbesondere gilt dies, wenn sie den sozial strkeren Schichten angehren. Der Anteil junger Paare und Familien mit Kindern an der Gesamtbevlkerung geht allerdings dramatisch zurck. In sozial schwachen Familien wird die Bedeutung gemeinsamen Essens und Trinkens aufgrund abnehmender eigener Erfahrungen und Kompetenzen tendenziell weiter zurckgehen. Gleichzeitig drfte der Anteil sozial schwacher Familien an allen Familien grer werden. ltere Paare werden auch knftig weiterhin berwiegend gemeinsam essen. Ihre Zahl und ihr Anteil an der Gesamtbevlkerung steigen deutlich. Ebenfalls steigen werden Zahl und Bevlkerungsanteil lterer Alleinlebender. Sie drften weiterhin mehrheitlich fast vollstndig von gemeinsamen Mahlzeiten ausgeschlossen sein. Da immer mehr junge und vor allem Menschen im mittleren Lebensalter alleine leben und gleichzeitig die Risiken sozialer Isolation zunehmen, nimmt die Bedeutung gemeinsamen Essens und Trinkens in dieser Altersgruppe voraussichtlich weiter ab. Noch mehr Berufsttige als heute werden aufgrund anhaltend hoher oder zunehmender Flexibilitts- und Mobilittsanforderungen in einer gemeinschaftsabtrglichen Atmosphre essen. Knftig wird der Bevlkerungsanteil, der regelmig in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung isst, sprbar zunehmen. Vor allem gilt dies fr Krippen-, Kindergarten- und Schulkinder sowie Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Insbesondere fr letztere drfte sich dies unter gegebenen Bedingungen nachteilig auf gemeinsame Mahlzeiten auswirken. 6. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird geschwcht und soziale Kosten steigen Da knftig ein wachsender Anteil der Menschen berwiegend alleine und/oder in einer Atmosphre isst, in der sich die gemeinschaftsfrdernden Funktionen von Essen und Trinken nicht entfalten knnen, drfte dies zwischenmenschliche Beziehungen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt schwchen. Zumindest gilt dies, solange der Verlust von Gemeinschaft beim Essen nicht durch einen Zugewinn von Gemeinschaft bei anderen Aktivitten ausgeglichen wird. Genau dieser Ausgleich ist aber bei vielen der genannten Bevlkerungsgruppen nicht zu erwarten.

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Unter anderem drften hierdurch die Vereinsamung insbesondere von lteren Alleinlebenden sowie Alten- und Pflegeheimbewohnern zunehmen, Sozialkompetenzen und Sprachfhigkeiten junger Menschen vor allem aus sozial schwachen Schichten abnehmen, sich psychische und physische Erkrankungen hufen sowie soziale Polarisierungsprozesse verstrken. Eine Folge hiervon sind nicht zuletzt steigende gesellschaftliche Kosten. 7. Die gemeinschaftsfrdernden Funktionen von Essen und Trinken knnen durch vielfltige Manahmen gestrkt werden Deshalb sollte das Potential gemeinsamer Mahlzeiten fr den gesellschaftlichen Zusammenhalt knftig strker als bisher genutzt werden. Unter anderem bestehen hierfr folgende Handlungsoptionen: Bewusstsein schaffen Indem eine breite ffentliche Debatte angestoen und/oder bestimmte Zielgruppen direkt angesprochen und beraten werden, kann das Bewusstsein fr die Bedeutung der gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken in der Bevlkerung insgesamt als auch bei wichtigen Akteuren gestrkt werden. Angebote, Orte und Formate bereit stellen Fr Problemgruppen sollten Angebote, Orte und Formate bereitgestellt bzw. entwickelt werden, damit sie hufiger an gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen knnen. Gemeinschaftsverpflegung gemeinschaftsfrdernd ausbauen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung sowohl im betrieblichen und Bildungs- als auch im Heimbereich sollten gemeinschaftsfrdernd ausgebaut werden. Forschungslcken schlieen Insgesamt ist der Kenntnisstand ber die Bedeutung von Essen und Trinken fr Gemeinschaft und sozialen Zusammenhalt nach wie vor lckenhaft. Je mehr Forschungslcken geschlossen werden, desto passgenauere Manahmen knnen entwickelt werden, um einer Schwchung gemeinsamer Esskultur in Deutschland entgegenzuwirken.

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1.

Die Bedeutung von Essen und Trinken fr den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Ohne die Gesellschaft anderer verkmmert er krperlich, geistig und kulturell.1 Das gleiche gilt fr die Gesellschaft insgesamt. Sie zerfllt, wenn eine wachsende Zahl von Menschen ber keine oder nur lose soziale Bindungen verfgt. Ergebnisse der Glcksforschung belegen das Bedrfnis der Menschen nach Gemeinschaft: Demnach sind Menschen umso zufriedener mit ihrem Leben, je strker sie sozial eingebunden sind.2 Nach den Quellen des Glcks befragt, rangieren in der Bevlkerung in Deutschland gute Freunde, eine glckliche Partnerschaft und ein erflltes Familienleben weit oben (siehe Schaubild 1).Schaubild 1: Quellen des Glcks 2009Frage: "Was macht Sie persnlich glcklich, was ist fr Sie eine Quelle des Glcks?"in Prozent

Krperliches Wohlbefinden, Gesundheit Finanzielle Sicherheit Gute Freunde Eine glckliche Ehe, Partnerschaft Leben in einem freien Land / Meinungsfreiheit Ein schnes Haus, eine schne Wohnung Ein erflltes Familienleben In der Natur sein, drauen sein Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben Freude am Beruf Anderen helfen / Verantwortung bernehmen Erfolg im Beruf Viel Freizeit Eine Lebensaufgabe finden Ein Glaube, der einem Sicherheit gibt Ein hohes Einkommen Gutes Aussehen Einfluss haben / Gehrt werden Viel zu besitzen Politisch aktiv sein 0

91 73 73 71 68 58 57 51 51 49 36 35 28 26 25 22 21 18 7 7 10 20

nQuellen des Glcks (Allgemein) nQuellen des Glcks (Gemeinschaft)30 40 50 60 70 80 90 100

Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr. 10046, Oktober 2009

1 2

Vgl. Miegel (2002), S. 198ff. Vgl. hierzu unter anderem Memorandum der Arbeitsgruppe Zufriedenheit der Ernst Freiberger-Stiftung (2010), Noll/Weick (2010) sowie Rtzel (2007).

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Essen und Trinken als Gemeinschaftserlebnis Mageblich gestrkt werden zwischenmenschliche Bindungen durch gemeinsame Aktivitten und Erlebnisse. Historisch spielten hierbei Essen und Trinken eine zentrale Rolle. Schon am steinzeitlichen Lagerfeuer kam die Sippe zusammen, um gemeinsam zu essen.3 Im Laufe der Jahrtausende gewannen gemeinsame Mahlzeiten weiter an Bedeutung. Sie wurden durch Rituale wie Tischgebete, Tischmanieren, Sitzordnung und anderes mehr als kulturelles Ereignis aufgewertet und zu festen Zeiten im Tagesablauf verankert.4 Die gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken Auch heute noch werden gemeinsame Mahlzeiten geschtzt. So ist in Deutschland fr fast neun von zehn Menschen das Essen dann am schnsten, wenn sie es gemeinsam mit anderen einnehmen. Das gilt - wie Schaubild 2 verdeutlicht gleichermaen fr Mnner und Frauen sowie fr Jung und Alt.

3

4

Nachdem die Mensch lernten, das Feuer zu beherrschen, gingen sie dazu ber, Frchte und Beutetiere nicht mehr an Ort und Stelle zu verzehren, sondern an einem mehr oder weniger festen Lagerplatz zuzubereiten und gemeinsam zu verzehren. Was dies genau fr den sozialen Zusammenhalt der Gruppe bedeutete, ist aus heutiger Sicht schwer zu sagen. Vieles spricht aber dafr, dass dies zu einer Strkung sozialer Beziehungen beigetragen hat. Vgl. Hirschfelder (2005), S. 23ff. Vgl. Hayn et al. (2005), S. 53ff. sowie Hirschfelder (2005).

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Schaubild 2: Freude an gemeinsamem Essen nach Geschlecht und Altersgruppen 2008Zustimmung zur Aussage "Essen ist fr mich am schnsten zusammen mit anderen, z.B. mit der Familie oder mit Freunden"100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Bevlkerung Mnner insgesamt Frauen 16 - 19 Jahre 20 - 29 Jahre 30 - 44 Jahre 45 - 59 Jahre 60 - 79 Jahrein Prozent

100 86 89 81 85 89 89 87 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

87

Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

Dabei erfllen Essen und Trinken verschiedene gemeinschaftsstiftende Funktionen: Gesprche und Kommunikation Im Mittelpunkt gemeinsamer Mahlzeiten steht das Gesprch.5 Am Esstisch kommen Partner, Eltern, Kinder, Freunde oder Kollegen zusammen, um Sorgen zu besprechen, Freuden zu teilen, Erlebnisse auszutauschen oder Absprachen zu treffen. Anschaulich zeigt sich diese Funktion des Essens auch daran, dass in nahezu jeder Kultur Gastfreundschaft untrennbar damit verbunden ist, Besuchern Speisen und Getrnke anzubieten.6 Frsorge und Erziehung Fr Kinder ist der Esstisch zudem ein Ort der Frsorge, Erziehung und Sozialisation.7 Regelmig mit Essen und Trinken versorgt zu werden, ist elementarer Ausdruck elterlicher Liebe und Zuneigung. Bei der Zubereitung von Mahlzeiten lernen Kinder zudem Fertigkeiten im Umgang mit Lebensmitteln. Whrend der5 6 7

Vgl. DGE (2004), S. 85. Vgl. Hayn et al. (2005), S. 32. Vgl. ebenda, S. 32.

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Mahlzeiten werden ihnen Werte, Umgangsformen, Regeln und Rituale vermittelt, deren Bedeutung weit ber Essen und Trinken hinausgeht. Feste Zeiten einzuhalten, sich bei Tisch zu benehmen, jemandem zuzuhren, ihn ausreden zu lassen und seiner eigenen Meinung Ausdruck zu verleihen, sind grundlegende Erfahrungen fr das Zusammenleben von Gesellschaften. Nicht zuletzt frdern Gesprche bei Tisch die Sprachentwicklung von Kindern. Kompensation von Defiziten Durch ihre Verbindung von Genuss und Gemeinschaft haben Essen und Trinken eine Kompensationsfunktion. Beispielsweise knnen wie Fallstudien zeigen8 gemeinsame Mahlzeiten im Freundes- und Familienkreis eine Alternative fr andere Gemeinschaftsaktivitten sein, die sich ein Haushalt wegen geringer finanzieller Mittel nicht oder nur selten leisten kann.9 Gesundheit und Wohlbefinden Gemeinsam zu essen und zu trinken ist nicht zuletzt der Gesundheit zutrglich. Zum einen frdert Gemeinschaft das psychische Wohlbefinden. Zum anderen ernhren sich Menschen, die berwiegend in Gemeinschaft essen, tendenziell gesnder, das heit insbesondere regelmiger, abwechslungsreicher und frischer.10 Groes Potential fr gemeinsames Essen und Trinken Wie gro das Potential gemeinsamer Mahlzeiten fr die Pflege sozialer Kontakte insgesamt ist, verdeutlichen die Ergebnisse der letzten Zeitbudgeterhebung des Statistischen Bundesamtes von 2001/2002. Danach verbrachte jeder Deutsche pro Tag durchschnittlich 1:43 Stunden mit Essen und Trinken. Fr andere Aktivitten, die ebenfalls hufig gemeinsam mit anderen ausgebt werden, nahm er sich hingegen weit weniger Zeit: Fr Sport und Aktivitten im Freien waren es zum Beispiel nur 34 Minuten, fr Hobbys und Spiele 30 Minuten, fr Unterhaltung und Kultur 20 Minuten und fr Ausruhen und Auszeiten 19 Minuten (siehe Schaubild 3).11

8 9 10 11

Vgl. Leonhuser et al (2009). Vgl. hierzu auch Denkwerk Zukunft (2010) sowie Schulte/Butzmann (2009). Vgl. hierzu auch Tabelle 1 sowie AOK (2010), S. 34f. Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), S. 1ff.

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Schaubild 3: Zeitlicher Aufwand fr Essen und Trinken und andere ausgewhlte Aktivitten 2001/2002Stunden und Minuten

Essen und Trinken

01:43

Sportliche Aktivitten / Aktivitten in der Natur

00:34

Hobbys und Spiele

00:30

Unterhaltung und Kultur

00:20

Ausruhen und Auszeit

00:19

00:00

00:14

00:28

00:43

00:57

01:12

01:26

01:40

01:55

Quelle: Statistisches Bundesamt 2006

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2.

Die Bedeutung gemeinsamen Essens und Trinkens in Deutschland

Die berwiegende Mehrheit der Bevlkerung in Deutschland nutzt die gemeinschaftsstiftenden Potentiale von Essen und Trinken. Zwar wird mitunter auch alleine bzw. unter Zeitdruck, unregelmig, nebenbei, unterwegs oder in einem wenig einladenden Ambiente gegessen. Doch gleichen dies die meisten Menschen aus, indem sie, wenn sie Zeit und Ruhe fr ein gemeinsames Essen haben, dieses besonders zelebrieren. Vor allem gilt dies fr diejenigen, die ber ein stabiles soziales Netzwerk verfgen. berdurchschnittlich zhlen hierzu Menschen, die in Mehrpersonenhaushalten leben. Dagegen tragen Essen und Trinken in Bevlkerungsgruppen, die sozial nur schwach eingebunden sind, kaum dazu bei, Gemeinschaft zu pflegen und zu frdern. Hierzu gehren ltere Alleinlebende, sozial schwache Familien sowie Altenund Pflegeheimbewohner. 2.1 In Mehrpersonenhaushalten wird berwiegend gemeinsam, aber nicht selten in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre gegessen Wer mit einem Partner zusammenlebt und/oder Kinder hat, isst mehrheitlich in Gesellschaft anderer. Wie Schaubild 4 zeigt, wird in 95 Prozent der Familien mit jngeren Kindern, 97 Prozent der Familien mit lteren Kindern und 94 Prozent der Erwachsenenhaushalte hierzu zhlen ltere Paare ohne Kinder sowie Familien mit jugendlichen bzw. erwachsenen Kindern mindestens einmal, meist mehrmals tglich gemeinsam mit anderen gegessen.12 Bei den verbleibenden drei bis sechs Prozent wird im Laufe einer Woche in der Regel zumindest an einigen Tagen gemeinsam mit anderen gegessen.13 Auch 83 Prozent der jngeren (noch) kinderlosen Paare essen tglich und weitere 17 Prozent von ihnen zumindest gelegentlich gemeinsam. Dass Mitglieder von Mehrpersonenhaushalten berwiegend dreimal tglich alleine essen, kommt hingegen so gut wie nie vor.

12

13

Die hier verwendeten Definitionen entsprechen denen der Nestl Ernhrungsstudie 2009: Demnach sind Familien durch die Existenz von Kindern im Haushalt definiert. Hierzu zhlen auch Alleinerziehendenhaushalte. In jungen Familien sind keine Kinder lter als sechs Jahre, in Familien mit lteren Kindern ist mindestens das lteste Kind zwischen sechs und 14 Jahren und in Familien, die den Erwachsenenhaushalten zugeordnet wurden, ist das jngste Kind mindestens 14 Jahre alt. Ferner zhlen zu den Erwachsenenhaushalten ber 40-jhrige Paare ohne Kinder. Lediglich in Erwachsenenhaushalte essen zwei Prozent der Haushaltsmitglieder normalerweise alle drei Mahlzeiten des Tages alleine.

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Schaubild 4: Anzahl der blicherweise gemeinsam mit anderen eingenommenen Mahlzeiten nach Lebensphase/Haushaltstyp 2008100 90 80 70 60 50 40 30 20 10Bevlkerung insgesamt

in Prozent

8 11 81 23

6 17 20 74 31 31 83

5 19

3 95 20 97

2 4 20

100 94 40 90 80 70

Essen meistens dreimal tglich alleine (oder gar nicht) "Mal so, mal so"**

31

38

27 24

60 50 37 40 30 20 10 6 10 0

1 Mahlzeit gemeinsam

26 32 27 45 31 16Alleinlebende (unter 40 Jahre)

2 Mahlzeiten gemeinsam 3 Mahlzeiten gemeinsam 1 bis 3 Mahlzeiten gemeinsam

39

47

21

20Junge Familien Familie mit lteren Kindern Junge Paare ohne Kinder Erwachsenen Haushalte

*Kombinierte Werte zu Frhstck, Mittag- und Abendessen. **Keine der anderen Antwortmglichkeiten. Das kann u.a. bedeuten, dass an manchen Tagen allein, an anderen einmal und wieder anderen mehrmals tglich gemeinsam gegessen wird. Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

Das Abendessen ist fr Paare und Familien von herausragender Bedeutung Zwar wird in Mehrpersonenhaushalten nicht jede Mahlzeit mit dem Partner bzw. im Familienkreis eingenommen. Insbesondere morgens und mittags wird stattdessen mit Kollegen, Mitschlern, Freunden oder auch alleine gegessen. In der Regel sitzen aber alle Mitglieder eines Haushalts mehrmals wchentlich meist abends und an den Wochenenden gemeinsam an einem Tisch. Insbesondere in Familien wird zu 88 Prozent (jngere Kinder) bzw. 84 Prozent (ltere Kinder) fast jeden Abend gemeinsam gegessen. Werden nur die Mtter bercksichtigt, so essen einer Studie der AOK zufolge sogar knapp 98 Prozent meistens (13 Prozent) bzw. tglich (85 Prozent) gemeinsam mit ihren Kindern zu Abend (siehe Schaubild 5).14

14

Vgl. AOK (2010), S. 34.

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Alleinlebende (40 Jahre und lter)

0

Schaubild 5: Anteil der Mtter, die tglich bzw. meistens mit ihren Kindern essen 2010Frage: Wie hufig nehmen Sie die Mahlzeit zusammen mit Ihren Kindern ein?100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Frhstck Mittagessen Abendessenin Prozent

97,6 83 75,7 18,8 28,8 12,8

100 90 80 70 60 50

84,8 64,2 46,9

40 30 20 10 0

Aussage: "tglich"Quelle: AOK Familienstudie 2010

Aussage: "an den meisten Tagen"

Vor allem Familien der Mittel- und Oberschicht legen Wert auf eine gesellige Atmosphre Dabei steht das Gemeinschaftserlebnis der Mahlzeit klar im Vordergrund. Selbst wenn abends nur kalte Speisen auf den Tisch kommen, ist es das Essen, fr das sich Familien durchschnittlich die meiste Zeit nehmen.15 Vor allem gilt dies fr Familien der mittleren und oberen Sozialschichten.16 An Wochenenden dient das Abendessen zudem der Pflege von Freundschaften und auerfamiliren Kontakten. Hufig wird dann auch auer Haus gegessen.17

15

16

17

Nach der Zeitbudgeterhebung 2001/2002 nahmen sich Familien damals durchschnittlich 30 Minuten Zeit fr das Abendessen. Dies war genauso lange wie bei der Zeitbudgeterhebung 1991/92. Vgl. DGE (2004), S. 85. Zu den mittleren bzw. oberen Sozialschichten zhlen Personen mit durchschnittlichem bzw. berdurchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen, die ber mittlere bzw. hohe Bildungsabschlsse verfgen und qualifizierte bzw. hoch qualifizierte berufliche Ttigkeiten ausben (bei Ruhestndlern ehemaliger Beruf). Die genaue Zuteilung der Mitglieder eines Haushalts zu einer bestimmten sozialen Schicht erfolgt auf Grundlage eines Punktesystems, welches die Merkmale Nettoeinkommen des Haushalts, Bildungsstand des Befragten und berufliche Ttigkeit des Haushaltsvorstands mit einbezieht. Siehe hierzu auch Anmerkung 21. Vgl. Leonhuser et al. (2009), S. 96ff. sowie DGE (2004), S. 85.

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Hingegen spielen Frhstck und Mittagessen fr das Familienleben zumindest unter der Woche eine untergeordnete Rolle. Bei diesen Mahlzeiten steht aufgrund des engen morgendlichen Zeitfensters und der hufigen Doppelbelastung von Familie und Beruf der Versorgungscharakter im Vordergrund.18 Tradierte Rollenmuster bestehen fort In Mehrpersonenhaushalten und insbesondere in Familien werden die Mahlzeiten berwiegend von Frauen zubereitet. In 73 Prozent aller Haushalte kocht im Allgemeinen die Frau, gegenber 21 Prozent der Haushalte, in denen meist die Mnner das Essen zubereiten. In diesen Zahlen spiegelt sich im Wesentlichen die nach wie vor dominierende tradierte Rollenverteilung wider, wonach sich Frauen um den Haushalt und vor allem die Betreuung der Kinder kmmern, whrend die Mnner als Haupternhrer einer Erwerbsarbeit nachgehen. Der Nestl-Studie zufolge arbeiten 81 Prozent der erwerbsfhigen Mnner, 91 Prozent von ihnen in Vollzeit. Die Erwerbsttigenquote der Frauen liegt bei 66 Prozent, wobei je die Hlfte teil- bzw. vollzeiterwerbsttig ist.19 Unter Mttern ist der Anteil der Erwerbsttigen bzw. der Vollzeitbeschftigten nochmals geringer.20 Familien der sozial schwachen Schicht essen hufiger ohne Rituale, ohne sich Zeit zu nehmen und nebenbei Auch in Familien der sozial schwachen Schicht21 wird berwiegend gemeinsam gegessen. Wie Schaubild 6 verdeutlicht, ist dies dort teilweise sogar noch fter der Fall als in Familien der Mittel- und Oberschicht. Allerdings finden gemeinsame Mahlzeiten hier seltener in einer Atmosphre statt, die geeignet ist, Gemeinschaft und Zusammenhalt zu frdern. Insbesondere ist der Essalltag in Familien der sozial schwachen Schicht berdurchschnittlich durch den Verlust von Routinen und Ritualen gekennzeichnet. Zwar wird hufig gemeinsam gegessen, dies aber nicht zu festen Zeiten, sondern immer dann, wenn gerade Zeit hierfr oder jemand hungrig ist. Dies trifft wie aus Schaubild 7 hervorgeht bei Familien mit jngeren Kindern auf knapp 30 Prozent und bei Familien mit lteren Kindern sogar auf 40 Prozent zu. Mit 18 bzw. 19 Prozent ist allerdings auch ein relevanter Teil der Mittelschichtfamilien hiervon betroffen.

18

19

20

21

An Wochenenden hingegen gewinnt vor allem das Frhstck wieder stark an Bedeutung fr das Familienleben. Wie Fallstudien zeigen, wird in einigen Familien samstags und sonntags sogar bis zu zwei Stunden gemeinsam gefrhstckt. Vgl. Leonhuser et al. (2009), S. 90f. Eigene Berechnung auf Grundlage der Daten der Nestl-Studie. Die Werte beziehen sich auf alle Frauen bzw. Mnner. Die Daten der Nestl-Studie fr die Mtter waren nicht zugnglich. Ergebnisse des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes zeigen aber, dass Mtter im Vergleich zu kinderlosen Frauen hufiger keiner Erwerbsarbeit nachgehen bzw. teilzeitbeschftigt sind. Zur sozial schwachen Schicht zhlen Personen mit unterdurchschnittlichem Haushaltsnettoeinkommen, die ber keine oder geringe berufliche Abschlsse verfgen und gering qualifizierte Ttigkeiten ausben. Die genaue Zuteilung zu einer bestimmten Schicht erfolgt auf Grundlage dieser Merkmale im Rahmen eines Punktesystems. Siehe hierzu auch Anmerkung 16.

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Schaubild 6: Anzahl der blicherweise gemeinsam mit anderen eingenommenen Mahlzeiten nach Lebensphase/Haushaltstyp und sozialer Schicht 2008100 90 18 80 70 60 50 40 30 20 10 0Junge Familien Alleinlebende (unter 40 Jahre) Junge Paare ohne Kinder

in Prozent

5 14

4 18

5 15

1 3 20 32

4 17 18

5 21

1 3 23

2 2 5 5 15 26 22 38 27 32 24 56 23 51 8 2 12 3 12

100 90 80 70 60 50

28 36 35 39 31 25 32 35 30 35 25

17

38 25 43 21 41 44 12 16 6Familie mit lteren Kindern Erwachsenen Haushalte Alleinlebende (40 Jahre und Alleinlebende (unter 40 Jahre) Junge Paare ohne Kinder Junge Familien

21 25 31 29 43 19 46 24

31 23 59 59 11 26 30 8 7Junge Familien Familie mit lteren Kindern Erwachsenen Haushalte Alleinlebende (40 Jahre und

40 30 20 10 0

18

39

16

9 5

15

sozial starke Schicht 3 Mahlzeiten gemeinsam "Mal so, mal so"**

soziale Mittelschicht 2 Mahlzeiten gemeinsam Essen normalerweise dreimal tglich alleine (oder gar nicht)

*Kombinierte Werte zu Frhstck, Mittag- und Abendessen. ** Keine der anderen Antwortmglichkeiten. Das kann u.a. bedeuten, dass an manchen Tagen allein, an anderen einmal und wieder anderen mehrmals tglich gemeinsam gegessen wird. Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

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Familie mit lteren Kindern Erwachsenen Haushalte Alleinlebende (40 Jahre und Alleinlebende (unter 40 Jahre) Junge Paare ohne Kinder

sozial schwache Schicht 1 Mahlzeit gemeinsam

Schaubild 7: Anteil der Mehrpersonenhaushalte, in denen berwiegend nicht zu festen Tageszeiten gegessen wird nach Lebensphase/Haushaltstyp und sozialer Schicht 2008Zustimmung zur Aussage "Esse unter der Woche normalerweise nicht zu festgelegten Tageszeiten, sondern immer dann, wenn Zeit oder Hunger."*50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0Junge Paare ohne Kinder Junge Paare ohne Kinder Erwachsenen Haushalte Erwachsenen Haushalte Junge Paare ohne Kinder Erwachsenen Haushalte Familie mit lteren Kindern Familie mit lteren Kindern Familie mit lteren Kindern Junge Familien Junge Familien Junge Familien

in Prozent

44 39 29 18 19 40

26 16 12 16 16

50 45 40 35 30 25 20 13 15 10 5 0

sozial starke Schicht

soziale Mittelschicht

sozial schwache Schicht

*Sinngeme Wiedergabe der Aussage "Wenn Zeit oder Hunger" auf die Frage "Haben Sie unter der Woche fr Ihre Mahlzeiten eigentlich ganz bestimmte, weitgehend festgelegte Tageszeiten, oder essen Sie eher dann, wenn Sie gerade Zeit oder Hunger haben?" Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

In der sozial schwachen Schicht kommt verschrfend hinzu, dass sich Familien hufig keine Zeit fr Mahlzeiten nehmen bzw. diese nebenbei eingenommen werden. Mit 33 Prozent gilt dies wie Schaubild 8 beispielhaft fr Mahlzeiten am Abend veranschaulicht vor allem fr junge Familien.22 Statt in Ruhe beisammen zu sitzen, Gedanken auszutauschen und am Leben des anderen teilzuhaben, wird hufig schnell gegessen bzw. whrend des Essens ferngesehen, telefoniert, Game Boy gespielt oder in Magazinen geblttert. Zwar sitzen alle an einem Tisch, aber jeder isst fr sich allein. Dabei sind Rituale, Routinen, Gesprche und gemeinsam verbrachte Zeit gerade auch bei Tisch fr eine sozial stabile und krperlich gesunde Entwicklung von Kindern von groer Bedeutung. Sie dienen der Frsorge und Erziehung, vermitteln Zuwendung, Sicherheit, Verlsslichkeit und sind Ankerpunkte, um den Tag zu strukturieren. Dort, wo sie fehlen, leiden Kinder berdurchschnittlich oft sowohl an

22

Bei Frhstck und Mittagessen liegen die Anteile in allen Schichten noch ber den Werten des Abendessens, was unter anderem auf Anforderungen des Berufs-, Schul- und Ausbildungsalltags zurckzufhren ist.

20/57

bergewicht als auch psychosomatischen Strungen.23 Auch Rckstnde bei Sozialkompetenzen und Sprachfertigkeiten sind mgliche Folgen.Schaubild 8: Anteil der Mehrpersonenhaushaushalte, in denen das Abendessen berwiegend schnell bzw. nebenbei zu sich genommen wird nach Lebensphase/Haushaltstyp und sozialer Schicht 2008Zustimmung zur Aussage "Nehme mir abends unter der Woche keine Zeit zum Essen bzw. esse nebenbei."*35 30 25 20 15 10 5 0Junge Paare ohne Kinder Junge Paare ohne Kinder Erwachsenen Haushalte Erwachsenen Haushalte Junge Paare ohne Kinder Erwachsenen Haushalte Familie mit lteren Kindern Familie mit lteren Kindern Familie mit lteren Kindern Junge Familien Junge Familien Junge Familien

in Prozent

33

35 30 25 20 15 15

11

10

11 7

13 8 10 6 7

10 4 5 0

sozial starke Schicht

soziale Mittelschicht

sozial schwache Schicht

*Sinngeme Wiedergabe der Aussage: "Nebenbei auf die Frage "Wie ist das bei Ihnen normalerweise unter der Woche: Nehmen Sie sich da Zeit zum Abendessen, oder essen Sie meistens so nebenbei zu Abend, oder essen Sie abends meistens gar nicht? Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

Entstrukturierte Tagesablufe und fehlende eigene Erfahrungen als Ursachen Die Ursachen fr die Vernachlssigung gemeinschaftsstiftender Funktionen von Essen und Trinken sind vielfltig. So leisten berufsttige Eltern des sozial schwachen Bevlkerungsteils hufiger Schicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, was eine feste Verankerung der Mahlzeiten im Tagesablauf erschwert. Noch wichtiger aber drfte sein, dass viele Eltern der sozial schwachen Schichten selbst keinen strukturierten Tagesablauf haben. Nur rund ein Drittel von ihnen ist berufsttig (33 Prozent). Je ein weiteres Drittel ist arbeitslos (32 Prozent) oder in Mutterschutz bzw. als Hausfrau oder -mann ttig (35 Prozent). Zum Vergleich: In jungen Familien der Mittel- und Oberschicht sind durchschnittlich jeweils 70 Prozent der Eltern er-

23

Laut AOK Familienstudie 2010 sind beispielsweise knapp 35 Prozent der Kinder ohne tgliche Rituale bergewichtig. Bei Kindern mit regelmigen tglichen Ritualen sind es nur 23 Prozent. Als Rituale wurden nicht nur Mahlzeiten bercksichtigt. Allerdings wird in der Studie die Bedeutung gemeinsamer Mahlzeiten fr eine gesunde Entwicklung von Kindern besonders hervorgehoben. Vgl. AOK (2010).

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werbsttig.24 Ferner steht zu vermuten, dass viele der jngeren Eltern Rituale, Routinen sowie bewusst als Gemeinschaftserlebnis kultivierte Mahlzeiten selbst als Kinder und Jugendliche nicht kennen gelernt haben. 2.2 Alleinlebende essen oft alleine Wer alleine lebt, isst auch oft alleine. Reichlich ein Fnftel der Alleinlebenden (22 Prozent) isst nur hin und wieder gemeinsam mit anderen und reichlich ein weiteres Fnftel (22 Prozent) isst sogar so gut wie immer ohne die Gesellschaft anderer. Oder anders gewendet: Nur reichlich jeder zweite Alleinlebende isst regelmig in Gesellschaft anderer (56 Prozent). Die meisten von ihnen bedauern dies. So wnscht sich fast jeder dritte Alleinlebende (29 Prozent) beim Essen fter die Gesellschaft anderer. Bei Menschen, die in Mehrpersonenhaushalten leben, trifft dies nicht einmal auf jeden Zwlften zu (8 Prozent). ltere Alleinlebende essen mehrheitlich alleine Dabei essen Alleinlebende umso hufiger ungewollt alleine, je lter sie sind. Wie Schaubild 9 zeigt, vermisst jeder zweite ber 60-jhrige Alleinlebende (49 Prozent) oft die Gesellschaft anderer beim Essen. 57 Prozent der lteren Alleinlebenden essen auch faktisch so gut wie immer alleine. Sie haben im Allgemeinen weder beim Frhstck, noch beim Mittagessen, noch beim Abendessen die Gesellschaft anderer. Folglich haben Essen und Trinken fr ber die Hlfte der lteren Alleinlebenden ihren Charakter als Gemeinschaftserlebnis bereits verloren. Dies ist besonders deshalb problematisch, weil viele der Betroffenen auch selten an anderen gemeinsamen Aktivitten teilnehmen drften. Sie sind aus dem Berufsleben ausgeschieden, Kinder und Enkel leben hufig weit entfernt und Freunde sind mitunter bereits verstorben. Zudem haben viele ltere keine Kinder bzw. Enkelkinder. Dass ltere Alleinlebende hufig alleine essen, ist folglich nicht selten Spiegelbild einer generellen Verarmung an sozialen Kontakten in dieser Bevlkerungsgruppe (siehe hierzu auch Schaubild 12). Alleinlebende mittleren Alters vermissen beim Essen oft die Gesellschaft anderer Auch jngere und vor allem Alleinlebende im mittleren Lebensalter vermissen im Vergleich zu Menschen, die in Mehrpersonenhaushalten leben, berdurchschnittlich oft die Gesellschaft anderer beim Essen. Wie Schaubild 9 weiter zeigt, trifft

24

Die Werte beziehen sich jeweils auf die im Rahmen der Nestl Studie 2009 in einem Haushalt befragte Person.

22/57

dies bei den 16- bis 29-Jhrigen auf jeden Siebenten (14 Prozent) und bei den 30bis 59-Jhrigen auf jeden Dritten (34 Prozent) zu.Schaubild 9: Anteil der Alleinlebenden, die blicherweise dreimal tglich alleine essen und die beim Essen oft die Gesellschaft anderer vermissen nach Altersgruppen 2008Zustimmung zur AussageIch muss zu oft alleine essen, htte gerne fter Gesellschaft Esse meistens dreimal tglich alleine* ltere Alleinlebende (60+) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) Junge Alleinlebende (16-29) 14 4 29 22 8 1 0Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

49 57 34 19

Alleinlebende

Personen in Mehrpersonenhaushalten insgesamt

10

20

30

40

50

60

*Kombinierte Werte zu Frhstck, Mittag- und Abendessen.

Zwar sind dies deutlich weniger als bei den lteren Alleinlebenden. Im Vergleich zu ihnen aber auch zu Menschen, die in Mehrpersonenhaushalten leben essen junge und Alleinlebende mittleren Alters hufiger mit Freunden, Bekannten und Kollegen. Wie Schaubild 10 zeigt, trifft mehr als die Hlfte (54 Prozent) der jngeren und knapp die Hlfte (46 Prozent) der Alleinlebenden im mittleren Lebensalter sogar mehrmals im Monat Freunde und Bekannte, um gemeinsam mit ihnen zu essen. Gerade am Wochenende haben hier gemeinsame Mahlzeiten, die hufig auch gemeinsam zubereitet werden,25 regelrechten Event-Charakter. Dennoch ist ein groer Teil vor allem der Alleinlebenden mittleren Alters weitgehend von gemeinsamen Mahlzeiten ausgeschlossen. Jeder Dritte (31 Prozent) Alleinlebende dieser Altersgruppe trifft seltener als einmal im Monat Freunde oder Bekannte, um gemeinsam mit ihnen zu essen (siehe Schaubild 10) und jeder25

So sind junge Alleinlebende neben jungen kinderlosen Paaren die Bevlkerungsgruppe, die am liebsten gemeinsam mit anderen kocht. Siehe hierzu auch Schaubild 17.

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Fnfte (19 Prozent) isst, hnlich wie viele ltere Alleinlebende, so gut wie immer ohne die Gesellschaft anderer (siehe Schaubild 8).Schaubild 10: Anteil der Alleinlebenden, die sich mit Freunden und Bekannten zum Essen treffen nach Altersgruppen 2008Frage: "Wie oft treffen Sie Freunde oder Bekannte zu einem gemeinsamen Essen?"in Prozent

100 90 80 70 60

2

4

4 24

4

5

100Keine Angabe

90 37 31 31 45 18 18 19 50 23 21 24 12 11 8 5Personen in Mehrpersonenhaushalten

80 70 60

Seltener

Einmal im Monat Mehrmals im Monat Einmal pro Woche Mehrmals pro Woche

50 40 30

25 19

40 30

22 20 10 0

15 12 20 9 8Alleinlebende (60+)

13Alleinlebende insgesamt

19 10Alleinlebende (16-29) Alleinlebende (30-59)

10 0

Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

und essen nicht zuletzt deshalb berdurchschnittlich oft ungesund Eine Folge hiervon ist, dass gerade Alleinlebende in den mittleren Jahren hufig ungesund essen. Anders als bei Gleichaltrigen in Mehrpersonenhaushalten ist niemand da, der ungesunde Ernhrungsweisen korrigieren bzw. mit dem oder fr den man ein gesundes Essen zubereiten knnte. Folglich wird wie Tabelle 1 verdeutlicht hufiger nebenbei, einseitig, unregelmig oder aus Frust und Stress gegessen. Letzteres gilt vor allem fr allein lebende Frauen.26

26

Vgl. Nestl Deutschland AG (2009), S. 68.

24/57

Tabelle 1:

Ernhrungsdefizite von Alleinlebenden im mittleren Alter 200830- bis 59-Jhrige Alleinlebende % 30- bis 59-Jhrige in MehrpersonenHaushalten % 25 33 9 21 26 8 11

Wenn Sie einmal an Ihre Ernhrung denken: Gibt es da etwas, was Sie gerne ndern wrden, womit Sie nicht so zufrieden sind?

Ich nehme mir zu wenig Zeit zum Essen Ich esse zu wenig Obst und Gemse Ich muss zu oft alleine essen, htte gerne fter Gesellschaft Ich ernhre mich oft zu einseitig Ich esse zu unregelmig Ich esse zu viele Fertiggerichte Manchmal esse ich nur aus Frust oder um Stress abzubauen Quelle: Nestl Studie 2009

32 38 34 28 38 16 15

Sozial schwache Alleinlebende sind berproportional betroffen Besonders oft ohne die Gesellschaft anderer essen Alleinlebende, wenn sie der sozial schwachen Schicht angehren. Im Vergleich zu Alleinlebenden der mittleren und oberen Sozialschichten gilt dies wie Schaubild 11 zeigt fr alle Altersgruppen.

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Schaubild 11: Anteil der Alleinlebenden, die normalerweise dreimal tglich alleine essen nach Altersgruppen und sozialer Schicht 2008Aussage: "Esse normalerweise dreimal tglich alleine (oder gar nicht)"*in Prozent

70 60 50 40 30 20 10 0Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+) Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+) Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59)

63 56 49

70 60 50

35

40 30

15 3 3

16 10

20 10 0ltere Alleinlebende (60+)

sozial starke Schicht

soziale Mittelschicht

sozial schwache Schicht

*Kombinierte Werte zu Frhstck, Mittag- und Abendessen. Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

Urschlich hierfr drfte sein, dass sozial schwache Alleinlebende insgesamt weniger in soziale Netzwerke eingebunden sind. Unter anderem haben sie wie Schaubild 12 verdeutlicht im Vergleich zu Gleichaltrigen der Mittel- und Oberschicht hufiger nur wenige Bekannte. Dies vermutlich auch deshalb, weil 37 Prozent der 16- bis 29-jhrigen und 54 Prozent der 30- bis 59-jhrigen sozial schwachen Alleinlebenden arbeitslos sind.

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Schaubild 12: Anteil der Alleinlebenden mit nur wenigen Bekannten nach Altersgruppen und sozialer Schicht 2008Zustimmung zur Aussage "Habe nur wenig Bekannte"35 30 25 20 15 10 5 5 0Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+) Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+) Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+)

in Prozent

31 26 27

35 30 25 20

13 11 10 5 10

15 10 5 0

sozial starke Schicht

soziale Mittelschicht

sozial schwache Schicht

Sinngeme Wiedergabe der Aussage "wenig" auf die Frage "Haben Sie viel oder wenig Bekannte?" Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

Entsprechend oft vermissen die jngeren und die Alleinlebenden der mittleren Altergruppe der sozial schwachen Schicht bei Tisch die Gesellschaft anderer. Schaubild 13 zufolge trifft dies auf ein Fnftel der 16- bis 29-Jhrigen (20 Prozent) und gut zwei Fnftel (42 Prozent) der 30- bis 59-Jhrigen zu.

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Schaubild 13: Anteil der Alleinlebenden, die beim Essen oft die Gesellschaft anderer vermissen nach Altersgruppen und sozialer Schicht 2008Zustimmung zur Aussage "Ich muss zu oft alleine essen, htte gerne fter Gesellschaft."in Prozent

60 52 50 40 33 30 20 20 10 10 0Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+) Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+) Junge Alleinlebende (16-29) Alleinlebende mittleren Alters (30-59) ltere Alleinlebende (60+)

60 47 42 32 30 20 10 0 43 40 50

14

sozial starke Schicht

soziale Mittelschicht

sozial schwache Schicht

Quelle: IfD Allensbach / Nestl Studie 2009

Viele ltere Alleinlebende der sozial schwachen Schicht legen keinen Wert auf gemeinsame Mahlzeiten Fr die ber 60-jhrigen Alleinlebenden der sozial schwachen Schicht gilt dies nicht in gleicher Weise. Obwohl 63 Prozent von ihnen so gut wie immer alleine essen (siehe Schaubild 11), vermissen nur 43 Prozent die Gesellschaft anderer. Bei lteren Alleinlebenden der Mittel- und Oberschicht sind es 52 bzw.47 Prozent (siehe Schaubild 13). Fr einen Teil der sozial schwachen lteren Alleinlebenden haben gemeinsames Essen und Trinken also generell einen geringen Stellenwert. Jeder dritte von ihnen zieht es sogar bewusst vor, seine Mahlzeiten alleine zu sich zu nehmen. Die Grnde hierfr sind ungeklrt. 2.3 Berufsttige essen morgens und mittags hufig in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre Berufsttige essen hufig in einer gemeinschaftsabtrglichen Atmosphre. Zwar vermissen sie mit 15 Prozent nicht hufiger die Gesellschaft anderer beim Essen als die Bevlkerung insgesamt (siehe Schaubild 14). Wie Schaubild 15 deutlich macht, essen sie aber fter als die nicht-erwerbsttige Bevlkerung unter Zeit-

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druck, unregelmig und ungesund. Dies gilt vor allem fr Frhstck und Mittagessen. Urschlich hierfr sind unter anderem lange Wegstrecken zu Arbeit, Termindruck, flexible Arbeitszeiten oder hufige Dienstreisen. Bei Eltern kommt die Doppelbelastung von Beruf und Familie hinzu. Insbesondere gilt dies fr berufsttige Mtter.Schaubild 14: Anteil der Personen, die beim Essen hufig die Gesellschaft anderer vermissen nach Erwerbsstatus 2008Zustimmung zur Aussage "Ich muss zu oft alleine essen, htte gerne fter Gesellschaft."25in Prozent

25 20

20 17 15 15 10 10 7 5 5 15 15

20

15

10

5

0Rentner/(Vor-) Ruhestand Berufsttige Bevlkerung insgesamt Hausfrau/ Hausmann In Berufsausbildung Arbeitslos Student Schler

0

Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

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Schaubild 15: Ernhrungsdefizite der berufsttigen im Vergleich zur nicht berufsttigen Bevlkerung 2008Frage: "Wenn Sie einmal an Ihre Ernhrung denken: Gibt es da etwas, was Sie gerne ndern wrden, womit Sie nicht so zufrieden sind?"in Prozent

Ich esse zu unregelmig

33 18 30 15 28 24 12 10 11 9 0 5 10Nicht-Berufsttige

Ich nehme mir zu wenig Zeit zum Essen

Ich esse zu viel Ses

Ich esse zu viele Fertiggerichte Manchmal esse ich nur aus Frust oder um Stress abzubauen

15

20

25

30

35

Berufsttige

Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

Wie Tabelle 2 zeigt, isst nicht zuletzt deshalb jeder vierte Berufsttige mittags direkt an seinem Arbeitsplatz. Sechs Prozent essen berhaupt nichts. Ein weiteres Viertel geht in eine Kantine (26 Prozent) und reichlich ein Fnftel in einen Imbiss (14 Prozent) bzw. ein Restaurant (8 Prozent). Kantinen werden bewusst genutzt, um gemeinsam mit anderen zu essen Gerade die Kantine wird von vielen Berufsttigen bewusst aufgesucht, um gemeinsam mit Kollegen oder Freunden zu essen. Der Nationalen Verzehrsstudie II zufolge ist fr knapp zwei Drittel Gemeinschaft vor Bequemlichkeit oder dem Wunsch nach einer warmen Mahlzeit (je gut die Hlfte) der am hufigsten genannte Grund fr den Besuch einer Kantine.27 Allerdings ldt nicht jede Kantine zu einem gemeinsamen Mittagessen ein. Vor allem die Qualitt des Essens, der Preis der Gerichte, aber teilweise auch das Ambiente schrecken viele potentielle Besucher ab.28 Rund 62 Prozent der berufs-

27 28

Vgl. Max Rubner-Institut (2008), S. 111f. sowie DGE (2008), S. 43f. An der Qualitt von Essangeboten fr Erwerbsttige (Kantine, Imbiss, Restaurants) wird einer forsaUmfrage im Auftrag der DAK zufolge von den Befragten vor allem kritisiert, dass die Gerichte zu fett sind

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ttigen Frauen und 50 Prozent der Mnner gehen nicht in eine Kantine, obwohl sie die Mglichkeit hierzu htten.29 Dies ist allerdings nicht nur auf Defizite des Angebots zurckzufhren.

Tabelle 2:

Ess- und Ernhrungsweisen Berufsttiger in der Mittagspause 2009etwas selbst Zubereitetes von zu Haus % am Schreibtisch / am Arbeitsplatz % 26 23 30 30 28 22 17 im Restaurant in der Nhe % 8 10 5 6 6 12 15

Unter der Woche, wenn sie Mittagspause machen, dann essen in der Regel *) in der Kantine % 26 30 19 24 30 31 7 beim Imbiss / Bcker % 14 17 10 16 11 15 20 meistens nichts % 6 5 8 5 6 10 8

insgesamt Mnner Frauen Arbeiter Angestellte Beamte Selbstndige

36 35 36 49 35 25 28

*) Prozentsumme grer 100, da Mehrfachnennungen mglich Quelle: DAK 2009

Viele Kinder berufsttiger Eltern essen mittags in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung So essen insbesondere teilzeitberufsttige Mtter mittags hufig zuhause, um ihre Kinder nach dem Kindergarten oder der Schule zu versorgen. Hufig fehlen dabei jedoch Zeit und Ruhe fr eine gesellige Mahlzeit.30 Deshalb nutzen berufsttige Eltern fr ihre Kinder auch Verpflegungsangebote in Kitas, Kindergrten und Ganztagsschulen. Fr viele vollzeiterwerbsttige Mtter ist dies die einzige Mglichkeit, den tglichen Spagat zwischen Beruf und Familie zu bewltigen. 31 Insgesamt isst von den 6- bis 11-jhrigen Kindern rund ein Viertel regelmig in der Schule oder einer Kita, hiervon 9 Prozent ein- bis viermal wchentlich und 16 Prozent tglich. Von den 12- bis 19-Jhrigen essen etwa 16 Prozent regelmig in der Schulmensa.32 berwiegend sind die Eltern mit den Versorgungsangeboten fr ihre Kinder zufrieden. Viele der Kinder und Jugendlichen beklagen aber, dass ihnen das Essen

29

30 31

32

(37 Prozent), zu viele Zusatzstoffe und Geschmacksverstrker enthalten (36 Prozent), nicht frisch (27 Prozent) und hufig verkocht sind. Fr 29 Prozent sind sie zu teuer. Nur 18 Prozent sind mit den Angeboten rundum zufrieden. Vgl. DAK/Forsa (2009) sowie Tabelle 3:. Die Grnde hierfr wurden in der Nationalen Verzehrsstudie II nicht erfragt. Vgl. Max-Rubner-Institut (2008), S. 111f. sowie DGE (2008), S. 43f. Vgl. Leonhuser et al. (2009), S. 92f. Vgl. ebenda (2009), S. 93. Zudem waren 80 Prozent der Eltern von 750 im Rahmen der Nestl-Studie 2010 befragten Ganztagsschlern erwerbsttig. Vgl. Nestl Deutschland AG 2010, S. 10. Vgl. Mensink et al. (2007), S. 71.

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nicht schmeckt (30 Prozent). Immerhin 15 Prozent der Mdchen (Jungen 8 Prozent) kritisieren zudem, dass die Pausen fr eine Mahlzeit in der Schulmensa zu kurz sind.33 2.4 Bewohner von Alten- und Pflegeheimen essen hufig alleine oder in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre Obwohl in Alten- und Pflegeheimen prinzipiell gute Voraussetzungen fr gemeinsames Essen und Trinken bestehen, wird dieses Potential in der Realitt nur unzureichend genutzt. Zwar fehlen hierzu bisher aussagekrftige Studien, unter anderem weil die Anstaltsbevlkerung bei reprsentativen Umfragen im Allgemeinen nicht bercksichtigt wird. Doch sprechen die Ergebnisse einiger Studien zur Ernhrungssituation von Alten- und Pflegeheimbewohnern dafr.34 Ernhrungsdefizite sind weit verbreitet So haben einer aus dem Jahr 2009 stammenden Studie der Universitt WittenHerdecke zufolge 27 Prozent der Bewohner von Altenpflegeheimen Ernhrungsdefizite. Insbesondere wird vielfach wie auch der Ernhrungsbericht 2008 der Deutschen Gesellschaft fr Ernhrung (DGE) zeigt der tgliche Bedarf an Energie, Nhrstoffen, Vitaminen und Mineralien unterschritten.35 Eine hufige Ursache hierfr ist Appetitlosigkeit. Diese wird wiederum auch darauf zurckgefhrt, dass vielen Bewohnern das Essen der Grokchen nicht schmeckt. Eine Mahlzeit, die nicht schmeckt, ldt jedoch kaum zu gemeinsamem Verweilen ein. Heimbewohner essen oft zurckgezogen Dies zeigt sich auch daran, dass viele ltere Heimbewohner alle drei Mahlzeiten des Tages berwiegend im eigenen Zimmer zu sich nehmen, obwohl die Mglichkeit besteht, im hauseigenen Restaurant bzw. Speisesaal zu essen. Bei einer von der DGE 2008 durchgefhrten Erhebung in zehn Pflegeheimen traf dies auf 40 Prozent der Bewohner zu.36 Zwar liegt dies auch daran, dass viele Betroffene ans Bett gebunden sind. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2004 weist der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbz) aber darauf hin, dass die Atmosphre in den Speiseslen sowie Einsamkeit vielen Heimbewohnern den Appetit verderben.37

33 34 35 36 37

Vgl. ebenda, S. 72. Vgl. Universitt Witten-Herdecke 2009. Vgl. DGE (2008), 173ff. Vgl. ebenda, S. 164. Vgl. vzbv (2004), S. 3.

32/57

3.

Knftig fortschreitender Bedeutungsrckgang gemeinsamen Essens und Trinkens

Bei unvernderten Sicht- und Verhaltensweisen sowie institutionellen Rahmenbedingungen drfte sich knftig in Deutschland die Bedeutung von Essen und Trinken fr die Pflege von Gemeinschaft weiter abschwchen. Zum einen nehmen die Bevlkerungsgruppen zahlen- und anteilsmig ab, die Essen und Trinken hierfr besonders intensiv nutzen. Dies trifft vor allem auf junge Paare und Familien mit Kindern sowie jngere Alleinlebende, die ber ein engmaschiges soziales Netz verfgen, zu. Ihr zahlenmiger Rckgang ist so stark, dass er nicht durch die gleichzeitige Zunahme lterer, in Mehrpersonenhaushalten lebender Menschen ausgeglichen wird. Zum anderen steigen Zahl und Anteil der Bevlkerungsgruppen, die hufig alleine und/oder in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre essen und trinken. Hierzu gehren Alleinlebende mittleren Alters und ltere Alleinlebende, sozial schwache Familien sowie Alten- und Pflegeheimbewohner. Dahinter liegen langfristige gesellschaftliche Trends wie die demographische Alterung, die fortschreitende Individualisierung sowie soziokonomische Differenzierungsprozesse. Viele dieser Trends werden sich kurz- und mittelfristig kaum umkehren (lassen). Setzen sie sich wie bisher fort, sind knftig im Einzelnen folgende Entwicklungen zu erwarten: 3.1 Zahl von Familien und jungen Paaren, die in gemeinschaftsfrdernder Atmosphre essen, geht deutlich zurck Vor allem Familien und junge Paare, die den mittleren und oberen sozialen Schichten angehren, werden auch knftig mehrheitlich die gemeinschaftsstiftenden Potentiale von Essen und Trinken nutzen. Doch geht die Zahl der Menschen, die in solchen Haushalten leben, messbar zurck. Zwar anhaltend hohe Wertschtzung gemeinsamen Essens und Trinkens in Familien und Paarhaushalten. Fr eine anhaltend hohe Wertschtzung von gemeinsamen Mahlzeiten in Familien und Paarhaushalten spricht, dass diese auch in der Vergangenheit trotz gestiegener Erwerbsttigkeit, flexibler Arbeitszeiten, alternativen Freizeitaktivitten und anderem mehr nicht an Bedeutung verloren haben. Der hier teilweise erfolgten Entwertung des Frhstcks und des Mittagsessens steht eine Aufwertung der Mahlzeiten am Abend und an den Wochenenden gegenber. Gerade bei jungen Paaren und jungen Familien ist die Wertschtzung fr Essen und Trinken ungebrochen. Wie Schaubild 16 zeigt, sind fr sie Essen und Trinken

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mit rund 80 bzw. rund 90 Prozent genauso hufig wichtige Quellen von Genuss und Gemeinschaft wie fr ltere Paare bzw. Familien mit erwachsenen Kindern (Erwachsenenhaushalte). Die Freude, gemeinsam mit anderen zu kochen, teilen sogar mehr junge als ltere Menschen miteinander. Schaubild 17 zufolge gilt dies allen voran fr junge Paare ohne Kinder (29 Prozent), aber auch fr unter 40jhrige Alleinlebende (26 Prozent) und junge Familien (20 Prozent).Schaubild 16: Die Wertschtzung von Essen als Quelle von Genuss und Gemeinschaft nach Lebensphase/Haushaltstyp 2008Zustimmung zur Aussage"Essen ist fr mich eine wichtige Quelle von Genuss" "Essen ist fr mich am schnsten zusammen mit anderen, z.B. mit der Familie oder mit Freunden" 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0Alleinlebende Junge Paare ohne Junge Familien Familie mit lteren (unter 40 Jahre) Kinder Kindern Erwachsenen Haushalte Alleinlebende (40 Jahre und lter) in Prozent

88 79 83 80 79

91 79

92 84

91 80 74

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

34/57

Schaubild 17: Freude am gemeinsamen Kochen nach Lebensphase/Haushaltstyp 2008Zustimmung zur Aussage "Ich koche gerne zusammen mit anderen."in Prozent

35 30 26 25 20 20 15 10 5 0Alleinlebende Junge Paare ohne (unter 40 Jahre) Kinder Junge Familien Familie mit lteren Kindern Erwachsenen Haushalte Alleinlebende (40 Jahre und lter)

35 29 30 25 19 20 13 15 10 5 0

12

Quelle: IfD-Allensbach / Nestl Studie 2009

Getragen wird die Wertschtzung fr gemeinsames Essen und Trinken auch von wirtschaftlich meist gut situierten gesellschaftlichen Gruppen, die ihren Lebensstil bewusst an Kriterien wie Gesundheit, Nachhaltigkeit und Fairness ausrichten. Fr diesen wachsenden Personenkreis, der in der Konsumforschung unter anderem als LOHAS (Life of Health and Sustainability) 38 bezeichnet wird, spielen gute Ernhrung und genussvolles Essen einschlielich ihrer Bedeutung als Gemeinschaftserlebnis eine wichtige Rolle.39 aber starker quantitativer Rckgang dieser Haushaltsformen Insgesamt werden allerdings in Deutschland knftig sowohl zahlenmig als auch anteilig immer weniger junge und Menschen im mittleren Lebensalter als Paare bzw. in Familien zusammen leben. Prognosen des Statistischen Bundesamtes

38

39

Der Personenkreis der LOHAS stellt einen nicht unerheblichen Teil der Bevlkerung. Allerdings gehen die Schtzungen hierzu stark auseinander, von rund 12 Prozent (IfD-Allensbach (2008) bis zu gut einem Drittel der Bevlkerung. Vgl. Wenzel et al. 2007 sowie ACNielsen (2008). Daten des IfD-Allensbach (2008) zufolge sind sie weit berdurchschnittlich bereit, fr gute Ernhrung und gutes Essen mehr auszugeben. Dies gilt sowohl im Vergleich zu anderen Produktgruppen (etwa Reisen, Wellness, Bcher etc.) als auch im Vergleich zum Rest der Bevlkerung. Zudem messen sie Freundschaften und Familie einen berdurchschnittlich hohen Stellenwert bei. Vgl. Wenzel et al. (2007).

35/57

zufolge sinkt hierzulande die Bevlkerung zwischen 2008 und 2025 von 82,5 auf 78,9 Millionen um 3,6 Millionen. Im gleichen Zeitraum geht jedoch wie Schaubild 18 zeigt die Zahl der unter 60-Jhrigen in Mehrpersonenhaushalten von 52,8 auf 43,5 Millionen um 9,3 Millionen gut zweieinhalb mal so stark zurck. Ihr Anteil an der Gesamtbevlkerung sinkt von 64 auf 55 Prozent.Schaubild 18: Unter 60-Jhrige in Mehrpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 2025in Mio. in Prozent

60

57,6

55,1

100 52,8 49,5 90 43,5 85,3 84,0 82,6 80

50

90,2 87,9

40 71,9 30 66,8

64,0 60,9 55,2

70

20

60

10

50

0 1991 2000 2008 2015 2025

40

Quelle: Statistisches Bundesamt 2007

Personen unter 60 Jahren Anteil (in Prozent) an Gesamtbevlkerung Anteil (in Prozent) an Altersgruppe

Urschlich hierfr ist, dass wegen der seit Jahrzehnten niedrigen Geburtenraten immer weniger junge Menschen nachrcken, die wiederum aufgrund anhaltender Individualisierungsprozesse ihrerseits seltener auf Dauer angelegte Partnerschaften eingehen bzw. Familien grnden.40 Hierdurch schrumpfen die Bevlkerungsgruppen berproportional, die Essen und Trinken besonders intensiv fr die Pflege von Gemeinschaft nutzen.

40

Eine Umfrage des IfD-Allensbach (2004) zeigt, dass fr 28 Prozent der 18- bis 44-jhrigen Kinderlosen das Fehlen des passenden Partners ein Grund ist, der in ihrer momentanen Lebenssituation gegen Kinder spricht. Weitere wichtige Grnde sind die finanzielle Belastung durch Kinder (47 Prozent) oder die schwere Vereinbarkeit von Kinderwunsch und beruflichen Plnen (37 Prozent). Siehe hierzu auch Anmerkungen 45 und 48.

36/57

3.2 Anteil sozial schwacher Familien, die in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre essen, drfte steigen Verstrkt wird dies dadurch, dass in einer wachsenden Zahl von Mehrpersonenhaushalten hufiger als heute in einer gemeinschaftsabtrglichen Atmosphre gegessen werden drfte. Wachsendende soziale Unterschicht Hierfr spricht, dass die sozial schwache Schicht weiter zunehmen drfte. Dies ist unter anderem auf abnehmende Sozialkompetenzen und anhaltend groe Schulund Ausbildungsdefizite breiter Bevlkerungsschichten bei gleichzeitig steigenden beruflichen Anforderungen infolge des technischen Fortschritts und des verschrften internationalen Wettbewerbs zurckzufhren. Wie die Ergebnisse der PISA-Studien zeigen, erbringen vor allem Kinder von Eltern mit niedrigem sozialem Status berdurchschnittlich oft schlechte schulische Leistungen. Der Anteil von Schulabbrechern bzw. von Schlern, die nicht ber einen Hauptschulabschluss hinauskommen, ist hoch.41 Insgesamt hat gegenwrtig mehr als ein Fnftel der jungen Menschen nicht die Reife, um eine Berufsausbildung zu absolvieren.42 Hinzu kommt, dass sich Menschen mit unterdurchschnittlichem Qualifikationsniveau nur selten beruflich weiterbilden.43 Dafr, dass sich dies in absehbarer Zeit ndert, gibt es bisher keine Anzeichen. Im Gegenteil weisen viele Entwicklungen eher auf eine Verfestigung soziokonomischer Polarisierungstrends hin.44 Hufigere Familiengrndung in sozial schwachen Schichten Hinzu kommt, dass Frauen aus sozial schwachen Schichten hufiger eine Familie grnden als solche aus sozial starken Schichten. Beispielsweise bleiben Frauen mit niedrigem Bildungsstand wie Schaubild 19 zeigt deutlich seltener kinderlos als Frauen mit mittlerem bzw. hohem Bildungsstand. Auch hier haben politische

41 42

43

44

Vgl. die PISA-Berichte der OECD (2007), (2004) sowie (2001). Eine Studie des IW Kln zeigt, dass etwa 22 Prozent der Schler gegen Ende der Sekundarstufe I kaum ber Mindestkompetenzen im Lesen und Rechnen verfgen und damit fr eine Ausbildung nicht oder nur bedingt geeignet sind (vgl. Klein (2005)). Dies wird auch durch eine Umfrage der DIHK (2010) besttigt, in der rund drei Viertel der Unternehmen, die Probleme bei der Besetzung ihrer Ausbildungspltze haben, unzureichende schulische Qualifikationen und persnliche Kompetenzen der Ausbildungsplatzbewerber als Grnde anfhren. 2007 nahmen zum Beispiel 55 bzw. 38 Prozent der Bevlkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren in Deutschland mit hohem bzw. mittlerem Bildungsabschluss an berufsbezogenen Weiterbildungsmanahmen teil. Bei den Personen mit niedrigem Bildungsabschluss waren es lediglich 14 Prozent. Vgl. Statistisches Bundesamt 2009a, S. 13. Vgl. hierzu unter anderem Goebel et al. (2010), Pfahl (2010), OECD (2010) sowie Miegel et al. (2008).

37/57

Manahmen, wie die Einfhrung des Elterngeldes, bisher keine erkennbaren Verhaltensnderungen herbeigefhrt.45Schaubild 19: Anteil der kinderlosen Frauen nach Bildungsstand und Altersgruppen 2008in Prozent der Frauen des selben Bildungsstandes

70 60 50 40 30

70 60 50

60

39 34 25 21 20 16 15 16 16 13 27 22 15 11 20 14 10 18 12 8 17 12 18 12 9 20

40 30 20 10 0

20 10 0Im Alter von 30 - 34

35 - 39

40 - 44

45 - 49

50 - 54

55 - 59

60 - 64

65 - 69

70 - 75 Jahren

mit niedriger Bildung Quelle: Statistisches Bundesamt 2010c

mit mittlerer Bildung

mit hoher Bildung

Verfestigung gemeinschaftsabtrglichen Essverhaltens Schlielich haben immer weniger Menschen, die in sozial schwachen Familien aufgewachsen sind, Essen und Trinken selbst als Gemeinschaftserlebnis kennen gelernt. Folglich drften sie gemeinsamen Mahlzeiten keine besondere Bedeutung fr die Strkung des familiren und auerfamiliren Zusammenhalts beimessen.46

45

46

So ist in Deutschland seit Einfhrung des Elterngeldes die Zahl der Geburten weiter rcklufig und die Geburtenrate verharrt bei geringfgigen Schwankungen auf einem niedrigen Niveau. Beide Kennziffern werden nicht nach sozialer Schicht oder Bildungsstand ausgewiesen. Vgl. Statistisches Bundesamt 2010a sowie Statistisches Bundesamt 2010b. Vgl. hierzu auch Kapitel 2.

38/57

3.3 Zahl lterer Paare, die gemeinsam essen, nimmt deutlich zu Hingegen drften knftig sowohl absolut als auch anteilig deutlich mehr ltere Menschen als heute regelmig gemeinsam essen und trinken. Urschlich hierfr ist, dass Zahl und Bevlkerungsanteil lterer Paare stark steigen werden. Dies dmpft den starken Rckgang jngerer Paar- und Familienhaushalte ein wenig. Wie Schaubild 20 zeigt, steigt die Zahl der ber 60-Jhrigen in Mehrpersonenhaushalten zwischen 2008 und 2025 von 14,2 auf 18,7 Millionen um rund 4,5 Millionen. Ihr Anteil an der Gesamtbevlkerung erhht sich von 17 auf 24 Prozent. Rund 90 Prozent der lteren Menschen, die in Mehrpersonenhaushalten wohnen, leben zu zweit.Schaubild 20: ber 59-Jhrige in Mehrpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 2025in Mio. in Prozent

20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1991 2000 2008 2015 13,3 16,5 17,2 19,1 65,5 10,7 13,6 68,9 15,6 14,2 69,2 69,7

18,7

100 90 80 70

71,2 60 50 40 23,7 30 20 10 0 2025

Quelle: Statistisches Bundesamt 2007

Personen im Alter von 60 Jahren und lter Anteil (in Prozent) an Gesamtbevlkerung Anteil (in Prozent) an Altersgruppe

Zurckzufhren ist die Zunahme lterer Paare darauf, dass die geburtenstarken Jahrgnge nach und nach das 60. Lebensjahr berschreiten. Anders als noch deren Eltern werden diese heute hufiger gemeinsam alt. Einerseits weist die nachrckende mnnliche Rentnergeneration schon seit geraumer Zeit keine Kriegsverluste mehr auf. Andererseits steigt ihre Lebenserwartung von niedrigerem Niveau

39/57

ausgehend etwas strker als die der weiblichen Bevlkerung.47 Beides zusammen kompensiert, dass sich Paare heute hufiger trennen als frher.48 3.4 Zahl lterer Alleinlebender, die berwiegend alleine essen, steigt Gleichzeitig steigt aufgrund der demographischen Alterung allerdings auch die Zahl lterer Alleinlebender sprbar und damit der Bevlkerungsteil, der besonders hufig alleine isst. 2008 lebten etwa 6,3 Millionen ber 60-Jhrige in einem Einpersonenhaushalt. 2025 werden es wie Schaubild 21 zeigt mit voraussichtlich 7,6 Millionen knapp 1,3 Millionen mehr sein. Der Anteil an der Gesamtbevlkerung steigt von 7,7 auf 9,6 Prozent.Schaubild 21: ber 59-Jhrige in Einpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 2025in Mio. in Prozent

8 7 6 5 4 3 2 1 0

7,634,5

40,0 35,0 30,0

6,8 6,1 6,330,8 30,2 28,8

5,6

31,1

25,0 20,0 15,0 7,0 7,4 7,7 8,3 9,6 10,0 5,0 0,01991 2000 2008 2015 2025

60 Jahre und lter Anteil in Prozent der GesamtbevlkerungQuelle: Statistisches Bundesamt 2007

Anteil in Prozent der Altersgruppe

Sollten auch knftig knapp drei Fnftel (57 Prozent) der lteren Alleinlebenden so gut wie jede Mahlzeit ohne die Gesellschaft anderer zu sich nehmen, werden es 2025 fast 700.000 mehr sein als heute. Diese Zahl knnte allerdings auch deutlich47

48

Laut der 12. Koordinierten Bevlkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes verringert sich die Differenz der Lebenserwartung von Mnnern und Frauen bis 2060 von 5,2 auf 4,2 Jahre. Vgl. Statistisches Bundesamt (2009b), S. 30. Nach den gegenwrtigen Verhltnissen ist damit zu rechen, dass mehr als jede dritte Ehe frher oder spter geschieden wird. Vgl. Statistisches Bundesamt/GESIS-ZUMA (2008), S. 33. Bei nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften drfte die Trennungsquote noch deutlich darber liegen.

40/57

hher liegen. Denn zum einen haben immer weniger ltere Menschen Kinder bzw. Enkelkinder, die ihnen von Zeit zu Zeit Gesellschaft leisten. Zum anderen steigt der Anteil Hochaltriger berdurchschnittlich, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass Freunde und Verwandte verstorben sind, gro ist. 3.5 Immer mehr junge und Alleinlebende mittleren Alters werden beim Essen die Gesellschaft anderer vermissen Auch der Anteil junger und vor allem Menschen mittleren Alters, der alleine lebt und berwiegend ungewollt alleine isst, drfte knftig grer werden. Zwar steigt die Zahl junger und Alleinlebender mittleren Alters nur leicht an. 2025 werden mit 9,1 Millionen kaum mehr 20- bis unter 60-Jhrige alleine leben als 2008 mit 9,0 Millionen. Auch ihr Anteil an der Gesamtbevlkerung nimmt im gleichen Zeitraum von 10,9 auf 11,5 Prozent nur geringfgig zu. Immer mehr junge und Menschen mittleren Lebensalters leben knftig alleine Bezogen auf die gleichaltrige Bevlkerung steigt ihr Anteil aber deutlich. Oder anders gewendet: Ein langsam, aber stetig wachsender Teil der jungen und Bevlkerung mittleren Alters lebt knftig alleine. Wie Schaubild 22 zeigt, wird dies 2025 bei einer trendmigen Entwicklung unter anderem von Scheidungen und Trennungen auf fast jeden vierten 20- bis unter 60-Jhrigen (23 Prozent) zutreffen. Viele von ihnen werden zwar auch knftig Essen und Trinken fr die Pflege sozialer Kontakte nutzen, zumal alleine zu leben in dieser Altersgruppe teilweise nur temporr ist. Doch gilt dies nicht fr diejenigen, die nur ber ein schwaches soziales Netz verfgen. Sie werden mehrheitlich von gemeinsamem Essen und Trinken ebenso wie hufig auch von anderen gemeinschaftsstiftenden Aktivitten und Erlebnissen ausgeschlossen sein. Flexibilitts- und Mobilittsanforderungen erschweren die Pflege sozialer Kontakte In der Altersgruppe zwischen 30 und 59 Jahren gilt dies gegenwrtig etwa fr jeden fnften Alleinlebenden. Allerdings knnte dieser Anteil knftig weiter steigen. Sollten etwa die Anforderungen an berufliche Flexibilitt und Mobilitt hoch bleiben oder sogar noch zunehmen, werden Menschen noch hufiger umziehen, noch weiter pendeln bzw. beruflich noch mehr unterwegs sein mssen. Gerade fr Alleinlebende erschwert dies den Aufbau bzw. die Pflege stabiler sozialer Kontakte. Insbesondere gemeinsame Mahlzeiten am Abend und am Wochenende sind dann nur schwer zu realisieren.

41/57

Schaubild 22: 20- bis unter 60-Jhrige in Einpersonenhaushalten in Deutschland 1991 bis 202510 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1991 2000 2008 2015 20 bis unter 60 Jahre Anteil in Prozent der Gesamtbevlkerung Anteil in Prozent der AltersgruppeQuelle: Statistisches Bundesamt 2007 in Mio. in Prozent

9,0 7,5 19,5 6,1 13,2 16,5

9,3

25

9,1 22,9 20

20,9

15

10,9 9,1 7,7

11,5

11,5

10

5

0 2025

Die Zahl sozial schwacher Alleinlebender drfte berdurchschnittlich steigen Vor allem aber drfte infolge der soziokonomischen Polarisierungsprozesse der Anteil sozial schwacher Einpersonenhaushalte berdurchschnittlich zunehmen. Bei diesen wiederum sind die soziale Einbindung im Allgemeinen und die Nutzung von Essen und Trinken als soziales Erlebnis im Speziellen besonders schwach ausgeprgt. 3.6 Berufsttige werden tagsber noch hufiger in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre essen als heute Setzen sich bisherige Arbeitsmarkttrends wie steigende Mobilittsanforderung, lngere Pendelstrecken,49 flexiblere Arbeitszeiten oder die Zunahme von Mehrfacharbeitsverhltnissen50 fort, spricht vieles dafr, dass knftig noch mehr Berufsttige als heute in einer gemeinschaftsabtrglichen Atmosphre essen werden.

49

50

Vgl. zur zunehmenden Bereitschaft der Europer zu pendeln und beruflich umzuziehen Wahl/Ottnad/Schulte (2007), S. 37ff. Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Zahl der Personen mit zwei oder mehr Arbeitsverhltnissen von rund einer auf rund 1,4 Millionen (2008) gestiegen. Anteilig an allen Beschftigten entsprach dies einem Zuwachs von 2,5 auf 3,5 Prozent. Vgl. Brenke (2009), S. 2.

42/57

Solange die Betroffenen in Mehrpersonenhaushalten leben und/oder anderweitig ber stabile Sozialkontakte verfgen, werden sie dies durch gemeinsame Mahlzeiten am Abend und/oder am Wochenende ausgleichen knnen. Doch gilt dies nicht fr diejenigen, denen diese Netzwerke fehlen, also insbesondere Alleinlebende und sozial Schwache. Zudem knnte innerhalb von Belegschaften der soziale Zusammenhalt geschwcht werden, wenn immer weniger Zeit bleibt, um in Ruhe mit Kollegen zu essen und dabei zum Beispiel Gesprche zu fhren, fr die whrend des Tages sonst keine Zeit bleibt. 3.7 Knftig werden immer mehr Menschen in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und damit hufig in gemeinschaftsabtrglicher Atmosphre essen Knftig drfte der Bevlkerungsteil, der regelmig in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung isst, zunehmen. Dies kann, muss aber nicht die gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken strken.51 Schlechte Qualitt, hohe Preise oder ein wenig einladendes Ambiente stehen hufig einem gemeinsamen Essen entgegen. Offene Entwicklung bei Berufsttigen Bei Berufsttigen ist aus heutiger Sicht schwer einzuschtzen, wie sich die Nutzung von Angeboten der Gemeinschaftsverpflegung entwickeln wird. Fr eine strkere Inanspruchnahme spricht, dass die Erwerbsttigenquote insbesondere von Frauen weiter leicht steigen drfte. Sollten zudem aufgrund des Ausbaus von Versorgungsangeboten fr Kinder mehr Mtter Vollzeit arbeiten, knnte dies den Anteil der Berufsttigen, die mittags in der Kantine essen, zustzlich erhhen. Dagegen spricht, dass neue Arbeitspltze berdurchschnittlich in kleinen und mittleren Unternehmen entstehen drften, die seltener eine Kantine haben. Auch geht schon heute die Mehrheit der Erwerbsttigen nicht in eine Kantine, selbst wenn sie die Mglichkeit hierzu haben. Mehr Kinder und Jugendliche werden Ganztagseinrichtungen besuchen Sicher ist hingegen, dass knftig der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die in der Krippe, dem Kindergarten oder der Schule essen, zunehmen wird. Hinter dieser Entwicklung steht zum einen der Wunsch vieler Eltern, Beruf und Familie besser vereinbaren zu knnen und zum anderen das politische Ziel, durch den Ausbau von Ganztagsangeboten sozial benachteiligte Kinder besser frdern zu knnen.51

Prinzipiell haben Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung hierfr ein hohes Potential. Fr mehr als 80 Prozent der Studenten, knapp zwei Drittel der Berufsttigen und mehr als die Hlfte der Schler ber 14 Jahren, die regelmig in einer Kantine bzw. Mensa essen, ist die Gemeinschaft mit anderen der wichtigste Grund hierfr. Vgl. DGE (2008), S. 44.

43/57

Schaubild 23: 0- bis 5-jhrige Kinder in Ganztagsbetreuung in Deutschland 2006 bis 2030in Prozent

70 60 60 von 0 bis 2 Jahren 50 von 3 bis 5 Jahren

70

60

50

40 30 30 24 20 20 9 27 30 30

35

40

30

20

10

6

7

7

10

0 2006 2007 2008 2009 Ziel 2010 Ziel 2020

0

Quelle: Statistisches Bundesamt 2010d

Wie Schaubild 23 zeigt, strebt die Politik allein fr die unter Zweijhrigen an, bis 2020 jedem dritten Kind (35 Prozent) einen Krippenplatz zur Verfgung zu stellen. Gegenwrtig hat nicht einmal jedes zehnte Kleinkind (9 Prozent) einen Ganztagsplatz. Fr die Drei- bis Fnfjhrigen soll die Quote von 30 auf 60 Prozent steigen.52 Aufgrund des ebenso absehbaren Ausbaus von Ganztagsschulen wird zudem ein immer grerer Anteil der lteren Kinder mittags gemeinsam mit Mitschlern essen.53 Studenten gehen schon heute mit groer Mehrheit regelmig in einer Mensa essen.54

52

53

54

Hierbei handelt es sich um die Zielgren der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung (vgl. hierzu Statistisches Bundesamt (2010d), S. 54 f.). Dies wird trotz des demographiebedingten Rckgangs der jungen Bevlkerung dazu fhren, dass die absolute Zahl der in Ganztagseinrichtungen betreuten Kinder stark steigen wird. Vgl. Statistische mter des Bundes und der Lnder (2009), S. 14. In allen Schularten wurden ganztgige Frder- und Betreuungsangebote ausgebaut, so dass mittlerweile jede dritte Schule im Primar- und Sekundarbereich I ber ein Ganztagsangebot verfgt (Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010), S. 94). Die Zahl der Ganztagsschler an allgemeinbildenden Schulen ist von 2002 bis 2007 von 874 000 auf rund 1,7 Millionen gestiegen. Der Anteil an allen Schlern verdoppelte sich im gleichen Zeitraum von rund 10 auf 21 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt (2010d), S. 55 und Statistisches Bundesamt (2010e), S. 48). Die Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010, S. 94) geht davon aus, dass die Umgestaltung der traditionellen Halbtags- zur Ganztagsschule weiter anhlt. Gegenwrtig nutzen 53 Prozent der weiblichen und 68 Prozent der mnnlichen Studenten eine Einrichtung der Gemeinschaftsverpflegung. Vgl. DGE (2008), S. 44.

44/57

Mehr alte Menschen werden in Alten- und Pflegeheimen leben Ferner werden knftig deutlich mehr ltere Menschen als heute in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung essen und trinken. Denn aufgrund der Alterung der Bevlkerung nimmt die Zahl von Alten- und Pflegeheimbewohnern voraussichtlich stark zu.Schaubild 24: Entwicklung der pflegebedrftigen Bevlkerung in Deutschland 1999 bis 20304in Mio.

4Status-Quo-Szenario

3,5

Szenario "sinkende Pflegequoten"

3,4 3,5

3

2,9 3,0

3

2,5 2,0 2 2,0 2,1

2,4

2,7

2,5

2,3 2,1 2

1,5

1,5

1 1999 2005 2010 2020

1 2030

Quelle: Statistisches Bundesamt 2008a

Allein die Zahl pflegebedrftiger Menschen steigt einer Gemeinschaftsprognose der Statistischen mter des Bundes und der Lnder zufolge bis 2030 von gegenwrtig rund 2,3 Millionen auf 3,0 bis 3,4 Millionen um 0,7 bis 1,1 Millionen (siehe Schaubild 24).55 Sollte hiervon weiterhin ein Drittel (32 Prozent) stationr betreut werden, steigt die Zahl der in Pflegeheimen lebenden Menschen im gleichen Zeitraum von gut 700.000 um 300.000 bis 400.000 auf 1,0 bis 1,1 Millionen. Fr einen noch strkeren Anstieg spricht allerdings, dass die Quote stationr betreuter Menschen in der Vergangenheit tendenziell gestiegen ist. 1999 betrug sie erst 28 Prozent.56

55 56

Vgl. Statistische mter des Bundes und der Lnder (2008), S. 26. Vgl. Statistisches Bundesamt (2008b), S. 4.

45/57

Der wachsenden Zahl pflegebedrftiger Menschen steht eine zunehmend knappe Finanzausstattung sowohl der Sozialen Pflegeversicherung57 als auch vieler Privathaushalte gegenber.58 Dies birgt das Risiko, dass gerade auch an der Gemeinschaftsverpflegung gespart werden wird. hnliches drfte auch fr Verpflegungsangebote in Altenheimen gelten.

57 58

Vgl. zur langfristigen Finanzlcke in der sozialen Pflegeversicherung Ottnad (2003 und 2006). Whrend die ltere Bevlkerung bis in die jngere Vergangenheit die Bevlkerungsgruppe mit der geringsten Armutsquote war, drfte diese unter anderem aufgrund der Krzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, gebrochener Erwerbsbiographien und unzureichender Privatvorsorge knftig eher berdurchschnittlich wachsen. Vgl. hierzu auch Miegel et al. (2008).

46/57

4.

Schwchung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und steigende soziale Kosten

Die fortschreitende Schwchung der gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken in breiten Bevlkerungsschichten drfte den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt schwchen. Zumindest gilt dies, solange der Verlust an Gemeinschaft beim Essen nicht durch einen Zugewinn an Gemeinschaft bei anderen Aktivitten ausgeglichen werden kann. Dieser Ausgleich findet aber gerade in den genannten Problemgruppen hufig nicht statt. Vereinsamung nimmt zu Vereinsamung und soziale Ausgrenzung werden zunehmen, wenn in einer alternden Gesellschaft auch knftig ein Groteil lterer Alleinlebender und Heimbewohner von gemeinsamen Mahlzeiten ausgeschlossen ist. Bei jngeren Alleinlebenden knnte sich die Ausgrenzung auch in Aggressionen gegenber Mitmenschen niederschlagen. Sozial- und Sprachkompetenzen nehmen ab Je seltener Kinder und Jugendliche gemeinsam mit Erwachsenen insbesondere mit ihren Eltern essen und trinken, desto weniger Zeit gibt es fr gemeinsame Gesprche, Frsorge und Erziehung. Dies schwcht nicht nur den innerfamiliren Zusammenhalt. Auch drfte die Zahl junger Menschen zunehmen, die Defizite in ihrer Sprachentwicklung und bei sozialen Kompetenzen aufweisen, was wiederum das Risiko sozialer Ausgrenzung erhht. Kompensationspotentiale werden nicht ausgeschpft Dort wo eine gemeinsame Esskultur schwindet, schwindet auch die Mglichkeit, durch genussvolle Mahlzeiten im Freundes- und Familienkreis Verluste in anderen Lebensbereichen auszugleichen. Nehmen parallel hierzu auch die Kompensationspotentiale anderer Aktivitten ab, drfte dies zu wachsender Unzufriedenheit beitragen.59 Gesundheitszustand verschlechtert sich Je mehr Menschen hufig alleine bzw. in einer gemeinschaftsabtrglichen Atmosphre essen, desto mehr Menschen werden voraussichtlich auch ungesund essen. Zusammen mit psychischen Belastungen etwa infolge von Vereinzelung verschlechtert sich hierdurch der Gesundheitszustand eines wachsenden Teils der Bevlkerung.

59

Vgl. hierzu auch Denkwerk Zukunft (2010) sowie Schulte/Butzmann (2009).

47/57

Polarisierungsprozesse verstrken sich Da von den meisten dieser Entwicklungen Menschen aus sozial schwachen Schichten berdurchschnittlich betroffen sind, begnstigt die Schwchung der gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken soziokonomische Polarisierungsprozesse. Gesellschaftliche Kosten steigen Fr die Gesellschaft insgesamt steigen die finanziellen Belastungen. Schon heute entstehen ihr allein aufgrund von Ernhrungsdefiziten jhrliche Kosten von mehr als 70 Milliarden Euro.60 Diese drften knftig weiter steigen. Auch werden die Menschen mehr aufwenden mssen, um etwa soziale Schden zu vermeiden, Ausbildungslcken zu schlieen oder Steuerausflle zu kompensieren. Entwicklungen verstrken sich wechselseitig Die meisten dieser Prozesse verstrken sich gegenseitig. Folglich ist langfristig eine Beschleunigung sowohl der Schwchung der gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken als auch des gesellschaftlichen Zusammenhalts insgesamt zu erwarten.

60

Vgl. In Form (2010).

48/57

5.

Handlungsoptionen zur Strkung der gemeinschaftsfrdernden Funktionen von Essen und Trinken

Um einer weiteren Schwchung der gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken entgegenzuwirken, muss an vielen Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden. Aus der Flle mglicher Manahmen sind insbesondere folgende zu empfehlen: 5.1 Bewusstsein schaffen Selbst wenn Menschen hufig gemeinsam essen, ist vielen nicht bewusst, dass Essen und Trinken ber ihre gemeinschaftsstiftenden Funktionen dazu beitragen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu strken. Deshalb sollte ein breiteres Bewusstsein fr die sozialen, kommunikativen, erzieherischen, kompensatorischen und gesundheitsfrdernden Aspekte gemeinsamer Mahlzeiten geschaffen werden. Wichtige Zielgruppen sind dabei Personen, die zumindest partiell Einfluss auf das Ernhrungsverhalten anderer haben, wie Eltern, Schulleiter, Altenpfleger oder Arbeitgeber. Chancen und Risiken verdeutlichen So mssen sich insbesondere Eltern darber im Klaren sein, wie wichtig regelmige Mahlzeiten im Familienkreis sowohl fr die Strkung innerfamilirer Beziehungen als auch fr eine geistig und krperlich gesunde Entwicklung ihrer Kinder sein knnen. Arbeitgebern knnte wiederum bewusst gemacht werden, dass Mahlzeiten der Mitarbeiter in einer gemeinschaftsstiftenden Atmosphre dem psychischen und physischen Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter und dem Betriebsklima zutrglich sein knnen. Debatte anstoen und zielgruppengerechte Formate entwickeln Ein Bewusstseinswandel kann zum einen dadurch erreicht werden, dass hierber eine breite ffentliche Debatte etwa in den Medien angestoen wird. Zum anderen sollten Formate entwickelt werden, mit denen die genannten Zielgruppen direkt angesprochen werden knnen. Beispiele hierfr knnten Veranstaltungen im Rahmen von Elternabenden, Fortbildungsmanahmen fr Altenpfleger und -pflegerinnen oder gemeinsame Informationskampagnen und Beratungsangebote von Arbeitgeberverbnden und Gewerkschaften sein. 5.2 Angebote, Orte und Formate fr Problemgruppen bereit stellen Darber hinaus mssen insbesondere fr Problemgruppen konkrete Angebote fr gemeinsames Essen und Trinken geschaffen werden. Es ntzt wenig, einem Menschen die Bedeutung von gemeinsamen Essen und Trinken bewusst zu ma-

49/57

chen, wenn er alleine lebt, arbeitslos ist und keine oder nur wenige soziale Kontakte hat. Um mglichst viele Menschen zu erreichen, sollten etwaige Angebote leicht und kostengnstig umsetzbar sein. Hierfr mssen Formate entwickelt und ebenso wie bereits erfolgreich erprobte Konzepte bekannt gemacht werden. Begegnungssttten schaffen So knnten Kommunen, soziale Trger, Unternehmen oder ehrenamtliche Initiativen Begegnungssttten schaffen, in denen Menschen gemeinsam essen. Beispielsweise ermglicht das Mehrgenerationenhaus Geesthacht-Oberstadt berufsttigen Eltern, gemeinsam mit ihren Kindern zu Mittag zu essen. 61 Besonders hervorzuheben ist dabei der intergenerative Charakter des Projekts. So helfen Senioren des Mehrgenerationenhauses bei der Zubereitung der Speisen. Teilweise bieten diese auch nachmittgliche Betreuung und Hausaufgabenhilfe fr die Kinder (vollzeit-)erwerbsttiger Eltern an. Solche Konzepte lieen sich unter Umstnden noch erweitern, indem zum Beispiel ltere Alleinlebende aus der Nachbarschaft miteinbezogen werden. Regionale Arbeitgeber knnten solche Projekte nicht zuletzt zum eigenen Nutzen finanziell frdern. Hier gilt es Pilotprojekte aufzuspren bzw. einzurichten, um aus Erfahrungen zu lernen. Heimversorgung individuell gestalten In Alten- und Pflegeheimen knnten die Bewohner strker an der Ausarbeitung des Speiseplans und der Zubereitung der Mahlzeiten mitwirken. Auch hierfr gibt es Vorbilder. Im Seniorenzentrum der AWO Kln lebt ein Teil der Bewohner in Hausgemeinschaften, die sich jeweils einen gemeinsamen Koch- und Essbereich teilen. Hier erledigen sie im Rahmen ihrer Mglichkeiten die alltglichen Aufgaben, die sie auch erbringen mssten, wenn sie noch in ihrer Privatwohnung lebten. Zum Seniorenzentrum gehrt zudem ein Kruter- und Gemsegarten, der von Bewohnern der Einrichtung bewirtschaftet wird. Mit dem Verzicht auf die gngige Rundumversorgung wird der hufig in Alten- und Pflegewohnheimen verbreiteten Langeweile, Passivitt und Vereinzelung entgegengewirkt.62 Hilfe zur Selbsthilfe leisten Auf konkrete Hilfestellung sind besonders sozial schwache Gruppen angewiesen. Gerade Langzeitarbeitslose oder prekr Beschftigte sind hufig sozial isoliert. Hier knnen Manahmen der Hilfe zur Selbsthilfe dazu beitragen, Gemeinschaft

61 62

Vgl. Denkwerk Zukunft (2010), S. 53. Vgl. Wessendorf (2010).

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und Zusammenhalt durch Aktivitten rund um Essen und Trinken zu erfahren. So treffen sich die Mitglieder des Pankower Selbsthilfevereins der Geringverdienenden und Erwerbslosen e.V. regelmig, um gemeinsam zu kochen und zu essen.63 Ein groer Teil der Zutaten wird selbst angebaut. Allerdings hat der Verein hufig Probleme, geeignete Gartenflchen oder Gemeinschaftsrume fr seine Aktivitten zu finden. Diese knnten unter anderem von Kommunen, Sportvereinen oder Unternehmen bereitgestellt werden. Third Places nutzen Auch kommerzielle Angebote knnen dazu beitragen, die gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken zu strken. Gerade Menschen in jungen und mittleren Jahren, die beruflich stark eingebunden und finanziell solvent sind, haben unter der Woche oft nur wenig Zeit bzw. Mglichkeiten gemeinsam mit anderen zu essen. Vor allem gilt dies, wenn sie alleine leben. Hier knnen so genannte Third Places Abhilfe schaffen. Hierunter werden Orte zwischen zu Hause (First Place) und der Arbeitssttte (Second Place) verstanden, die in der Mittagspause oder auf dem Nachhauseweg aufgesucht und bei denen Essen und Trinken mit anderen Aktivitten wie Einkaufen, Kochen, Fortbildung und anderem mehr verbunden werden. Beispielsweise bietet der Kochbuchladen Babettes in Wien jeden Mittag Speisen an, die in einer offenen Kche zubereitet werden. Abends knnen die Gste unter der professionellen Anleitung einer Kchin ihr Essen selbst zubereiten und in gemtlichem Ambiente verspeisen.64 Weitere Third Place-Konzepte gibt es unter anderem in Supermrkten, Restaurants und Einzelhandelsgeschften. Mitunter sind diese auch fr berufsttige Eltern und deren Kinder geeignet. 5.3 Gemeinschaftsverpflegung gemeinschaftsfrdernd ausbauen Da knftig voraussichtlich ein wachsender Bevlkerungsteil gerade auch bestimmter Problemgruppen in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung essen und trinken wird, kommt diesen fr eine Strkung der gemeinschaftsstiftenden Funktionen von Essen und Trinken eine besonders wichtige Aufgabe zu. Mindestvoraussetzungen beim Angebot erfllen Um diese erfolgreich wahrzunehmen, muss das Angebot bestimmte Grundvoraussetzungen erfllen. Hierzu gehren eine akzeptiertes Sortiment, gute Qualitt und ein angemessener Preis. Dort, wo es nicht schmeckt, viel mit Zusatzstoffen gekocht und die Qualitt beanstandet wird und/oder es vergleichsweise teuer ist,

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Vgl. Denkwerk Zukunft (2010), S. 52. Vgl. ebenda, S. 53f.

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gehen die Menschen nicht gerne in die Kantine oder Mensa, selbst wenn sie die Mglichkeit hierzu haben. Darber hinaus knnten ein angenehmes Ambiente und ausreichend lange Mittagspausen dazu beitragen, dass Einrich