O Heiland, reiss die Himmel auf - emk-kleinbasel.ch · Simeon. Es waren nur ein paar Leute, die...

4
O Heiland, reiss die Himmel auf Predigt vom 25. Dez. 2013, Annemarie Roser Liebe Gemeinde, Wir haben vorhin das Lied „O Heiland, reiss die Himmel auf“ gesungen. Das Lied wurde im 17. Jahrhundert geschrieben. In einer Zeit, in der in Europa der 30jährige Krieg tobte. Es drückt also die Sehnsucht der Menschen jener schlimmen Zeit aus. Die Sehnsucht nach einem ruhigen, friedlichen Leben. Was ich aber selber nicht gewusst habe: es nimmt einen Text aus dem Propheten Jesaja auf. Wir haben ihn in der Schriftlesung schon gehört. Ich lese noch einmal Jes 63, 19b-64,3: Reiß doch den Himmel auf und komm herab, dass die Berge vor dir erbeben! Komm plötzlich, komm mit großer Macht, wie die Flammen trockenes Reisig ergreifen und das Wasser im Kessel zum Sieden bringen! Deine Feinde sollen erfahren, wer du bist; die Völker sollen vor Angst vergehen. Vollbringe Taten, die uns staunen lassen und noch unsere kühnste Erwartung übertreffen! Komm herab, dass die Berge vor dir erbeben! Noch nie hat man von einem Gott gehört, der mit dir zu vergleichen wäre; noch nie hat jemand einen Gott gesehen, der so gewaltige Dinge tut für alle, die auf ihn hoffen. Das war die Sehnsucht der Israeliten. Sie erwarteten endlich den Retter, der sie von den Römern befreit, der ihnen ein gutes Leben in einem freien Land schenkt. Das heisst, sie erwarteten ein grossartiges Ereignis. Sie erwarteten einen Revolutionär, der wirklich einen Umsturz herbeiführt. Sie hofften auf ein sichtbares, deutliches Eingreifen Gottes. Deine Feinde sollen erfahren, wer du bist; die Völker sollen vor Angst vergehen. Und was geschah? Nichts! Ja, es kam in Bethlehem in einem Stall ein Kind auf die Welt. Das, was in der Bibel so bunt geschildert wird und was wir so stimmungsvoll feiern, hat aber nicht viele

Transcript of O Heiland, reiss die Himmel auf - emk-kleinbasel.ch · Simeon. Es waren nur ein paar Leute, die...

O Heiland, reiss die Himmel auf

Predigt vom 25. Dez. 2013, Annemarie Roser

Liebe Gemeinde,

Wir haben vorhin das Lied „O Heiland, reiss die Himmel auf“ gesungen. Das Lied wurde im 17.

Jahrhundert geschrieben. In einer Zeit, in der in Europa der 30jährige Krieg tobte. Es drückt also

die Sehnsucht der Menschen jener schlimmen Zeit aus. Die Sehnsucht nach einem ruhigen,

friedlichen Leben. Was ich aber selber nicht gewusst habe: es nimmt einen Text aus dem

Propheten Jesaja auf. Wir haben ihn in der Schriftlesung schon gehört. Ich lese noch einmal Jes

63, 19b-64,3:

Reiß doch den Himmel auf und komm herab, dass die Berge vor dir erbeben! Komm plötzlich,

komm mit großer Macht, wie die Flammen trockenes Reisig ergreifen und das Wasser im Kessel

zum Sieden bringen! Deine Feinde sollen erfahren, wer du bist; die Völker sollen vor Angst

vergehen. Vollbringe Taten, die uns staunen lassen und noch unsere kühnste Erwartung

übertreffen! Komm herab, dass die Berge vor dir erbeben! Noch nie hat man von einem Gott

gehört, der mit dir zu vergleichen wäre; noch nie hat jemand einen Gott gesehen, der so gewaltige

Dinge tut für alle, die auf ihn hoffen.

Das war die Sehnsucht der Israeliten. Sie erwarteten endlich den Retter, der sie von den Römern

befreit, der ihnen ein gutes Leben in einem freien Land schenkt. Das heisst, sie erwarteten ein

grossartiges Ereignis. Sie erwarteten einen Revolutionär, der wirklich einen Umsturz herbeiführt.

Sie hofften auf ein sichtbares, deutliches Eingreifen Gottes. Deine Feinde sollen erfahren, wer du

bist; die Völker sollen vor Angst vergehen.

Und was geschah? Nichts! Ja, es kam in Bethlehem in einem Stall ein Kind auf die Welt. Das, was

in der Bibel so bunt geschildert wird und was wir so stimmungsvoll feiern, hat aber nicht viele

Menschen bewegt. Ein paar Hirten merkten es, vermutlich der Wirt, der die Leute in seinem Stall

übernachten liess, und nach der Überlieferung drei Weise aus fernen Ländern. Herodes hörte

davon und hatte sofort Angst um seine Position. Und etwas später im Tempel noch Hanna und

Simeon. Es waren nur ein paar Leute, die diese Geburt überhaupt bemerkten. Sonst hat dieses

Ereignis damals die Welt nicht bewegt. Und der Stern? Es gab immer wieder Kometen, die

besonders hell am Himmel leuchteten. Und bei denen, die Jesu Geburt miterlebt hatten, kam wohl

bald die Ernüchterung, weil nämlich lange Zeit nichts weiter geschah und das Leben weiterging

wie vorher. Sie hatten nicht plötzlich ein besseres Leben. Etwa 30 Jahre lang geschah ja wirklich

nichts Spektakuläres mit Jesus. Und auch dann, als Jesus auftrat, war nichts von einem

Revolutionär zu bemerken. Im Gegenteil, er verkündete Frieden, er setzte sich für die Schwachen

ein und gab vielen Verachteten eine neue Würde. Er sprach über Gott und er heilte viele Kranke.

Es merkten wohl alle, die mit ihm zu tun hatten, dass er etwas Besonderes war. Und es gab auch

Leute, die ahnten, dass er vielleicht doch der erwartete Messias war. So sagte die Frau, die Jesus

am Jakobsbrunnen antraf, nachher zu den Leuten: (Joh 4,29): »Da ist einer, der mir alles gesagt

hat, was ich getan habe. Kommt mit und seht ihn euch an! Ist er vielleicht der versprochene

Retter?« Also einige hatten schon eine Ahnung.

Aber wie kommt es denn, dass die Geburt Jesu bis heute den Kalender bestimmt? Es gibt zwar

auch heute noch andere Zeitrechnungen (z.B. den chinesischen oder den jüdischen Kalender),

aber in unserer globalisierten Welt gilt in Wirtschaft und Politik unser Kalender, der sich nach Jesu

Geburt richtet. Es gab ja immer wieder bewundernswerte Menschen wie z.B. Mahatma Gandhi,

Martin Luther King oder Nelson Mandela, die sehr viel bewirkt haben und an die wir mit grosser

Hochachtung denken. Aber die Zeitrechnung haben sie nicht bestimmt. Was ist also das

Geheimnis?

Schaut euch bitte einmal das Bild auf dem Liedblatt an! Im

Vordergrund sehen wir die Krippe mit Maria und Josef. Und darüber sehen wir das Dach des

Stalles, aber es ist als Kreuz gestaltet. Und das war das entscheidende Ereignis, die Kreuzigung

Jesu. Für seine Gegner war es die Bestätigung: seht doch nur, so einer kann ja nicht der Messias

gewesen sein! Und für seine Anhänger war es vermutlich eine Riesenenttäuschung. Wir haben so

an ihn geglaubt, und nun ist er tot und erst noch auf diese Weise!

Beim Tod Jesu geschah etwas Wichtiges. Es heisst: (Mk 15,38): Da zerriss der Vorhang vor dem

Allerheiligsten im Tempel von oben bis unten. Hier öffnete sich sozusagen der Himmel für das

Volk. Bis zu diesem Zeitpunkt durfte nur der Priester das Allerheiligste betreten und mit Gott

Kontakt aufnehmen. Nun braucht es diesen Vermittler nicht mehr. Alle können vor Gott treten und

alle können mit Gott reden. Ich weiss nicht, ob damals alle begriffen, was da wirklich geschah.

Aber damals erfüllte sich der Anfang des Jesaja-Textes (Reiß doch den Himmel auf und komm

herab). Und als dann am Ostermorgen Jesus auferstand, war die Begeisterung nicht mehr

aufzuhalten. Es ging wie ein Lauffeuer durch das Volk: Jesus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig

auferstanden! Von da an glaubten immer mehr Menschen an ihn, auch in andern Ländern. Erst

jetzt wurde sichtbar, dass das, was so unscheinbar und eigentlich enttäuschend im Stall

angefangen hat, der Anfang der grössten Geschichte für die Menschheit war. So entstanden die

ersten Gemeinden und damit die christliche Kirche. Die ersten Christen merkten, dass es beim

verheissenen Retter nicht um einen politischen Revolutionär und Umstürzler ging sondern um

einen, der den inneren Frieden der Menschen brachte. Und somit wurde immer deutlicher, dass

die Geburt Jesu ein zentrales Ereignis war, auch wenn es damals nur von ganz wenigen

Menschen wahrgenommen worden war.

Und weil ja im Mittelalter ohnehin praktisch das ganze Leben von der Kirche bestimmt wurde, ist

es naheliegend, dass die Geburt Jesu als entscheidendes Ereignis angesehen wurde. Papst

Gregor XIII. führte 1582 den gregorianischen Kalender ein, der sich nach der Geburt Jesu richtete.

Vorher gab es die verschiedensten Arten der Zeitrechnung. Einige begannen mit dem

mutmasslichen Datum der Schöpfung, andere mit der Gründung Roms. Seit Papst Gregor gilt nun

bis heute der gregorianische Kalender.---

Nun steht natürlich noch eine andere Frage im Raum? Wieso mussten dann die Menschen des 17.

Jahrhunderts immer noch singen: O Heiland, reiss die Himmel auf, reiss ab, wo Schloss und

Riegel für? Wieso singen wir heute das Lied immer noch, wenn doch in Jesus Christus der Retter

auf die Welt gekommen ist und er am Kreuz den Tod besiegt hat?

Wir erinnern uns, was nach Ostern geschah. In Apg 1 ist beschrieben, wie Jesus den Jüngern den

Heiligen Geist versprach. Dann heisst es: « Die Versammelten fragten Jesus: »Herr, wirst du dann

die Herrschaft Gottes in Israel wieder aufrichten?« Jesus antwortete: »Mein Vater hat festgelegt,

welche Zeiten bis dahin noch verstreichen müssen und wann es so weit ist. Ihr braucht das nicht

zu wissen.« Und nachdem er zum Himmel hinaufgefahren war, lesen wir: Als sie noch wie gebannt

nach oben starrten und hinter ihm hersahen, standen plötzlich zwei weiß gekleidete Männer neben

ihnen. »Ihr Galiläer«, sagten sie, »warum steht ihr hier und schaut nach oben? Dieser Jesus, der

von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, wie

ihr ihn habt weggehen sehen!«

Ostern war eben nicht das Ende der Geschichte Gottes mit den Menschen. Mit dem Leben und

Sterben Jesu ist wohl die Tür zum Himmel und zu Gott ein Stück weit aufgegangen. Aber eben nur

so weit, dass wir eine Ahnung von der kommenden Herrlichkeit bekommen. Aber eintreten können

wir noch nicht. Wir spüren und erleben, dass Jesus lebt. Wir bekommen Trost und Hilfe für unser

Leben. Aber wir leben weiterhin in einer Welt, die noch weit entfernt ist von der Herrlichkeit, die die

Bibel uns verspricht. Wir stehen also eigentlich immer noch im Advent und warten auf die

Wiederkunft Jesu.

Die Weihnachtsgeschichte und überhaupt die ganze Geschichte Jesu zeigt uns:

Gott hält immer wieder Überraschungen bereit, und es ist oft ganz anders, als wir es erwarten

würden.

Die Israeliten erwarteten einen politischen Führer, und es kam ein Friedensstifter.

Sie erwarteten einen Helden, und es kam einer, der in einem Stall zur Welt kam und der am Kreuz

hingerichtet wurde.

Sie erwarteten einen Sieg über die Römer und bekamen den Sieg über den Tod und die Sünde.

Weil wir das wissen, weil wir wissen, dass auch das Grosse klein anfängt (wie Christina am

Sonntag sagte), weil wir wissen, dass Gott noch Grosses für uns bereithält, dürfen wir auch die

Geburt Jesu feiern. Wir dürfen uns freuen, dass Gott Mensch geworden ist und dass er uns

dadurch ganz nahe gekommen ist. Wir dürfen uns freuen, dass der Himmel schon ein wenig offen

ist und dass er sich noch ganz öffnen wird. Und darum singen wir nachher voll Freude:

Freue dich, Welt, der Herr ist da. / Nimm deinen König an! / Und jedes Herz empfange ihn, / mach

für ihn Raum und singe ihm! / Ja, Erd und Himmel, sing!

Freue dich, Welt, dein Heiland kommt. / Stimmt, Völker, stimmet an! / Und Feld und Wald und

Strom und Strand / und Felsen, Hügel, flaches Land, / nehmt auf den Lobgesang!

Sünde und Schuld sind abgewandt, / im Frieden ist das Land, / denn Gottes Heil erhellt die Welt, /

sein reicher Segen sie erfüllt, / von allem Fluch befreit.

Er herrscht mit Wahrheit, Recht und Gnad / und alle Völker sehn / den Ruhm seiner Gerechtigkeit /

und seiner Liebe Mächtigkeit, / die alle Welt erneut.

Amen