Öffentlichkeit Im Wandel Leipzig

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Das neue Netz: Öffentlichkeit im Wandel Dr. Jan Schmidt Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation Leipzig, 06.06.2009

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Vortrag beim LPRS Forum, 6.6.2009, Leipzig

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Das neue Netz: Öffentlichkeit im Wandel

Dr. Jan Schmidt

Wissenschaftlicher Referentfür digitale interaktive Medien und politische Kommunikation

Leipzig, 06.06.2009

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Worüber ich heute spreche

1. Zum Hintergrund: Was passiert im Web 2.0 eigentlich?

2. Öffentlichkeit im Wandel

– Trend 1: Sichtbarkeit in und für soziale(n) Netzwerke(n)

– Trend 2: Jenseits des professionellen Gatekeeping

– Zusammengenommen: Der Aufstieg persönlicher Öffentlichkeiten

3. Zum Weiterdenken: Was heißt das für unser Verständnis von Privatsphäre?

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Was geschieht? Diagnosen.

Commons-Based Peer Production

(Yochai Benkler)

Produsage (Axel Bruns)

Convergence Culture bzw. Participatory Culture

(Henry Jenkins)

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Was geschieht? Meine Perspektive.

Im Web 2.0 sinken die Hürden für onlinebasiertes…

www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/

– Identitätsmanagement (Darstellung individueller Interessen, Erlebnisse, Meinungen, Kompetenzen, etc.) z.B. Weblogs, YouTube

http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/

– Beziehungsmanagement (Pflege von bestehenden und Knüpfen von neuen Beziehungen)

z.B. studiVZ, XING

http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/

– Informationsmanagement (Selektion und Weiterverbreitung von relevanten Daten, Informationen, Wissen- und Kulturgütern)

z.B. Wikipedia, Social-News-Plattformen

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Junge Nutzer

• Anwendungen des Web 2.0 werden unterschiedlich stark genutzt – allerdings jeweils deutlich überproportional von jungen Personen, insbesondere von Teenagern

0

20

40

60

80

100

Weblogs (6%) BeruflicheNetzwerkplattformen

(6%)

PrivateNetzwerkplattformen

(25%)

Videoportale (51%) Wikipedia (60%)

14-19 20-29 30-39

40-49 50-59 60+

Nutzung ausgewählter Web 2.0-Anwendungen nach Altersgruppen (zumindest selten; in %)

Quelle: ARD/ZDF Onlinestudie 2008

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Trend 1: Sichtbarkeit in und für soziale(n) Netzwerke(n)

www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/

http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/

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Popularität

391

300

202

177

166

164

150

118

94

83

0 50 100 150 200 250 300 350 400 450

T-Online Content

MSN

Yahoo

StudiVZ

ProSieben

wer-kennt-wen

schülerVZ

Spiegel Online

bild.de

meinVZ

Quelle: IVW Online

Die zehn besucherstärksten IVW-verzeicheten Angebote (in Mio visits; 03/2009)

• Netzwerkplattformen gehören zu den meist besuchten Internetportalen in Deutschland (gemessen an PageImpressions sind sie die meist-geklickten Angebote)

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Warum machen das Menschen?

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Warum machen das Menschen?

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Warum machen das Menschen?

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Motive für Nutzung

69%

64%

41%

37%

34%

20%

20%

18%

15%

13%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

in Kontakt mit Freunden/Bekannten bleiben

alte Freunde wiederfinden

neue Leute kennenlernen

mit anderen Nutzern über verschiedene Themen austauschen

Langeweile vertreiben

mehr über andere Mitglieder des Online-Netzwerks erfahren

Fotos/Videos anderen Nutzern zeigen

Meinung öffentlich kundtun

andere Menschen an meinem Leben teilhaben lassen

neue Geschäftsbeziehungen knüpfen

Ausgewählte Motive für Nutzung von Netzwerkplattformen (N=1.068; Mehrfachantworten mgl.)

Quelle: Social Network Barometer 2008; N=1.068 Nutzer von Online-Communities bzw. Netzwerkplattformen

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Artikulierte soziale Netzwerke

Nutzer von Netzwerkplattformen (~76% der 12-24jährigen)

Haben im Durchschnitt: 130 Freunde

Haben davon bereits face-to-face getroffen

die meisten: 85 Prozent

weniger als die Hälfte: 5 Prozent

Sehen als enge Freunde an

die meisten: 15 Prozent

weniger als die Hälfte: 62 Prozent

Auf Netzwerkplattformen…

… artikulieren sich „weak ties“.

… entstehen persönliche Öffentlichkeiten.

… werden „Networking“-Kompetenzen vermittelt.

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Trend 2: Jenseits des professionellen Gatekeeping

http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/

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Aktives Informationsmanagement im neuen Netz

Leistungen des professionellen Journalismus und etablierter Medienorganisationen werden in zweierlei Hinsicht ergänzt und erweitert

1. (Produktion) Entstehen neuer themen- und gruppenspezifischer, nicht-institutionalisierter Öffentlichkeiten (z.B. in der Blogosphäre)

2. (Filtern) „Gatekeeping“, das Beobachten, Selektieren und Aggregieren von Themen für ein Publikum, wird zunehmend auch geleistet von Laien (Nutzer ohne professionelle journalistische Ausbildung und Selbstverständnis)

„soziales Filtern“ Code (Algorithmen einzelner Software-Programme sowie Schnittstellen/Verknüpfungen

zwischen Anwendungen)

Neue Publikations-, Filter- und Distributionswege sind mit etablierten journalistischen Öffentlichkeiten eng verwoben

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Beispiel Weblogs

Zwei dominierende Praktiken: Weblogs als Online-Journale und als kommentierte Linklisten

Erneut: „persönliche Öffentlichkeiten“, in denen Nutzer Themen von persönlicher Relevanz mit oft kleinen Publika teilen

Angebote etablierter Medien gehören zu den meist verlinkten Inhalten in der Blogosphäre

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von www.deutscheblogcharts.de, Februar 2008 (Quelle hierfür: www.technorati.com)

Gilt auch für Für

noch nicht untersucht

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Social-News-Plattformen

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Quellen von Social-News-Plattformen

Colivia

Newstube

Webnews Yigg Digg

Klassische Massenmedien

36,4 47,7 51,0 38,7 33,5

Portale 22,7 5,5 14,9 16,1 22,0

Weblogs/private Webseiten

27,3 29,5 18,2 40,3 22,2

Kommerzielle Angebote

6,8 11,6 6,3 2,2 10,7

Communities/Foren

2,3 4,5 5,1 1,6 8,8

Sonstige 4,5 1,2 4,5 1,1 2,8

Quelle: modifiziert nach Rölver/Alpar 2008, S. 317

Anteile verschiedener Nachrichtenquellen unter den Topbeiträgen ausgewählter Social-News-Plattformen (in %)

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Persönliche Öffentlichkeiten

www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/

http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/

+ +

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Merkmale persönlicher Öffentlichkeiten

• Persönliche Öffentlichkeiten entstehen an denjenigen Orten im Netz, an denen Nutzer ihre Erlebnisse, Gedanken, Erfahrungen und Meinungen mit ihrem sozialen Netzwerk teilen

• Größe und Struktur von persönlichen Öffentlichkeiten kann variieren – z.B. in Bezug auf das adressierte Publikum oder auf die ‚Architektur‘ der zugrundeliegenden Software

1. Zeitlicher Aspekt: Stabilität vs. Dynamik– bestimmte Aspekte der eigenen persönlichen Öffentlichkeit sind relativ stabil (z.B. persönliche

Daten), andere sind eher flüchtig (z.B. das journalhafte Protokollieren von Aktivitäten und Erlebnissen „writing yourself into being“ (danah boyd)

2. Rollenaspekt: Produzent vs. Rezipient– Nutzer sind auch Empfänger der persönlichen Öffentlichkeiten anderer Menschen; „ambient

awareness“ für Neuigkeiten und Vorkommnisse im eigenen sozialen Netzwerk wird bei Bedarf in Anspruch genommen

3. ‚Räumlicher‘ Aspekt: An einem Ort vs. an verschiedenen Orten?– Trennung oder Aggregation unterschiedlicher Rollen-Kontexte hat Auswirkungen auf

Grenzziehungen zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre

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Stabilität vs. Flow

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Produzenten sind auch Publikum

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Separate persönliche Öffentlichkeiten

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Aggregation von Aktivitäten

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Besondere Herausforderung: Kontextabhängige Selbstpräsentation

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Kollidierende Kontexte

• Spezifische Eigenschaften der vernetzten Öffentlichkeiten im Social Web erschweren es, die Grenzen zwischen sozialen Kontexten zu ziehen (vgl. Boyd 2007):

1. Persistenz

2. Durchsuchbarkeit

3. Replizierbarkeit

4. Unsichtbares Publikum

Identitäts- und Beziehungsmanagement umfasst daher auch Strategien, wie und wo die Grenzen der eigenen Privatsphäre zu ziehen sind

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Differenziertes Identitäts- & Beziehungsmanagement (I)

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Differenziertes Identitäts- & Beziehungsmanagement (I)

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Differenziertes Identitäts- & Beziehungsmanagement (III)

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Umgang mit Privatsphäre anderer Personen (Auszug aus einer Gruppendiskussion mit 18-24jährigen)

Int: Und kennst du jemanden, der auch schon ein bisschen Ärger mit peinlichen Fotos [hatte]... oder gab's da mal Probleme?

F_1: Also bei uns ist das eigentlich so, bei meinen ganzen Bekannten, wir fragen vorher, ob wir das Foto reinstellen können, oder solche Sachen. Weil ich weiß nicht, nachher fotografieren die mich, wenn ich da halbwegs irgendwie besoffen (..) in den Hafen reinfall' oder so was. Das will ich ja auch nicht, dass das im Internet ist und daher wird eigentlich bei uns immer vorher gefragt.

Differenziertes Identitäts- & Beziehungsmanagement (II)

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Fazit und Ausblick

1. Ein Reiz des Web 2.0 besteht darin, sich mit den eigenen Interessen, Hobbies, Erlebnissen o.ä. zu präsentieren, darüber soziale Beziehungen zu pflegen und in den sozialen Netzwerken Informationen zu erstellen, zu teilen und zu verbreiten

2. Diese Praktiken des Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagements führen zu persönlichen Öffentlichkeiten, in denen ein vergleichsweise kleines Publikum mit Informationen von persönlicher Relevanz adressiert wird

3. Die strukturellen Merkmale der persönlichen Öffentlichkeiten erzwingen auch Techniken des ‚privacy management‘, um Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit zu ziehen

Wir verständigen uns derzeit erst über die Routinen, Konventionen und Erwartungen im Umgang mit persönlichen Öffentlichkeiten

- Welches Verhältnis von professionell hergestellten und nutzergenerierten Informationen ist für geselllschaftliche Integration notwendig?

- Wie gehen wir mit dem Trend zur Kommerzialisierung und Zentralisierung der Infrastrukturen von persönlichen Öffentlichkeiten um? Wie können dezentrale, nicht-kommerzielle Alternativen gefördert werden?

- Inwiefern reguliert Software, inwiefern wird Software reguliert?

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Das Ende der Privatsphäre?

http://www.colinupton.com/illus/images/cyberillo1.jpg

http://www.flickr.com/photos/mrlerone/2360572263/

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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Jan-Hinrik Schmidt

Hans-Bredow-Institut

Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg

[email protected]

www.hans-bredow-institut.de

www.schmidtmitdete.de

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Weiterführende Literatur

– ARD-ZDF-Onlinestudie 2008:– Van Eimeren, Birgit / Frees, Beate (2008): Internetverbreitung: Größter Zuwachs bei Silver-Surfern. In: Media-

Perspektiven, Nr. 7/2008, S. 330-344.– Fisch, Martin / Gscheidle, Christoph (2008): Mitmachnetz Web 2.0: Rege Beteiligung nur in Communitys. In: Media-

Perspektiven, Nr. 7/2008, S. 356-364.– Boyd, Danah/ Nicole Ellison (2007). Social network sites: Definition, history, and scholarship. Journal of Computer-

Mediated Communication, 13(1), article 11.http://jcmc.indiana.edu/vol13/issue1/boyd.ellison.html – Boyd, Danah (2007): Incantations for Muggles: The role of ubiquitious Web 2.0 technologies in everyday life. Vortrag bei

der O‘Reilly Emerging Technology Conference, San Diego, 28.3.2007. Online: http://www.danah.org/papers/Etech2007.html

– Dwyer, Cathy / Hitz, Roxanne (2008): Designing Privacy into Online Communities. Vortrag bei der „Internet Research 9.0“ Konferenz, 16.-18.10.2008, Kopenhagen.

– Geißler, Holger/Thomas, Carolin (2008): SNB – Social Network Barometer. Köln.– Renz, Florian (2007): Praktiken des Social Networking. Eine kommunikationssoziologische Studie zum online-basierten

Netzwerken am Beispiel von openBC (XING). Boizenburg: Verlag Werner Hülsbusch– Schmidt, Jan (2008): Was ist neu am Social Web? Soziologische und kommunikationswissenschaftliche Grundlagen. In:

Zerfaß, Ansgar; Martin Welker; Jan Schmidt (Hrsg.) (2008): Kommunikation, Partizipation und Wirkungen im Social Web. Zwei Bände. Köln: Van Halem Verlag

– Schmidt, Jan (in Vorb.): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Konsequenzen des Web 2.0. Konstanz: UVK. Erscheint voraussichtlich Mai 2009.

– Schmidt, Jan / Paetzolt, Matthias / Wilbers, Martin (2006): Stabilität und Dynamik von Weblog-Praktiken? Ergebnisse der Nachbefragung zur “Wie ich blogge?!”-Umfrage. Berichte der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“, Nr. 06-03. Bamberg. Online verfügbar: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-9910

– Schmidt, Jan / Wilbers, Martin (2006): Wie ich blogge?! Erste Ergebnisse der Weblogbefragung 2005. Berichte der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“, Nr. 06-01. Bamberg. Online verfügbar: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-9874