Oft unterschätzt und unentdeckt: Die Virushepatitiden in ... · hezu alle Menschen über 60 Jahre...

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736 Bayerisches Ärzteblatt 12/2004 Titelthema Juni 2004: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt bekannt, dass weltweit mehr als 400 Millionen Menschen, etwa 7 % der Weltbevölke- rung, chronisch an Hepatitis B erkrankt sind. Die Zahl der Hepatitis-A-Infektionen wird mit 1,4 Milli- onen pro Jahr angegeben [1]. Juli 2004: Das Robert-Koch-Institut (RKI) Berlin meldet die ersten autochthon in Deutschland er- worbenen Fälle von Hepatitis E aus dem Kreis Marburg [2]. August 2004: 245 deutsche und 52 weitere eu- ropäische Urlauber erkranken an Hepatitis A, nachdem sie sich im Zeitraum von Mitte Juni bis Mitte August in einem Hotel an der ägyptischen Küste des Roten Meeres infiziert hatten [3]. September 2004: Hilfsorganisationen melden ei- nen schweren, unkontrollierten Ausbruch von He- patitis E in Flüchtlingslagern im Tschad und dem benachbarten Sudan. Die WHO hat inzwischen über 1200 Fälle mit einer Sterblichkeit von 3,3 % registriert [4]. Virale Hepatitiden stellen eine klinische und seuchenhygienische Herausforderung dar, die alltäglich in Klinik, Praxis und öffentlichem Gesundheitswesen bewältigt werden muss. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Gruppe von interessanten Infektionskrankheiten durch unterschiedliche virale Erreger, die durch eine einzige Gemeinsamkeit verbunden sind: Im Akutfall kommt es zu einer Entzün- dung der Leber mit Anstieg von Bilirubin und Leberenzymwerten im Serum (vor allem der Transaminasen, manchmal auch der Cho- lestaseenzyme), gelegentlich verbunden mit einer dramatischen Funktionseinschränkung der Leber. Die Unterschiede in der Biologie der Erreger, der Transmission, dem klinischen Verlauf, der Prognose, den therapeutischen Optionen und den Möglichkeiten der Prä- vention durch eine aktive Impfung sind aller- dings beträchtlich. Hepatitis A Die Hepatitis A ist die klassische infektiöse Gelbsucht. Sie wird durch ein Enterovirus hervorgerufen, das fäkal-oral, über Schmier- infektionen, Nahrungsmittel (Meeresfrüchte) und Trinkwasser übertragen wird. Die Präva- lenz der Erkrankung in Ländern mit schlech- tem hygienischen Standard ist außerordent- lich hoch, in zahlreichen Ländern Afrikas sind bereits die Zehnjährigen zu über 98 % seropositiv. Nach oraler Aufnahme des Erre- gers kommt es mit einer Inkubationszeit von 15 bis 50 Tagen zunächst zu einem unspezifi- schen Prodromalstadium mit Fieber, Glieder- schmerzen und häufig Durchfall. In dieser Phase ist die Hepatitis A klinisch von zahl- reichen anderen Infektionskrankheiten nicht unterscheidbar. Wenige Tage später wird im typischen Fall eine Gelbfärbung der Skleren, später der ge- samten Haut sichtbar, die mit einem teils dramatischen Anstieg der Serumtransamina- sen bis hin zu vierstelligen Bereichen verbun- den ist (Abbildung 1). Mit dem Auftreten des Ikterus geht typischerweise das Fieber zu- rück, die Patienten fühlen sich dann insge- samt besser. Dies unterscheidet den klini- schen Verlauf der Hepatitis A von dem zahlreicher anderer Infektionskrankheiten, bei denen das Auftreten des Ikterus nicht von einem typischen Fieberabfall mit klinischer Besserung begleitet wird (Malaria, Gelbfie- ber, Leptospirose und viele andere). Die Hepatitis A ist eine akute Erkrankung, die nie chronifiziert und eine lebenslange Im- munität hinterlässt. Je jünger die Patienten, umso milder die klinischen Verläufe. In Län- dern mit niedrigem Hygienestandard wird die Infektion bereits in der frühen Kindheit er- worben, in der sie meist asymptomatisch (an- ikterisch) verläuft. Patienten im höheren Le- bensalter und solche mit einer vorbestehen- den Lebererkrankung sind jedoch durch eine akute Hepatitis A durchaus vital gefährdet. Letalitätsraten von mehreren Prozent werden in der Literatur angegeben. Diese Fälle sind allerdings selten, da auch in Deutschland na- hezu alle Menschen über 60 Jahre anti-HAV positiv sind. Patienten mit Hepatitis A scheiden infektiöse Viruspartikel bereits vor dem Auftreten klini- scher Symptome und danach über einen Zeit- raum von zwei Wochen mit dem Stuhl aus. Sie stellen während dieser Zeit eine Infek- tionsgefahr für ihre Umgebung dar. Eine spezifische Therapie der Hepatitis A ist nicht etabliert. Bettruhe im akuten Stadium, Alkoholkarenz und die Vermeidung hepato- toxischer Medikamente sind die Grundlagen des therapeutischen Managements. Die Hepatitis A ist inzwischen eine überflüs- sige Krankheit! Seit in den Achtzigerjahren eine Aktivimmunisierung möglich wurde, Oft unterschätzt und unentdeckt: Die Virushepatitiden in der täglichen Praxis Dr. August Stich Professor Dr. Hartwig Klinker Abbildung 1: Patient mit deutlichem Skleren- ikterus bei Hepatitis A.

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736 Bayerisches Ärzteblatt 12/2004

Titelthema

Juni 2004: Die Weltgesundheitsorganisation(WHO) gibt bekannt, dass weltweit mehr als 400Millionen Menschen, etwa 7 % der Weltbevölke-rung, chronisch an Hepatitis B erkrankt sind. DieZahl der Hepatitis-A-Infektionen wird mit 1,4 Milli-onen pro Jahr angegeben [1].Juli 2004: Das Robert-Koch-Institut (RKI) Berlinmeldet die ersten autochthon in Deutschland er-worbenen Fälle von Hepatitis E aus dem KreisMarburg [2].August 2004: 245 deutsche und 52 weitere eu-ropäische Urlauber erkranken an Hepatitis A,nachdem sie sich im Zeitraum von Mitte Juni bisMitte August in einem Hotel an der ägyptischenKüste des Roten Meeres infiziert hatten [3].September 2004: Hilfsorganisationen melden ei-nen schweren, unkontrollierten Ausbruch von He-patitis E in Flüchtlingslagern im Tschad und dembenachbarten Sudan. Die WHO hat inzwischenüber 1200 Fälle mit einer Sterblichkeit von3,3 % registriert [4].

Virale Hepatitiden stellen eine klinische undseuchenhygienische Herausforderung dar, diealltäglich in Klinik, Praxis und öffentlichemGesundheitswesen bewältigt werden muss.Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Gruppevon interessanten Infektionskrankheitendurch unterschiedliche virale Erreger, diedurch eine einzige Gemeinsamkeit verbundensind: Im Akutfall kommt es zu einer Entzün-dung der Leber mit Anstieg von Bilirubinund Leberenzymwerten im Serum (vor allemder Transaminasen, manchmal auch der Cho-lestaseenzyme), gelegentlich verbunden miteiner dramatischen Funktionseinschränkungder Leber. Die Unterschiede in der Biologieder Erreger, der Transmission, dem klinischenVerlauf, der Prognose, den therapeutischenOptionen und den Möglichkeiten der Prä-vention durch eine aktive Impfung sind aller-dings beträchtlich.

Hepatitis A

Die Hepatitis A ist die klassische infektiöseGelbsucht. Sie wird durch ein Enterovirushervorgerufen, das fäkal-oral, über Schmier-infektionen, Nahrungsmittel (Meeresfrüchte)und Trinkwasser übertragen wird. Die Präva-lenz der Erkrankung in Ländern mit schlech-tem hygienischen Standard ist außerordent-lich hoch, in zahlreichen Ländern Afrikassind bereits die Zehnjährigen zu über 98 %seropositiv. Nach oraler Aufnahme des Erre-gers kommt es mit einer Inkubationszeit von15 bis 50 Tagen zunächst zu einem unspezifi-schen Prodromalstadium mit Fieber, Glieder-schmerzen und häufig Durchfall. In dieserPhase ist die Hepatitis A klinisch von zahl-reichen anderen Infektionskrankheiten nichtunterscheidbar.

Wenige Tage später wird im typischen Falleine Gelbfärbung der Skleren, später der ge-samten Haut sichtbar, die mit einem teilsdramatischen Anstieg der Serumtransamina-sen bis hin zu vierstelligen Bereichen verbun-den ist (Abbildung 1). Mit dem Auftreten desIkterus geht typischerweise das Fieber zu-rück, die Patienten fühlen sich dann insge-samt besser. Dies unterscheidet den klini-schen Verlauf der Hepatitis A von demzahlreicher anderer Infektionskrankheiten,bei denen das Auftreten des Ikterus nicht voneinem typischen Fieberabfall mit klinischerBesserung begleitet wird (Malaria, Gelbfie-ber, Leptospirose und viele andere).

Die Hepatitis A ist eine akute Erkrankung,die nie chronifiziert und eine lebenslange Im-munität hinterlässt. Je jünger die Patienten,umso milder die klinischen Verläufe. In Län-dern mit niedrigem Hygienestandard wird dieInfektion bereits in der frühen Kindheit er-worben, in der sie meist asymptomatisch (an-ikterisch) verläuft. Patienten im höheren Le-bensalter und solche mit einer vorbestehen-

den Lebererkrankung sind jedoch durch eineakute Hepatitis A durchaus vital gefährdet.Letalitätsraten von mehreren Prozent werdenin der Literatur angegeben. Diese Fälle sindallerdings selten, da auch in Deutschland na-hezu alle Menschen über 60 Jahre anti-HAVpositiv sind.

Patienten mit Hepatitis A scheiden infektiöseViruspartikel bereits vor dem Auftreten klini-scher Symptome und danach über einen Zeit-raum von zwei Wochen mit dem Stuhl aus.Sie stellen während dieser Zeit eine Infek-tionsgefahr für ihre Umgebung dar.

Eine spezifische Therapie der Hepatitis A istnicht etabliert. Bettruhe im akuten Stadium,Alkoholkarenz und die Vermeidung hepato-toxischer Medikamente sind die Grundlagendes therapeutischen Managements.

Die Hepatitis A ist inzwischen eine überflüs-sige Krankheit! Seit in den Achtzigerjahreneine Aktivimmunisierung möglich wurde,

Oft unterschätzt und unentdeckt:Die Virushepatitiden in der täglichen Praxis

Dr. August Stich Professor Dr.Hartwig Klinker

Abbildung 1: Patient mit deutlichem Skleren-ikterus bei Hepatitis A.

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Titelthema

sollte es die Hepatitis A eigentlich bei Rei-senden in Gebiete östlich der Oder und süd-lich der Alpen nicht mehr geben. Auf Grundder hervorragenden Effektivität und äußerstgeringen Nebenwirkungsraten der auf demMarkt befindlichen Impfstoffe sollte die In-dikation zur Aktivimmunisierung heute sehrgroßzügig gestellt werden. Auch Kleinkinderprofitieren von der Impfung, da neben einemAusbruch der Krankheit die Möglichkeit derWeitergabe des Virus an die Umgebung ver-hindert werden kann. Bei Reisenden, die vor1950 geboren sind, oder Personen, die imsüdlichen oder östlichen Ausland aufgewach-sen sind, empfiehlt sich eine Titerbestim-mung, die billiger als die Impfung ist. Im Fal-le eines positiven anti-HAV besteht einelebenslange Immunität. Eine aktive Immuni-sierung ist in so einem Fall unnötig, aller-dings auch nicht gefährlich.

Nach einmaliger Injektion des Aktivimpfstof-fes besteht bereits nach spätestens zehn Ta-gen ein verlässlicher Schutz, der allerdingsnur einige Monate anhält. Aus diesem Grundist eine Auffrischungsimpfung frühestensnach sechs Monaten, danach (nach derzeiti-gem Kenntnisstand) alle zehn Jahre indiziert(Abbildung 2). Seit kurzem ist auch einekombinierte Hepatitis A/Typhus-Vakzine imHandel.

Die exzellenten Erfahrungen mit den Aktiv-impfstoffen haben die Passivimmunisierungmit intramuskulär verabreichten Immunglo-bulinen (zum Beispiel Beriglobin®) nahezuvöllig verdrängt. Selbst bei „Last-Minute“-

Reisen ist noch am Abreisetag die aktive derpassiven Immunisierung vorzuziehen, da mandavon ausgehen kann, dass die Impfung ihreSchutzwirkung aufbaut, bevor sich die Er-krankung manifestiert. Immunglobuline ha-ben nur noch eine Indikation in der Postex-positionsprophylaxe, besonders für Patientenmit Lebererkrankungen. Bis zu 14 Tagennach Kontakt mit einem Hepatitis-A-Infi-zierten oder einer massiven Exposition mit

kontaminierten Speisen kann eine Immun-globulingabe den Ausbruch einer Hepatitis Averhindern oder zumindest mitigieren.

Hepatitis B

Die Hepatitis B ist die früher als Serumhepa-titis bezeichnete Infektion, die durch Blutund Körpersäfte übertragen wird. Global ge-sehen sind der vertikale (von der Mutter aufihr Kind) und sexuelle Übertragungsweg (inden USA und Westeuropa) am wichtigsten.Eine Transmission in Risikoberufen, durchHämodialyse und zahnärztliche Eingriffe istebenfalls bedeutungsvoll. Heute ist die noso-komiale Übertragung der Hepatitis B in derwestlichen Welt sehr selten geworden [5]. DasRestrisiko bei Transfusion von Blutproduktenliegt bei ca. 1:500 000.

Zur Serodiagnostik der akuten und chroni-schen HBV-Infektion stehen eine Reihe vonAntigen- und Antikörpernachweisen zur Ver-fügung. Für die Diagnose einer akuten Hepa-titis B ist neben dem klinischen Bild und derTransaminasenerhöhung der Nachweis vonHBs-Antigen (Surface-Antigen) ausreichend.Daneben sind im Serum HBe-Antigen (En-velope-Antigen) und HBc-IgM-AK nach-weisbar. Der Nachweis von HBe-Antigenzeigt die aktive Virusreplikation an. Mit Ab-klingen des akuten Krankheitsbildes kommtes innerhalb von zwei bis vier Monaten zurKonversion von HBe-Antigen zu Anti-HBe.HBc-IgG-AK persistieren lebenslang und

Abbildung 2: Schemata für die Aktivimmunisierung bei Hepatitis A und B (die angegebenen Zeitinter-valle sind Mindestabstände).

Hepatitis Erreger Transmission Klinischer Verlauf

A HAV fäkal-oral akutes, bei älteren Erwachsenen gelegentlichPicornaviridae schweres Krankheitsbild, keine Chronifizierung

B HBV parenteral akutes, gelegentlich schweres Krankheitsbild, Ortho-Hepdna- chronischer Verlauf mit Übergang in ZirrhoseVirus möglich, lebenslange Persistenz des VirusHepadnaviridae

C HCV parenteral akute, klinisch oft inapparente Infektion, in Pestivirus 50 bis 80 % chronischer Verlauf mit Übergang in Flaviviridae Zirrhose, Ausheilung unter entsprechender

Therapie in 45 bis 85 % der Fälle

D HDV parenteral als Simultan- bei akuter oder als Superinfektioninkomplettes bei chronischer Hepatitis BRNA-Virus (Viroid)

E HEV fäkal-oral akutes, oft schweres Krankheitsbild, fulminantesCaliciviridae Leberversagen besonders bei Schwangeren, kein

chronischer Verlauf

F – – –

G HGV/GB-Virus-C parenteral keinerlei Krankheitsbild

Das Hepatitis-ABC.

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Handelsname Hersteller

Hepatitis A HAVpur® Chiron Behring VaccinesHavrix 1440® GlaxoSmithKlineHavrix 720® Kinder GlaxoSmithKlineVaqta® Aventis Pasteur MSD

Hepatitis A + Hepatyrix® GlaxoSmithKlineTyphus Viatim™ Aventis Pasteur MSD

Hepatitis B Engerix B Erwachsene® GlaxoSmithKlineEngerix B Kinder® GlaxoSmithKlineHB Vax Pro 10® Erwachsene Aventis Pasteur MSDHB Vax Pro 5® Kinder Aventis Pasteur MSDHB Vax Pro 40® Dialyse Aventis Pasteur MSD

Hepatitis A + B Twinrix Erwachsene® GlaxoSmithKlineTwinrix Kinder® GlaxoSmithKline

Tabelle: Derzeit in Deutschland zugelassene Impfstoffe gegen Hepatitis Aund B.

akut chronisch

Hepatitis B Keine Therapie Standard 1:Interferon-alfa über 4-6 MonateStandard 2:Lamivudin über ? MonateAlternativ: Adefovir

Hepatitis C Interferon alfa Genotyp 1/4:über 24 Wochen* PegInterferon alfa + Ribavirin

über 48 WochenGenotyp 2/3:PegInterferon alfa + Ribavirinüber 24 Wochen

* Die akute Hepatitis C sollte, wenn möglich,innerhalb von Studien therapiert werden.

Tabelle: Therapie der Virushepatitiden B und C.

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Titelthema

zeigen die stattgehabte Infektion mit demWildvirus an (nach Impfung wird ausschließ-lich Anti-HBs gebildet!). Innerhalb von vierbis sechs Monaten nach Erkrankung wirdHBs-Antigen negativ, Anti-HBs dokumen-tiert die serologische Ausheilung der Hepati-tis und ist normalerweise nach sechs bis achtMonaten positiv. Beim chronischen Hepati-tis-B-Verlauf persistiert HBs-Antigen, meis-tens bleibt auch HBe-Antigen als Zeichender persistierenden Virusreplikation positiv.

Klinisch bedeutsam sind bei chronischemKrankheitsverlauf so genannte Prae-Core/Coremutationen, die mit einem Verlust vonHBe-Antigen einhergehen. Dieser Befundsuggeriert ein Sistieren der Virusreplikation,die jedoch oft in diesen Fällen weiterhin vor-handen ist, erkennbar am unverändert positi-ven Nachweis von HBV-DNA im Serum.

Molekularbiologische und immunologischeUntersuchungen der letzten Jahre sowie Er-fahrungen aus den klinischen Verläufen beiimmunsupprimierten Patienten haben unsereSicht der Hepatitis B verändert. Wir gehenheute davon aus, dass das Virus nach einer er-folgten Infektion nicht mehr vollständig eli-miniert werden kann, selbst wenn Zeichender Virusaktivität bei laborchemischen undhistologischen Untersuchungen verschwun-den sind. In Zeiten der Immunsuppressionkönnen intrazellulär persistierende Viruspar-tikel reaktiviert werden und der Erkrankungeinen neuen Schub verleihen. Daher solltenauch asymptomatische „HBsAg-Träger“ imFalle einer notwendigen immunsuppressivenTherapie in Bezug auf eine HBV-Reaktivie-rung engmaschig kontrolliert werden.

Die Inkubationszeit der B-Hepatitis ist mitzwei bis sechs Monaten lang, die klinischeKrankheitsphase dauert bei normalem Verlaufca. drei bis sechs Wochen. Kinder zeigenhäufig einen asymptomatischen Verlauf derInfektion. Bei Erwachsenen heilt die Hepati-tis B in 90 bis 95 % der Fälle aus, bei Neuge-borenen und Säuglingen geht der HBV-In-fekt dagegen in ca. 90 % in einen HBV-Trägerstatus über. Die chronisch aktive He-patitis prädisponiert zur Leberzirrhose undzum hepatozellulären Karzinom.

Die Therapie der akuten Hepatitis B erfolgtsymptomatisch. Bei fulminanten Verläufensollte eine frühzeitige Verlegung des Patien-ten in ein Transplantationszentrum ange-strebt werden.

Die therapeutischen Möglichkeiten zur Be-handlung einer chronischen Hepatitis B(Verlauf > sechs Monate) haben sich in denvergangenen Jahren erheblich erweitert. Eineantivirale Therapie sollte erfolgen bei erhöh-ten Transaminasen, nachweisbarer persistie-render HB-Virusreplikation und histologi-scher Entzündungsaktivität sowie fibroti-schen Veränderungen im Lebergewebe.

In Deutschland sind für die Behandlung derchronischen Hepatitis B Interferon alfa, La-mivudin (Nukleosidanalogon, 3’Thiacytidin)sowie Adefovir (Nukleotidanalogon von Ade-nosin-Monophosphat) zugelassen. Verfügbarund Hepatitis-B-wirksam, jedoch nicht fürdiese Indikation zugelassen, sind darüber hin-aus Emtricitabin (HIV-Therapie), Tenofovir(HIV-Therapie) und Famciclovir (Herpes zo-ster, Herpes genitalis).

Interferon alfa sollte nach den aktuellen Kon-sensusempfehlungen [10] für vier bis sechsMonate in einer Dosierung von dreimal 9 bis10 Millionen Einheiten pro Woche oder 5 bis6 Millionen IE täglich s. c. verabreicht wer-den. Eine Transaminasennormalisierung undSerokonversion von HBeAg zu Anti-HBekann hierdurch bei ca. 25 bis 40 % der Pa-tienten erzielt werden, eine Konversion vonHBsAg zu Anti-HBs bei ca. 5 bis 10 %. Pa-tienten mit einer Prae-Core-Mutanteninfek-tion sprechen deutlich schlechter an. Pegy-lierte Interferone sind noch nicht zur Be-handlung der chronischen Hepatitis B zuge-lassen.

Die Behandlung mit Nukleosid-/Nukleotid-analoga führt nach einjähriger Therapie zueiner HBeAg-Serokonversionsrate von 15 bis25 %. Durch eine längere Therapiedauer las-sen sich diese Serokonversionsraten weiter er-höhen. Lamivudin wird in einer Dosierungvon 100 mg/d, Adefovir in einer Dosierungvon 10 mg/d per os gegeben. Die Behandlungsollte mindestens bis sechs Monate nach er-folgter Serokonversion erfolgen. Bei primärHBeAg-negativer, chronisch aktiver Hepati-tis B sind Nukleosid-/Nukleotidanaloga imGegensatz zu Interferon alfa ebenfalls gutwirksam. Eine feste Behandlungsdauer ist indieser Situation derzeit nicht zu definieren.Vieles spricht dafür, eine solche Therapie alsvirustatische Dauersuppressionstherapie, wiebei der HIV-Infektion, durchzuführen. Beilangfristigem Einsatz ist mit dem Auftretenvon HBV-Mutationen im Polymerase-Genunter Lamivudin in bis zu ca. 20 % pro Jahr,unter Adefovir in bis zu 2 % pro Jahr zu rech-nen. Nach Beendigung einer Nukleosid-/Nu-

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Titelthema

kleotidanaloga-Therapie kann es zur Reakti-vierung der Hepatitis kommen, weshalb eng-maschige Kontrollen erfolgen sollten.

Auch die Hepatitis B ist eine impfpräventableErkrankung! Es exsistieren mehrere wirksameund nebenwirkungsarme Impfstoffe, die gen-technologisch hergestellt werden. Eine Imp-fung bei bestimmten Berufsgruppen wird be-rufsgenossenschaftlich schon lange empfoh-len. Seit 1995 ist in Deutschland die aktiveHepatitis-B-Impfung auch in den allgemei-nen Impfkalender für Kinder und Jugendlicheaufgenommen.

Bei Erwachsenen sollte die Indikation für ei-ne Impfung großzügig gestellt werden.Immerhin sind bereits in Deutschland 0,4 bis0,7 % der Bevölkerung infektiöse Virusträger.Dieser Anteil erreicht in manchen Ländernder Erde bis zu 20 %. Auf Grund der hohen

Infektiosität des Hepatitis-B-Virus (zehnmalmehr als HCV, hundertmal mehr als HIV)besteht deshalb ein konkretes Infektionsrisikoselbst bei Bagatellereignissen wie Nassrasurmit ungereinigten Messern, Tätowierungen,Piercing und vielen Verrichtungen im Alltag.Die allgemeine Beratung vor einer Fernreisebietet sich deshalb als Gelegenheit an, demReisenden einen aktiven Schutz vor der He-patitis B zu empfehlen.

Um eine wirksame Protektion gegen Hepati-tis B zu erreichen, sind zwei Impfungen imAbstand von mindestens vier Wochen not-wendig. Eine dritte Impfung erfolgt nach frü-hestens sechs Monaten. Dieses Impfschemawird auch zugrunde gelegt, wenn man sichfür den kombinierten Hepatitis A/B-Impf-stoff entscheidet. Die Bestimmung des Anti-HBs-Titers sechs Wochen nach der drittenImpfung, wie sie im arbeitsmedizinischen Be-

reich (in Deutschland) immer noch prakti-ziert wird, ist bei einer Impfung außerhalbder definierten Risikogruppen nicht nötig.

Hepatitis C

Nach Schätzungen der WHO haben weltweitrund 170 Millionen Menschen, 3 % derWeltbevölkerung, Kontakt mit dem HCV ge-habt. Mindestens 130 Millionen gelten alschronisch infiziert. Es bestehen erheblichePrävalenzunterschiede zwischen einzelnenLändern. In Deutschland leben schätzungs-weise 500 000 chronisch HCV-Infizierte [6].

Das HCV wird parenteral übertragen. Diemeisten Infektionen sind auf intravenösenDrogenabusus sowie Dialyse-Behandlungoder Transfusion von Blutprodukten vor 1990zurückzuführen. Das Restrisiko einer Neuin-fektion über Blutprodukte ist heute sehr ge-

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Titelthema

ring (1:10 000 000 nach Einführung derHCV-PCR aller Blutspender). Ein sehr ge-ringes Risiko besteht weiterhin bei Sexual-kontakten mit HCV-Infizierten sowie für denperinatalen Übertragungsweg (sofern nichtgleichzeitig eine HIV-Infektion vorliegt).

Nach der gebräuchlichen Klassifikation wer-den vier Genotypen (1a/b, 2 a/b, 3 und 4)unterschieden. In Europa kommt am häufigs-ten Genotyp 1 vor, welcher ca. die Hälfte biszwei Drittel der HCV-Infektionen ausmacht.Das Vorliegen eines bestimmten HCV-Ge-notypes hat eine prognostische Relevanz be-züglich der Interferontherapie.

Eine HCV-Infektion wird diagnostiziertdurch den Nachweis von Hepatitis-C-Anti-körpern. Positive HCV-Antikörper lassenallerdings keine Schlussfolgerungen zu, ob essich um eine akut oder chronisch aktive oderum eine inaktive, abgelaufene Infektion han-delt. Die einzige Möglichkeit des Nachweiseseiner bestehenden Virämie besteht im HCV-RNA-Nachweis im Serum mittels PCR-Am-plifikation.

Die Inkubationszeit der Hepatitis C beträgtdrei bis zwölf Wochen. In der Regel entwi-ckelt sich eine klinisch inapparente Hepatitis,sodass akute Infektionen nur selten diagnosti-ziert werden. In einem Prozentsatz zwischen50 und 80 % nimmt die Hepatitis-C-Infek-tion dann einen chronischen Verlauf. Charak-teristisch ist, dass die Transaminasen erheb-lich schwanken, zeitweise auch völlig normalsein können, nur sehr selten ein Ikterus auf-tritt und die Erkrankung zunächst symptom-arm verläuft. Dennoch ist bei vielen Patientender Verlauf langsam progredient mit einemerheblichen Leberzirrhoserisiko (nach einerLaufzeit von zehn bis 25 Jahren bei 25 bis50 %). Regelmäßiger, auch moderater Alko-holkonsum beschleunigt die Progression zurZirrhose. Weiterhin besteht ein erhöhtes Ri-siko für die Entwicklung eines hepatozellulä-ren Karzinoms.

Wegen der hohen Chronifizierungsrate ist imGegensatz zur akuten Hepatitis B bei akuterC-Hepatitis eine antivirale Behandlung ge-rechtfertigt, zumal gezeigt werden konnte,dass durch eine Mono-Therapie mit Interfe-ron alfa ein chronischer Hepatitis-Verlauf inweit über 90 % verhindert werden kann.

Primäres Ziel einer antiviralen Therapie einerchronischen Hepatitis C ist heute die Aus-heilung der Hepatitis mit dauerhafter HCV-Elimination, um die weitere Krankheitspro-gression zu verhindern. Die Standardtherapieder chronischen Hepatitis C beinhaltet die

Gabe von pegyliertem Interferon alfa-2a oder-2b in Kombination mit Ribavirin. Patientenmit einer HCV-Genotyp-1-Infektion werden48 Wochen, Patienten mit einer HCV-Geno-typ-2- oder 3-Infektion 24 Wochen behan-delt. Ein dauerhaftes virologisches Anspre-chen, welches einer klinischen Ausheilungder Erkrankung gleichkommt, kann bei derHCV-Genotyp-1-Infektion in 42 bis 52 %,bei der HCV-Genotyp-2/3-Infektion in 76bis 84 % erzielt werden [11, 12].

Eine hohe prädiktive Bedeutung hat der ini-tiale Abfall der Hepatitis-C-Viruslast. Sinktdiese nach zwölfwöchiger Therapie nicht min-destens um zwei log-Stufen gegenüber demWert vor Therapie ab, liegt die Wahrschein-lichkeit eines definitiven Nicht-Ansprechensbei 97 bis 100 %. Deshalb wird inzwischenempfohlen, bei Nicht-Erreichen dieses Virus-last-Abfalls die Therapie abzubrechen.

Hepatitis D

Die Hepatitis-D-Infektion ist an die Anwe-senheit des Hepatitis-B-Virus gekoppelt,dessen Hülle das HDV für seine Replikationbenötigt. Der Infektionsmodus ist parenteralund erfolgt als Simultan- oder Superinfektioneiner Hepatitis B. In Deutschland trat dieHepatitis D bisher sehr selten und fast aus-schließlich bei drogenabhängigen Patientenauf [7]. Die chronische HDV-Infektion istmit einem besonders hohen Leberzirrhose-Risiko (30 bis 60 % der Patienten!) vergesell-schaftet. Eine Therapie mit Interferon alfa istmöglich, wegen nur sehr geringer Ansprech-raten jedoch nicht etabliert.

Hepatitis E

Die Hepatitis E ist ebenfalls eine fäkal-oralübertragene virale Hepatitis, die erst seit 1980als Ursache der enterischen „Non-A-non-B-Hepatitis“ identifiziert wurde [8]. Die Er-krankung ist in zahlreichen Ländern der Tro-pen und Subtropen bei Mensch und Tierrelativ weit verbreitet, wenngleich unsereKenntnisse zur genauen Epidemiologie derErkrankung noch sehr lückenhaft sind. Alsimportierte Infektion und sehr selten auch alsautochthon erworbene Erkrankung wird dieHepatitis E immer wieder, vielleicht sogarviel zu wenig [9] diagnostiziert. Eine Aktiv-immunisierung ist noch nicht möglich. DieHepatitis E verläuft meist als unspezifischeAllgemeinerkrankung, kann aber auch mit ei-ner schweren Leberfunktionsstörung einher-gehen, bei Schwangeren sogar als fulminanteHepatitis mit einer Letalität von 20 %. Wiebei der Hepatitis A ist auch hier ein chroni-scher Verlauf nicht beschrieben.

Hepatitis G/GB-Virus-C

In den Jahren 1995 und 1996 wurde unab-hängig voneinander in zwei Laboratorien einneues, dem Hepatitis-C-Virus ähnliches, zurGruppe der Flaviviridae gehörendes Virusentdeckt. Die Nomenklatur dieses Virus istbis heute nicht einheitlich: Gebräuchlich sinddie Bezeichnungen GB-Virus-C (GB sinddie Initialen des ersten Patienten, in dessenSerum das Virus nachgewiesen werdenkonnte), Hepatitis-G-Virus (HGV) sowieGBV-C/HGV.

Das GBV-C-Virus ist offensichtlich weit ver-breitet. Für die USA wurden Prävalenzratenvon 1 bis 7 %, für Westeuropa 1 bis 10 % an-gegeben. Die Übertragung des Virus erfolgtparenteral über Blut bzw. Blutkontakte undist damit identisch mit der Übertragung vonHBV, HCV und HIV. Nachdem man zu-nächst angenommen hatte, dass GBV-C füreinen Großteil von Non A-E Hepatitidenverantwortlich sein könnte, ergaben vielfälti-ge Untersuchungen bis heute keinen sicherenAnhalt dafür, dass das Virus Krankheiten ver-ursachen kann. Insbesondere konnte kein Zu-sammenhang mit akuten und/oder chroni-schen Hepatitiden gefunden werden. Eswurden lediglich anhaltende Virämien beob-achtet. Insofern ist der Begriff „Hepatitis-Vi-rus“ für das GBV-C-Virus irreführend.

Anders als bei der HCV-Infektion ist bei ei-ner Infektion mit GBV-C eine kompetenteImmunantwort in Form der Bildung vonanti-E2-Antikörpern möglich. Die Bildungdieser Antikörper führt zur anhaltenden Klä-rung der Virämie.

Das Literaturverzeichnis kann bei den Verfas-sern angefordert oder im Internet unterwww.blaek.de (Ärzteblatt/Literaturhinweise)abgerufen werden.

Anschrift der Verfasser:

Dr. August Stich, Tropenmedizinische Abteilung,Missionsärztliche Klinik, Salvatorstraße 7,97074 Würzburg, Telefon 0931 791-2821,Fax 0931 791-2826,E-Mail: [email protected]

Professor Dr. Hartwig Klinker, SchwerpunktHepatologie und Infektiologie, Medizinische Poliklinik der Universität Würzburg,Josef-Schneider-Straße 2, 97070 Würzburg,E-Mail: [email protected]