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INDUSTRIE 4.0 IN KMU – SIND SIE FIT FÜR DIE ZUKUNFT? Dokumentation zur Tagung am 02. Dezember 2015 im Steinbeis-Haus in Karlsruhe Interdisziplinäre Aspekte und Perspektiven Oliver Brehm, Rüdiger Haas, Maja Jeretin-Kopf (Hrsg.)

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INDUSTRIE 4.0 IN KMU –SIND SIE FIT FÜR DIE ZUKUNFT?

Dokumentation zur Tagung am 02. Dezember 2015 im Steinbeis-Haus in Karlsruhe

Interdisziplinäre Aspekte und Perspektiven

Oliver Brehm, Rüdiger Haas, Maja Jeretin-Kopf (Hrsg.)

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Oliver Brehm, Rüdiger Haas, Maja Jeretin-Kopf (Hrsg.)Industrie 4.0 in KMU – Sind Sie �t für die Zukun�?

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Über die Herausgeber

Oliver Brehm, Dipl.-Ing. (FH), ist freiberu�ich tätiger Unternehmensberater. Seine �e-menschwerpunkte liegen ursprünglich im Umfeld der Produktentwicklung mit CAD PLM und ERP bis hin zu Content Management Systemen (CMS). Sie umfassen dort vor allem die systemneutrale Beratung im Rahmen von Auswahl- und Einführungsprojekten. Durch die Er-fahrung von 20 Jahren erfolgreicher Projektarbeit verfügt Oliver Brehm über ein breites Fach-wissen und die notwendige Branchenkenntnis zur optimalen Gestaltung von Veränderungs-projekten auf organisatorischer, prozessualer und IT-Ebene. Seit 2001 leitet Oliver Brehm das Steinbeis-Transferzentrum Innovation und Organisation (STZio, www.stzio.de).

Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas ist Leiter der Abteilung Fertigungstechnik und Produktion der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtscha� und Leiter des Steinbeis-Transferzen-trums Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS. An der Hochschule Karlsruhe entstand unter seiner Leitung in Kooperation mit Wirtscha�sunternehmen ein fer-tigungstechnisches Labor, welches den Wissenscha�lern im Rahmen ihrer Forschungsprojekte zur Verfügung steht und in dem auf einer Fläche von ca. 700 qm alle modernen fertigungstech-nischen Verfahren auf modernsten Maschinen abgebildet werden können.

PD Dr. phil. habil. Maja Jeretin-Kopf ist Projektleiterin der „Lernfabrik 4.X“ an der Hoch-schule Karlsruhe – Technik und Wirtscha� und Projektleiterin des Steinbeis-Transferzen-trums Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS. Sie habilitierte an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, wo sie als Privatdozentin tätig ist. Ihre Forschungs-schwerpunkte sind intergenerationelles Lernen, unternehmensspezi�sche Curriculumentwick-lung sowie Technikdidaktik der technischen Allgemeinbildung.

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INDUSTRIE 4.0 IN KMU –SIND SIE FIT FÜR DIE ZUKUNFT?

Dokumentation zur Tagung am 02. Dezember 2015 im Steinbeis-Haus in Karlsruhe

Interdisziplinäre Aspekte und Perspektiven

Oliver Brehm, Rüdiger Haas, Maja Jeretin-Kopf (Hrsg.)

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Impressum

© 2016 Steinbeis-Edition

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

Oliver Brehm, Rüdiger Haas, Maja Jeretin-Kopf (Hrsg.)

Industrie 4.0 in KMU – Sind Sie �t für die Zukun�?Interdisziplinäre Aspekte und Perspektiven

1. Au�age, 2016 | Steinbeis-Edition, StuttgartISBN 978-3-95663-106-1Satz: Steinbeis-Edition | Titelbild: © Mimi Potter / FotoliaDieses Buch ist auch als Print-Version erhältlich. ISBN 978-3-95663-086-6

Steinbeis ist weltweit im unternehmerischen Wissens- und Technologietransfer aktiv. Zum Steinbeis-Verbund ge-hören derzeit rund 1.000 Unternehmen. Das Dienstleistungsportfolio der fachlich spezialisierten Steinbeis-Unter-nehmen im Verbund umfasst Forschung und Entwicklung, Beratung und Expertisen sowie Aus- und Weiterbildung für alle Technologie- und Managementfelder. Ihren Sitz haben die Steinbeis-Unternehmen überwiegend an For-schungseinrichtungen, insbesondere Hochschulen, die originäre Wissensquellen für Steinbeis darstellen. Rund 6.000 Experten tragen zum praxisnahen Transfer zwischen Wissenscha� und Wirtscha� bei. Dach des Steinbeis-Verbundes ist die 1971 ins Leben gerufene Steinbeis-Sti�ung, die ihren Sitz in Stuttgart hat. Die Steinbeis-Edition verlegt ausgewählte �emen aus dem Steinbeis-Verbund.

191092-2016-09 | www.steinbeis-edition.de

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Verö�entlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren. Die Herausgeber übernehmen keine Gewähr für die Richtigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beach-tung der Rechte Dritter.

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Vorwort der Herausgeber

Der vorliegende Tagungsband ist das Ergebnis zur ersten interdisziplinären Fachtagung „Industrie 4.0 in KMU – Sind Sie �t für die Zukun�?“ des Steinbeis Arbeitskreises „Fak-tor Mensch im Produktentstehungsprozess“. Der Arbeitskreis wurde im Frühjahr 2015 von Prof. Rüdiger Haas, Dr. Maja Jeretin-Kopf und Oliver Brehm gegründet, um vor dem Hinter-grund der mit der „4. industriellen Revolution“ einhergehenden Anforderungen den Dialog zwischen Wissenscha� und Wirtscha� zu fördern. Wirtscha� – in diesem Kontext sind das also gerade jene kleine und mittlere Unternehmen, welche sich den Herausforderungen dieser digitalen Entwicklung stellen wollen.

Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hängt in hohem Maße davon ab, ob wir es schaf-fen, mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Wissenscha�liche Untersuchungen belegen, dass kleine und mittelständische Unternehmen über moderne Fer-tigungstechnologien verfügen. Sie belegen aber zudem, dass diese lediglich bis zu 65 % ihres Wirtscha�lichkeitspotenzials ausnutzen. Wissensde�zit ist einer der häu�g genannten Grün-de, warum die Einführung neuer Technologien nicht zu einer höheren Wirtscha�lichkeit des Produktionsprozesses beiträgt. Dies bedeutet, dass dem Menschen hier eine Schlüsselrolle zukommt. Der Mensch muss als eine wichtige Ressource innerhalb des Wertschöpfungspro-zesses angesehen werden. Dabei stellen die demogra�sche Entwicklung und der immer deutli-cher spürbar werdende Fachkrä�emangel viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Denn um diese Herausforderung zu meistern, ist es erforderlich, dass die Unternehmen künf-tig verstärkt Konzepte erarbeiten, in denen betriebsorientierte Quali�zierungsmaßnahmen mit den neuen Technologien Schritt halten. Bisher bewährte Fortbildungskonzepte erweisen sich hier häu�g als wenig hilfreich. Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen wären eigentlich neue Lösungen erforderlich. Zur Ausrichtung der passenden Lösungen stellen wir uns zunächst die Frage, was „Industrie 4.0 bedeutet …“. In den meisten Fällen fokussieren die Experten stark auf die fortschreitende Digitalisierung im Produktionsumfeld, also die Fertigungs-, Montage- und Automatisie-rungstechnik. Ja sicher, hinter Industrie 4.0 verbirgt sich also die Vernetzung von mehr oder weniger intelligenten Maschinen, welche mit einem intelligenten Werkstück ein cyberphysi-sches System bilden.

Aber eben nicht nur!

Wer in der Liga der I 4.0-umsetzenden Unternehmen mitspielen will, muss sich auch den Fragen nach dem Faktor Mensch im Produktentwicklungsprozess stellen. Wie wird sich das Anforderungspro�l an die Mitarbeiter verändern? Welche Skills werden morgen und über-morgen am Arbeitsmarkt benötigt? Wie wird das neue Wissen vermittelt?Daneben stellen sich gerade die Lenker kleiner und mittlerer Unternehmen die Frage nach dem Nutzen. Man hat wenig Erfahrung mit neuen Geschä�smodellen, Erfahrungen mit der Umwandlung von Daten in Geschä�smodelle sind noch seltener. Ist der etablierte Vertrieb überhaupt in der Lage, dieses neuartige Produkt in Form eines Servicemodells etc. zu ver-kaufen?

Vorwort

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Prof. Dr.-Ing. Rüdiger HaasPD Dr. Maja Jeretin-Kopf

Steinbeis-Transferzentrum Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS

Dipl.-Ing. (FH) Oliver BrehmSteinbeis-Transferzentrum Innovation und Organisation

Kurzum:

Es müssen Rahmenbedingungen gescha�en werden, um Industrie 4.0 in einem Unternehmen zu ermöglichen. Dies kann nur mit einem weiteren Fokus und in einer interdisziplinären Zu-sammenarbeit vormals getrennt agierender Fachbereiche geschehen.Aus diesem Grund haben wir bei der Gestaltung dieser Tagung bewusst den Fokus auf die Bereiche Technik, Management, Bildung und Kunst gerichtet. So wurden die Fragestellungen in Vorträgen und Workshops bedarfsgerecht erörtert und somit die Möglichkeit gescha�en, das �ema Industrie 4.0 auch in KMU Einzug halten zu lassen, ohne dass sich irgendwer daran „verschluckt“.

Wir bedanken uns an dieser Stelle nochmals bei allen, die dazu beigetragen haben, dass diese Tagung einen so erfolgreichen Verlauf nehmen konnte, und wünschen eine anregende Lektüre.

Vorwort

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Inhalt

Industrie 4.0 als Wettbewerbsturbo – Praktische Unterstützung für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU)

Heinz Schäfer, Oliver Schäfer, René Schäfer

1 Vorbemerkung ..............................................................................................................................................................12

2 Smart Factory schlägt Routine .....................................................................................................................................12

3 I 4.0 ist die moderne Fortsetzung der ersten drei Industrialisierungs-Stufen ............................................................12

4 Der Wettbewerbsturbo von I 4.0 und wie er funktioniert ..............................................................................................14

5 I 4.0 ist für KMU eine besondere Herausforderung ......................................................................................................16

6 KMU kommen mit smarten Strategien zur smarten Fabrik .........................................................................................19

7 Zusammenfassung ........................................................................................................................................................25

Industrie 4.0: „Neuer Wett bewerb – Kapital vs. Innovation“

Oliver Brehm

1 Einleitung .......................................................................................................................................................................26

1.1 Innovation nach „innen“ .........................................................................................................................................26

1.2 Innovation nach „außen“ ........................................................................................................................................26

2 Geschäftsmodelle ..........................................................................................................................................................26

2.1 Fehlender Mut ........................................................................................................................................................26

2.2 Fehlendes Kapital ..................................................................................................................................................27

2.3 Mobilität .................................................................................................................................................................27

3 Internetwirtschaft ..........................................................................................................................................................28

4 Schlussfolgerungen .......................................................................................................................................................29

Neue Dienstleistungen durch Industrie 4.0 – professionell, nachhaltig und ertragreich

Claas Christian Wuttke

1 Einführung .....................................................................................................................................................................30

2 Angepasster und individualisierter Produktentwicklungsprozess ...............................................................................31

2.1 Generischer Referenz-PEP ....................................................................................................................................31

2.2 Skalierung des Produktentwicklungsprozesses ...................................................................................................31

2.3 Produkt- und unternehmensspezifische Checklisten ..........................................................................................32

2.4 Stetige Anpassung und Verbesserung des iPEP ..................................................................................................32

3 Methoden zur Integration der Kunden in die Produktentwicklung ..............................................................................33

4 Nutzung von Prototypen ................................................................................................................................................33

Inhalt

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Inhalt

Fit für Industrie 4.0 mit demografiegerechtem Personalmanagement

Regina Brauchler

1 Aktuelle Herausforderungen an die Arbeit 4.0 .............................................................................................................35

2 Gegenwärtige Bestandsanalyse in Unternehmen ........................................................................................................35

3 Kompetenzen im demografischen Wandel ...................................................................................................................35

4 Handlungsfelder und mögliche Lösungsansätze .........................................................................................................37

5 Ausblick .........................................................................................................................................................................40

Industrie 4.0: „IT-Management – Strategien der Zukunft“

Oliver Brehm

1 Basisfähigkeiten zur I 4.0 ..............................................................................................................................................42

2 Produktentwicklung, CAx und Simulation.....................................................................................................................42

2.1 Rahmenbedingungen .............................................................................................................................................42

2.2 Folgen .....................................................................................................................................................................43

3 Seamless Data – Durchgängige Datennutzung ............................................................................................................43

3.1 Auswirkung von I 4.0 auf PLM ...............................................................................................................................43

3.2 Thesen des Expertengremiums „sendler\circle“ zum Zusammenhang

zwischen PLM und Industrie 4.0 ............................................................................................................................43

3.3 Beispiel Anlagenbau ..............................................................................................................................................44

4 Zukünftiges Datenmanagement ....................................................................................................................................44

4.1 Daten verwalten .....................................................................................................................................................44

4.2 Daten analysieren ..................................................................................................................................................44

4.3 Rechtssituation ......................................................................................................................................................44

5 Zusammenfassung ........................................................................................................................................................44

Megatrends und ihr Einfluss auf die Produktentwicklung

Uwe Fischer, Patrick Müller

1 Produktentwicklung 2020 .............................................................................................................................................46

2 Megatrends und technische Trends ..............................................................................................................................47

3 CPS und IoT ....................................................................................................................................................................47

4 Individualisierung von Produkten ..................................................................................................................................48

5 Anforderungen an Produktabsicherungen ....................................................................................................................49

6 IT für die Produktentwicklung .......................................................................................................................................50

7 Anforderungen an die Mitarbeiter .................................................................................................................................50

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Inhalt

Vernetzung von PLM-, ERP- und MES-geprägten Prozessen

Thomas Mücke

1 Einleitung .......................................................................................................................................................................52

2 Optimierung in den einzelnen Bereichen .....................................................................................................................53

2.2 NC-Programmierung .............................................................................................................................................54

2.3 Tool Data Management ..........................................................................................................................................54

3 Methodik ........................................................................................................................................................................54

3.1 Maschinenintegration ............................................................................................................................................54

3.2 Datenauswertung ...................................................................................................................................................55

3.3 Visualisierung ........................................................................................................................................................57

3.4 Methode zur Optimierung ......................................................................................................................................58

4 Zusammenfassung ........................................................................................................................................................58

Stabilisierung von fahrbaren Roboterplattformen

Aishe Fuentes Toledo, Martin Kipfmüller

1 Einleitung .......................................................................................................................................................................60

2 Modellierungsmethoden ...............................................................................................................................................61

2.1 Bestimmung der Modalparameter ........................................................................................................................61

2.2 Die Mehrkörpersimulation .....................................................................................................................................63

3 Validierung des Simulationsmodells ............................................................................................................................64

4 Aktueller Status und nächste Schritte .........................................................................................................................66

5 Zusammenfassung ........................................................................................................................................................67

6 Danksagung ...................................................................................................................................................................68

Probabilistic Optimization of Machining Process by Decision Support System

Mehdi Salehi, Rüdiger Haas, Jivka Ovtcharova

1 Introduction ....................................................................................................................................................................69

2 State of the art ...............................................................................................................................................................69

3 Decision support system for tool and cutting parameters selection ..........................................................................70

3.1 Project scope ..........................................................................................................................................................70

4 Scientific Methodology ...................................................................................................................................................71

4.1 Decision theoretical model ....................................................................................................................................71

5 Summary of the project .................................................................................................................................................71

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Entwicklung dynamischer Curricula für die betriebliche Weiterbildung

Maja Jeretin-Kopf

1 Einleitung .....................................................................................................................................................................74

2 Fertigungstechnische Unternehmen und ihre (künftigen) Herausforderungen .........................................................74

2.1 Technische Neuerungen und Innovationen .........................................................................................................74

2.2 Veränderte Produktionshierarchien .....................................................................................................................75

2.3 Vernetzung der Wertschöpfungsketten ...............................................................................................................75

2.4 Neue Geschäftsmodelle ........................................................................................................................................76

3 Unternehmen benötigen betriebsspezifische Curricula ..............................................................................................76

4 Curricula für betriebliche (Weiter-)Bildung .................................................................................................................77

4.1 Erkenntnisperspektiven der Technik ....................................................................................................................77

4.2 Definition der Ziele und Inhalte ...........................................................................................................................78

Neue Lernkultur, Individua lisierung und Kompetenzorientierung? Herausforderungen für die technische Bildung in der betrieb lichen Aus- und Fortbildung

Thomas Rajh

1 Schule und Bildung nach PISA 2000 ............................................................................................................................82

2 Heilsversprechen der südwest deutschen Bildungspolitik ..........................................................................................83

3 Auswirkungen der Schulreformen auf die Unternehmen ...........................................................................................87

4 Die Legende vom Nachwuchsmangel in technischen Berufen –

Mangel technischer Bildung in Schulen ......................................................................................................................... 87

5 Technik ist kein Naturschauspiel, sie ist Menschenwerk und Kulturgut ....................................................................89

6 Empfehlungen und Fazit ...............................................................................................................................................90

6.1 Bedeutung des Schulsystems ...............................................................................................................................90

6.2 Position der Technikdidaktik .................................................................................................................................90

6.3 Beziehung Mensch – Maschine ............................................................................................................................91

6.4 Bedeutung des Individuums in der Gemeinschaft ...............................................................................................91

6.5 Ausblick .................................................................................................................................................................91

Inhalt

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Sich verstehen lernen in der Welt der Technik – Der Technolog als Anfang

Christian Wiesmüller

1 Gibt es ein Problem? .....................................................................................................................................................93

2 Die Didaktik allgemeinbildenden Technikunterrichts als Ausgangspunkt ..................................................................93

3 Leben in der Technosphäre ist mehr als Mitarbeiter in einem technischen Betrieb zu sein .....................................94

4 In jedem schlummert ein Schöpfergen, das durch Bildung angeregt werden kann....................................................94

5 Kern ehrlich aufgefasster Bildung: Selbstverwirklichung aufgrund personaler Freiheit ...........................................94

6 Bildung bedeutet Ertüchtigen .......................................................................................................................................95

7 Der Technolog als Zugang mit weitreichenden Folgen .................................................................................................95

8 Mensch und Technik – Insverhältnissetzung als Daueraufgabe ..................................................................................95

9 Der Technolog – ein Anfang ..........................................................................................................................................96

10 Didaktische Überlegung ................................................................................................................................................97

11 Merkmale des Technologs .............................................................................................................................................97

12 Realisierungen mit unterschiedlichen Akzenten ..........................................................................................................97

13 Beispiele für Technologe ...............................................................................................................................................97

14 Zwei Beispiele in elaborierter Form..............................................................................................................................98

Kreativ-Workshop: Kunst trifft Technik –„Soziale Gestaltung der Industrie 4.0“ ......................................................... 101

Cosima Klischat

Begleitende Kunstausstellung ..................................................................................................................................... 104

Cosima Klischat

Über die Autoren .......................................................................................................................................................... 110

Inhalt

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Management

Industrie 4.0 als Wettbewerbsturbo – Praktische Unterstützung für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU)

Heinz Schäfer, Oliver Schäfer, René Schäfer

1 Vorbemerkung

Ziele und Verfahren von I 4.0 tre�en in Unternehmen auf un-terschiedliche wirtscha�liche Verhältnisse, Fähigkeiten und Visionen. Die folgenden Ausführungen haben als Schwerpunkt KMU und gehen in den Kapiteln 4–6 von unseren Beratungs-erfahrungen aus.

2 Smart Factory schlägt Routine

2003 wurde Tesla Motors in Palo Alto mit dem Ziel gegründet, elektrisch angetriebene Autos und die erforderlichen Energie-speichersysteme zu Preisen zu bauen, die für einen großen Kun-denkreis mit Durchschnittseinkommen attraktiv sind. In einem weiteren Schritt wurde das Tesla Model S mit Autopilot-Funk-tion ausgestattet, das seine Fahrspur selbst halten, wechseln und einparken kann. Die Autopilot-Funktion wurde für 40.000 Tesla- Autos zunächst in den USA per „over-the-air“-So�ware-Update hinzugefügt. Zum Vergleich: VW ru� weltweit Millionen Autos zu So�ware-Updates in die Werkstatt, allein in Deutschland 2,4 Millionen. Die neuen Techniken machten das Tesla-Model S in einigen Märkten bereits zum meistverkau�en Auto im Luxusseg-ment, noch vor der S-Klasse und dem 7er-BMW.

Aber allein im IV. Quartal 2015 hat der Newcomer Tesla einen Verlust von 320 Mio. US$ erwirtscha�et (lt. „börsenNEWS.de“ vom 11.02.2016), im I. Quartal 2016 einen Verlust von 282 Mio. US$ gegenüber 154,2 Mio. US$ im Vorjahreszeitraum (Spiegel Online vom 05.05.2016).Ein weiterer Quereinsteiger in den Markt für selbstfahrende Autos, der Anbieter von Internet-Dienstleistungen Google, hat seit über 6 Jahren Roboterautos im Straßenverkehr. Sie sind über 2 Millionen Kilometer unter der Kontrolle von entsprechender So�ware gefahren (lt. „börsenNEWS.de“ vom 01.03.2016).

Dagegen schwächen in etablierten Unternehmen zurück-liegende Erfolge häu�g die Sensibilität für Veränderungen und suggerieren weiterhin Sicherheit, die sie so nicht mehr oder immer weniger haben. Und sie haben weitere Hemmschwellen

für Innovationen: Ihre neuen Produkte kannibalisieren die tra-ditionellen, und frühere Investitionen in Ressourcen und Struk-turen werden jetzt nicht mehr gebraucht. Im Gegensatz dazu in-vestieren Newcomer direkt in neue Ressourcen und Strukturen, müssen keine „Altlasten“ beseitigen, können aber auch nicht auf Eigenkapital aus thesaurierten, früheren Gewinnen zurück-greifen. Das ist die Chance für Investoren wie bei Tesla 2008, als u. a. Toyota und Daimler das Unternehmen vor dem Konkurs retteten. Zudem müssen sie höheren Aufwand für ihre Markt-einführung und Marktpositionierung betreiben als ihre bereits etablierten Konkurrenten. Auf der Kundenseite tre�en sie häu�g auf Abnehmer ohne Markenbindung. Die kaufen das Produkt der ersten Anbieter und sehen in der Verbindung mit weiteren Neuerungen, wie z. B. dem Car-Sharing, ein Auto nicht als Sta-tussymbol, sondern als Mittel, um von A nach B zu kommen; oder sie stabilisieren mit einem Schwarm von Millionen E-Autos das Stromnetz und beziehen dazu bis zu 60 % ihres Ladestroms aus ungenutzter Windenergie; konkrete Pläne dazu gibt es be-reits (Bild der Wissenscha�, �emenhe� 2016 „Die Challenge“, S. 16 � ). Auf diesem Umweg könnte das E-Auto doch noch zum Statussymbol werden, nämlich für Umweltfreundlichkeit.

FazitMit IT-Lösung plus neuer Antriebstechnik haben branchen-fremde Anbieter wie Tesla und Google aus der zukun�sweisen-den Vision eines modernen Autos ohne CO2-Ausstoß ein neues Geschä�smodell entwickelt. Allerdings bleibt der wirtscha�li-che Erfolg bisher noch aus.

3 I 4.0 ist die moderne Fortsetzung der ersten drei Industrialisierungsstufen

Industrie 4.0 (I 4.0) ist die deutsche Bezeichnung für die welt-weite Veränderung der Fertigungstechnik und Logistik für die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation. I 4.0 entstand 2011 als Zukun�sprojekt im Rahmen der Hightech-Strategie der deutschen Bundesregierung.

Das politische Ziel Deutsche Unternehmen sollen aus Ideen schnell innovative Pro-dukte für ihre globalisierten Märkte machen. Dazu hat die Deut-sche Akademie der Technikwissenscha�en (Acatech) 2013 eine Forschungsagenda und Umsetzungsempfehlungen vorgestellt, die dann auf Betreiben des Bundesforschungsministeriums (BMBF) ausgearbeitet wurden.

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Management

Das wirtschaftliche Ziel Die „intelligente Fabrik“ (Smart Factory) soll Maschine mit Maschine verbinden, Kunden und Geschä�spartner in die Ge-schä�s- und Wertschöpfungsprozesse integrieren und damit kürzere Entwicklungszeiten für Neu-Produkte und höhere Flexibilität und E�zienz der Ressourcen erreichen als frühere Organisationsformen. Technologische Grundlagen sind cyber-physische Systeme (CPS) und das „Internet der Dinge“. Für die Unternehmen selbst ist der wirtscha�liche Grund für die 4. Stufe der industriellen Entwicklung die Bewältigung des weltweit steigenden Wettbewerbs- und Innovationsdrucks. Sie sind eine Folge der weltweiten Forschungs- , Entwicklungs- und Mergers-and-Acquisition-Aktivitäten (M&A) der Unternehmen und der Globalisierung mit ihrer Ö�nung der Weltmärkte für den freien Verkehr von Personen, Wissen, Ideen und Kapital:

� Der freie Verkehr von Fachleuten über Ländergrenzen hin-weg gleicht regionale Beschä�igungsgefälle für Personen aus. Sie bringen spezielles Wissen mit, transportieren aber auch erworbenes Wissen wieder zurück an ihren Heimatort und setzen es dort ein.

� Wissen ist über globale Arbeitsteilung, Direktinvestitionen, Standortverlagerungen zur Nutzung von regionalen Res-sourcen, Kostenvorteilen und Kundennähe und über wissen-scha�lichen Transfer weltweit verfügbar.

� Kapital wandert weltweit nach Bedarf und Rendite und macht aus Wissen Produkte, die es andernfalls nicht, oder nicht in diesem Umfang oder Tempo, gäbe. Im Gegenzug erhalten Kapitalgeber weltweiten Ein�uss auf Ziele und Strategien der Kapitalnehmer mit unterschiedlicher, regionaler Verteilung. (Von den weltweiten Direktinvestitionsbeständen ent�elen 9 % auf deutsche Direktinvestitionen im Ausland und 5 % auf ausländische Direktinvestitionen in Deutschland; Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Dezember 2006.)

� Der Wegfall von Zöllen und mengenmäßigen Handels-beschränkungen als Folge des GATT (General Agreement on Tari�s and Trade vom 01.01.1948; Stand November 2015: 162 Mitgliedsstaaten) fördert zusammen mit sinkenden Frachtraten pro transportierter Einheit sowohl den Güter-austausch mit immer weiter entfernten Märkten als auch die Zahl der Konkurrenten.

FazitEntwicklungen innerhalb und außerhalb der Unternehmen set-zen I 4.0 in Gang.

Stufen Zeit Die wichtigsten Inhalte

1. Stufe – I 1.0 II. Hälfte 18. Jh.

Nutzung der Dampfenergie für die Produktion

Ziel:

� mit höherer Energieverfügbarkeit handwerklich organisierte Betriebe (Manufakturen) zu Industrieunternehmen machen

� Entlastung der Menschen von schwerer körperlicher Arbeit

2. Stufe – I 2.0 I. Hälfte 20. Jh.

Verbindung von elektrischer Energie und Fließband ermöglicht die industrielle Massenfertigung

Ziel:

� planmäßige Belieferung der internen und externen Kunden � minimale Verlustzeiten � hohe Produktivität

3. Stufe – I 3.0 II. Hälfte 20. Jh.

Marktausrichtung führt durch IT zur Neuorganisation der Wertschöpfungskette

Ziel:

� Wettbewerbsfähige Lieferzeiten � Wettbewerbsfähige Produktkosten durch kürzere Durchlaufzeiten

In jedem Fall ist Zeiteinsparung das Kriterium.

4. Stufe – I 4.0 I. Hälfte 21. Jh.

Vernetzung aller Informationen in einem digitalen Datenpool ermöglicht umfassende Steuerung aller Prozesse nach Marktanforderungen

Ziel:

� IT-Systeme steuern Unternehmen selbständig und flexibel. � Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit steigen weiter. � Der Mensch „dirigiert“ die Abläufe.

Tab. 1: Die vier Stufen der industriellen Entwicklung seit dem 18. Jh. Quelle: Eigene Darstellung.

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4 Der Wettbewerbsturbo von I 4.0 und wie er funktioniert

Der Wettbewerbsturbo von I 4.0 entsteht in der „smarten Fa-brik“. Sie realisiert klassische Ziele wie Reduzierung der Durch-lauf- und Lieferzeiten und damit der zeitabhängigen Pro-duktkosten, nutzt dazu aber neue, selbst-und interagierende Hilfsmittel und scha� die Grundlage für neue Geschä�smodel-le. Schaltstelle ist die IT:

� IT erzeugt Informationen in Echtzeit: Die Digitalisierung der Prozesse der internen und externen Wertschöpfungskette ist dafür die Voraussetzung.

� IT verarbeitet Informationen in Echtzeit: Die Speicherung der digitalisierten Informationen in einem gemeinsamen Datennetz, der Cloud, macht sie für Mitarbeiter und IT-Sys-teme zu weiterführenden Entscheidungen ohne Zeitverlust verfügbar.

Dafür setzt I 4.0 eine Reihe von technischen, miteinander ver-zahnten Hilfsmitteln ein:

1. RFID: Radio Frequency Identi�cation („Funk-Etiketten“) Dies ist eine Technologie für Sender-Empfänger-Systeme zum automatischen, berührungslosen Identi�zieren und Lokalisieren von Objekten, aber auch von Mitarbeitern, mit Radiowellen. Alle Bauteile können mit winzigen, bil-ligen RFID-Systemen ausgestattet werden. Sie senden und empfangen selbständig Informationen und reagieren richtig darauf. Bestände und Fehlmengen sind jederzeit bekannt. Die Steuerung der Vorräte und Termine wird dadurch zwar gegenüber heute schneller, aber mit weiter fortschreitender Verringerung der Fertigungstiefe und steigender Zahl der Zulieferer auch komplexer und komplizierter. Deshalb wer-den Kunden und Lieferanten in die Wertschöpfungskette der Hersteller einbezogen.

2. Transportsystem: Zum termingerechten Einbau der Teile ist ein Transport-System erforderlich, das die Teile entspre-chend den RFID-Signalen, der Stücklistenau�ösung und Terminsteuerung selbständig holt und den entsprechenden Bereichen termingerecht anliefert. Dafür gibt es bereits praktische Lösungen.

3. Erfassungssystem: Produktions-, Stillstands-, Rüstzeiten der Maschinen, aber auch geleistete oder freie Überstunden der Mitarbeiter, werden automatisch erfasst. Apps leisten die Erfassung und Auswertung von Maschinendaten in Echtzeit. Zukün�ig soll die Einführung eines Manufacturing Executi-ve System (MES) für Anwender in kürzester Zeit möglich werden. Sie sollen dann eine MES-App herunterladen, die Datenverbindung herstellen und Daten in die Cloud laden.

4. Die Cloud: I 4.0 benötigt zum zentralen Speichern von Informationen eine Datenwolke (Cloud). Die muss derzeit noch durch sehr teure professionelle So�ware geschützt werden, die sich viele KMU nicht leisten können. Deshalb wird beim Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktions-technik und Automatisierung (IPA) an einer preiswerten Alternative gearbeitet.

5. Gemeinsames Funkprotokoll: Sowohl für den reibungs-losen Austausch von Informationen zwischen den Kom-ponenten als auch für die Reaktionen darauf müssen sich die Hersteller der unterschiedlichen Maschinen und Lo-gistiksysteme auf eine gemeinsame Technik einigen: das Funkprotokoll. Die Telekom hat 2011 dafür das Netzwerk „Quivicon“ gegründet. Andere Hersteller nutzen andere Funkprotokolle. Damit ist der Austausch der Informationen untereinander erschwert.

6. Datensicherheit: Funktionssicherheit und der interne Schutz der persönlichen Daten werden immer wichtiger. Aber auch extern soll der Schutz vor Industriespionage den eigenen Wettbewerbsvorsprung sichern. Steigende Verände-rungsgeschwindigkeit und Innovationskosten machen es für „Kopierer“ immer interessanter, Neuentwicklungen von anderen auszuspionieren, also nicht Zeit und Geld in eigene Entwicklungen und eigenes „Kapieren“ zu investieren.

Die Zusammenarbeit dieser Hilfsmittel setzt den Wettbewerbs-turbo in Gang. Wo bisher IT-Insellösungen, Einzelentscheidun-gen und unterschiedliche Organisationen nebeneinander die Wettbewerbsfähigkeit und den Gewinn bestimmten, bietet I 4.0 ein sehr viel e�zienteres System mit folgenden Kriterien an:

Hohe Flexibilität: Selbst agierende Transportsysteme bringen Teile und Materialien automatisch an ihren nächsten Bearbei-tungsplatz. Sie verkürzen damit die nicht wertschöpfenden Zei-ten vor und zwischen den Arbeitsplätzen. Aber das allein führt noch nicht zwingend zu höherer Produktivität, besserer Wett-bewerbsfähigkeit, besseren Kosten und Ergebnissen, denn wenn der nächste Arbeitsplatz ausgelastet ist, dann muss I 4.0 dort erst freie Kapazität für die früher ankommenden Materialien und Teile scha�en. Innerhalb der Arbeitsplätze müssen also ständig zeitsenkende Prozesse die Maßnahmen der selbst agierenden Transportsysteme vor und zwischen den Arbeitsplätzen ergän-zen. Das sind klassisch:

� Reduzierung der Prozesszeiten durch konstruktive Maßnah-men an den Produkten,

� Beschränkung der Losgröße auf den aktuellen Bedarf durch Just-in-time- und Just-in-sequence-Fertigung und durch Re-duzierung der Rüst- und Wartungszeiten. Diese Maßnahmen können von I-4.-0-Hilfsmitteln übernommen werden.

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Erst dann können die früher ankommenden Teile / Materialien ohne Wartezeit bearbeitet werden. Dann werden Durchlauf- und Lieferzeiten verkürzt und Kapital durch Vorratsreduzierung freigesetzt, und erst hier bringt höhere Flexibilität den Wett-bewerbsvorteil und den Gewinn.

Aus unserer Beratungstätigkeit wissen wir jedoch: Auf verkürzte Lieferzeiten der Hersteller reagieren Kunden mit kürzeren Be-stellterminen – stark ausgeprägt bei Baumärkten gegenüber ihren Lieferanten. Der Termindruck bleibt damit beim Her-steller bestehen, und Störfälle an unterschiedlichen Stellen der Wertschöpfungskette erschweren die Einhaltung der geplanten Termine immer mehr. Deshalb soll I 4.0 Störquellen innerhalb des Planungshorizontes frühzeitig erkennen und vermeiden. Dazu ist die Einbeziehung der Lieferanten und Kunden in die Wertschöpfungskette der Produzenten zwingend erforderlich. Sie bewältigt auch die steigende Zahl der Zulieferer bei fort-schreitender Verringerung der Fertigungstiefe. Dann können Lieferverzögerungen bei internen und externen Lieferanten am Anfang der Wertschöpfungskette und Au�ragsänderungen bei Kunden am Ende der Wertschöpfungskette frühzeitig erkannt werden. Intelligente Teilsysteme von I 4.0 ändern dann die Rei-henfolge der Au�räge in den regulären oder Ausweicharbeits-plätzen so, dass der Endtermin des Fertigungsau�rags doch noch eingehalten werden kann. Heute werden dagegen Lieferver-zögerungen und Au�ragsänderungen meistens zu spät erkannt, zeitaufwändig bearbeitet und führen dann zu Hektik, längeren Durchlauf- und Lieferzeiten, geringerer Produktivität und höhe-ren Produktkosten. Terminrisiken werden deshalb immer noch durch die vorsorgliche Anlage von höheren Zwischenbeständen vermieden, mit den bekannten Nachteilen: interne, zeitauf-wändige Produktion, Liquiditätsab�uss durch Kapitalbindung und Gewinnsteuern bei selbsterzeugten Produkten, Lagerung, Veralterung.

Mit höherer Flexibilität durch I 4.0 werden dagegen externe Liefertermine sicherer, Prozesse beschleunigt und zusätzlich bisher unproduktive Zeiten zwischen und in den Arbeitsplätzen in produktive Zeiten umgewandelt. Die meisten Gründe für Zwischenbestände entfallen damit und Kapital wird freigesetzt.

Losgröße: Individuelle Produkte mit Losgröße 1 können mit den technischen Hilfsmitteln von I 4.0 ebenso wirtscha�lich ge-fertigt werden wie Produkte in großen Losgrößen. Serienfertiger können so mit Unternehmen, die auf kleinere, auf Klein- und Kleinstserien spezialisiert sind z. B. im Geschä� für Zulieferer und deren Zulieferern auf deren Märkten konkurrieren und so die eigene Fertigungstiefe e�zient vergrößern.

Organisation: Die Verlagerung von Tätigkeiten der internen Au�ragsabwicklung auf die IT in I 4.0 wird die Au�au- und Ab-lauforganisation verschlanken, die Kalkulationssätze reduzieren und dadurch die Produktkosten zusätzlich weiter senken. Was heute o� zu tief gesta�elten, langsamen und teuren Hierarchien führt, kann I 4.0 e�zienter erledigen, z. B.: Neukonstruktionen und Anpassen von Stücklisten und Arbeitsplänen an Verände-rungen, Disposition von Teilen und Materialien, deren Beschaf-fung von internen und externen Lieferanten, ihr Durchlauf bis in die Fertigung im Rahmen der Terminsteuerung, einschließ-lich der Behebung und Vermeidung von Störfällen in der Wert-schöpfungskette.

Start-ups vs. etablierte Unternehmen: Start-ups, gleichgültig ob unabhängig oder als Split-o� (Abspaltung) oder Spin-o� (Aus-lagerung) gegründet, können sich als KMU von Anfang an auf innovative Produkte für Wachstumsmärkte konzentrieren, dazu die Vorteile der technischen Hilfsmittel von I 4.0 nutzen und neue Geschä�smodelle scha�en. Das fehlende Startkapital kann von Investoren – oder bei Spin-o�s durch Kapitalhilfe vom Mutterunternehmen – bescha� werden.

Hungrige Start-ups können so vom Start weg mit hoher Wett-bewerbsfähigkeit mit etablierten Wettbewerbern konkurrieren. Denn im Gegensatz zu ihnen müssen Start-ups keine Altlasten bewältigen, z. B. Investitionen in Maschinen und Anlagen, die für überholte Fertigungstechniken ausgelegt sind, abschreiben; Mitarbeiter auf die neuen Technologien umschulen; Au�au- und Ablauforganisation zeitaufwändig umstrukturieren etc. Damit werden sie auch als Übernahmekandidaten für etablierte Unternehmen interessant.

Aktuell übernahm General Motors die auf selbstfahrende Autos spezialisierte, 2013 gegründete Start-up-Firma Cruise Auto-mation in San Francisco mit 40 Mitarbeitern für 1 Mrd. US$. Zudem kündigte GM im Januar 2016 an, zusammen mit dem Fahrdienstanbieter Ly� eine Flotte von Roboter-Taxis zu ent-wickeln und dafür 500 Mio. US$ in die Technologie�rma zu investieren (Quelle: Spiegel Online v. 11.03.2016). O�ensicht-lich ist das erforderliche IT-Wissen so wichtig, dass es für den klassischen Autobauer GM schneller und billiger ist, dieses Wis-sen von Spezialisten zu kaufen und mit dem klassischen Auto-bauerwissen zu verbinden, als selbst zu entwickeln. Folgerichtig geben in diesem Bereich bereits jetzt IT-Spezialisten Richtung und Tempo im Geschä� für selbstfahrende Autos vor.

I-4.0-Grundsätze und -Hilfsmittel werden durch die Globalisie-rung weltweit verbreitet und fördern die Wettbewerbsfähigkeit von Start-ups gegenüber etablierten Unternehmen. Dabei haben hungrige Start-ups aus Schwellenländern noch zusätzliche Vor-teile:

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� Niedrige Personal- und Sozialkosten scha�en Wettbewerbs-vorteile, die jedoch durch schnellere Kostensteigerung als in Industrieländern in absehbarer Zeit verschwinden werden. Aber bis dahin bleiben sie eben bestehen. Diese Erfahrung haben deutsche Hersteller gemacht, nachdem sie aufgrund kurzfristiger Personalkostenvorteile Entscheidungen zu lang-fristigen Standortverlagerungen nach Osteuropa und Asien getro�en hatten.

� Wachstums�nanzierung durch höhere Kapitalverfügbarkeit aus gering besteuerten Gewinnen, aber auch aus staatlichen Finanzierungshilfen

� Exportförderung durch politische Wechselkurse, o� ver-stärkt durch weitere – o�ene oder verdeckte – Unterstüt-zungen wie: Steuererleichterungen und Exportsubventionen bei gleichzeitiger Behinderung ausländischer Anbieter auf den eigenen Binnenmärkten (z. B. inländische Mehrheit bei Gemeinscha�sunternehmen, Zugri� auf Patente und Know-how des Fremdinvestors bei gleichzeitig erschwertem Zugri� auf eigene Patente)

Die Nachteile sind aber meistens gravierend: begrenzte Hei-matmärkte in der Anlaufphase, begrenzte Verfügbarkeit von Fachleuten im Heimatland und begrenzter Wissenspool.

FazitDie Erfolgsfaktoren von I 4.0 für etablierte Unternehmen und Start-ups sind:

� höhere Geschwindigkeit, niedrigerer Zeitverbrauch und höhere Produktivität, mit der Unternehmen ihre Produkte erzeugen und zu ihren Kunden bringen können

� Kapitalfreisetzung aus Vorratsabbau, die den Cash Flow ver-bessert

� weitere Senkung der Produktkosten als Folge von niedrigeren Kalkulationssätzen durch Wegfall von Hierarchiestufen und Verringerung von nicht wertschöpfenden Zeiten in der ge-samten Wertschöpfungskette

� höhere Flexibilität, mit der auch große Unternehmen, Klein- und Kleinstserien wettbewerbsfähig produzieren und damit in Kernbereiche von KMU eindringen können

� Scha�ung von neuen Geschä�smodellen

5 I 4.0 ist für KMU eine besondere Herausforderung

KMU werden von der Europäischen Union wie folgt de�niert:

Kriterien Kleine Unternehmen

Mittlere Unternehmen(sofern sie nicht zu mindestens 25 % im Besitz eines Unternehmens oder mehrerer Unterneh-men stehen)

Jahresumsatz bis zu Mio. €

9 50

Jahresbilanzsumme bis zu Mio. €

10 43

Beschäftigte bis zu 49 249

Tab. 2: Größeneinteilung der Unternehmen. Quelle: ABl. der EU-Kommission L 124/36 vom 20.05.2003.

Unternehmen, die diese Kriterien überschreiten, sind demnach Großunternehmen. KMU haben in der deutschen Volkswirt-scha� eine großes Gewicht („German Mittelstand“). Sie

� repräsentieren über 99 % des Unternehmensbestandes (2015), � beschä�igen über 59 % der Sozialversicherungsp�ichtigen

(2013) � und erwirtscha�en knapp 37 % der umsatzsteuerp�ichtigen

Unternehmensumsätze (2013).(Quelle: Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn)

Dieses große Binnengewicht der KMU entspricht ihrem Gewicht bei zukun�sorientierten Entwicklungen innerhalb Deutschlands, aber nicht ihrem Gewicht im internationalen Vergleich:

Zukun�sorientierte Entwicklungen von KMU innerhalb Deutschlands:

� Innovation: 57 % der KMU haben von 2008 bis 2010 eine Produkt- oder Prozessinnovation auf den Markt gebracht.

� F&E: 2011 investierten KMU 9,5 Mrd. € in Forschung und Entwicklung. Das sind etwa 15 % der gesamten F&E-Aus-gaben in Deutschland.

� Ausbildung: KMU bilden über 84 % der Auszubildenden aus, das sind die Fachkrä�e von morgen.

� Geschä�spolitik: Mit einem Anteil der Familienunterneh-men von über 95 % verfolgen KMU eine langfristig orientierte Geschä�spolitik.

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� Umsatz: In 2011 erwirtscha�eten KMU einen Gesamt-umsatz von über 2,1 Bill. € (ohne die Umsätze von auslän-dischen Töchtern). Demgegenüber erwirtscha�eten die 30 DAX-Unternehmen im gleichen Jahr einen Umsatz von knapp 1,2 Bill. €.

(Quelle: Bundesministerium für Wirtscha� und Energie)

Zukun�sorientierte Entwicklungen von KMU im internationalen Vergleich: Während deutsche KMU bei der Häu�gkeit von Produkt- und Prozessinnovationen im internationalen Vergleich Spitzenplätze belegen, sind sie bei der Anzahl der angemeldeten Patente und beim Umsatzanteil neuer Produkte am Gesamtumsatz im euro-päischen Vergleich nur Mittelmaß. Die größten Innovations-hemmnisse sind

� hohe Innovationskosten und entsprechend hohe wirtscha�li-che Risiken sowie

� Fachkrä�emangel und fehlende Finanzmittel.(Quelle: 9. Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation [EFI] vom 17. Februar 2016)

Insgesamt bleibt die Innovationskra� im deutschen Mittelstand in den Jahren 2012 bis 2014 trotz leichter Erholung schwach (Quelle: Kf W-Innovationsbericht 2015). Das ist auch danach noch so. Deshalb veranstaltet der Deutschen Industrie- und Han-delskammertag (DIHK) zusammen mit der EU-Kommission in Berlin unter dem Titel: „Die Investitionslücke schließen – aber wie?“ am 24. Juni 2016 eine Konferenz. Dort sollen Ursachen und Lösungen der Innovationsschwäche behandelt werden. Im Vorfeld der Konferenz stellen die Veranstalter fest, dass „in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland 80 Milliarden Euro mehr pro Jahr investiert“ hätten werden müssen. „Nachholbedarf besteht sowohl beim Staat als auch seitens der Unternehmen“.Zwar veranlasst der steigende Wettbewerbsdruck deutsche KMU zur Einführung von I 4.0, stellt sie dabei aber gleichzeitig wegen ihrer Innovationsschwächen und ihrer begrenzten Res-sourcen vor große Herausforderungen.

(a) Herausforderung: Management Traditionell wird das obere Management in KMU von einer Per-son bis wenigen Personen repräsentiert, die mehrere Funktionen parallel übernehmen. Das mittlere Management ist meistens

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Abb. 1: Unterschiedlich schnelle Entwicklung der Eigenkapitalquote in KMU und Großunternehmen 1997–2013. Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung nach „Hochgerechnete Angaben aus Jahresabschlüssen deutscher Unternehmen von 1997 bis 2014“, Statistische Sonderveröffentlichung 5 der Deutschen Bundesbank.

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funktional organisiert: Verkauf, Entwicklung und Konstruk-tion, Produktion, Verwaltung, mit starker Konzentration auf die jeweiligen Bereichsfunktionen und mit wenig entwickelter Abstimmung zwischen den Unternehmensbereichen. Die Ver-besserung der Kommunikation – vertikal zwischen Geschä�s-leitung und Mitarbeitern, horizontal zwischen Technikern und Kau�euten – muss sich in vielen KMU erst noch entwickeln. Für die Bewältigung großer Gemeinscha�sprojekte wie I 4.0 ist sie aber unerlässlich.

Zudem fehlen in den meisten KMU leistungsfähige Stäbe, die bei der Analyse von Entwicklungen der Kunden, Märkte und Tech-nologie, bei der Festlegung ihrer Ziele und Strategien und bei der Gewinnung ihrer Mitarbeiter für ihre Ziele der Geschä�sleitung zuarbeiten und so die Geschwindigkeit von Anpassungspro-zessen und Produkt- und Verfahrensinnovation beschleunigen. Zudem steht an der Spitze von KMU häu�g ein Techniker, der die schneller werdende Produkt- und Verfahrensinnovation be-wältigt, aber entsprechend wenig Zeit und Energie für „weiche“ Faktoren wie Überzeugung der Mitarbeiter von den Unterneh-menszielen, von den erforderlichen Strategien dazu und deren Umsetzung zur Verfügung hat.

(b) Herausforderung: Fehlertoleranzen und Erfolgsdruck

Die im Vergleich zum Finanzbedarf von I 4.0 begrenzten Finanz-Ressourcen begrenzen auch die Fehler-Toleranzen, bei deren Überschreiten das Unternehmen gefährdet wird. Die abwarten-de Haltung vieler KMU zu I 4.0 wird vor diesem Hintergrund verständlich. Gleichzeitig erlauben aber Umfang und Zeitauf-wand für die Einführung von I 4.0 und die zu erwartende Wett-bewerbsverschärfung – auch wegen zunehmender Kleinserien-fertigung durch Großunternehmen – keine Verzögerung mehr. Dieses Dilemma kennzeichnet die Situation von KMU in Bezug auf I 4.0, es kann aber mit bestimmten Maßnahmen und Hilfs-mitteln bewältigt werden (s. das folgende Kapitel 6).

(c) Herausforderung: Finanzressourcen für die Investitionen in I 4.0

KMU haben in Deutschland im wichtigen Bereich der Eigen-kapitalausstattung seit 1997 den Abstand zu Großunternehmen deutlich verringert. Trotzdem lag 2012 ihre Eigenkapitalquote im Durchschnitt bei lediglich 24 %, für Großunternehmen bei knapp 30 % (Quelle: Institut für Mittelstandsforschung, Bonn). Es gibt also in beiden Bereichen eine Vielzahl von Unternehmen, die unter diesen Quoten liegen, die sich aber mit I 4.0 auseinan-dersetzen müssen.

Abb. 2: Private Equity-Finanzierung in Deutschland 2007–2016. Quelle: Veröffentlichung Ernst & Young zum Private Equity Markt 2016.

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Die Eigenkapitalquote ist für die Sicherung der wirtscha�lichen Unabhängigkeit eines Unternehmens eine wichtige Größe. Sie de�niert die Fähigkeit, Verluste aufzufangen, Kredite zu erhalten und – für KMU immer noch nur ausnahmsweise – Investoren zu akzeptablen Bedingungen zu gewinnen. Für I 4.0 bestimmt sie die Fähigkeit, Investitionen angemessen mit Eigenkapital zu �nanzieren. Diese Fähigkeit hat sich bei deutschen KMU seit 1997 kontinuierlich verbessert – schneller als bei Großunterneh-men. Demgegenüber steht die Mehrheit der KMU der Außen-�nanzierung immer noch skeptisch bis ablehnend gegenüber, weil sie das für sie hohe Gut der wirtscha�lichen Unabhängig-keit gefährdet. Bei der Außen�nanzierung überwiegt bei KMU immer noch die Bank�nanzierung.Die Eigenkapitalquote ist jedoch nur ein Indiz für die Finanzie-rungsfähigkeit von Investitionen in die technischen Hilfsmittel von I 4.0. Dagegen de�niert der Cash Flow die Finanzierungs-fähigkeit von Investitionen. Er ist die Summe der in einem Zeit-raum zuge�ossenen und nach Abzug der Ausgaben verfügbaren Finanzmittel (auch von Fremdmitteln, z. B. aus Bankkrediten) und bildet zusammen mit dem Finanzmittelfonds am Anfang des Zeitraumes die insgesamt für Investitionen verfügbaren Fi-nanzmittel. Dieser Fonds zeigt 2009 und 2010 für KMU und Großunternehmen deutliche Unterschiede (Quelle: Monats-bericht der Deutschen Bundesbank vom Dezember 2012):

Mrd. € in 2009 2010

KMU 122,0 143,2

Großunternehmen 145,3 219,0

Tab. 3: Verfügbare Finanzmittel in Großunternehmen und KMU 2009 und 2010. Quelle: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Dezember 2012.

Die Sicherung der wirtscha�lichen Unabhängigkeit ist ein häu-�ges, meist nicht ausdrücklich festgelegtes Unternehmensziel von KMU. Wenn also die Eigenkapitalquote sinkt, nach Verlust oder weil der Fremdmittelzu�uss (Krediterhöhung) den Fremd-mittelab�uss (Kredittilgung) übersteigt und damit die Bilanz verlängert, dann kann sie zur kritischen Größe für Investitionen werden. Auch Investitionen in I-4.0-Hilfsmittel müssen dann aus Unabhängigkeitsgründen innerhalb ihrer Nutzungsdauer mindestens die Eigenkapitalquote vor der Investition wieder her-stellen. Mit anderen Worten:

� Je höher die Eigenkapitalquote vor der Investition war, desto höher ist der Ertrag, den die Neuinvestition erwirtscha�en muss. Für ein Unternehmen mit niedriger EK-Quote kann also eine Investition rentabel sein, die für ein Unternehmen mit hoher EK-Quote nicht rentabel ist. Investiert es trotzdem, z. B. aus Wettbewerbsgründen, dann erfordert das Unabhän-gigkeitsziel vor der Investition die Festlegung einer Strategie

zur Steigerung der Rentabilität, die anschließend auch umge-setzt wird. Wird die vorherige Eigenkapitalquote nicht min-destens erreicht, dann steigen Verschuldung und Abhängig-keit mit wachsender Investition.

� Für KMU ist nicht nur entscheidend, in welchen Schritten und in welchem Tempo sie in I 4.0 investieren, sondern auch, wie sie die Finanzmittel bescha�en, in welche Abhängigkeit sie sich dazu begeben und welchen Ertrag sie damit erwirt-scha�en.

Bis 2013 überwog in Deutschland die Banken�nanzierung die Private-Equity-Finanzierung als Eigenkapital-Finanzierung von nicht börsennotierten Unternehmen deutlich (Basel III mit här-teren Au�agen für das Kernkapital für Banken und mit erhöhten Anforderungen an Kreditnehmer trat am 01. Januar 2014 in Kra�). Insgesamt lag das PE-Volumen in Deutschland in 2015 mit 15,7 Mrd. € deut-lich über dem von 2014 mit 10,2 Mrd. € und über dem von 2013 mit 12,9 Mrd. €, aber immer noch deut-lich unter dem Volumen unmittelbar vor Beginn der Finanzkrise im August 2007, als die Zinsen für Interbank- Finanzkredite in den USA sprungha� anstiegen. Doch schon in 2013 ent�elen bei PE-Gesellscha�en in Deutschland 40 % ihrer Beteiligungen auf natürliche Personen, im Wesentlichen auf KMU (Quel-le: Leibniz-Institut für Länderkunde, Nationalatlas aktuell v. 26.08.2015).

Fazit Wirtscha�liche Unabhängigkeit ist für KMU ein hohes Gut. Entsprechend groß ist ihr Erfolgsdruck, die Chancen von I 4.0 schnell zu nutzen und die Wettbewerbsfähigkeit zu halten / zu verbessern.

6 KMU kommen mit smarten Strategien zur smarten Fabrik

KMU haben – wie große Unternehmen auch – „Industrie 3.0“ in unterschiedlichem Maße umgesetzt und damit auch ihre Fähigkeit zur Bewältigung der Herausforderungen von I 4.0 unterschiedlich gut ausgebildet. Unternehmen mit entsprechen-den De�ziten bei ihrer Organisation, aber auch bei ihrer Eigen-kapitalausstattung (s. Kapitel  5 c) können vor Einführung von I 4.0 ungenutzte Ertragsspielräume der vorhandenen Ressourcen nutzen und mit smarten Strategien zur smarten Fabrik in I 4.0 kommen:

� Strategien, um die smarte Fabrik von I 4.0 erfolgreich vorzubereiten.

� Strategien, um die smarte Fabrik von I 4.0 erfolgreich einzuführen.

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(a) Strategien, um die smarte Fabrik von I 4.0 erfolg-reich vorzubereiten

Untersuchungen in den USA zeigen, dass sich Hersteller bereits durch intensive Nutzung klassischer IT-Lösungen dynamischer und erfolgreicher entwickeln als Unternehmen, die das nicht tun (s. Andrew McA�ee und Eric Brynjolfsson: „Wie IT zum strategischen Vorteil wird“, Harvard Business Manager, Oktober 2008, S 25 �.).

Die folgenden Strategien können Geschä�sführern von KMU bei der Feststellung helfen, wo es in ihrem Unternehmen Ansatz-punkte zur Verbesserung ihrer Produktivität und Erträge gibt, die sie mit den Mitteln von I 3.0 umsetzen können, bevor sie I 4.0 einführen.

Ertragsspielräume durch Außenvergleiche sichtbar machenIn Außenvergleichen vergleichen Unternehmen wichtige Kri-terien mit Konkurrenten, Branchenführern und Branchen-durchschnitten. In der folgenden Tabelle ist das beispielha� die Umsatzrendite nach Steuern. Ein mittelständischer Maschi-nenbauer mit einer Umsatzrendite von 4 % nach Steuern hat so festgestellt, dass er lediglich im Branchendurchschnitt liegt. Nachdem er seine Terminsteuerung und Disposition gezielt ver-bessert hat, konnte er seine Produktivität um über 20 % steigern und seinen Gewinn nahezu verdoppeln. Gelungen ist das ohne Neuinvestition, also mit seinen bereits vorhandenen Ressourcen.

Branche Umsatzrendite nach Steuern in % gesamte Erträge für Unternehmen mit Jahresumsatz …

10 bis unter 50 Mio. € (KMU)

≥ 50 Mio. € (Großunternehmen)

Maschinenbau 3,7 5,0

Herstellung von Datenverarbei-tungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen

4,2 6,0

Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen

2,2 11,8

Herstellung von Möbeln

0,7 1,6

Tab. 4: Umsatzrendite nach Steuern 2013 für Kapitalgesellschaften von 10 bis unter 50 Mio. € und ≥ 50 Mio. € Jahresumsatz in aus-gewählten Branchen. Quelle: Deutsche Bundesbank, Statistische Sonderveöffent-lichungen Nr. 5 und eigene Berechnungen.

Generell verfügen deutsche KMU über gut ausgebildete Mit-arbeiter und moderne Fertigung und stellen damit hochwertige Produkte her, die ihre Kunden auch kaufen. Dann ist aber die Frage, warum sie mit diesen ausgezeichneten Ressourcen keine besseren Gewinne erwirtscha�en, beispielsweise im Maschinen-bau 5–10 % n. St. anstatt knapp 4 % n. St. Wie der vorher zitierte Maschinenbauer können das viele KMU mit besserer Organisa-tion der vorhandenen Ressourcen erreichen, damit den Einstieg in I 4.0 hinausschieben und ihre �nanziellen Ressourcen für die Investition in I 4.0 verbessern.

Sehr viel genauere Hinweise als die Umsatzrendite auf die Größe der Ertragsspielräume und darauf, wo sie sich be�nden, gibt der Außenvergleich beim Verhältnis der beiden Schlüsselgrößen Material- und Personalkosten zur Gesamtleistung. Nach unserer Erfahrung liegt dieses Verhältnis für mittelständische Spitzen-produktionsunternehmen unter 70 % der Gesamtleistung, im Branchendurchschnitt 2013 für KMU-Kapitalgesellscha�en je-doch bei 79,5 % (Quelle: Deutsche Bundesbank und eigene Be-rechnungen). Beide Größen kennzeichnen die Fertigungstiefe. Je höher der Materialkostenanteil an der Gesamtleistung ist, desto niedriger muss der Anteil der Personalkosten sein. Die 70 % der Gesamtleistung übersteigenden Material- und Personalkosten sind Ertragspotenziale bei den beiden Kostenblöcken, die vor dem Einstieg in I 4.0 genutzt werden können.

Verfahren, um Ertragsspielräume durch Vertriebs-maßnahmen auszufüllenEine in der Praxis bewährte, gute Hilfe ist das folgende Portfolio. Es verbindet die Ertragskra� von Produkten mit ihren zukün�i-gen Marktchancen. Für unsere Beratung haben wir die Portfolio-idee für KMU angepasst, weil auch IT-Inseln bei Stücklisten, Ar-beitsplänen, Zeitaufschreibungen in der Fertigung, Kalkulationen und Ausgangsrechnungen für die Verbesserung der Erträge ausrei-chen. Falls erforderlich, können die notwendigen Verknüpfungen dazu in KMU auch in Nebenrechnungen erfolgen. Das Ergebnis ist dann eine gute Grundlage für ihre neue Marketingstrategie, um damit die festgestellten Ertragsspielräume auszufüllen.

Ein Hersteller von Kunststo�-Konsumgütern strukturierte mit dem Portfolio sein Produktprogramm und auch seine Kunden nach Ertragskra�, ausgedrückt in Wertschöpfung pro Fer-tigungsstunde, und nach Zukun�seinschätzung der Marktchan-cen. Die jeweilige Einteilung in hoch und niedrig führte zu 4 Quadranten mit jeweils 3 Kriterien, die Produkte, Produktgrup-pen und Kunden umfassend beschrieben: %-Anteil am Umsatz, %-Anteil am Deckungsvolumen (als Summe der Deckungsbei-träge), und %-Anteil an der Fertigungszeit, jeweils bezogen auf das gesamte Unternehmen. Danach ergab sich das folgende Bild (beispielha� dargestellt für die 20 größten Kunden):

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Aufgrund des Portfolioergebnisses wurden die Fertigungszeiten der Produkte in Quadrant 4 mit Design- und Fertigungsmaß-nahmen deutlich gesenkt, die Produkte in Quadrant 3 mit einem Zeitsenkungs- und Relaunch-Programm bearbeitet und alle gemeinsam in den Quadranten 2 befördert. Der Ertrag wur-de darau�in wesentlich verbessert. Entscheidend für das mittel-ständische Unternehmen war außerdem, dass dazu die bereits vorhandenen Ressourcen lediglich besser organisiert werden mussten, also keine Neuinvestitionen erforderlich waren. Der Königsweg für Marketing und Vertrieb bleibt jedoch, Pro-dukte mit Alleinstellungsmerkmal, hoher Ertragskra� und gu-ten Zukun�saussichten zur Vermeidung des Wettbewerbsdrucks zu entwickeln und zu vermarkten.

Change-Management-Projekte erfolgreich durchführenUmfragen zeigen: Höchstens 50 % der CM-Projekte erreichen ihre Ziele, bei IT-Projekten sogar nur ca. 30 % (Quelle: IT-Pro-jektmanagement Methoden, Symposion Publishing GmbH, Düsseldorf, 2012, 1. Au�age, S. 416). Als Hauptgründe wurden festgestellt:

� Genaue Zielvorgaben fehlen � Aber selbst wenn es für Change-Management-Projekte (CM-

Projekte) genaue Zielvorgaben gibt, können sie trotzdem scheitern, und zwar an der Umsetzung.

Für CM-Projekte gehen wir in unserer Beratung nach den fol-genden acht Schritten vor. Davon sollten die ersten fünf von der Geschä�sleitung durchgeführt werden.

1. Zielvorgaben: Was wollen wir erreichen? � Ziele – evtl. Teilziele des Gesamtprojektes „Einführung von

I 4.0“ – einfach und verständlich de�nieren, � in Zahlen festlegen, � Projektende z. B. der Einführung von I 4.0 festlegen (das Ge-

samtprojekt „Wettbewerbsverbesserung“ ist nie zu Ende) und � Ziele nicht per Abstimmung festlegen: Sie führen erfahrungs-

gemäß nur zum kleinsten gemeinsamen Nenner und sind da-mit der bequemste Weg für die Akteure, aber nicht der erfolg-reichste für das Unternehmen.

2. Begründung: Warum wollen wir das erreichen?CM-Projekte bedeuten die Abkehr von bisherigen Zielen. Wenn die Geschä�sleitung erwartet, dass die Mitarbeiter sich für die neuen Ziele engagieren, muss sie begründen, warum die bisheri-gen nicht mehr gelten. Die Begründung fällt der GL von KMU besonders schwer, weil sie die Ziele, die sie jetzt aufgibt, meistens persönlich festgelegt hat. Umso notwendiger ist die Begründung der Veränderung für den zukün�igen Erfolg des Unternehmens.

3. Festlegen der Strategie: Wie wollen wir das erreichen?

Die Strategie wird von der GL � in großen Zügen entwickelt und von (internen

oder externen) Fachleuten im Detail ausgearbeitet und � einfach und verständlich formuliert.

4. Ressourcen klären: Welche Ressourcen brauchen wir?

Die GL klärt die erforderlichen personellen, technischen und �nanziellen Ressourcen und ob sie verfügbar sind oder erst noch bescha� werden müssen. Die Bescha�ung zusätzlicher Ressourcen ist nicht erforderlich, wenn die bereits vorhandenen

Abb. 3: Die 20 größten Kunden gesamt: ProduktAnalyse der 20 größten Kunden eines Herstellers von Kunststoffartikeln. Quelle: Eigene Darstellung.

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besser organisiert werden. In diesem Anfangsstadium des Ver-änderungsprozesses kann es zielführend sein, dass knappe, nicht schnell genug zu bescha�ende Ressourcen das Ziel und / oder die Strategie modi�zieren.

5. Präsentation und Diskussion: Welche Alternativen gibt es?

In diesem Projektschritt präsentiert die GL ihren Fachleuten (in KMU den Bereichsleitern bzw. den Mitgliedern des Führungs-kreises) ihre Vorstellungen und fordert zu alternativen Ideen auf. Dieser demokratische Vorgang ist zeitaufwändig, aber wichtig für den Projekterfolg und wirtscha�licher und e�zienter als zen-trale Planungen, die diese Auseinandersetzung mit Alternativen nicht oder verspätet durchführen und damit ohnehin knappe Ressourcen vergeuden.

Die wichtigsten Vorteile dieser frühen Auseinandersetzung:

� Sie zwingt die GL und ihre Fachleute zum intensiven Durchden-ken der geplanten Ziele, Strategien und verfügbaren Ressourcen.

� Sie kann Schwächen frühzeitig erkennen und falls erforderlich zur Modi�zierung des ursprünglichen Ziels der GL führen.

� Sie macht Vorstellungen der GL zu gemeinsamen Vorstellungen der Fachleute.

6. Gemeinsamer Beschluss: So machen wir das!Bei strategischen Veränderungen mit langfristigen Zielen und Stra-tegien ist Einstimmigkeit der Fachleute erforderlich. Das bedeutet:

� Berechtigte Einwendungen und Alternativen werden durch-dacht und modi�ziert. Am Ende steht ein von allen akzep-tiertes Ergebnis für Ziel und Strategie.

� Führungsmitglieder, die das Ergebnis trotzdem nicht ak-zeptieren, eigene Ideen nicht durchsetzen können, aber sich nicht mit aller Kra� für den Erfolg der beschlossenen Ziele und Maßnahmen einsetzen, sollten von diesem Projekt abge-zogen werden. Das kann bis zur Aussprechung der Kündi-gung gehen.

7. Arbeitsteilung und grober Terminplan: Wer macht was bis wann?

Die Arbeitsteilung ergibt sich aus der Zuständigkeit der einzel-nen Bereichsleiter bzw. Abteilungeleiter für die einzelnen Pro-jektabschnitte; End- und Zwischentermine ergeben sich aus der Zielvorgabe der GL und den beschlossenen Modi�zierungen, Zwischentermine aus Rückrechnungen vom Endtermin her.

8. Umsetzung: Wie machen wir aus einem geplanten Projekt ein erfolgreiches Projekt?

Die Umsetzung macht aus Planung Gemeinscha�saktionen, die nach Inhalt und Termin vorgegeben werden. Störfälle sind nicht planbar, aber erfahrungsgemäß zu etwa 50 % rechtzeitig vorhersehbar. Ihre Vermeidung braucht – ebenso wie ihre nach-trägliche Behebung – eine Plattform (z. B. eine Clearingstelle, s. unten) und Mitunternehmer, die Störungen mit schnellen Entscheidungen vor Ort vermeiden und beheben können.

Strategie: Aus Mitarbeitern Mitunternehmer machen Mitunternehmer sind nicht alles – aber ohne sie ist alles nichts!Die beschriebenen acht Schritte führen nach unserer Erfahrung erst zum vollen Erfolg, wenn die GL ihren Mitarbeitern Verant-wortung delegiert und ihnen die erforderliche Entscheidungs-befugnis dafür gibt. Das wurde auch bei dem oben zitierten Maschinenbauer durchgeführt. Neben anderen Maßnahmen war das eine der Voraussetzungen, um die Ausgangsrendite von 4 % nach Steuern nahezu zu verdoppeln. Mitarbeiter, die vor jeder Entscheidung die Einwilligung vom „Chef “ einholen müssen, reagieren für schnelle Entscheidungen zu langsam. Der Zeitgewinn, den sie mit viel Mühe in ihrer Wertschöpfungskette erwirtscha�et haben, versickert in schwerfälligen, teuren und in-e�zienten Hierarchien.

Damit dies nicht geschieht, brauchen KMU für ihre Verände-rungen Mitunternehmer, die vor Ort selbständig entscheiden und die bisherigen Mitarbeiter ablösen. Der Chef duldet dann starke Mitunternehmer nicht nur, er fördert und fordert sie. Mitunternehmer brauchen ihrerseits eine „Kultur der Fehler-tolerierung“, die Fehlentscheidungen nicht sofort mit Sank-tionen belegt. Ein solcher Führungsstil würde das notwendige Selbstbewusstsein der Mitunternehmer durch Angst ersetzen.Die folgenden Maßnahmen von GL und Vorgesetzten haben sich in der Praxis gut bewährt:

� Weiterbildung, um den richtigen Umgang mit neuen Infor-mationen, Techniken und Prozessen sicherzustellen.

� Unterstützung, besonders bei Projektschritt 8. Das heißt wird bei au�retenden Schwierigkeiten Hilfe gebraucht, dann wird sie auch möglichst gewährt; nicht nur von Vorgesetzten, sondern von den vor- und nachgelagerten Kollegen „auf dem kleinen Dienstweg“ innerhalb der Clearingstelle.

� Clearingstellen scha�en, in denen sich die für das Projekt zuständigen Fachleute regelmäßig tre�en und die Störfälle besprechen und lösen, die den Erfolg des CM-Projektes ge-fährden werden oder bereits gefährdet haben. Gegenstand der Gespräche und Beschlüsse sind also die voraussichtlich und tatsächlich problematischen Abläufe, die ohne Eingri�

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Management

den Projekterfolg gefährden würden. Projekt-„Vorschau“ löst Projekt-„Nachschau“ ab.

� Kultur der Fehlertolerierung wird auf allen Ebenen und in allen Bereichen praktiziert. Sie setzt Fehleranalyse voraus, fragt aber nicht, wer ist schuld? sondern was ist schuld? und veranlasst, dass die Ursache abgestellt wird.

Die Maßnahmen können nicht – wie die Hilfsmittel für I 4.0 –gekau� werden, sondern sind in der gesamten Wertschöpfungs-kette vom Unternehmen selbst zu organisieren und umzusetzen,

� weil die Entwicklung von Mitarbeitern zu Mitunternehmern durch Learning by Doing eingeübt werden muss,

� weil erfahrungsgemäß nur wenige Mitarbeiter mehr Verant-wortung übernehmen wollen, um sich zu Mitunternehmern zu entwickeln und

� weil der Zuwachs an Verantwortung und Entscheidung der neuen Träger von den bisherigen Trägern abgegeben werden muss.

Das gilt besonders für die Verschlankung der Au�auorganisa-tion. Sie kann bereits vor Einführung von I 4.0 erreicht werden. Dazu braucht es �ache, e�ziente Hierarchien, die Entschei-dungen auf Mitunternehmer auf der niedrigstmöglichen Ebene verlagern. KMU können dazu nach dem folgenden bewährten 3- bis maximal 4-Stufen-Schema verfahren:

1. Stufe: Geschä�sleitung 2. Stufe: Führungsebene, eventuell nach klassischen

Funktionen gegliedert 3. Stufe: Ausführende Mitarbeiter / Werker (4. Stufe: Ausnahmsweise eine weitere Ebene)

Für die E�zienz und Arbeitsgeschwindigkeit der Hierarchien ist entscheidend, dass die Funktionen ohne wertschöpfende Pro-zesse abgebaut werden. Dagegen bringen gleichbleibende Funk-tionen, die formal lediglich von x auf 3 Stufen verringert werden, außer Unruhe keine Veränderung.

(b) Strategien, um die smarte Fabrik von I 4.0 erfolgreich einzuführen

Ein wachsender Teil der Informationen wird in I 4.0 mit kom-plexer werdender So�ware so erzeugt und strukturiert, dass Entscheidungen zwingend sind und deshalb gleich von den in-formationsverarbeitenden Maschinen getro�en werden. Das be-tri� z. B. Arbeitsplatzbelegungen, termingerechte Bescha�ung der erforderlichen Materialien und Teile und deren rechtzeitigen Transport an die Arbeitsplätze, Suchen von Ausweichlösungen bei Störungen der ursprünglichen Planung, Organisation der termingerechten Umrüstung etc.

Ein anderer Teil der Informationen in I 4.0 wird weiterhin Entscheidungen durch Menschen brauchen, vor allem Infor-mationen über plötzlich au�retenden Werkzeug- und Maschi-nenbruch, über plötzliche Krankheitsfälle etc., die sofortige Ent-scheidungen erfordern. Für beide Teile der Information werden Entscheidungen schnel-ler als bisher fallen.

Vorteil der Geschwindigkeit nutzenWer I 4.0 zuerst einführt, kann die Vorteile zuerst nutzen. Aber: Wenn alle Konkurrenten I 4.0 eingeführt haben, ist der Wett-bewerbsunterschied wieder so groß wie vor der Einführung. Doch bis dahin haben die Früheinführer entscheidende Vorteile:

� Im Unternehmen entstehen durch den schnellen, ursprüng-lichen Nutzen schnelle Folgenutzen und damit die Chance für neue Geschä�smodelle.

� Auf dem Markt können die Früheinführer den Späteinfüh-rern Marktanteile abnehmen oder sie sogar ganz vom Markt verdrängen. In beiden Fällen können sie durch Geschwindig-keit neue Ertragspotenziale nutzen.

Die größten Nutzenpotenziale zuerst ausschöpfenAuch Unternehmen, die Produkte mit Alleinstellungsmerkmal und mit starken Marken herstellen, gewinnen zusätzlich zu ih-rem USP Erträge aus Kostenreduzierungen, die durch die besser koordinierte Zusammenarbeit von Mensch, Technik und Orga-nisation in I 4.0 möglich werden. Zusätzlich zur Kostenreduzierung entsteht Folgenutzen durch die Verknüpfung

� von Kernkompetenzen miteinander zu neuen Kernproduk-ten und

� von neuen Kernprodukten mit Kundenbedürfnissen zu neu-en Endprodukten für neue Märkte.

Beide entstehen durch neue technische Fähigkeiten und Tech-nologien in I 4.0, und beide scha�en größeres Wachstum (ca-pitalization e�ect, Modell von Aghion und Howitt 1994), ver-bessern Wettbewerbsfähigkeit und Ertrag und können zu neuen Geschä�smodellen führen, die wir uns heute noch nicht vorstel-len können. Sie dürfen jedoch keine ungeplanten Insellösungen scha�en.

Insellösungen intelligent nutzen Insellösungen bringen dann wirtscha�liche Vorteile, wenn sie nach einem vor Projektbeginn von I 4.0 festgelegten Gesamt-plan angelegt und später ohne Nutzenverlust miteinander zu einer einheitlichen Lösung verbunden werden. Inseln mit nicht aufeinander abgestimmten Inhalten und Schritten sind dagegen

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sehr teuer, weil Anpassungskosten nicht mehr planbar sind, des-halb unkontrolliert steigen und zu einem „Fass ohne Boden“ werden. Außerdem erreichen sie ihre Ziele meist nie und ent-mutigen damit alle Beteiligten. Eingebunden in einen Gesamt-plan können sie jedoch eine intelligente Strategie sein, weil sie den Einführungsaufwand zeitlich strecken, laufend Teilnutzen realisieren und damit zumindest einen Teil des Geldes für den nächsten Schritt verdienen. Außerdem spornen Teilerfolge die Beteiligten erfahrungsgemäß zu weiteren Anstrengungen an. Im Gegensatz dazu bleiben ausbleibende Erfolge im Gedächtnis und können so bei den Akteuren bewirken, dass sie sich auch bei Folgeprojekten nicht mehr engagieren.

Neues Geschäftsmodell entwickelnFähigkeiten eines Unternehmens, die seine Wettbewerber nicht haben, die aber zu Produkten oder Dienstleistungen führen, für die es einen Markt gibt (Kernkompetenz), können zu einem neuen Geschä�smodell oder zu einem neuen strategischen Ge-schä�sfeld innerhalb oder außerhalb des bisherigen Unterneh-mens entwickelt werden.

Kernkompetenzen weisen drei unterschiedliche Kriterien auf (Quelle: Lombriser / Abplanalp: Strategisches Management, 2. Au�age, Zürich 1998, S. 158):

� Multiplikatore�ekt: Er ermöglicht den Zugang zu weiteren Geschä�sfeldern / Geschä�smodellen.

� Kundennutzen: Er steuert die Kaufentscheidung des Kunden. � Imitierbarkeit: Kernkompetenzen sind für Dritte schwer zu

kopieren, weil sie auf der Kombination von verschiedenen Technologien, individuellen Produktionsfertigkeiten und -organisationen basieren.

Systematisch erfasste und genutzte Kernkompetenz kann die Grundlage für zukün�ige Geschä�e werden. Diese kann der Gründer realisieren, wie das bei Tesla und Google der Fall ist. Sie kann aber auch für einen Übernehmer interessant sein, wie das bei General Motors mit der Übernahme des Start-ups Cruise Automation und den gemeinsam mit Ly� entwickelten Robo-ter-Taxis der Fall ist (s. Kapitel 4). Für GM können daraus zwei neue Geschä�sfelder entstehen.

Aus einer Kernkompetenz entsteht jedoch nur dann ein neues Geschä�sfeld oder Geschä�smodell, wenn sie mit Marketing- und Vertriebsmaßnahmen erfolgreich an den Markt gebracht wird. Gelingt das nicht, entsteht kein Geschä�sfeld. Es bleibt bei ungenutzter Kernkompetenz, wie das bei den nachfolgenden KMU – Schmuckhersteller und Ziegelei – wegen fehlender Fi-nanzressourcen beispielha� der Fall war:

� Der Schmuckhersteller hat sich auf das Design und die Fertigung von hochwertigem Gold- und Platinschmuck spezialisiert. Für die Herstellung von klassischem Jugendstil-Goldschmuck ver-fügte er aus früherer Produktion noch über alte Fertigungs-fähigkeiten, z. B. Heißemaillieren von Platinschmuck, Biegen von nicht massiven Armreifen etc. Wegen fehlender Finanz-ressourcen ist daraus kein Geschä�sfeld entstanden.

� Die Ziegelei stellte klassische Produkte wie Hochlochziegel, Dachziegel etc. her. Das Unternehmen hat außerdem spe-zielle Lochziegel entwickelt, die Schallwellen schlucken und lärmbelastete Schienen- und Straßenwege von angrenzenden Wohn- und Naherholungsgebieten besser und billiger als an-dere Verfahren abgrenzen können. Sowohl für die Investition in Fertigungsanlagen als auch in Marketing- und Vertriebs-maßnahmen fehlten die �nanziellen Ressourcen. Es entstand kein neues Geschä�sfeld.

Bei Weiterführung dieses Gedankens wird die Entwicklung neuer Geschä�smodelle, die mit I-4.0-Hilfsmitteln schnell aus-gestattet und dann verkau� werden, selbst zum Geschä�smodell. Start-ups werden dann nicht gegründet, um nach ihrer Markt-einführung von ihren Gründern weiterbetrieben zu werden, sondern um an Übernehmer mit Gewinn verkau� zu werden. Die Aussicht auf schnellen Gewinn verdrängt die mit der Ka-pitalbescha�ung verbundene Furcht vor Abhängigkeit und vor dem möglichen Scheitern des Start-up-Unternehmens.

Wenn andererseits kapitalkrä�ige Investoren systematisch nach Übernahmekandidaten suchen, die in ihr Portfolio passen (stra-tegischer Investor) oder schnellen Verkaufsgewinn versprechen (Finanzinvestor), und sie mit I-4.0-Hilfsmitteln zu schnellem Ertrag bringen, ist das ebenfalls ein Geschä�smodell – prakti-ziert von kapitalstarken Investoren, aber jetzt, in Verbindung mit I 4.0, mit größeren und schnelleren Ertragsaussichten.

Fazit:Aus unterschiedlichen Gründen haben noch nicht alle Un-ternehmen die wirtscha�lichen Möglichkeiten von I 3.0 aus-geschöp�. Wenn sie das nachholen, können sie ihre �nanziellen, personellen, technischen und organisatorischen Ressourcen für I 4.0 vorbereiten und damit die Chancen für die erfolgreiche Einführung und Nutzung von I 4.0 verbessern. Dann sind die Früheinführer gegenüber den Späteinführern im Vorteil.

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7 Zusammenfassung

Industrie 4.0 will mit neuen Technologien Kosten senken, die Wettbewerbsfähigkeit von Produktionsunternehmen verbessern und neue Geschä�smodelle entwickeln. Die Erfolgsfaktoren für diese Ziele sind:

� höhere Geschwindigkeit, niedrigerer Zeitverbrauch und hö-here Produktivität,

� Kapitalfreisetzung aus Vorratsabbau wegen schnellerer Pro-duktionsdurchläufe,

� weitere Senkung der Produktkosten durch Wegfall von Hie-rarchiestufen und Verringerung von nicht wertschöpfenden Zeiten in der gesamten Wertschöpfungskette, die auch Liefe-ranten und Kunden einschließt,

� höhere Flexibilität, mit der auch große Unternehmen Klein- und Kleinstserien wettbewerbsfähig produzieren und damit in Kernbereiche von KMU eindringen können sowie

� Verbindung von neuen und bereits vorhandenen Kernkom-petenzen und Kernprodukten mit Kundenbedürfnissen zu Geschä�smodellen, die es heute noch nicht gibt.

I 4.0 bietet dazu Hilfsmittel an, die IT-basierte Maschine-zu-Maschine-Entscheidungen ermöglichen. Sie erfordern Inves-titionen, über deren Höhe und Einführungszeitpunkt jeder Geschä�sführer unter seinen Bedingungen entscheiden muss. Deshalb ist zu erwarten, dass sich viele KMU vor ihrem Ein-stieg in I 4.0 einen Überblick über die Höhe der Investition und über Ort und Größe ihrer nutzbaren Potenziale zur internen Bescha�ung des erforderlichen Eigenkapitals aus höheren Ge-winnen verscha�en und sie mit I 3.0 nutzen. Dazu �nden ihre Geschä�sführer in dieser Abhandlung in der Praxis bewährte Strategien und Verfahren ebenso wie praktikable Maßnahmen für die „smarte“ schrittweise Einführung von I 4.0 selbst.

Dazu sind technische Hilfsmittel erforderlich. Aber für die schnelle und vollständige Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten braucht I 4.0 in steigendem Maße zusätzlich mitdenkende und vor Ort entscheidende Mitunternehmer, die das Projekt I 4.0 im erforderlichen Tempo zum Erfolg führen.

Weitere Informationen: www.schaefer-optimierung.de

LiteraturverzeichnisAghion und Howitt: Capitalization e�ect, Modell von 1994. Bild der Wissenscha�: �emenhe� 2016 „Die Challenge“, S. 16 �. börsenNEWS.de (11.02.2016). Deutsche Bundesbank: Monatsberichte 2006; 2012; Statistische Sonderverö�ent-

lichungen Nr. 5 und eigene Berechnungen und Darstellung. DIHK: Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zusammen mit der

EU-KommissionBundesministerium für Wirtscha� und Energie: 9. Jahresgutachten der Experten-

kommission Forschung und Innovation [EFI] vom 17.02.2016. Ernst & Young: Private Equity Markt 2016. EU-Kommission: ABl. L124/36, v. 20.05.2003. General Agreement on Tari�s and Trade: GATT, v. 01.01.1948; Stand: November

2015, 162 Mitglieder. Harvard Business Manager: Oktober 2008, S 25 �; Andrew McA�ee; Eric Bryn-

jolfsson: „Wie IT zum strategischen Vorteil wird“. IFM: Institut für Mittelstandsforschung, Bonn. Kf W: Innovationsbericht 2015. Leibniz-Institut für Länderkunde: Nationalatlas aktuell v. 26.08.2015. Lombriser, R.; Abplanalp, P. A.: Strategisches Management, 2. Au�age, Zürich

1998, S. 158. Spiegel-Online: v. 11.03.2016; v. 05.05.2016. Symposion Publishing GmbH: IT-Projektmanagement Methoden, Düsseldorf,

2012, 1. Au�age, S. 416.

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Industrie 4.0: „Neuer Wett bewerb – Kapital vs. Innovation“

Oliver Brehm

1 Einleitung

Eine Vielzahl von Experten beschä�igt sich mit dem Begri� „In-dustrie 4.0“ und dessen Bedeutung. In diesem Kontext stößt man dann sehr schnell auf den Begri� „vierte industrielle Revolution“. Das eigentlich revolutionäre an der vierten industriellen Revo-lution ist das vehemente Aufeinandertre�en ehemals getrennter Wirtscha�szweige und damit letztlich immer das Aufeinander-tre�en von Kapital und Innovation. Innovation heißt wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“[1]. Umgangssprachlich versteht man unter Innovation meist eher neue Ideen oder Er�ndungen und deren Umsetzung. In Wahrheit resultieren Innovationen jedoch erst dann aus umgesetzten Ideen, wenn diese nicht nur umgesetzt, sondern auch wirtscha�lich sinnvoll umgesetzt wer-den konnten und Anwendung in Verbindung mit einer gewissen Marktdurchdringung erfahren haben.Im betrieblichen Sinne unterscheiden wir zwischen unterschied-lichen Formen der Innovation:

1.1 Innovation nach „innen“

Dahinter verbirgt sich die simple Beschä�igung mit der Frage: „Wie mache ich, was ich mache …?“. Hier rüttelt man nicht sofort an den Grundfesten der bisherigen Geschä�smodelle, sondern überlegt sich im Detail, wie man in kleinen evolutionären Schrit-ten das bisherige Produkt verbessern, die Herstellung e�zienter gestalten und damit das bisherige Geschä�smodell stützen oder gar zementieren kann. Die Innovation nach innen dient in den schnelllebigen Zeiten der letzten Dekade also letztlich dazu, den Status zu erhalten. Dasselbe tun wie bisher, nur besser, um sich auch weiterhin am Markt behaupten zu können.

1.2 Innovation nach „außen“

Eine andere Form der Innovation ist die Innovation „nach außen“. Hier stellen sich die Fragen: „Was will ich kün�ig ma-chen …? Welches Produkt möchte ich herstellen? Welches Ge-schä�smodell steckt dahinter? Geht die Einführung eines neuen Geschä�smodells einher mit einer Art Kannibalisierung des vorherigen oder ergänzen sich die beiden Engagements, mögli-cherweise sogar in unterschiedlichen Zielmärkten?“

Wenn man die Industrie 4.0 mit etwas Abstand, und vor allem aus technischer Sicht, betrachtet, o�enbart sich schnell, dass In-dustrie 4.0 über weite Strecken eine Kombination von bestehen-den Ideen mit aktuellen Technologien verknüp� und sich allein hieraus neue Möglichkeiten ergeben. Vieles ist also gar nicht so neu, nur kann man mit den heutigen Möglichkeiten der Ver-netzung und einem hohen Maß an Digitalisierung erstaunliche E�ekte erzielen. Dies konsequent weitergedacht und umgesetzt führt dazu, dass die Industrie 4.0 der Innovationstreiber der kommenden Dekade sein wird.

2 Geschäftsmodelle

Die bisherigen Geschä�smodelle etablierter Unternehmen in der „alten Welt“ sind stark produktionslastig, also geprägt vom „Verdienen mit Dingen“. Für Heerscharen kleiner Zulieferer im Dunstkreis der großen Industrieunternehmen ist die Welt in Ordnung, wenn sie ihr Geld mit Dingen verdienen, welche sie kontinuierlich verbessern und diese möglichst auch kontinuier-lich produziert werden.Es muss ein Umdenken statt�nden, nicht nur bei den großen Konzernen, sondern auch im Mittelstand, hin zu einem Motto: „Verdienen mit Daten“. Es muss nicht immer gleich der radikale Ansatz sein, also die Wandlung eines produzierenden Unterneh-mens hin zum reinen Dienstleister. Aber prinzipiell muss man sich kün�ig schon mit Paradigmenwechseln beschä�igen, die wenigstens ein Nebeneinander von Produktion und Dienstleis-tung ermöglichen.Scha� man es nicht, diese Hürde zu nehmen, besteht die nicht unbegründete Gefahr, dass bisherige Kernbranchen komplett wegbrechen oder ehemalige Marktführer sich plötzlich in der Rolle eines Zulieferers wieder�nden.

2.1 Fehlender Mut

Vielfach steckt hinter dem Klammern am angestammten Pro-dukt oder dem bisherigen Geschä�smodell schlicht der fehlende Mut, dieses zu verlassen und auf neue Technologien zu setzen. Ein besonders schmerzha�es Beispiel hierfür bietet die Firma Kodak. Das Unternehmen hält eine ganze Reihe wichtiger Patente zur Digitalfotogra�e, setzt diese aber nicht am Markt um, weil das neue Produkt ja am bisherigen Geschä�smodell der Filmherstel-lung und Entwicklung der Fotogra�en „knabbert“ (disruptives Geschä�smodell). Im Januar 2012 meldet das Unternehmen In-solvenz an und gegen Ende des Jahres verkau� Kodak die Patente für die digitale Fotogra�e an eine Gruppe von Technologiekon-zernen. Darunter sind so klangvolle Namen wie Apple, Google, Samsung und Microso�. Die Vermeidung disruptiven Verhaltens hat hier das Unternehmen ruiniert.

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2.2 Fehlendes Kapital

Ein weiteres Hemmnis, auf neue Technologien zu setzen, ist o�-mals das fehlende Kapital. Hier muss gerade für die nachhaltige Entwicklung der KMU ein komplettes Umdenken, besonders bei den üblicherweise kapitalgebenden Hausbanken statt�nden. Diese werfen bei ihrer Bewertung in der Regel einen Blick auf die Bilanz der Unternehmen und damit leider einen Blick in die falsche Richtung. Der Blick geht „nach hinten“ in die Ver-gangenheit. Bei einem gut aufgestellten Unternehmen gibt es augenscheinlich keinen Handlungsbedarf und bei weniger gut aufgestellten ist das Risiko zu hoch. Auch fehlt der Hausbank vielfach das notwendige unternehmerische Denken, man scheut dort einfach das Risiko „mit drinzuhängen“. Als Bank ist es we-sentlich einfacher, selbst Produkte zu verkaufen.Für größere Unternehmen ist das in der Regel kein Problem. Meist ist Kapital ja durchaus verfügbar, jedoch in Relation zur Unternehmensgröße wird auch hier meist zu wenig davon einge-setzt, verglichen mit dem Kapitaleinsatz der großen Internet-konzerne aus dem Valley. Mit steigender Unternehmensgröße wirken sich aber auch die typischen Managementfehler vermehrt aus. Das Management entwickelt eine gewisse Scheu vor strategi-schen Entscheidungen und sucht eher die kurzfristigen Erfolge. Eine „schwarze Null“ infolge eines strategischen Investments in eine neue Technologie ist gegenüber den Shareholdern eben nicht als Wachstum darstellbar. Was spricht nun aber für eine Veränderung im Rahmen der Digitalisierung?Internetkonzerne jenseits des Atlantiks engagieren sich auf neu-en Gebieten, einfach weil Sie es können. Sie verdienen durch kostenp�ichtige digitale Geschä�smodelle unsäglich mehr, weil sich die „Herstellkosten“ ihrer Produkte am Einmalaufwand be-wegen und bei gleichzeitiger globaler Markdurchdringung über das Internet ein riesiger Kapitalhebel entsteht.Ein weiterer Grund für mehr Engagement in der Digitalisierung ist die Erwartungshaltung der Kunden. Es wird einfach erwartet, dass ein innovatives Unternehmen neben physikalischen Pro-dukten auch digitale Dienstleistungen anbietet. Im Einklang bilden diese die Basis für den kün�igen Umsatz.Deswegen gilt auch hier die Formel: „Null mal eins ist immer noch null“.

2.3 Mobilität

Gerade das �ema Mobilität bietet eine Reihe von Beispielen für die Veränderung von Geschä�smodellen:Historisch bestand das Geschä�smodell der Automobilher-steller aus der Entwicklung, Produktion und dem Verkauf von Kra�fahrzeugen an den stolzen Endkunden. Darauf folgte bei Konzernen mit Banklizenz die Vergabe von Autokrediten zum

Kauf eines Neuwagens. Als nächster Schritt folgte darauf der Verkauf von Neuwagen an die Leasingunternehmen (auch haus-eigene) und damit das Nutzungsrecht durch den Leasingnehmer. Es entsteht ein �orierender Gebrauchtmarkt für Leasingrückläu-fer und diese werden wiederum an stolze Endkunden veräußert. Schließlich mündet das �ema in der Bereitstellung von Mobi-lität durch die Automobilhersteller als Carsharing-Anbieter. Die Nutzer dieser Angebote fühlen sich immer noch hinreichend als „stolze Endkunden“. Das Nutzerverhalten hat sich also gewan-delt vom vormals stolzen Eigentümer zum Nutzer, der nun stolz ist auf sein Handeln.Ganz nebenbei kann der mit einer Banklizenz ausgestattete Kra�fahrzeughersteller noch die angestammten Geschä�s-modelle klassischer Banken bedienen. Über die Autohäuser ver-fügt er bereits über ein entsprechendes Filialnetz und kann nun die ganze Bandbreite der Finanzdienstleistungen anbieten. Es wird also nebenbei das Geschä�smodell einer anderen Branche mitgenommen, einfach weil man es kann …

2.3.1 Elektromobilität

Gerade in der Elektromobilität lässt sich sehr schön aufzeigen, wie Kapital den Einstieg in eine fachfremde Branche ermöglicht und die etablierten Akteure am Markt dabei kein gutes Bild ab-geben.Führend im Elektroautomobilbau waren bislang nicht die etab-lierten Fahrzeughersteller, sondern Tesla. Hierbei geht es nicht um absolute Stückzahlen, sondern die Fähigkeit, diese Tech-nologie marktreif umzusetzen. Beispielsweise wurde die B-Klasse von Mercedes zwar als Elektroversion bis ins Prototypenstadium entwickelt, der Antriebsstrang wurde jedoch lange Zeit von Tesla bezogen, weil Preis, Leistung und Prozessfähigkeit der hauseige-nen Entwicklung in einem weniger günstigen Verhältnis stand, als dies bei Tesla der Fall war. Teilweise war die nötige Infrastruk-tur einfach noch nicht vorhanden. Wie ist so etwas möglich?Das Kapital stammt von Elon Musk, einem der PayPal-Gründer, welcher nach dem Verkauf des Internetunternehmens einen Wechsel seines angestammten Geschä�smodells vollzog.Das Know-how wurde in der frühen Phase von diversen Liefe-ranten eingekau�, also bestehende Technologien pragmatisch kombiniert, die Produktion wurde von Lotus übernommen, Batterien entsprachen dem Stand herkömmlicher Notebook-Akkus. Später wurde in Texas eine komplette Automobilfabrik von Toyota zur Fertigung des Modell S dazugekau�.Der Erfolg des Außenseiters setzt nun mittelfristig die etablier-ten Konzerne unter Druck. Mit dem Wettbewerb wird das �e-ma Elektromobilität zum Selbstläufer, weil in aller Munde. Im Ernstfall wird das �ema durch die Akteure selbst herbeigeredet.Selbstverständlich bringt ein solcher Erfolg der Elektromobilität

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Auswirkungen auf die klassische Automobilindustrie und ihre Zulieferkette mit sich. Die Verwerfungen am Markt werden wohl kaum sofort spürbar sein, jedoch wären wenigstens die dem �e-ma Verbrennungsmotor und Abgasau�ereitung zugewandten Unternehmen gut beraten, sich hier nach entsprechenden Alter-nativen umzusehen. Auch im Bereich Antriebsstrang ist mit ent-sprechenden Veränderungen zu rechnen, da mit dem Erfolg des Elektroantriebs komplexe Getriebe und Antriebswellen obsolet werden. Der Elektromotor sitzt direkt an der Nabe und benötigt kein Getriebe, sondern ein Potentiometer zur Dosierung einer recht linearen Kra�entfaltung. Dafür bieten sich im So�ware-bereich neue Möglichkeiten, das Fahrzeug zu beein�ussen. Wer hier heute führt, wird morgen noch existieren.

3 Internetwirtschaft

Wenn es um das �ema Internetwirtscha� geht, steht Google immer an erster Stelle. Teile der Bevölkerung denken sogar, Goo-gle selbst wäre das Internet. Nun gibt es nicht wenige Autoren, welche sich bereits erschöpfend mit dem Mythos Google be-schä�igt haben. An dieser Stelle wollen wir uns auf die damit ein-hergehenden Geschä�smodelle konzentrieren, also mehr durch die gestalterische Brille des Alphabet-Konzerns betrachtet und weniger in Richtung Suchmaschine.Die Abbildung 1 soll keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhe-ben, jedoch wird schnell klar, wie sich bei Google die Geschä�s-modelle diversi�zieren.

Und dennoch lässt sich ein roter Faden erkennen:

� Die Basis bildet die Suchmaschine. � Die Suchmaschine wird mittels Browser aufgerufen. � Das Endgerät der Zukun� und mit dem größten Verbrei-

tungsgrad stell das Smartphone dar. Und das Betriebssystem ö�net die Tür zu den Anwendern, ohne selbst Hardwareent-wicklung betreiben zu müssen.

� Nexus One stellt einen Versuch dar, auch die Hardware be-reitzustellen.

� Google Earth und Google Maps bilden die eigentliche Grund-lage für das selbstfahrende Auto, welches kein technisches Problem darstellt, sondern als So�wareproblem betrachtet und auch als solches gelöst wird.

� Google Earth zeigt hübsche Bilder der Erde. � Der Satellitenbetreiber Skybox ermöglicht das Internet auch

dahin zu tragen, wo es bislang kein Internet gab. � Eigene Satellitenbilder in hoher Au�ösung ermöglichen

Schlussfolgerungen auf Basis der Bilder. Das neue Geschä�s-modell „Wissen aus Bildern“ wird möglich.

� Entwicklung von Google Hardware, um Satelliten auch steu-ern zu können. So können Vorhersagen auch in unbekanntem Terrain auf Basis der neuen Bilder erfolgen.

� Google als Internetprovider, der darüber hinaus auch noch die Infrastruktur bereitstellt.

Mit dem letzten Schritt kommt Alphabet dem Gedanken „Goo-gle ist das Internet“ schon recht nahe. Der Begri� „globales Ver-sorgungsunternehmen“ tri� den Kern der Sache möglicherweise etwas besser.

Google im Wandel

Google Entwicklung

Internetprovider

Satellitenbetreiber

Selbstfahrendes Auto

Smartphone

Smarthphone Betriebssystem Android

Browser Chrome

Suchmaschine Wettbewerber

Wettbewerber

Wettbewerber

Wettbewerber

Wettbewerber

Wettbewerber

Wettbewerber

Nexus

Skybox

YahooLycosBing

InternetexplorerNetscape/Mozilla/FirefoxOpera

Apple iOSMicrosoft Windows MobileNokia Symbian OS

AppleHTCNokia

Samsung

...Automobilindustrie

Elektro-Automobilindustrie Tesla

Telekom & Co. GMX & Co. Smartphonehersteller

Abb. 1: Google im Wandel. Quelle: Oliver Brehm, STZio.

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Dabei hat Google den Vorteil, mit dem enormen Kapital eines Internetkonzerns ganz unverblümt auf Einkaufstour gehen zu können, um sich fehlende Technologien auf diesem Wege an-zueignen. Die Konzentration auf die So�ware, insbesondere die Eigenscha�, Probleme tendenziell immer von der So�wareseite zu betrachten, führt dazu, dass die disruptiven Auswirkungen der neuen Geschä�smodelle auf die angestammten Google-Ge-schä�smodelle außerordentlich gering sind. Die Daten sind vor-handen und können weiterhin genutzt werden (siehe Google Earth und Google Maps). Die Suchmaschine pumpt auch wei-terhin permanent Geld in den Konzern. Für die evolutionär operierende Realwirtscha� mit ihren physikalischen Produkten ist ein solches Vorgehen in diesem Maß nicht möglich. Ist ein Produkt veraltet, bestimmt der Markt dessen weiteres Schicksal.Wie reagiert nun der deutsche Mittelstand auf solche Szenarien?Am Beispiel des Maschinenbauherstellers Trumpf lässt sich dies sehr schön verdeutlichen:Hier werden aktiv Maßnahmen ergri�en, um die bisherigen Pro-dukte zu ergänzen bzw. zu �ankieren. Auf Befragung äußerten sich Kunden dahingehend, dass die eigentliche Kaufentschei-dung für eine Bearbeitungsmaschine der sehr guten Kopplung der Trumpf-So�ware an ein gängiges CAD-System zuzuschrei-ben war. D. h., die So�ware von Trumpf ließ sich gut in die vor-handene IT-Landscha� des Käufers einbinden. Ungeachtet des aktuellen Produktportfolios zählt inzwischen ein kleines So�-wareunternehmen zur Trumpf-Gruppe.Nun haben nicht alle Unternehmen die Möglichkeiten, eine So�ware�rma zu akquirieren. Dennoch lassen sich ähnliche Er-gebnisse durch die Bildung von �emen-Clustern mit und ohne Fördermittel erzielen und so durch Kooperationen mit So�ware-�rmen im lockeren Firmenverbund �exibel auf die Anforderun-gen des Marktes und dem damit einhergehenden Innovations-druck zu bestehen.

4 Schlussfolgerungen

Industrie 4.0 bedeutet also immer auch das eigene angestammte Geschä� in Frage zu stellen. Hat das bisherige Geschä�smodell Zukun�, so ist es meist ratsam, es durch eine Dienstleistung oder ein entsprechend sinnvoll „andockbares“ neues digitales Ge-schä�smodell zu �ankieren. Daraus resultieren dann häu�g neue Chancen zur Optimierung

� der Art und Weise der Produktion bestehender Produkte, � der Entwicklung neuer physikalischer Produkte und � der Entwicklung neuer Geschä�smodelle.

Richtig angepackt kann sich das �ema Industrie 4.0 also rasch zum �ema Chancen 4.0 entwickeln. Die mit der Zahl 4.0 ein-hergehende Dramatik sollte dabei nicht überbewertet werden. Jedoch ergeben sich in einer hochvernetzten Welt tatsächlich auch für kleine Unternehmen entsprechende Stellhebel, um in der Welt der Großen eine tragende Rolle zu spielen. Man muss es nur tun, sonst machen es Andere.

Literaturverzeichnis[1] Wikipedia 16.05.2016: Innovation. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/

Innovation[2] FAZ, 01.01.2015: „Fehlende Investitionenprivater Firmen: Wo bleibt der

Mut?“ von Inge Kloepfer und Lisa Nienhaus[3] Die Welt, 15.03.15: „Digitale Revolution: Deutscher Wirtscha� droht

feindliche Übernahme“ von Nando Sommerfeldt. URL: http://www.welt.de/138427072

[4] Die Zeit, 18.04.16: Elektromobilität: „Warum Tesla die Autobauer das Fürch-ten lehrt“ von Stefan Bratzel. URL: http://www.zeit.de/mobilitaet/2016-04/au-tomobilindustrie-digitalisierung-elektromobilitaetautonomes-fahren-tesla-wandel

[5] Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH , März 2015: „Geschä�smodell-Innovation durch Industrie 4.0: – Chancen und Risiken für den Maschinen- und Anlagen-bau“ von Univ.-Prof. Dr.-Ing. �omas Bauernhansl, Dr. mont. Volkhard Emmrich u. A.

[6] Deutsche Akademie der Technikwissenscha�en e.V., Prof. Dr. Henning Kagermann, Prof. Dr. Wolfgang Wahlster, Dr. Johannes Helbig, 18.4.2016: „Umsetzungsempfehlungen für das Zukun�sprojekt Industrie 4.0 – Abschluss-bericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. URL: www.bmbf.de/�les/Umsetzungs-empfehlungen_Industrie4_0.pdf

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Neue Dienstleistungen durch Industrie 4.0 – professionell, nachhaltig und ertragreich

Claas Christian Wuttke

Schlüsselwörter: � Industrielle Dienstleistungen � Produktentstehungsprozess � Checklisten � Kundenintegration � Prototypen

ZusammenfassungIm folgenden Beitrag wird gezeigt, dass sich aus den technischen Möglichkeiten der Industrie 4.0 für die Hersteller technischer Güter eine ganze Reihe neuer Dienstleistungen zur Abrundung ihres Produktportfolios ergeben. Dadurch lassen sich nicht nur die Kundenbindung erhöhen, sondern auch neue Marktfelder besetzen. Voraussetzung dafür sind aber professionelle Ent-wicklungsprozesse, die insbesondere der hohen Bedeutung des Kunden bei der Erbringung der Dienstleistungen aber auch den damit verbundenen Risiken Rechnung tragen. Um den Anbieter bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen zu unterstützen, wird gezeigt, wie ein in seinem Umfang angemessener und für das Unternehmen individualisierter Produktenstehungsprozess (PEP) gestaltet sein muss. Außerdem wird gezeigt, mit welchem angepassten Methodenmix Kunden in diesen Entwicklungspro-zess eingebunden werden können und wie dies durch geeignete Dienstleistungs-Prototypen unterstützt wird.

1 Einführung

Die technologischen Potenziale der Industrie 4.0 ermöglichen neue „smarte“, d. h. informations- und wissensbasierte Dienst-leistungen und erö�nen produzierenden Unternehmen neue Geschä�sfelder [1]. Der Anteil der Dienstleistungen von ca. 70Prozent an der deutschen Wirtscha�sleistung wird sich da-durch nochmals steigern. Einzelne Maschinenhersteller erwirt-scha�en jetzt schon ein Viertel ihres Umsatzes mit Dienstleis-tungen rund um ihre Maschinen und Werkzeuge. Durch die Abrundung des eigenen Leistungsangebotes werden so Wett-bewerbsvorteile erreicht, die Kundenbindung erhöht und neue Märkte erschlossen. So haben sich Kundenanforderungen hin zur Nachfrage nach ganzheitlichen Lösungen gewandelt [2]. Auch Globalisierung und zunehmende Standardisierung führen zu einem steigenden Konkurrenzdruck. Industrielle Dienstleis-tungen bilden in diesem, sich verändernden Marktumfeld ein

bedeutendes Instrument zur Di�erenzierung, Umsatzsteigerung und Scha�ung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile [3].

Tabelle 1 zeigt Beispiele für industrielle Dienstleistungen – d. h. Dienstleistungen von produzierenden Unternehmen für andere produzierende Unternehmen. Diese reichen von den klassischen, betreuenden Dienstleistungen, wie z. B. Wartung über Reparatur und Ersatzteilmanagement etc., bis hin zu umfassenden Dienstleistungen auf Basis neuartiger Geschä�s-modelle, wie z. B. Pay-on-Availability oder Pay-on-Production.

Gestaltende Dienstleis-tungen

Betreuende Dienstleis-tungen

Beratende Dienstleis-tungen

Performance Contracting

Finanzierung

Umbau

Modernisie-rung

Rückbau

Montage

Inbetrieb-nahme

Wartung

Reperatur

Instand-haltung

Ersatzteil-management

Schulung

Dokumenta-tion

Teleservice

Prozess-beratung

Konfigurati-onsberatung

Planung

Projektierung

Ingenieur-dienstleistung

Pay-on- Availability

Betreiber-konzepte

Contract-Hire

Pay-on- Production

Tab. 1: Arten industrieller Dienstleistungen. [4]

Gerade technologieorientierte KMU haben sehr gute Vorausset-zungen, schnell neue Dienstleistungen anzubieten: Sie haben in der Regel kurze Entscheidungswege und sind mit ihrer ganzen Organisation nah am Kunden. Dem gegenüber stehen aller-dings auch Risiken und Herausforderungen. So können Dienst-leitungen nur zusammen mit dem Kunden, seinen Mitarbeitern und / oder seinen Maschinen, Werkzeugen oder sonstigen Ressourcen erbracht werden. Auch bei der Qualitäts- und Ka-pazitätsplanung sieht sich der Anbieter vor besondere Heraus-forderungen gestellt: Weil bei Dienstleistungen Erstellung und Auslieferung in der Regel zusammenfallen – Uno-actu-Prinzip – ist keine Ausgangsprüfung und auch keine Bevorratung möglich.Um vor dem Hintergrund der oben genannten Anforderungen pro-fessionelle, nachhaltige und ertragreiche Dienstleistungen anbieten zu können, wurden folgende Prozesse und Werkzeuge entwickelt:

1. ein anpassbarer und individualisierbarer Produktentwick-lungsprozess iPEP für Dienstleistungen unter Nutzung spe-zi�scher Dienstleistungsentwicklungsmethoden,

2. ein Prozess zur ziel- und risikoadäquaten Integration der Kunden in die Entwicklung neuer Dienstleistungen,

3. eine Vorgehensweise zur Nutzung von Dienstleistungs- Prototypen zur e�zienten Kundenintegration und Quali-tätsabsicherung.

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Im Folgenden wird gezeigt, wie die oben genannten Prozesse und Werkzeuge zur Entwicklung ertragreicher Dienstleistungen genutzt werden.

2 Angepasster und individualisierter Produktentwicklungsprozess

Im Fokus steht der Anspruch, Qualität und Zuverlässigkeit in-dustrieller Dienstleistungen bereits in der Produktentstehung sicherzustellen. Dabei wird gerade auch für Unternehmen mit wenig Erfahrung in der systematischen Dienstleistungsentwick-lung eine Ausgangsbasis gescha�en, um industrielle Dienstleis-tungen e�ektiv und e�zient zu gestalten. Hauptanwendungs-gebiet ist die Entwicklung industrieller Dienstleistungen, die ein hohes Erbringungsrisiko, ein hohes Umsatzpotenzial und eine hohe Komplexität aufweisen. Hauptkomplexitätstreiber sind hierbei die Anzahl beteiligter Personen, die Heterogenität der Teilleistungen, die Komplexität des gekoppelten Sachgutes (wie z. B. einer Werkzeugmaschine) sowie die Länge des Erbringungs-zeitraumes [5]. Hauptein�ussfaktoren auf das Erbringungsrisiko stellen die starke Kundenintegration und komplexitätsindu-zierte Fehlermöglichkeiten dar. Dienstleistungen, die mehrere der oben genannten Aspekte erfüllen, eignen sich besonders zur Anwendung des im Folgenden vorgestellten individualisier-baren Produktentwicklungsprozess iPEP. Der iPEP wird in vier Schritten für und in einem Unternehmen entwickelt, eingeführt und verankert:

2.1 Generischer Referenz-PEP

Ausgangspunkt ist ein generischer Referenz-PEP, wie er in Ab-bildung 1 dargestellt ist. Dieser strukturiert die Entwicklung

industrieller Dienstleistungen mittels Arbeitsphasen, detailliert Entwicklungsumfänge und beinhaltet Methoden zu deren e�-zienter Bearbeitung.Innerhalb der Arbeitsphasen werden notwendige Informationen gesammelt, die industrielle Dienstleistung entworfen und er-forderliche Schritte zu deren Implementierung unternommen. Die Bewertungspunkte dienen der Prozesssteuerung sowie der Beurteilung der Attraktivität und Machbarkeit des aktuellen Entwicklungsvorhabens [7].

Zur Konkretisierung von Entwicklungstätigkeiten beinhalten die Arbeitsphasen verschiedene �emenmodule. Diese sind jeweils voneinander unabhängig einsetzbar und ermöglichen so eine Prozessindividualisierung. Zur Beschreibung der �emen-module werden Inhalte des Stage-Gate-Ansatzes und Vorgehens-modelle des Service Engineering aufgegri�en sowie an die Be-sonderheiten industrieller Dienstleistungen angepasst [7] [8] [9] (Abbildung 1).Zur Sicherstellung der e�zienten Arbeitsausführung enthält der Referenz-PEP zusätzlich phasenspezi�sche Methodenemp-fehlungen. Beispielsweise kann in der Anforderungsanalyse die Conjoint-Analyse eingesetzt sowie die Dienstleistungskonzep-tion mittels des Service Blueprinting unterstützt werden.

2.2 Skalierung des Produktentwicklungsprozesses

Um auch kleinere Entwicklungsaufgaben e�zient abwickeln und steuern zu können, muss der Referenz-PEP in seinem Um-fang angepasst werden. Liegen beispielweise schon konkrete Anfragen / Vorgaben durch Kunden vor, können frühe Pro-jektphasen wie Ideengenerierung, Potenzialanlyse und Anfor-derungsanalyse übersprungen werden und der Fokus auf die

Abb. 1: Struktur des Referenz-PEP mit einer beispielhaft ausgeführten Arbeitsphase,Teil der Referenz-Checkliste zur PEP-Phase „Anforderungs-analyse und Business Case“. [6]

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Dienstleistungskonzeption sowie Implementierung und Test gelegt werden. Die Detaillierung dieser verbleibenden Arbeits-phasen orientiert sich an den zu klärenden Fragestellungen und auch am zu erwartenden Umsatzvolumen.

2.3 Produkt- und unternehmensspezifische Checklisten

Im nächsten Schritt erfolgt die Individualisierung des PEP durch die Formulierung von produkt- und unternehmensspezi� schen Checklisten. Mit diesen werden die in Abbildung 1 gezeigten Bewertungspunkte umgesetzt. Zur Erstellung individualisierter Checklisten gibt es zu jeder Arbeitsphase eine Referenz-Check-liste. Diese ist jeweils in � emenblöcke gegliedert und enthält typische Fragestellungen sowie mehrere Vorschläge für die jewei-ligen Zielausprägungen. Im Rahmen der Individualisierung der Checklisten werden diese geforderten Ausprägungen festgelegt. Ergänzt wird der Abfragebereich durch eine Spalte, in der ggf. Maßnahmen mit Verantwortlichem und Termin dokumentiert werden.

Da vor allem die erstmalige Erstellung individualisierter Check-listen eine besondere Herausforderung für Unternehmen dar-stellt, wurde ein mehrstu� ges Vorgehen entwickelt: In der ersten Stufe werden die Fragen formuliert und thematischen Ober-

begri� en zugeordnet. Danach werden zu jeder Frage Zielausprä-gungen festgelegt, die eine nachvollziehbare Machbarkeits- und Attraktivitätsbewertung ermöglichen. Im dritten Schritt ist eine Bewertungssystematik festzulegen. Um pointiertere Aussagen zu erhalten, ist es sinnvoll, die Bewertung auf „Ziel wird erreicht“ und „Ziel wird nicht erreicht“ zu beschränken. In jedem Fall hat es sich bewährt, im vierten Schritt einzelne Bewertungen mit stan-dardisierten Maßnahmen – z. B. die Eskalation in Gremien – zu verbinden. Diese sowie ggf. andere Maßnahmen und weitere In-formationen werden in zusätzlichen Spalten aufgeführt.

2.4 Stetige Anpassung und Verbesserung des iPEP

Im letzten Schritt wird ein Vorgehen zur stetigen Anpassung und Verbesserung des vorhandenen iPEP durch Erfahrungen in den laufenden Projekten oder Änderung von Vorgaben angewendet. Gerade durch diesen Schritt wird die Anpassung des iPEP an Unternehmensspezi� ka ermöglicht und dessen Aktualität si-chergestellt.

Gerade weil viele Unternehmen noch über wenig Erfahrung in der systematischen Entwicklung von Dienstleistungen und mit den spezi� schen Methoden dazu verfügen, ist der vierte Schritt von besonderer Bedeutung: die kontinuierliche Verbesserung

(A) Projektrahmen der Dienstleistung(A.1) In welchem Entwick-lungsstadium befindet sich die Dienstleistung?- Ideengenerierung- Potenzialanalyse - Konzeption- Implementierung/Test- Markteinführung (A.2) Inwieweit ist die Dienstleistung eine Neuheit?- im Unternehmen - auf dem Markt(A.3) Welchen Innovationsgrad hat die Dienstleistung?- Neuentwicklung - Anpassung- Variation(A.4) Wie individuell ist die Dienstleistung auf den Kunden ausgelegt?- einzelne Kunden- mehrere Kunden- einzelne Märkte - mehrere Märkte

(B) Ziele und Risiken(B.1) Welche effektivitätssteigernden Ziele werden verfolgt?- Fehlerreduktion - Kundennutzen optimieren- Optimierung von Qualität und Leistungsfähigkeit - Einblicke in die Produktnutzung- Gewinnung von anwendungsspezifischem Wissen und Kunden- Know-how(B.2) Welche effizienzsteigernden Ziele werden verfolgt?- Kostenreduktion -Zeitersparnis - mehr Innovationsprojekte(B.3) Welche akquisitorischen Ziele werden verfolgt?- Marktverständnis - Imageeffekte - Preisbereitschaft - Cross-Selling - Gewinnung neuer Abnehmer - Kundenbindung - Informationen über Wettbewerber - Senkung Marketing-Kosten(B.4) Welche Priorität der Ziele liegt vor?(B.5) Welche spezifischen Risiken sind zu beachten?

(C) Ressourcen(C.1) In welchem Zeitrahmen findet die Kundenintegration statt?(C.2) Wie hoch ist das Budget für die Kundenintegration? (C.3) Wird IT für die Kundenintegration genutzt?(C.4) Wer ist für die Durchführung der Methode und Aufbereitung der Informationen verantwortlich?

(E) Kunde(E.1) Welche Kunden kommen für die Kundenintegration in Frage?- umsatzstarke Kunden/Kunden mit Potenzial - langjährige/neue Kunden - Region/ Nähe des Kunden(E.2) Welche Eigenschaften besitzt der Kunde?- spezielles Know-how oder Fähigkeiten(E.3) Wie viele Kunden können bzw. sollen integriert werden?- ein Kunde - mehrere Kunden(E.4) Welche Rolle nimmt der Kunde ein bzw. wie intensiv ist die Integration? - Betrachtungsobjekt - Informant - Co-Designer - Partner- niedrige Intensität - mittlere Intensität - hohe Intensität(E.5) Welche Anreize bzw. Motivation werden für die Kunden geschaffen?- Incentives - Rabatte - kostenlose Tests

(F) Methoden(F.1) Mit welchen Methoden wird der Kunde integriert?aus Methodensammlung z. B. - (1) User Design - (3) Befragung - (4) Beobachtung- (9) Communities - (10) Conjoint-Analyse- (11) Empathic Design- (12) Customer Advisory Board - (14) Dienstleistungstest- (17) Ideenwettbewerb- (18) Information Pump- (19) Innovationszirkel- (24) Listening in- (25) Perceptual Mapping - (27) Quality Function Deployment- (28) Securities Trading of concepts(F.2) Welche IT-Systeme/ technischen Einrichtungen sind für die Kundenintegration notwendig?

(D) Integrationsform (D.1) Welchen Beitrag liefert der Kunde?- Bedürfnisinformation - Lösungsinformation - Bewertung(D.2) Zu welchem Zeitpunkt wird der Kunde integriert?- Ideengenerierung - Potenzialanalyse- Anforderungsanalyse - Konzeption - Implementierung/Test - Markteinführung(D.3) Wie viel Zeit steht in der jeweiligen Phase zur Verfügung? (D.4) Wie oft soll der Kunde integriert werden?- einmal pro Phase - mehrmals pro Phase(D.5) Wie ist der Gestaltungsraum? - offen - geschlossen(D.6) Welchen Beitrag liefert der Anbieter?- Dialogpartner - Anforderungen/Konzepte - Konzeptions-Tool - Produkte/Dienstleistungen

Abb. 2: Kundenintegrations-Canvas. [10]

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des vorhandenen PEP durch Erfahrungen in den laufenden Pro-jekten. Hierzu sind sowohl Qualitätsprobleme in der Dienst-leistungserbringung als auch hinsichtlich des Sachgutes zu dokumentieren und die Referenz-Checklisten zur zukün� igen Vermeidung dieser Probleme anzupassen. Ergänzt wird diese stetige Erweiterung der Checklisten durch die regelmäßige Ak-tualisierung und ggf. auch Hinzufügung aller neuen internen und externen Regelungen – z. B. Gesetze, Richtlinien etc. – zum Fragenkatalog. Dies sichert die ständige Aktualität und Weiter-entwicklung des PEP, lässt sich aber nur durch die Einbindung in das Qualitätsmanagementsystem des Unternehmens umsetzen.

3 Methoden zur Integration der Kunden in die Produktentwicklung

Eine systematische Planung der Kundenintegration ist deshalb wichtig, weil mit den Chancen zur Erfolgssteigerung auch Risi-ken einhergehen. Beispielsweise können die durch die Kunden-integration verursachten Kosten bei unzureichender Planung den Nutzen übersteigen – insbesondere, wenn durch die Ein-bindung der Kunden nur minimale Verbesserungen der Dienst-leistungen erreicht werden. Die Ziele und Risiken der Kunden-einbindung sind nicht die einzigen Aspekte, aus denen sich die ideale Form der Einbindung und Methodenunterstützung ab-leiten lässt. Vielmehr ist es sinnvoll, auch den Projektrahmen, für den die Kundenintegration geplant wird, sowie die zu deren Umsetzung verfügbaren Ressourcen zu berücksichtigen.

Die systematische Dokumentation der Prämissen der Kun-deneinbindung mit ihren Zielen, Risiken, zeitlichem und � -nanziellem Rahmen sowie dem Status des betrachteten Ent-wicklungsprojekts hat eine grundsätzliche Bedeutung für das

gesamte Projekt: Sie dient nicht nur als Basis für die Planung der Kundenintegration, sondern stellt ebenfalls sicher, dass alle Be-teiligten von gleichen Rahmenbedingungen ausgehen können. Durch den strukturierten Prozess wird zudem die Entschei-dungsqualität über die Art und Weise der Kundenintegration per se gesteigert.

Zur Steuerung des gesamten Prozesses – der Erhebung der Pro-jektprämissen sowie der Planung der Kundenintegration – steht eine Canvas (Leinwand), wie sie in anderer Form auch bei der Entwicklung von Geschä� smodellen verwendet wird, zur Ver-fügung. Abbildung 2 zeigt eine solche Kundenintegrations-Canvas, die großformatig ausgedruckt im Rahmen eines Work-shops mit allen unternehmensinternen Beteiligten ausgefüllt wird. Der Workshop endet mit der systematischen Auswahl von geeigneten Methoden zur Kundenintegration. Das detaillierte Vorgehen kann [10] und [4] entnommen werden.

4 Nutzung von Prototypen

Die frühzeitige Erprobung und Bewertung von Dienstleistungs-konzepten – idealerweise zusammen mit den Kunden (wie oben beschrieben) – ist ein Erfolgsfaktor für die Entwicklung erfolg-reicher Dienstleistungen. Angesichts der Immaterialität von Dienstleistungen stellt dies jedoch eine große Herausforderung dar. Es stehen aber Modellierungs- und Prototypenformen in Form von Skizzen (z. B. Serviettenskizzen oder Business Model Canvas), Ablaufdiagrammen (z. B. Service Blueprints), Texte (z. B. Role Scripts) oder auch verschiedenen Formen von Rol-lenspielen zur Verfügung. Einzelheiten zu Formen von Dienst-leistungsprototypen, ihrer Auswahl und der Planung ihres Ein-satzes können [11] entnommen werden. In Abbildung 3 wird

Abb. 3: Prototypen-Einsatzdiagramm. [11]

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mit dem Prototypen-Einsatzdiagramm ein Werkzeug gezeigt, mit dem der Einsatz der Prototypen geplant werden kann. Ziel ist es dabei u. a., die Vielfalt der eingesetzten Prototypen zu begrenzen und so das Prototyping von Dienstleistungen mög-lichst e�zient zu gestalten.

[7] Cooper, R.: Winning at New Products – Creating Value �rough Innovation, 4. Au�age, Basic Books Verlag, New York 2011, S. 83–119.

[8] Meiren, T.; Barth, T.: Service Engineering in Unternehmen umsetzen – Leitfaden für die Entwicklung von Dienstleistungen. Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 2002, S. 19–26.

[9] Sadek, T.; Köster, M.: Sach- und dienstleistungsintegrierte Konzeptentwick-lung. In: Meier, H.; Uhlmann, E. (Hrsg.): Integrierte Industrielle Sach- und Dienstleistungen – Vermarktung, Entwicklung und Erbringung hybrider Leis-tungsbündel. Springer Vieweg, Berlin 2012, S. 61–88.

[10] Wuttke, C. C.; Gärtner, S.; Ackbarow, T.: Kundenorientierte Entwick-lung von Dienstleistungen – Ziel- und risikoadäquates Methodenportfolio zur Einbindung von Kunden in die Gestaltung von Dienstleistungen. Industrie 4.0 Management, 32 (2016) 1, S. 19–24.

[11] Siefert, A.: Prototyping in der Entwicklung industrieller Dienstleistungen. Masterthesis, Hochschule Karlsruhe, Karlsruhe 2015.

Literaturverzeichnis[1] Arbeitskreis Smart Service Welt / acatech (Hrsg): Smart Service Welt –

Umsetzungsempfehlungen für das Zukun�sprojekt Internetbasierte Dienste für die Wirtscha�. Abschlussbericht. Berlin 2015.

[2] Luczak, H.; Liestmann, V.; Winkelmann, K.; Gill, C.: Service Engineering industrieller Dienstleistungen. In: Bullinger, H.-J.; Scheer, A.-W.: Service Engineering – Entwicklung und Gestaltung innovativer Dienstleistungen. Ein Ansatz auf der Grundlage system- und käuferverhaltensorientierter Überlegun-gen, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2006, S. 443–462.

[3] Parida, V.; Rönneberg Sjödin, D.; Wincent, J.; Kohtamäki, M.: A Survey Study of the Transitioning towards High-Value Industrial Product-Services. Proceedings of the 6th CIRP Conference on Industrial Product-Service Systems, 2014, S. 176–180.

[4] Gärtner, S.: Systematische Kundenintegration bei der Entwicklung industriel-ler Dienstleistungen. Karlsruher Hochschulschri�en 4 / 2015. Karlsruhe 2015.

[5] Benkenstein, M.; Gütho�, J.: Typologisierung von Dienstleistungen. Zeit-schri� für Betriebswirtscha� 66 (1996) 12, S. 1493–1510.

[6] Ludihuser, P.; Wuttke, C. C.: Professionalisierung industrieller Dienstleis-tungen – Durch Nutzung eines individualisierbaren Produktentstehungspro-zesses (iPEP). In: Zeitschri� für wirtscha�lichen Fabrikbetrieb 110 (2015) 3, S. 126–129.

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Fit für Industrie 4.0 mit demografiegerechtem Personalmanagement

Regina Brauchler

1 Aktuelle Herausforderungen an die Arbeit 4.0

Arbeit 4.0 ist digital, �exibel und sozial. Die Digitalisierung lässt Informationen schneller �ießen und sorgt für vernetzte, be-schleunigte Arbeits- und Betriebsprozesse. Im Fokus von Arbeit 4.0 steht Produktivität und nicht länger Arbeitszeitgestaltung (Dulger & Hofmann, 2015). Intelligente Lebensarbeitszeit-konten steigern dabei spürbar die Zufriedenheit, Motivation und Produktivität, womit Arbeit 4.0 auch sozial sein kann. Fle-xibilität steht in Betriebsprozessen für weniger Kostenbindung und schnellere Reaktion. Roboter entlasten bei schwerer und ungünstiger körperlicher Arbeit (Dulger & Hofmann 2015). Stattdessen besteht ein enormer Bedarf an Kompetenzau�au und beru�icher Neuorientierung, während zeitliche und räum-liche Entgrenzung vom Arbeitsplatz Freiräume scha� und ein selbstbestimmtes Organisieren des Alltags ermöglicht (Pfei�er 2015), womit in der Regel die Arbeitgeberattraktivität steigt. Ein ausgewogener Generationen-Mix sichert die Kombination aus langjähriger Erfahrung und Neugier – und dementspre-chend die Innovationskra� Ihres Unternehmens.

2 Gegenwärtige Bestandsanalyse in Unternehmen

Etablierte Qualitätsmaßstäbe des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater BDU geben die Berufsgrundsätze in der Unternehmensberatung auch für demogra�egerechte Per-sonalarbeit in Unternehmen vor. In einer Studie des BDU e. V. nahmen an der Befragung mittelständische Unternehmen in Baden-Württemberg mit einem Umsatz von bis zu 50 Mio. EUR (67,7 %) und weniger als 250 Mitarbeitern (62,3 %) teil. Kapi-talgesellscha�en waren mit 79,8 % am häu�gsten vertreten. In der Studie waren die Branchen Industrie / Maschinen- und An-lagenbau (14,6 %), Konsumgüter und Handel (12,3 %), Gesund-heitswesen und Medizintechnik (10,8 %), IT, Telekommunika-tion und Medien (6,9 %) sowie Automotive (6,2 %) am stärksten vertreten. Die BDU-Studie (Schirmer 2012) zeigt, dass:

� 29 % der Betriebe in BW demogra�egerechtes Personalmana-gement belastbar als strategisches Ziel formuliert haben, aber

� 40 % der Betriebe in BW ihre Mitarbeiter noch nicht ermun-tern Arbeitsstrukturierungsmaßnahmen auf der Basis von Aufgabenanalyse und -kritik einzuführen und dass

� 40 % der Betriebe ohne Soll-Kompetenzpro�le arbeiten und den konkreten Bedarf zur Kompetenzentwicklung im Rah-men des „Lebenslangen“ Lernens nicht kennen.

� 70 % der Betriebe berücksichtigen die lebensphasenorientier-ten Lernbedürfnisse der Mitarbeiter bei Bildungsmaßnahmen noch nicht, aber 25 % der Betriebe nutzen systematisch die Kompetenzen ehemaliger Mitarbeiter nach deren Rentenein-tritt durch Beraterverträge.

� 40 % der Betriebe steuern ihr kritisches Human-, Struktur- und Beziehungskapital noch nicht bewusst auf der Basis von Personalstrukturanalysen vor dem Hintergrund demogra-�scher Herausforderungen und

� 50 % der Betriebe haben noch kein Demogra�e-Controlling. � 50 % haben noch keine Altersteilzeitmodelle eingeführt und

bei 71 % der Betriebe fehlen Lebensarbeitszeitkonten noch immer.

Auf der Basis bewährter Analysemethoden und Maßnahmen demogra�egerechter Organisations- und Personalentwicklung steuern

� Personalstrukturanalysen, � Aufgabenanalyse und Aufgabenkritik, � Kompetenzanalysen und darauf au�auender � prozessorientierter Personalbedarfsermittlung sowie � daraus abgeleiteter Arbeitsstrukturierungsmaßnahmen steuern

Sie als Unternehmer Ihr � Human- (Kompetenzen, Fertigkeiten und Motivation der

Mitarbeiter), � Struktur- (Struktur- und Prozess-Know-how der Organisati-

on) und � Beziehungskapital (Beziehungen zu Kunden,

Lieferanten, Partnern usw.)

zielführender.

3 Kompetenzen im demografischen Wandel

Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels ist in der wissenscha�lichen Literatur die Kompetenz älterer und jüngerer Arbeitnehmer di�erenziert beleuchtet worden. So wurden in den letzten Jahren in einer Reihe von Untersuchungen auch die Ein-stellungen und Erwartungshaltungen von Unternehmen in Bezug auf ältere Mitarbeiter untersucht. Die Ergebnisse dieser Studien

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belegen die enorme Bandbreite an Vorurteilen gegenüber älteren Mitarbeitern und zeigen, dass es sowohl positive als auch negative Stereotype gibt, wie Benz zusammenfassend darstellt (Benz 2010):

� Als besondere Stärken und positive Merkmalen werden äl-teren Arbeitnehmern besonders häu�g die Berufserfahrung, Arbeitsqualität, Zuverlässigkeit und Loyalität, das Verant-wortungs- und P�ichtbewusstsein, die menschliche Reife, Gelassenheit und zwischenmenschliche Kompetenz zu-geschrieben.

� Negative Eigenscha�en, die das Bild der älteren Arbeitneh-mer prägen, sind vor allem eine Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, ein erhöhtes Gesundheits-risiko sowie häu�geres Fehlen am Arbeitsplatz. Auch wird den Älteren unterstellt, dass ihre Motivation, Flexibilität, In-novationsbereitscha�, Anpassungsfähigkeit und Teamfähig-keit im Vergleich zu den jüngeren Kollegen geringer ist und ihre Lernbereitscha� niedriger ausfällt. Es wird angenommen, dass ältere Arbeitnehmer langsamer, unsicherer, müder und dadurch auch unproduktiver sind als die jüngeren Kollegen. Ein Sinken der Leistung und der durchschnittlichen Arbeits-produktivität wird bereits mit 40 bis 50 Jahren angenommen.

Die Umfrage der DIS AG (2006) an 1.000 mittelständischen Unternehmen in Deutschland zeigt folgende Unterschiede in den Kompetenzeigenscha�en zwischen Jüngeren und Älteren auf:

Diese Kompetenzeigenscha�en bestätigt Benz in ihrer Befra-gung zur Einschätzung der Leistungsfähigkeit älterer Mitarbei-ter im Vergleich zu jüngeren in einer deutschlandweiten Um-frage in 291 Betrieben (Benz 2010). Durch Erfahrung, gezieltes Training und den Einsatz von Hilfsmitteln lässt sich die Vermin-derung der körperlichen Leistungsfähigkeit deutlich verzögern bzw. kompensieren und der Gesundheitszustand positiv beein-�ussen.

Auch im IAB-Betriebspanel 2002 wurden 15.500 Unternehmen dazu befragt:

� Als Stärken älterer Arbeitnehmer wurden insbesondere ihr Erfahrungswissen, ihre Arbeitsmoral und -disziplin sowie ihr Qualitätsbewusstsein und ihre Loyalität genannt.

� Die Schwächen gegenüber den Jüngeren wurden dagegen in der körperlichen Belastbarkeit, Lernfähigkeit und Lern-bereitscha� gesehen. Auch die Flexibilität und Kreativität wurden bei jüngeren Arbeitnehmern leicht besser bewertet.

erfahrenloyal

verantwortungsbewusstgewissenhaft

kompetentqualifiziert

belastbarkreativ

motiviertteamorientiert

flexibelgesund

schnelle Auffassungsgabeproduktiv

Mobilselbstbewusst

lernbereit

„trifft voll und ganz zu“„trifft überhaupt

nicht zu“1 2 3 4 … 6

jüngere Beschäftigte

ältere Beschäftigte

Arithmetische Mittel

„Wenn Sie ganz allgemein die jüngeren mit den älteren Arbeitnehmern ab 45 Jahren vergleichen, wie würden Sie deren Fähigkeiten und Eigenschaften einordnen?“

Übersicht Salden, Basis 100 %

Abb. 1: Kompetenzeigenschaften zwischen Jüngeren und Älteren. Quelle: DIS AG (2006): Demographischer Wandel und die Auswirkungen auf die Arbeitswelt. URL: www.wissensuchtwege.de / Archiv / download2009 / hauptvortrag_buck.pdf

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� In Bezug auf die Teamfähigkeit, die psychische Belastbarkeit und das theoretische Wissen wurden junge und alte Arbeit-nehmer als ähnlich leistungsfähig eingeschätzt.

− Im Zeitalter des technischen Wandels hin zur Digita-lisierung im Unternehmen 4.0 sind jedoch folgende Leistungsunterschiede zwischen Jüngeren und Älteren äußerst relevant (vgl. Benz 2010):

− Neben einer verlangsamten Verarbeitungsgeschwindig-keit hat sich gezeigt, dass mit zunehmendem Alter so-wohl die Tiefe der Informationsverarbeitung als auch die Menge an Informationen, die gleichzeitig aufgenommen und verarbeitet werden kann, abnimmt.

− Insbesondere kommt es zu Schwierigkeiten bei der Selektion von relevantem und irrelevantem Material unter Zeitdruck und bei der Bearbeitung mehrerer Auf-gaben gleichzeitig,

− während der „Digital Native der Generation Y“ die IT-Technik mit der Muttermilch aufgesaugt hat und absolut technika�n agiert.

Verweist die Personalstruktur eines Unternehmens auf au�äl-lige Häufungen bestimmter Altersgruppen, so lassen sich daran anknüpfend Fragen formulieren, denen Maßnahmen folgen sollten. Aufgabengliederungen, Prozessbeschreibungen, Funk-tionendiagramme und sonstige Dokumente, Formulare und Da-tenbanken bis hin zu vollständigen Organisationshandbüchern sind Gegenstand der weiteren Analyse. Darüber hinaus lassen sich die technika�nen Mitarbeiter der Digital Natives aus Ge-neration Y mit Sicherheit auch gerne zu funktionsspezi�schen Rotationseinsätzen durch alle Abteilungen begeistern, womit sie ihr Wissen breit streuen und damit die Kompetenz anderer Mit-arbeiter au�essern können (Döbelt 2013).

Bereits mit den Bundesprojekten zur Humanität im Arbeits-leben Mitte der 70er Jahre entwickelte sich auch in deutschen Unternehmen die Philosophie vom Menschen als wertvollste Ressource und innovativen Erfolgstreiber im Unternehmen. Im Fokus standen dabei zunächst eher physische Arbeitsbedingun-gen doch inzwischen umfasst diese Philosophie die demogra�e-gerechte Personalarbeit als Ganzes. Warum?

In der Europäischen Union beträgt die Beschä�igungsrate der Arbeitnehmer zwischen 55 und 65 Jahren rund 45 %, wobei es zwischen den Ländern Unterschiede gibt (DESTATIS.de). In �nnischen Langzeitstudien wird aufgezeigt, dass Arbeitsfähig-keit statistisch nicht altersabhängig ist (Ilmarinen et al. 1997). Abhängig ist die Arbeitsfähigkeit insbesondere von arbeitsplatz-relevanten körperlichen Leistungen wie regelmäßiger Lastenma-nipulation (Rademacher et al. 2012).

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Variablen, die die Ar-beitsproduktivität beein�ussen. Dazu gehören die Quali�kation, die Erfahrung, die Motivation, die individuelle Leistungsfähig-keit und die mit dem Alter zunehmende aktive Unterstützung von Kollegen mit Erfahrung, das vermehrte Teilen von Wissen mit anderen sowie die detaillierte Vorbereitung von Unterlagen für andere (Landau, Brauchler u. a. 2012).

4 Handlungsfelder und mögliche Lösungsansätze

Unternehmenskompetenzen werden immer mehr als Schlüssel zu Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmenserfolg gesehen. Lassen der demogra�sche und der digitaltechnische Wandel eventuell Handlungsbedarf in Ihrem Unternehmen erkennen? Der aufgeführte Demogra�e- bzw. Unternehmens-Kompetenz-check in Kurzform fokussiert den betrieblichen Handlungs-bedarf in ausgewählten, erfolgsrelevanten Handlungsfeldern von Unternehmen.

Als Unternehmer haben Sie ein grundlegendes Interesse daran, lukrative Investitionen zu tätigen. Bei demogra�egerechter Per-sonalarbeit als Managementaufgabe geht es darum, Arbeitsinhal-te der Stellen, sowie deren Organisation, also Aufgaben- und Stellenstruktur, sowie Abläufe am Arbeitsplatz so zu gestalten, dass dies durch die entsprechende Verhaltenssteuerung mit Hil-fe von leistungsorientierten Zielvereinbarungen die Leistungs-fähigkeit aller fördert. Für die erfolgreiche Bewältigung des demographischen Wan-dels in der Arbeitswelt sind in Anlehnung an Benz (2010) und Morschhäuser (2015) Maßnahmen in den folgenden zentralen Handlungsfeldern erforderlich:

� Kompetenzau�au über Personalentwicklungswege wie Standortbestimmungs-Workshops, Perspektivgespräche, be-rufsbegleitende Umschulung sowie die Entwicklung speziel-ler Fachkarrieren.

� berufsbegleitende Weiterbildung durch betriebliche Unter-weisungen, u. U. via E-Learning mit besonderen Zeitbudgets dafür, Projekteinsätze auch in überbetrieblichen Koope-rationen, Rotationskonzepte sowie Arbeitsbereicherung und Arbeitserweiterung zu planen.

� Know-how-Transfer mit Tandems, altersgemischten Teams, Paten- und Mentorenmodelle für Auszubildende und / oder neu einzuarbeitende Flüchtlinge sowie die rechtzeitige Nach-folgeplanung mit Senior-Trainern für den Nachfolger.

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Demografie- bzw. Unternehmens-Kompetenzcheck: Sind Sie fit für die Zukunft?

Handlungsfeld Mögliche Handlungbedarfe

+ Ja – Nein ? weiß nicht

I. Markt-Wissen, Know-how

Die Wünsche der Kunden und die Erwartungen des Marktes stellen ständig neue Anforderun-gen an das Wissen und die Qualifikation der Beschäftigten. Wir reagieren flexibel und innovativ darauf.

II. Unternehmens-kultur

Ziele und Leitbild des Unternehmens sind transparent. Kommunikation und Zusammenarbeit der Beschäftigten sind durch gegenseitige Unterstützung und respektvollen Umgang geprägt. Gutes Arbeitsklima.

III. Unternehmens-struktur

Anpassungen der Abläufe und Strukturen im Unternehmen an veränderte Anforderungen durch Markt und Kunden werden erfolgreich und effizient umgesetzt.

IV. Unternehmens-entwicklung

Beschäftigte aller Bereiche und Altersgruppen wirken an betrieblichen Veränderungs-prozessen erfolgreich mit. Die Beschäftigten kennen ihre individuellen Einflussmöglichkeiten auf den Unternehmenserfolg und tragen zur wachsenden Problemlösungsfähigkeit bei.

V. Arbeits-organisation

Die Zuweisung der Aufgaben ist trotz stetiger Veränderung eindeutig. Den Beschäftigten stehen die nötigen Handlungsfreiräume und Befugnisse zur Erledigung der Aufgaben zur Verfügung. Die geplanten Prozesse und Verantwortungsbereiche sind den Beschäftigten bekannt.

VI. Anforderung, Kompetenz

Die physischen und psychischen Anforderungen an den Arbeitsplätzen im gesamten Unterneh-men ermöglichen ohne Einschränkung eine Beschäftigung bis zum regulären Rentenalter.

VII. Arbeitszeit Die Arbeitszeiten ermöglichen eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die Belas-tungen durch lange Arbeitszeiten, Nacht-, Wochenend- und Schichtarbeit sind gering. Das Arbeiten bis zur Rente ist sichergestellt.

VIII. Personal- rekrutierung

Die Gewinnung von Personal ist erfolgreich und mit angemessenem Aufwand möglich.

IX. Personal- bindung

Die Beschäftigten aller Bereiche und Altersgruppen identifizieren sich mit dem Unternehmen, die Fluktuation ist gering.

X. Personal- motivation

Die Führungskräfte tragen entscheidend zur Motivation und Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen bei.

XI. Personal- leistungskapa-zität

Entstehen Personalengpässe bzw. starke Mehrbelastungen von Beschäftigten infolge von Krankheitsfällen?

XII. Personal- entwicklung

Weiterbildungsbedarfe und Entwicklungswünsche der Beschäftigten werden erkannt und aktiv in der Personalentwicklung berücksichtigt.

Tab. 1: In Anlehnung an den Steinbeis Unternehmens-Kompetenzcheck sowie auch www.demografie-aktiv.de Quelle: http://www.steinbeis.de / de / publikationen / transfermagazin / transfer-012014 / wie-kompetent-ist-ihr-unternehmen.html

� demogra�egerechtes Personalmanagement zum Erhalt der Leistungskapazität mit personengebundenen, lohnrelevanten Zielvereinbarungen, ergonomischer Arbeitsgestaltung, tech-nischen Arbeitshilfen, fähigkeitsoptimiertem Personaleinsatz sowie auch Umsetzung in andere Arbeitsbereiche oder gar Outplacement falls nicht vermeidbar.

� �exible Arbeitszeitgestaltung, Sabbaticals, gleitender Berufs-ausstieg mit Wahlarbeitszeiten oder die Einführung von Le-bensarbeitszeitkonten.

� Diversity- und gendergerechte Unternehmenskultur mit Wertschätzungstraining, Leitlinien, Mitarbeiterbefragungen und einem stets o�enen Ohr der Führungskrä�e.

Die Relevanz der Handlungsfelder wurde eingangs bereits im Rahmen der Befragungsergebnisse der BDU-Studie in Baden-Württemberg eindrucksvoll aufgezeigt. Ein demogra�eorien-tiertes Arbeitgeberimage ist dabei ebenso aufzubauen wie ein demogra�eorientiertes Personalmanagement. Benz zeigt in ihren Ergebnissen von 291 befragten Unternehmen folgende erfolgreich eingesetzte Maßnahmen auf (Benz 2010):

� 90 % haben altersgemischte Tandems, � 84 % bieten �exible Arbeitszeiten, � 84 % beziehen Ältere in Weiterbildungsangebote ein, � 70 % haben Altersteilzeit, � 68 % planen ihre Nachfolgeregelungen systematisch voraus,

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� 46 % setzen ältere Mitarbeiter als Berater ein, � 45 % praktizieren Arbeitsrotationsprinzipien, � 43 % praktizieren Arbeitserweiterung und � 45 % praktizieren Arbeitsbereicherung, während nur � 19 % spezielle Weiterbildungsangebote für Ältere haben.

Warum sind gerade diese Maßnahmen bedeutend? Weil Men-schen ihrer Neigung entsprechend im Arbeitsleben eingesetzt werden sollen und die Identi�kation des Menschen mit seiner Arbeit zu Arbeitszufriedenheit und Wohlbe�nden bei der Ar-beit führt. Zweitrangig spielt hier der Erhalt der Work-Life-Balance eine Rolle, die beschreibt, wie der Mensch in den drei Schritten „Verstehen, Sinn geben und damit auch in schwierigen Arbeits- und Lebenssituationen handlungsfähig bleiben“ erst zur erwünschten Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Ar-beitnehmer in Bezug auf Produktivität und Leistung führt.

Führungsmittel sind insbesondere Aufgaben, Personen, Infor-mationen und Prozesse. Daraus lassen sich Ziele als angestrebte Zustände ableiten. Diese Ziele dienen als Führungsinstrument zur Motivation der Mitarbeiter. Das Führen anhand von Ziel-vereinbarungen bzw. das Management by Objectives ist eine Führungstechnik. Diese basiert nach überwiegender Au�assung darauf, dass Ziele zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern ver-einbart werden – also keine (einseitige) Vorgabe von Zielen durch den Vorgesetzten. Innovationen in den Bereichen Orga-nisation und Personal werden mit Zielvereinbarungen de�nier- und planbar. Mittel- und langfristige Handlungsbedarfe lassen sich budgetieren und Einsparpotenziale ausweisen (Referenz-projekte siehe www.brauchler.org). Grundlegende Elemente des Führens anhand von Zielverein-barungen sind das Zielsystem, die Abgrenzung und Organisati-on der Verantwortungsbereiche und das Einführen eines Kon-trollsystems.

Die Kontrolle wird im Idealfall mit Hilfe von Kennzahlensyste-men wie der Balanced-Scorecard vorgenommen, die dann wie-derum mit der Strategie-Map abschließt, die den dynamischen Kreislauf zu den Unternehmensstrategien in Gang halten kann.Unter Arbeitsstrukturierung versteht man die arbeitsorgani-satorischen Maßnahmen zur Veränderung der Arbeitsinhalte und der Arbeitsbereiche. Es handelt sich folglich um die Ge-staltung neuer oder die Veränderung bestehender Arbeitsabläufe mit dem Ziel, den Tätigkeits- und Entscheidungsspielraum der Mitarbeiter zu erweitern. Zur Erweiterung des Handlungsspiel-raums eines Mitarbeiters stehen grundsätzlich drei verschiedene Maßnahmen der Arbeitsstrukturierung zur Verfügung (kurz zu-sammengefasst von Landau, Brauchler et al. 2007):

� Bei der Aufgabenerweiterung ( Job Enlargement) geht es da-rum, die Anzahl verschiedenartiger Aufgaben je Aufgabenträ-ger zu erhöhen und damit den Tätigkeitsspielraum auszudeh-nen. Dabei werden keine qualitativ „höherwertigen“ Aufgaben einbezogen, die zusätzliche Quali�kationen erfordern.

� Bei der Aufgabenbereicherung ( Job Enrichment) geht es darum, zu den vorliegenden Aufgaben solche Aufgaben hin-zuzufügen, die weitergehende Verantwortungen und Kom-petenzen mit sich bringen. Dadurch will man den Freiheits- und Dispositionsspielraum vergrößern und den Mitarbeitern mehr Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Potenziale geben.

� Beim geplanten oder ungeplanten Aufgaben- oder Arbeits-platzwechsel ( Job Rotation) kann der E�ekt einer Aufgaben-erweiterung (beim Wechsel zwischen rang- und ebenen-gleichen Aufgaben) und / oder einer Aufgabenbereicherung (beim Wechsel zwischen rang- und ebenenverschiedenen Aufgaben) entstehen. Die Rotation kann zwischen ortsfesten oder ortsveränderlichen Arbeitsplätzen erfolgen.

� Bei der Gestaltung von Aufgabenerweiterung, -bereicherung oder -wechseln ist eine Beteiligung der Mitarbeiter obliga-torisch. Abgesehen von den bisher erwähnten Maßnahmen der Erweiterung, Bereichung oder des Wechsels („Konfrontation“ des Mitarbeiters mit neuen bzw. mehr Aufgaben) kann bereits eine einfache Umordnung der bisherigen Aufgaben des Mit-arbeiters zu einer Leistungssteigerung führen. Beispielsweise könnte ein Lagerist, der bislang alle während einer Schicht an-fallenden Lastenhandhabungen (z. B. von Kisten) mehr oder weniger „am Stück“ ausgeführt hat und nur alle paar Stunden oder gar erst gegen Ende der Schicht andere Aufgaben erledig-te (z. B. Etikettierung der Kisten), einen Teil einzelner Arbeits-stunden für jene „sonstigen“ Aufgaben verwenden. Zudem könnten damit die Laufwege des Lageristen hinsichtlich der von ihm im zeitlichen Durchschnitt zu handhabenden Lastge-wichte optimiert werden (Landau, Brauchler et al. 2007).

� Arbeitsinhalte sollten mit großem Handlungsspielraum folgen-de Eigenscha�en haben (Auszug aus Bokranz & Landau 2013):

� Eine Aufgabe sollte so gestaltet sein, dass sich der Mitarbei-ter für einen wesentlichen Teil seiner Arbeit verantwortlich fühlen kann. Er soll seine Arbeitsergebnisse auf seinen Ar-beitseinsatz und auf seine Tüchtigkeit zurückführen können. Ganz wichtig ist, dass er Erfolg und Misserfolg seiner Tätig-keit möglichst unmittelbar erkennen kann.

� Der Mitarbeiter sollte seine Arbeitsergebnisse als bedeutsam, z. B. als sichtbar wertschöpfend, bewerten können. Dazu sollte er möglichst unmittelbare Rückmeldungen über seine Arbeitsergebnisse erhalten.

� Der Mitarbeiter sollte einen wesentlichen Teil seiner Fähig-keiten einsetzen können.

� Die Arbeitsinhalte sollten so bescha�en sein, dass ein für die Mitarbeiter erkennbarer Arbeitsfortschritt am Endprodukt entsteht.

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� Die mit Job Enrichment und Job Rotation einhergehende hö-here Quali�kation der Mitarbeiter führt i. d. R. auch zu hö-heren Lohnforderungen, derer sich der Arbeitgeber bewusst sein muss. Neben den erhöhten organisatorischen Aufwand tritt also zumeist auch ein größerer �nanzieller Aufwand. Die-ser amortisiert sich jedoch bei einer konsequent prozess- und mitarbeiterorientiert durchgeführten Arbeitsstrukturierung durch Leistung, mehr Motivation und eine bessere Arbeits-qualität. Zur Beurteilung der betrieblichen Einsatzmöglich-keiten und möglicher Probleme bei der Umsetzung wurden in Landau, Brauchler et al. 2007. Prü�isten erarbeitet, wie der folgende kurze Auszug zeigt:

Auszug aus der Prüfliste von Landau, Brauchler et al. 2007

Ja Nein

Anforderungssituation

Wurden die Anforderungen am Arbeitsplatz des Mitarbeiters analysiert und hinsichtlich der Fehl-beanspruchungen des Mitarbeiters bewertet?

Sind die an den Mitarbeiter gestellten Anforderun-gen vielfältiger Natur, so dass er einen wesentlichen Teil seiner Fähigkeiten einsetzen kann?

Wird der Mitarbeiter aufgrund der Arbeitsplatz-anforderungen sowohl physisch als auch geistig beansprucht?

Tab. 2: Auszug aus der Prüfliste von Landau, Brauchler et al. 2007.

Arbeit ist eine der wesentlichen Säulen für ein erfülltes und zu-friedenes Leben. Es bietet Selbstbestätigung, Bedeutung, All-tagsstruktur und wichtige soziale Kontakte. Die Klagen von Mitarbeitern und Führungskrä�en über eine zu hohe Arbeits-belastung richtet sich nicht gegen die Arbeit selbst, sondern gegen die Umstände, unter denen Arbeit geleistet wird. Dazu gehören nach den letzten Verö�entlichungen des Bundesminis-teriums für Arbeit und Soziales Schichtarbeit, Nachtarbeit, un-regelmäßige und lange Arbeitszeiten sowie lange Anfahrtswege zum Arbeitsort.

Mensch und Arbeit im Einklang ist gemäß dem Bundesminis-terium für Arbeit die wichtigste Weiche für eine zukun�sfähige Unternehmensstrategie unter Einbeziehung eines passgenauen Personalmanagements mit dem unbedingten Willen der Ge-schä�sleitung als Erfolgstreiber. Selbst kleine, aber gezielte und maßgeschneiderte Maßnahmen im Sinne des oben dargestellten Demogra�e- bzw. Unternehmens-Kompetenzchecks werden Unternehmen positiv verändern. Gute Arbeitsbedingungen und eine positive Lebensqualität am Arbeitsplatz heute sind die Garanten für Unternehmenserfolg morgen. Denn Sie werden in Zukun� mit dem Grundproblem konfrontiert, dass attraktive, quali�zierte Nachwuchskrä�e der Generation Y ein innovatives Arbeitsumfeld fordern (Burkhart 2015).

5 Ausblick

Ihre individuelle betriebliche Situation sollte mit hilfreichen Checklisten und anschaulichen Best-Practice-Darstellungen von Gestaltungslösungen analysiert und demogra�egerecht aus-gerichtet werden, denn erst dann sind Sie als Unternehmer �t für Zukun� und Industrie 4.0. Im Fokus einer kostenlosen Kurz-beratung in Ihrem Unternehmen (www.steinbeis.de / de / stein-beis / dienstleistungen / beratung-und-expertisen / leistungen.html) stehen die zielführende praktische Realisierbarkeit und die zeitliche Priorisierung der vielfältig möglichen Maßnahmen zu Kompetenzau�au sowie dem Erhalt von Leistungs- und Be-schä�igungsfähigkeit .

Es gibt inzwischen keinen Zweifel mehr: Der Erfolg jedes Unter-nehmens hängt von der Leistungsfähigkeit aller in Ihrem Betrieb handelnden Personen ab: den Mitarbeitern, den Führungskräf-ten und der Geschä�sleitung. Leistungsfähigkeit ist eine Summe aus Know-how, Fähigkeiten, Engagement, Leistungsbereitscha� und Belastungsfähigkeit. Leistungsfähigkeit ist allerdings nicht allein ein individuelles �ema. Es kann also nicht nur dem Einzelnen zugutegeschrieben oder angelastet werden. Leistungs-fähigkeit entsteht in einer positiven und leistungsfördernden Arbeitsumgebung.

Eine an den Fähigkeiten der Mitarbeiter orientierte und opti-mierte Personaleinsatzplanung reduziert nicht nur Fehlzeiten, sondern auch Fluktuation und trägt damit langfristig zur Fach-krä�esicherung bei. Beratungsprojekte zur Fachkrä�esicherung werden im Übrigen unter wenigen Randbedingungen auch vom ESF mit bis zu 6000 Euro jährlich für die Coaching-Leis-tungen gefördert (www. steinbeis.de / de / steinbeis / dienstleis-tungen / beratung-und-expertisen / leistungen / coaching.html).Fachkrä�emangel entsteht, wenn der Personalbedarf an ent-sprechend quali�ziertem Personal mit dem betriebsintern und -extern vorhandenen Krä�epotenzial nicht gedeckt werden kann, kurz: wenn die Nachfrage das Angebot auf dem Markt übersteigt. In Deutschland wird Fachkrä�esicherung voraus-sichtlich 2020 ins Problembewusstsein der Personalverantwort-lichen vordringen und demogra�egerechte Personalarbeit in die Unternehmenskultur, die Arbeitsbedingungen sowie die Quali-�kations- bzw. PE-Maßnahmen etabliert werden.

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LiteraturverzeichnisBenz, Maike (2010): Personalmanagement in Zeiten des Demogra�schen Wan-

dels. Zukün�ige Herausforderungen für groß- und mittelständische Unterneh-men mit Fokus auf die Zielgruppe der älteren Arbeitnehmer. Dissertation an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn.

Bokranz, Rainer; Landau, Kurt (2006): Produktivitätsmanagement von Arbeits-systemen. MTM-Handbuch Industrial Engineering unter fachlicher Mitwirkung von: Carl Becks, Dr. Bernd Britzke, Dr. Hans Fischer, Knuth Jasker, Dr. Liesbeth Sackewitz, Gerhard Sanzenbacher, Rainer Schosnig, �omas Weber. Schä�er-Poeschel Verlag, Stuttgart.

Burkhart, Ste� 2015: Junge Menschen ticken anders. Generation Y: „Leistung ist nicht machen, machen, machen. URL: http://ste�burkhart.com/forderungen-der-generation-y-naives-wunschkonzert-nein/ Stand: 16.07.2016

Döbelt, Frances (2013): 7 Tipps für Sie im Umgang mit der Generation Y. Per-sonal im Fokus 9 / 2013.

Dulger, Rainer, Hofmann Jörg: Arbeit 4.0 digital, �exibel und sozial. In: Zukun� jetzt. Das Magazin der DRV, Ausgabe 4 / 2015, S. 14–15.

DIS AG (2006): Demographischer Wandel und die Auswirkungen auf die Arbeits-welt. URL: http://www.wissensuchtwege.de / Archiv / download2009 / hauptvortrag_buck.pdf

Pfei�er, Sabine 2015: Arbeit und Bildung. In: Ho�mann, Reiner; Bogedan, Claudia (Hrsg.): Arbeit der Zukun�. Möglichkeiten nutzen – Grenzen setzen. Campus Verlag, Frankfurt, New York.

BDU e.V. (Hrsg.), 2012: Herausforderungen im Personalmanagement. Ergebnisse einer Studie in Baden-Württemberg. URL: http://www.demogra�e-exzellenz.de/wp-content/uploads/2016/03/Demogra�e-Studie-2012.compressed.pdf Stand: 16.07.2016

Ilmarinen, Jushi; Tuomi, Kristiina; Klockars, Matti. 1997: Changes in the wor-kability of active employees oven an 11-years period. Scand. Journal of Work and Environmental Health, 23 sppl., S. 49–57.

Rademacher Holger; Bruder, Ralph; Sinn-Behrendt, Andrea; Landau, Kurt 2012: In�uences of mechanical exposure biographies on physical capabilities of workers from automotive industry – a study on possible dose-response relationships and consequences for short and long term job rotation. IEA 2012 Conference Proceedings, Recife.

Landau, Kurt; Brauchler, Regina; Weissert-Horn, Margit; Presl, Angelika; Rademacher, Holger; Bruder, Ralph 2007: Altersmanagement als betriebliche Herausforderung. Hier Kapitel Arbeitsstrukturierung S. 107� , Ergonomia Verlag, Stuttgart.

Landau, Kurt; Brauchler, Regina; Weissert-Horn, Margit; Presl, Angelika 2012: Active Agemanagement. In: Zeitschri� für Arbeitswissenscha� 01/2012, 66. Jahrgang. Ergonomia Verlag, Stuttgart S. 72–88.

Management

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Technologie

Industrie 4.0: „IT-Management – Strategien der Zukunft“

Oliver Brehm

1 Basisfähigkeiten zur I 4.0

Die IT-Abteilung eines Unternehmens steht täglich vor einer großen Herausforderung. Es gilt geeignete Infrastruktur und eine Vielzahl von So�waresystemen quer durch das Unterneh-men bereitzustellen, um damit die ganze Prozesskette abdecken zu können. Und dies im engen Schulterschluss mit den Anwen-dern bzw. den anwendenden Experten zu den jeweiligen �emen.Daneben gilt es diese IT-Landscha� permanent zu aktualisie-ren und die jeweiligen Schnittstellen sozusagen „am Leben zu erhalten“. Wir sprechen hier aber eher von einem Idealfall. Die Wirklichkeit sieht teilweise jedoch ganz anders aus: historisch gewachsene, heterogene Systemlandscha�en, teilweise unter-brochen durch Insellösungen oder gar prozessbedingte Medien-brüche. Warum können dann KMU trotz dieser De�zite erfolg-reich am Markt agieren? Gerade in den kleineren und mittleren Unternehmen ist es möglich, die Organisation auf Zuruf zu steuern und so prozessbedingt De�zite in kleinen „Feuerwehr-aktionen“ auszugleichen. Dies funktioniert aber nur solange das Unternehmen autonom arbeiten kann. Die Beau�ragung durch den Kunden erfolgt nicht digital, das abschließend an den Kun-den ausgelieferte Produkt oder Gewerk steht funktionstüchtig in Stahl und Eisen, also physikalisch im Raum. Aber eben in Stahl und Eisen und nicht digital.Je kleiner also die Unternehmen, desto ausgeprägter ist der Bedarf nach datentechnischer Harmonisierung, um die oben beschriebene Durchgängigkeit zu erreichen und auch in einer kün�ig digitalen und vernetzten Lieferantenkette bestehen zu können.Die IT-Landscha� der Unternehmen wird sich also mit fort-schreitender Digitalisierung durch Industrie 4.0 ändern:Wesentliche Veränderungen werden in den folgenden Bereichen erwartet:

� Engineering � Produkt � Produktion

Dabei fällt dem Virtual Prototyping eine Schlüsselrolle zu.

Insbesondere Simulationsmethoden jeglicher Couleur werden in den kommenden Jahren den Schlüssel zum Erfolg darstellen.

2 Produktentwicklung, CAx und Simulation

Bereits heute ist ein Paradigmenwechsel bei den Simulationstools erkennbar. Historisch bedingt, bzw. über die Stückzahl kom-pensiert, war in der Vergangenheit das �ema Simulation immer eine Domäne der Serienfertiger. Im Gegensatz hierzu wurde bei den typischen Einzelfertigern bisher weniger simuliert, sondern einfach nur konstruiert. Ausgelegt wurde mit rechnerisch dop-pelter Sicherheit und was nicht 100 % passte, wurde bei der In-betriebnahme passend gemacht. Die Vorgehensweise erforderte auch nicht das 100 %ige digitale Abbild in der IT-Systemkette im Sinne eines virtuellen Prototypen.Unabhängig von der Fertigungsart werden Simulationen in Zu-kun� auf allen Ebenen in erheblichem Umfang notwendig wer-den, weil sich Serienfertiger im Rahmen der Industrie 4.0 mit der Anforderung konfrontiert sehen, ein Serienprodukt in der ge-wohnten Qualität zum gewohnten Preis, aber im Extremfall mit Losgröße 1 herstellen zu können. Die Einzelfertiger hingegen werden gezwungen sein, parallel zum Produkt in Stahl und Eisen neue Methoden wie z. B. virtuelle Inbetriebnahme und Einbin-dung in die komplette Fabrikplanung des Kunden sicherstellen zu können. Dies umfasst demnach auch die Bereitstellung von Daten als Basis einer Fabrikplanungssimulation im Gesamtkon-text der industriellen und nun digitalen Fertigung. Gerade um die Losgröße 1 bei Bedarf sogar automatisiert pro-duzieren zu lassen, wird kün�ig jegliche Form von Simulation erfolgskritisch sein. Wo vormals ein „Einsteller“ beim Rüstvor-gang, alle Eigenheiten seiner Maschine kennend, die optimalen Werte einstellte, �ießt dieses maschinenspezi�sche Know-how kün�ig in die Simulation mit ein. Dies umfasst dann aber auch die Abbildung von Toleranzen, Toleranzpaarungen und deren Simulation bei unterschiedlichen klimatischen Bedingungen. Gerade bei Serienprodukten entspricht eine solche Simulation dann letztlich immer mehr einem „virtuellen Serienanlauf “.

Das Zukun�sszenario einer automatischen Fertigung, durch cy-berphysische Systeme (CPS) geregelt, erfordert letztlich die Mach-barkeit von Losgröße 1.

2.1 Rahmenbedingungen

Grundlage einer e�zienten Simulation ist immer eine gemein-same Datenbasis aller Beteiligten und durchgängige Prozesse frei von Medienbrüchen. Idealerweise verfügen die beteiligten Werkzeuge dabei über eine hohe Integrationstiefe zwischen CAD und Simulationstool. Der damit verbundene Aufwand, Know-how, Personal und Technik permanent vorzuhalten, ist für KMU nur sehr schwer zu schultern, es muss also vielfach auf

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Technologie

externe Dienstleister zurückgegri� en werden. Für eine sinnvolle Zusammenarbeit muss der externe Dienstleister jedoch fast per-fekt in die eigene Infrastruktur eingebunden werden können, da Iterationsschleifen an der Tagesordnung sind und sonst zu lange dauern würden. Somit bildet sich über die Vernetzung mit anderen Lieferanten eine Art virtuelle Firma zur Simulation der realen Produktionskette.Ohne das entsprechende Inhouse-Know-how der KMU im Simulationsbereich kommt den Simulationsdienstleistern eine Schlüsselrolle zu. Sie müssen demnach über exzellente Schnitt-stellen zu anderen Systemen verfügen.

Simulation und Fabrikplanung sind die Grundpfeiler von Digitaler Fabrik und Industrie 4.0.

2.2 Folgen

Natürlich bleiben solche Eingri� e in die bisherige industrielle Fertigung nicht folgenlos. Bereits heute ist eine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der Produktion in Richtung Entwick-lung erkennbar. In der Fertigung wegfallende Arbeitsplätze werden in der Produktionssimulation dringend benötigt. Dies erfordert eine rasche Umsetzung geeigneter Umschulungs- und Quali� zierungsmaßnahmen. Man könnte hier auch von einem Ressourcenumbau bzw. -au� au sprechen. Ein im Hochschul-umfeld regelmäßig zu beobachtender „Schweinezyklus-E� ekt“ beim „Generieren“ von Absolventen für die jeweiligen Studien-disziplinen sollte hier unbedingt vermieden werden.

Industrie 4.0 beein� usst daher das Anforderungspro� l der kün� i-gen Mitarbeiter signi� kant.

3 Seamless Data – Durchgängige Datennutzung

Zur Sicherstellung einer durchgängigen Datennutzung ist es er-forderlich, eine integrierte Systemlandscha� ohne Medienbrü-che aufzubauen.

3.1 Auswirkung von I 4.0 auf PLM

Hierzu kann man sich auf die Aussagen des Expertengremiums „sendler\circle“ stützen. Dieser sieht PLM nach dem klassischen Gedanken in nur wenigen Industrien / Branchen vollumfänglich implementiert. Erschwerend kommen noch die vielfach vorhan-denen Medienbrüche zwischen Entwicklung und Produktion hinzu.

3.2 Thesen des Expertengremiums „sendler\circle“ zum Zusammenhang zwischen PLM und Industrie 4.0

1. Die Grundlage innovativer, „intelligenter“, vernetzter Pro-dukte sind digitale Produktmodelle.

2. Das digitale Produktmodell muss alle Elemente der Mecha-nik, Elektrik, Elektronik und So� ware enthalten und ihr Zu-sammenwirken virtuell spiegeln können.

3. Digitale Modelle machen Entwicklung, Produktion und Be-trieb komplexer Produkte beherrschbar.

4. Das durchgängige Management der digitalen Produktmo-delle über ihren gesamten Lebenszyklus ist eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung von Industrie 4.0.

CAD

ECAD/PCB

Software

Simulation

VR

Projektdoku

CRM

Konfigurator Publikationen

Print Katalog

CD-ROM

Online Katalog

CMS

PDM/PLMERP&

Co.PIM

Vertrieb

Produkt-Entwicklung Produktion Marketing

VR-Einsatz: Produkt-bezogen

VR-Einsatz: Auftrags-bezogen

VR-Einsatz: Zielgruppen-o.Eventbezogen

Abb. 1: Schema einer integrierten Systemlandschaft. Quelle: Oliver Brehm, STZio.

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Technologie

3.3 Beispiel Anlagenbau

Durch eine durchgängige Umsetzung des PLM-Gedankens besteht die Möglichkeit zur Realisierung einer elektronischen Maschinenakte, welche den Zustand der Maschine lebenslang dokumentiert. D. h., nicht das Produkt als Baureihe insgesamt wird dokumentiert, sondern eine explizite Anlage. Es wird also pro ausgeliefertem Stück dokumentiert.

Wir sprechen hier nicht mehr von einem virtuellen Prototyp, sondern vom digitalen Abbild der Maschine. In der Realität sieht es im Anlagenbau jedoch anders aus:

� Es wird teilweise kein ein echtes PLM gelebt, sondern das PLM-System lediglich als Verwaltung für CAD-Modelle eingesetzt.

� O� ist die digitale Zeichnung das „führende“ Objekt und nicht das Mastermodell in 3D, dessen Abbild die Zeichnung ja darstellt.

� In der Regel kann die VDA-Empfehlung 4953 „vereinfachte Zeichnung“ nicht abgebildet werden.

Die durchgängige Abbildung der Prozesskette im Sinne des „ech-ten PLMs“, also von der Produktde�nition bis zum Service, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0.Wer dies bereits heute beherrscht, muss daran arbeiten, die Da-ten und Zustände seines Produktes immer feingranularer erfas-sen zu können, da mit den denkbaren neuen Geschä�smodellen die Daten der Produkte im laufenden Betrieb ausgewertet und entsprechend verwaltet werden müssen. Die systematische Ana-lyse und vor allem die daraus resultierenden Schlussfolgerungen ermöglichen dann entsprechende Geschä�smodelle im Dienst-leistungsbereich.

4 Zukünftiges Datenmanagement

4.1 Daten verwalten

Welche Daten müssen kün�ig verwaltet werden?

� Spezi�kation � Konstruktionsdaten � Lieferantendaten – Zukau�eile � Simulationsdaten des Produktes � Produktionsdaten – Produktionsspezi�kation, Toleranz � Simulationsdaten der Produktion � Technische Dokumentation � Betriebsdaten

4.2 Daten analysieren

Die im Betrieb des intelligenten Produktes entstandenen Daten können auf bestimmte Merkmale bzw. Unregelmäßigkeiten analysiert werden. Beispielsweise könnte vor dem Ausfall einer Komponente eine bestimmte Unwucht oder Schwingung auf-treten. So können Standzeiten minimiert und defekte Teile zu geplanten Zeitpunkten ausgetauscht werden. Infolgedessen kön-nen die Betriebszeiten maximiert werden.In einem anderen Beispiel wurden die Toleranzen auf einer Be-arbeitungsmaschine reduziert, indem man den Maschinentisch mit entsprechenden Sensoren ausgestattet und eine aktive Was-serkühlung implementiert hat. Wurde der Tisch durch die Be-arbeitung zu heiß, konnte sofort nachgeregelt und die Toleran-zen eingehalten werden. Auch hier erhöhte sich die Betriebszeit der Maschine signi�kant.

4.3 Rechtssituation

Das Geschä�smodell des „Verdienens mit den Daten“ wir� natürlich rasch die Frage nach den Eigentümern der Daten auf. Durch vermehrten Einsatz von intelligenten Produkten pro-duzieren die verbauten Sensoren im Betrieb Unmengen von Da-ten. Diese sind derzeit noch nicht gesetzlich geschützt und kön-nen prinzipiell durch den Hersteller des Produktes ausgewertet werden. Der Internetkonzern Google arbeitet ja nach demselben Prinzip. Die Daten werden analysiert und die Schlussfolgerun-gen entsprechend verkau�. Es gibt jedoch bereits Bestrebungen, den Schutz dieser Betriebsdaten oder Nutzerdaten gesetzlich zu regeln (vgl. Urheberrecht).

Wer die Betriebsdaten seiner Produkte auch morgen noch nutzen will, muss sich bereits heute die Nutzung der Daten seiner Kunden vertraglich sichern.

5 Zusammenfassung

Um Industrie 4.0 erfolgreich betreiben zu können, ist eine inte-grierte IT-Landscha� und die durchgängige Unterstützung der Prozesskette unabdingbar. Gerade KMU sind hier vielfach noch nicht ausreichend aufgestellt.Die �emen Virtual Prototyping, Simulation und Fabrikpla-nung sind Voraussetzung, um geringste Losgrößen ohne längere Anlaufphasen auf einer �exiblen Fertigungsstraße bei der erfor-derlichen Qualität herstellen zu können. Die autonome Fertigung zieht veränderte Quali�kationspro�le der Mitarbeiter nach sich.

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Technologie

Neue digitale Geschä�smodelle erfordern eine feingranulare Verwaltung der Daten bis hin zur Verwaltung von Livedaten der Produkte im Betrieb.Entsprechend der Standortbestimmung des „sendler\circles“ gibt es hinsichtlich der I-4.0-Fähigkeit der Unternehmen noch einiges zu tun. Die Umsetzung der Maßnahmen dauert dabei er-fahrungsgemäß mehrere Jahre, sodass die alte Regel „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ nach wie vor ihre Gültigkeit behält.

Literaturverzeichnis[1] Wikipedia 16.05.2016: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Innovati-

on&oldid=154435576[2] Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA,

Dr. Wieselhuber & Partner GmbH , März 2015, „Geschä�smodell-Innovation durch Industrie 4.0: - Chancen und Risiken für den Maschinen- und Anlagenbau“ von Univ.-Prof. Dr.-Ing. �omas Bauernhansl, Dr. mont. Volkhard Emmrich u. A.

[3] Deutsche Akademie der Technikwissenscha�en e.V., Prof. Dr. Henning Kagermann, Prof. Dr. Wolfgang Wahlster, Dr. Johannes Helbig, 18.4.2016: Umsetzungsempfehlungen für das Zukun�sprojekt Industrie 4.0 - Abschluss-bericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. URL: https://www.bmbf.de/�les/Umsetzungsempfehlungen_Industrie4_0.pdf

[4] VDA-Empfehlung 4953 „Vereinfachte Zeichnung“

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Megatrends und ihr Einfluss auf die Produktentwicklung Uwe Fischer, Patrick Müller

In diesem White Paper wollen wir auf Auswirkungen von Me-gatrends wie Globalisierung und Konnektivität sowie weiteren Trends wie Personalisierung von Produkten und Dienstleistun-gen auf das �ema Produktentwicklung (Engineering) fokussie-ren. Wir beschreiben, wie diese Trends die Produkte, den Pro-duktentwicklungsprozess und die in der Produktentwicklung arbeitenden Mitarbeiter beein�ussen. Unternehmen müssen auf Basis der Megatrends neue Strategien und digitale Geschä�s-modelle entwickeln. Der Artikel zeigt, dass einzelne Optimie-rungen allein nicht ausreichen, sondern Optimierungen des ge-samten Unternehmens erforderlich sind. Der Artikel beschreibt auch, dass die Probleme mit dem richtigen Vorgehen lösbar sind.

1 Produktentwicklung 2020

Für das Engineering in produzierenden Unternehmen waren die letzten Jahre gekennzeichnet von komplexer werdenden Pro-dukten mit einem höheren So�wareanteil, kürzeren Entwick-lungszyklen und mehr beteiligten Entwicklungspartnern. Um diesen Anforderungen zu begegnen, haben viele Unternehmen neue IT-Lösungen implementiert. Dabei handelt es sich bei-spielsweise um CAD / CAE-Tools und Product-Lifecycle-Ma-nagement(PLM)-Lösungen. In der Vergangenheit waren dies

häu�g Insellösungen in der Produktentwicklung. Unternehmen müssen diese Lösungen aber zukün�ig auch in andere Unter-nehmensbereiche integrieren.

Aufgrund der Marktanforderungen werden die Unternehmen mit neuen Herausforderungen (z. B. zunehmende Varianten-vielfalt, Losgröße 1) konfrontiert. Worauf sollen sich die Ent-wicklungsbereiche einstellen, welche weiteren Prozesse und Un-ternehmensbereiche sind von den veränderten Anforderungen durch Industrie 4.0 und IoT betro�en, wie sind die Anpassungen umzusetzen und zu priorisieren?

Wer die benötigten Kompetenzen allein aus den heutigen An-forderungen ableitet, hinkt den realen Anforderungen hinter-her. Das Wissen darum, welche Fähigkeiten in Zukun� benötigt werden, ist für Unternehmen entscheidend und verändert die Art und den Umfang der Wertschöpfung signi�kant. Unterneh-men müssen neue Strategien bzw. „Digitale Geschä�smodelle“ entwickeln.

Zu wissen, was passieren wird, wie sich das Marktumfeld ver-ändert, welche Leistungen und Produkte nachgefragt sein wer-den und welche Fähigkeiten zukün�ig im eigenen Unternehmen dafür zur Verfügung stehen müssen, ist ein entscheidender Er-folgsfaktor. Es gibt verschiedene Methoden, um die richtigen Ableitungen zu tre�en und richtig zu priorisieren. Ein TCI-Kunde wählte hierfür einen „Capability“-Ansatz, mit dem es ge-lang, aus den erwarteten Geschä�sentwicklungen, den Erkennt-nissen aus der Forschung zu gesellscha�lichen Trends und dem

26.07.2016 1© 2010 TCI - Transformation Consulting International

Übersicht über Megatrends

Globalisierung Urbanisierung Konnektivität

Mobilität New Work Neues Lernen

Silverpreneure Female Shift Gesundheit

Sicherheit Neo-Ökologie Individuali-sierung

CC0 Gemeinfrei CC0

CC0 CC0 CC0

CC0CC0

CC0

CC0

CC0CC0

Abb. 1: Übersicht über Megatrends. Quelle: TCI (Mannheim), in Anlehnung an MEGATREND-MAP 2.0 aus „Future Concepts“, Zukunftsinstitut GmbH, 2015.

Technologie

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prognostizierten Technologie-Zyklus Anforderungen an die zu-kün�ig benötigten Fähigkeiten abzuleiten. Im Fokus stand die Entwicklung einer Zielarchitektur 2020 und der zugehörigen 5-Jahres-Roadmap, dem Fahrplan zu einem Bebauungsplan für Enterprise-IT-Architektur. Von den Ergebnissen pro�tierten alle Fachbereiche und die IT.

2 Megatrends und technische Trends

Megatrends wirken langfristig, in allen Märkten und bestimmen deshalb die Unternehmensstrategie. Heutige Megatrends sind unter anderem Globalisierung, Konnektivität, Neo-Ökologie und Individualisierung.

Neben den Megatrends sind technologische Trends, wie cyber-physische Systeme, das Internet der Dinge, Big Data und Sicher-heitsthemen zu berücksichtigen.

Ein weiterer Trend ist die zunehmende Kombination von Pro-dukten mit Dienstleistungen und das Personalisieren der Pro-dukt- und Dienstleistungsangebote.

Diese Trends haben begonnen, die Arbeitswelt im Allgemeinen und die Produktentwicklung im Speziellen von Grund auf zu verändern und werden dies in den nächsten Jahrzehnten weiter tun. Die Auswirkungen der Trends müssen betrachtet und ganz-heitlich umgesetzt werden, da sie sich gegenseitig beein�ussen und unterstützen.

Dieser Ein�uss betri� Geschä�smodelle von Unternehmen und deren gesamte Prozesskette von der Produktentwicklung über den Einsatz eines Produktes beim Kunden, bis hin zum Ende der Nutzung des Produktes und der Wiederverwendung der ent-haltenen Rohsto�e.

3 CPS und IoT

Produkte bestanden früher aus Mechanik und etwas Elektrik und Elektronik. Heute enthalten sie Steuergeräte, zusätzliche Aktoren und Sensoren, So�ware und Daten. Statt einer einfachen Bedienung verfügen sie über komplexe Menüsteuerungen. Zukün�ig werden sich andere Formen der Benutzerinteraktion verbreiten, z. B. über Sprache oder über Gesten. Manche Systeme werden selbstlernend sein (Machine Learning), sich selbst steuern oder von anderen Systemen ge-steuert werden.

Sie werden internetfähig und agieren im IoT mit anderen Pro-dukten als komplexe Systeme. Systeme interagieren wiederum mit anderen Systemen, was die Komplexität weiter erhöht. In der Studie „Industrie 4.0“ von BITKOM und Fraunhofer IAO geht man 2020 von 50 Milliarden Teilnehmern am Internet of Every-thing (d. h. Menschen, Prozesse, Daten und Dinge) aus.

Mit CPS und IoT können Unternehmen ihren Kunden neue Funktionen und neue Geschä�smodelle anbieten. Beispiele sind Geschä�smodelle, die auf der Analyse und Auswertung der ent-stehenden Daten basieren, wie z. B. Predictive Maintenance, wo Maschineninformationen (Temperatur, Beschleunigung, Frequenzen, Akustik etc.) Aufschluss über den Verschleiß geben und für die Planung der anstehenden Wartung und Instandhal-tung verwendet werden, oder im Bereich Navigationssysteme, wo die Bewegungsdaten eines Fahrzeugs von anderen Fahrern bzw. zur Verkehrssteuerung genutzt werden.

Die Entwicklung dieser Produkte und Systeme erfordert die In-tegration sehr vieler, unterschiedlicher Komponenten und Ver-fahren. Die Systemintegration ist aber nicht nur disziplinüber-greifend, sie ist auch immer häu�ger unternehmensübergreifend. Aufgrund der Vielzahl an eingesetzten Komponenten und Tech-

08.09.2016 2© 2010 TCI - Transformation Consulting International

Übersicht über IT-technische Trends

Cyber-physische Systeme

IoT

System-sicherheit

Daten-sicherheit

Big Data

Cloud

CC0 CC0 CC0

CC0CC0

CC0

Abb. 2: Übersicht über technische Trends. Quelle: TCI (Mannheim).

Technologie

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nologien müssen immer mehr Zulieferer und Entwicklungspart-ner integriert werden.

30.08.2016 3© 2010 TCI - Transformation Consulting International

CyberPhysische Systeme

Internet der

Dinge

Security

Globali-sierung

Collaboration

Konnek-tivität

Künstliche Intelligenz

BigData

Cloud

New Work

Mobili-tät

Die Herausforderungen von „Business 4.0“ für Individuen und Organisationen

NeuesLernen

Indivi-dualisie

rung

Abb. 3: Gegenseitige Beeinflussung von Trends und Entwicklungen.

Die So�wareentwicklung stellt den klassischen, an der Entwick-lung von mechanischen Produkten ausgerichteten Entwicklungs-prozess vor Herausforderungen. In vielen Branchen, wie z. B. Automotive, bewegt sich der So�wareanteil an der Produktent-wicklung mittlerweile in Richtung 50 %. Reichte es früher aus, eine Mechanik- und eine Elektrik / Elektronik-Entwicklung im Unternehmen zu haben, so benötigen Unternehmen heute im-mer mehr So�warespezialisten. Dies erfordert nicht nur andere Fähigkeiten, sondern auch andere Prozesse. So�ware hat andere Entwicklungsprozesse als die Mechanik. Sie wird schneller ent-wickelt, getestet und geliefert. Dazu kommt die zusätzliche Auf-gabe, Hardware- und So�wareentwicklung zu integrieren. Die Produkte müssen nach der Auslieferung regelmäßig mit aktuali-sierter So�ware versorgt werden, um Fehler in der Steuerung zu verhindern oder um Sicherheitsrisiken zu reduzieren. Hierfür ist

ein Kompatibilitätsmanagement für die betro�enen Hardware- und So�wareversionen erforderlich.

Durch die Vernetzung muss man sich Gedanken um die Robust-heit gesamter Systeme machen. Ein Ausfall eines Teilsystems kann ein komplettes System oder möglicherweise eine ganze Prozesskette beinträchtigen. Redundante Komponenten und Teilsysteme, wie man sie bereits aus der Flugzeugindustrie kennt, werden auch in anderen Produkten und Systemen Einzug halten. Andere Systeme benötigen ggf. ein automatisches Abschalt-szenario, wenn das System sich selbst oder andere Systeme gefähr-det. Serviceeingri�e müssen schnell möglich sein, um Stillstands-zeiten zu reduzieren. Zugri�e auf die Maschinen im Rahmen des Service sollten revisionssicher aufgezeichnet werden.

4 Individualisierung von Produkten

Der Markt fordert immer mehr personalisierte Produkte. Pro-dukte müssen optimal auf bestimmte Zielgruppen bzw. einzelne Kunden abgestimmt sein. Darüber hinaus gibt es länderspezi-�sche Varianten und Zusatzoptionen, um die Produkte den Be-dürfnissen von unterschiedlichen Menschen noch individueller anzupassen.

Varianten gab es schon immer – aber die Globalisierung und der zunehmende Wunsch nach individuellen Produkten haben dazu geführt, dass die Varianz sich stetig erhöht hat.

Die Vielzahl der zuvor beschriebenen Varianten wäre mit einem Kostensprung in Entwicklung, Einkauf und Produktion ver-bunden, wenn man nicht mit einem geschickten Variantenma-nagement die Vielzahl an Produktvarianten auf eine deutlich

30.08.2016 4© 2010 TCI - Transformation Consulting International

Cyber-Physische Systeme

Aktorik und Sensorik

Steuergeräte/Software

Vernetzung/Kommunikation mit anderen Systemen

Upgradefähigkeit des Produktes (SW, komplette Bedienung)

StatusNutzung von Diensten

Bereitstellung von Daten

Sicherheitsanforderungen/Veralterung von Elektronik und Software

CC0

Simulationen und Absicherungen

LogistikProdukt-

entwicklungService

und Nachrüstung

Neue Geschäftsmodelle

Sich

erhe

it

IT-u

nd N

etzi

nfra

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ktur

ermöglichen

benö

tigen

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rder

n

erforderngeänderte Prozesse

Abb. 4: Cyber-physische Systeme und ihre Auswirkungen. Quelle: TCI (Mannheim).

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geringere Anzahl an Teilvarianten reduzieren würde. Dazu darf die Produktentwicklung nicht auf das einzelne Endprodukt aus-gerichtet sein, es muss immer die gesamte Produktplattform im Auge behalten werden. Häu� g wird die Plattformentwicklung und die variantenspezi� sche Anpassung in Unternehmen orga-nisatorisch getrennt.

Doch manchmal geht der Trend zu Individualisierung noch weiter: Der Kunde will ein individuell für ihn entwickeltes Pro-dukt bzw. ein Produkt, das individuelle Bestandteile beinhaltet. Man spricht hier von kundenindividueller Massenproduktion, bzw. Mass Customization. Jetzt entdecken die Serienanbieter, z. B. Automobilhersteller, die Möglichkeiten, die hier verborgen liegen. Sie fangen an, ihr Leistungsspektrum um individualisier-bare Produkte zu ergänzen. Dazu müssen Prozesse von der Pro-duktentwicklung bis hin zum Service umgestellt werden.

Um die anfangs hohen Kosten für die Anpassung der Prozesse zu decken, erfolgt dies zunächst bei Premiumprodukten. Es ist zu erwarten, dass die neuen Fähigkeiten im nächsten Schritt auch auf günstigere Produkte ausgedehnt werden. Ergänzt wird das Produkt dann immer häu� ger um Service. Dies kann schon ein Service bei der Auswahl und Kon� guration des Produktes sein oder auch ein Service, bei welchem dem Käufer die Potenziale des Produktes umfassend erklärt werden.

5 Anforderungen an Produktabsicherungen

Produkte, die aus unterschiedlichen Teilsystemen bestehen und die sich mit Hilfe von Variantenkon� guration zu Produkten mit Losgröße 1 entwickeln lassen, erfordern eine deutlich umfang-reichere Produktabsicherung, als dies früher der Fall war. Bei kundenindividuellen Produkten ist diese Notwendigkeit ganz besonders gegeben.

Die wenigsten Unternehmen sind heute in der Lage, ein kom-plexes, variantenreiches Produkt bzw. System ausreichend ab-zusichern.

Die Produkte und ihre unterschiedlichen Varianten sollten funk-tional, geometrisch und bezüglich Montage abgesichert werden, bevor sie produziert werden können. Meistens verlässt man sich auf die Untersuchung von repräsentativen Varianten. Zu häu� g muss das heute noch in Form von sehr teuren physischen Pro-totypen erfolgen, zu selten erfolgt dies virtuell am Computer. Letzteres ermöglicht eine Untersuchung einer größeren Anzahl an Varianten und ist zudem deutlich schneller, was hil� die Ent-wicklungszeit zu verkürzen.Zu den Absicherungen des Produktes kommen zusätzliche Simu-lationen, die durch die Automatisierung der Fertigung notwendig werden. Bisher waren es Mitarbeiter, die an den Maschinen den Fertigungsprozess gesteuert und bei Bedarf eingegri� en haben. Um diese Eingri� e zu reduzieren, müssen z. B. Veränderungen der Umgebungsparameter bei der Fertigung erfasst und ihre Aus-

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Business 4.0: Customer to Product

Produkt-management

EntwicklungVertrieb Entwicklung Arbeits-vorbereitungvorbereitung

Produktion Service

Gibt den zulässigen Rahmen vor

Setzt individuelle Wünsche um und sichert ab

Verkauft kein Standard-produkt sondern erarbeitet den Auftrag mit dem Kunden

management Entwicklung

Entwickelt den Rahmen

Muss die Produktions-planung auf individuelle Wünsche ausrichten

Starre Serienfertigung=> Flexible Fertigung

Muss Kunden-konfiguration kennen, kundenspezifische Ersatzteile

Konfigurierbare Entwicklungsstückliste

Konfigurierbare Produktionsstückliste

Varianten-Konfigurator

Kundenkonfiguration/Kundenstücklisten

Online-ZugriffKonfigurierbarer Arbeitsplan mit Dummy-Aktivitäten

3D-Visualisierung und Absicherung

Angebotsgenerator

Abb. 5: Customer to Product und Auswirkungen. Quelle: TCI (Mannheim).

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wirkungen simuliert werden, damit man diese Ergebnisse in der Fertigung berücksichtigen kann.

6 IT für die Produktentwicklung

Viele der Trends und Innovationen haben dazu geführt, dass die Anforderungen an die IT immens gestiegen sind. Die Produkt-stammdaten müssen verwaltet und in der gesamten Prozesskette genutzt werden. Gleichzeitig müssen die spät im Lebenszyklus eines Produktes entstehenden Informationen wieder in die Ent-wicklung neuer Produkte zurück�ießen. Das können beispiels-weise Informationen über Kundenrückmeldungen oder den Ser-vice sein. Die Steuergeräteso�ware muss verwaltet werden. Über ein Kon�gurationsmanagement muss dokumentiert werden, welche Hardware- und So�warestände zu welchem Zeitpunkt entwickelt und verbaut wurden. Ein Kompatibilitätsmanagement muss verwalten, welche Stände miteinander kombinierbar sind, insbesondere für den Bereich Service. Tools für Variantenkon-�guration werden sowohl in der Produktentwicklung als auch im Vertrieb, der Au�ragsabwicklung und Arbeitsvorbereitung benö-tigt. Diese Tools müssen mit Absicherungstools verbunden wer-den, um eine Vielzahl an Produktvarianten absichern zu können.

Collaboration-Tools werden benötigt, damit beispielsweise Ent-wickler an unterschiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Unternehmen gemeinsam an einem Endprodukt arbeiten können. Eine große Herausforderung für die IT-Systeme stellen inte-grierte Sicherheitskonzepte, Identity-Management und Remote

Access dar, die einem Anwender genau die Daten und Zugri�e auf Systeme revisionssicher bereitstellen, die er für seine Arbeit benötigt, aber nicht mehr. Diese Anforderungen sind im Kon-text internationaler Entwicklung bzw. B2B2C-Dienstleistungen sehr brisant und stellen Unternehmen mit einer Vielzahl von Anwendungen und Produkten vor große Herausforderungen. Das Identity-Management sowie rollen- und projektbezogene Berechtigungskonzepte nehmen dabei eine zentrale Rolle ein.

7 Anforderungen an die Mitarbeiter

Auch die in der Produktentwicklung arbeitenden Mitarbeiter müssen sich verändern. Die Experten sind sich einig, dass in der Produktion durch die Automatisierung weitere Arbeitsplätze entfallen werden. Gleichzeit werden aber in der Produktent-wicklung, Simulation und Absicherung neue Arbeitsplätze für hochquali�zierte Mitarbeiter entstehen.

Es werden Ingenieure benötigt, die in der Lage sind, komplexe Gesamtsysteme zu verstehen und den disziplinenübergreifenden Integrationsprozess zu leiten. Sie müssen über sehr gute Sprach-kenntnisse verfügen und in der Lage sein, mit Ingenieuren in anderen Unternehmen zusammenzuarbeiten und auch kulturelle Barrieren zu überbrücken. Auch wird die Zusammenarbeit der Ingenieure mit anderen Bereichen im Unternehmen wie Einkauf, Vertrieb und Service immer wichtiger. Die Produktentwicklung �ndet nicht mehr im Elfenbeinturm statt, andere Bereiche müs-sen frühzeitig in die Entwicklung einbezogen werden. Durch die

08.07.2016 5© 2010 TCI - Transformation Consulting International

Business 4.0: Collaboration

Zusammenarbeit mit Kunden

Zusammenarbeit mit Entwicklungspartnern

Zusammenarbeit mit Lieferanten

Zusammenarbeit in virtuellen Projektteams

Zusammenarbeit im Rahmen Supply Chain Management

Video-konferenzen

Screen-sharing

Daten-austausch

Gemeinsame DokumentnutzungTelefonieSocial

Networks ChatMobiler Zugriff

auf Tools

Zusammenarbeit mit anderen Standorten im Unternehmen

Quelle: 123RF

Abb. 6: Collaboration-Tools und Szenarien. Quelle: TCI (Mannheim).

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Koordination der Abteilung im Unternehmen und von verschie-denen Entwicklungspartnern außerhalb werden von Ingenieuren umfassende Projektmanagement-Fähigkeiten verlangt.

Entwickler müssen nicht nur CAD-Tools bedienen können, sondern müssen sich mit Product-Lifecycle-Management-Tools, Absicherungstools usw. auskennen. Das Erfassen und Auswerten von Daten sind zu extrem wichtigen Tätigkeiten geworden. Auch werden Mitarbeiter benötigt, welche die IT-Abteilung unterstützen, die benötigten So�waretools auszuwählen, ein-zuführen und anzupassen.

Als Einstieg in das �ema Business 4.0 bieten wir mehrere In-House Workshops an. In dem Workshop zum �ema „Megatrends und Ein�uss auf die Produktentwicklung“ erarbeiten wir mit Ih-nen eine unternehmensspezi�sche Trendlandkarte und re�ektieren mit Ihnen die Trends und deren Auswirkungen für Ihre konkrete Unternehmenssituation.

Uwe Fischer, Patrick Müller, Partner, TCI Transformation Con-sulting International GmbH

Literaturverzeichnis[2] Industrie 4.0 – Volkswirtscha�liches Potenzial für Deutschland, BITKOM

und Fraunhofer IAO, 2014. URL: https://www.bitkom.org/Publikatio-nen/2014/Studien/Studie-Industrie-4-0-Volkswirtscha�liches-Potenzial-fuer-Deutschland/Studie-Industrie-40.pdf (Zugri�: 21.07.2016).

[3] Lindenmann, Reichwald, Zäh: Individualisierte Produkte – Komplexität in Entwicklung und Produktion, 2006, Springer Verlag, Heidelberg.

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Vernetzung von PLM-,ERP- und MES-geprägten Prozessen

�omas Mücke

1 Einleitung

Zur Sicherung der Arbeitsplätze im globalen Wettbewerb ist eine weitere Reduzierung der Produktionskosten notwendig, wobei der Schwerpunkt in den Planungsbereichen liegen sollte. Die Produktion wurde bereits in den letzten Jahren erheblich ver-bessert; hierbei ist die Optimierung der Planungsbereiche meist nicht einbezogen worden. Jedoch de�niert die Konstruktion ca. 70 % der Produktkosten. Somit sind Optimierungen nur noch teilweise in der Produktion ausgleichbar. Nachdem der Planungs-bereich einen unmittelbaren Ein�uss auf die Produktkosten hat, ist dies ein Schwerpunkt.

Mittels der vertikalen und horizontalen Vernetzung, in Ver-bindung existierender So�warekomponenten können erheb-liche Verbesserungspotenziale erzielt werden. Hierbei werden in Echtzeit Daten aus der Maschine visualisiert und analysiert. Schnell und einfach auf Basis des Reportings können die Mit-arbeiter Entscheidungen tre�en. Es werden Informationen von den planungs-, fertigungsnahen und technischen Systemen dem-entsprechend berücksichtigt und analysiert.

Auf Basis einer 3D-Bauteilanalyse in der Konstruktion kann direkt im CAD-System eine Optimierung der Bauteile aufgrund von Informationen aus der Fertigung erzielt werden. Dadurch wird direkt im CAD-System geprü�, ob das Bauteil zu fertigen ist, wo Verbesserungspotentiale liegen und was das Bauteil in der

Herstellung kosten wird. Somit können über die konstruktiven Änderungen Rüstzeiten in der Produktion direkt beein�usst werden, welche bei kleinen Losgrößen essentiell sind. Auf deren Basis können über AFRs (Automatic Feature Recognition) NC-Programme auch für Alternativmaschinen erstellt werden. Da-durch erhält man in der Produktion die Flexibilität, um Durch-laufzeiten zu reduzieren.

Auf Basis der Maschinensignale können über die Maschinenkon-nektoren (Big Data) Informationen über das MES-System oder DATA-Analytik-Tool wiederum ins TDM zurück�ießen, so dass ein PDCA-Prozess (Verbesserungsprozess) ganzheitlich sowohl im Bereich der Logistik als auch im technischen Bereich vorhan-den ist; es sind somit Optimierungen möglich, um die Herstell-kosten drastisch und stetig zu reduzieren. Die technischen und betriebswirtscha�lichen Bereiche sind heu-te nicht durchgängig vernetzt.

Durch eine horizontale und vertikale Integration der Bereiche erzielt man komplett neue E�ekte bei einer gesamtheitlichen Optimierung. Die Initiative von Industrie 4.0 fördert diese In-tegration.

Hierbei werden folgende Aspekte berücksichtigt: � Aspekt 1: Horizontale Integration über Wertschöpfungsnetz-

werke; dies beinhaltet die Vernetzung diverser Abteilungen. � Aspekt 2: Vertikale Integration; dies beinhaltet den Informa-

tionsaustausch innerhalb einer Fabrik, von der Maschine bis zur übergelagerten Unternehmensebene.

� Aspekt 3: Durchgängigkeit des Engineerings. � Aspekt 4: Der Mensch als Dirigent in der Wertschöpfungs-

kette; er kann dadurch aufgrund der Real-time-Daten aus der Maschine schnell und e�ektiv Entscheidungen tre�en.

Abb. 1: Umsetzungsstrategie Industrie 4.0 in Anlehnung an [1].

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Die Integrationen verbinden die verschiedenen Bereiche über eine vertikale und horizontale Integration.

Durch Betriebsmitteldaten können die technischen und be-triebswirtscha�lichen Bereiche vernetzt werden, welche zu einem dementsprechenden Verbesserungsprozess in beiden Bereichen führen. Es wird dargestellt, wie durch Betriebsmittelinforma-tionen ganzheitliche Prozesse optimiert werden; Daten werden sowohl aus technischer als auch kommerzieller Sichtweise über-all benötigt. Die Werkzeugkosten sind auf das Bauteil bezogen vernachlässigbar klein, können jedoch auf die Gesamtprozess-kette erhebliche Auswirkungen haben. In der Gra�k ist u.a. die Vernetzung der Bereiche ERP, PLM und MES dargestellt, wobei Werkzeuginformationen in allen Bereichen des Produktlebens-zyklus eines Bauteils notwendig sind.

Abb. 2 : Vernetzung der verschiedenen Bereiche in Anlehnung an [2].

Durch die Integration ergeben sich neue E�ekte, so dass in der Entwicklung die Bauteile fertigungsgerecht erstellt werden kön-nen, wodurch neue Einsparpotenziale vorhanden sind.

2 Optimierung in den einzelnen Bereichen

Die Optimierung ist beispielha� am KIT-IMI realisiert. Hierbei sind die notwendigen Systeme und Maschinen installiert.

ERP Microso� Dynamics NAVPDM Enterprise PDM CAD SolidWorksCAM CAMWorksCAD-Optimierung simus classmate PLANWerkzeugverwaltung TDM V4MES Factory FrameworkVoreinstellung Kelch EASY-WebSetWerkzeugmaschine EAS 300mini

Diese Systeme sind dementsprechend vernetzt, damit die ge-wünschten E�ekte erzielt werden können. Hierbei liegt das Augenmerk auf der Vernetzung. Somit können die E�ekte auch mit anderen Maschinen in einer Produktionsumgebung erzielt werden.

Abb. 3 : Installation am KIT-IMI in Anlehnung an [2].

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2.1 Konstruktion

Die Konstruktion bildet die Basis zur Optimierung der Gesamt-prozesskette. Nachdem die Konstruktion die Kosten für die Produktion maßgeblich beein�usst, sollte fertigungsgerecht konstruiert werden. Hierzu wurde simus classmate PLAN in-stalliert, um die Bauteile direkt im CAD-System bestmöglich zu gestalten. Hierbei werden aufgrund der Daten aus TDM und einer Methodik die Daten aus der Maschine übernommen. Die Optimierung erfolgt aufgrund einer Data-Analytik; daraus abgeleitete optimierte Technologiedaten werden über TDM an das Simus-System weitergeleitet. Somit wird bereits in der Kon-struktionsphase dargestellt, ob das Bauteil mit den vorhandenen Produktionsmitteln hergestellt werden kann und ob Kosten-treiber vorhanden sind. Auf Basis der gra�schen Visualisierung direkt im CAD kann der Konstrukteur erkennen, an welchen Geometrie-Elementen Änderungen vorzunehmen sind. Die abhängigen Bauteile sind direkt modi�zierbar, da über die Ver-wendungen bzw. Assembly-Strukturen die Geometrie-Elemente direkt aufru�ar sind, welche angepasst werden sollten.

2.2 NC-Programmierung

Das CAM-System ist featurebasiert orientiert, somit können NC-Programme für Alternativmaschinen erzeugt werden. Dies hat den Vorteil, dass in der Fertigung aufgrund der aktuellen Maschinen- und Auslastungssituation die Bauteile auf der geeig-netsten Werkzeugmaschine produziert werden können, um die Durchlaufzeit dementsprechend zu reduzieren.

Damit die Datenauswertung über Werkstücke, Werkzeuge, Technologiezuordnungen und Werksto�e möglich ist, wurde der Au�au des NC-Programmes untergliedert. Somit ist jede NC-Operation in einem Unterprogramm gespeichert, um die eindeutige Zuordnung zu erzielen.

2.3 Tool Data Management

Für die weitergehende Analyse im MES-System sind Werkzeug-informationen mit Technologieinformationen angereichert. Für jede NC-Operation ist in Abhängigkeit der Technologie ein Datensatz angelegt. Damit kein zusätzlicher P�egeaufwand entsteht, erzeugt das NC-Programmiersystem die Technologie-zuordnung, so dass die Daten nach der Erzeugung des NC-Pro-grammes über die Data-Analytic in die Technologiedatenbank von TDM abgespeichert werden können. Somit ist der Bezug zur Maschine / Fertigung und zum NC-Programm vorhanden. Das TDM-System unterstützt über die Schnittstellen den Opti-mierungsprozess auf Basis der Data-Analytik.

Nachdem TDM die Schnittstellen zu den Systemen hat, wird ein dementsprechender Optimierungsprozess unterstützt.

Abb. 4 : Integrationen von TDM in die übergeordneten Systeme in Anlehnung an [2].

3 Methodik

Die Methodik ist beispielha� am KIT-IMI realisiert. Hierbei wurden die installierten Systeme so�wareseitig vernetzt, wobei die Flexibilität und Anpassbarkeit der Schnittstellen eine große Bedeutung in der Realisierung hatte.

3.1 Maschinenintegration

Über ein dementsprechendes Plug-In, welches am KIT-IMI realisiert wurde, können folgende Informationen können u. a. ausgelesen werden:

� Aktive NC-Nummer � Durchschnittliche Schnittgeschwindigkeit � Durchschnittlicher Vorschub � Bearbeitungszeit � Energieleistung � Produktionszeit � Störungsmeldungen � Werkzeugwechselzeiten

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3.2 Datenauswertung

Bei der Datenauswertung ist es wichtig, dass das Regelwerk �e-xibel aufgebaut ist, eine Echtzeitanwendung vorhanden ist und Daten von verschiedenen CPS und Systemen analysiert werden können. Hierzu ist eine Verdichtungsebene und eine dement-sprechende Visualisierung zur schnellen Entscheidungs�ndung und Analyse notwendig.

Datenerfassung

Die Datenerfassung an der Maschine erfolgt auf zwei Varianten: � Eingabe durch den Mitarbeiter an der Maschine (Betriebs-

datenerfassung): Bei BDE-Meldungen werden dem Au�rag Stückzeitmeldungen, manuelle Störgrundmeldungen, Aus-schußmeldungen etc. zugeordnet.

� Verarbeitung der Signale aus der Maschine (Maschinendaten-erfassung): Bei MDE werden die Signale dem Au�rag und dem NC-Programm über den Zeitstempel zugeordnet. Die Interpretation der Daten erfolgt bei der Zuordnung zu den Betriebszuständen.

Bei den Informationen ist immer der Au�ragsbezug und der NC-Nummer-Bezug vorhanden. Nachdem bei dem installierten De-monstrator am KIT-IMI die NC-Nummer (Unterprogramm) einer NC-Operation und der dementsprechenden Technologie zugeordnet ist, ist auch die Eindeutigkeit zum

� Werkzeug, � Werksto�, � Werkstück und zur � Technologie

vorhanden.

Somit können in der Auswertung die Informationen übergeord-net ausgewertet und analysiert werden.

DatenzuordnungBei den o. a. Varianten müssen die Daten über sog. DCU (Data Collection Units) eingelesen werden; das ist eine Middleware, welche zwischen der Maschine und einem Applikationsserver die aktuellen Daten, welche für den Prozess relevant sind, ver-arbeitet.

DateninterpretationBei der Dateninterpretation werden die Signale Betriebszustän-den zugeordnet, somit können z. B. einem Zustand „Produkti-on“ mehrere Maschinensignale zugeordnet sein.

Aufbereitung der KennzahlenAufgrund des Arbeitskreises MES, des VDMA-Einheitsblattes 66412-1, sind diverse Kennzahlen festgelegt worden.

Hierbei werden keine Kennzahlen für den technischen Prozess im Bereich CAD / CAM abgeleitet, somit ist aus bisheriger Sicht kein Optimierungspotenzial an dieser Stelle gegeben.

Um die E�ekte im technischen Bereich darzustellen, wurde die Methodik für technische Auswertungen erweitert. Durch die technologischen Kennzahlen und Analysen ist ein durchgängi-ges Engineering mit einer Optimierung auf Basis der Real-Time-Daten aus der Maschine sichergestellt.

Abb. 5: Signalerfassung-, Transformation- und Interpretation in Anlehnung an [3].

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Architekturansatz zur Meldeverknüpfung

Hierzu gibt es vier Teilebenen:

Signalebene (Maschinensignale) � Signale aus der Maschinensteuerung

Melde-Ebene (Au�ragsmeldungen, Personalmeldungen, Schichtereignisse)

� Zeitlich korrekte Verarbeitung von der Signalebene, auto-matisch generiert Meldungen aus de�nierten Zeitmodellen und manuell erfassten Meldungen

Interpretationsebene � Logische Darstellung aus den Daten der Meldeebene; Bereit-

stellung von Online-Kennwerten; Erstellung von Report-His-torien, Erzeugung von Rückmeldungen an das ERP-System

Verdichtungsebene � Au�ereitung der Historiendaten, damit die Ermittlung von

Kennzahlen leicht und performant zu interpretieren ist.

Somit ist sichergestellt, dass die Echtzeitdaten korrekt den Auf-trägen zugeordnet sind, sowie für die nachgelagerten Daten�üsse die aktuellen Berichte über Unternehmensplanungen (ERP) und die historischen Auswertungen erstellt werden können.

Abb. 7 : Chronologische Liste der Betriebszustände in Anlehnung an [3].

Abb. 6: Zeitstrahlkonzept in Anlehnung an [3].

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3.3 Visualisierung

Mittels der Echtzeitdaten aus der Maschine können die Daten visualisiert werden. Hierbei werden die Daten im MES-System aus den verschiedenen Systemen verarbeitet, analysiert, verdich-tet und visualisiert.

Die Darstellung einer detaillierten Maschinenauswertung ist die Grundlage für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozesses im technischen Bereich. Die Daten können über statistische Ermitt-lungen kumuliert in den Planungsbereich übernommen werden.

Um die gesamten Prozesse zu optimieren, werden Kennzahlen auf

� Managementebene, � Fertigungsebene und � Technologieebene

dargestellt und ermittelt.

Abb. 8: Beispiel einer Visualisierung am KIT in Anlehnung an [4].

Abb. 9: Methode zur Optimierung in Anlehnung an [4].

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3.4 Methode zur Optimierung

Die Methode, welche die Daten aus der Maschine verarbeitet und im MES-System in einem Dashboard visualisiert, optimiert den Gesamtprozess nicht nur auf Basis eines OEE-Reports (Kennzahl aus Verfügbarkeitsgrad, Leistungsgrad und Qualitäts-grad), sondern betrachtet den Fertigungsau�rag auf NC-Operationsebene. Hierzu werden Daten au�rags-, werkstück- und technologieübergreifend ausgewertet. Der optimierte Tech-nologiedatensatz wird aufgrund einer Big DATA-Analyse weiter-geleitet, so dass die technischen Systeme über die Integrationen zu TDM auf aktuelle und optimierte Informationen zugreifen können.

4 Zusammenfassung

Auf Basis der Kennzahlen sind neue Potenziale aufgrund der technischen Informationen möglich. Hierbei werden vorhande-nen Kennzahlen und neue Auswertungen betrachtet.Es werden Informationen aus verschiedenen Datenquellen be-rücksichtigt:

� PLM-System � ERP-System � QS-System � MES-System � CPS / Maschine � TDM-System � Manuelle Informationen durch den Maschinenbediener

Es ist von Bedeutung, dass alle notwendigen Informationen von unterschiedlichen Systemen betrachtet werden, da ansonsten Auswertungen und Visualisierungen zu falschen Schlussfolge-rungen führen können.

Beispiel: Wenn der Vorschub erhöht wird, kann die Produktivität erhöht werden, wenn jedoch die Qualität (z. B. die Ober�ächen-güte) nicht mehr erzielt wird, ist die Produktivitätserhöhung nicht realisierbar. Somit müssen bereits bei dieser Auswertung Informationen aus den o.g. Systemen / Prozessen berücksichtigt werden.

Die analysierten Daten und berechnete, optimierte Technologie-parameter werden an das TDM zur Verteilung der Daten wei-tergeleitet, damit ein ganzheitlicher Optimierungsansatz vor-handen ist.

Auf Basis der dargestellten Abläufe und deren Methodik können folgende E�ekte erzielt werden: verbesserte Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche

� fertigungsgerechte Konstruktion � Reduzierung von

− Administrativem Aufwand − Rüstzeiten − Durchlaufzeit − Kapitalbindung

� Erhöhung der Flexibilität

Dadurch wird sichergestellt, dass die Herstellkosten eines Bau-teiles auch bei Losgröße 1 und variantenreicher Fertigung redu-ziert werden können. Somit ist eine Individualisierung von Pro-dukten möglich.

Bereits realisierte Lösungen zeigen auf, dass eine Produktivitäts-steigerung von mehr als 20 % möglich ist.Aufgrund der ganzheitlichen Optimierung bereits in der Kon-struktionsphase wird die Basis gescha�en, die Kosten in den Pla-nungs- und Fertigungsbereichen nachhaltig zu reduzieren und den Standort im globalen Umfeld attraktiv zu halten.

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Literaturverzeichnis [1] Umsetzungsstrategie Industrie 4.0: Bitkom e. V. , Plattform Industrie 4.0

(2013–2015) gemeinsames Projekt der Verbände BITKOM e. V., VDMA e. V. und ZVEI e. V.

[2] Mücke, �omas: Industrie 4.0 in der Praxis Durchgängige Prozesse mit TLM und NC Simulation zur optimalen Maschinenauslastung, Expertenforum Mann-lose Fertigung, 16.6.2015 in Kempten.

[3] Schliessmann, Alexander: iProduction, die Mensch-Maschine-Kommuni-kation in der Smart Factory; In: Bauernhansl, �omas; Ten Hompel, Michael; Vogel-Heuser, Brigit (Hrsg.): Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik; Springer Verlag, Wiesbaden.

[4] Mücke, �omas: Ganzheitliche Optimierung durch Vernetzung von PLM-, ERP- und MES geprägten Prozessen unter Berücksichtigung von Betriebsmittel-Abläufen: Wissenscha�liche Konferenz 25 Jahre FDIBA–German Engineering: Made in Bulgaria, 27.11.2015 in So�a.

Abkürzungsverzeichnis

AFR Automatic Feature RecognitionBDE BetriebsdatenerfassungCPS Cyber physical systemsERP Enterprise Resource Planning SystemMDE MaschinendatenerfassungMES Manufaturing Execution SystemPLM Product Lifecycle ManagementTDM Tool Data Management

Produkt- / Herstellerverzeichnis

Microso� Dynamics NAV Bechtle AG, NeckarsulmEAS 300 mini EAS / Bolz, GriesheimFactory Framework Forcam GmbH, RavensburgCAMWorks Geometric Ltd, MumbaiKIT Karlsruher Institut für TechnologieEasy Web Set Kelch GmbH, Weinstadtsimus classmate PLAN SIMUS Systems GmbH, KarlsruheSolidworks, ePDM Solidline AG, WallufTDM V4 TDM Systems GmbH, Tübingen

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Stabilisierung von fahrbaren Roboterplattformen

Aishe Toledo Fuentes, Martin Kipfmüller

Schlüsselwörter

� Mobile Roboterplattform � experimentelle Modalanalyse � dynamisches Verhalten � mechatronisches Mehrkörpersimulationsmodell � Co-Simulation

Abstract

Roboterarme auf mobilen Plattformen weisen aufgrund des hohen Schwerpunktes des Systems eine geringe Stabilität ge-genüber den beim Betrieb notwendigen Bremsungen und Be-schleunigungen auf. Dieses De�zit soll durch den Einsatz aktiver Stellelemente behoben werden, deren Art, Anbringung und Re-gelung mittels eines Simulationsmodells ausgewählt / entwickelt werden soll.In der vorliegenden Publikation werden die Modellierungsver-fahren des mechanischen Ersatzmodells einer Roboteranord-nung als Mehrkörpersystem beschrieben. Das Robotersystem umfasst einen Knickarmroboter mit 6 Freiheitsgraden, eine auto-nome, mobile Plattform und ein Aktorsystem, welches zwischen den beiden Bestandteilen integriert wird, um die Stabilität des Gesamtsystems zu gewährleisten. Das Mehrkörpersimulations-modell des Robotersystems soll die wesentlichen Auswirkun-gen auf die Dynamik des realen Systems gut wiedergeben, um darauf au�auend ein funktionsfähiges Regelungskonzept für die entsprechende Aktorik zu entwerfen. Die Validierung dieses Simulationsmodell erfolgt mittels Messdaten (Eigenfrequenzen und Eigenformen), welche aus einer am Institut durchgeführten experimentellen Modalanalyse (EMA) stammen. Das Mehrkör-persimulationsmodell ist in der So�ware Adams / ViewTM von MSC.So�ware GmbH abgebildet.

Stabilization of mobile robot platforms

Robot arms on mobile platforms have due to their high system center of gravity low stability, an unfavorable situation most notably when the system should suddenly brake and accelerate. �is de�cit could be solved by implementation of active posi-tioning actuators. �e type of these actuators, their mounting

and appropriated control should be selected / developed using simulation models. �is publication describes the modelling procedures of an analo-gous mechanical model concerning a mobile robot platform, in form of a multi-body system. �e mobile robot platform system comprises a six-degree-of-freedom articulated robot arm, an autonomous mobile platform and an actuator system, which is integrated between these two main components, providing dy-namic stability for the overall system. �e multi-body simulation model of the mobile robot platform should re�ect particularly well the signi�cant e�ects on the real system dynamics. �is si-mulation model should be validated by real measurement data derived from experimental modal analyses (natural frequencies and natural modes) to produce an accurate and credible homo-logous system. Based on this model, a functional control strategy for the corresponding actuator system should be formulated und developed. �e multi-body simulation model is built using the so�ware Adams / ViewTM of MSC.So�ware Corporation.

1 Einleitung

Zur Erfüllung der steigenden Flexibilitätsanforderungen in pro-duzierenden Unternehmen im Rahmen der Industrie 4.0 bedarf es innovativer Lösungen. Einen Ansatz stellt der Einsatz von mo-bilen Roboterplattformen in der Produktion dar: Durch die An-bringung von Knickarmrobotern auf mobilen Plattformen wird eine räumliche Flexibilität erreicht, die es zum Beispiel zukün�ig erlaubt, präventive Instandhaltungs- oder Material- und Werk-stückversorgungsaufgaben autonom zu erledigen. Die Gewähr-leistung der Stabilität des gesamten Systems beim Au�reten eines abrupten Bremsvorgangs ist hierbei jedoch eine zentrale Heraus-forderung. Durch ein Kippen des Systems verursachte Schäden an Maschinen oder Kollisionen mit anderen Transportsystemen und vor allem mit dem Menschen müssen vermieden werden.

Zurzeit gibt es einige Institute [1] und Unternehmen [2] [3], die sich mit dem �ema fahrbare Roboterplattformen beschäf-tigen. Bisherige Systeme benötigen jedoch zum Erreichen eines stabilen Fahrverhaltens vergleichsweise viel Platz, da die mobilen Plattformen eine relative große Masse besitzen (im Vergleich zur Robotermasse), um das System mittels ihres Eigengewichts „passiv“zu stabilisieren. Zum anderen verfügen sie über eine be-schränkte Traglast, da „leichte“ Roboter zum Einsatz kommen, um die Plattformen kleiner zu halten. Im beschriebenen For-schungsvorhaben soll eine Verbesserung der Systeme durch ak-tive Stabilisierung bei gleichzeitiger Reduktion der Plattform-dimensionen erreicht werden. Dafür kommen die Antriebe des Roboters oder zusätzliche Aktoren (hydraulisch, elektrisch usw.) als mögliche Lösungsvarianten in Betracht.

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Auch aus wirtscha�licher Sicht ist diese letzte Alternative vor-teilha�, da für die Umsetzung kein Eingri� in die Roboter-steuerung notwendig ist, der auch mit einer Veränderung der Roboterpose einhergeht, die gerade bei Lasttransporten als kri-tisch zu bewerten ist. Die Entwicklung dieses aktiven Stabilisie-rungssystems soll anhand eines Simulationsmodelles erfolgen. In diesem Zusammenhang spielt die experimentelle Ermittlung von Modalparametern eine wichtige Rolle, da sie die Erstellung eines realitätsnahen Simulationsmodells ermöglichen.

2 Modellierungsmethoden

Die hier verwendete Methodik besteht aus zwei Hauptschrit-ten. Im ersten Schritt (Kapitel  2.1) wird ein CAD-Modell des Roboters und der mobilen Plattform erstellt. Mittels Modalana-lyse werden die Eigenfrequenzen und Eigenformen der realen Komponenten bestimmt. In dem sich anschließenden zweiten Schritt (Kapitel  2.2) erfolgt dann auf Basis der Ergebnisse aus Kapitel 2.1 in einem iterativen Prozess die Ableitung eines reali-tätsnahen Mehrkörpermodells.

2.1 Bestimmung der Modalparameter

Die angewandte Methode ähnelt dem in [4] beschriebenen Vorgehen. Einen Überblick über die Vorgehensweise gibt Ab-bildung 1. Zunächst wird ein vollständiges CAD-Modell des 6-achsigen Ro-boters (Abb. 2) und der autonomen mobilen Plattform (Abb. 4)

erstellt. Aus diesem können die zentralen Parameter wie Massen und Trägheitsmomente, die für die Modellierung des Mehrkör-persimulationsmodells (MKSM) von entscheidender Bedeutung sind, ermittelt werden. Ferner werden die Eigenfrequenzen und Eigenformen mittels experimenteller Modalanalysen bestimmt. Hierbei hat sich gezeigt, dass die Struktur als Starrkörpersystem modelliert werden kann, da die Verbindungselemente zwischen den Gliedern im Vergleich zu den Körpern relativ weich (elas-tisch / �exibel) sind. In Folge wurde der Frequenzbereich für die experimentellen Untersuchungen zwischen 5 Hz und 500 Hz gewählt [4].

Abb. 2: Mitsubishi RV-3AL 6-achsiger Roboter. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Zamarajew [14].

Abb. 1: Iterationsverfahren zur Modellierung eines Systems als Mehrkörpermodell. Quelle: Eigene Darstellung.

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Abb. 4: Autonome mobile Plattform. Quelle: MetraLabs GmbH.

Der Versuchsau�au der durchgeführten Messungen umfasst einen Echtzeitanalysator, piezoelektrische 3D-Beschleunigungs-aufnehmer zur Aufnahme des Ausgangssignals X(t), eine Vi-brationsmatte und einen Impulshammer mit seinen zugehörigen Schlagkalotten unterschiedlicher Härtegrade zur Erzeugung des Erregerspektrums F(t). Der Einsatz eines Impulshammers wurde hier zur Verringerung des zeitlichen und gerätetechnischen Auf-wands gewählt [5]. Die schematische Darstellung der Versuchs-anordnung ist in Abbildung 3 dargestellt. Nicht dargestellt sind die Anregungspunkte sowie die Platzierung der Beschleuni-gungsaufnehmer. Bei der Wahl der Punkte sollte jedoch darauf geachtet werden, dass das zu untersuchende System (hier Robo-ter und mobile Roboterplattform) nicht orthogonal angeregt wird, da einige Eigenformen, die orthogonal zur Erregungsebe-ne liegen, sich nicht vollständig anregen lassen und somit nicht erfassbar sind. Es emp�ehlt sich, alle Bewegungsrichtungen der Systeme anzuregen, um sicherzustellen, dass alle erwünschten Ei-genformen vollständig identi�ziert werden [6]. Zur e�zienten Erstellung des Versuchsplans sollten ferner mögliche Eigenfor-men antizipiert werden.

Zur Bestimmung der Übertragungsfunktion H(t) werden die analogen Signale zunächst mit Hilfe des Echtzeitanalysators in digitale Signale umgewandelt und mittels diskreter Fourier-Transformation das zugehörige Frequenzspektrum berechnet. Somit werden die modalen Parameter aus dem Frequenzgang H(jω) der Übertragungsfunktion

identi�ziert.

Die Modalparameter des Roboterarms wurden für drei Positio-nen ermittelt: Grundposition sowie senkrecht und waagerecht komplett gestreckte Position des Armes. Diese Positionen wurden ferner jeweils mit bestromten und unbestromten (mit Bremskupplung) Elektromotoren des Roboters durchgeführt.

H(jω) = (1) X(jω)F(jω)

Abb. 3: Versuchsanordnung für die experimentelle Modalanalyse. Quelle: Eigene Darstellung.

Abb. 5: Versuchsplan für die experimentellen Modal analysen. Quelle: Eigene Darstellung.

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Die Modalparameter der mobilen Plattform in ausgeschaltetem Zustand wurden in einem weiteren Versuch ermittelt. Der ge-samte Versuchsplan umfasste somit sieben Einzelversuche. Der Versuchsplan ist in Abbildung 5 darstellt.

2.2 Die Mehrkörpersimulation

Nachdem die Eigenfrequenzen und Eigenformen für den Ro-boter und die mobile Plattform ermittelt worden sind und die CAD-Modelle vorliegen, kann das Mehrkörpersimulations-modell (MKSM) erstellt werden. Bei der Modellierung eines mechanischen Ersatzmodells gibt es mehrere mögliche Abstrak-tionsgrade. Einen Überblick über einige dieser Methoden gibt Tabelle 1. Gewählt wurde ein Starrkörpermodell, welches die ersten Eigenfrequenzen und zugehörigen Eigenformen umfasst, eine schnelle Berechnung gewährleistet und somit für den Ent-wurf eines Regelungsalgorithmus, welcher hier zur Stabilisierung des gesamten Systems entworfen werden soll, geeignet ist.

Beim Erstellen eines vereinfachten MKSMs kann dabei die Kom-plexität in bestimmten Fällen reduziert werden. Im Rahmen der Modellierung des gesamten Mehrkörpersimulationsmodells der fahrbaren Roboterplattform wurden zunächst zwei einzelne Sub-systeme (Knickarmroboter und autonome mobile Plattform) be-handelt. Bei den vorliegenden Subsystemen kann dies aufgrund der hier verwendeten Verbindungselemente gemäß [7] erfolgen. Somit können kinematische und physikalische Verbindungsele-mente wie Kugel-, Dreh-, Schub-, Kreuzgelenke, lineare Feder-elemente, Rotationsfeder, Buchsen usw. als massefrei angenom-men werden. In Folge wirken lediglich die Zwangskrä�e auf die jeweiligen Glieder durch die charakteristischen Stei�gkeits- und Dämpfungswerte der Verbindungselemente. Für das Roboter-system bedeutet dies, dass in jedem Gelenk des Roboters, wo sich in der Realität zum Beispiel ein massenbeha�etes Kreuz-rollenlager be�ndet, dreidimensionale, masselose Bushings (in Adams / ViewTM so genannt) verwendet wurden. Die autonome mobile Plattform besteht aus verschiedenen Verbindungsele-menten.

Ihre Modellierung ist in Tabelle 2 zusammengefasst.

Verbindungselemente an der realen mobilen

Plattform

Masselose Verbindungs-elemente am Mehr-

körpersimulationsmodell

Zylinder-Kolben-System Dämpfer

Antriebswelle Buchsen

KupplungBushings

Streben

Schwingen Linear- und Drehfeder

Tab. 2: Umsetzung der Verbindungselemente der autonomen mobilen Plattform in der Mehrkörpersimulation. Quelle: Eigene Darstellung.

Laut Glöckler [8] ist der Zweck eines Simulationsmodells, das Verhalten eines realen Systems durch ein Modell nachzubilden, um damit Untersuchungen durchzuführen, die an der realen Einheit aus vor allem wirtscha�lichen und zeitlichen Gründen nicht gemacht werden können. Insofern sollte das Ersatzmodell der fahrbaren Roboterplattformen so realitätsnah sein, dass es eine spätere Anwendung in der Entwicklung des Regelungsalgo-rithmus zur Stabilisierung des Systems ermöglicht. Um dieses realitätsnahe Simulationsmodell zu erzeugen, werden die simu-lativ und experimentell ermittelten Modalparameter verglichen. Durch Anpassung der Modellparameter wird das Verhalten des Modells an das experimentell ermittelte dynamische Verhalten des Systems angeglichen (wie in Abb. 1 gezeigt wurde): Die Stei-�gkeits- und Dämpfungskoe�zienten einzelner Verbindungsele-mente im MKSM müssen dazu solange variiert werden, bis eine Entsprechung mit den realen Eigenfrequenzen und Eigenformen gegeben ist.Umfangreiche Information über die Methodik der Mehrkörper-simulation wird in [9] behandelt.

ModellierungHybrides Modell

Mehrkörpersysteme Kontinuierliche Systeme Finite-Elemente-Systeme

Körper Starr Elastisch Elastisch

Geometrie Kompliziert Einfach Kompliziert

Beschreibung der Deformation

Eingeschränkt Vorhanden Vorhanden

Kräfte / Momente Diskret Stetig verteilt Diskret

Eignung für Reglerentwurf Gut Nach Reduktion Bedingt, nach Reduktion

Tab. 1: Bewertung der Modellierungsvarianten. Quelle: Kreuzer et al. [13].

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3 Validierung des Simulationsmodells

Tabelle 3 gibt eine Übersicht der Validierung des Roboters in Grundposition des MKSMs. Es ist festzustellen, dass das globale Schwingungsverhalten im Frequenzbereich zwischen 5 Hz und etwa 100 Hz gut wiedergegeben wird. Um das zu bestätigen, wurden auch die dazugehörigen Eigenformen aus der experimen-tellen Modalanalyse verglichen (siehe Abb. 6).

Reales System (Modalanalyse)

Simulation (MKSM in

Adams/ViewTM)Abw.

Einheit [Hz] [Hz] [%]

Eige

nfre

quen

zen ±1 11,8 13 10,2

±2 20,6 22,5 9,2

±3 27,7 27,2 –1,8

±4 61,7 68,3 10,7

±5 83 88,9 7,1

Tab. 3: Vergleich der Eigenfrequenzen zwischen dem realen Roboter und dem entsprechenden Simulationsmodell (Grundposition). Quelle: Eigene Darstellung.

Aus den experimentellen Untersuchungen des 6-achsigen Ro-boters konnte außerdem abgeleitet werden, dass die Motoren aufgrund der im Antriebsstrang verbauten selbsthemmenden Getriebe keinen Ein�uss auf das Schwingungsverhalten des Knickarmroboters haben. Ein Beispiel hierfür sind die in Tabel-le 4 aufgeführten Ergebnisse, welche die ersten Eigenfrequenzen der Untersuchung in Grundposition mit eingeschaltetem und deaktiviertem Motor zusammenfassen.

Abb. 6: Visualisierung einer aus der experimentellen Modalanalyse Eigenform des Roboterarms. Quelle: Eigene Darstellung aus Software für Experimentelle Betriebsschwingformanalyse und Modalanalyse.

Grundposition

Vers

uch

Ant

rieb

e Eigenfrequenzen (Hz)

±1 ±2 ±2 ±4

1

13 21 29 108

13 21 29 110

2

13 21 28 101

13 21 28 101

3

11 21 28 96

11 21 28 98

4

11 21 28 101

11 21 28 99

Tab. 4: Eigenfrequenzen des Roboters in Grundposition, sowohl mit bestromten als auch mit unbestromten Motoren. Quelle: Eigene Darstellung.

Bei der Modellierung des MKSMs der mobilen Plattform bestand eine große Herausforderung in der Identi�kation des geeigneten Ersatzsystems, weil Kinematik und Kontakte nicht in allen Fällen mit Standardbushings abgebildet werden konnten. Auf Basis der im Anschluss iterativ ermittelten Systemparameter konnten den-noch die ersten drei Eigenformen und -frequenzen mit guter Ge-nauigkeit im Mehrkörpersimulationsmodell abgebildet werden. Die prozentuale Abweichung, die in der Tabelle 5 gezeigt wird, sowie die Eigenformen (Abb. 7 als illustratives Beispiel) wurden auf die experimentellen Eigenfrequenzen bezogen [10].

Reales System (Modalanalyse)

Simulation (MKSM in

Adams/ViewTM)Abw.

Einheit [Hz] [Hz] [%]

Eige

nfre

-qu

enze

n ±1 7,75 8,9 10,2

±2 10,3 12,9 9,2

±3 21,14 21,52 –1,8

Tab. 5: Vergleich der Eigenfrequenzen zwischen der realen mobilen Plattform und dem entsprechenden Simulationsmodell. Quelle: Eigene Darstellung.

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Abb. 7: Visualisierung einer aus der experimentellen Modalanalyse Eigenform der mobilen Plattform. Quelle: Eigene Darstellung.

In Bezug auf die Problemstellung des Vorhabens (Abb. 8) ist der Grundgedanke, die Stabilisierung des gesamten Systems mittels aktiven Elementen zu erreichen. Zu diesem Zweck werden aktu-ell beide Systeme in einem MKSM-Gesamtau� au inklusive der im Projekt neu entwickelten Aktorik zusammengestellt.

Abb. 8: Darstellung der Problematik – Kippen des Systems aufgrund der Bremsbeschleunigung. Quelle: Eigene Darstellung.

Dabei ist es wichtig, die inneren Verbindungselemente beizube-halten und somit auch die Eigenfrequenzen und Eigenformen der beiden Komponenten. Die Variationen der Eigenfrequenzen und Eigenformen dieser Anordnung müssen mittels einer ex-perimentellen Modalanalyse erneut ermittelt werden, um die Modalparameter des gesamten mechatronischen Systems (mit Antriebs- und Messsystem) zu erhalten.

Abschließend folgen noch einige Erläuterungen zur Abbildungs-genauigkeit des Simulationsmodells:

� Beschränkungen hinsichtlich der Stei� gkeits- und Dämp-fungswerte der Kontakte zwischen dem Untergrund und den einzelnen Rädern sind entstanden. Deren konkrete Werte sind normalerweise nicht bekannt, was für die Modellierung unvorteilha� ist, da „große Werte in der Simulation eine klei-ne Positionsungenauigkeit ergeben, aber andererseits zu einer großen Simulationszeitdauer führen können“ [8]. Allgemein gilt die Aussage von Glöckler [8], dass dieser Wert in dem Si-mulationsverfahren möglichst hoch festgelegt wird, d. h., die Stei� gkeit geht gegen +∞ [11], sofern eine kurze Simulations-zeitdauer gewährleistet wird.

� Eine weitere Unsicherheit besteht bezüglich der durch die Mo-dalanalyse ermittelten globalen Dämpfungsparameter, welche in der Praxis nicht direkt in der verwendeten So� ware einsetz-bar sind. Zur Implementierung dieser Werte in dem MKSM sollen alle in Adams / ViewTM einstellbaren Dämpfungswerte der einzelnen Verbindungselemente letztendlich zu diesen glo-balen Dämpfungseigenscha� en führen und damit bestimmte Schwingungsamplituden (Eigenformen) ergeben.

Trotz dieser Einschränkungen wird aufgrund der guten Überein-stimmung der Ergebnisse von Messung und Simulation das Mo-dell für die erwähnte Simulationsaufgabe als geeignet betrachtet.

Kriterien / Lösungs vorschläge

Pneumatik Hydraulik Piezoelektrische Aktuatoren

Ausreichende Kraft 1 3 5

Ausreichende Hublänge 2 5 1

Platzbedarf 5 1 5

Reaktionsgeschwindigkeit 4 2 5

Funktionalität und Allgemein gültigkeit

4 3 2

Harte Beschaffenheit 1 5 2

Anfertigung 3 3 3

Kosten 5 2 1

Summe 25 24 24

Tab. 6 (Teil 1): Technische Bewertung (Gut = 5, schlecht = 1) der Lösungsvorschläge zur Auswahl der Aktorik. Quelle: Eigene Darstellung.

Bild

quel

len:

FES

TO A

G &

Co.K

G, B

OSC

H R

exot

h AG

, PI G

mbH

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4 Aktueller Status und nächste Schritte

In laufenden Arbeiten wird die Aktorik zur aktiven Stabilisie-rung des Systems entwickelt. Zur Auswahl dieser aktiven Ele-mente wurde die Prozedur nach der Richtlinie VDI 2221 „Me-thodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte“ umgesetzt [12]. Durch Priorisierung der in der Tabelle 6 genannten Bewertungskriterien ergibt sich eine erste grundsätzliche Auswahl des Aktorprinzips für die Stabilisierung der Roboteranordnung.

Nach umfassender Analyse � el die Entscheidung auf die in Ta-belle 6 vorgestellte Konzeptlösung „Standardmotoren-Ausnut-zung des Drehmoments“: Wie in Abb.  9 ersichtlich, werden hierbei drei Standardmotoren (grün dargestellt) verwendet, die durch ein Drehmoment eine Drehbewegung auf die zugehörigen Exzenter (gelb) erzeugen. Die Sti� e (orange) gleiten in die linea-ren Führungen (schwarz), sobald sich der Exzenter dreht. Diese Bewegung wird durch den Bolzen (dunkelblau) zu der oberen Deckplatte übertragen. Durch unterschiedliches Ansteuern der Standardmotoren entsteht so jeweils ein Rotationsfreiheitsgrad um die globale X-Achse und ein Rotationsfreiheitsgrad um die Z-Achse bzgl. des Kardangelenks (hellblau). Das beschriebene Prinzip soll zur Verstellung der Roboterarmorientierung in zwei Freiheitsgraden genutzt werden, die letztendlich zur Systemsta-bilisierung eingesetzt werden soll.Im folgenden Schritt wurde die ausgewählte Aktorik mittels MSC.Adams / ViewTM kinematisch evaluiert. Die gesamte Sys-temanordnung des Aktoriksystems ist in der Abb. 11 dargestellt.

Die nächsten Arbeitsschritte sind nun die Erfassung der in der Aktorik au� retenden Krä� e, die daraus folgende Dimensionie-

rung der Antriebe, die Ermittlung des dynamischen Verhaltens der Aktoren und die dynamische Simulation des Gesamtsystems. Nachdem die Aktoren und das Messsystem im MKSM abge-bildet werden, wird es sich hierbei um eine Simulation eines mechatronischen Systems handeln. Die hierin au� retenden Tot-zeite� ekte aller Komponenten müssen in der Entwicklung der Regelungsalgorithmen berücksichtigt werden: Die Bewertung der Relevanz von Verzögerungen / Ungenauigkeiten der Mess-technik sowie die Implementierung eines Algorithmus für die Transportzeit der Sensorik des gesamten Simulationsmodells in Matlab / Simulink® (Abb. 10) sind wesentliche Punkte , die in der Co-Simulation des MKSMs integrieren werden müssen. Nur so kann eine realitätsnahe Entwicklung der Regelungsalgorithmen garantiert werden.

Abb. 9: Beschreibung eines Aktuators des Aktoriksystems in der Front-ansicht. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Henning [15].

Kriterien / Lösungs vorschläge

LinearantriebStandardmotoren:

Ausnutzung des Drehmoments

Linearmotor mit Gewindegang

Ausreichende Kraft 4 5 3

Ausreichende Hublänge 4 3 4

Platzbedarf 2 4 3

Reaktionsgeschwindigkeit 3 4 3

Funktionalität und Allgemeingültigkeit 2 4 5

Harte Beschaffenheit 3 5 5

Anfertigung 2 2 5

Kosten 3 5 3

Summe 23 32 31

Tab. 6 (Teil 2): Technische Bewertung (Gut = 5, schlecht = 1) der Lösungsvorschläge zur Auswahl der Aktorik. Quelle: Eigene Darstellung.

Bild

quel

len:

Hen

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[15]

, e-d

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Abb. 11: Überblick der drei Aktuatoren, aus denen das Aktoriksystem besteht Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Henning [15].

5 Zusammenfassung

In diesem Beitrag wurde die Vorgehensweise zur Modellierung eines simulativen Ersatzsystems einer fahrbaren Roboterplatt-form geschrieben. Mittels dieses Ersatzmodells sollen Rege-lungskonzepte entwickelt werden. Damit die Simulationsdauer im Rahmen eines akzeptablen Werts lag, wurde das System in Adams / ViewTM als Starrkörpermodell implementiert. Für die zugehörige Validierung wurde mittels einer experimentellen Modalanalyse das dynamische Verhalten des realen Systems be-stimmt. Die daraus ermittelten Eigenfrequenzen und Eigenfor-men wurden als Referenz angewendet, um sicherzustellen, dass das Mehrkörpersimulationsmodell der Dynamik der Roboter-anordnung entspricht.

Die Roboteranordnung bestand aus einem 6-sachsigen Roboter-arm, der auf einer autonomen mobilen Plattform angebracht wurde, welche zunächst getrennt untersucht wurden. Die ex-perimentelle Modalanalyse des Roboterarms wurde in drei ver-schiedenen Positionen durchgeführt: Grund-, Senkrecht- und Waagrechtposition. Es wurden jeweils zwei Varianten gemessen: mit bestromten und mit unbestromten Motoren. Dadurch konn-te gezeigt werden, dass die selbsthemmenden Getriebe keinen Ein�uss auf die Modalparameter haben. Die erste Eigenfrequenz wurde in allen drei Fällen bei 12 Hz gemessen. Die Senkrecht- und Grundposition weisen die gleichen Werte der zweiten und dritten Eigenfrequenzen bei 21 Hz und 30 Hz auf. Jedoch stimmt die zweite Eigenfrequenz in Waagrechtposition mit dem dritten Wert der Grundposition bei 30 Hz überein (siehe Tabelle 7). Die ersten drei Eigenfrequenzen der autonomen mobilen Plattform liegen bei 7,7 Hz, 10,3 Hz und 21,1 Hz (siehe Tabelle 5).

Position des RobotersErste Eigenfrequenzen (Hz)

±1 ±2 ±3 ±4

Grundposition 12 21 30 99

Senkrechtposition 12 23 30 40

Waagrechtposition 12 31 38 88

Tab. 7: Überblick über die ersten Eigenfrequenzen des Roboterarms. Quelle: Eigene Darstellung.

Diese Ergebnisse wurden zur Parametrierung und Validierung des Ersatzmodells angewendet. Hierzu wurden letztendlich die Stei�gkeits- und Dämpfungswerte der Verbindungselemente im Mehrkörpersimulationsmodell iterativ angepasst. Danach hat das dynamische Verhalten des realen Systems mit dem Simulati-onsmodell übereingestimmt.

Abb. 10: Schematische Darstellung der Co-Simulation zwischen Adams / ViewTM and Matlab / Simulink® zur Entwicklung der Regelung. Quelle: Eigene Darstellung.

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Anhand dieser dynamischen Simulation konnten geeignete Aktuatoren zur Gewährleistung der Stabilisierung der Roboter-anordnung entwickelt werden. In der Folge wird das Gesamt-system aufgebaut und validiert. In einem letzten Schritt werden dann geeignete Regelungsalgorithmen bestimmt und am realen System erprobt.

6 Danksagung

An dieser Stelle möchten wir all jenen danken, die uns im Verlauf der ersten Phasen des Projekts unterstützt haben. Ein besonderes Dankeschön gilt Herrn B. Eng. Schell für die gute Zusammen-arbeit sowie für die fachliche, organisatorische und persönliche Unterstützung des Projektes.Ein weiterer Dank geht an Herr B. Eng. Mohr, mit seiner (zeit-intensiven) Abschlussarbeit einen hilfreichen Beitrag zu dem Projekt geleistet hat.Den Mitarbeitern des Instituts of Materials and Processes und der Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik danken wir für ihre Hilfsbereitscha�.

[9] G. Rill und T. Schae�er: Grundlagen und Methodik der Mehrkörpersimulati-on, Wiesbaden: Springer Vieweg, 2014.

[10] M. Mohr:„Mehrkörpermodell einer mobilen Roboterplattform und zugehö-rige Validierung mittels Modalanalyse“, Bachelorarbeit, Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtscha�, Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik, Karlsruhe, 2015.

[11] D. E. Stewart: Dynamics With Inequalities: Impacts and Hard Constraints, Philadelphia: Society for Industrial & Applied Mathematics, 2011.

[12] Verein Deutscher Ingenieure: „Richtlinie VDI 2221 Methodik zum Ent-wickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte“, VDI-Handbuch Konstruktion, Düsseldorf, 1993.

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Probabilistic Optimization of Machining Process by Decision Support System

Mehdi Salehi, Rüdiger Haas, Jivka Ovtcharova

Abstract

To be competitive in today’s manufacturing industry, it is re-quired to produce high quality products by rapid product devel-opment and lower �nished costs. In this regard, product devel-opment procedure in both design and production planning stage can be optimized and shortened by decision support methodol-ogy. �is paper discusses the decision methodology to facilitate the probabilistic optimization of machining process. It refers to selection of optimal decision alternatives such as optimal tool, and cutting parameters selection collaborating with Computer Aided Manufacturing (CAM) so�ware. �is reduces material, energy and time cost avoiding trial and error tool and process parameter selection by the CAM user. In this context, Bayesian inference is used to predict the parameter and tool performance (tool life, machining stability, cutting forces, etc.). Furthermore, optimal decision of machining parameters selection are going to be discussed considering the inherent uncertainty in milling processes.

Keywords: � Process optimization � Tool life optimization � Decision support system � Bayesian inference � Uncertainty � Decision theory

1 Introduction

�e Product Lifecycle Management (PLM) is process of manag-ing the entire lifecycle of a product from design and manufactur-ing to service and disposal of the product. Some of the bene�ts of the PLM are, reducing prototyping cost, reducing material and energy waste. In this context, Computer Aided Manufactur-ing (CAM) so�ware play an important role to save above-men-tioned cost. By help of this so�ware, the production process can be modeled and simulated virtually. However, CAM so�ware cannot decide autonomously for the all optimal manufacturing pre-process parameters. For example, in the machining process of the products, it can only calculate

and propose optimal tool path and machining direction. �ere-fore, selection of tools and cutting conditions depend on the expert engineer’s knowledge and experience. In this regard, the CAD / CAM user or expert engineers select optimal vibration free cutting parameters and cutting tools by way of trial and error until they obtain the appropriate parameters. �is trial and error strategy for proper tool and cutting condition selection leads to material, energy, and time wastes that can cause longer product life cycle [1]. Here in this work, the strategy for shortening the product life cy-cle and saving the costs is called “�rst part correct production”. In this strategy, a Decision Support System (DSS) is developed to help the expert engineer or CAD / CAM user to select the opti-mal vibration free cutting parameters and cutting tools avoiding trial and error actions and as a result producing of the zero defect products. Such a DSS system will have a user friendly interface (tool-machining parameter selection Dashboard) similar to the automotive dashboard display and can be used before design for manufacturing begins.

2 State of the art

Manufacturing industries are moving towards quickly providing better customer-centric products and services in one hand and on the other hand drive down costs to be more competitive and pro�table. �e factors, which determine the products costs in product life cycle, are mostly related to the machinery, human labor and product development process. According to Giachetti et al. [2], at least 70 % of product’s cost is determined by deci-sions made during preliminary design stage. �erefore, the cost reduction can be performed by:

� Speeding up the product development process and proto typing in design phase,

� Optimal production planning before production phase.

In this regard, several decision support systems for selection and managing of manufacturing process, product, materials and machine tools have been developed. Giachetti [3] developed a system, so-called MAMPS, for manufacturing process and ma-terial selection which permits calculation of a compatibility ratio between the product requirements and alternative manufactur-ing con�gurations. Smith et al. [4] developed an Internet-based Manufacturing Analysis Service (MAS), which determines the most appropriate manufacturing processes for production of a given workpiece on the basis of design parameters. Budak et al. [5] has developed a decision support system form machine tool selection. It could rank the machine based on multi crite-ria weighted average approach. Moreover, M. Alberti et al. [6]

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designed a decision support system for machine tool selection based on machine characteristics and performance tests. Saka-moto et al. [1] developed a system to assist the engineer to select optimal cutting parameters by data mining process. Some other commercial so�wares have been developed in the research institutes in collaboration with industries. As an ex-ample, IFW Institute in Leibniz Hannover University [7] de-veloped a virtual environment for optimising of tool grinding process nameley: “Virtuelle Verfahren zur Optimierung von Werkzeugschleifprozessen”. �ey visualized the tool production with grinding process. Schmitz [8] in University of North Caro-lina at Charlotte has developed a decision support system which assists engineers to select a vibration free machining parameters before running the machine and machining process. �e project is called “Machine Tool Genome Project “which is done in col-laboration with BlueSwarf Co. and other manufacturing indus-tries [9]. To design such decision support systems for manufacturing pro-cess optimization, it is required to develop mathematical model. �ese models can be used for prediction and optimization of manufacturing costs [10] and [11] material removal rate [12], cutting force [13], surface quality [14], and tool wear [15] and [16], etc. �ey are mostly developed based on numerical, �nite element methods [17], Arti�cial Neural Networks, fuzzy logic, Genetic Algorithms, Response Surface Methodology, and the Ant Colony Optimization Technique [18].

3 Decision support system for tool and cutting parameters selection

Manufacturing decision makers and production planners need a system to help them to get a decision to optimize machining process applications. Development of a supporting system and methodology can aid them to get an easier decision among un-known, uncertain, complex and versatile alternatives.

3.1 Project scope

Figure 1 shows the current manufacturing simulation procedure in a CAD / CAM so�ware. According to the �gure, the 2D or 3D model of the workpiece is done in CAD so�ware and then the model is transferred to the CAM so�ware. In the CAM so�ware, before simulating the manufacturing process, the engi-neer or CAM user has to select tool and cutting data, based on his / her experience and trial and error. �erefore, there is a lack of DSS so�ware, which assists CAD / CAM so�ware user for Decision Making. �erefore, the novelty of the project is devel-oping a DSS system which predicts the probability of machining process quality (Tool life, Productivity, cost per component, and stability of the machining) given the input data and then decided the optimal tool and vibration free machining parameters based predicted data.

Figure 2 shows that DSS so�ware collaborates externally with CAD / CAM so�ware. �e DSS so�ware consists of two parts, the front-end and back-end. In the back-end there are probabil-

Fig 1. CAD/CAM software (current procedure). Source: Own illustration.

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istic algorithms to predict the cutting tool life and machining process quality. On the front-end instead, the tool life, cost per component, and productivity and machining stability are shown through a tool dashboard. According to the �gure, the DSS sys-tem makes the �nal decision and assist the CAD / CAM user by deciding the optimal tools and vibration free cutting parameters. �erefore, the sequence of the information �ow can be explained as follows:

1. DSS so�ware asks the manufacturing application (for exam-ple, machining process, material, etc.) information from CAM so�ware,

2. DSS call the database of cutting parameters and tools, 3. �e suitable parameters are provided by database and to the

DSS system, 4. DSS processes the provided deciding data to the CAD / CAM

user.

4 Scientific Methodology

In the previous chapter (state of the art), the scienti�c approaches to develop existing decision support systems has been expressed. However, reviewing the methods, it is seen that existing models are mostly deterministic and do not consider the inherent uncer-tainty of the machining process [19], [20] and [21]. �is uncer-tainty is due to the nonlinearity of the process, the factors that are di�cult to model, and measurement systematic uncertainties.

4.1 Decision theoretical model

When faced with problems of decision under uncertainty, deci-sion makers may construct models to help analyze and choose among available options. Decision theoretic models are math-ematical models which use probability to represent uncertain-ty about outcomes and utility to represent preferences among outcomes. Decision theoretic models are used to calculate the expected utility of alternative options and to identify an option that maximizes expected utility.Figure 3 shows the probabilistic decision making approach to select the optimal tool and vibration free cutting parameters. In this method, the initial belief is selected from the data-base, and then probability of tool life and machining quality are predicted by Bayesian algorithms. In the next step, the decision making and preference can be done by coupling Von Neuman-Morgenstern utility function. In this method, there is a value model that con-verts the parameters (in a deterministic format) into Euro equiv-alent. �e optimal decision is the one that maximizes the von Neumann-Morgenstern utility function.

5 Summary of the project

�is paper discusses the decision methodology to facilitate the probabilistic optimization of machining process. �is can be done by developing a Decision Support System (DSS) as a tool and parameter selection dashboard. �e DSS helps to select of optimal decision alternatives such as optimal tool, and cutting parameters selection collaborating with Computer Aided Man-

Fig. 2. Decision Support System (DSS) and CAD / CAM software Interaction. Source: Own illustration.

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ufacturing (CAM) so�ware. �is reduces material, energy and time cost avoiding trial and error tool and process parameter selection by the CAM user. In this context, Bayesian inference is used to predict probability of the parameter and tool perfor-mance such as tool wear, machining stability, and cutting forces, etc. Furthermore, usage of decision theory for selection of the optimal machining parameters have been discussed considering the inherent uncertainty in milling processes.

Figure 3. Probabilistic decision making model optimum cutting parameters and tools selection. Source: Own illustration

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Bildung

Entwicklung dynamischer Curricula für die betriebliche Weiterbildung

Wie kommt man zu den Zielen und Inhalten?

Maja Jeretin-Kopf

1 Einleitung

Während in vielen Ländern Europas in den vergangenen Jahren der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung zurück-ging (vgl. dazu Statista, 2014), gelang es Deutschland mit 30,7 % deutlich über dem EU-Durchschnitt1 zu bleiben (vgl. dazu de-statis, 2014). Der Grund für Deutschlands Konkurrenzfähigkeit wird in starkem Maschinen- und Anlagenbau, IT-Kompetenz, Automatisierungstechnik und im Know-how im Bereich der eingebetteten Systeme gesehen (vgl. Forschungsunion Wirt-scha� – Wissenscha� & acatech, 2013, S. 5; vgl. dazu auch Sendler, 2013, S. 4). Diese Kernkompetenzen des deutschen An-lagen- und Maschinenbaus werden zugleich als Voraussetzungen angesehen, die es Deutschland ermöglichen, die Führungsposi-tion in der Produktionstechnik auszubauen und die Potenziale im Zusammenhang mit Industrie 4.0 zu erschließen (vgl. For-schungsunion Wirtscha� – Wissenscha� & acatech, 2013, S. 5). Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die Industrie 4.0 zu einem Kernelement der Hightech-Strategie erklärt mit der Zielsetzung, damit die Zukun� Deutschlands als Produktions-standort zu sichern (vgl. BMBF, 2014).Wenn die Annahme richtig ist, dass man durch zunehmende Digitalisierung der Wirtscha� den Produktionsstandort in Deutschland sichern kann, dann müssen sich die Unternehmen fragen:

� Vor welchen (kün�igen) Herausforderungen stehen wir? � Brauchen wir betriebliche Curricula, um die

Herausforderungen zu meistern? � Wie sind die Curricula zu strukturieren?

2 Fertigungstechnische Unternehmen und ihre (künftigen) Herausforderungen

Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass die Digitalisie-rung der Produktion, die Durchdringung industrieller Produk-

1 Im Vergleich dazu: Frankreich 19,4 %, Vereinigtes Königreich 19,8 %, Italien 23,4 %. Alle Daten beziehen sich auf das Jahr 2014. Bruttowertschöpfung: Produzierendes Gewerbe in % des BIP. Quelle: destatis.de.

tionsprozesse durch So�ware, die Vernetzung von Produkten, Diensten, Wertschöpfungsketten untereinander und Techno-logien im Gange ist.

In der MHP-Studie „Industrie 4.0“ räumte über die Häl�e der Automobilzulieferer der Industrie 4.0 einen hohen bis sehr ho-hen Stellenwert für ihr Unternehmen ein, bei den Maschinen- und Anlagenbauern wurde dieser Anteil mit beinahe 80 % noch deutlich höher angegeben (vgl. Kelkar, Heger und Dao, 2014, S. 20). Fast 70 % der befragten Personen aus dem Maschinen- und Anlagebau gab an, dass sich ihr Unternehmen bereits mit der Industrie 4.0 beschä�igt, bei den Automobilzulieferern wa-ren es 38 % (vgl. Kelkar et al., 2014, S. 21).

Welche sind aber die zentralen Herausforderungen, denen sich die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden stellen müssen, wenn sie auf die Anforderungen der Industrie-4.0-Entwicklung reagie-ren wollen? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit können vier be-sonders bedeutende Handlungsfelder identi�ziert werden. Diese sind: 1. technische Neuerungen und Innovationen 2. veränderte Produktionshierarchien3. Vernetzung der Wertschöpfungsketten 4. neue Geschä�smodelle

2.1 Technische Neuerungen und Innovationen

Technische Neuerungen und Innovationen, die im Kontext der Industrie 4.0 zu sehen sind, zeichnen sich durch zunehmende Komplexität der Produktentstehungsprozesse aus. Zudem er-möglicht die Integration neuer Technologien eine schnellere Re-aktion auf die Anforderungen des Marktes. Der Verzicht auf den Einsatz neuer Technologien, innovativer Verfahren und neuer technischer Anwendungen könnte sich für die Unternehmen als nachteilig erweisen, da sie damit ihre Wettbewerbsfähigkeit ein-büßen würden. Unternehmen sind darauf angewiesen, dass sie Produkte an die sich wandelnden Marktanforderungen anpassen und sie immer günstiger und schneller liefern, wobei die Qualität der Produkte erhalten bleiben muss. Dies ist nur zu erreichen, wenn die Produktentwicklungsprozesse (PEP) kontinuierlich verbessert werden. Eine Herausforderung für Maschinenbau-unternehmen ist die Tatsache, dass innerhalb des PEP der Anteil der So�wareentwicklung zunehmend steigt, während der Anteil an Mechanikentwicklung zurückgeht (vgl. Eigner, Roubanov & Za�rov, 2014, S. 2 f.; Eigner & Stelzer, 2009, S. 13). Dies spiegelt sich auch in den Herstellungskosten für ein Maschinenbaupro-dukt wider. Laut einer VDMA-Trendbefragung ent�elen im Jahr 2013 bei den Produkten des Maschinen- und Anlagebaus rund

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Bildung

30 % der Herstellkosten auf IT (Pyper, 2013). Aufgrund dieses Wandels des PEP ist es erforderlich, dass die „mehrdimensionale Zusammenarbeit und Kooperation innerhalb des Unternehmens und im Rahmen der Zuliefer- und Kundenbeziehung über die Unternehmensgrenzen hinweg über alle Disziplinen und alle Phasen des Produktentstehungsprozesses unterstützt [wird]“ (Eigner et al., 2014, S. 19). Die Produktentstehung ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die Nutzer und Anwender müssen Funktionen und Leistungsspektren der neuen Maschinen auch in vollem Umfang nutzen können. Bei immer älter werdenden Belegscha�en und knappen Weiterbildungsbudgets sehen viele Unternehmen hier noch Handlungspotenziale. Teure moderne Maschinen, z. B. Mehrachsige CNC-Dreh- und -Fräszentren, steigern die Produktivität nicht per se. Laut einer Umfrage des IMP zur Bedeutung von neuen Technologien im Werkzeugbau gaben die Befragten bspw. für die in ihren Unternehmen einge-setzte HSC dreiachsige Fräsmaschinen einen Beherrschungsgrad von nur knapp über 40 % an, bei fünfachsigen Fräsmaschinen war dieser noch deutlich geringer (Haas, 2014).

Durch den Einsatz von neuen Technologien in verschiedenen Phasen des Produktlebenszyklus können Zeit und Kosten der Entwicklung deutlich gesenkt werden. Zu diesen Technologien gehören bspw. 3D-Druck, Virtual-Reality-Anwendungen (VR) oder selektives Leserschmelzen (SLM). Ein Umstieg und / oder Erweiterung der angewendeten Technologien ist aber in vielen KMU nicht ohne Weiteres umzusetzen. Häu�g fehlt es am er-forderlichen Know-how der vorhandenen Ingenieure und Tech-niker. Nicht nur, dass sich Ingenieure und Techniker das er-forderliche Wissen aneignen sollten. Hinzu kommt, dass sich die Tätigkeit der Ingenieure und ihre Verantwortungsbereiche grundlegend geändert haben. Der Anteil an kreativen Tätigkei-ten und fachlichen Aufgaben eines Ingenieurs tritt zunehmend zurück, während das Projektmanagement, Kommunikation und Dokumentation einen immer größer werdenden Anteil der Inge-nieurtätigkeit ausmachen. Hinzu kommt, dass Ingenieure in im-mer komplexere Prozesse eingebunden sind, die nicht sequentiell, sondern parallel ablaufen (vgl. Eigner & Stelzer, 2009, S. 17).

Und noch ein weiterer Umstand steigert die Komplexität der Anforderungen an die Mitarbeitenden: Nicht nur, dass die Pro-dukte immer so�warelastiger wurden, auch die Planung, Steue-rung und Überwachung des gesamten Produktlebenszyklus wird zunehmend digitalisiert, was an die Unternehmen und ihre Mit-arbeitenden besondere Herausforderungen stellt. Diese ergeben sich u. a. auch aus dem Umstand, dass auf dem Markt zwar So�-warelösungen existieren, diese jedoch häu�g noch Insellösungen für einzelne Anwendungsfälle darstellen und zudem nicht ohne Weiteres in die vorhandenen IT-Strukturen eingebunden wer-den können. Strategische Entscheidungen sind nicht nur auf der

technischen Seite notwendig. Die Menschen, die innerhalb der Komplexität der Vorgänge, Datenmengen und Strukturen ihren Aufgaben nachkommen sollen, müssen diese auch verstehen und nachvollziehen können.

2.2 Veränderte Produktionshierarchien

Bauernhansl (vgl. 2014, S. 15) sieht die Dezentralisierung und die Zunahme an Autonomie als Folge der zunehmenden Kom-plexität. Waren Unternehmen bisher vertikal organisiert, wird die zunehmende Autonomie der einzelnen Unternehmens-bereiche zu horizontal vernetzten Strukturen führen. Dies wird möglich durch den Einsatz von cyber-physischen-Systemen (CPS), die ihre Umwelt mittels Sensorik erfassen, über das In-ternet kommunizieren und Internetdienste, z. B. zur Auswertung der Daten, nutzen können. Der Mensch ist über multimodale Mensch-Maschinen-Schnittstellen mit den CPS verbunden und kann steuernd eingreifen (vgl. Bauernhansl, 2014, S. 16). Damit dies gelingt, ist es wichtig, dass bei Vernetzung der CPS alle re-levanten Informationen zur Verfügung stehen und zugleich die Anforderungen an Safety-, Privacy- und Security-Aspekte erfül-len (Plattform Industrie 4.0, 2015). Damit die einzelnen Produk-tionsbereiche untereinander vernetzt werden können, ist eine Integration der verschiedenen IT-Systeme auf den unterschied-lichen Hierarchieebenen eines Produktionssystems, wie z. B. der Steuerungsebene, Produktionsebene und Unternehmens-planungsebene, zu einer durchgängigen Lösung erforderlich (vgl. Plattform Industrie 4.0, 2015, S. 21). Die Dezentralisierung der Produktionshierarchien bedingt eine Änderung in den Auf-gabenanforderungen an die Mitarbeitenden. Einerseits werden Sie ein integrierter Teil der vernetzten Systeme, andererseits sollen sie den Überblick und die Kontrolle über diese Systeme behalten. Gerade in diesem Bereich werden Aspekte wie Akzep-tanz, Selbstbild und Selbstwirksamkeit eine entscheidende Rolle spielen bei der Frage, wie solche Systeme innerhalb der gängigen Unternehmensstrukturen und Produktionshierarchien gestaltet werden sollten.

2.3 Vernetzung der Wertschöpfungsketten

Die Wertschöpfungsprozesse zeichnen sich dadurch aus, dass aus ihnen Güter entstehen, die materiell oder auch immateriell sein können, wie Wissen, Daten und Dienstleistungen. Der VDI / VDE (VDI / VDE, 2014) beschrieb in seinem Statusre-port Wertschöpfungsketten, die der „Industrie-4.0-Landscha�“ direkt zuzurechnen sind. Diese sind:

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Bildung

� Produkt- und Produktlinienentwicklung � Verfahrens- und Anlagenentwicklung � Produktproduktion- und A�er-Sales-Service � Anlagenbau- und Anlagenbetrieb

Neben diesen internen Wertschöpfungsketten werden noch weitere benannt, die im Zusammenhang mit Industrie 4.0 eine wichtige Rolle spielen, aber nicht direkt zu Industrie 4.0 zählen. Diese sind: Entwicklung und P�ege von Normen und Standards, Methoden, Technologien usw. (vgl. VDI / VDE, 2014, S. 3).

2.4 Neue Geschäftsmodelle

Die Geschä�smodelle der meisten deutschen Maschinen- und Anlagenbauer basieren auf Werten wie Qualität, Kundenorien-tierung, Technologieführung, Identi�kation mit dem Produkt und Tendenz zur eher risikoscheuen Unternehmensentwicklung (vgl. Emmrich et al., 2015, S. 22). Im Zentrum ihres Portfolio-angebots stehen meist die sogenannten Hardwareprodukte, um die die Unternehmen ihre Dienstleistungsangebote entwickeln. Dienstleistungen bestehen aus der Beratung des Kunden, kun-denspezi�schen Anpassungen im Engineering und der Durch-führung der Schulungen für Kunden (vgl. Emmrich et al., 2015, S. 22). Dies hat zur Folge, dass sich die Unternehmen in der Regel in einer technologisch hochspezialisierten Nische positio-nieren. Diese Spezialisierung im Bereich der Technologien und Dienstleistungen ist nur möglich aufgrund der entsprechenden Schlüsselquali�kationen und Kernkompetenzen, über die die Unternehmen verfügen. Dies sind Technologie-Know-how, langjährige Kundenkenntnis und das Expertentum im Bereich des System- und Prozesswissens (vgl. Emmrich et al., 2015, S. 22 f.). In Kombinationen mit den Möglichkeiten, die die Digita-lisierung mit sich bringt, können Unternehmen ganz neue Ge-

schä�smodelle entwickeln, die sich durch verstärkte und durch-gängige Serviceorientierung auszeichnen. Damit aber auf dieser Basis neue Geschä�smodelle entwickelt werden können, sind zu deren Entwicklung Ansätze gefragt, in die alle Geschä�sbereiche involviert sind. Interdisziplinäre und hierarchieübergreifende Arbeitsweisen sind hier gefragt.

3 Unternehmen benötigen betriebsspezifische Curricula

Die Entwicklungen, welche unter dem Sammelbegri� Industrie 4.0 statt�nden, stellen fertigungstechnische Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen, von denen einige hier grob skiz-ziert wurden. Sie sind zwar auf verschiedenen Ebenen angesie-delt, wirken sich aber in alle Geschä�sbereiche aus. Dies können strategische Grundsatzentscheidungen sein, technische Neue-rungen, IT-Systeme, Prozessmanagement usw. Allen Aufgaben, die sich aus diesen Herausforderungen ergeben, ist gemein, dass ihre Lösung nicht isoliert von anderen Problemfeldern in einem Unternehmen gesucht und umgesetzt werden kann, d. h. inter-disziplinäre Lösungsansätze erforderlich sind. Hinzu kommt, dass aufgrund dieser Komplexität der Aufgaben und Neuartigkeit der gesuchten Lösungsansätze die eigentlichen Akteure dieser Entwicklung – die Menschen – dafür nicht ausgebildet wurden. Vielfach müssen sie sich die erforderlichen Kompetenzen erst im Zuge der Aufgabenbewältigung aneignen. Dies erfordert eine völlig neuartige Lern- und (Weiter-)Bildungskultur. Unterneh-men benötigen neue innovative Weiterbildungskonzepte. Der Ruf nach einer reformierten Hochschul- und Fachhochschulaus-bildung bzw. einer reformierten beru�ichen Ausbildung ist zwar gerechtfertigt und wird sicherlich zu erforderlichen Maßnahmen führen. Unternehmen, die sich aber hier nicht in ihrer Verant-wortung für die Mitarbeitenden sehen und auf die nächste Ge-

Produkt- und Produktlinien- entwicklung

Verfahrens- und Anlagenentwicklung

Anlagebau und -instandhaltung

After-Sales-Services

Abb. 1: Wertschöpfungsketten der Industrie-4.0-Landschaft. Darstellung stark schematisiert und vereinfacht in Anlehnung an VDI / VDE, 2014, S. 3.

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neration der Berufsschul- oder Hochschulabgänger warten, sind jedoch schlecht beraten. Zum einen schreitet die Entwicklung hin zu Industrie 4.0 zu schnell voran, als dass man auf eine neue Generation der Mitarbeitenden warten könnte, und zum ande-ren sind viele Anforderungen an die Mitarbeitenden inzwischen so hochgradig betriebsspezi�sch, dass auch eine fachliche Berufs- oder Hochschulausbildung nicht alle erforderlichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen vermitteln kann.

Damit die Unternehmen ihre Mitarbeitenden mit Kompetenzen ausstatten können, die zur Bewältigung kün�iger Aufgaben er-forderlich sind, müssen sie zwei Paradigmenwechsel vollziehen.

Erstens: Die Mitarbeitenden müssen befähigt werden zu Ent-wicklungen eines Unternehmens beizutragen. Die Unterneh-men müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass man durch die Weiterbildung den Mitarbeitenden ermöglicht, mit der Entwicklung im Unternehmen Schritt zu halten. Dies würde nichts anderes bedeuten, als dass sie der Entwicklung stets hin-terher hinken. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Un-ternehmen auf die Veränderungen am Markt reagieren müssen, ist es erforderlich, dass die Mitarbeitenden dazu befähigt werden zu der Entwicklung beizutragen. Nicht „follow“, sondern „con-tribute“ lautet die Devise.

Zweitens: Die Unternehmen müssen sich von einer Produkti-onseinrichtung zu einer Produktions- und Bildungseinrich-tung entwickeln. Seit der Au�lärung und dem damit verbunde-nen Wissenszuwachs hat sich die Menge an Wissen verzigfacht, die Verwaltung der Wissensbestände, ihre sinnvolle Nutzung und Sicherung ließ unsere Gesellscha� zu einer Wissensgesellscha� werden. In der Wissensgesellscha� waren die Unternehmen auf das spezialisierte und gespeicherte Wissen ihrer Datenbanken und ihrer Mitarbeiter hochgradig angewiesen. Wissensmanage-ment, Weiterbildungsmanagement und Prozessmanagement sind nur drei Kernelemente eines von der Wissensverwaltung abhän-gigen Unternehmens. Nicht erst mit der Industrie 4.0, sondern bereits mit der im Vorfeld statt�ndenden Dynamik der zu bewäl-tigenden Aufgabenbereiche in der Welt wurden wir gezwungen, uns von einer Wissensgesellscha� zu einer Bildungsgesellscha� zu entwickeln. Diesen Schritt müssen auch Unternehmen vollzie-hen. Es genügt nicht mehr Wissen zu generieren und zu verwal-ten, sie müssen ihren Mitarbeitenden ermöglichen sich zu bilden. Sich zu bilden in dem Sinne, dass sie einerseits den Ansprüchen dieser Welt genügen können und wollen und andererseits die Welt rational und emotional erfassen können (vgl. dazu Kosack, 1999; Schmayl, 1989). Diese Aufgabe haben bisher allgemein-bildende schulische Einrichtungen für sich beansprucht. Diese Einschränkung wird es in Zukun� nicht mehr geben können.

4 Curricula für betriebliche (Weiter-)Bildung

Wenn nun Unternehmen Weiterbildungskonzepte benötigen, wie sind sie zu konzipieren und zu strukturieren? Der mehrper-spektivische Ansatz (MpA) der Technikdidaktik ist bildungs-theoretisch begründet und bietet eine technikdidaktische Grundstruktur. Bevor aber die Ziele und Inhalte der technischen Bildung angesprochen werden, ist die Frage zu stellen, wie der Mensch Erkenntnisse erlangt, wenn es um das emotionale und rationale Erfassen von Technik geht. Erst auf Basis der Erkennt-nisperspektiven können die Ziele und Inhalte der Bildung de-�niert werden.

4.1 Erkenntnisperspektiven der Technik

Der MpA benennt drei Erkenntnisperspektiven, durch die die Technik gedeutet und bewertet wird (vgl. Schmayl, 1989, S. 277):

� Die Sachperspektive fokussiert das technische Wissen – als Wissen über technische Artefakte, welches grob in das tech-nische Können, das funktionale Regelwissen, das strukturale Regelwissen, das technologische Gesetzeswissen und das öko-sozio-technologische Systemwissen gegliedert werden kann (Ropohl, 2009, S. 210; vgl. Schmayl, 1989, S. 277 f.). Diese Kategorisierung basiert auf dem Re�exionsniveau, wobei erst das technologische Wissen wissenscha�lichen Ansprüchen genügt (vgl. Schmayl, 1989, S. 278). Alle Kategorien des technischen Wissens basieren auf Erfahrung – der praktisch gewonnenen Erfahrung durch technisches Tun bis zu der Erfahrung, die durch eine wissenscha�liche Vorgehensweise gewonnen wird. Obwohl die Technik mehr denn je auf wis-senscha�lichen Erkenntnissen beruht, wird der Wert der Er-fahrung, welche beim Lösen praktischer Probleme gemacht werden kann, allgemeinhin betont (vgl. bspw. Schmayl, 1989, S. 279).

� Die human-soziale Perspektive der Technik wird in den Bezie-hungen sichtbar, welche die Technik (durch ihre Artefakte) zwischen den Menschen scha�. Selten sind jene Artefakte, die der Mensch allein für sich scha�. Aber sogar dann beruht das Scha�en des Artefaktes auf Leistungen vieler anderer – auf kulturell tradiertem Wissen und Mustern des technischen Verhaltens. Somit können technische Handlungen als soziale Handlungen begri�en und die Technik als soziales Gesche-hen betrachtet werden (Ropohl, 2009, S. 114 f.; vgl. Schmayl, 1989, S. 281). Dabei ist durchaus eine wechselseitige Abhän-gigkeit vorhanden – nicht nur der Mensch bewirkt die Tech-

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nik – umgekehrt verhält es sich ebenso: Der Mensch wurde auch durch die Technik zu dem, was er ist (vgl. Schmayl, 1989, S. 282). Ropohls Ansatz, Sachsysteme und soziale Systeme zu sozio-technischen Systemen zu verbinden und sie als Hand-lungssysteme zu betrachten, ist auch im MpA verwurzelt und bildet die Grundlage für das Verständnis der human-sozialen Perspektive der Technik (vgl. Schmayl, 1989, S. 284).

� Die Sinn- und Wertperspektive ist den anderen beiden über-geordnet und fragt nach dem Sinn der Technik, nach ihrem Wert und ihrer Bedeutung für den Menschen (vgl. Schmayl, 1989, S. 284). Dadurch, dass der Mensch durch die Technik die Welt gestaltet und sich die Technik auf die Selbstgestal-tung des Menschen auswirkt, ist sie die „tragende Komponen-te in zahlreichen Sparten kulturellen Scha�ens“ (Schmayl, 1989, S. 285). Als solche wird sie in ihren Möglichkeiten häu-�g überschätzt und überbewertet. Aus diesem Grund betont Schmayl ausdrücklich ihre Grenzen: (1) Sie ist stets ein Mittel zum Zweck – nicht der Zweck selbst – und steht somit stets im Dienste außertechnischer Ziele, (2) technisches Handeln ist nicht wertneutral – sondern unterliegt nicht wertfreien Urteilen und (3) die Werturteile über Technik können nicht pauschal gefällt werden, sondern sind stets gebunden an ethi-sche Grundsätze (vgl. Schmayl, 1989, S. 286).

Nur wenn Ziele und Inhalte alle drei Erkenntnisperspektiven berücksichtigen, kann ein umfassendes Verständnis der tech-nisierten Welt und der Rolle des Menschen bei deren Gestaltung erreicht werden.

4.2 Definition der Ziele und Inhalte

Neben der bildungstheoretischen Begründung der Notwendig-keit einer technischen Bildung gibt es auch gesellscha�liche und wirtscha�liche Aspekte, die für die Notwendigkeit einer technischen Bildung sprechen, wenn wir als Gesellscha� unser Wohlergehen beibehalten und eine friedliche Weiterentwick-lung unserer Kultur gewährleisten wollen. Dies bedeutet, dass unter dem Primat der personalen Bildung auch die Gewährleis-tung der Beschä�igungsfähigkeit und die Sicherung der Wert-schöpfung eine Rolle spielen. Diese Feststellung ist insofern von Bedeutung, als dass sie Auswirkungen auf die Wahl der Bildungs-inhalte hat. Wird die Bildung als Selbstbildung betrachtet, so sind lebensweltliche und gesellscha�liche Randbedingungen, in denen sich der Mensch be�ndet, als Faktoren zu betrachten, welche sowohl die Wahl seiner Bildungsziele als auch die Art und Weise, mit der sich der Mensch mit seiner Umwelt auseinander setzt, beein�ussen. Schlagenhauf (vgl. 2001, S. 196 �.) plädiert dafür, von menschlichen Bedürfnissen auszugehen und daraus die Inhalte technischer Bildung abzuleiten. Dieser Ansatz könn-

te sich für die Didaktik einer allgemeinen technischen Bildung im Erwachsenenalter bewähren. Diese Betrachtung bewahrt vor der Fokussierung auf die Objektdimension – innerhalb des Bil-dungsprozesses geht es nie nur um die Sache, sondern stets auch um die Person, die sich mit der Sache beschä�igt. Der Anspruch, welcher hier an die technische Bildung erhoben wird, ist, dass sie bildend ist. Schmayls Frage, „Wie müssen die Inhalte bescha�en sein, um bildend zu wirken?“ (Schmayl, 2010, S. 167), muss man sich stellen, wenn man die Ziele mit den Inhalten verknüpfen will. Bewusst wird hier nicht nach der Struktur des technischen Wissens gefragt (vgl. dazu Kornwachs, 2012, S. 10 �.), da hier der pädagogische Zusammenhang fehlt. Will man Technik zum Bildungsgegenstand machen, dann stellt sich die Frage, wie der Mensch – und anhand welcher Inhalte – die Welt, in der er lebt, geistig durchdringt.

Die Inhalte ergeben sich aus den Aufgabenschwerpunkten der ge-genwärtigen Technik (Sachs 1981, 2001). Sie zu de�nieren ist eine der herausfordernden Aufgaben, denen sich die Unternehmen und die Mitarbeitenden stellen müssen, wenn sie sich der tech-nischen Bildung innerhalb des beru�ichen Kontextes annehmen wollen. Da im Bereich der betrieblichen Weiterbildung neben bildungstheoretischen auch gesellscha�liche und wirtscha�liche Aspekte eine Rolle spielen, kann hier bei der De�nition der Inhal-te weder eine fachsystematische Orientierung, wie sie im Bereich der Hochschulbildung üblich ist, noch eine Vertiefung berufsspe-zi�scher Ausbildungsinhalte, wie es im Bereich der beru�ichen Aus- und Weiterbildung geschieht, erfolgen. Aufgabenschwer-punkte, welche die Menschen in einem Unternehmen zu bewäl-tigen haben, sind interdisziplinär und die Menschen, die sich den Aufgaben stellen sollen, haben sehr di�erenzierte und vielfältige Bedürfnisse. Um beiden gerecht zu werden, können die Bildungs-inhalte nur von den Menschen im Unternehmen selbst – und nur sehr betriebsspezi�sch – formuliert werden. Damit sie dies aber können, bedürfen sie Unterstützung.

Wer soll die Formulierung der Bildungsinhalte übernehmen? Die Treiber für die Weitentwicklung der betrieblichen Weiter-bildungskonzepte können nur diejenigen sein, die auch für die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens zuständig sind und innovative Fortentwicklungen im Unternehmen tra-gen. Im Zusammenhang mit dem �emenkomplex der Indus-trie 4.0 sind das bspw. in der Automobil- und Fertigungsindus-trie die obere und mittlere Führungsebene, wie Kelkar et al. in der MHP-Studie (Kelkar et al., 2014) herausfanden. Dies sind die Akteure, welche neben der strategischen Weiterentwick-lung des Produktionsunternehmens zugleich die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens als Bildungseinrichtung festlegen und verfolgen sollen. Dies sind Fach- und Führungs-krä�e aus den Bereichen der Wertschöpfungsketten, die für eine

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strategische Weiterentwicklung des Unternehmens relevant sind. Diese sind von der Geschä�sleitung festzulegen. Jene Akteure sind zuständig für die De�nition der Bildungsziele und -inhalte. Die Bildungsinhalte erwachsen in einem Unternehmen aus den Aufgaben, die sich entlang der Wertschöpfungsketten ergeben. Diese sind Produkt- und Produktlinienentwicklung, Verfahrens- und Anlagenentwicklung, Produktproduktion- und A�er-Sales-Service, außerdem Anlagenbau- und -betrieb. Zusätzlich sollen diese durch weitere für das Unternehmen wichtige Bereiche, wie Entwicklung von Normen und Standards, Forschung und Ent-wicklung etc., ergänzt werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine an den Unternehmens-zielen orientierte De�nition der Bildungsziele und -inhalte. Sie geben die Grobstruktur vor, die von den Mitarbeitenden im Un-ternehmen vervollständigt wird. Diese von Unternehmen formu-lierten Ziele und Inhalte bedürfen aber einer pädagogischen Er-gänzung auf Basis der bildungstheoretischen Begründung. Hier ist das Know-how der Bildungsexperten gefragt, die über erfor-derliche Quali�kationen2 verfügen. So wird es möglich, dass sich die Akteure aus ganz unterschiedlichen Unternehmensbereichen (Unternehmensführung, Produktionsleitung, Konstruktionslei-tung etc.) und aus verschiedenen fachlichen Disziplinen (bspw. Wirtscha�singenieurwesen, Maschinenbau, Vertrieb, Pädagogik und Didaktik der technischen Bildung) gemeinsam der Fest-legung von Bildungszielen und -inhalten annehmen.

Die Formulierung der Ziele und Inhalte erfolgt entlang der Wertschöpfungsketten – dies de�niert die Grobstruktur. Die Benennung der einzelnen Inhalte erfolgt entlang der oben schon angesprochenen Herausforderungen, die das Unternehmen an-gesichts der zukün�igen Entwicklung wird meistern müssen. Diese sind: 1. technische Neuerungen und Innovationen 2. veränderte Produktionshierarchien3. Vernetzung der Wertschöpfungsketten 4. neue Geschä�smodelle

Dies sind die thematischen Schwerpunkte, die sich auf alle Be-reiche der Wertschöpfungsketten auswirken – wenn auch in unterschiedlichem Maß und in völlig verschiedenen Tätigkeits-bereichen. Sie können durch weitere, für Unternehmen wichtige Schwerpunkte ergänzt werden. Was auf diese Art und Weise ent-

2 Unter Experten mit entsprechenden Quali�kationen kann hier nicht das Lehrpersonal (Weiterbildungspädagogen, Berufsschullehrer etc.) gemeint sein, sondern Personen, die auf einem hohen wissenscha�lichen Niveau über die er-forderlichen Kompetenzen verfügen (mind. EQR 8). In diesem Schritt geht es nicht um die operative Umsetzung der Lernziele, sondern um ihre De�nition auf der Basis wissenscha�licher �eorien. Dies muss hier ausdrücklich betont werden, da viele Bildungsvorsätze daran scheitern, dass ihnen das entsprechen-de wissenscha�liche Fundament fehlt.

steht, ist ein völlig neuartiges Curriculum3, das stets dynamisch zu sehen ist. Bildlich kann man sich ein solches Curriculum als ein sich ständig veränderndes Netz vorstellen, dessen Grundgerüst die Wertschöpfungsketten darstellen und dessen veränderbare Bestandteile sich aus den oben genannten thematischen Schwer-punkten ergeben. Unternehmen, die über ein derartig gestaltetes Curriculum ver-fügen, haben damit ein Instrument der strategischen Bildungs-planung für ihr Unternehmen. Solche von den Menschen im Un-ternehmen gestaltete Curricula geben stets auch Auskün�e über die erforderlichen Verbesserungen. Unternehmen, die bereits über Instrumente der kontinuierlichen Verbesserungsprozesse (KVP) verfügen, werden im Curriculum eine Ergänzung �nden, die einige Schwerpunkte des KVP spiegelbildlich fokussiert. Das Ergebnis solcher interdisziplinären, fachbereichsübergreifenden Arbeitsweisen sind Ziele und Inhalte, die sich an den betriebs-spezi�schen Entwicklungsbedürfnissen des Unternehmens und an den persönlichen Bildungsbedürfnissen der Mitarbeitenden orientieren und zugleich dem Anspruch an die personale Bil-dung genügen. Nach der De�nition der Ziele und Inhalte muss nun der zweite Schritt, deren Umsetzung, erfolgen. Auch hier haben die Un-ternehmen schon eine Vielfalt von Ressourcen parat, die es aus-zuschöpfen gilt. Durch externe, pädagogisch geschulte Berater können sie weitere Unterstützung erhalten4.

3 In der Fachliteratur gibt es zahlreiche Abhandlungen darüber, was Curri-cula, Lehrpläne oder Bildungsstandards etc. sind und was sie voneinander unterscheidet. Hier wird der Begri� Curriculum benutzt. Unter dem Begri� Curriculum wird im weiten Sinne eine De�nition der Ziele und Inhalte ver-standen, die formuliert werden mit dem Ziel, Bildungsprozessen einen Sinn und einen Inhalt zu geben. Für weiterführende Literatur siehe bspw. Kanz (1974), Hameyer, Frey und Ha� (1983), Busian (2006), Scholl (2009).

4 Hier sei ausdrücklich auf weitere Publikationen der Autorin und weiterer Co-Autoren verwiesen, die sich in Vorbereitung be�nden und in der Reihe „Technische Innovationen und Technische Bildung“ bei Steinbeis-Edition erscheinen werden.

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Sendler, U. (2013): Industrie 4.0 – Beherrschung der industriellen Komplexität mit SysLM (Systems Lifecycle Management). In: U. Sendler (Hrsg.), Industrie 4.0. Beherrschung der industriellen Komplexität mit SysLM (S. 1–19). Berlin, Heidel-berg: Springer Vieweg.

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Neue Lernkultur, Individualisierung und Kompetenzorientierung? Herausforderungen für die technische Bildung in der betrieblichen Aus- und Fortbildung

�omas Rajh

Prolog: Technologie, Management und technische Bildung – Grundpfeiler moderner Unternehmen

Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind auf dieser Tagung zu-sammen gekommen, um über den Menschen und sein Verhältnis zur Maschine, genauer gesagt zur digitalen Maschine, zu spre-chen. Allerdings nicht über den Menschen als solchen, sondern über ihn als „Faktor“, als eine Größe von vielen im Prozess der Entstehung von Produkten und in der gesamten Wertschöp-fung. Es geht im Kontext der Industrie 4.0 um die Frage eines lebenslang dynamischen Verhältnisses von Mensch und Tech-nik. Damit geht es um die Frage nach technischer Bildung nicht nur in der Schule, sondern eben auch danach, in Ausbildungs-stätten und Unternehmen. Vorneweg sei gesagt: Der Mensch hat sich nie zu einem Ende gebildet, Bildung ist nie „aus“. Doch darin liegt genau das Problem, dass die beste Ausbildung nichts nutzt, wenn sie irgendwann zu Ende ist, mag das Niveau auch noch so hoch sein. Insofern geht es damit auch um lebenslange technische Bildung. Aber was ist technische Bildung, wenn sie keine irgendwann stagnierende „Aus“-bildung sein soll, sondern lebenslanger Prozess? Was sind ihre Bedingungen und welchen Rahmen benötigt sie?

Dem Menschen, so kann man es im Vorwort nachlesen, kommt eine „Schlüsselrolle“ zu, wenn es um die Wirtscha�lichkeit, also den Erfolg von Unternehmen, geht. Man kann tatsächlich sagen, er sei der wertvollste Rohsto� in der Produktionskette. Sämtli-che technische Innovation kann nur in dem Maße zur Weiter-entwicklung von Qualität und Gewinn führen, wie der Mensch als Faktor in der Lage ist, diese mitzutragen und mitzugestalten.

Das Bild der Kette im Produktentstehungsprozess ist dabei sehr aufschlussreich. Die Produktentstehungs- und Wertschöp-fungskette ist nämlich am Ende so stark und erfolgreich wie ihr schwächstes Glied. Im Umkehrschluss muss einleuchten, dass die Stärke und Krä�igung des einzelnen Gliedes in dieser Kette vor-rangiges Ziel sein muss. Der Mensch als Teil dieser Kette muss deshalb auch kün�ig in dem Maße Stärkung und Entwicklung erfahren, wie alle anderen Faktoren auch.

Es geht also um die Frage, wie man das erreichen kann. Stehen Förderung von Mensch und Entwicklung und Wartung von Ma-schine in einem angemessenen Verhältnis? Wird der Entwick-lung des „Faktors“ Mensch in schulischer Bildung, betrieblicher Aus- und Fortbildung tatsächlich der Stellenwert beigemessen, den er benötigt?

Diese Überlegungen sind in der Tat aus unterschiedlichen Per-spektiven anzustrengen, darunter die wirtscha�liche, technische, aber eben auch die pädagogische, also die bildungsbezogene Sicht auf die Dinge. Deshalb will und kann ich nicht darüber referieren, worin Ihre unternehmerischen Ziele liegen müssten, wenn Sie im Rahmen der Industrie 4.0 erfolgreich wirtscha�en und vermarkten wollen. Vielmehr will ich hier mit Ihnen ab-schließend noch einmal einen Blick auf den Menschen als „Fak-tor“ wagen, der als starkes Glied den Umfang des Erfolges des Wertschöpfungs- und Produktentstehungsprozesses maßgeblich determiniert.

Es geht mir um die Frage nach der Bildung von Menschen, die aus Sicht der Unternehmen in Form von Ausbildung, Fortbil-dung und Schulung von Mitarbeitern Gestalt annimmt. In welch hohem Maße Bildung und unternehmerischer Erfolg darüber hinaus untrennbar miteinander verknüp� sind, wird bei diesem genauem Hinsehen dann sehr deutlich sichtbar.

Genau hier wird nun das Verhältnis von Mensch und Maschine relevant. Es rückt in den Blick, dass der Mensch nicht nur in der Industrie als Scha�ender und Machender, als „Faktor“ eben, und damit eine Art „berechenbare, verlässliche Größe“ erscheint. Er ist dazu in den vergangenen Jahren zunehmend auch in Bildungs-prozessen gemacht, ja darauf reduziert worden. Das aber, ein blo-ßer Faktor, ist er auch dann nicht, wenn man es sich wünschen würde. Menschen können die Rolle eines Faktors unter vielen nicht übernehmen. Sie bleiben unweigerlich, als bedeutendstes Glied der Kette, Garanten für Erfolg oder Misserfolg, Stillstand oder Entwicklung. Damit jedoch stehen sie an erster Stelle der Hierarchie aller bedeutenden Ein�üsse für den Erfolg der Un-ternehmen.

Vielmehr also als ein bloßer „Faktor“ ist der Mensch ein Indi-viduum, das sich nur sehr schwer wie ein Faktor oder eine Ma-schine „faktorisieren“, „fakturieren“ und operationalisieren lässt. Zu unberechenbar sind seine subjektiven, individuellen Dis-positionen.

Damit verbunden ist nun der folgenschwere Irrtum, dass der Mensch als Faktor eine Art „Qualität“ oder „Eigenscha�“ haben könne, wie man sie sonst im Grunde nur Sachen und Dingen zu-ordnet. Qualität bei Dingen kommt aber dann zustande, wenn

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sie einen Zweck erfüllen und bestimmten Kriterien entsprechen. Wenn etwas also einem Standard genügt und entspricht, dann – so sagt man – hat es Qualität.

Es mutet aus dieser Perspektive allerdings befremdlich an, glei-che Qualitätskriterien an Menschen anzulegen, wie man dies bei Sachen und Dingen üblicherweise tut. Das geschieht aber in der Realität gerade deshalb, weil man dem Menschen auch zugleich einen Zweck zuordnet, nämlich seine Produktivität.

Bildung ist – zum Zwecke der Qualitätsentwicklung – in Deutschland und international in den letzten Jahren in hohem Maße standardisiert worden. Während man meinte, damit die Stärkung des Einzelnen zu betreiben, scha�e man mit einer sogenannten „Neuen Lernkultur“ in Wirklichkeit doch Rah-menbedingungen, die dem Individuum, und damit seiner menschlichen Art mit all ihren Schwächen, aber gerade auch den Stärken, keinen guten Nährboden bereitet hat.

Ich will daher nicht länger vom „Faktor Mensch“ sprechen, son-dern vom „Individuum Mensch“ als entscheidende Ressource allen wirtscha�lichen und gesellscha�lichen Erfolgs. Denn die Unberechenbarkeit des Individuums liegt eben nicht nur in seinen Schwächen und Eigenheiten. Es ist gerade auch seine Ei-genscha�, über unberechenbare Fähigkeiten und kaum zu prog-nostizierende Potenziale zu verfügen. Die Herausforderung liegt demnach darin, diese zur Entfaltung kommen zu lassen. Das gilt für die Schule, aber genauso auch für die betriebliche Aus- und Fortbildung, es gilt im Kontext der Industrie 4.0 genauso, wie es auch bei kün�igen Herausforderungen gelten wird.

Man muss daher zunächst begreifen, dass die „Bezweckung“ und „Verzwecklichung“ von Bildung und Ausbildung im Widerstreit steht mit dem Interesse der Nutzenmaximierung. Wer Menschen standardisiert und glaubt, dadurch Qualität zu gewinnen, kann nicht zugleich die individuellen Potenziale des Einzelnen beför-dern, denn er nivelliert ihre Qualität in einer Weise, wie etwa eine DIN die Eigenscha�en einer Maschine oder eines Bauteils in verlässlicher Art vergleichbar macht.

Wer den Nutzen der Ressource Mensch maximieren möchte, muss verstehen, wie sich diese Quelle überhaupt erst wirklich an-zapfen lässt und am Sprudeln gehalten werden kann.

Was Industrie 4.0 für Ihr Unternehmen oder Ihre Tätigkeit be-deutet, das können Sie besser ab- und einschätzen als ich. Was der Mensch hingegen als Individuum für die Industrie auch kün�ig bedeutet, darüber möchte ich mit Ihnen einige Überlegungen und Einschätzungen aus Sicht der Bildung und Pädagogik teilen.

An erster Stelle gehe ich dabei der Frage nach, welche Vorstel-lung oder welches Konzept von Bildung für die so entscheidende Stärkung der Ressource „Individuum“ angemessen ist. Ich will aufzeigen, wie sich die Vorstellung von Bildung in den vergan-genen 15 Jahren signi�kant und mit erheblichen Konsequenzen für Gesellscha� und Wirtscha� verändert und entwickelt hat. Es folgen einige Überlegungen zum Stand technischer Bildung und der Technikdidaktik heute. Meine Überlegungen schließe ich mit einer Einschätzung ab, die einen Blick in die Zukun� der Industrie 4.0 und auch darüber hinaus in den KMU als eine Synthese aus pädagogischer und ökonomischer Perspektive wagt. Fokussieren will ich dabei auf die Person des technisch gebildeten Schulabgängers, der für die Ausbildung in technisch geprägten Berufen zur Verfügung steht.

1 Schule und Bildung nach PISA 2000

Im Jahre 2000 sorgte die erste PISA-Studie für einen Schock in der Deutschen Bildungslandscha�: Die Studie der OECD ergab im internationalen Vergleich der Industriestaaten Leistungen der 15-jährigen Schüler in Deutschland, die bestenfalls Mittelmaß waren. Viel wurde seither unternommen im Bereich schulischer Bildung, um die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen zu fördern und Absolventen staatlicher Schulen besser auf ihren weiteren Bildungs-, Ausbildungs- und Lebensweg vorzubereiten. Seither sind 15 Jahre vergangen. Was ist bis heute geschehen? Während sich die Pädagogen um eine Qualitätsverbesserung von Schule und Bildung bemühten, nahmen die Klagen der Aus-bildungsbetriebe, beru�ichen Schulen und Hochschulen über immer schlechter für den Berufseinstieg vorbereitete Schulabsol-venten und über deren sich stets verschlechternden Leistungen zu, anstatt abzunehmen. Der erho�e Durchbruch zu „besserer“ Bildung blieb aus. Das gilt insbesondere auch für den Bereich der technischen Berufe, wo seit langer Zeit spürbar ist, dass immer weniger quali�zierte Schulabgänger für eine Ausbildung zur Ver-fügung stehen1.

Es scheint auch heute, als seien die Kultusministerien der Bundes-länder eher damit beschä�igt, sich über die schlechteren Ergeb-nisse der anderen zu freuen, als überzeugende Lösungen für die eigenen Herausforderungen zu �nden. O� setzt die Bildungs-politik eher auf neue Worthülsen und unerprobte Konzepte. In der Schule, Bildung und Ausbildung herrscht Unruhe.

Dabei sind Schulen heute – es geht ihnen dabei ähnlich wie den Unternehmen – längst in einen Wettbewerb um Qualität, Schülerzahlen und die besten Standorte eingetreten, müssen sich gegen Konkurrenz behaupten und werden nicht zuletzt auch in

1 Bös, N. (2015).

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großer Zahl geschlossen. Was sind Ursachen für das Ausbleiben des schulischen Erfolgs? Warum leiden die Betriebe und Unter-nehmen an der mangelnden Quali�kation der Schulabgänger?

Man hat also nach der ersten PISA-Studie beschlossen, die Qualität der Schule zu steigern. Dazu hat man sich ein Konzept auferlegt, das bisher in der Wirtscha� bekannt war: die Output-steuerung über die Standardisierung der Prozesse und des ge-samten Inputs. Zu diesem Input aber gehören auch Menschen, nämlich die Schüler. Die sind zur Verfügungsmasse degeneriert worden. Die bisherige Idee der Pädagogik, dass Kinder erstmal zur Schule gehen sollen, damit sie sich entfalten können und ihre Talente und Interessen �nden, wurde weitgehend aufgegeben. Wer Bildungspläne seit 2004 anschaut, liest in sogenannten Bildungsstandards2. Darin steht detailliert, was Schüler am Ende von Klasse 7, 9 oder 10 an Kompetenzen beherrschen müssen.

Die aktuellen Bildungsplankonzepte werden deshalb als „kom-petenzorientierte“ Konzepte bezeichnet. Dabei lesen sich die Standards ebenso technisch-sachlich wie jene aus irgendeinem industriellen Fertigungsprozess. Das hat damit zu tun, dass die Schule sich sozusagen bereit erklärt hat, die Schüler nicht mehr zu bilden, sondern dahingehend vorzubereiten, dass sie den Er-fordernissen des Berufsmarktes, den Anforderungen der Aus-bildenden etc. genügen werden. Außerdem ist es erklärtes Ziel geworden, PISA zu bestehen. Wer bei PISA gut abschneidet, hat als Kultusminister seinen Arbeitsplatz wahrscheinlich gesichert.

Die Realität zeigt, dass dieses Bildungskonzept aber so nicht funktioniert, weil es die Qualität, die man so gerne hätte, bisher gar nicht erbracht hat. Schule hat es in den letzten 15 Jahren kei-neswegs vermocht, mehr oder bessere Schulabgänger für die Aus-bildung in gewerblich-technischen Berufen hervorzubringen.

Schule ist immer noch dabei zu glauben, dass sie es irgendjeman-dem recht machen könnte. Solange sie nicht versteht, dass sie exklusiv die Interessen der Schuler auf Selbstentfaltung und Ent-wicklung vor allen beru�ichen Überlegungen zu unterstützen hat, wird sie auch weiterhin grandios scheitern.

Schule ist dazu da, junge Menschen zu stärken und sie dahin-gehend zu motivieren, engagiert und zielstrebig in spätere Berufs-bildungs- und Ausbildungsprozesse einzusteigen. Das können Schüler dann, wenn sie selbst etwas von sich halten, ein Selbst-wirksamkeitsgefühl ihr Eigen nennen können, ihre Talente und Interessen kennen und darauf Lust haben, mehr und v. a. Neues zu lernen.

2 MKJS Baden-Württemberg (2004).

Fit für den Beruf3 will Schule heute o� machen. Doch das kann die allgemeinbildende Schule nicht leisten, das soll sie auch gar nicht. Das kann nur die Ausbildung in den Betrieben, in den wei-terführenden beru�ichen Schulen, in den Tätigkeitsfeldern vor Ort. Wenn die Wirtscha� in Schule ein Zulieferunternehmen kün�iger Arbeitnehmer sieht, dann wird die Lieferung unbe-friedigend bleiben müssen. Was man aber zu Recht erwarten sollte, sind allgemein, auch technisch allgemein gebildete, ziel-strebige, neugierige junge Menschen mit Elan, die bereit zur Ver-antwortung für sich und ihren weiteren Weg sind. Dazu gehört aber gerade auch Wille und Leistungsbereitscha�. Man muss also nochmal fragen, warum es nicht wirklich gut klappt mit der Qualität von Schulabgängern, die als so wichtiger „individueller Faktor“ für die Unternehmen essentiell wichtig sind, obwohl Bildungspolitik und die Industrie erhebliche An-strengungen unternehmen.

Schauen wir dazu auf einige bildungspolitische Konzepte, und schauen wir v.a. auch auf die Situation technischer Bildung in Deutschland.

2 Heilsversprechen der südwest deutschen Bildungspolitik

In Baden-Württemberg hat die seit 2011 amtierende Landes-regierung das aufgegri�en, was schon unter Ministerpräsident Teufel sichtbar wurde, unter Oettinger deutlich und unter Map-pus beschlossene Sache: Ein dreigliedriges Schulsystem ist teuer und der demogra�sche Wandel deutet auf die Notwendigkeit einer neuen Schulstruktur im Land hin. Heute gehen 60 % aller Schüler auf ein Gymnasium4, vor zwanzig Jahren waren es halb so viele. Die Zahl der Studienabbrecher liegt übrigens mit bis zu 31 % aller Studierenden erschreckend hoch5. Die Kosten dafür mag man sich gar nicht ausdenken. Obwohl viele Schulabgänger Zugang zu einer Hochschule oder zu einem Studium erhalten, sehen sie sich selbst gar nicht quali�ziert, z. B. wissenscha�liche oder auch nur schri�liche Arbeiten zu einem �ema zu verfassen. Das sagen etwa 45 % aller Studienabbrecher über sich, aber eben auch 51 % derjenigen, die am Ende einen Hochschulabschluss haben.6

Bedeutet das nicht, dass viele all derer, die heute ein Studium absolvieren, sich entweder nicht quali�ziert fühlen oder tatsäch-lich nicht dafür quali�ziert sind? Ich will daran erinnern, dass Generationen von Schülern gute Schulabschlüsse hatten, aber im Wesentlichen nur 10 % der Bevölkerung einen akademischen

3 Vgl. dazu Rajh, T. (2015a), S. 5.4 Vgl. Bös, N., a.a.O.5 Zum �ema der Studienabbrecher vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Studi-

enabbruch.6 Schmoll, H. (2015).

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Abschluss. Damit funktionierte die Gesellscha�, die Verwal-tung, die Bildung, aber gerade auch die Wirtscha�. Es waren einfach ausreichend hoch quali�zierte Mitarbeiter auf dem Aus-bildungsmarkt zu �nden. Heute �ndet sich dort zunehmend der Rest derer, die keine Hochschulreife erlangen konnten. Weil aber so viele eine Hochschulreife haben, darf man getrost ableiten, dass das Niveau, diese zu erlangen, signi�kant abgesenkt worden sein muss. Entsprechend ernüchternd ist dann die Tatsache, dass unterhalb dieses bereits abgesenkten Niveaus das Sammel-becken der Übriggebliebenen liegt. Welche Qualität und Kon-sistenz dieses Sammelbecken hat, muss man dann nicht weiter ausführen.

Auch der allgemeine Rückgang der Schülerzahlen bis etwa 2021 spielt dabei eine Rolle. An allgemeinbildenden Schulen wird es etwa 15 % weniger Schüler geben (also 260.000 weniger als 2005 / 06 mit 1,71 Mio.). An Berufsfachschulen ist der Rück-gang mit bis zu 24 %, also praktisch ein Viertel aller Schüler, noch gravierender.7 Bis 2030 wird es 25 %, im ländlichen Raum zum Teil bis an die 30 %, weniger Schüler geben als um die Jahr-tausendwende. Man kann also leicht verstehen, dass weniger Schüler auch andere Schulstrukturen nach sich ziehen werden.

Was sich aber derzeit in Baden-Württembergs Schulsystem wandelt, hat neben den beschriebenen demogra�schen Grün-den ideologische Dogmen und politische Heilsversprechungen als Ursache. Das Versprechen lautet: Jeder kann alles werden. Jeder ist ein Talent, jeder ist hochbegabt. Der Trend zum Run aufs Gymnasium und an die Hochschulen wird damit weiter ge-schürt.

Ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit sei die Gemeinscha�s-schule in Baden-Württemberg. Doch was genau ist Gerechtigkeit in der Bildung? Sie besteht aus gleichen Startbedingungen für alle, danach aus gleichen Leistungsanforderungen und Leis-tungsmessungen sowie drittens darin, dass man die Unterschied-lichkeit der individuellen Leistungsniveaus nicht nur benennt, sondern auch erträgt. Mit der gemeinsamen Grundschule waren die Startbedingungen jedoch seit jeher für alle Schüler gleich, und dass in Grundschulen alle Schüler in sehr hohem Maße we-gen ihrer mitgebrachten Lerndispositionen individuell gefördert wurden und die Klassen schon immer eine enorme Heterogeni-tät aufwiesen, ist nichts Neues.

Die bildungssozialisatorische Selektion durch Schule wird mit der Gemeinscha�sschule, die es jetzt seit 2012 gibt, formal le-diglich nach hinten verschoben, denn kein Schulmodell kann letztlich verdecken, dass es Unterschiede in der schulischen, res-pektive intellektuellen Leistungsfähigkeit von Menschen und

7 Vgl. zu diesen Zahlen Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2014).

damit am Ende qualitativ und quantitativ unterschiedlich Kom-petente gibt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man an einer Gemeinscha�sschule nicht sitzenbleiben kann und es keine Zi�ernnoten mehr gibt.

Die bildungsromantische Utopie einer gerechten Welt, in der alle Menschen gleich wertvoll sind, verkennt nämlich zumindest zwei entscheidende Fakten. Zum einen sind alle Menschen, mit oder ohne Bildung, in ihrer Würde vollumfänglich gleich und da-rin unantastbar. Hier von „Wert“ zu sprechen, wäre ohnehin ver-fehlt. Zum anderen aber sind Menschen bei aller Ebenbürtigkeit doch sehr unterschiedlich, was sich gerade auch in ihrem quali-tativen und quantitativen Potenzial der Bildung in verdichteter Form zeigt. Dies jedoch ist der gleichmachenden Ideologie, wie man sie derzeit wieder erleben kann, ein Dorn im Auge. Genau deshalb geht es auch nicht mehr um Bildung, sie wird vielmehr durch Kompetenz ersetzt und auf ihre utilitas, ihre Nützlichkeit, reduziert:

„Dort werden Kinder aller Begabungen und Fähigkeiten bestmög-lich gefördert und in ihrer individuellen Lernentwicklung unter-stützt. Durch Lernkonzepte, die die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler stärker in den Blick nehmen, scha�en wir bessere Berufs-und Lebenschancen.“ 8

Es geht nicht um Bildung, nein, um Berufs- und Lebenschan-cen soll es heute in der Schule gehen. Die Gemeinscha�sschule will eine „Lernfabrik“, ein „Treibhaus“ sein, in der jeder Schüler möglichst schnell für einen Beruf passend gemacht werden kann und entsprechende Kompetenzen entwickelt. Die Nützlich-keit und Verwertbarkeit von schulischer Bildung steht an erster Stelle: Kompetenzpädagogik hat den seit vielen Generationen in der deutschen Pädagogik bestehenden Begri� der „Bildung“ ausgehöhlt. Im Übrigen sind die anderen Schularten auch mehr oder weniger auf diesen Zug aufgesprungen.

Was Sie, als Unternehmer aber benötigen, sind keine Mitarbeiter und Auszubildenden auf irgendeinem noch so hohen Niveau, sondern solche, die in der Lage und auch willens sind, sich aus eigenem Antrieb und vor allem in Selbstverantwortung, Enga-gement und Loyalität zum Unternehmen, lebenslang weiter zu entfalten und fortzubilden. Das bringt dem Einzelnen und dem Unternehmen den maximalen Nutzen. Bildung an sich ist eben nützlich für den Menschen, nicht Ausbildung. Denn Ausbildung ist irgendwann aus, zu Ende, ein erreichter Zustand an Können, Wissen, Fähigkeit.

Bildung aber ist eine Haltung, mit der man ein Leben lang voran-schreiten wird. Diese Sicht von Bildung also ist die Basis, wenn

8 Stoch, A. (2015).

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man darüber nachdenken will, wie man der jetzigen Heraus-forderung namens Industrie 4.0 oder irgendeiner kün�igen Herausforderung begegnen will. Es braucht dauerha� lernfähige Menschen.

Was die Gemeinscha�sschule als Ausdruck politischen Willens tatsächlich abscha�en soll, ist der Unterschied zwischen mehr oder weniger Gebildeten (dabei geht es längst nicht mehr um Bildung im klassischen Sinne). Gerecht sind demnach eine Schule und eine Gesellscha� von Gleichen. Worin aber soll die Gleichheit bestehen? Aus der Perspektive der Kompetenzpäda-gogen zählt allein, ob jeder Einzelne gemäß seinen individuellen Befähigungen „optimal“ berufs- und lebensfähig wird. Der Maß-stab der Bezugsnorm ist ausschließlich intrasubjektiv.

Jeder intersubjektive Vergleich, der auf kriterialer Maßgabe ba-siert, führt demnach bereits zu Ungerechtigkeit. Unterschiede zwischen Menschen sind demnach tendenziell diskriminierend, weshalb der vergleichende Blick in der Schule gerade abgescha� wird. Übrigens müssen sich Gemeinscha�sschulen auch nicht – im Gegensatz zu allen anderen Schulen – einem ö�entlichen Leistungsvergleich stellen9. Interessiert es Sie als Unternehmer nicht, wen sie da vor sich haben, wer sich da beworben hat? Finden Sie auch, dass jeder ein Talent ist und alle zugleich die Besten für Ihren Betrieb? Falls ja, dann haben Sie das Prinzip der „Neuen Lernkultur“ verstanden. Alle sind gut, alle sind gleich. Niemand darf „ungeeignet“ oder gar „schlecht“ sein. Faul ist kei-ner, weniger intelligent auch nicht, schlechtes Verhalten ist die Schuld anderer.

Das ist Pädagogik in ihrer vorletzten Evolutionsstufe, bevor man keine mehr braucht, bevor sie über�üssig wird. Bildung, die nicht sagt, was ist, keine Unterschiede benennt, ist nicht einmal mehr Halbbildung oder Unbildung, sie hat ihren Wert gänzlich verloren, weil sie keine Ziele zu benennen mehr willens oder fä-hig ist. Wenn alles gleich ist, ist am Ende auch nichts mehr er-strebenswert, das Streben, die Anstrengung danach lohnt sich nämlich nicht.

Michael Wimmer nennt Pädagogik die „Wissenscha� des Un-möglichen“10, und bringt damit zum Ausdruck, dass es eben gerade darum geht, das noch nicht Erreichte, die höheren Ziele, eben das Bessere als das Gute zu erreichen. Dass das Bessere des Guten Feind ist, ist Motor und Triebfeder einer jeden denkbaren positiven Entwicklung, es ist zugleich das Geheimnis und der Kern unternehmerischen Erfolges. Schulkultur und Bildungs-verständnis sollten das nicht mit blumigen Versprechungen kon-terkarieren bzw. sollte man erkennen, was hier durch die Blume

9 Schmoll, H. (2014).10 Wimmer, M. (2014): Pädagogik als Wissenscha� des Unmöglichen. Bildungs-

philosophische Interventionen. Paderborn: Schöningh.

gesprochen wird. Man muss den Menschen weiterhin sagen, was gut ist und was besser wäre.

Weil es aber um Kompetenz, nicht mehr um Bildung geht, handelt es sich um eine besonders folgenschwere Entwendung von Gleichheitschancen, denn Gleichheit im Sinne von Gleich-berechtigung kann es nur unter Gebildeten, nicht aber unter Kompetenten geben, die gemäß den Gesetzen des Marktes kon-tinuierlich evaluiert und selektiert werden müssen. Hinter der vermeintlichen Individualisierung verbirgt sich somit ein Kon-zept, das in Wahrheit in hohem Maße individualitätsfeindlich ist, weil es den Vergleich individueller „Herausbildung“ von Unterschieden nicht erträgt.

Nur, wenn für alle das Gleiche gilt, kann es gemäß dieser Logik aktueller Schulpolitik im Südwesten auch gerecht sein. Der Be-gri� der Vielfalt wird so durch die Vereinheitlichungsschmiede ad absurdum geführt. Eberhard Keil, seit 40 Jahren SPD-Mit-glied und damit eigentlich Parteifreund der aktuellen Kultus-administration in Baden-Württemberg, spricht daher auch unverhohlen von „ideologischer Gleichschaltung“ des Schul-systems ohne pädagogischen Nutzen.11

Diese Schul- und Lernideologie ist der reale Bildungssozialismus schlechthin. All seine gescheiterten realpolitischen Versuche belegen indes, dass es einer Gesellscha� nicht dann besser geht, wenn man allen das gleiche, niedrige Niveau verordnet. Besser geht es allen nur dann, wenn jeder Einzelne, angetrieben von der berechtigten Ho�nung, dass seine individuelle Leistung sich in einem besseren Leben „rentieren“ wird, ein Höchstmaß von Eigenentwicklung, Individualität, Ideenreichtum und Selbstver-wirklichung in Angri� nimmt. Solche Mitarbeiter konstituieren erfolgreiche Unternehmen.

Das ist ohne Anstrengung nicht zu haben, denn es gibt in diesem Wettbewerb nichts geschenkt. Dies ist die gute Seite der durch-aus ambivalenten Medaille sozialen Leistungsdenkens. Wenn Leistung sich nicht lohnt, dann wird sie einfach nicht erbracht. Jeder Pädagoge weiß das.

Das bedeutet freilich nicht, dass die Freude am Lernen den Kin-dern nicht bereits Lohn genug wäre, wie das Dogma der „neuen Lernkultur“ glauben machen will, wenn es behauptet, Leistungs-messung und schulische Zensuren gehörten abgescha�. Ebenso wie die Parteien und Medien der Bevölkerung weismachen wollen, dass Nichtwählen anstatt Wahrnehmung der freiheit-lich-demokratischen Grundrechte indirekte Unterstützung „der Radikalen“ bedeute, so werden Scheinwahrheiten in Gesell-scha�spolitik in Umlauf gebracht, die sich auf das System Schule

11 Keil, E. (2015).

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natürlich auch auswirken: Leistungsstreben führe zu Egoismus, nicht zu Gemeinscha�.

Die Einführung der Gemeinscha�sschule ist ein sozialstaatliches Experiment, das versucht, durch Vergemeinscha�ung und durch Gleichschaltung das Prinzip der Leistung und damit eines be-haupteten sozialen Egozentrismus zu beseitigen. Allerdings fragt sie nicht erst nach, ob der Einzelne das will.

Wie die Parteien und die Medien dem Wähler mit Verweis auf die schlimmen Folgen der Nichtwahl nimmt die Landes-regierung Baden-Württembergs den Eltern und Schülern kün�ig die Wahl des Bildungsweges ab, denn was gut ist, ist fortan de-�niert – wenn man sich nicht explizit als „radikaler“ Egoist ou-ten will, weil man eben doch einen möglichst hohen Bildungs-abschluss jenseits des Einheitsniveaus, noch dazu vielleicht an einem Gymnasium für sich oder für seine Kindern anstreben möchte. Warum denn schickt jeder, der es irgendwie kann, sein Kind auf ein Gymnasium?

Die Gemeinscha�sschule wird, das zeichnet sich überdies be-reits seit Ihrer Er�ndung ab, die neue Restschule im Südwesten sein und damit die Rolle der Hauptschule nahtlos übernehmen. Es handelt sich bei ihrer „Kundscha�“ um alten Wein in neuen Schläuchen. Erstaunlich, dass durch diesen Etikettenwechsel doch viele glauben, in den ehemaligen Haupt- und Werkreal-schulen seien nun höhere Bildung und quali�ziertere Schüler unter dem Banner eines neuen Schulnamens und einer neuen Schulart versammelt.

Wir erleben die paradoxen E�ekte sozialistischen Denkens, das zugleich den Gesetzen eines hemmungslosen Neoliberalismus huldigt. Welch ein grotesker Widerspruch! Sozialismus bedeu-tet immer auch Umschichtung. Das ist ja auch ein anerkanntes Prinzip etwa der Sozialen Marktwirtscha�. Man muss sich aber immer wieder vor Augen führen, wie weit die Gegenpole dieser Umschichtung voneinander entfernt sind. Auf der einen Seite ist es das extreme Prinzip „jedem nach seiner eigenen Leistung“, dort das andere Extrem „allen das Gleiche“. Beide Positionen sind verschär� und radikal.

Erreicht wird die derzeitige Umschichtung von Bildungsgutha-ben und -reichtum einerseits durch gravierende Absenkung des Niveaus von Schulabschlüssen12 und damit deren relative Ent-wertung. Andererseits wird durch Zugangsmöglichkeit aller auf alle Schularten eine faktische Einheitsschule gescha�en, die sich nur noch in Altersstufen ohne qualitative Di�erenzierung auf-gliedern lässt.

12 Bölling, R. (2014).

Würden die politischen Entscheidungsträger dies transparent machen, sofern sie sich darüber überhaupt im Klaren sind, dann könnte man darüber sachlich und kontrovers streiten. Es war aber schon immer Kennzeichen gleichmachender Staatsführung, ihre tatsächlichen Ziele nicht direkt auszusprechen. Sie ist inso-fern als Ideologie zu benennen. Lieber nimmt man weniger Bil-dung – diese dafür aber für alle – in Kauf, als dass manche mehr als andere davon bekommen, in Folge dessen ausnahmslos alle danach jedoch auf höherem Niveau stehen als zuvor. Es geht der Landesregierung o�ensichtlich nicht um mehr, sondern lediglich um gleiche Bildung für alle. Wer mehr Bildung scha�, tut dies für alle, ohne dass damit notwendigerweise eine Klu� geschlossen würde. Hier jedoch geht es nicht um ein Mehr, sondern um ein Überwinden der Unterschiede.

Politische Philosophie und Menschenbild sind die treibenden Krä�e hinter dieser von der Ö�entlichkeit nur wenig wahr-genommenen aktuellen und zugleich radikalen Umstrukturie-rung von der Schule in Baden-Württemberg. Der Bevölkerung im Südwesten dämmert dies augenscheinlich erst langsam, wäh-rend der Unmut in und über Schule und deren Administration angesichts des dogmatischen Wandels aber wächst13.

Vorsorglich hat die Landesregierung die Einführung der neuen Bildungspläne, die derzeit von Expertenkommissionen eigens für die Strukturen der Gemeinscha�sschule erstellt werden, auf den Zeitpunkt nach der im Frühjahr 2016 statt�ndenden Land-tagswahl verlegt. Nach erneut erfolgreicher Wahl hätte man zu Beginn einer neuen Legislaturperiode die Gelegenheit, die Mas-ken fallen zu lassen, was durch die neuen Bildungspläne als Pro-gramm und die Gemeinscha�sschule als Gestalt gleichmachen-der politischer Bildungsideologie rasch besorgt wäre.

Zu keiner Zeit war die Unzufriedenheit mit der Bildungspolitik größer, als dies aktuell der Fall ist14. Um es deutlich zu sagen: Die hier vorgetragenen Überlegungen stammen aus pädagogischer, nicht aus politischer Quelle. Das beschriebene Problem ist weder eines der amtierenden baden-württembergischen Landesregie-rung, noch ein Problem des Südweststaats an sich. Seitdem sich die Bildungspolitik in Deutschland des sogenannten Bildungs-rates entledigt hat, ein überparteiliches pädagogisches Gremium, hat sie dem politischen Kalkül den Primat vor dem nachhaltigen, metapolitischen pädagogischen Gewinn Tür und Tor geö�net. Dies gilt bundesweit.

Was keiner sagen will, ist doch o�ensichtlich. Es braucht – noch vor der absehbaren Integration des Gymnasiums in eine „ge-samte“ Gemeinscha�sschule – eine Schulart für all diejenigen, die aufgrund ihrer kognitiven, sprachlichen oder sonstigen Leis-13 Breining, T. (2014).14 Allgöwer, R. (2015).

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tungsfähigkeit keine Realschule und kein Gymnasium besuchen können. Weil das aber wegen der politischen Überzeugung der Landesregierung nicht sein darf, zwingt man langfristig die Mittelschüler und die Gymnasiasten mit dem Rest in eine Ein-heitsschule und versucht zu beschwichtigen, indem man auf das dort ebenfalls „angebotene“ mittlere und höhere Bildungsniveau verweist. Angeblich kann (zumindest theoretisch) jeder an einer GMS auch das Abitur erlangen.

Dass dies in der Praxis ein frommer Wunsch bleibt, dür�e sich bald für alle als sichtbar erweisen. Soeben wurde die erste „Pro-fessur für Nachhilfe“ eingerichtet15, weil Abiturienten kein brauchbares Niveau mehr an die Hochschulen mitbringen.

Der Wandel von einer Bildungs- hin zu einer Kompetenzpäda-gogik, die keine Bildung zur Humanität, sondern vielmehr die reine Utilität der erworbenen Kompetenzen in den Vordergrund stellt, fordert längst ihren Preis: Die vielfach befürchtete Nivel-lierung der Schularten „im Sinne einer Einebnung der Schulver-hältnisse und im Sinne einer Absenkung des Bildungsniveaus“16 �ndet bereits statt.

3 Auswirkungen der Schulreformen auf die Unternehmen

Die konsequente Frage lautet nun tatsächlich, was das alles mit Unternehmern und der Industrie zu tun hat. Der Zusammen-hang ist evident. Von den immer weniger Schülern, die es über-haupt gibt, wird ein immer geringerer Anteil ohne allgemeine Hochschulreife in den klassischen Ausbildungsberufen zur Ver-fügung stehen. Deren Eingangsquali�kation als Schulabgänger einer Rest-Mittelschule aber reduziert sich weiterhin. Das führt zu einer qualitativen Verschärfung der Probleme von Industrie und Handwerk. Während dort darüber nachgedacht wird, wie man den auch jüngst in der Politik erkannten Herausforderun-gen der Digitalisierung begegnen soll, spaltet sich die Schüler-scha� zunehmend in solche, die ein Studium zumindest begin-nen wollen und jene, die kaum in der Lage sind, ihren Namen fehlerfrei und leserlich zu schreiben oder die Hausnummern auf der linken Seite ihrer Straße schri�lich zu addieren.

Man erkennt hier die Klu� zwischen den anstehenden Heraus-forderungen und den strukturellen Rahmenbedingungen. Hier bricht die Mitte weg, und damit die Basis des Mittelstandes, die Basis und die Stärke der kleinen und mittelständischen Unter-nehmen.

15 Trauthig, J. (2014).16 Schmayl, W. (2010), S. 36.

Jeder Unternehmer will für seinen Betrieb die Besten und die Passendsten �nden und damit die Zukun� sichern. Gemäß dem aktuellen Mantra der Pädagogik aber brauchen sie sich gar keine Sorgen machen, denn alle Schüler sind gleich gute, hochbegabte Talente. Tatsächlich?

4 Die Legende vom Nachwuchsmangel in technischen Berufen – Mangel technischer Bildung in Schulen

Wir haben also gesehen, dass die aktuell verbreiteten pädago-gischen �eorien nur bedingt in der Lage sind, den Rohsto� „Mensch“ und damit ein engagiertes und leistungsorientiertes „Individuum“ zu stärken, was aber aus unternehmerischer und pädagogischer Sicht so gehaltvoll und geboten wäre.

Ich möchte neben dem schulstrukturellen Problem aber auch noch eine andere Herausforderung ansprechen. Es geht hier um die Frage, was eigentlich „technische Bildung“ ist und warum es in diesem Bereich Schwierigkeiten mit quali�ziertem Nach-wuchs gibt.

Es ist erklärtes Anliegen der Wirtscha� und der Bildungspolitik, durch die Initiative in den MINT-Fächern auf einen drohenden und in Teilen bereits eingetretenen Nachwuchsmangel in den „MINT-Berufen“ zu reagieren. Viel Geld und Bemühung wird hier investiert.

Das Problem des Mangels an „Nachwuchs“ scheint evident und ist auch in der Technikdidaktik selbst nicht nur unbestritten, sondern wird von ihr überdies als noch prekärer erkannt, weil auch im Bereich der technischen Bildung auf allen Ebenen Nach-wuchs(lehr-)krä�e fehlen.17

Dabei ist jüngst bekannt geworden, dass als Ergebnis der vielen Fördermaßnahmen im MINT-Bereich gerade dort die Absolven-ten von steigender Arbeitslosigkeit betro�en sind.18 Der MINT-Markt scheint eine Sättigung zu erreichen. Aber kommt das bei den Unternehmen auch so an? Sind diese mit gut quali�zierten Abgängern aus Schule und Studium ausreichend versorgt?

Es wird beklagt, dass

„obwohl in Politik und Ö�entlichkeit immer wieder auf den Mangel an Fachkrä�enachwuchs hingewiesen wird, Hochschulen, Wirtscha� und Industrie hochquali�zierte Ingenieure, Techniker und Naturwis-senscha�ler suchen und eine Wahl dieser Schul- und Studienfächer

17 Rajh, T. (2015b), S. 12. 18 DPA (2015).

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propagieren“, das „Bewusstsein um die Bedeutung mathematisch-naturwissenscha�lich-technischer Bildung noch nicht im wünschens-werten Maß gewachsen zu sein“19

scheint. Noch immer erführen die

„so genannten MINT-Fächer – allen voran Mathematik, Physik und Chemie – bei jungen Menschen als Schulfach, als Studiengang oder bei der Berufswahl eine zu geringe positive Resonanz.“20

Es ist erstaunlich und ein deutlicher Hinweis auf ein unvoll-ständiges Technikverständnis, dass zwar vom Mangel an „Tech-nikern“ gesprochen, bei der Aufzählung der zu wenig gewählten Fächer das Fach Technik aber überhaupt nicht mehr erwähnt wird. Hat man denn das Fach Technik und damit technische Bildung an Schulen wirklich angeboten und dafür gesorgt, dass das Fach Technik ebenso wie die anderen MINT-Fächer grund-sätzlich Bestandteil schulischer Bildung ist? Nein, man hat das versäumt und bisher auch nicht erkannt.

Ein Blick darauf, in welchem Umfang und an welcher Schulart Technik im Stundenplan steht, ist aufschlussreich. Technik war und ist das klassische, „markenbildende“ Schulfach der Hauptschule, es war sozusagen ihr „Maskottchen“ und diente ihrer Pro�lbildung und Aufwertung noch unter Mayer-Vorfelder & Co.

Erst langsam kann sich das Fach Technik heute an Gymnasien im Fächerverbund NwT (neu ab 2016: „BNT“21) etablieren. Im dortigen, naturwissenscha�lich geprägten Umfeld scheint (wie es in MINT-Ansätzen – und NwT gehört dazu! – die Regel ist) allerdings nur ein rudimentärer Technikbegri� zu existieren, was neben einem überwältigenden Mangel an technisch ausgebilde-ten Lehrkrä�en22 darauf hindeutet, das technische Bildung im Gymnasium immer noch ganz am Anfang steht.

In Baden-Württemberg vollzieht sich aktuell der Wandel zu ei-nem zweigliedrigen Schulsystem mit einer Sekundarschule, die

19 KMK (2009), S. 4.20 Ebd., S. 2.21 MKJS Baden-Württemberg (2015).22 Eschenhagen, U., Kremer, M., Rösch, H., Salat, U. (2015) S. 23.

die bisherigen Schularten Hauptschule (mit ihrer Erweiterung der Werkrealschule als 10. Schuljahr) und Realschule als Mittel-schultyp namens „Gemeinscha�sschule“ integriert.

Neben ihr besteht weiterhin das Gymnasium, weshalb kün�ige Überlegungen zur technischen Bildung strukturell näher, näm-lich in die direkte Nachbarscha� des Gymnasiums, gerückt sind. Der „Sicherheitsabstand“ in Form der Realschule, mit dem gym-nasiale Bildung das in der Hauptschule regelmäßig, in der Re-alschule hingegen längst nur noch im Wahlbereich angesiedelte Fach Technik bisher auf Distanz hielt, ist geschwunden.

Nachdem eine volle Durchlässigkeit der verschiedenen Bildungs-gänge nach wie vor von allen Seiten postuliert wird, wird man jetzt mehr als bisher fragen müssen, wo die technische Bildung und auch das Fach Technik, dass es ja an den „gleichgeschalte-ten“23 Mittelschulen mit den neuen Bildungsplänen ab dem Jahr 2016 als eigenständiges Fach gibt, am Gymnasium zu �nden ist. Der Technikunterricht hat an der höheren Schulart bisher keine beutende Lobby. Die allerdings hat auch der Fächerverbund BNT nicht – sein didaktisches Konzept konnte die beteiligten Fachvertreter, vor allem die Biologen, keineswegs überzeugen und hat he�ige Proteste hervorgerufen.

Doch auch bei den aktuellen Entwicklungen mit dem neuen MINT-Fächerverbund BNT, der das Wort „Technik“ in seinem Namen trägt, zeigt sich, wie wenig Technik und technische Bil-dung an Gymnasien zählen. Die Kontingentstundentafeln wei-sen für das Fach Technik innerhalb des Fächerverbunds BNT ab 2016 im Gymnasium keine einzige Stunde aus24.

Es gilt also weiter die Feststellung: je höher der Bildungs-abschluss, desto weniger technische Bildung ist – zumindest in Baden-Württemberg – darin enthalten. Auf weitere strukturelle Fragwürdigkeiten des neuen Verbundes BNT kann hier nicht eingegangen werden. Es ist also nicht verwunderlich, dass mit der steigenden Zahl an Abiturienten und der sinkenden Zahl der Hauptschüler und Realschüler die Zahl derer sinkt, die im Sinne schulischer Bildung überhaupt technisch gebildet sind.

23 Keil, E. (2015). 24 Vgl. MKJS Baden-Württemberg, a. a. O.

Schularten Summe der Kontingentstunden Anteil Biologie Anteil Physik Anteil Chemie Anteil Technik

Werkrealschule 8 4 1 1 2

Realschule 8 4 1 1 2

Gemeinschaftsschule 7 4 1 1 1

Gymnasium 6 4 1 1

Tab. 1: Kontingentstundentafel der Sekundarstufe I in Baden-Württemberg ab dem Schuljahr 2016/17.abgerufen am 20.11.2015. Quelle der Grafik: http://www.kultusportal-bw.de/,Lde / Startseite / schulebw / Rahmenvorgaben_Eckpunkte

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Eine Hauptursache des Nachwuchsmangels liegt also im Mangel technischer Bildung in der Schule. Aktuell wird versucht, durch verschiedene MINT-Konzepte Technik in den Unterricht zu bringen. Fragwürdig und kontraproduktiv wirkt dabei aber der Umstand, dass Technik überhaupt nicht mit M-, I- und N-Fä-chern auf einer Ebene zu betrachten ist.

5 Technik ist kein Naturschauspiel, sie ist Menschenwerk und Kulturgut

Es gibt also einen zweiten Grund dafür, warum technische Bil-dung so schwach ausgeprägt ist. Sie wird an die Naturwissen-scha�en angekoppelt, anstatt einen eigenen Lernbereich zuge-wiesen zu bekommen. Dabei war seit Beginn der Diskussion um technische Bildung, als sich der klassische Werkunterricht erst zum „Technischen Werken“ und später zum „Technikunterricht“ entwickelte, klar, dass technische Bildung nicht an naturwissen-scha�liche Bildung gekoppelt sein kann, während eine Koope-ration jedoch durchaus denkbar schien. Technische Bildung und naturwissenscha�liche Bildung begegnete sich auf Augenhöhe. So formulierte Hartmut Sellin in der Entstehungszeit moderner technischer Bildung 1967, also vor knapp einem halben Jahr-hundert:

„Naturwissenscha� und Technik folgen unterschiedlichen Inten-tionen. Beide Intentionen sollen als unterschiedliche menschliche Verhaltensweisen der analysierenden Betrachtung und der wissen-scha�lichen Erkenntnis einerseits sowie als konstruktives Hervor-bringen und als verändernde Gestaltung andererseits zur Geltung kommen. Naturwissenscha�licher Unterricht verfehlt seinen Bildungsauf-trag, wenn er zu stark die technische Fragestellung betont. Folgt er dagegen mit der Betonung der naturwissenscha�lichen Fragestel-lung seinem ursprünglichen Bildungsau�rag, gerät die Technik aus dem Blick.Danach zeichnet sich die Forderung für eine Zusammenarbeit zwi-schen den naturwissenscha�lichen Fächern und dem Werkunter-richt ab, aber auch die Notwendigkeit einer klaren Aufgabentren-nung, damit der Schüler ‚das forschende Denken vom er�ndenden Denken unterscheiden lernen‘ kann.“ 25

Das Verhältnis der MINT- und NwT-Fächer zueinander wird irrtümlich als eines verstanden, dass sich dem Bereich der Natur-wissenscha�en zuordnen lässt. Es wird angenommen, dass die für jene geltenden Fragestellungen und Zugänge auch auf die Tech-nik übertragen werden könnten. Dabei wird übersehen, welches Verhältnis Natur und Technik zueinander sowie Naturwissen-scha� zur Natur und Technikwissenscha� zur Technik haben:

25 Sellin, H. (1970), S. 136.

„Soweit Technik etwas Materielles ist, also die Gesamtheit der zweckha�en Artefakte meint, hat sie ihren Grund in der Natur. Ihre Sto�e stammen aus der Natur, und ihre Funktionen verwirk-licht sie im Rahmen der Naturgesetze. Diese unleugbaren Sach-verhalte sind es wohl, die das Missverständnis von der Technik als angewandter Naturwissenscha� begünstigen. Obwohl es längst als solches erkannt ist, führt es ein zähes Dasein. Es läu� darauf hi-naus, daß die Naturwissenscha�en die Grundlagenwissenscha�en der Technik sei~ und die Kenntnis der Naturgesetze ein Begreifen der Technik ermögliche. Von dieser falschen Vorstellung geleitet, werden in Deutschland zunehmend an Realschule und Gymnasi-um Fächer eingerichtet. Sie heißen o�mals ‚Natur und Technik‘, sie thematisieren Naturgesetzlichkeiten und suchen sie in technischen Objekten auf.“ 26

Das Fach Technik ist genau so wenig ein Kind der naturwissen-scha�lichen Fächer wie Technik nicht angewandte Naturwissen-scha� ist. Technik ist aber auch kein Ergebnis der Technikwissen-scha�en, denn sie existierte und funktionierte bereits vor jeder technikwissenscha�lichen Re�exion.

Wie die Natur selbst die Naturwissenscha�en erst anregte und ermöglichte, so sind die Technikwissenscha�en in Folge oder in Reaktion auf Technik entstanden, um technische Probleme und Herausforderungen zu analysieren und zu lösen. Technik ist kein Ergebnis von Technikwissenscha� und die Natur gäbe es auch ohne Naturwissenscha�.

Die Naturwissenscha�en sind Erkenntnis- und Beschreibungs-wissenscha�en. Die Technikwissenscha�en sind Anwendungs- und Gestaltungswissenscha�en. Der Gegenstand einer Wissen-scha� ist immer Voraussetzung oder Basis dieser Wissenscha�. Nichtsdestotrotz können Natur und Technik sowie die ihnen gewidmeten Wissenscha�en nicht auf einer Wirklichkeitsebene gesehen werden. Der Unterschied zwischen Natur und Technik besteht auf einer anderen, nämlich der phänomenologischen Ebene.

Dort zeigt sich, dass zwischen Natur und Technik eine grund-legende Di�erenz existiert, denn es handelt sich um Erkenntnis-gegenstände auf unterschiedlicher Stufe. Die Natur existiert so, wie sie ist.

Die Naturwissenscha�en verstehen sich deshalb als Aussagesys-teme. Ihr Erkenntnisinteresse gilt dem Beschreiben und Erken-nen der Natur. Ihr Zugang ist insofern überwiegend empirisch-deskriptiv.

26 Schmayl, W. (2010), S. 53.

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Bildung

Die Mathematik als Wissenscha� ist ebenfalls ein erkennendes, ordnendes, bisweilen auch mit Fragen der Philosophie beschäf-tigtes System. Ropohl bezeichnet sie daher neben der Kybernetik und der Allgemeinen Systemtheorie als Strukturwissenscha�27. Ihr Gegenstand aber ist wie in den Naturwissenscha�en das Exis-tente, deskriptiv zu Erfassende. Bemerkenswert scheint hier, dass ihr methodologischer Zugang – obwohl nicht empirisch-physi-kalisch messbar – doch in der Regel keinerlei Zweifel an seiner „Wissenscha�lichkeit“ au�ommen lässt.Technik hingegen existiert zwar und ist auch deskriptiv erfass-bar, aber nicht ohne Weiteres, denn sie ist Ergebnis menschlicher Überlegung, Entscheidung und Handlung. Die Technikwissen-scha�en sind deshalb Erfahrungs- und Gestaltungswissenschaf-ten.

Obwohl damit die Unterschiede zwischen Naturwissenscha� und Technik o�ensichtlich und evident sind, wird technische Bildung in der Schule, deutlich bereits in der Realschule und besonders intensiv am Gymnasium, an die Fächer Mathematik, Chemie, Physik und Biologie geknüp�.

Das macht aber wenig Sinn, denn Technik als Menschenwerk und Kulturbereich ist kein „Naturding“, sie „wächst nicht an Bäumen.“28 Sie ist historisch gewachsen, geprägt von Zeitgeist und Gesellscha�, gestaltet mit Blick auf Ästhetik, Funktion etc. Das Ausmaß ihrer Verfügbarkeit determiniert politische Macht und ökonomischen Vorteil. Der Blick auf ihren Lebenszyklus, insbesondere auf ihre Nachhaltigkeit, verspricht auch kün�ige Vorteile in allen Bereichen. Solcherlei Fragen werden in den Naturwissenscha�en und den entsprechenden Schulfächern jedoch nicht gestellt, denn sie entsprechen nicht ihrem Erkennt-nisinteresse.

Bei der aktuellen Entwicklung der Sekundarschulen in Baden-Württemberg muss die Bedeutung des Technikunterrichtes in so-genannten Gemeinscha�sschulen, die alle bisherigen drei Schul-arten integrieren, neu bedacht werden. Darin liegt eine Chance, wegen der drohenden Verfestigung der Marginalisierung tech-nischer Bildung zugleich aber auch eine Gefahr. Wie auch vor 50 Jahren, als sich eine Entwicklung des Werkunterrichts hin zur technischen Bildung vollzog, besteht ein dringlicher Hand-lungsdruck der Technikdidaktik vor dem Hintergrund schul-politischer Setzungen und curricularer Entwicklungen. Damals wie heute muss die Zielperspektive technischer Bildung dabei Maßstab aller Überlegungen zum kün�igen fachlichen Ort technischer Bildung sein. Überlegungen zur wirtscha�lichen Nützlichkeit an erste Stelle zu rücken und damit Technik in einen geistigen Raum mit den Naturwissenscha�en zu stellen, ist in hohem Maße Gi� für das Ziel eigenständiger technischer 27 Ropohl, G. (2012), S. 190.28 Sachs, B. (2015), S. 10.

Bildung, die im Gegensatz zur Naturwissenscha� das Er�nden und Gestalten von Technik und das Entscheiden über Funktion und Gebrauch in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt.

6 Empfehlungen und Fazit

Ein technisch, aber auch sonst in der Breite gebildeter Mensch mit individuell ausgeprägten Stärken: das ist es, was das gemein-same Ziel von Schule, Gesellscha� und Wirtscha� beschreibt. Ein junger Mensch, der Verantwortung übernehmen möchte für sich, seine Zukun�, nach und nach aber auch für seine Mit-menschen, als spätere Führungskra� vielleicht sogar für viele. Die Bereitscha� zur Leistung und Anstrengung sind dafür un-verzichtbare Voraussetzung.

6.1 Bedeutung des Schulsystems

Dafür wird aber ein Schulsystem benötigt, das nicht jedem alles verspricht, sondern jedem in dem Maße Chancen zuteilt, wie er diese zu ergreifen auch willens und bereit ist. Jeder ist gleich viel Wert als Mensch, aber nicht jeder ist für alles gleich gut geeignet, begabt oder zu gebrauchen. Diese ideologische Täuschung muss man bald aufdecken und außer Kra� setzen. Sie nutzt nieman-dem und schadet vielen. Ein neue Lernkultur, die dann zufrieden ist, wenn alle gleich geworden sind, fördert eben keine echten Talente.

Dann benötigen wir ein Schulsystem, dass sich in Zeiten einer zunehmend digitalisierten Welt von der Vorstellung verabschie-det, technische Bildung würde allein in staubigen Werkstätten und von „Blaujackenträgern“ geleistet. Technik und technische Bildung im digitalen Zeitalter, einem Zeitalter der vierten indus-triellen Revolution, hat damit nicht mehr viel zu tun.

6.2 Position der Technikdidaktik

Daraus ergibt sich auch für die Technikdidaktik eine große Auf-gabe. Die Technikdidaktik hat aber in diesem Land keine starke Lobby. Starke Lobbys sind in der Regel jenen Fächern zu eigen, die am Gymnasium unterrichtet werden. Dazu zählt Technik bis heute nicht wirklich. Die Technikdidaktik und die Bildung quali�zierten technischen Nachwuchses wären also sehr unter-stützt, wenn die Industrie in Deutschland als Interessenver-treterin eigenständiger technischer Allgemeinbildung an allen allgemeinbildenden Schulen, insbesondere aber endlich auch am Gymnasium, au�reten würde. Sie täte sich selbst einen enormen Gefallen damit.

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Bildung

Eine solche Lobby dürfe auch nicht länger der irrigen Behaup-tung Glauben schenken, technische Bildung würde automatisch gelingen, solange sie nur zusammen mit den naturwissenscha�li-chen M-I-N-Fächern stattfände.

6.3 Beziehung Mensch – Maschine

Zeitgleich darf pädagogisch die „Lüge der digitalen Bildung“ nicht außer Acht gelassen werden. Standardisierte, im Umgang mit neuen Medien geschulte Kinder und Kleinkinder werden sich eben kaum so entwickeln können, dass sie später einmal zu jenen werden, die So�ware und Hardware verstehen, entwickeln, herstellen – sprich: den Herausforderungen einer Industrie 4.0 gewachsen sind. Eine Kindheit ohne die analoge Erfahrung des Spielens im Matsch oder des Hüttenbauens verhindert die feinen Verästelungen im Gehirn, auf deren Gerüst die digitale Welt erst entstanden ist.

Junge Menschen, die Digital Natives, werden uns Älteren immer voraus sein im praktischen Umgang mit den neuen, den digita-len Medien und Techniken. Es ist ein Irrtum und ein Zeichen spießiger Überheblichkeit der Alten zu meinen, die Schule dazu erst digitalisieren zu müssen. Die Welt ist schon digital gewor-den. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, notwendige analoge Strukturen weiterhin am Leben zu halten, denn sie sind auch in Zukun� Basis allen digitalen Fortschritts. Mit anderen Worten: Der Computer ist zwar schneller als der Mensch, das ist wahr, denn er muss nicht denken, und er kann es auch nicht, aber er wird den Menschen und seine spezi�schen Eigenheiten, be-sonders aber das Nachdenken und das Er�nden von technischen Lösungen, niemals ersetzen können. Alles was er kann, hat er vom Menschen aufgetragen bekommen. Er ist die Maschine, und er steht nach wie vor in der Hierarchie unterhalb des Menschen.

6.4 Bedeutung des Individuums in der Gemeinschaft

Wir sollten uns darum bemühen, dass Bildung nicht das Indivi-duum über einen Kamm schert, sondern vielmehr jedem einzel-nen die wertvolle und manchmal durchaus leidvolle Erfahrung ermöglicht, dass sich Anstrengung und Leistung bei aller Soli-darität mit den Schwächeren lohnt, und dass Denken und Ver-stehen wichtiger ist als nur hirnloses Machen. Solche Menschen braucht die Gesellscha�, solche Mitarbeiter braucht jeder Be-trieb.

Schließlich muss Schluss sein mit der ignoranten Vorstellung, dass technische Bildung im naturwissenscha�lichen Unterricht statt�nden kann, also gleichzeitig mit Physik, Chemie oder Bio-logie. Technik ist keine angewandte Naturwissenscha�, sie ist ein eigener Gegenstands- und Kulturbereich.

Was bedeutet das nun für Sie als Unternehmer, die die eigenen Auszubildenden und Mitarbeiter bilden und fortbilden wollen und müssen? Ich möchte einen Blick auf Ihre Stärken als kleine und mittelständische Unternehmen wagen.

6.5 Ausblick

Ihre große Stärke liegt nicht zwingend in Ihrer Größe, Ihrer Marktmacht, Ihrem Kapital. Sie liegt in Ihrem schnellen und persönlichen Zugri� auf die „Ressource Mensch“, die durch ein Wechselspiel von optimaler Förderung und individueller Ent-faltungsmöglichkeit erst erschlossen wird. Ihre Mitarbeiter sind mehr als Nummern.

Deshalb ist aus Ihrer Sicht der Zeitgeist der Standardisierung eine Gefahr, weil dieser die Potenziale des Individuums, dessen Ideen und dessen Innovationskra� auf ein Mittelmaß nivelliert, bevor diese zur Entfaltung gelangen können. In der Innnovation aber liegt gerade die Chance der Unternehmen des Mittelstands. Kreativität des Einzelnen braucht gegenseitiges Vertrauen und Raum zur Entfaltung.

Die Frage nach dem Umgang mit den Herausforderungen der zunehmenden Digitalisierung im Produktions- und Wertschöp-fungsprozess hat die Steinbeis-Institutionen dazu veranlasst, den Arbeitskreis „Faktor Mensch im Produktentstehungsprozess“ ins Leben zu rufen. Das muss man sehr begrüßen und nachhaltig unterstützen. Es unterstreicht gerade das Anliegen, das auch die DGTB (Deutsche Gesellscha� für Technische Bildung) als Ver-fechterin der technikbezogenen Bildungsinteressen von Mensch und Gesellscha� vorantreibt. Hier ist verstanden worden, dass intelligente Maschinen, intelli-gente Fertigungsprozesse und intelligente Fabriken29 auch künf-tig von Menschen erdacht und erbaut werden. Deutlich gesagt: Der Mensch kann sich beim besten Willen nicht restlos über-�üssig machen. Weil also all die digitalen Welten ihre Intelligenz vom Menschen nur leihweise verliehen bekommen, braucht es diesen Menschen auch kün�ig. Die Geschwindigkeit, mit der Prozesse der Industrie sich wandeln und entwickeln, erfordern eine lebenslange Entwicklung der Mitarbeiter und damit deren berufslebenslange technische Bildung30. Und deshalb muss man die Herausforderungen einer Industrie 4.0 eben nicht nur im 29 Bundesministerium für Wirtscha� und Energie (2015). 30 Jeretin-Kopf, M. und Haas, R. (2015), S. 31.

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Bereich des technischen und des wirtscha�lichen Managements erkennen, sondern eben auch im wichtigen Bereich der Ausbil-dung und Fortbildung von Mitarbeitern. Welche Perspektive auf Bildung im Allgemeinen und technische Bildung im Besonderen dabei hilfreich wäre, habe ich heute zu skizzieren versucht.

Bildung

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Bildung

Sich verstehen lernen in der Welt der Technik – Der Technolog als Anfang

Christian Wiesmüller

Mit dem Technolog lernt man sehr viel über sich selbst und über die Technik. Wie steht man persönlich zur Technik? Welche Vor-lieben hat man? Wie weit will man Technik in sein Handeln in-tegrieren? Gleichzeitig bekommt man ein objektiveres Verhältnis zur Technik, weiß sie kritisch zu sehen, weiß aber auch ihre Vor-züge zu verstehen. Der Technolog ist eine gedankliche Auseinan-dersetzung mit einem staunenswerten Phänomen menschlicher Existenz, deren eine weitere Stufe die Industrie 4.0 darstellt.

1 Gibt es ein Problem?

Mögen manchmal Ängste vor der Zukun� übertrieben und vorübergehend sein, so löst das Heraufdämmern dessen, was als Industrie 4.0 apostrophiert wird, nun doch ein erhöhtes Unbe-hagen aus. Zu schnell und zu dominant drängt die Vernetzung in alle Bereiche vor; mit Vehemenz jetzt auch in die industrielle Landscha�. Das überragende zeitkonstante Phänomen der Di-gitalisierung könnte man angelehnt an Herrmann Lübbe dem Überbegri� „zunehmende Netzwerkverdichtung“ zuordnen. Und wir dür�en derzeit eine weitere Eskalationsstufe dieser Ver-dichtung erleben.

Es ist eine Binsenweisheit, dass auch noch so stark aufgestellte Fir-men, große, mittlere und kleinere, von der Bild�äche verschwin-den, wenn auf Entwicklungen nicht rechtzeitig reagiert wird. Ob Nokia, einst Kultmarke und führend bei Mobiltelefonen, oder WMF, württembergische Qualität in Haushaltswaren, oder Jagu-ar, eine britische Kultmarke, – sie tauchen nur noch marginal in den Statistiken auf oder sind Anhängsel global agierender Konzer-ne, die es verstehen, auf Zeichen der Zeit rechtzeitig zu reagieren.

All das hat mit Managemententscheidungen, mit Produktent-scheidungen zu tun und auch mit Personalentwicklung, den Mitarbeitern, die nicht Schritt halten können mit dem Wandel in ihrem Metier. Know-how bleibt in den Köpfen der Älteren oder geht mit in Rente, die Jüngeren haben nicht die Sprache oder nicht den Willen, den älteren Kollegen IT beizubringen. Der Wissenstransfer funktioniert dort nicht, wo es dafür nicht die entsprechende Institutionalisierung gibt.

Letzteres will der folgende Beitrag aufgreifen. Nicht im Sinne einer tiefergehenden Analyse der Situation im Betrieb – die Andeutungen oben sollen genügen –, sondern in der Absicht,

eine Perspektive aufzuzeigen. Um den Mitarbeiter soll es gehen. Genauer: Wie kann ein Zugang gefunden werden, um zu lernen, mit dem Wandel zu gehen, der der normativen Kra� des Fak-tischen folgt? Bedarf es hierzu einer Bildungskultur? Der Vor-schlag ist, Anleihen bei der Didaktik allgemeinbildenden Tech-nikunterrichts zu nehmen.

2 Die Didaktik allgemeinbildenden Technikunterrichts als Ausgangspunkt

Erkenntnisse und Instrumente dazu sollen also entlehnt werden aus einer Disziplin, die bisher nicht groß vertreten ist in der Wissenscha�slandscha�. Sie selbst führt ein zum Teil insuläres Dasein an einzelnen Hochschulen. Aber sie ist wissenscha�lich stark, theoretisch gut begründet und dort, wo es sie gibt, erfolg-reich. Das Praxisfeld, in dem sie konkret wird, ist von hoher Zu-friedenheit gekennzeichnet, wenngleich nicht alle theoretischen Vorgaben wissenscha�licher Art bisher eingelöst sind: Es han-delt sich um die allgemeine Technikdidaktik, die im Rahmen der technischen Bildung entwickelt wurde. In Baden-Württemberg ist sie an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen angesiedelt; in Karlsruhe, einem Technologiestandort ersten Ranges, existiert sie als Hamburgisch-Karlsruher Linie der Technikdidaktik mit einer 40-jährigen Tradition, die in Deutschlands Norden ihren Anfang genommen hat.

Zunächst richten sich die didaktischen Bemühungen auf Kinder und Jugendliche in den allgemeinbildenden Schulen. Dies ist ein originäres Gebiet für eine Didaktik, die zum Ziel hat, Konzepte und Modelle zu entwickeln, die den Kindern und Jugendlichen eine allgemeine technische Bildung vermitteln. Hat diese Didak-tik aber nicht auch Elemente zu bieten, um dem oben benannten Problem zu begegnen? Kann diese Didaktik Instrumente aus dem eigenen Portfolio so transponieren, dass auch Erwachsene, ins-besondere auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Firmen, davon pro�tieren, mithin die Firmen selbst, weil sie Mitarbeiter haben, die engagiert am Fortbestand der Firma mitwirken? Ein Einwand könnte sein: Die berufsbildende Didaktik hat schon ausreichend Methoden, um die Aufgabe zu bewältigen. Ein Ein-wand dagegen wiederum ist dieser: Die dort entwickelten Formen haben andere, im Wirtscha�sleben sicherlich berechtigte Prä-missen. Die vorrangige davon ist die Ausrichtung auf die Beruf-lichkeit. Im Zentrum der allgemeinen Technikdidaktik steht die individuelle Person. Die zugrunde gelegte �ese ist: Fördert man diese Person in ihrem Eigenwert, ermöglicht man ihr Entfaltung. Dies wiederum dient der Firma und der Gesellscha� insgesamt. Die Herangehensweise und das inhaltliche und methodische In-strumentarium gehorcht der Selbstzwecklichkeit der Person. Die folgenden Ausführungen werden dies deutlich machen.

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Bildung

3 Leben in der Technosphäre ist mehr als Mitarbeiter in einem technischen Betrieb zu sein

Das Leben ist mehr als jemals zuvor von einer unüberschaubaren Vielfalt an Geräten, Apparaten, Maschinen, Netzwerken und automatisierten und vernetzten Systemen geprägt: hilfreichen, sinnvollen, über�üssigen, o�mals auch schädlichen, ja sogar ge-fährlichen, uns überfordernden. Was an Technik hervorgebracht wird, ist nicht immer im Sinne des Menschen konzipiert. O�mals ist es blinde Technikverliebtheit, oder es sind schlicht wirtscha�-liche Interessen, die den Motivgrund für Technik darstellen.

Wie ergeht es dem Menschen angesichts eines technisch indu-zierten, ständigen Wandels? Weder in der Freizeit noch im Beruf bleibt irgendetwas ohne Technik. Die Allgegenwart der Tech-nik hat schon Romano Guardini in seinen Briefen vom Comer See mit einer zwar einseitig skeptischen, aber bezwingenden Naturmetapher beschrieben, die heute noch mehr zutri� als zur Mitte des 20. Jahrhunderts: „In der zweiten Wildnis haben sich alle Abgründe der Urzeit wieder geö�net. Alles wuchern-de und erwürgende Wachstum der Wälder dringt wieder vor. Alle Einöden, alle Schrecken der Finsternis sind wieder da. Der Mensch steht vor dem Chaos; und das ist umso furchtbarer, als die meisten es gar nicht sehen, weil überall gebildete Leute reden, Maschinen laufen und Behörden funktionieren (Guardini 1981, S. 77). Dabei ist Guardini gar nicht mal negativ eingestellt: Er hält es für möglich, die Technik so zu gestalten, dass die Seele des Menschen, also sein innerstes Emp�nden, neue Freiräume der Verwirklichung erhält. Gar zu große Worte? Geht es im Kern aber nicht darum? Ist das nicht tatsächlich der tiefere Sinn tech-nologischen Wandels?

4 In jedem schlummert ein Schöpfergen, das durch Bildung angeregt werden kann

Wer aber gestaltet Technik? Günter Ropohls systemtheoreti-scher Ansatz einer allgemeinen Technologie mit der Beschrei-bung der Entstehungsgründe für Technik, bis heute vielfach die Basis des Diskurses zum �ema, ist zu ergänzen. Er schlüsselt die Entstehungsgründe von Technik folgendermaßen auf: tech-nologischer Determinismus, Nachfragesog, unternehmerische Gewinnerwartung, Vorstellungen von Einzelpersonen (Elite-theorie) oder gesellscha�liche Konstruktion. Er fasst dies zu-sammen in der �ese des „sozialtechnischen Prozesses“, der ein Mischverhältnis der beschriebenen Motive und eine Addition von Teilwahrheiten bedeuten würde (vgl. Ropohl 1994, 3/29 und 3/30). Dem würde ich die �ese eines gattungsspezi�schen Schöpferdrangs hinzufügen, was bedeuten soll: Jeder schlichte

Techniknutzer wendet Technik an und er�ndet sie damit bis zu einem gewissen Grad für sich jeweils neu – von der schlichten Bedienung einfacher Apparate in der Küche über den Heim-werker beim Ausbau eines Dachzimmers. Es reicht freilich weiter zum Mitarbeiter im Betrieb, der eine Maschine steuert und über-wacht bis hin zur genialen Ingenieurin, die die innermotorische Reibung deutlich heruntersetzt.

Weil alle Menschen in der Technosphäre ihr Leben – mal mehr, mal weniger e�ektiv – führen und gestalten, ist jeder „wesentlich“ betro�en; eben auch die Mitarbeiterin und der Mitarbeiter im Betrieb. Und sie geben ihre Persönlichkeit nicht am Werkstor ab.

5 Kern ehrlich aufgefasster Bildung: Selbstverwirklichung aufgrund personaler Freiheit

Jede Person ist sich selbst als Gestaltungsaufgabe aufgegeben. Diese Aufgabe ist geistiger Natur. Aufgrund ihrer Geistigkeit und der damit einhergehenden Freiheit ist die Person unabge-schlossen, sie ist dabei auf die Gemeinscha� verwiesen und auf die objektive Welt. In dieser Konstellation erst wird der Mensch wirklich. Er selbst verwirklicht sich, „indem er anderes als sich selbst“ (Halder / Müller 1997, S. 230) vergegenwärtigt: im Den-ken, im Lieben und im Tun. Die Selbstverwirklichung geschieht nicht nur in der Entfaltung subjektiver Anlagen, sondern in der Wirklichkeit der Werke, als Werk des Denkens, als Werk des Liebens und als Werk des Handelns – das ergibt u. a. die tech-nische Kultur. Damit ist die Person aber nicht nur als individu-elle Existenz kenntlich. Erst ihre Objektivierungen machen sie ganz fassbar (vgl. Halder / Müller 1997, S. 230). Wie kann das in der zunehmend digitalisierten Welt, speziell in der Industrie 4.0, in der das Einzelwesen immer deutlicher zum „Funktionär“ und damit zur bloßen Funktion zu verkommen scheint, aussehen? Wie kann sich das herausbilden?

Dazu soll ein Grundaxiom der Bildungstheorie in Erinnerung gerufen werden. Drei Merkmale sind wesentlich: der Mensch ist in seinem Personsein bildsam, die Bildung geschieht in einem Prozess, der prinzipiell zu keinem Abschluss kommt, und es bedarf eines Bildungsziels, das nie ganz konkret sein und dessen Erreichen nicht garantiert werden kann. In jedem Falle kann es nicht in die Erfüllung einer nur einlinigen Funktion im Betrieb sein: Der Mitarbeiter ist mehr. Er ist Person im oben beschriebe-nen Sinne, die auf dem Wege zur Verwirklichung ist.

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Bildung

6 Bildung bedeutet Ertüchtigen

Im Folgenden soll der Brückenschlag zwischen der je persönli-chen Verwirklichung in der Technosphäre und der betrieblichen Situation versucht werden. Ich will im Rückgri� auf Brezinka an die Idee der Tüchtigkeit erinnern (vgl. auch Schmayl 1989). Meines Erachtens passt die Tüchtigkeit zur Formulierung tech-nischer Bildung und zu ihrer Verwirklichung im Betrieb ins-besondere: „Tüchtigkeit ist die durch eigene Anstrengung und von der Gemeinscha� positiv bewertete, relativ dauerha�e Ei-genscha� eines Menschen, bestimmten Erfordernissen voll und ganz zu genügen“ (Brezinka 1987, S. 53).

Ich nehme Brezinkas De�nition auf und erweitere sie nach meinem Bildungsverständnis: Tüchtigkeit ist die durch einen sehr weitgehenden, �eien willentlichen Akt, mit der ganzen Person unternommene eigene Anstrengung, von einem selbst im eigenen Lebenszusammenhang und von der Gemeinscha� positiv bewer-tete, relativ dauerha�e Eigenscha� eines Menschen, bestimmten objektiv einsehbaren Erfordernissen voll und ganz zu genügen und auf eine eigene Höherentwicklung hinzuarbeiten.

Was heißt nun diese Tüchtigkeit als Bildungsziel technischer Bil-dung? Sie bedeutet einerseits: Annahme der eigenen Situation in dieser technischen Wirklichkeit, Zustimmung zur Welt der Technik und eben auch grundlegende Zustimmung zum Tun des Betriebs, bei dem man am Gesamterfolg mitwirkt. Sie bedeutet rationales Erkennen dieser technischen Welt, Gewinnen eines realistischen Weltverhältnisses, und auch eine wertbestimmte Hinwendung zur Welt der Technik. Das alles soll nicht unkri-tisch, aber auch nicht feindlich sein. Andererseits bedeutet Tüch-tigkeit auch eine O�enheit für die Ansprüche der Welt, ein Er-füllen von Ansprüchen hinsichtlich der eigenen Person und ein Erfüllen berechtigter Ansprüche hinsichtlich der Gemeinscha�, die auch – und das interessiert hier wesentlich – über die Tech-nik an das Subjekt herangetragen werden. Zum Leben zu ertüch-tigen bedeutet also keine Verzweckung des Menschen, sondern dient vorrangig seiner eigenen Lebensmeisterung.

7 Der Technolog als Zugang mit weitreichenden Folgen

Der Mensch geht ständig mit Technik um, ob als Pro� oder als Laie. Meistens ist er ihr Benutzer, etwa wenn er staubsaugt oder Ka�ee kocht. Dabei erlangt er o�mals auch in schlichten All-tagsverrichtungen ein hohes Maß an Geschicklichkeit und emp-�ndet Freude und Befriedigung. Dies führt bis hin zu gewollten Routinen oder geliebten Ritualen, die eng mit der eigenen Person verbunden sind. Auch das andere kann der Fall sein. Manchmal

stellt er Technik als Produkt her, trennt Materie von der Form, gibt Werksto�en eine Gestalt, die seinen Bedürfnissen und Zwe-cken dienlich ist, verleiht dem Zweckding eine Anmutung, die ihm auch ästhetisch entspricht.

Der Bildungsphilosoph �eodor Ballau� bezeichnete in seiner Bildungstheorie den Menschen als Techniten, als denjenigen, der gestalterisch in diese Welt eingrei�. Dies wäre eine der Grund-daseinsweisen. Er wäre Kosmostheoroi, Kosmopolit und Kos-mostechnit; in allen drei Bereichen graduell vielfach abgestu� und breit streuend, aber prinzipiell wäre er es (vgl. Ballau� 1982, S. 380). Die antike Philosophie unterschied von der theoría und der prâxis die poiesis. Nach Aristoteles handelt es sich bei ihr um eine Tätigkeit, die ihr Ziel außerhalb ihrer selbst hat, in Unter-scheidung von der Praxis (vgl. Brockhaus Philosophie). Darin kommt der Mensch als Gestalter zum Ausdruck.

Normalerweise macht man sich keine tiefergehenden Gedanken, welche Rolle das eigene technische Vermögen und die Technik als Gegenstand im eigenen Leben spielt – das Gestalten und die Gestalt, wie sehr diese Fähigkeit einem das Leben erleichtert, einen z. B. von naturgegebenen Misslichkeiten befreit oder aber einen in Zugzwang versetzt und vereinnahmt. Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen einem selbst und der Technik nicht immer eindeutig zu ziehen sind. Will man mit dem Handy tele-fonieren, sind die Nummern der gewünschten Partner nicht im Kopf, sondern im Handy gespeichert. Inwiefern sind sie damit noch Gedächtnisinhalt des Selbst? Die Frage nach dem eigenen Wissen ohne Prothetik stellte sich aber schon seit der Er�ndung des Notizzettels und des Buches. Was wäre der Mensch ohne Ar-tefakte, was die Gesellscha� ohne arti�zielle Systeme, mit denen die Menschen verbunden sind und die die Menschen untereinan-der verbinden? Diese „Partnerscha�“ ist essentiell. Im Grunde hat sich durch die Digitalisierung oder die Industrie 4.0 daran nichts geändert: Nur die Menge der Vernetzungen und, um mit Lübbe zu sprechen, die Netzwerkverdichtung und die daraus resultierende Zunahme an Komplexität hat sich unermesslich gesteigert. Wobei man bei letzterem Aspekt unentschieden sein könnte: Ist die Komplexität nicht wenigstens stellenweise gleich geblieben oder sogar zurückgegangen – etwa, wenn man an die Vereinfachung bei Handelsangelegenheiten denkt?

8 Mensch und Technik – Insverhältnissetzung als Daueraufgabe

Weil sich also unser Werkzeuggebrauch, die Verknüpfung von Apparaten und Maschinen zu Automaten und vernetzten Syste-men derart gesteigert hat, weil der Mensch einhergehend selbst

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sogar in einem ungeheuren Ausmaß zum Gegenstand technischer Manipulation geworden ist, vielleicht sogar in seiner Wesenheit als Gattung manipulierbar wird, wird es geradezu unheimlich. Medizinisch bedeutet das seit Langem eher eine Wohltat. Wir aber fragen uns: Wie weit wird es aber dereinst gehen? Wird es die Regel sein, dass wir unsere Babys nach Katalog aussuchen und nach Eigenscha�en zusammensetzen können, die man dann eher als ein „Kunstprodukt“ denn als natürliche Schöpfung wird ansehen müssen. So provokant Bruno Latours Postulat einer an-thropologischen Symmetrie klingen mag: Die Kategorisierung in menschliche und nichtmenschliche Aktanten, also zweierlei handlungsfähige Wesenheiten – es mag heute schon zutre�end sein, weil die von einem Ingenieur in ein Artefakt einkonstruierte und an es delegierte Handlung in ihm „fortwirkt“, sollte der In-genieur auch schon lange das Zeitliche gesegnet haben. Der dem Menschen ähnlich gemachte Roboter will uns heute schon so er-scheinen als hätten wir ein uns in vielem gleichendes Geschöpf in die Welt gesetzt. Es greifen hier Entwicklungen ineinander, die uns unheimlich anmuten, wenn wir sie konsequent weiterden-ken. Der Mitarbeiter einfachen Gemüts mag sich diesen Fragen verschließen, jedoch dür�e die Mehrzahl an Mitarbeitenden dies als Herausforderung für sich ganz persönlich begreifen.

Was werden mir diese und ähnliche Entwicklungen bringen, wie mein Leben allgemein und mein Berufsleben im Speziellen ver-ändern? Damit die Person Antworten darauf �nden kann, was sie eigentlich will und was nicht, muss sie sich selbst im Ver-hältnis zur Technik besser verstehen lernen. Zur Einfühlung und Übung können wir durchaus bei schlicht anmutenden Fragen ansetzen: Warum fahren wir lieber ein schnittiges Auto als ein kastenförmiges, schalten lieber manuell als dass wir automatisiert die Gänge einlegen lassen, verräumen den Ka�eevollautomaten,

um das Gebräu von Hand zu mahlen und zu �ltern? Oder sieht der geneigte Leser dies genau andersherum? Wie viel Autonomie wollen wir behalten? Es ist uns durch die Technik eine ständige Insverhältnissetzung abgefordert, die nichts mehr auszulassen scheint. Fast scheint es, als wäre alles techni�zierbar.

9 Der Technolog – ein Anfang

Phänomenen der exemplarisch genannten Art auf die Spur zu gehen, bei denen unsere Gefühle eine große, manchmal die dominante Rolle spielen dür�en, dient der Technolog. Techno steht für die Technik selbst. Die Endung – log ist abgeleitet von Logos, der griechischen Bezeichnung für „Vernun�“ oder auch das „Wort“. Der Begri� ist angelehnt an die gängigen Begri�e Monolog oder Dialog. Auch an das Logbuch mag man sich er-innert fühlen. Der Technolog ist gedacht als eine Übung des Denkens und Begreifens im Sinne von „auf den Begri� bringen“, eine geistige Auseinandersetzung mit den eigenen Motiven und Wünschen und den technischen Optionen.

Der Technolog ist angestoßen durch eine Merkwürdigkeit im persönlichen Leben, bei der in welcher Form auch immer die Technik au�ällig geworden ist und eine Rolle gespielt hat, mög-licherweise mit Wirkungen bis in die Gegenwart. Der Technolog ist sehr persönlich, soll er einen Wert haben. Er soll von einem selbst zeugen. Er rührt an das eigene Gefühlserleben, das man beim Umgang mit der Technik hat; welches man vor allem beim professionellen Umgang mit ihr versucht zu eliminieren, weil Technik in ihrer Binnenfunktionalität dem Rationalitätsprinzip zu gehorchen hat. Nur so ist sie ja schließlich zuverlässig, wenn auf das „wenn so“ immer das „dann so“ folgen wird, und dies

Abb. 1: Daseinsweise des Menschen in der Technosphäre, vgl. Wiesmüller 2006, S. 278.

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keiner Laune des Menschen unterliegt. Wie sieht es da mit den Mitarbeitern eines Betriebes aus? Kann sie oder er das ausschlie-ßen? Sollen sie es ausschließen, um gut zu fühlen? Wäre es nicht besser, sich im Sinne des tatsächlichen „Tüchtigwerdens“ derlei Fragen nicht zu verschließen. Die �ese ist: Mitarbeiter werden umso o�ener für das Lernen, wenn sie Technik und damit auch das Stadium der Netzwerkverdichtung wach anschauen, die un-ausweichliche Ambivalenz erkennen; die Zweigesichtigkeit, die sich aber immer auch zum Positiven sich auswirken kann.

10 Didaktische Überlegung

Die vorherige Graphik soll den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen unserem menschlichen Dasein und dem Dasein der Technik vor Augen führen und die didaktische Absicht des Tech-nologs erhellen. Sie soll aufzeigen, dass wir auf der praktischen Ebene Hersteller und Benutzer sind. In der Regel ist der Mensch zwar schwerpunktmäßig einmal mehr auf der einen oder der an-deren Seite aktiv. Ganz getrennt treten diese Bereiche in der Le-benspraxis jedoch nie auf. Im Besonderen soll durch die Graphik verdeutlicht werden, dass beim Umgehen mit Technik neben der konstitutiven Ratio die Emotio nicht auszuschalten sein dür�e, wenn wir uns als Leib-, Geist- und Seeleneinheit begreifen. Ob sich der Technolog als eine sinnvolle und vielleicht auch me-thodisierbare Variante der Re�exion in der betrieblichen Fort-bildung im Sinne einer Kultur erweisen könnte, ob sich die un-terschwellige Beziehung der vier Dimensionen des individuellen Menschen in der Technosphäre entbergen lässt, können letztlich nur Praxiserprobungen erweisen. Den Versuch aber sollte es wert sein.

11 Merkmale des Technologs

Der Technolog soll schri�lich erfolgen, kann für einen späteren Gedankenaustausch mit einem Foto ergänzt werden und soll in ein paar Minuten zu lesen sein. Die Herangehensweise kann sehr verschieden sein, kann, etwa bei Erwachsenen, orientiert sein an dem Beispiel, wie es weiter unten zum Einhebelmischer vorgestellt wird. Im Vordergrund steht die authentische sprach-liche Äußerung, bei der Gefühle zutage treten. An Stil, Satzbau und Rechtschreibung soll erst in einer zweiten Version, vielleicht in einer Interessensgruppe gefeilt werden, weil für sprachlichen Schli� in der Regel viel Zeit aufzuwenden ist. Wenn sich der Technolog tatsächlich als gehaltvoll erweist und wenn keine zu privaten Dinge enthalten sind, kann er anderen zum Lesen gegeben werden. Mancher Technolog mag vielleicht sogar für einen größeren Leserkreis von Interesse sein. Über ähnliche Er-fahrungen mit Technik kann sich so ein Gespräch entwickeln,

bei dem ein re�ektierteres Bewusstsein entsteht. Und wer einen humanistischen Ethos zu Grunde legt, wie es viele Firmen an-streben sollten, wird dieses ‚Lernen‘ begrüßen.

12 Realisierungen mit unterschiedlichen Akzenten

Konzeption

Technolog verfassen

Persönliche Erfahrung, Einstellung, Gefühle, Begeisterung, Ängste oder Wünsche, die in einem Zusammenhang mit Technik stehen

Technolog gestalten

Eine einfache handschriftliche Notiz, ein kurzer Aufsatz, ein bewusst gestaltetes Layout, sprachlicher Feinschliff, vom DIN A4 bis ins Großformat; dies alles sind geeignete Formen

Technologe sammeln

Mehrere Technologe verschiedener Autoren erweitern den Horizont jedes Einzelnen, keine Hierarchie

Technologe ausstellen

Würdigung, Austausch und Anregung: Stellwände im Foyer

Abb. 2: Quelle: vgl. Löhr, Jean Paul 2015.

13 Beispiele für Technologe

Beispiele – spontan aufgeschrieben – ohne Nachbearbeitung:

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14 Zwei Beispiele in elaborierter Form

Mein FahrradIch liebe es, Fahrrad zu fahren. Mit wenig Anstrengung viele Meter dahin zu gleiten. Körper, Rad und Asphalt eins werden zu lassen. Und mit mehr Anstrengung wird der Kampf gegen die Uhr angetreten und eine neue persönliche, körperliche Heraus-forderung gesucht.

Dazu braucht es ein Fahrrad, dessen Rahmen eine sportliche Geometrie hat, das relativ steif und auch leicht ist. Vielleicht aus Gewohnheit oder der Extravaganz wegen, nicht der Mode zu entsprechen, bevorzuge ich gute „alte“ Stahlrahmen in „gemu�-ter“ Bauweise. Das vordere Zahnrad sollte mindesten 50 Zähne haben und die Mäntel der Räder harte Flanken besitzen. Wenn denn unbedingt nötig, muss ein leichtes Zucken der Fingerspit-zen genügen, das Gefährt zum Stillstand zu bringen.

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Das Entscheidende aber ist, dass die perfekte Radtour seitens des Fahrrads absolut geräuschlos zu sein hat: kein Quietschen, Vibrieren, Klackern, Brummen, kein störendes Gefühl, dass sich über Kurbel und Pedale oder über den Lenker auf den Körper überträgt. Einfach nur perfekt harmonisch funktionierende Technik. Ein Genuss!

Gute Bauteile, viel P�ege und Wartung und dieser Traum lässt sich realisieren. Doch dieser Genuss ist nicht alltäglich und schon ist da wieder was, was so nicht zu sein hat. Lu� und Öl be-wirken viel am Fahrrad, aber Perfektion ist kurzweilig. Und so warte ich, dass ich wieder Zeit zum Schrauben und Geld für neue Teile habe.

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Bildung

Literaturverzeichnis und empfohlene Literatur:Brezinka, W.: Tüchtigkeit – Analyse und Bewertung eines Erziehungszieles.

München/Basel 1987.Böhm, W.: Entwürfe zu einer Pädagogik der Person. Bad Heilbrunn 1997.Fischer, P.: Philosophie der Technik. München 2004.Guardini, R.: Die Technik und der Mensch – Briefe vom Comer See. Mainz 1981.Halder, A. / Müller, M.: Philosophisches Wörterbuch. Freiburg / Basel / Wien

1997.Horx, M.: Technolution – Wie unsere Zukun� sich entwickelt. 2008. Kla�i, W.: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. München / Hamburg 1963.Kurzweil, R.: Age Of Spiritual Machines – How we will live, work and think in

the new Age of intelligent machine. Phoenix 1999.Ropohl, G: Von Aristoteles zum VDI – Wie begreifen wir Technik? In: DIFF

(Hg.): Funkkolleg Technik einschätzen, beurteilen, bewerten. Studienbriefe (Einführungsbrief mit 6 Studienbriefen). Tübingen 1994.

Schmayl, W.: Didaktik allgemeinbildenden Technikunterrichts. Baltmannsweiler 2012.

Schmayl, W. / Wilkening, F.: Technikunterricht. Bad Heilbrunn 1995.Schmitt, A.: Die Moderne und Platon. Stuttgart / Weimar 2003.

Wiesmüller, C.: Die Ästhetik in der Perspektive technischer Bildung. In: tu – Zeit-schri� für Technik im Unterricht. Ausgabe Nr. 129/2008. Villingen-Schwennin-gen 2008.

Wiesmüller, C.: Technikunterricht als Hilfe zur geistigen und seelischen Bewälti-gung der Technik. In: tu – Zeitschri� für Technik im Unterricht Nr. 131/2009, Villingen-Schwenningen 2009.

Wiesmüller, C.: Schule und Technik. Die Technik im schultheoretischen Denken. Baltmannsweiler 2006.

Wiesmüller, C.: Bildung unter der Bedingung der Technosphäre. In: Renn, Ort-win / Pfenning, Uwe: Wissenscha�s- und Technikbildung auf dem Prüfstand – Zum Fachkrä�emangel und zur Attraktivität der MINT-Bildung und -Berufe im europäischen Vergleich. Nomosverlag, Baden-Baden 2012.

Wiesmüller, C. / Löhr, J. P.: Der Technolog – eine Methode zum „sich verstehen“ in der Technosphäre. In: Dialog. Bildungsjournal der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. 2. Jg. 2015 He� 2.

Wilkens, S. W.: Die Quadratur der Philosophie und die konstruktive Präambel der Metaphysik – Über die Funktion des Konstruktionshandelns. In.: Banse, G. / Friedrich, K. (Hg.): Konstruieren zwischen Kunst und Wissenscha�. Verlag edition sigma, Berlin 2000.

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Kunst

Kreativ-Workshop: Kunst trifft Technik –„Soziale Gestaltung der Industrie 4.0“

Cosima Klischat

Unternehmen be�nden sich auf dem Weg in die Industrie 4.0 und eine große Zahl an Experten beschä�igt sich mit der Ge-staltung dieses Umbruches. Dabei stehen neben technischen �emenfeldern wie datengestützte Produktion und Logistik sowie Datensicherheit auch rechtliche Aspekte und die Zukun� von Arbeit im Zentrum der Diskussionen. Die Folgen des tech-nologischen Wandels für die Beschä�igten lassen sich bisher nur vermuten, da für konkrete Voraussagen noch zu wenige aus-sagekrä�ige Daten aus den Unternehmen vorliegen. Historisch betrachtet, führte aber jede Einführung neuer Technologien zu einer stetigen Rationalisierung von Arbeit. Die möglichen Ver-änderungen des Arbeitslebens in Industrie 4.0 führen deshalb zu Diskussionen, in denen hauptsächlich zwei Positionen vertreten werden. Einerseits wird eine Änderung zugunsten kreativer Ar-beit, anderseits die Aussicht steigender Erwerbslosigkeit auf-grund von Substitution menschlicher Arbeit vorhergesagt (vgl. Pfei�er, Suphan 2015).

Pfei�er und Suphan sehen in ihrem Dra� „Der AV-Index. Le-bendiges Arbeitsvermögen und Erfahrung“ davon ab, Prognosen für die gesellscha�lichen Auswirkungen der Industrie 4.0 zu tre�en. Sie zweifeln aber nicht daran, dass es beträchtliche Ver-änderungen in der Arbeit geben wird. Die Ersetzbarkeit mensch-licher Arbeit wird ihren Untersuchungen nach nicht durch den Grad der Routine, sondern durch die Komplexität und Unwäg-barkeit von Tätigkeiten bestimmt. Ihre Untersuchungen werden hier herangezogen, um die Bedeutung der Förderung von Kreati-vität in Unternehmen zu unterstreichen. Der Entwurf endet mit o�enen Fragen zur partizipativen Umgestaltung von Unterneh-men, in die das Erfahrungswissen aller Beschä�igten ein�ießen kann, um innovationsfähige Arbeitsumgebungen zu scha�en (Sabine Pfei�er, Anne Suphan 2015: 30). Zur kreativen Unter-nehmensgestaltung müssen neue Wege beschritten werden. Der Erhalt menschlicher Arbeit in der Industrie 4.0 erfordert Raum und Zeit für die kreative und partizipative Überarbeitung und Erweiterung bisheriger Konzepte und Werkzeuge.

Die durch die Digitalisierung vorangetriebene Veränderung von Arbeit betri� alle Arbeitsfelder bis hin zur sozialen Arbeit. Im �emenfeld dieser Tagung wurde der Blick auf KMU des Elek-tro- und Maschinenbaus gerichtet, deren Arbeits- und Wertschöp-fungsprozesse sich ebenfalls dynamisch verändern. Die humane Gestaltung von Industrie 4.0 erfordert dabei Prozessinnovationen

und Unternehmensumgestaltungen, die ein Übermaß an kreati-vem Denken und Handeln verlangen. Kreativität wird als schöpferischer Ursprung und Motor für neue Innovationen betrachtet, die den Wandel vorantreiben. Kreative Menschen verändern seit jeher den Bestand der Kultur, die das Zu-sammenleben und Arbeiten bestimmt. Sie knüpfen dabei am Be-stehenden an. Damit ist Innovation meist auf historischem Wissen gegründet. In der dynamischen Entwicklung von Technik und Ge-sellscha� kann dabei „historisch“ zeitlich sehr nah sein. Kreativität erfordert also die Einbeziehung von Erfahrungswissen und gelten-dem Fachwissen. Welche der entstehenden Ideen erfolgreich um-gesetzt wird, ist letztlich vom bestehenden Regelwerk für Prozesse und Produkte sowie deren gesellscha�lichen Akzeptanz abhängig.

Um Beschä�igte zur Kreativität anzuregen, muss man wissen, wie sie sich entfaltet. Selbstverwirklichung, Neugier, Spaß am spielerischen Ausprobieren ebenso wie Lust am Visionären för-dert kreatives Handeln. Anhand der Vorgehensweisen großer Persönlichkeiten in Forschung und Kunst untersuchte Michael Michalko das Erfolgsgeheimnis von Kreativität. Eines der Er-folgsrezepte ist die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Aller-dings benötigt Kreativität vor allem eines – Übung (Michalko 2001). Mit der Frage, was den schöpferischen Akt in Kunst und Wissenscha� ausmacht, beschä�igte sich auch Arthur Koestler. „Ein zeitweiliger Verzicht auf bewusste Kontrolle befreit den Intellekt von Beschränkungen, die notwendig sind, um die aus-gebildeten Routinen unseres Denkens aufrechtzuerhalten, ande-rerseits aber den schöpferischen Aufschwung hemmen können. Gleichzeitig werden auf primitiveren Stufen der geistigen Hie-rarchie andere Formen der Gedankenbildung aktiviert“ (Arthur Koestler 1966: 177).

Zu den Aspekten kreativen Denkens gehört auch das Entdecken von Problemen und Aufgaben. Diese können beispielsweise durch das Arbeitsumfeld vorkonstruiert sein. Als Vorausset-zung für kreative Lösungswege ist die intensive Beschä�igung mit einem bestimmten Gebiet zu sehen (Gisela Ulmann 1970: 22–23). Dazu kommt, dass viele kreative Veränderungen auch aus einem persönlichen oder unternehmerischen Leidensdruck und dem Bedürfnis, Situationen verändern zu wollen (vgl. Til-man Segler: 80 �.) entstehen. Im Hinblick auf die Industrie 4.0 könnte die drohende Substitution menschlicher Arbeit einen entsprechenden Leidensdruck erzeugen und Kreativität anregen.

Wer die schöpferische Kra� seiner Mitarbeiter fördern will, muss Änderungen in der Unternehmenskultur durchführen. In klassi-schen Unternehmen des Elektro- und Maschinenbaus erscheint die Förderung von Kreativität zunächst als ein schwieriges Unterfangen. Seit der Moderne verbindet man schöpferisches, kreatives Arbeiten zumeist mit Tätigkeiten aus den Bereichen

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Kunst

der schönen Künste oder des Designs. Versteht man kreatives Arbeiten im Sinne von „neu er�nden und erstellen“, gehört es selbstverständlich auch zu den Kompetenzen von Ingenieuren und Fachkrä�en, die sich selbst jedoch nicht der Kreativbranche zuordnen würden. Produkt- und Prozessentwicklung wird mit vorwiegend rationaler Konstruktion und Berechnung in Zu-sammenhang gebracht. Unterstützt wird dieses Denken durch das deutsche Bildungssystem, das bis heute o� noch in der Form statt�ndet, die Charles P. Snow die der „zwei Kulturen“ genannt hat (Snow 1967). Die Grenzen zwischen mathematisch-natur-wissenscha�lich-technischen Fächern und den geisteswissen-scha�lich und künstlerisch orientierten Fächern sind meist scharf gezogen und haben sich bis heute in den Köpfen festgesetzt.

Im Rahmen einer innovativen Umgestaltung könnten Unterneh-men diese Kulturen zusammenbringen und in einer interdiszipli-nären Zusammenarbeit möglichst allen Beschä�igten Raum und Zeit für Experiment und Austausch geben. Neugier und Spaß am spielerischen Ausprobieren sollten dabei gefördert werden und das Denken frei von Routine und Kontrolle erlaubt sein. Der auf der Tagung angebotene Kreativ-Workshop war als Anregung für kreatives künstlerisches Arbeiten in Unternehmen gedacht.

Zur Auseinandersetzung mit dem �ema „Soziale Gestaltung der Industrie 4.0“ wurde eine Technik der bildenden Kunst, die Collage, verwendet. Über die bildende Kunst wird es Menschen ermöglicht, jenseits von Wort und Zahl Ideen zu entwickeln. In einer Collage werden beispielsweise Bildausschnitte aus Maga-zinen und Zeitungen, Fotogra�en und Bänder, farbige Papier-stücke usw. auf ein Trägermaterial geklebt. Diese Technik hat den Vorteil, dass man relativ einfach eine ansprechende, themen-bezogene Arbeit umsetzen kann. Die Sammlung des Materials gehört eigentlich bereits zur kreativen Arbeit einer Collage, da die Assoziation mit der Aufgabenstellung dabei schon statt�n-det. Das eingeschränkte Zeitfenster des Workshops erlaubte die eigenständige Sammlung leider nicht.

Die meisten der Teilnehmenden waren zukün�ige Technik-lehrende, die zunächst Bedenken hatten sich künstlerisch zu be-tätigen, was die �ese der zwei Kulturen unterstützte. Vorbehalte wie „Kunst ist nichts für mich“ und „Kreativität war noch nie meine Stärke“ ließen einige nur zögerlich zu Papier und Schere greifen.

Künstlerische Kreativ-Workshops spiegeln über die Zahl und das Einstiegsverhalten der Teilnehmenden den Stellenwert von Kunst in Schule und Ausbildung wider. Alle Formen der Kunst sind klassische Nebenfächer, die auch abgewählt werden können. Bildende Kunst wird im Erwachsenenalter wenig ausgeübt und �ndet vor allem in technischen Ausbildungen selten Raum. In

seinem Beitrag zur Tagung der Deutschen Gesellscha� für Tech-nische Bildung in Potsdam weist Wiesmüller darauf hin, dass selbst die Ästhetik der Technik kein �ema für den Technik-unterricht ist (Wiesmüller 2010).

Nachdem der Anfang gemacht war, fanden die Workshop-Teil-nehmenden relativ schnell und intuitiv die für sie passenden Bildausschnitte. In einer guten Arbeitsatmosphäre entstanden einige interessante Arbeiten, die als Re�exionen über den Sinn des technischen Fortschritts zu sehen sind. So wurde mehrmals der Aspekt der „Geschwindigkeit des technologischen Wandels“ aufgri�en. Ebenso war in einigen Bildern das Unbehagen vor dem bedingungslosen Einsatz künstlicher Intelligenzen ein zen-trales �ema. Durch die Arbeiten wurden innere Bilder sichtbar, die Anlass zur Re�exion geben könnten.

Aus bildrechtlichen Gründen ist es leider nicht möglich, mehr als den Ausschnitt einer Arbeit zu präsentieren. Hier grei� der Teil-nehmer das �ema der Verführung Adams auf. Die Verletzung von Gottes Gebot brachte den Menschen Erkenntnis und die Vertreibung aus dem Paradies. Sicher wäre ohne Sündenfall die Verwendung von Werkzeug als obsolet zu betrachten. Er könn-te demnach als Weg in die Technik interpretiert werden. Diese Collage zeigt auf, wie verführerisch es ist, Technik auszureizen und an die Grenzen des Machbaren zu gehen, ohne zunächst die Auswirkungen auf Gesellscha� und Umwelt zu beachten. Künst-liche Intelligenz als Verführerin, die Adam die Früchte des Inno-vationsbaumes reicht. Nimmt man den Verstoß aus dem Paradies wieder in Kauf ?

Collage „Verführung“ aus dem Kreativ-Workshop.

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Angebote zum freien künstlerischen Arbeiten in Unternehmen könnten Wege aus der Routine sein und den Blick der Be-schä�igten weiten. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kunstscha�enden könnte zudem Innovation vorantreiben. Eini-ge wenige Unternehmen haben bereits erkannt, dass es zur För-derung von Kreativität sinnvoll sein kann, Kunst und Technik zusammen zu bringen. So führte beispielsweise ein Unternehmen auf der Hannover Messe 2014 einen interdisziplinären Kunst-wettbewerb durch und in Karlsruhe gab es das Projekt „Kunst-unternehmen“, in dem Kunst und Wirtscha� kooperierten. Für die kreative und soziale Gestaltung von Industrie 4.0 wäre es wünschenswert, dass mehr Betriebe die Grenzen zwischen Kunst und Technik überwinden möchten.

Kunst

LiteraturverzeichnisKoestler, Arthur (1966): Der göttliche Funke. Der schöpferische Akt in Kunst und

Wissenscha�. Bern: Scherz Verlag.Ulmann, Gisela (1970): Kreativität. Neue amerikanische Ansätze zur Erweiterung

des Intelligenzkonzeptes. 2. Au�. Weinheim, Berlin, Basel: Julius Beltz (Reihe C. Berichte, 11).

Michalko, Michael (2001): Erfolgsgeheimnis Kreativität. Was wir von Michel-angelo, Einstein & Co. lernen können. Landsberg am Lech: Mvg.

Pfei�er, Sabine; Suphan, Anne (2015): Der AV-Index. Lebendiges Arbeitsver-mögen und Erfahrung als Ressourcen auf dem Weg zu Industrie 4.0. Working Paper 2015 #1 (dra� v1.0 vom 13.04.2015), zuletzt geprü� am 14.02.2016.

Segler, Tilman (2016): Kreativitätsförderung im Unternehmen. Hg. v. Universität Heidelberg. Online verfügbar unter: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltext-server/3404/15/HD6.pdf, zuletzt geprü� am 18.04.2016.

Wiesmüller, Christian (2010): Zur ästhetischen Komponente technischer Bildung. Hg. v. DGTB. Online verfügbar unter: http://www.dgtb.de/�leadmin/user_upload/Materialien/Tagung/Potsdam/Beitraege/Wiesmueller.pdf, zuletzt geprü� am 18.04.2016.

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Kunst

Begleitende Kunstausstellung

Cosima Klischat

Ein Beispiel für interdisziplinäres Denken und Arbeiten fanden die Workshop-Teilnehmer beim Betrachten der Bildserie „von Jacquard zur Datenspeicherung“ von Cosima Klischat, die in der begleitenden Kunstausstellung zu sehen waren.Ein Flohmarkteinkauf – eine Erste-Hilfe-Tasche gefüllt mit Mull-binden – führte Cosima Klischat zu ihrer Bildserie „von Jacquard zur Datenspeicherung“. Da sich die Künstlerin derzeit intensiv mit technischer Bildung auseinander setzt, wurde sie durch die Mull-binden zum Nachdenken über deren Fertigung angeregt. Darüber entstand eine Assoziationskette, die die vier Arbeiten, in Misch-technik aus Hand-Siebdruck und Buntsti�zeichnung, anregte.

In diesen Bildern führt die Künstlerin einen Technolog über den Ein�uss des automatisierten Webens auf die Datenspeicherung. Die Methode des Technologs, als gedankliche Auseinanderset-zung mit Technik, wurde von Wiesmüller und Löhr entwickelt, um den täglichen Umgang mit Technik ins Bewusstsein zu rü-cken. Ursprünglich wird der Technolog verbal umgesetzt, er lässt

sich aber ebenso bildnerisch durchführen. Die vier Arbeiten bekommen über das sich wiederholende �orale Muster Zusam-menhalt. Es verweist auf die komplexen Jacquard-Webmuster. Joseph-Marie Jacquard (1752–1834) legte durch die Er�ndung von automatischen Webstühlen den Grundstein zur Automati-sierung. Die zur Steuerung verwendeten Lochkarten konnten immer wieder verwendet werden und sind somit die ersten dauerha�en Datenspeicher (Bild 1 und 3).

Durch Jacquard angeregt, wurden Lochkarten später von Her-man Hollerith (1860–1929) in seinen Tabelliermaschinen, bei-spielsweise zur Volkszählung genutzt (Bild 3). Erstmalig konnten Daten, neben der Au�ewahrung als schri�liche Dokumente, ge-speichert und beliebig weiterverarbeitet werden. Dies erlaubte beispielsweise Statistiken über verschiedene Merkmale von Ein-wohnern zu führen und auszuwerten. Lochkarten wurden später noch lange zur Datenspeicherung in Computern verwendet. Sie hatten allerdings den Nachteil, dass sie viel Lagerplatz und weiterhin menschliche Arbeitskra� zum Sortieren, Stapeln und Einlegen benötigten. Man konnte deshalb nicht jederzeit und schnell auf Daten zurückgreifen.

Bild 1: Weben. Bild 2: Jacquard.

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Kunst

Forschungen zur Datenspeicherung führten in den Vierzigerjah-ren des letzten Jahrhunderts zum Magnetkernspeicher, der, für damalige Verhältnisse, schnelle Zugri�szeiten auf Informationen ermöglichte. Diese technische Weiterentwicklung erlaubte al-lerdings nur das Speichern weniger Informationen und eignete sich vor allem als Kurzspeicher in den ersten Rechnern. Hier schließt sich der Kreis zum Weben, da die Speicher aus winzigen Magneten und Drähten optisch an gewebtes Material erinnern (Bild 4).

Informationen zum �ema dieser Arbeiten holte sich die Künst-lerin hauptsächlich aus der Buchverö�entlichung „IM DIENST DER WELT“ zum 100-jährigen Bestehen der IBM, erschienen 2011 bei IBM Press.

Die begleitende Kunstausstellung der Tagung „Industrie 4.0 in KMU“ schlägt eine Brücke zwischen Kunst und Technik. Ak-teure beider Sparten eint das kreative Denken und die intensive Beschä�igung mit einem bestimmten Gebiet. Sowohl in künst-lerischen als auch in technischen Berufen wird zudem rational entworfen und entwickelt. Die Entwicklung und ästhetische

Ausarbeitung von Kunstwerken und technischen Artefakten oder Prozessen erfordert zudem übersinnliches Arbeiten, das vor allem in der Technik als Intuition bezeichnet werden kann. O�mals entscheidet Intuition, ob Kunst für den Betrachtenden als wertvoll und Technik als innovativ empfunden wird.

Vergleicht man die �emengebiete in Kunst und Technik, ist es au�allend, dass diese o� ähnlich sind. Ein Merkmal des digitalen Zeitalters ist das Zusammenwachsen von Kunst und Technik. Viele Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart überschreiten die zur Technik gesetzte Demarkation. Kunstateliers verändern sich und gleichen technischen Laboren. Moderne Technolo-gien und Telekommunikationsmedien geben Künstlern und Technikern neue Werkzeuge in die Hand. 3D-Simulation und 3D-Druck, künstliche Intelligenz, soziale Netzwerke, Visuali-sierungsmöglichkeiten von Daten, Tönen und Farben: In der Kunst ersetzen oder ergänzen diese Werkzeuge und -sto�e wie Sti�, Pinsel, Leinwand, Musikinstrumente usw. und ermöglichen neue Formen der Kunst. Die entstehenden künstlerischen Arbei-ten werden dabei technischen Entwicklungen immer ähnlicher.

Bild 3: Hollerith. Bild 4: Magnetkernspeicher.

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Kunst

Beispiele dieses Veränderungsprozesses zeigen sich in den Ar-beiten von Joachim Hirling, Jürgen Reuter, Mahmoud Yagoubi, Margot Witte und OVA.

Hirling und Reuter eint das gemeinsame �ema der Synästhesie, das heißt der Kopplung von Sinneswahrnehmungen. Diese ist auch �ema in den Forschungen zur künstlichen Intelligenz und deshalb ebenfalls �ema der Technik. Die Synthesie hat als Aus-drucksmittel in der Kunst eine lange Tradition, wird aber durch jüngere Forschungsergebnisse in ein neues Licht gerückt. Ins-besondere die in der Synästhesieforschung noch verhältnismäßig junge Erkenntnis, dass die konkrete Ausprägung einer Sinnes-kopplung interindividuell unterschiedlich ist, steht im Wider-spruch zu der lange geglaubten Universalität der Korrelation verschiedener Sinne, wie sie etwa unsere Sprache suggeriert (z. B. allgemein „Klangfarbe“, „Farbton“, oder konkret „tiefer Ton“, „schreiendes Rot“). Somit besteht ein Freiheitsgrad in der kon-kreten, individuellen Ausgestaltung dieser Korrelation, der als Ziel künstlerischen Ausdrucks begri�en werden muss. Es obliegt der individuellen Ästhetik und inhaltlichen Konzeption, eine projektspezi�sche Korrelation zu �nden und umzusetzen.

Jürgen Reuter befasst sich seit den 90er-Jahren schwerpunkt-mäßig mit dem �ema Synästhesie, u. a. um mehr Ausdrucks-möglichkeiten bei der Erzeugung elektronischer Klänge zu erzie-len. Mit seiner 2014 erstmalig am ZKM gezeigten und seither kontinuierlich weiterentwickelten Klangsäule „Sound Column“ scha� er die technologische Basis zur synästhetischen Umset-zung bewegter farbiger Formen in Klänge.

Der Künstler Joachim Hirling beschä�igt sich ebenfalls seit Jahren mit dem Phänomen der Synästhesie. Siehst Du Farben, hörst du Klänge. „Der Farben Klang, die Klänge der Farben!“ Diesem Zauber auf der Spur folgt er in seinen künstlerischen Arbeiten seit 2012 und zeigte dies in mehreren Ausstellungen. Was vor Jahren als Rendezvous mit der Musik begann, führte den Künstler zunehmend in neue Erfahrungsräume, in der die Schwingungen beider Phänomene miteinander verschmelzen. In der Stadt Karlsruhe, in der Heinrich Hertz die elektromag-netischen Wellen nachwies und damit die �eorien von James Clerk Maxwell bestätigte, indem er mit seinem Oszillator deren Frequenzen maß, liegt es wohl nur eine Terahertz-Schwingung entfernt um in diese Welt zu gelangen! Mit einer frequenzba-

Bild 5: Column.

Bild 6: Hardware.

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sierten Oktaven-Übertragung können die Töne der Musik den jeweiligen Farben zugeordnet werden. Seine gezeigten Arbeiten visualisieren u. a. diese Farb-Klang-Codierung. Beim „Color Sound Star“ mit Bezug zu Dur- und Mollakkorden und Er-weiterungen, dabei stehen die großen Kreise für den jeweiligen Grundton, nach innen in Moll, nach außen in Dur. (Bild. 9: Joa-chim Hirling, „Color Sound Star“ – 2015-November – Aquarell auf Bütten, 30 x 30 cm auf der jeweiligen Seite) Als ein Bespiel er�nderischen Denkens in der Kunst kann die Arbeit „Green Printer“ von Mahmoud Yagoubi gesehen werden.

Sein künstlerischer Entwurf ähnelt einem 3D-Drucker. Dabei halten stählerne Drahtseile, die auch den Rahmen der Konstruk-tion bilden, einen Roboter. Dieser kann sich, in den Drahtseilen gehalten, schwingend in alle Richtungen bewegen und ist viel-seitig einsetzbar. Der Einsatz richtet sich nach seinem Zubehör. Denkbar sind Einsätze in Landwirtscha�, Industrie, wissen-scha�licher Forschung, in der Weltraumforschung, in der Kunst und Gestaltung von Gärten, in der P�ege von Sportplätzen und vieles mehr. Die Arbeit wurde als patentwürdig eingestu� und ist sowohl in Tunesien (Tunisian Institute of Industrial and Intel-lectual property) (INNORPI) als auch beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert.

Bei Yagoubi sind die Grenzen zwischen Technik und Kunst ver-schwunden. Er�ndergeist, Experimentierfreude und Ästhetik lassen aus einem künstlerischen Konzept eine technische Er�n-dung entstehen. Die Frage, ob die Arbeit Kunst oder Technik ist, bestimmt sich durch den äußeren Rahmen. In Ausstellungen, wie sie im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM)

Kunst

Bild 7: Notation.

Bild 8: Soundspace.

Bild 9: Color Sound Star. Bild 10: Zeichnung 1.

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in Karlsruhe o� zu sehen sind, wäre sie als Kunst einzuordnen. Entsteht aus dem Entwurf ein verwendetes Produkt, so ist es als technisches Artefakt zu sehen.

Die Künstlerin Margot Witte erfasst über ihre Arbeiten die sich im Wandel be�ndliche Welt. Sie beschreibt ihre Arbeit mit folgenden Worten: „Unsere alles bestimmenden technischen Medien lösen analoge Strukturen in digitale Raster auf. Auch die Technik des Siebdrucks basiert auf Rastern, auf dem eindeutig klaren „ja“ oder „nein“. Mein Bestreben ist es jedoch, dem Unge-fähren und Flüchtigen mit den künstlerischen Mitteln und Tech-niken der heutigen Zeit Ausdruck zu verleihen. In der Werkreihe „CLOUDS“ aus dem Jahr 2015 verschmelzen harte digitale Elemente zu naturalistischen und fast schon schwebenden Farb- und Formkompositionen. Es bleibt die Frage: Wofür steht die Wolke? Für unsere romantische Naturbegeisterung oder für den weltweiten Datenraum?“ (Bild 14: Clouds)

Die Kleinserie „Selbstporträit als Datenfehler / Self-Portrait as Databug“ von OVA (Bild 15) behandelt mit einem Augen-zwinkern die fortschreitende Technologisierung. Das englische Äquivalent des Wortes Datenfehler – „databug“ bezieht sich auf einen Käfer „bug“, der der Legende nach in einem der ersten Computersysteme auf einer Platine saß und dort einen Fehler auslöste.

Was empfanden wohl die Techniker, als sie den Käfer fanden und was emp�nden wir heute, wenn Technologie nicht funktioniert wie erwartet?

Kunst

Bild 11: Garten 1.

Bild 12: Garten 2.

Bild 13: Roboter, Foto Roboter von Bettina Yagoubi-Amann.

Bild 14: Clouds.

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Technik ist allgegenwärtig, aber durch ihren menschengemach-ten Ursprung ist sie Spiegel menschlicher Fähigkeiten oder auch Unfähigkeiten. So stellt für mich die Idee des Datenkäfers Fra-gen nach einem Verhältnis zu unserer Kultur und unseren Werk-zeugen – wie weit können / sollten wir uns darauf verlassen und mit welchen Folgen?

Bild 15: „Selbstporträit als Datenfehler / Selfportrait as Databug“, 415 unsupported media type, 417 expectation failed, 404 dead link, Hologram-pigmente, digitale Malerei, Druck in variabler Größe, Kleinserie als Tryptichon, 2015.

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Über die Autoren

Regina Brauchler

Dr. oec. Regina Brauchler leitet das SU Demogra�egerechtes Personalmanagement. Ihre �emenschwerpunkte liegen in der betrieblichen Strategieentwicklung zur Fachkrä�esicherung unter Einsatz von Kompetenzanalysen zur Feststellung des Per-sonalentwicklungsbedarfes. Seit 2000 hat sie Eignungsanalysen mit Anforderungs-, Fähigkeitsabgleichen zur Optimierung des Personaleinsatzes und zum Pro�ling und Talent-Managing im Personal-Recruiting entwickelt und evaluiert. Seit 1987 ist sie mit der Einführung organisatorischer Arbeitsstrukturierung mit funktionsspezi�scher Rotation, altersgemischten Tandems auf der Basis von Arbeitsprozessanalysen (REFA, MTM) und der Einführung von individuellen Zielvereinbarungen und ergono-mischer Arbeitsgestaltung als Berater beschä�igt. www.brauchler.org www.steinbeis.de / su / 1965 [email protected]

Oliver Brehm

Oliver Brehm, Dipl.-Ing. (FH), ist freiberu�ich tätiger Unter-nehmensberater. Seine �emenschwerpunkte liegen ursprüng-lich im Umfeld der Produktentwicklung mit CAD PLM und ERP bis hin zu Content Management Systemen (CMS). Sie um-fassen dort vor allem die systemneutrale Beratung im Rahmen von Auswahl- und Einführungsprojekten.Durch die Erfahrung von 20 Jahren erfolgreicher Projektarbeit verfügt Oliver Brehm über ein breites Fachwissen und die notwendige Branchenkennt-nis zur optimalen Gestaltung von Veränderungsprojekten auf organisatorischer, prozessualer und IT-Ebene. Seit 2001 leitet Oliver Brehm das Steinbeis-Transferzentrum Innovation und Organisation (STZio).www.stzio.de

Uwe Fischer

Als Dipl.-Ing. Lu�- und Raumfahrttechnik weiß Uwe Fischer, was Technologie und Komplexität bedeuten. Und dass o� un-konventionelle Lösungen die richtigen sind, konnte er u. a. beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtscha� und Organisation und als CIO eines Anlagenbauers der ABB Gruppe in der Praxis beweisen. Als Gründungspartner der TCI, Transformation Consulting International GmbH (www.tci-partners.com), berät und begleitet er seit 2003 Unternehmen in Transformationen und anspruchsvollen Projekten – ein Schwerpunkt dabei ist das Identi�zieren relevanter Megatrends und die Ableitung der zu-kün�ig benötigten Fähigkeiten.

Rüdiger Haas

Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas ist Leiter der Abteilung Fertigungs-technik und Produktion der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtscha� und Leiter des Steinbeis-Transferzentrums In-stitute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS.An der Hochschule Karlsruhe entstand unter seiner Leitung in Kooperation mit Wirtscha�sunternehmen ein fertigungstech-nisches Labor, welches den Wissenscha�lern im Rahmen ihrer Forschungsprojekte zur Verfügung steht und in dem auf einer Fläche von ca. 700 qm alle modernen fertigungstechnischen Ver-fahren auf modernsten Maschinen abgebildet werden können.

Joachim Hirling

Joachim Hirling absolvierte sein Studium der Malerei und Gra-�k an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Prof. Max Gerd Kaminski sowie bei Reinhard Mucha und schloss es als Meisterschüler mit Diplom ab. Sein einjähriges Gaststudium in Taiwan am National Institute of the Arts in Tai-pei wurde ihm durch ein Stipendium des Deutschen Akademi-schen Austauschdienstes ermöglicht. In jahrelanger Vorstand-scha� der Poly Produzentengalerie e. V. und der UND-Plattform setzte er sich aktiv für die Förderung von Kunstscha�enden ein. 2015 erhielt er gemeinsam mit Alex Wenger eine Förderung der Stadt Karlsruhe für ein Schnittstellen-Projekt zwischen Kunst, Wissenscha� und Technologie.

Die Autoren

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Maja Jeretin-Kopf

PD Dr. phil. habil. Maja Jeretin-Kopf ist Projektleiterin der „Lernfabrik 4.X“ an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtscha� und Projektleiterin des Steinbeis-Transferzen-trums Institute for Transfer Technologies and Integrated Sys-tems SITIS. Sie habilitierte an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, wo sie als Privatdozentin tätig ist. Ihre Forschungs-schwerpunkte sind intergenerationelles Lernen, unternehmens-spezi�sche Curriculumentwicklung sowie Technikdidaktik der technischen Allgemeinbildung.

Martin Kipfmüller

Prof. Dr.-Ing. Martin Kipfmüller beschä�igt sich in aktuellen Forschungsarbeiten mit der aktiven Stabilisierung von Robotern auf mobilen Plattformen. In der Vergangenheit hat er sich vor allem mit dem Einsatz von Parallelrobotern in Werkzeugmaschi-nen beschä�igt, insbesondere mit der mechatronischen Simula-tion und geeigneten Messkonzepten zur Genauigkeitssteigerung.Außerdem hat er vier Jahre bei der Robert Bosch GmbH als Fer-tigungsingenieur gearbeitet.

Cosima Klischat

Cosima Klischat ist seit 15 Jahren als freie Künstlerin und In-genieurin tätig. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Universität Karlsruhe arbeitete sie 10 Jahre als Entwicklungs-ingenieurin. Ihr Kunststudium erfolgte in verschiedenen Ate-liers, Sommerakademien und als Gaststudentin an der Hoch-schule für Gestaltung in Karlsruhe. Die Kunst ermöglichte ihr den Eintritt in die Lehre an einer Werkrealschule und später an die Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtscha�. Als akademische Mitarbeiterin arbeitet sie derzeit im Bereich der Hochschuldidaktik und ist Lehrbeau�ragte in verschiedenen Studienfächern. Seit 2015 promoviert sie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe über allgemeine technische Bildung.

Thomas Mücke

�omas Mücke hat nach seiner Ausbildung zum Mechaniker und Studium zum Dipl.-Ing (FH) im Fachbereich Produktions-technik in mehreren Industrieunternehmen seit 1990 gearbeitet. Er war als Projektleiter zur Einführung von Werkzeugverwal-tungssytemen, mit Anbindung an CAD / CAM-Systeme, ERP und MES verwaltet. Hierbei war er jeweils für die Einführung und den Ausbau ganzheitlicher Lösungen im Planungs- und Fertigungsbereich zuständig. Seit 2010 ist er als Senior Business Consultant bei der TDM Systems GmbH tätig, um die Kunden bei der Einführung vernetzter Systeme zu unterstützen. Seit Au-gust 2015 promoviert er zusätzlich zum �ema „Informations-systematik zur Optimierung von Konstruktions- und NC-Pro-zessen“.

Patrick Müller

Patrick Müller ist Partner der TCI Transformation Consulting International GmbH und Berater im Bereich der Maschinen-bauinformatik. Er verfügt über eine 20-jährige Beratungs- und Projektleitungserfahrung in den Branchen Maschinenbau, Auto-motive und Medizintechnik. Seine Beratungsschwerpunkte sind das Product Lifecycle Management und das Business 4.0.

OVA

OVA lebt und arbeitet in Karlsruhe. Ihre Arbeiten behandeln Beziehungen – zwischen Menschen, Objekten und Räumen. Dabei arbeitet sie in diversen Medien, unter anderem in per-formativer Malerei, Installation und Fotogra�e.Facebook, Youtube, instagram, twitter: OVA & i_am_ovawww.iamova.com

Die Autoren

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Jivka Ovtcharova

Jivka Ovtcharova ist seit 2003 Professorin und Leiterin des In-stituts für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seit 2004 ist sie außerdem Direktorin für Process and Data Management in En-gineering im Bereich Intelligent Systems and Production Engi-neering des Forschungszentrums Informatik (FZI) in Karlsruhe. Sie promovierte in Maschinenbau und Informatik und war in der Fraunhofer-Gesellscha� sowie in der Automobilindustrie tätig. Sie ist Mitglied zahlreicher Gremien und als Expertin in diversen Kommissionen tätig. Im November 2014 wurde sie als eine der „25 Frauen der digitalen Zukun�“ ausgezeichnet. Im September 2014 wurde auf Initiative von Frau Ovtcharova am KIT das „In-dustrie 4.0 Collaboration Lab“ im LESC (Lifecycle Engineering Solutions Center) erö�net.

Thomas Rajh

�omas Rajh ist Pädagoge und Lehrerbildner an einem Staatli-chen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung in Baden-Würt-temberg. Als Seminarschulrat leitet er dort die Bereiche der sozialwissenscha�lichen Fächer und der Qualitätsentwicklung. Zuvor war er mehrere Jahre Lehrer an Grund-, Haupt- und Werk-realschulen und dabei für die Kooperation Schule – Wirtscha� sowie für die Berufsorientierung zuständig. Derzeit promoviert er an der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit einer Arbeit zu „Domänenspezi�k und Interdisziplinarität“. Als Nachwuchs-wissenscha�ler setzt er sich mit der DGTB (Deutsche Gesell-scha� für Technische Bildung) für die Weiterentwicklung und Stärkung technischer Bildung ein.

Jürgen Reuter

Jürgen Reuter verbindet seit Jahren sein beru�iches Fachwissen der Informatik mit künstlerischem Handeln. Sein Schwerpunkt liegt dabei in der Auseinandersetzung mit Tönen und Klängen. In Musik-Performances und technischen Installationen erzeugt er ungewohnte Klänge, seit den 90er-Jahren schwerpunktmäßig mit dem �ema Synästhesie, um mehr Ausdrucksmöglichkeiten bei der Erzeugung elektronischer Klänge zu erzielen. Mit seiner 2014 erstmalig am Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM gezeigten und seither kontinuierlich weiterentwickelten Klangsäule „Sound Column“ scha� er die technologische Basis zur synästhetischen Umsetzung bewegter farbiger Formen in Klänge.

Mehdi Salehi

Mehdi Salehi erwarb den Master (M. Sc.) an der Polytechnischen Universität von Milano, Italien, im Maschinenbau (Industrielle Produktion). Er verfügt über eine achtjährige Berufserfahrung als Manager der Abteilung Technologie und CNC-Programmie-rung in Kennametal-Hertel Produktionsanlage und als Applica-tion Engineer für Bearbeitungsprozesse und Schneidwerkzeuge bei Mitsubishi Material Corp. and Seco Tools AB. Im Rahmen des Europäischen Forschungsprojektes H2020 arbeitete er als Forschungsingenieur im Bereich von „smart machine tools” an der Polytechnischen Universität von Milano. Seit Februar 2015 arbeitet er am Institute of Materials and Processes an der Hoch-schule Karlsruhe.

Heinz Schäfer

Dr. Heinz Schäfer hat an der Hochschule Mannheim Betriebs-wirtscha� studiert. Nach Stationen als Direktionsassistent in einem Gläubigerschutzverband, war er Mitarbeiter einer in-ternationalen Wirtscha�sprüfungs- und Steuerberatungs-AG. Danach war er Geschä�sführer eines mittelständischen Pro-duktionsunternehmens. Er hat dort den Ertrag verbessert, die �-nanzielle Unabhängigkeit des Unternehmens hergestellt und das Produktportfolio an Marktanforderungen angepasst. Anschlie-ßend gründete er die Schäfer Unternehmens-Optimierung, die sich darauf spezialisiert hat, KMU bei der Verbesserung und Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu unterstützen.

Oliver H. Schäfer

Oliver H. Schäfer ist Diplom-Wirtscha�singenieur (TH Karls-ruhe) sowie MBA (Richard DeVos Graduate School of Manage-ment, Michigan, USA). Nach Stationen als Vorstandsassistent und als Controller eines deutschen Konzerns für Nordamerika, war er als Vorstand eines mittelständischen Technologieunter-nehmens tätig.Er machte sich danach als Unternehmensberater selbständig mit Fokus auf Prozessoptimierung und Sanierung mittelständischer Unternehmen. Seit 2007 ist Oliver Schäfer geschä�sführender Partner der Dunz & Schäfer Unternehmensberatung, die sich auf Strategie und Vertriebsmanagement großer Technologieun-ternehmen spezialisiert hat.

Die Autoren

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René H. Schäfer

René H. Schäfer absolvierte an der Dualen Hochschule in Mann-heim sein Studium zum Dipl. Betriebswirt (DH). Er war in dieser Zeit als leitender Angestellter für einen mittelständischen IT-Dienstleister tätig, und hatte seinen Schwerpunkt im Ver-trieb, im Einkauf und in der Einführung eines Warenwirtsch�s-systems. 2007 machte er sich mit der Schäfer Unternehmens-Optimierung selbstständig. Seine Schwerpunkte liegen in der individuellen Kostensatzermittlung, der marktorientierten Kal-kulation und der budgetierenden Wertanalyse von Produkten und Dienstleistungen, in der daraus resultierenden Optimierung von Organisationen und Prozessen sowie der begleitenden Um-setzung der Optimierungen im Unternehmen.

Aishe Toledo

Lic.-Ing. Aishe Toledo hat ihr viereinhalbjähriges Studium mit der Vertiefung Industrierobotik und Automatisierungstech-nik am Instituto Politécnico Nacional in Mexiko-Stadt abge-schlossen, wobei sie sich insbesondere mit diversen Projekten im Bereich Regelungs- und Steuerungstechnik sowie Produktions-automatisierung beschä�igt hat. Ihre Kenntnisse der genannten Studienschwerpunkte konnte sie dabei an der Universität Stutt-gart im Rahmen des Masterstudiengangs Mechatronik, wäh-rend ihres einjährigen Auslandsaufenthalts, erweitern. Parallel dazu hat sie ein fünfmonatiges Praktikum bei der Robert Bosch GmbH in der zentralen Forschungsabteilung in Schwieberdin-gen absolviert. Ihr aktuelles Projekt beinhaltet die Stabilisierung von Robotern auf mobilen Plattformen.

Christian Wiesmüller

Dr. phil. paed. habil. Christian Wiesmüller ist Professor für Tech-nische Bildung und Technikdidaktik und Leiter des Fachbereichs Technische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Karls-ruhe. Er arbeitet u. a. an der bildungs- und schultheoretischen Begründung eines allgemeinbildenden Faches Technik. Weitere Schwerpunkte sind die ästhetische Dimension der Technik und deren Bildungsrelevanz sowie außerschulische Lernorte. Er ist derzeit erster Vorsitzender der Deutschen Gesellscha� für Tech-nische Bildung (DGTB), Vorsitzender der Landesfachscha� Technik der Pädago gischen Hochschulen Baden-Württembergs und Mitglied des Wissenscha�lichen Beirats der Sti�ung Haus der Kleinen Forscher in Berlin.

Margot Witte

Margot Witte lebt und arbeitet in Karlsruhe. Nach einer tech-nischen Ausbildung studierte sie Kunst an der Europäischen Akademie für Künste in Trier. Sie ist bekannt für ihre Hand-Sieb-drucke und zeigt diese in internationalen Ausstellungen wie bei-spielsweise 2016 in Russland auf der TRANSFER im Krasnodar Museum of Fine Arts und 2015 auf der GRAFIKBIENNALE in Kaliningrad. Ihre Siebdrucke beeindrucken durch ihre Größe und Vielschichtigkeit sowie durch das bedruckte Material. So ge-hörte sie auf der SCREENING 2013 in Hamburg zu den Preis-trägern. Für ihre teilweise rechnergestützten Entwürfe koope-riert sie mit Informatikern.

Claas Christian Wuttke

Prof. Dr.-Ing. Claas Christian Wuttke war zehn Jahre für die Robert Bosch GmbH in verschiedenen leitenden Funktionen in Forschung, Entwicklung und Produktion tätig. Seit 2010 lehrt und forscht er im Bereich Produktionsmanagement, Logistik sowie Entwicklung von Dienstleistungen an der Hochschule Karlsruhe.

Mahmoud Yagoubi

Mahmoud Yagoubi bezeichnet sich als Automatisierungstech-nik-Künstler. Als Autodidakt arbeitete er in seinem Heimatland Tunesien in Le Kef als gestaltender Künstler. Er lebt seit 2015 in Karlsruhe und arbeitet teilweise im Künstlerkollektiv mit seiner Frau Bettina Yagoubi-Amann. Neben technischen Installationen zur Zukun�sgestaltung, malt er zeitkritische Bilder, die in ver-schiedenen Ausstellungsprojekten, wie der UND#8, zu sehen waren.

Bettina Yagoubi-Amann

Bettina Yagoubi-Amann legt ihren künstlerischen Schwerpunkt auf Installation, Performance, Fotogra�e und Bildbearbeitung. Nach einem einjährigen Studium bei Gustav Kluge an der Kunst-akademie Karlsruhe war sie in der Poly Produzentengalerie e.V. aktiv und zählt zu den Initiatoren der UND-Plattform. Sie ar-beitete als freie Fotogra�n für verschiedene Zeitungen und ist Ju-rorin beim „Forum Kunst“ des Regierungspräsidiums der Stadt Karlsruhe.

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www.steinbeis-edition.de

ISBN 978-3-95663-106-1

Der Steinbeis-Arbeitskreis „Faktor Mensch im Produktentstehungsprozess“ geht auf eine Initiative von Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas und Privatdozentin Dr. Maja Jeretin-Kopf, Steinbeis-Transferzentrum Insti-tute for Transfer Technologies ans Integrated Systems, sowie Oliver Brehm, Steinbeis-Transferzentrum Innovation und Organisation zurück. Er ist offen für alle interessierten Zentren im Steinbeis-Verbund sowie entsprechend engagierte Experten und Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft.

Die aktuelle Herausforderung, welche es im Rahmen von Industrie 4.0 zu meistern gilt, ist die Digitali-sierung so voranzutreiben, dass dabei die Technologien, der Handlungsspielraum kleinerer und mittlerer Unternehmen und die beteiligten Menschen nachhaltig in Einklang bleiben. Aus diesem Grund wurde im Frühjahr 2015 der Arbeitskreis „Faktor Mensch im Produktentstehungsprozess“ gegründet, um den Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern. Der Arbeitskreis agiert dabei bewusst inter-disziplinär, und wendet sich gerade an jene kleine und mittlere Unternehmen, welche sich den Heraus-forderungen dieser digitalen Entwicklung stellen wollen.

Die erste Tagung, welche durch den Arbeitskreis „Faktor Mensch im Produktentstehungsprozess“ durchgeführt wurde, widmete sich dem Thema„Industrie 4.0 in KMU – Sind Sie fit für die Zukunft?“. Die Tagung wurde interdisziplinär auf die Bereiche Technik, Management, Bildung und Kunst aus-gerichtet. So wurde sichergestellt, dass die Fragestellungen in Vorträgen und Workshops bedarfsgerecht erörtert werden konnten, und das Thema Industrie 4.0 auch in KMU Einzug halten kann, ohne dass sich jemand daran „verschluckt“.

Die Kernkompetenz von SITIS ist Technologietransfer in den Bereichen Werkzeug- und Formenbau, Energie-effizienz, Medizintechnik sowie Luft- und Raumfahrt. In diesen Bereichen bietet die SITIS-Akademie kleinen und mittelständischen Unternehmen bedarfsgerechte Weiterbildungsangebote an, damit sie mit der tech-nologischen Entwicklung auch künftig Schritt halten können. www.sitis-karlsruhe.de

Steinbeis-TransferzentrumInnovation und Organisation

Die Themenschwerpunkte des STZio liegen ursprüng-lich im Umfeld der Produktentwicklung mit CAD PLM und ERP bis hin zu Content Management Sys-temen (CMS). Sie umfassen dort vor allem die system-neutrale Beratung im Rahmen von Auswahl- und Ein-führungsprojekten. Durch die Erfahrung von 20 Jahren erfolgreicher Projektarbeit verfügen Prof. Dr.-Ing. Joachim Frech und Herr Oliver Brehm über ein breites Fachwissen und die notwendige Branchenkenntnis zur optimalen Gestaltung von Veränderungsprojekten auf organisatorischer, prozessualer- und IT-Ebene.www.stzio.de

9 783956 631061