Onlinebasierte Öffentlichkeiten und ihre Auswirkungen auf Politik und Zivilgesellschaft
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Onlinebasierte Öffentlichkeiten und soziale Netzwerke –
Auswirkungen auf Politik und Zivilgesellschaft
Dr. Jan Schmidt
Wissenschaftlicher Referentfür digitale interaktive Medien und politische Kommunikation
Berlin, 17.11.2009
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Worüber ich heute spreche
1. Entstehen und Struktur persönlicher Öffentlichkeiten
2. Politische Kommunikation im Social Web
3. Entgrenzung der Privatsphäre?
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Was geschieht im Social Web? Diagnosen.
Commons-Based Peer Production (Yochai Benkler)
Produsage (Axel Bruns)
Convergence Culture bzw. Participatory
Culture (Henry Jenkins)
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Was geschieht im Social Web? Meine Perspektive.
Im Social Web sinken die Hürden für onlinebasiertes…
www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/
– Identitätsmanagement (Darstellung individueller Interessen, Erlebnisse, Meinungen, Kompetenzen, etc.) z.B. Weblogs, YouTube
http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/
– Beziehungsmanagement (Pflege von bestehenden und Knüpfen von neuen Beziehungen)
z.B. studiVZ, XING
http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/
– Informationsmanagement (Selektion und Weiterverbreitung von relevanten Daten, Informationen, Wissen- und Kulturgütern)
z.B. Wikipedia, Social-News-Plattformen
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Wöchentliche Nutzung ausgewählter Anwendungen (12-24jährige, in %)
90,6
70,1
54,8
49,1
39,2
30,2
27
14,4
12,3
2,9
0,3
90,3
83,3
60,4
59,5
65,7
9,3
34,4
22,8
11,3
2,6
0,6
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
YouTube
Wikipedia
ICQ
schuelerVZ
StudiVZ
MyVideo
MySpace
Wer kennt wen
delicious
Gesamt 15-17
„Zumindest einmal pro Woche“; Quelle: Schmidt/Paus-Hasebrink/Hasebrink 2009
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Identitätsmanagement – Wer bin ich?
• Identitätsmanagement ist im Kontext von Individualisierungsprozessen zu sehen, die moderne Gesellschaften auszeichnen
• Individualität – die eigene unverwechselbare Identität zu entwickeln und darzustellen – ist gesellschaftliches Leitbild und normative Anforderung an den Einzelnen
• Identität ist nicht ein für alle Mal stabil, sondern bildet sich in alltäglichen Interaktionen mit Bezugsgruppen heraus, bleibt dadurch wandelbar
www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/
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Beziehungsmanagement – Wo stehe ich in Gesellschaft?
http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/
• Identität ist nicht von der Einbettung in soziale Beziehungen zu trennen; sie entsteht erst im Wechselspiel von individuell-persönlichen Merkmalen und sozialen Zugehörigkeiten
• Formen der sozialen Organisation haben sich geändert – zeitlich stabile, traditionell begrün-dete und örtlich gebundene Gruppen verlieren gegenüber flexiblen, interessengeleiteten und ortsübergreifenden Bindungen relativ an Gewicht
• Teilhabe an Gesellschaft, die von „vernetzter Individualität“ gekennzeichnet ist, setzt daher auch die aktive Pflege und das Knüpfen von sozialen Beziehungen voraus; „Networking“ ist nicht nur im beruflichen Kontext eine Schlüsselqualifikation, sondern muss auch im alltäglichen Leben beherrscht werden
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Was ist der Reiz?
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Entstehen persönlicher Öffentlichkeiten
• Kommunikative Räume unterstützen das Entstehen von persönlichen Öffentlichkeiten:
• In den persönlichen Öffentlichkeiten gelten andere Relevanz- und Aufbereitungs-kriterien; oft wird dort im Modus der Konversation, nicht des Publizierens kommuniziert
• Nutzer wollen mit Hilfe von persönlichen Öffentlichkeiten ihre sozialen Beziehungen aus dem „echten Leben“ artikulieren, pflegen und erweitern
• Sie treten dabei überwiegend mit ihrer „echten“ Identität auf, um auffindbar zu sein und Selbstpräsentation, ggfs. auch Reputation an eigene Person zu koppeln
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Artikulierte soziale Netzwerke
• Insbesondere auf Netzwerkplattformen werden „weak ties“ abgebildet und aufrecht erhalten, die über den Kreis der engen Freunde hinausgehen, ohne deswegen beliebig zu sein
• 12-24jährige Nutzer von Netzwerkplattformen…• … haben im Durchschnitt: 130 Freunde
• … haben davon bereits face-to-face getroffen
die meisten: 85 Prozent
weniger als die Hälfte: 5 Prozent
• … sehen als enge Freunde an
die meisten: 15 Prozent
weniger als die Hälfte: 62 Prozent
Quelle: Schmidt/Paus-Hasebrink/Hasebrink 2009
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Persönliche Öffentlichkeiten
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Persönliche Öffentlichkeiten
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Persönliche Öffentlichkeiten
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Persönliche Öffentlichkeiten
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Informationsmanagement – Wie orientiere ich mich in der Welt?
http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/
• Persönliche Öffentlichkeiten sind keine „daily me“ (= individuell vorgenommene Auswahl professionell produzierter Informationen), sondern fördern vielmehr die „ambient awareness“ für die eigene soziale Umgebung: Was beschäftigt mein Umfeld gerade, was hält mein soziales Netzwerk für relevant?
• Grenzen zwischen journalistischen und „Laien“-Öffentlichkeiten sind jedoch fließend; Journalistische und persönliche Öffentlichkeiten ergänzen sich eher, als dass sie sich Konkurrenz machen
• Orientierung in der Informationsgesellschaft, noch dazu unter Bedingungen konvergierender Medienumgebungen, setzt wiederum eigene Kompetenzen voraus
• Monopol von professionellen Experten (Journalisten, Enzyklopädisten, Bibliothekare, …) auf das Auswählen, Aufbereiten und öffentliche zur-Verfügung-Stellen von Informa- tionen schwindet, weil im Internet die technischen Hürden für diese Prozesse sinken
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Ansatzpunkt für Konversation
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Distributionswege von Online-Nachrichten (NYT; 2008)
Quelle: Kang 2009
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Verflechtung von Öffentlichkeiten
Quelle: Neuberger 2009
z.B. Politische Akteure
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Beispiel: Parteikanal auf YouTube
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Beispiel: MdB-Seite auf Facebook
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Beispiel: Politiker auf Twitter
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Neue Aggregatoren
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Zivilgesellschaftliche Gegenöffentlichkeit
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Kampagnenöffentlichkeit (1)
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Kampagnenöffentlichkeit (2)
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Architektur vernetzter Öffentlichkeiten
Die „Architektur“ der Kommunikationsräume des Internets unterscheidet sich von anderen Formen der Präsenz- oder technisch vermittelten Kommunikation
1. Persistent
2. Duplizierbar
3. Skalierbar
4. Durchsuchbar
Diese Merkmale lassen die Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit verschwimmen und machen Strategien erforderlich, Identitäts- und Beziehungsmanagement kontextspezifisch zu betreiben
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Umgang mit Privatsphäre (1)
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Umgang mit Privatsphäre (2)
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Umgang mit Privatsphäre anderer Personen (18-24jährige, formal niedrige Bildung, HH)
Int: Und kennst du jemanden, der auch schon ein bisschen Ärger mit peinlichen Fotos... oder gab's da mal Probleme?
F_1: Also bei uns ist das eigentlich so, bei meinen ganzen Bekannten, wir fragen vorher, ob wir das Foto reinstellen können, oder solche Sachen. Weil ich weiß nicht, nachher fotografieren die mich, wenn ich da halbwegs irgendwie besoffen (..) in den Hafen reinfall' oder so was. Das will ich ja auch nicht, dass das im Internet ist und daher wird eigentlich bei uns immer vorher gefragt.
Umgang mit Privatsphäre (3)
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Umgang mit Privatsphäre (4)
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Das Ende der Privatsphäre?
http://www.colinupton.com/illus/images/cyberillo1.jpg
http://www.flickr.com/photos/mrlerone/2360572263/
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Fazit und Ausblick
1. Das Social Web senkt die Hürden für das onlinebasierte Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement, sodass persönliche Öffentlichkeiten entstehen, in denen ein tendenziell kleines Publikum mit Informationen von persönlicher Relevanz adressiert wird
2. Zu den etablierten Gatekeepern des professionellen Journalismus treten neue Akteure und Mechanismen, die das Veröffentlichen, Filtern, Kanalisieren und weiter Verbreiten von Informationen betreffen
3. Politische Akteure in Parteien und Zivilgesellschaft machen sich diese Werkzeuge zunutze, um für ihre Anliegen zu mobilisieren und zu informieren
4. Aufgrund ihrer spezifischen kommunikativen Architektur lassen vernetzte Öffentlichkeiten etablierte Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit verschwimmen
Vielzahl gesellschaftlich zu diskutierender Fragen, z.B. Wer hat Einfluss auf die Gestaltung von Algorithmen & Code? Wie begegnen wir neuen Formen der Medienkonzentration und Medienmacht? Wie lassen sich Datenschutz und informationelle Selbstbestimmtheit mit staatlichen
Überwachungswünschen und kommerzieller Verwertung vereinbaren?
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Jan Schmidt
Hans-Bredow-Institut
Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg
www.hans-bredow-institut.de
www.schmidtmitdete.de
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Weiterführende Literatur
– ARD-ZDF-Onlinestudie 2009:– Van Eimeren, Birgit/Beate Frees (2009): Der Internetnutzer 2009 – multimedial und total vernetzt?
Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2009. In: Media Perspektiven, Nr. 7, 2009, S. 334-348. Online verfügbar: http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/Eimeren1_7_09.pdf.
– Busemann, Katrin/Christoph Gscheidle (2009): Web 2.0: Communitys bei jungen Nutzern beliebt. In: Media Perspektiven, Nr. 7. S. 356-364. Online verfügbar: http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/ Busemann_7_09.pdf .
– Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How social production transforms markets and freedom. New Haven/London.
– Boyd, Danah/ Nicole Ellison (2007). Social network sites: Definition, history, and scholarship. Journal of Computer-Mediated Communication, 13(1), article 11.http://jcmc.indiana.edu/vol13/issue1/boyd.ellison.html
– Bruns, Axel (2008): Blogs, Wikipedia, Second Life, and beyond. From production to produsage. New York.– Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where old and new media collide. New York.– Kang, Jeong-Soo (2009): Ausgestaltung des Wertschöpfungsprozesses von Online-Nachrichten.
Dissertation an der Privaten Universität Witten/Herdecke. Erscheint 2010 bei Gabler.– Neuberger, Christoph/Christian Nuernbergk/Melanie Rischke (Hg.) (2009): Journalismus im Internet.
Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden. – Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Konsequenzen des Web 2.0. Konstanz.– Schmidt, Jan/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.) (2009): Heranwachsen mit dem Social Web.
Berlin.