Optimierung der Pharmakotherapie - KVWL · Optimierung der Pharmakotherapie — Informationen und...

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Optimierung der Pharmakotherapie Verbände der Krankenkassen in Westfalen-Lippe Eine Information nach § 73 Abs. 8 SGB V Nr. 20 • November 2012 Informationen und Vorschläge der Kassenärztlichen Vereinigung und der Verbände der Krankenkassen in Westfalen- Lippe zu einer wirtschaftlichen Verordnungsweise. Wir möchten Sie bei der Optimierung der Pharmakotherapie unterstützen. Dazu gehört, vorhandene Sparpotenziale auszuschöpfen, damit auch genügend Spielraum für notwendige Innovationen bleibt. Zu ausgewählten Indikationsge- bieten werden an dieser Stelle Angaben zu den Verordnungskosten in Westfalen-Lippe gemacht und Kosten für ver- schiedene Wirkstoffe und Therapieansätze verglichen. Diese Vorschläge und deren Begründung sind keine umfassen- de Darstellung eines Therapiegebietes wie zum Beispiel die Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Sie finden hier Informationen zum Einsatz von Nicht-Opioid-Analgetika und zur medikamen- tösen Therapie bei neuropathischen Schmerzen. Fazit Die Wirkstoffauswahl bei der Behandlung des neuropathischen Schmerzes erfolgt patientenindividuell. Generisch verfügbare Substanzen möglichst bevorzugen. Für Flutirpin liegen zurzeit keine Leitlinienempfehlungen vor. Risikoprofile von z. B. Metamizol (Agranulozytose) oder Pregabalin (Abhängigkeitspotenzial) beachten. Übersicht umsatzstarker Wirkstoffe in Westfalen-Lippe im 1. Halbjahr 2012 ATC-Code Wirkstoff Kosten in Tsd. DDD in Tsd. Kosten je DDD Nicht-Opioid-Analgetika N02BB02 Metamizol 12.971 € 8.783 1,48 € N02BG07 Flupirtin 4.859 € 1.409 3,45 € N02BE01 Paracetamol 341 € 676 0,50 € N02BA01 ASS 138 € 728 0,19 € N01BX04 Capsaicin 75 € 0,222 337,22 € Antiepileptika und Antidepressiva bei neuropathischen Schmerzen Alle Verordnungen für die antiepileptischen/antidepressiven Wirkstoffe. Die Indikation neuropathischer Schmerz ist nicht differenzierbar (s. Kapitel II). N03AX16 Pregabalin 14.727 € 2.960 4,98 € N03AX12 Gabapentin 5.151 € 2.391 2,15 € N03AF01 Carbamazepin 1.625 € 2.576 0,63 € N06AX21 Duloxetin 8.482 € 2.451 3,46 € N06AA09 Amitriptylin 2.562 € 5.928 0,43 €

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Optimierung derPharmakotherapie Verbände der Krankenkassen

in Westfalen-Lippe

Eine Information nach § 73 Abs. 8 SGB V Nr. 20 • November 2012

Informationen und Vorschläge der Kassenärztlichen Vereinigung und der Verbände der Krankenkassen in Westfalen-Lippe zu einer wirtschaftlichen Verordnungsweise.

Wir möchten Sie bei der Optimierung der Pharmakotherapie unterstützen. Dazu gehört, vorhandene Sparpotenziale auszuschöpfen, damit auch genügend Spielraum für notwendige Innovationen bleibt. Zu ausgewählten Indikationsge-bieten werden an dieser Stelle Angaben zu den Verordnungskosten in Westfalen-Lippe gemacht und Kosten für ver-schiedene Wirkstoffe und Therapieansätze verglichen. Diese Vorschläge und deren Begründung sind keine umfassen-de Darstellung eines Therapiegebietes wie zum Beispiel die Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Sie finden hier Informationen zum Einsatz von Nicht-Opioid-Analgetika und zur medikamen-tösen Therapie bei neuropathischen Schmerzen.

Fazit• DieWirkstoffauswahlbeiderBehandlungdesneuropathischenSchmerzeserfolgtpatientenindividuell.• GenerischverfügbareSubstanzenmöglichstbevorzugen.• FürFlutirpinliegenzurzeitkeineLeitlinienempfehlungenvor.• Risikoprofilevonz.B.Metamizol(Agranulozytose)oderPregabalin(Abhängigkeitspotenzial) beachten.

Übersicht umsatzstarker Wirkstoffe in Westfalen-Lippe im 1. Halbjahr 2012

ATC-Code Wirkstoff KosteninTsd. DDDinTsd. KostenjeDDD

Nicht-Opioid-Analgetika

N02BB02 Metamizol 12.971 € 8.783 1,48 €

N02BG07 Flupirtin 4.859 € 1.409 3,45 €

N02BE01 Paracetamol 341 € 676 0,50 €

N02BA01 ASS 138 € 728 0,19 €

N01BX04 Capsaicin 75 € 0,222 337,22 €

Antiepileptika und Antidepressiva bei neuropathischen Schmerzen Alle Verordnungen für die antiepileptischen/antidepressiven Wirkstoffe.Die Indikation neuropathischer Schmerz ist nicht differenzierbar (s. Kapitel II).

N03AX16 Pregabalin 14.727 € 2.960 4,98 €

N03AX12 Gabapentin 5.151 € 2.391 2,15 €

N03AF01 Carbamazepin 1.625 € 2.576 0,63 €

N06AX21 Duloxetin 8.482 € 2.451 3,46 €

N06AA09 Amitriptylin 2.562 € 5.928 0,43 €

Schnirring
Textfeld
Achtung: Geänderte Zulassung für Flupirtin 2013 (s. Seite 9)
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1 ATC-Code: N02A

2 ATC-Code: N02B

I.Verordnungs-undKostenentwicklunginWestfalen-Lippe

Die GKV-Versicherten in Westfalen-Lippe erhielten im 1. Halbjahr 2012 Analgetika-Verordnungen in Höhe von rund 82 Millionen Euro. Der Hauptteil der Verordnungskosten entfiel dabei mit über 73 Prozent auf Opioid-Analgetika

1. Bei

den Nicht-Opioid-Analgetika2 steigen die Kosten und Verordnungen leicht an. Dies ist auf einen seit Jahren auch

bundesweit kontinuierlichen Anstieg der Verordnungen der zum Teil kritisch diskutierten Arzneimittel Metamizol und Flupirtin zurückzuführen (s. u.). Die Verordnungen für Analgetika wie Paracetamol und Acetylsalicylsäure nehmen ab. Der Umfang des Einsatzes apothekenpflichtiger Analgetika, die der Patient selber bezahlt, ist mangels Verord-nungsdaten nicht einschätzbar.

Abbildung1

Nicht-Opioid-AnalgetikaundMedikationbeineuropathischenSchmerzen—VerordnungenundKostenim1.Halbjahr2012

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Kosten je DDD in EUR

1,48 3,45 4,98 2,15 0,63 3,46 0,43

Anzahl in Mio.EUR / DDD

MedikationbeineuropathischemSchmerz

Bei Betrachtung der Arzneimittel aus der Gruppe der Antidepressiva und Antiepileptika, die zur Behandlung des neu-ropathischen Schmerzes zugelassen sind, kann aus den reinen Verordnungszahlen der Einsatz in den verschiedenen Indikationsbereichen nicht abgeschätzt werden.

Auf die Wirkstoffe Pregabalin, Gabapentin und Carbamazepin aus der Gruppe der Antiepileptika entfielen in Westfa-len-Lippe im 1. Halbjahr 2012 Kosten von fast 21 Millionen Euro. Dies entspricht zirka 18 Millionen verordneter Tages-therapiedosen (DDD). Die Antidepressiva Duloxetin und Amitriptylin wurden für rund 11 Millionen Euro verordnet (rund acht Millionen DDD).

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Abbildung2

Nicht-Opioid-AnalgetikaundMedikationbeineuropathischenSchmerzen—Kosten1.Halbjahr2012undprozentualeVeränderunggegenüber1.Halbjahr2011

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Metamizo

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Flupirti

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Parace

tamol

ASS

Pregab

alin

Gabap

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Carbam

azep

in

Duloxe

tin

Amitripty

lin

Kosten in Mio. EUR

-15,0%

+14,2%

+7,8% +3,5%

-8,6%

+9,9%

-16,6%

+13,8%

+2,2%

Anhand der Patientendaten einer großen Krankenkasse in Westfalen-Lippe wurde analysiert, bei welchen Indikatio-nen die antiepileptischen Arzneimittel primär eingesetzt werden. In Übereinstimmung mit bundesweiten Daten (1) scheint Pregabalin überwiegend zur Behandlung des neuropathischen Schmerzes eingesetzt zu werden, deutlich weniger bei den sonstigen Indikationen wie Epilepsie und generalisierten Angststörungen.

Für die Wirkstoffe Gabapentin, Amitriptylin und Carbamazepin findet sich diese deutliche Gewichtung innerhalb der zugelassenen Indikationen nicht. Die Verordnungszahlen für Pregabalin sind auch im 1. Halbjahr 2012 in Westfalen-Lippe mit 13 Prozent deutlich angestiegen. Somit besteht offenbar eine Diskrepanz zwischen der Verordnungssitua-tion und den Empfehlungen für die Zusatzmedikation neuropathischer Schmerzen wie z. B. der KBV und der Arznei-mittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2).

II.DifferenzierungdesneuropathischenSchmerzes

Neuropathische Schmerzen werden durch Schädigung oder Erkrankung des somatosensorischen Systems hervorge-rufen. Die Heterogenität der Symptome, postulierter Mechanismen und Ursachen erschweren die Behandlung der Krankheit. Patienten beschreiben den Zustand oft mit einem brennenden oder tauben Gefühl. Ein aufsteigendes Prickeln, Kribbeln oder Jucken wird ebenfalls häufig empfunden. Nicht selten wird eine Allodynie oder Hyperalgesie entwickelt. Ge-nerell wird das Syndrom in zwei Kategorien unterteilt. Der periphere neuropathische Schmerz kann im Verlauf einer Dia-beteserkrankung, aber auch postherpetisch oder -operativ entstehen. Medikamente wie die Krebstherapeutika Vincri-stin, Cisplatin und Paclitaxel oder das Antiarrhythmikum Amiodaron können für eine Auslösung verantwortlich sein. Die Trigeminus-Neuralgie zählt ebenfalls zu dieser Gruppe. Zentrale neuropathische Schmerzen entstehen z. B. nach ei-nem Schlaganfall, einer Rückenmarksverletzung oder der multiplen Sklerose (3).

Die Prävalenz des neuropathischen Schmerzes soll in Europa bei sieben bis acht Prozent liegen. Diabetiker sollen das Krankheitsbild sogar zu 50 Prozent entwickeln, wobei nur 10 Prozent hiervon berichten (4, 5).

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III.PrinzipienderPharmakotherapie

Aufgrund der nicht abschließend geklärten Ursachen, Pathomechanismen und Auslöser des neuropathischen Schmerzes lässt sich kein allgemein gültiges, gesichertes Therapieprinzip angeben. Die Auswahl des geeigneten Wirkstoffes erfolgt pati-entenindividuell. Bei der Wahl der Medikation sollten neben Schmerzcharakter und Grunderkrankung insbesondere Komorbi-ditäten und psychische Begleiterkrankungen sowie die Lebensführung berücksichtigt werden. Neben der Reduktion beein-trächtigender Schmerzen können eine Verbesserung der Schlaf- und Lebensqualität sowie die Fortführung sozialer Aktivitäten und einer Arbeitstätigkeit weitere (realistische) Therapieziele sein. Eine komplette Schmerzfreiheit ist i. d. R. nicht zu erreichen.

Eine Präferenz bestimmter Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen zur Erstlinientherapie kann mangels direkter Evidenz aus ver-gleichenden Studien für die meisten Indikationen nicht sicher begründet werden. Aus der in verschiedenen Leitlinien daher überwiegend auf Expertenkonsens benannten Auswahl geeigneter Wirkstoffe empfiehlt sich, unter Berücksichtigung zusätz-licher Gesichtspunkte wie Zulassungsstatus und Wirtschaftlichkeit i. d. R. zunächst eine Therapie mit zentral wirkenden Phar-maka wie dem trizyklischen Antidepressivum Amitriptylin oder dem Antikonvulsivum Gabapentin zu beginnen. Die Dosierung wird i. d. R. orientiert an Wirkung und Unverträglichkeiten, schrittweise bis zum maximal erreichbaren Effekt angepasst.

Bei unzureichendem therapeutischen Effekt kann häufig zunächst die Wirkstoffgruppe gewechselt werden. Bei weiterhin unbefriedigendem Erfolg sind nachfolgend als alternative Therapeutika v. a. Duloxetin oder Pregabalin, seltener auch Kombi-nationen, zu empfehlen, wobei z. B. für Pregabalin spezifische UAW wie z. B. das Abhängigkeitspotenzial abzuwägen sind. Hierüber sollte der Patient vor Beginn der Therapie unterrichtet werden. Nicht nur bei Patienten mit Suchthistorie sollte die Therapie mit Pregabalin genau überwacht werden (5). Ein Wechsel der Medikation sollte vorsichtig und überlappend vorge-nommen werden, um Schwankungen der Schmerzempfindung zu vermeiden (1, 3, 4, 5, 6, 7). Nur bei Trigeminusneuralgie gilt Carbamazepin als Mittel der Wahl.

Wenn diese Therapiemaßnahmen keinen ausreichenden Erfolg zeigen, kann zusätzlich die retardierte Gabe niedrig dosierter Opiate wie Tramadol oder Morphin erfolgen. Die Therapie sollte jedoch nicht mit Opiaten begonnen werden. Ein Behandlungs-erfolg ist dabei meist erst nach ein bis zwei Wochen zu beobachten, spätestens nach sechs Wochen sollte eine Überprüfung des Therapiefortschritts stattfinden. Eine Dosisreduktion nach drei bis sechs Monaten ist zweckmäßig, da ein längerer Einsatz im Regelfall keine Schmerzmilderung erzielt (10).

Darüber hinaus können bei peripheren neuropathischen Schmerzen lokale Therapiemaßnahmen in Betracht kommen. Hierzu zählen Lokalanästhetika wie Lidocainpflaster bei postherpetischer Neuropathie oder Capsaicinpflaster zur Desensibilisierung bei HIV-Neuropathie.

TIPP

Bitte beachten Sie die nachfolgenden spezifischen Informationen

zu den einzelnen Arzneimitteln.

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N03AF01 Carbamazepin MittelderWahlbeiTrigeminusneuralgie

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt in ihrer Leitlinie Carbamazepin bei typischer Trigeminusneural-gie als Mittel der ersten Wahl. Nur durch ältere Studien sind Wirkungen bei zentralen Schmerzsymptomen und schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie beschrieben, so dass es aufgrund dieser Evidenzlage nicht bei ande-ren neuropathischen Schmerzsyndromen empfohlen wird (6).

Zu vergleichbaren Empfehlungen kommen andere Leitlinien, denn in den Studien mit Carbamazepin wurden unter-schiedliche Resultate beobachtet. Während kleinere Studien einen Effekt erkennen ließen, zeigten größere place-bokontrollierte Studien wenig bis gar keinen Nutzen (4).

Zur Behandlung schmerzhafter diabetischer Polyneuropathien empfiehlt u. a. auch die Nationale Versorgungsleit-linie den Wirkstoff bis auf seltene Ausnahmefälle nicht, da die qualitativ unzureichende Studienlage keinen Schluss auf die analgetische Wirkung zulässt. Des Weiteren sollten potenziell gefährliche Arzneimittelwirkungen bei einer Verordnung berücksichtigt werden. Vielmehr sollten zuerst andere Wirkstoffe mit geringerem UAW-Potenzial ver-ordnet werden (4, 5, 7, 9).

Als unerwünschte Wirkungen sind vor allem Benommenheit, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Ataxie, Exanthe-me sowie Blutbildveränderungen und Leberschäden beschrieben. Zu beachten ist eine Enzyminduktion durch Carb-amazepin und damit veränderte Wirkkonzentrationen von anderen Arzneimitteln wie Warfarin.

N03AX12 Gabapentin generischverfügbareTherapieoption

Die Verordnung des γ-Aminobuttersäure-Analogons hat in Westfalen-Lippe im 1. Halbjahr 2012 um 3,5 Prozent zugenom-men. Der Anteil zur Therapie des neuropathischen Schmerzes bestimmter Verordnungen ist nicht exakt bestimmbar. Es ist ähnlich schmerzlindernd wie Amitriptylin, jedoch bei höheren Therapiekosten und ohne nachgewiesene Vorteile (1).Die Nationale Versorgungsleitlinie zur „Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter“ nennt Gabapentin analog zu anderen Leitlinien (4, 5, 6) als Therapieoption (7). Gleichwohl wird darauf hingewiesen, dass die Studienlage nicht über-zeugend ist, da Hinweise auf einen Publikationsbias zugunsten des Wirkstoffes eine aussagekräftige Bewertung des Nutzens der Substanz einschränken (7).

Therapieabbrüche wurden in Studien häufiger als unter Placebo beobachtet, was aber faktisch für alle hier einschlägigen Wirkstoffe gilt, ohne dass direkt vergleichende Häufigkeiten hierzu vorliegen (3).

Häufige Nebenwirkungen sind Schwindel, Müdigkeit und Gangstörungen sowie weitere zentralnervöse Störungen inkl. Sehstörungen, daneben auch Knöchelödeme, gastrointestinale Unverträglichkeiten etc. Die Verträglichkeit wird von den deutschen Leitlinien als insgesamt gut eingeschätzt, Nebenwirkungen vor allem anfänglich. In der Aufdosierungsphase wird eine Kontrolle der Pankreasenzyme empfohlen. Bei Nierenfunktionseinschränkungen, auch ggfs. altersbedingt, sollte eine Dosisanpassung erfolgen (6, 7).

IV.SubstanzenzurTherapiedesneuropathischenSchmerzes—InformationenzueinzelnenWirkstoffen

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N03AX16 Pregabalin Therapieoption

Ähnlich wie Gabapentin ist Pregabalin ein Analogon der γ-Aminobuttersäure und zugelassen zur Therapie des neu-ropathischen Schmerzes sowie zur Behandlung von generalisierten Angststörungen und als Zusatzbehandlung bei fokaler Epilepsie im Erwachsenenalter (16).

Die Verordnungen für Pregabalin setzen den bestehenden Trend 2012 fort, mit wiederum zirka 14 Prozent höheren Verordnungskosten im 1. Halbjahr 2012 in Westfalen-Lippe. Aufgrund der generischen Verfügbarkeit der anderen in diesem Kapitel beschriebenen Substanzen ist zunächst ein Therapieversuch mit diesen anzuraten. Diese Empfeh-lung stützt sich auf verschiedene Leitlinien, in denen eine begründete Präferenz von Pregabalin gegenüber Gaba-pentin oder anderen Wirkstoffen nicht erkennbar ist (4, 6, 8).

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die AkdÄ bewerten bereits 2007:

„Pregabalin ist, wie Gabapentin, kein Mittel der ersten Wahl bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen. Ande-re Substanzgruppen (nichtselektive Monoamin-Rücknahmeinhibitoren, wie Amitriptylin, retardierte Opioide, Carb-amazepin) sind gleich wirksam, aber kostengünstiger.“ (2)

Therapieabbrüche sollen nach indirektem Vergleich der Daten von zwei Cochrane-Reviews häufiger unter Pregaba-lin als unter Gabapentin stattfinden (11).

Da die beiden Wirkstoffe Gabapentin und Pregabalin an der gleichen Bindungsstelle ansetzen, ist es unwahrschein-lich, dass bei erfolgloser Therapie mit einem der beiden Antikonvulsiva ein Wechsel auf das andere wirksam sein wird. Vorrangig sollte daher dann ein Wechsel zu einem trizyklischen Antidepressivum erfolgen (3). Die AkdÄ weist darauf hin, dass Vergleiche zur Wirksamkeit bei Patienten, die nicht auf Gabapentin, aber auf Amitriptylin ange-sprochen haben, fehlen (16). Nach Angaben des Arzneimittelbriefes waren mit Gabapentin erfolglos vorbehandelte Patienten von den Studien ausgeschlossen (10). Ergebnisse einer nicht publizierten Vergleichsstudie zeigen sogar eine geringere Wirksamkeit als Amitriptylin (1).

Bei allen zugelassenen Indikationen — neuropathischer Schmerz, Epilepsie, generalisierte Angststörungen — be-trägt die Dosierung initial 150 mg Pregabalin / Tag. Dosissteigerungen erfolgen, abhängig vom Ansprechen und der individuellen Verträglichkeit, in zwei Schritten bis zur maximalen Tagesdosis von 600 mg.

Unerwünschte Wirkungen treten häufig auf. Benannt sind v. a. Schwindel, Müdigkeit, Gangstörungen und Ataxie und andere zentralnervöse Störungen inkl. Sehstörungen, gastrointestinale Unverträglichkeiten, periphere Ödeme und eine Gewichtszunahme. Letztere kann nach Einschätzung der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) bei Diabe-tikern problematisch sein (7). Bei Nierenfunktionseinschränkungen, auch ggfs. altersbedingt, ist die Dosis gleich-falls anzupassen

In der letzten Zeit sind vermehrt missbräuchliche Anwendungen bis hin zu Abhängigkeiten, in Einzelfällen mit Ein-nahmen von 3.000 mg und sogar 7.500 mg am Tag berichtet worden. Das Abhängigkeitspotenzial ist dabei zurück-zuführen auf die GABA-ergen Eigenschaften des Pregabalins, wie sie sich auch bei Benzodiazepinen und Barbitura-ten finden. Seit 2011 findet sich hierzu ein Warnhinweis in der Fachinformation. Somit soll der Patient bereits zu Beginn der Therapie über das Abhängigkeitspotenzial aufgeklärt werden. Aber nicht nur bei Patienten mit Suchthi-storie sollte die Therapie mit Pregabalin genau überwacht werden. Ärzte sind aufgefordert, über den Berichtsbo-gen des Deutschen Ärzteblattes Verdachtsfälle zu melden (12).

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N06AA09 Amitriptylin generischverfügbareTherapieoption

Der kostengünstige nichtselektive Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitor ist eine Therapieoption bei der Therapie des neuropathischen Schmerzes. Er wird sowohl bei schmerzhaften diabetischen Polyneuropathien, postherpetischer Neuralgie, aber auch bei zentralen Schmerzsyndromen gleichrangig neben anderen Wirkstoffen empfohlen (7, 6, 4, 8, 3). Da die Wirksamkeit sich frühestens nach zwei Wochen feststellen lässt, sollte ein zu frühes Absetzen vermie-den werden (1).

Amitriptylin und ggfs. alternativ zu erwägende, zugelassene trizyklische Antidepressiva wie Clomipramin oder Imi-pramin sollten insbesondere auch bei älteren Menschen niedrig dosiert begonnen und langsam je nach Wirkung und Verträglichkeit auftitriert werden. Die für eine ausreichende Schmerzwirkung erforderliche Dosis liegt i. d. R. in ei-nem deutlich niedrigeren Dosisbereich, als sie für eine antidepressive Behandlung notwendig ist. Dies ist insbeson-dere im Hinblick auf potenzielle Nebenwirkungen bedeutsam. Der Einsatz von Amitriptylin und anderer trizyklischer Antidepressiva sollte bei sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung unter Beachtung von Kontraindikationen und Ne-benwirkungen erfolgen (5, 7, 6). Die Nationale Versorgungsleitlinie weist auf das bei Patienten ab dem 65. Lebens-jahr in retrospektiven Studien beschriebene vermehrte Auftreten von Gegenanzeigen und Anwendungsbeschrän-kungen nach Beginn einer Amitripyilin-Therapie hin; zur Risikoeinschätzung sollte v. a. bei älteren Patienten vor Therapiebeginn ein EKG angefertigt werden.

Neben häufigen unerwünschten Wirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Schlafstörungen, Vergesslichkeit, Obstipati-on, Mundtrockenheit, Miktionsbeschwerden, orthostatischer Dysregulation oder kardialen Nebenwirkungen sind auch Kontraindikationen wie unbehandeltes Engwinkelglaukom, QT-Intervallverlängerungen oder andere signifi-kante kardiale Störungen (z. B. kürzlicher Infarkt, Arrhythmien), Prostatahypertrophie mit Restharn, hirnorgani-sche Schädigungen oder Arzneimittel wie MAO-Hemmer zu beachten (2, 13).

Bei Auftreten sedierender und anticholinerger Nebenwirkungen und gleichzeitige Kontraindikation ist ggfs. eine Umstellung auf andere trizyklische Antidepressiva möglich.

N06AX21 Duloxetin TherapieoptionbeidiabetischerNeuropathie

Duloxetin ist ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und wird in der Behandlung von Depressionen, generalisierten Angststörungen, diabetischer Polyneuropathie und Harninkontinenz eingesetzt. In den Studien wurden neben den psychischen Beschwerden auch begleitende körperliche Symptome (z. B. Schmer-zen) gelindert.

Die Verordnungszahl stieg in Westfalen-Lippe im 1. Halbjahr 2012 um zirka 16 Prozent (Kosten um zirka 14 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr, wobei der genaue Anteil zur Behandlung chronischer Schmerzzustände unklar bleibt. Eine effektive und sichere Therapie lässt sich durch Studien nur für die Behandlung der schmerzhaften diabeti-schen Neuropathie belegen. Eine generelle Behandlungsempfehlung für die Therapie des neuropathischen Schmer-zes wird daher in Leitlinien nicht ausgesprochen (3, 4, 5, 6, 7), zumal entsprechende Präparate für andere Neuro-pathieindikationen bislang auch nicht zugelassen sind.

In den ersten Wochen kann es zu Übelkeit und Erbrechen kommen. Außerdem sollte eine mögliche Blutdrucksteige-rung durch regelmäßige Kontrollen rechtzeitig erkannt werden; Duloxetin ist bei Patienten mit unkontrolliertem Bluthochdruck, der die Patienten der möglichen Gefahr einer hypertensiven Krise aussetzen könnte, kontraindiziert (14). Kardiovaskuläre Ereignisse wurden infolge der Duloxetin-Einnahme vereinzelt berichtet, auch liegen einige Fälle hepatotoxischer Nebenwirkungen vor (4). Im Falle eines Glaukoms ist Duloxetin kontraindiziert.

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M02AB01 Capsaicin LokaleTherapieoption

Capsaicin ist ein selektiver Agonist für den TRPV1-Rezeptor (transient receptor potential vanilloid 1). Das verschrei-bungspflichtige Qutenza® ist ein kutanes Pflaster, das 179 mg des Alkaloids Capsaicin enthält (zum Vergleich: das freiverkäufliche ABC-Pflaster enthält 11 mg Capsaicin). Qutenza® ist zugelassen zur Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen bei Erwachsenen, die nicht an Diabetes leiden. Es kann als Monotherapie oder in Kom-bination mit anderen Arzneimitteln gegen Schmerzen angewendet werden.

Die Wirksamkeit wird auf Grundlage der vorliegenden kontrollierten Studien als gering bewertet und der Stellen-wert in der Behandlung der HIV-assoziierten Neuropathie am Fuß und sonstiger neuropathischer Beschwerden als unklar (6, 15). Begrenzte Wirksamkeitsdaten liegen v. a. noch für die postherpetische Neuropathie vor. Bei Diabetes ist eine Anwendung des Wirkstoffes gemäß Fachinformation nicht vorgesehen, die Datenlage nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) widersprüchlich (6).

N02BB02 Metamizol Nicht-Opioid-AnalgetikummitspasmolytischerWirkung

Metamizol/Novaminsulfon ist ein Pyrazolon-Derivat und besitzt unter den Schmerzmitteln dieser Gruppe die höch-ste analgetische und antipyretische Wirkung.

Anwendungsgebiete sind starke akute oder chronische Schmerzen (postoperativ, Tumorschmerz) sowie hohes Fie-ber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht. Aufgrund seiner spasmolytischen Wirkung kann Metamizol auch zur Schmerztherapie bei Koliken der Gallen- und Harnwege eingesetzt werden.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) betont die sehr gute Wirkung insbesondere post-operativ, bei Kolikschmerzen und bei (viszeralen) Tumorschmerzen. Eine individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung und die Auswahl vorhandener Alternativen zur Behandlung starker Schmerzen sollten über die Anwendung ent-scheiden (16, S. 237). Angesichts der Gefahr der Sensibilisierung und Auslösung von Agranulozytosen sowie Schock-reaktionen (nach i.v.-Gabe), weist der Arzneiverordnungsreport (AVR) darauf hin, dass die zuverlässige schmerz-stillende Wirkung von Metamizol durch intravenöse Anwendung z. B. bei Steinkoliken sicherer sein könnte, ohne einen kritiklos gesteigerten Einsatz von Pyrazol-Derivaten bei leichten Schmerz- und Fieberzuständen (1, S. 265-266).

Eine Agranulozytose kann sich bei Vorsensibilisierung auch sehr rasch, nicht erst nach etwa einer bis mehreren Wochen entwickeln. Die AkdÄ warnte 2011 nochmals vor dem Risiko der Agranulozytose angesichts der Meldung von etwa 300 Fällen im Zusammenhang mit Metamizol zwischen 1990 und 2010 mit etwa 20 Prozent tödlichem Ausgang (17). AkdÄ und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weisen darauf hin, dass die Erstlinientherapie bei leichten und mittelschweren Schmerzen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Profil hat und durch die Zulassung nicht gedeckt ist (17, 18).

Auch wenn schwerwiegende Komplikationen sehr seltene, aber deswegen gegebenenfalls auch unterschätzte Er-eignisse sind, sollte das von der Zulassungsbehörde auf starke Schmerzen und hohes refraktäres Fieber jeweils unter den benannten Voraussetzungen eingeschränkte Indikationsgebiet gemäß Fachinformation wie auch Kontra-indikationen (z. B. vorbestehende Blutbildveränderungen) und Vorsichtsmaßnahmen (Kontrolle von Blutbild und Klinik) für die Anwendung dieses potenten Schmerzmittels strikt beachtet werden.

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N02BG07 Flupirtin UmstrittenesTherapieprinzip

Dem zentral wirkenden, nichtopioiden Analgetikum Flupirtin werden analgetische und muskelverspannungslösende Wir-keffekte zugeschrieben.

Flupirtin ist als retardierte und nichtretardierte Zubereitung zur Behandlung akuter und chronischer Schmerzen wie schmerzhaften Muskelverspannungen der Halte- und Beugemuskulatur zugelassen. Für den unretardierten Wirkstoff werden in Fachinformationen explizit weitere Indikationen wie Spannungskopfschmerzen, Tumorschmerzen, Dysmenor-rhoe und postoperative Schmerzen genannt. Für Kinder stehen vorzugsweise Kinderzäpfchen mit geringerer Einzel- und Gesamttagesdosis zur Verfügung (27), retardiertes Flupirtin ist kontraindiziert.

Dem breiten zugelassenen Anwendungsgebiet stehen allerdings nur begrenzte Erkenntnisse zur Wirksamkeit und zu-rückhaltende bis fehlende publizierte Empfehlungen deutscher Fachgesellschaften gegenüber.

Die AkdÄ stuft es als Analgetikum der 2. bis 3. Wahl bei muskuloskelettalen Schmerzen ohne belegte Vorteile gegenüber anderen Nicht-Opioid-Analgetika ein (16, S. 239). Die Datenlage vorrangig auf Basis placebokontrollierter Studien wird als unzureichend eingeschätzt (16, 19, S. 1827-1828). Flupirtin wird ausdrücklich nicht zur Primärtherapie empfohlen (16).

Das arznei-telegramm® sieht bei unzureichend dokumentierten Nutzen und Risiken v. a. auch zur Langzeitanwendung keinen definierten Stellenwert in der Schmerztherapie (19). Nach Angaben des arznei-telegramms® ist der Wirkstoff Flupir-tin auch international nur wenig gebräuchlich (19).

So führt z. B. die Leitlinie des NICE zur Behandlung von Rückenschmerzen Flupirtin nicht unter den medikamentösen Emp-fehlungen auf (20).

Eine grundsätzliche Empfehlung oder vorrangige Benennung von Flupirtin findet sich weder in den Leitlinien „Nacken-schmerzen“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, zur Therapie von Spannungskopfschmerzen und anderer chronischer Kopfschmerzen der DGN, zur Therapie idiopathischer Kopfschmerzen bei Kindern, Empfehlungen der AkdÄ zur Behandlung von Tumorschmerzen oder sonstigen Empfehlungen (1, 16, S. 263, 21, 22, 23, 24).

In der Nationalen Versorgungsleitlinie (25) „Kreuzschmerz“ von BÄK, KBV, AWMF und diversen Fachgesellschaften heißt es: „Flupirtin soll zur Behandlung von akutem und chronischem nichtspezifischem Kreuzschmerz nicht angewendet wer-den.“

„Bei einem nicht erbrachten Wirksamkeitsvorteil im Vergleich zu anderen Analgetika sind die Häufung der Meldungen von Leberschäden unter Flupirtin und die mögliche Lebertoxizität der Substanz bis hin zum akuten Leberversagen [252] sowie die Verdachtsberichte zur Flupirtin-Abhängigkeit [253]3 zu beachten.“ Durch sehr häufig (≥ 10 Prozent) auftreten-de Müdigkeit besteht eine Einschränkung der Fahrtüchtigkeit (25, S. 96).

Diese Einschätzung wird weiterhin mangels ausreichend publizierter Daten zur Wirksamkeit in der Anwendung bei Rückenschmerzen aktuell bekräftigt. Bei unzureichend belegtem Nutzen und einer Häufung von Berichten über Abhän-gigkeit und Leberschäden wird vom arznei-telegramm® von der Anwendung unverändert abgeraten (26)

4

.

Vor diesem Hintergrund sind stetig steigende Verordnungszahlen für Flupirtin in Westfalen-Lippe (knapp 8 Prozent Umsatzsteigerung im 1. Halbjahr 2012 im Vergleich zu 2011) wie bundesweit nicht nachvollziehbar (1, S. 274). Den erheblich höheren Kosten im Vergleich zu anderen Analgetika, gemessen an den mittleren Tagestherapiekosten (zwei- bis zehnfach), steht kein entsprechender Zugewinn an therapeutischer Wirksamkeit gegenüber.

3 Die Referenzen beziehen sich auf Mitteilungen der AkdÄ zu Leberschäden und Abhängigkeit.

Eine vom Hersteller gesponserte Studie (sog. SUPREME-Studie) mit Flupirtin im Vergleich zu Placebo bzw. Tramadol zur Kurzzeittherapie (4 Wochen) bei Rückenschmerzen ist

weiterhin bislang nicht vollständig publiziert und daher nicht abschließend beurteilbar.

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Verordnungsmanagement
Textfeld
Die EMA, PRAC (Pharmakovigilanz-Ausschuss für Risikobewertung) nahm eine Neubewertung der Nutzen und Risiken vor, nachdem Bedenken zur Hepatotoxizität in Verbindung mit Flupirtin-haltigen Arzneimitteln sowie zur Wirksamkeit aufgrund unzureichender Nachweise bei chronischen Schmerzen aufgetreten waren. Die Zulassung wurde Juli 2013 bzgl. Zulassung und Warnhinweisen angepasst. Die wichtigsten Indikations-Änderungen sind: Flupirtin ist nur für die Behandlung von akuten Schmerzen bei Erwachsenen indiziert und darf nur angewendet werden, wenn eine Behandlung mit anderen Analgetika (z. B. nicht-steroidale Antirheumatika, schwache Opioide) kontraindiziert ist. Die Dauer der Behandlung für orale Darreichungsformen und Zäpfchen darf zwei Wochen nicht überschreiten. Flupirtin-Lösung zur Injektion (i.m.) ist als Einzeldosis zur Anwendung bei Erwachsenen mit postoperativen Schmerzen indiziert.
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Optimierung der Pharmakotherapie — Informationen und Vorschläge

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N02BE01 Paracetamol AnalgetikumderWahl

Paracetamol wirkt schmerzstillend und fiebersenkend. Paracetamol besitzt eine etwas geringere analgetische Wir-kung als Metamizol und NSAR. Es besitzt keine antiphlogistische Wirkung wie NSAR oder spasmolytische Wirkkom-ponente wie Metamizol.

Wegen potenzieller hepatotoxischer Reaktionen sollte die Tageshöchstdosis von vier Gramm nicht überschritten werden. Das frei verkäufliche Paracetamol wird im Rahmen der Selbstmedikation als Monopräparat oder in Kombi-nationspräparaten zur symptomatischen Behandlung von Erkältungsbeschwerden und Schmerzen eingesetzt.

Die Datenlage der jahrzehntelangen Anwendung ergibt, dass der analgetische Nutzen, die Häufigkeit und Intensität von UAW sowie die Kosten in einem günstigeren Verhältnis zueinander stehen als bei anderen Nichtopioiden (16, S. 237). Eine Risikobewertung kommt aktuell im September 2012 in einer Publikation im Namen von BfArM und dem Paul-Ehrlich-Institut zu dem Schluss:

„Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch wird keine klinisch relevante Leberschädigung beobachtet. Im Gegensatz zu Analgetika aus der Gruppe der NSAR ist ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale oder kardiovaskuläre Nebenwir-kungen derzeit nicht belegt. Auch ein erhöhtes Risiko für Asthma oder Lageanomalien des Hodens nach Exposition in der Schwangerschaft kann auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht angenommen werden. Paracetamol ist weiterhin das Analgetikum und Antipyretikum der Wahl in der Schwangerschaft.“(28)

Aufgrund der günstigen Nutzen-Risiko-Relation kann Paracetamol als Analgetikum der Wahl zur akuten und chro-nischen Therapie bei leichten Schmerzzuständen eingestuft werden (16, S. 237).

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Optimierung der Pharmakotherapie — Informationen und Vorschläge

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Literaturverzeichnis

(1) Arzneiverordnungsreport (AVR) 2011, Hrsg. Schwabe u. Paffrath, Kap. 39

(2) KBV Wirkstoff AKTUELL: Pregabalin. 2/2007

(3) National Institute for Health and Clinical Excellence. Pharmacological management of neuropathic

pain in non-specialist settings. [online] Clinical guidelines CG96 March 2010 Available from:

http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/12948/47949/47949.pdf

(4) EFNS Panel Neuropathic Pain. EFNS guidelines on the pharmacological treatment of neuropathic

pain: 2010 revision. European Journal of Neurology 2010, 17: 1113-1123

(5) CPS Canadian Pain Society. Pharmacological management of chronic neuropathic pain — Consensus

statement and guidelines from the Canadian Pain Society. Pain Res Manag. 2007 Spring;12(1):13-21.

(6) DGN-Leitlinie: Therapie neuropathischer Schmerz; Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 4. Auflage 2008

(7) Nationale Versorgungsleitlinie. Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter. Version 1.2 Nov. 2011 NVL

(8) CPS Canadian Pain Society. Pharmacological management of chronic neuropathic pain — Consensus

statement and guidelines from the Canadian Pain Society. Pain Res Manag. 2007 Spring;12(1):13-21

(9) National Institute for Health and Clinical Excellence. Pharmacological management of neuropathic

pain in non-specialist settings. [online] Clinical guidelines CG96 March 2010. Available from:

http://www.nice.org.uk/nicemedia/live/12948/47949/47949.pdf

(10) Arzneimittelbrief (AMB) 45 (2011), S. 29

(11) Arzneimittelbrief (AMB) 45 (2011), S. 65-69

(12) Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Abhängigkeitspotenzial von Pregabalin (Lyrica®)

vom 28.01.2011 (http://www.akdae.de)

(13) Fachinformationen Amitriptylin

(14) KBV Wirkstoff AKTUELL: Duloxetin. 3/2009

(15) KBV Wirkstoff AKTUELL: Capsaicin kutanes Pflaster. 8/2010

(16) AkdÄ (Hrsg.): Arzneiverordnungen, 22. Auflage 2009

(17) AkdÄ: Agranulozytose nach Metamizol — sehr selten, aber häufiger als gedacht, (Aus der UAW-Daten

bank), Dt. Ärzteblatt 19.08.2011, S. A 1758

(18) J. Rotthauwe: Metamizol — Indikationsstellung, Gegenanzeigen, Vorsichtsmaßnahmen und Warnhinweise

beachten; Bulletin zur Arzneimittelsicherheit: Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 3, September

2011, S. 9-11

(19) Arzneimittelkursbuch 2010/2011, transparenz-telegramm, Berlin 2010

(20) National Institute for Health and Clinical Excellence: Low back pain, Early management of persistent non-

specific low back pain; NICE clinical guideline 88, May 2009; www.nice.org.uk

(21) DEGAM-Leitlinie Nr. 13: Nackenschmerzen, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedi-

zin (DEGAM), Stand 6/2009, AWMF Register 053/007

(22) DGN-Leitlinie: Therapie des episodischen und chronischen Spannungskopfschmerzes und anderer chroni-

scher täglicher Kopfschmerzen; Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Stand 2008;

http://www.dgn.org/neurologische-leitlinien-online.html

(23) F. Ebinger et al.: Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter, Monatszeitschrift

Kinderheilkunde 157 (2009), S. 599-610

(24) Arzneiverordnung in der Praxis (AVP): Tumorschmerzen; Therapieempfehlungen der Arzneimittelkom

mission der Deutschen Ärzteschaft, 3. Auflage 2007

http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/A-Z/PDF/Tumorschmerz.pdf#page=1&view=fitB

(25) Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissen

schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz —

Langfassung. Version 1.2., Stand 8/2011; http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/kreuzschmerz

(26) arznei-telegramm® 2012, Jg. 43, Nr. 7, S. 61-62, 2

(27) Fachinformationen: Katadolon®, Katadolon® S long, Trancopal® Dolo, Trancolong®

(28) J. Rotthauwe (BfArM): Wirksamkeit und Risiken von Paracetamol, Bulletin zur Arzneimittelsicherheit, 3

2012, S. 11-14 (www.bfarm.de und www.pei.de/bulletin-sicherheit)

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