Organisiertes Licht am Nordhang - bauwelt.de · 36 Thema Siedlung in Graz Bauwelt 43 | 2006 Bauwelt...

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Bauwelt 43 | 2006 32 Bauwelt 43 | 2006 33 Organisiertes Licht am Nordhang Siedlung Alphawolf in Graz-Andritz: Pentaplan/T.O.M. Text: Oliver Elser 150 Wohneinheiten, realisiert in einer komplett neuen Sied- lung, sind für Grazer Verhältnisse eine beachtliche Größenord- nung. Gänzlich ungewöhnlich sind die Bedingungen, unter denen das Abbaugebiet einer Ziegelfabrik namens Wolf zum Wohngebiet umgewandelt wurde. Denn kein Investor fand sich bereit, den schwierigen Nordhang zu bebauen, nur ein bei der Projektentwicklung bereits erfahrenes Architektur- büro. Das „tiefe Haus“ in Mariatrost, gebaut zwischen 1996 und 1999, war das erste Projekt, bei dem das Büro Pentaplan die Seiten gewechselt und sich sozusagen selbst den Auftrag zum Bauen gegeben hatte. Es entstand, räumen die Architek- ten ein, aus der puren Not heraus, da sich auf dem üblichen Weg keine Aufträge akquirieren ließen. Der Erfolg der entlang einer Garage aufgefädelten dreigeschossigen Wohnungen in ei- nem 28 Meter tiefen Baublock sprach sich in der Grazer Szene herum, und Pentaplan galt fortan als Problemlöser für schwie- rige Grundstücke. Alphawolf, die Wohnsiedlung auf dem Gelände der Zie- gelei Wolf, wird nach und nach in insgesamt vier Bauabschnit- ten errichtet. Erst wenn die Häuser einen Käufer gefunden haben, wird mit dem Bau begonnen. Im Ganzen verantwort- Blick auf die Bauabschnitte I, II und III: Die Bebauung auf einem Nordhang nahe Graz folgt dem Gelände und eröff- net so jeder Hauseinheit Aus- blicke auf den Plabutsch, ins Murtal und zum Schöckel. Lageplan ohne Maßstab Thema Siedlung in Graz lich für das Projekt zeichnet T.O.M, „Total Object Manage- ment“, ein Grazer Zusammenschluss von in unterschiedli- chen Bereichen auf dem Immobilienmarkt Tätigen – Planer, Bauträger, Makler, Verwalter –, der den potentiellen Bauher- ren vom Entwurf bis zur Objektverwaltung zur Seite steht. Pentaplan bearbeiten in diesem Netzwerk die Aufgaben des Architekten. Fertiggestellt wurden bisher zwei Terrassenhäu- ser, eine Reihe von ungewöhnlich gestapelten Reihenhäusern sowie Atrium- und Hofhäuser. Bei den Reihen- und Terrassenhäusern ist die Lage am Nordhang noch auf vergleichsweise konventionelle Art zu be- wältigen. Sie sind in Nord-Süd-Richtung aufgereiht. Alle Wohn- räume weisen mit mindestens einer Fensterfront nach Westen. Die Hof- und Atriumhäuser hingegen sind in Ost-West-Aus- richtung in mehreren Terrassen an den Hang gebaut. Die Sonne wird über das Dach in die Wohnräume geholt, die an zwei Seiten geöffnet sind: gen Süden zum Atrium und in der Nordrichtung zur Landschaft. Der Atriumtypus, der üblicher- weise bei einer eingeschossigen „Teppichbebauung“ verwen- det wird, kann auf diese Weise um eine entscheidende Dimen- sion erweitert werden: den Ausblick. Aus dem Atrium blickt

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Organisiertes Licht am NordhangSiedlung Alphawolf in Graz-Andritz: Pentaplan/T.O.M.

Text: Oliver Elser

150 Wohneinheiten, realisiert in einer komplett neuen Sied-lung, sind für Grazer Verhältnisse eine beachtliche Größenord-nung. Gänzlich ungewöhnlich sind die Bedingungen, unter denen das Abbaugebiet einer Ziegelfabrik namens Wolf zum Wohngebiet umgewandelt wurde. Denn kein Investor fand sich bereit, den schwierigen Nordhang zu bebauen, nur ein bei der Projektentwicklung bereits erfahrenes Architektur-büro. Das „tiefe Haus“ in Mariatrost, gebaut zwischen 1996 und 1999, war das erste Projekt, bei dem das Büro Pentaplan die Seiten gewechselt und sich sozusagen selbst den Auftrag zum Bauen gegeben hatte. Es entstand, räumen die Architek-ten ein, aus der puren Not heraus, da sich auf dem üblichen Weg keine Aufträge akquirieren ließen. Der Erfolg der entlang einer Garage aufgefädelten dreigeschossigen Wohnungen in ei-nem 28 Meter tiefen Baublock sprach sich in der Grazer Szene herum, und Pentaplan galt fortan als Problemlöser für schwie-rige Grundstücke.

Alphawolf, die Wohnsiedlung auf dem Gelände der Zie-gelei Wolf, wird nach und nach in insgesamt vier Bauabschnit-ten errichtet. Erst wenn die Häuser einen Käufer gefunden haben, wird mit dem Bau begonnen. Im Ganzen verantwort-

Blick auf die Bauabschnitte I,

II und III: Die Bebauung auf

einem Nordhang nahe Graz

folgt dem Gelände und eröff-

net so jeder Hauseinheit Aus-

blicke auf den Plabutsch, ins

Murtal und zum Schöckel.

Lageplan ohne Maßstab

Thema Siedlung in Graz

lich für das Projekt zeichnet T.O.M, „Total Object Manage-ment“, ein Grazer Zusammenschluss von in unterschiedli-chen Bereichen auf dem Immobilienmarkt Tätigen – Planer, Bauträger, Makler, Verwalter –, der den potentiellen Bauher-ren vom Entwurf bis zur Objektverwaltung zur Seite steht. Pentaplan bearbeiten in diesem Netzwerk die Aufgaben des Architekten. Fertiggestellt wurden bisher zwei Terrassenhäu-ser, eine Reihe von ungewöhnlich gestapelten Reihenhäusern sowie Atrium- und Hofhäuser.

Bei den Reihen- und Terrassenhäusern ist die Lage am Nordhang noch auf vergleichsweise konventionelle Art zu be-wältigen. Sie sind in Nord-Süd-Richtung aufgereiht. Alle Wohn-räume weisen mit mindestens einer Fensterfront nach Westen. Die Hof- und Atriumhäuser hingegen sind in Ost-West-Aus-richtung in mehreren Terrassen an den Hang gebaut. Die Sonne wird über das Dach in die Wohnräume geholt, die an zwei Seiten geöffnet sind: gen Süden zum Atrium und in der Nordrichtung zur Landschaft. Der Atriumtypus, der üblicher-weise bei einer eingeschossigen „Teppichbebauung“ verwen-det wird, kann auf diese Weise um eine entscheidende Dimen-sion erweitert werden: den Ausblick. Aus dem Atrium blickt

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Grundrisse Erdgeschoss und

Obergeschoss der Atriumhäu-

ser im Maßstab 1:500

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man nicht nur in den Wohnraum, sondern durch diesen hin-durch in die Umgebung.

Der Zugang zu den zweigeschossigen Atriumhäusern er-folgt entweder von oben oder von unten. Die Eingangsebene auf Straßenniveau ist Keller- oder Fitnessräumen vorbehalten. Die Wohn- und Schlafebene rings um das Atrium wird über eine Treppe erreicht. Da die Käufer die Pläne für ihre Woh-nungen bereits vor Baubeginn das erste Mal begutachten konnten, haben sich in den einzelnen Typen jeweils eine Fülle von Änderungen ergeben. Grundsätzlich aber sind die Woh-nungen, die das Atrium umschließen, auf L-förmigem Grund-riss organisiert. Zwei Seiten des Atriums sind in der Regel ge-schlossene Wandflächen: Hinter der einen, auf der Hangseite gelegen, befindet sich nur Erde, hinter der anderen schließt der Nachbar an. Die strikte Trennung zum Nachbarhaus wird auf dem Dach aufgehoben, das als Grünfläche gestaltet ist. Hier markiert eine Weinrebe die Grundstücksgrenze. Bislang aber hat es den Anschein, dass kein Bewohner auf den Ersatz-garten Wert legt. Individuelle Versuche, sich einzurichten, sind nicht zu erkennen.

Die Atrien selbst sind gestalterisch recht karge Räume: Betonsteine zieren den Boden, ziegelrot überstrichener Putz bedeckt die Wände. Aber diese klingen, zumindest beim über-wiegenden Teil der Atriumhäuser, nicht hohl, wenn man da-gegen klopft. Statt des naheliegenden Wärmedämmverbund-systems haben die Architekten zu Vollziegeln gegriffen, die aufgrund ihrer Masse die erforderlichen Isolationswerte er-reichen. Einige Bewohner haben ihre Atrien nach eigenen Vor-stellungen durch Pentaplan ausbauen lassen. Die Variationen reichen von einem höherwertigen Bodenbelag mit Natur-steinplatten bis hin zu einem kleinen Swimmingpool. Sonder-

lich viel verdienen lässt sich an diesem Bautyp allerdings nicht, ist bei einem Rundgang von dem Architekten Wolfgang Köck zu erfahren – zu aufwendig seien die Atriumhäuser, zu speziell die zahlreichen Änderungswünsche der Bewohner. Die „Cashcow“, so Köck, seien vielmehr die Reihenhäuser, wel-che aber „vom architektonischen Anspruch her“ weniger her-gäben.

Man muss Graz ein wenig kennen, um diese Aussage zu verstehen. Die „Grazer Schule“ und das „Modell Steiermark“ haben die Region über Jahrzehnte in einer Weise geprägt, die heute verhindert, dass einfachere, intelligent-pragmatische Lö sungen die ihnen gebührende Beachtung finden. Wäre die Siedlung Alphawolf beispielsweise in den Niederlanden ent-standen, würde kein Architekt verlegen an den Reihenhäu-sern vorbeigehen. Ihr etwas ruppigeres, weniger fein mit Sicht-betonflächen ausbalanciertes Auftreten wäre kein Problem, wenn nur stimmig ist, was sie „können“. Und das ist ebenfalls viel: Pro Reihenhaussegment wurde nicht eine Wohnung rea-lisiert, sondern zwei. Die optimierte Ausnutzung des Baukör-pers ließ größere Abstandsflächen zwischen den Baukörpern zu. So entstanden Gärten von einer Größe bis zu 100o Qua-dratmetern – ein Luxus und für manche Käufer schließlich das entscheidende Argument, doch in ein Reihenhaus zu zie-hen, anstatt das rundum begehbare Einfamilienhaus zu wäh-len. Diese Gartenwohnungen nehmen das Erdgeschoss und die Hälfte des ersten Obergeschosses der Hauseinheit ein. Die andere Hälfte sowie das zweite Obergeschoss mit einer gro-ßen Dachterrasse gehören zur anderen Wohnung. Der Ver-kauf erfolgt, man kann es sich denken, an Familien mit Kin-dern in der Gartenwohnung und an kinderlose Paare in der Dachwohnung.

Architekten

PENTAPLAN, Graz

Wolfgang Köck, Gerald Hirsch,

Klaus Jeschek, Armin Lixl

Mitarbeiter

Gerald Diechler, Roland

Höntzsch, Franz Leber, Nik

Nikmengjaj, Markus Möderl,

Hermine Zedlacher, Bettina

Zepp

Tragwerksplanung

Günther Fuchs, Graz

Bauherr

WOLF Projektentwicklung

GmbH, Graz

Außer einem gestalterisch

kargen, aber mit Ausblick in

die Landschaft begünstigten

Atrium besitzt jedes Haus ei-

nen Garten auf dem Dach.

Schnitt Atriumhäuser im

Maßstab 1:500; Fotos: Seve-

rin Hirsch, Graz