Osteoplastik ausgedehnter Kieferdefekte mittels geschützter Knochenregeneration unter Anwendung...

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S496 Die einfache und effektive Unterkie- ferrekonstruktion stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Ende der 60er Jahre wurden von Boyne bei der Versorgung von Kriegs- versehrten Metallgitterkonstruktionen verwendet, in die autologe Spongiosa gefüllt wurde [5, 6]. Die Metallgitter wiesen eine Eigenstabilität auf, dienten als Container zur Aufnahme des trans- plantierten Knochens und hielten die umgebenden Weichgewebe ab. So war es möglich, durch die Verwendung wenig eigenen Knochens auch große Defekte knöchern wiederherzustellen. Dumbach [8, 9] hat diese Titangitter weiterentwickelt und die Spongiosa- füllung mit Hydroxylapatit gestreckt. Die Reossifikation der Knochen- defekte geht dabei von den begren- zenden, vitalen Knochenflächen aus. Durch prolabierende Weichgewebe kann die Ossifikation empfindlich ge- stört werden; ein Effekt, der mit zu- nehmender Porengröße an Bedeutung gewinnt. Durch die Maschen des Titangitters hindurch kann Weichgewebe prolabie- ren und die unvollständige knöcherne Ausheilung bewirken (Abb. 1). Nach dem girlandenförmigen Aspekt wird dieses Phänomen auch als Curtain-Ef- fekt bezeichnet. Ein weiterer Nachteil der Titangitter ist deren fast unmögliche Entfernbar- keit, welche jedoch zur kaufunktionel- len Rehabilitation mit Implantat- oder schleimhautgetragenen Zahnprothesen nötig ist. Ziel der vorgestellten Pilotstudie war, die Anwendung von resorbierba- ren, makroporösen Polylaktidfolien im Sinn der weichteilgeschützten Knochenregeneration zu testen und da- mit die Kieferrekonstruktion zu ver- einfachen. Mund Kiefer GesichtsChir (2000) 4 [Suppl 2]: S496–S500 © Springer-Verlag 2000 Osteoplastik ausgedehnter Kieferdefekte mittels geschützter Knochenregeneration unter Anwendung großporiger resorbierbarer Folien Jörg-Christoph Blecher 1 , Stefan M. Lemperle 2 , Hans-Peter Howaldt 1 1 Abteilung für Mund- Kiefer- Gesichtschirurgie, Justus-Liebig-Universität Gießen 2 Division of Plastic Surgery, University of California, San Diego, USA J.-C. Blecher, Abteilung für Mund- Kiefer- Ge- sichtschirurgie, Justus-Liebig Universität Gießen, Klinikstraße 29, 35385 Gießen e-mail: [email protected] Tel.: 0641-9946271, Fax: 0641-9946279 Zusammenfassung Die vorgestellte Studie hat zum Ziel, durch geschützte Knochenre- generation eine vereinfachte Me- thode der Kieferrekonstruktion zu etablieren. Durch die Verwendung einer großporigen resorbierbaren Folie werden ein Weichteilprolaps in Knochendefekte und eine Druckatrophie des transplantier- ten Knochens vermieden. Durch die Verwendung einer druckresis- tenten, resorbierbaren, makro- porösen Folie werden die Vorteile der geschützten Knochenregene- ration unter Verwendung resor- bierbaren Materials eingesetzt. Die makroporöse Struktur erlaubt die Einsprossung von Kapillaren aus den umgebenden Weichgewe- ben und dient daher der schnelle- ren Knochenregeneration. Die ver- wendete Folie besteht aus einem 70:30-Poly(L-co-DL)-Laktid mit thermoplastischen Eigenschaften und dient in der vorgestellten Stu- die der Aufnahme von gemahlener, autologer Spongiosa. In der Pilot- studie wurde diese Rekonstruktion bei 7 Patienten mit Unterkieferde- fekten vorgenommen. Teilweise handelte es sich bei diesen De- fekten um Kontinuitätsdefekte, die nach Tumor- oder Zystenentfer- nungen entstanden sind. Nach fest- gelegtem Studienprotokoll wurde die knöcherne Regeneration durch Röntgenkontrollen überprüft. Die bisher positiven Erfahrungen ha- ben eine multizentrisch angelegte Untersuchung mit geplanten 50 Patienten an 5 Universitätsklini- ken veranlasst. In weiteren Schrit- ten ist eine Füllung des Containers mit osteokonduktiven bzw. osteoin- duktiven Substanzen geplant, um die Entnahme der autologen Spon- giosa zu vermeiden. Schlüsselwörter Geschützte Knochenregeneration · Resorbierbare Folie · Kieferrekon- struktion ORIGINALIEN Abb. 1. Tiermodell: Weichgewebe prolabiert vorhangförmig durch eine eingebrachte Titangitter- platte und verhindert so die langsame Knochenregeneration (curtain effect)

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Die einfache und effektive Unterkie-ferrekonstruktion stellt nach wie voreine Herausforderung dar.

Ende der 60er Jahre wurden vonBoyne bei der Versorgung von Kriegs-versehrten Metallgitterkonstruktionenverwendet, in die autologe Spongiosagefüllt wurde [5, 6]. Die Metallgitterwiesen eine Eigenstabilität auf, dientenals Container zur Aufnahme des trans-plantierten Knochens und hielten die umgebenden Weichgewebe ab. Sowar es möglich, durch die Verwendungwenig eigenen Knochens auch großeDefekte knöchern wiederherzustellen.

Dumbach [8, 9] hat diese Titangitterweiterentwickelt und die Spongiosa-füllung mit Hydroxylapatit gestreckt.

Die Reossifikation der Knochen-defekte geht dabei von den begren-

zenden, vitalen Knochenflächen aus.Durch prolabierende Weichgewebekann die Ossifikation empfindlich ge-stört werden; ein Effekt, der mit zu-nehmender Porengröße an Bedeutunggewinnt.

Durch die Maschen des Titangittershindurch kann Weichgewebe prolabie-ren und die unvollständige knöcherneAusheilung bewirken (Abb. 1). Nachdem girlandenförmigen Aspekt wirddieses Phänomen auch als Curtain-Ef-fekt bezeichnet.

Ein weiterer Nachteil der Titangitterist deren fast unmögliche Entfernbar-keit, welche jedoch zur kaufunktionel-len Rehabilitation mit Implantat- oderschleimhautgetragenen Zahnprothesennötig ist.

Ziel der vorgestellten Pilotstudiewar, die Anwendung von resorbierba-ren, makroporösen Polylaktidfolienim Sinn der weichteilgeschütztenKnochenregeneration zu testen und da-mit die Kieferrekonstruktion zu ver-einfachen.

Mund Kiefer GesichtsChir (2000) 4 [Suppl 2]:S496–S500 © Springer-Verlag 2000

Osteoplastik ausgedehnter Kieferdefekte mittels geschützterKnochenregeneration unter Anwendung großporiger resorbierbarer Folien

Jörg-Christoph Blecher1, Stefan M. Lemperle2, Hans-Peter Howaldt1

1 Abteilung für Mund- Kiefer- Gesichtschirurgie, Justus-Liebig-Universität Gießen2 Division of Plastic Surgery, University of California, San Diego, USA

J.-C. Blecher, Abteilung für Mund- Kiefer- Ge-sichtschirurgie, Justus-Liebig Universität Gießen,Klinikstraße 29, 35385 Gießene-mail: [email protected].: 0641-9946271, Fax: 0641-9946279

Zusammenfassung

Die vorgestellte Studie hat zumZiel, durch geschützte Knochenre-generation eine vereinfachte Me-thode der Kieferrekonstruktion zuetablieren. Durch die Verwendungeiner großporigen resorbierbarenFolie werden ein Weichteilprolapsin Knochendefekte und eineDruckatrophie des transplantier-ten Knochens vermieden. Durchdie Verwendung einer druckresis-tenten, resorbierbaren, makro-porösen Folie werden die Vorteileder geschützten Knochenregene-ration unter Verwendung resor-bierbaren Materials eingesetzt.Die makroporöse Struktur erlaubtdie Einsprossung von Kapillarenaus den umgebenden Weichgewe-ben und dient daher der schnelle-ren Knochenregeneration. Die ver-wendete Folie besteht aus einem70:30-Poly(L-co-DL)-Laktid mitthermoplastischen Eigenschaftenund dient in der vorgestellten Stu-die der Aufnahme von gemahlener,autologer Spongiosa. In der Pilot-studie wurde diese Rekonstruktionbei 7 Patienten mit Unterkieferde-fekten vorgenommen. Teilweisehandelte es sich bei diesen De-fekten um Kontinuitätsdefekte, dienach Tumor- oder Zystenentfer-nungen entstanden sind. Nach fest-gelegtem Studienprotokoll wurdedie knöcherne Regeneration durchRöntgenkontrollen überprüft. Diebisher positiven Erfahrungen ha-ben eine multizentrisch angelegteUntersuchung mit geplanten 50Patienten an 5 Universitätsklini-ken veranlasst. In weiteren Schrit-ten ist eine Füllung des Containersmit osteokonduktiven bzw. osteoin-duktiven Substanzen geplant, umdie Entnahme der autologen Spon-giosa zu vermeiden.

Schlüsselwörter

Geschützte Knochenregeneration ·Resorbierbare Folie · Kieferrekon-struktion

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Abb.1. Tiermodell: Weichgewebe prolabiert vorhangförmig durch eine eingebrachte Titangitter-platte und verhindert so die langsame Knochenregeneration (curtain effect)

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Material und Methode

In der hier vorgestellten Pilotstudie wurden bei7 Patienten unterschiedliche Kieferdefekte re-konstruiert. Die makroporöse Folie besteht auseinem 70 :30-L-DL-Laktid und liegt nach Her-stellerangaben in nahezu 100%iger Form inamorpher Struktur vor. Das verwendete Materi-al wird bereits in Form des „Polypin®“ seit 1993in der Unfallchirurgie genutzt und ist von derArbeitsgemeinschaft Osteosynthese (Davos,Schweiz) als biodegradierbares Implantat aner-kannt [7]. Die Konzentrationen der Abbaupro-dukte liegen laut Herstellerangaben weit unterden bekannten kritischen Werten [15]. Von da-her ist von einer komplikationslosen Verträg-lichkeit auszugehen. Für die Unterkieferrekon-struktion beträgt die Stärke der Folie 0,5 mm.Die Poren weisen eine Größe von 1,5 mm aufund sind in einem ebensolchen Abstand ange-ordnet (Abb.2). Die thermoplastische Verform-barkeit erlaubt eine Adaptation an ein- odermehrwandige Knochendefekte. Gleichzeitig dientdie Folie als Container für die eingebrachte, au-

tologe Beckenkammspongiosa. Um die Folie andem angrenzenden originären Knochen zu ad-aptieren, wurden aus gleichem Material Pins mitRetentionshilfen gefertigt.

Eingeschlossen sind sämtliche Kieferde-fekte, die größer als 2 cm im Durchmesser mes-sen. Bei Kontinuitäts- oder großen kastenförmi-gen Defekten muss zusätzlich eine funktionssta-bile Überbrückung durch Osteosynthesematerialerfolgen. Vorbestrahlte und Patienten unter 18Jahren waren von der Studie ausgeschlossen.

Nach standardisiertem Untersuchungsproto-koll wurden die erzielten knöchernen Rekon-struktionen radiologisch nach 3, 6, 24 und 36 Monaten überprüft. Die Resorption des ein-gebrachten Materials wird in einem Zeitraumvon 1,5 Jahren erwartet. Nach erfolgter knöcher-ner Integration der Transplantate wurde einekaufunktionelle Rehabilitation durch das Ein-bringen dentaler Implantate angestrebt, wobeidas dabei asservierte Knochenmaterial histo-logisch untersucht werden soll.

Ergebnisse

Bei den in der Pilotphase operierten 7 Patienten kam es in 1 Fall zu einer In-fektion mit einem Teilverlust des trans-plantierten Knochens. Ein 75-jährigerPatient verstarb 6 Wochen postoperativan einem akuten Myokardinfarkt. Einanderer 80-jähriger Patient verstarb 6 Monate postoperativ, nachdem er zu-vor an einem akuten Ileus operiert wur-de.

Aus diesem Grund überblicken wir5 Patienten, die bis heute bis maximal14 Monate postoperativ nachkontrol-liert werden konnten.

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Mund Kiefer GesichtsChir (2000) 4 [Suppl 2]:S496–S500 © Springer-Verlag 2000

Osteoplasty of extended jaw defects by use of protected bone regeneration with macroporous resorbable sheets

J.-C. Blecher, H.-P. Howaldt, S. M. Lemperle

Abstract

This study was performed to demon-strate a protected bone regenerationmethod using macroporous re-sorbable sheets for the treatment ofextended lower and upper jaw de-fects. By applying mechanical pro-tection of bony defects with, e.g.membranes or titanium mesh, softtissue prolapse as well as pressure onbone transplants which contributesto partial resorption can be avoided.The use of a pressure-resistant, re-sorbable, macroporous sheet com-bines the advantage of protectedbone regeneration and complete re-sorption of the implanted sheet. Themacroporous structure facilitatescapillary ingrowth from the sur-rounding soft tissue. The sheet ismade of 70 :30 Poly(L-co-DL)-lac-tate with thermoplastic character andcan be used as a container for autol-ogous spongiosa or other osteoin-

ductive and -conductive bone graftsubstitutes. In a pilot study, seven pa-tients with lower jaw defects result-ing from large cysts or tumor resec-tions, some affecting the continuityof the mandible, were treated withthis method. Following a protocol,X-rays were obtained to documentthe bony regeneration. The positiveexperience with this pilot study en-couraged a multicenter project in-volving five university hospitals and50 patients. The application of re-sorbable sheets in combination withtransplantation of mersilized autolo-gous spongiosa is currently being in-vestigated. In future studies, fillingsof sheets with osteoconductive and -inductive materials are planned.

Key words

Protected bone regeneration · Re-sorbable sheet · Jaw reconstruction

Abb.2. Makroporöse Folie aus resorbierbarem Polylaktid mit den aus gleichem Material gefertig-ten Pins zur Fixation an den Knochenstümpfen

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Neben einer beobachteten Infek-tion bei nach intraoral freiliegenderFolie haben wir im Verlauf bisher inkeinem Fall akute Entzündungszei-

chen oder vermehrte Ödeme beobach-tet.

Bei einem 65-jährigen Patienten,der an einer großen Keratozyste des

anterioren Unterkiefers litt (Abb. 3),wurde der Unterkiefer nach Entfer-nung der Zyste durch Spongiosatrans-plantation und Abdeckung des Trans-plantats nach vestibulär und zum Al-veolarfortsatz hin mit der resorbierba-ren Folie rekonstruiert. Nach einer Ein-heilungszeit von 7 Monaten zeigte sichbei erhaltener Unterkieferhöhe einegute knöcherne Integration der trans-plantierten Spongiosa (Abb.4).

Weiterhin wird beispielhaft eine 18-jährige Patientin dargestellt, bei der dieDiagnose eines reparativen Riesenzell-granuloms gestellt wurde. Die Aus-breitung des Tumors ist aus Abb.5 er-sichtlich. Nach Exkochleation des Tu-mors über einen extraoralen Zugangwurde der Unterkiefer mit einer anmo-dellierten Polylaktidfolie rekonstruiertund im Sinn eines Containers mitBeckenkammspongiosa gefüllt.

Der intraoperative Situs ist in Abb.6 gezeigt. Abbildungen 7 und 8 zeigenden Verlauf der knöchernen Integrationdirekt postoperativ, und nach 1/2 JahrEinheilungszeit, wobei der neu rekon-struierte Unterkieferrand deutlichsichtbar ist.

Diskussion

Es ist bekannt, dass kleine knöcherneDefekte ausheilen können, indem sichein zwischen den Knochenflächen be-findliches Blutkoagel organisiert undüber eine Kallusbildung ossifiziert.Dieser Effekt kann nach der Entfer-nung von Kieferzysten bis zu einemDurchmesser von etwa 1,5 cm erfolg-reich genutzt werden. Ansonsten giltdie Transplantation autologer Spon-giosa zur Rekonstruktion von Kno-chendefekten nach wie vor als Metho-de der Wahl.

Bei kleinen Defekten wird der Kno-chen zumeist frei transplantiert. In Ab-hängigkeit von der funktionellen Be-anspruchung der betroffenen Struktu-ren und der Weichteilsituation findetdabei eine unterschiedlich ausgeprägteResorption des Transplantats statt [10].Werden gefäßgestielte Transplantateverwendet, erfolgt die knöcherne Aus-heilung wie bei einer Fraktur. Mithinergibt sich keine Resorption, und auf-grund der verbesserten Durchblutungist das Transplantat vor Infektionen ge-schützt.

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Abb.3. Präoperativer Befund einer großen Keratozyste im Bereich des anterioren Unterkiefers,größtenteils resorbierte vestibuläre Kortikalis

Abb. 4. Panoramaschichtaufnahme 5 Monate postoperativ: Integration des transplantierten Knochens

Abb.5. Präoperativ angefertigtesComputertomogramm des Unter-kiefers eines reparativen Riesen-zellgranuloms mit insbesonderelingual gelegenem, zystisch im-ponierendem Knochendefekt

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Mit beiden Methoden ist ein Ent-nahmedefekt verbunden, der für denPatienten oft besonders schmerzhaft istund komplikationsträchtig sein kann[17]. Der Aufwand ist für die gefäßge-stielte Variante besonders groß, sodassdiese Methode vornehmlich bei ausge-dehnten und komplizierten Defektenzum Einsatz kommt. Die dabei not-wendigen langen Operationszeiten so-wie der oft erhebliche Blutverlustschränken die Indikation ein.

Um den Entnahmedefekt zu be-grenzen bzw. die Menge des transplan-tierbaren Knochens zu erhöhen, sindeinige Neuerungen entwickelt worden.So kann entnommene Spongiosa durcheine Knochenmühle gemahlen werden.Neben der Volumenvermehrung durchOberflächenvergrößerung entsteht einleicht formbares Transplantat von ho-her osteogener Potenz, welches z. B.im Unterkiefer um den N. alveolarisinferior herum modellierbar ist, ohnediesen zu beschädigen.

Die Reossifikation von Knochende-fekten oder Frakturen erfolgt bekann-termaßen über die begrenzenden, nochvorhandenen vitalen Knochenflächen.Dieser Vorgang kann durch einen Pro-laps von umgebenden Weichteilenempfindlich gestört werden [1, 11, 13,14]. Mit zunehmender Größe einesknöchernen Spalts bzw. Defekts ge-winnt der Weichteilprolaps an Bedeu-tung.

Eine Reossifikation eines Defektswird durch weitere Faktoren wie Artdes betroffenen Knochens, Lokalisati-on, Weichteilbedeckung und Alter desPatienten zusätzlich beeinflusst. Beimklinischen Bild der Pseudarthrose ver-hindern prolabierte Weichteile eineReossifikation, auch wenn im Rahmender Therapie eine suffiziente Ruhig-stellung der Fragmente vorgenommenwird.

Die vor 50 Jahren beschriebenenErfolge von Berg [2] bei der Fusionvon Wirbelkörpern durch Auflagerungvon reinen Kortikalisplatten sind durchden weichteilabhaltenden Effekt dieserMaßnahme zu erklären. Es handeltesich nicht um ein in den zu über-brückenden Defekt eingebrachtesTransplantat. Aus heutiger Sicht ist zu-dem die sehr beschränkte osteogenePotenz von kortikalem Knochen be-kannt.

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Abb.6. Intraoperativer Situs mitanmodellierter Folie als Containerzur Aufnahme der gemahlenenSpongiosa

Abb.7. Direkt postoperatives Orthopantomogramm: in der Ausschnittvergrößerung: Ausdehnungnach Exkochleation des Tumors und Rekonstruktion mit gemahlener Beckenkammspongiosa

Abb.8. 6Monate postoperativ: knöcherne Durchbauung des Unterkiefers und besonders knöcher-ne Rekonstruktion des Unterkieferrands

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Wenn der weichteilabhaltende Ef-fekt durch großporige, ausreichend sta-bile Folien erreicht wird, erfolgt dieReossifikation nicht nur über die Frak-turenden, sondern auch nach Kapil-lareinsprossung von den umgebenden,aber abgehaltenen Weichgeweben.Dieses konnten Merten et al. [12] in ei-ner Studie beim Göttinger Mini-schwein nachweisen.

Bei der freien Knochentransplanta-tion kommt es regelmäßig zu einemteilweisen Verlust durch Resorption.Dieser Effekt wird u. a. durch einenschädlichen Druck der Weichteile undderen Mobilität an der Transplantat-grenze erklärt. Wird das Transplantatvor seinen umgebenden Weichteilengeschützt, kann somit die Transplantat-resorption minimiert werden. DieserEffekt wurde durch tierexperimentelleUntersuchungen von Gerber u. Gogo-lewski [10] an der Schafstibia verdeut-licht.

Das Konzept der weichteilge-schützten Knochenregeneration in sei-ner klinischen Anwendung ist ein-drucksvoll anhand der Versorgung vonKriegsversehrten durch Boyne [5] be-schrieben worden. Er hat 1969 über dieRegeneration von Kieferdefekten unterAnwendung eines Metallgitters be-richtet, welches mit einem zellokklusi-ven mikroporösen Filter überzogenwar [4, 5].

Der von Boyne verwendete zellok-klusive Filter beschränkt den Weg derKnochenregeneration auf den Zugangüber die defektbegrenzenden Kno-chenflächen. Ein Stoffwechsel zurErnährung des Transplantats über dieumgebenden Weichteile wird somit re-duziert.

Dieser Nachteil kann aufgehobenwerden, wenn das verwendete Gittereine optimale Porengröße aufweist, so-dass die Weichteile ausreichend abge-halten werden, aber trotzdem eine Ka-pillareinsprossung ermöglicht wird.

Die in der Studie verwendete resor-bierbare, makroporöse Folie vereintdie Vorzüge der Resorbierbarkeit undder Container- und Platzhalterfunk-tion. Insbesondere bei 3-wandigen De-fekten wird die Transplantation vonSpongiosachips ohne die Gefahr einerDislokation ermöglicht.

Die besonders bei der Verwendungvon Polylaktid-Glykolid-Mischungenbeschriebenen entzündlichen Spätre-aktionen konnten in der bisherigen An-wendung des eingesetzten Materialsals Knochenpin nicht beobachtet wer-den [3, 16]. Die positiven Ergebnisseder Pilotstudie haben deshalb Anlassfür die Durchführung der beschriebe-nen Multizenterstudie gegeben.

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