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597. August 2006 • profil 32

FIDELSFINALE

Kuba. Die Ära Castro geht zu Ende. Fast ein halbesJahrhundert hat der Revolutionär, der demnächst seinen 80. Geburtstag begeht, die Karibikinsel mit harter Hand diktatorisch regiert, jetzt gibt er, schwer krank, die Macht ab. Was aus Kuba nach Fidel wird.

Von Sebastian Heinzel

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In der Altstadt Ha-vannas blickt ei-nen der in Kubaallgegenwärtige

Bärtige mit dem Käppi von einer riesigenPlakatwand an. Darunter steht: „Vamosbien“ – es geht uns gut. Daneben wünschtein anderes Plakat Fidel Castro einenglücklichen 80. Geburtstag und „weitere80 Jahre“.

Glücklich wird der Máximo Líder sei-nen 80er, der ursprünglich am 13. Augustgroß gefeiert werden sollte, wohl nicht be-gehen. Castro liegt im Spital. Die Feier-lichkeiten wurden auf Dezember verscho-ben. Und mit den weiteren 80 Jahren wirdes wohl auch nichts. Das Ende ei-ner Ära, seit Langem beschworen,scheint nun tatsächlich angebro-chen zu sein. In Miami tanztenvergangene Woche Exilkubanerauf den Straßen, als ob ihr Erz-feind schon das Zeitliche geseg-net hätte. Und auf der Insel selbstentdecken die Menschen, dass auch Fidelsterblich ist. Offen wie noch nie wird daüber die Zeit nach Castro nachgedacht.

Montag vergangener Woche hat FidelCastro von seinem Sekretär im Fernsehenverkünden lassen, dass „eine verschärfteDarmkrise mit anhaltender Blutung“ ihngezwungen hätte, sich „einer komplizier-ten Operation zu unterziehen“. Er müssesich mehrere Wochen ausruhen und habebeschlossen, „mit vorübergehendem Cha-rakter“ seine Funktionen als Generalse-kretär der Kommunistischen Partei, Ober-befehlshaber der Streitkräfte und Präsidentvon Staatsrat und Regierung „dem Genos-sen Raul Castro Ruz“, seinem jüngerenBruder, zu übertragen.

Dass er nicht selbst das Statement überseine Krankheit abgab und dass er dieMacht – wenn auch nur vorübergehend –delegierte, deutet jedenfalls darauf hin,dass sein Zustand wirklich ernst ist. Als ernoch vor wenigen Tagen in einer seinerstundenlangen Reden – die er nicht zuletzt

der hohen Lebenserwartung der Kubanerwidmete – in Richtung der USA witzelte,„unsere kleinen Nachbarn im Norden sol-len sich keine Sorgen machen, ich habenicht vor, mein Amt bis zum 100. Ge-burtstag auszuüben“, da ahnte er wohlnoch nicht, wie aktuell sein Scherz schonkurz danach sein würde. Wir erleben of-fenbar das Finale Castros, eines der inter-essantesten und umstrittensten Staatsmän-ner der jüngeren Geschichte.

Die Welt mag sich wandeln, Fidel Cas-tro aber blieb immer derselbe. Seit 47Jahren steht er an der Spitze des kubani-schen Staates, der Großteil der Weltbe-völkerung hat nie jemanden anderen dort

gesehen. Er hat neun US-Präsidenten imAmt überlebt und konkurriert, was dieDauer der Amtszeit betrifft, nur noch mitMonarchen, die auf ihren Thron geborenworden sind. Zu seinem 60. Geburtstagerhielt Fidel Castro vom Obersten Sowjetder UdSSR zum dritten Mal den Lenin-Orden, von der DDR den Karl-Marx-Or-den und von der Tschechoslowakei denKlement-Gottwald-Orden. Diese Staatenhaben längst zu existieren aufgehört, Cas-tros ehemalige Gesinnungsgenossen sindtot oder vergessen, Kubas Diktator abererlebte gerade in den vergangenen Jahreneinen zweiten politischen Frühling.

Heldentaten. Nun erinnert man sich allerOrten an seine Heldentaten, an die kuba-nische Revolution des Jahres 1959, die be-gann, als eine verwegene Bande bärtigerTeufelskerle unter seiner Führung mit derJacht „Granma“ im Osten Kubas landete.Zeitweise auf ein zwölfköpfiges Häufchen– darunter neben Fidel Castro dessen Bru-

der Raúl und der Argentinier Ernesto„Che“ Guevara – reduziert, das sich in denBergen versteckte, schafften sie es letztlichtatsächlich, den korrupten Diktator Ful-gencio Batista und seine Schergen zu ver-treiben, eine linke Revolution durchzu-führen und Kuba aus der US-amerikani-schen Vorherrschaft zu führen, in die dasLand nach Jahrhunderten spanischer Ko-lonialzeit geraten war.

Die Romantik der Revolution und dieSiege des David Fidel Castro über den Go-liath Amerika – die von der CIA geplanteInvasion in der Schweinebucht scheitertegenauso wie Mordkomplotte – wirkenebenso nach wie Castros legendärer

Charme, dem nicht nur Frauenreihenweise erlagen: Bis heute hatFidel eine deutlich bessere Presseals andere Despoten, die das En-de des Kalten Krieges verpassthaben. Während etwa Weißruss-lands Präsident Alexander Luka-schenko und Nordkoreas Führer

Kim Jong Il weltweit geächtet sind, reüs-sierte Castro nach einer langen Phase imSchatten jüngst wieder auf der Bühne derinternationalen Politik.

Hinaufgehoben hat ihn Lateinamerikasneue Generation linkspopulistischer Poli-tiker: Hugo Chávez und Evo Morales be-tonen bei jeder Gelegenheit, dass sie sichgemeinsam mit Castro als Eckpfeiler ei-ner „Achse des Guten“ sehen. Die finanzi-elle Lage Kubas sieht wieder besser aus,seit der Venezolaner Chávez billiges Öl lie-fert und die Genossen in China gute Prei-se für die Rohstoffe der Karibikinsel zah-len. Unter den Entwicklungsländern hatCastro, der Buhmann der USA, ohnehinimmer Rückhalt: Im Mai wurde Kuba mit135 Stimmen in ein Menschenrechtsgre-mium der Vereinten Nationen gewählt –gebraucht hätte Castro nur 96.

Mit einigen Handgriffen hat es der ge-alterte Revolutionsführer auch verstanden,sein Image zu modernisieren: Die Macho-Zigarre hat er sich schon lang abge-

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13. August 1926: Geburt inBirán im Osten Kubas alsSohn des Großgrundbesit-zers Ángel Castro, einesEinwanderers aus dem spa-nischen Galicien.

ab 1937: Schulbesuch inJesuitenkollegien in Santia-go de Cuba und Havanna.

ab 1945: Jus-Studium ander Universität Havanna.

September 1947: Teilnahmean einer Verschwörung mitdem Ziel, Rafael LeónidasTrujillo, den Diktator der Do-minikanischen Republik, zustürzen. Das Unternehmenscheitert noch auf Kuba.

1950 bis 1952: Arbeit alsAnwalt in Havanna.

26. Juli 1953: Fidel Castroführt den Überfall auf dieMoncada-Kaserne in San-tiago de Cuba an. Von sei-nen 150 Mitkämpfern über-leben nur 90, er selbst wirdverhaftet. Im Oktober hälter sein berühmtes Plädoyer„Die Geschichte wird michfreisprechen“. Er wird zu 15Jahren Haft verurteilt.

Das lange Leben des Fidel Alejandro Castro Ruz

Die Romantik der Revolution und dieSiege des David Castro über den

Goliath Amerika wirken ebenso nachwie Castros legendärer Charme, demnicht nur Frauen reihenweise erlagen.

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Und was kommt nach Fidel Castro? Diese„Million-Dollar-Frage“, wie es die britische

Tageszeitung „Guardian“ formuliert, wird nun, dader Máximo Líder schwer erkrankt ist und dieMacht temporär seinem jüngeren Bruder RaúlCastro übergeben hat, allerorten gestellt. DieAntwort fällt zunächst recht einheitlich aus. Siedeckt sich mit der offiziellen Position Havannas:Der Übergang vom Kuba Castros zum Kuba ohneFidel wird glatt vor sich gehen. Zumindest un-mittelbar nach dem Tod des charismatischen Prä-sidenten.

Die vorwöchige Delegierung der Führungsfunk-tionen des „Comandante el Jefe“ an seinen jünge-ren – immerhin auch schon 75-jährigen – BruderRaúl hat bereits die Weichen für die Post-Castro-Ära gestellt. Freilich wird Raúl nur die Macht ver-walten. Ihm fehlen das Charisma, der Charme unddas revolutionäre Pathos seines Bruders. Dafüraber hat der langjährige Verteidigungsminister diekubanischen Streitkräfte – eine der wenigen gutfunktionierenden und in der Bevölkerung glaub-würdigen Organisationen Kubas – fest im Griff.Und der Revolutionsveteran Raúl kann sich auf ei-ne Crew von jungen Politkadern stützen, die jetztschon an den Hebeln der Macht sitzen: allen voranWirtschaftsminister Carlos Lage, der Präsidentder Nationalversammlung Ricardo Alarcón undAußenminister Felipe Pérez Roque.

Richard Gott, der britische Historiker und Au-tor des Buches „Cuba, a New History“, meint so-gar, dass die Post-Castro-Ära schon begonnen ha-be: „Diese Leute führen bereits das Land. Fidelwar da, gab Ratschläge, hielt Reden, regiert aberwurde schon seit geraumer Zeit ohne Fidel.“ UndGott, der Che gut kannte und mehrere Male mitCastro zusammengetroffen ist, sieht keinenGrund, warum diese Gruppe der Jungen, die er alsüberaus intelligent und fähig einschätzt, nicht wei-ter das Land regieren sollte: „Natürlich werden siedamit beginnen, Kuba stärker gegenüber der kapi-talistischen Welt zu öffnen – soweit es ihnen mög-lich ist.“

Aber wie weit können sie gehen? Und wie weitsind sie in der Lage und bereit, das bislang striktdiktatorische System auch politisch zu öffnen? EinÜbergangsmodell wäre durchaus vorstellbar, indem der Wechsel von Leuten aus der kommunisti-schen Elite vollzogen wird – die schließlich ein de-mokratisches System etablieren: Boris Jelzin oderder Rumäne Illia Illescu wären Beispiele dafür.Auch das chinesische Modell, das strikte politischeKontrolle mit ökonomischer Öffnung zum Welt-markt hin kombiniert, wäre möglich.

„Zwei Akteure könnten solche relativ friedlicheÜbergangsszenarien aber infrage stellen: das Volkund die USA“, analysiert der französische Kuba-Kenner Bertrand Rosenthal.

70 Prozent der Kubaner haben nur den realenCastrismus erlebt, und die anderen besitzen nureine sehr vage Idee von parlamentarischer Demo-kratie. Sicher ist, dass eine Mehrheit nationalis-tisch eingestellt ist und die Rückkehr der über dieJahre ins amerikanische Exil geflüchteten „Lan-desverräter“ und deren Machtergreifung in Ha-vanna vehement ablehnt. Auch wird allgemein an-genommen, dass die Kubaner bei aller möglichenSehnsucht nach Freiheit die Errungenschaften derCastro-Herrschaft – vor allem das Gratis-Schul-wesen und die kostenlose Gesundheitsversorgung– verteidigen werden.

Sonst aber existiert in Kuba vielschichtige Ambi-valenz: „Wohin wird das Volk sich in dem Landwenden, wo man Fidel liebt und Castro hasst, manmit einer Doppelmoral lebt und die heilige Barbaramit dem Voodoo-Gott Chango amalgamiert?“,fragt Rosenthal: „Die Regierenden können sich je-denfalls darauf verlassen, dass die Kubaner von sovielen Jahren ‚revolutionärem Heroismus‘ und revo-lutionären Mobilisierungen – ohne dass sich derenLebenssituation verbessert hätte – zermürbt unddemoralisiert sind.“ Eine demokratische Revoluti-on à la Tschechoslowakei 1989 dürfte für absehbareZeit nicht zu erwarten sein. Die demokratischeDissidenz ist zudem schwach, zersplittert und hatbis jetzt noch keinen Massenanhang.

Und was werden die USA tun, wenn Castrostirbt? Dass sie die bisherige strikte Embargopoli-tik fortsetzen werden, scheint klar. Und dass Wa-shington einen Plan hat, mögliche Fluchtwellenaus Kuba abzuwehren, weiß man. Eine militäri-sche Intervention scheint auf den ersten Blick je-doch nicht auf der Tagesordnung zu stehen. Nochein militärisches Abenteuer können sich die USAschwerlich leisten. Und sie haben ein vitales Inter-esse an Stabilität in ihrem „Vorhof“.

Völlig ausschließen will aber der kubanischeParlamentspräsident Alarcon eine amerikanischeMilitäraktion nicht: „Die US-Regierung hat klar-gemacht, dass sie die kubanischen Nachfolgerege-lungen nicht akzeptiert“, sagt er in einem Inter-view mit dem „Guardian“. Krieg sei möglich.Nicht zuletzt auch, da sich die Kuba-Politik derUSA weniger nach außenpolitischer als nach in-nenpolitischer Logik richte: Amerikanische Präsi-denten bräuchten zur Wahl die Stimmen der radi-kalen Exilkubaner in Florida.

Georg Hoffmann-Ostenhof

Die Million-Dollar-FrageHat die Demokratie in Kuba eine Chance, oder wird sich Castros Regime auch nach dessen Tod halten können?

Analyse

Die Machtträger (v. o. n. u.)Nachfolger Fidel-BruderRaúl Castro, AußenministerFelipe Pérez Roque, Par-lamentssprecher Ricardo Alarcón, Wirtschaftsminis-ter Carlos Lage

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wöhnt, die Uniform tauschte er immer öftergegen einen schwarzen Anzug und ergänz-te seinen Kriegerhabitus solcherart mit ei-ner urban wirkenden Komponente. Undden Leitspruch „Sozialismus oder Tod“,der heute so gestrig klingt, hat er gegendas Motto der Globalisierungskritiker ein-getauscht: „Eine andere Welt ist möglich.“

Doch all das kann über eine Tatsachenicht hinwegtäuschen: Fidel Castro ist der-selbe kaltblütige Diktator geblieben, derer seit seiner Machtergreifungwar. Von seiner politischen Linieist er keinen Millimeter abgewi-chen. Im Gegenteil: Sein neuerli-cher Höhenflug an weltweiterAufmerksamkeit – und vielerorts

auch Hochachtung – erlaubte es ihm, dieDaumenschrauben im Inland wieder festeranzuziehen. „Sobald er etwas Spielraumhatte, griff er wieder hart durch“, sagtOmar López Montenegro, ein kubanischerAnwalt und Dissident, der nun in Miamifür die kubanisch-amerikanische National-stiftung arbeitet.

Jegliche Form von Opposition gegensein Regime unterband Castro beinhart.In den heruntergekommenen Gefängnis-

sen der verarmtenInsel darben nachAngaben der Men-

schenrechtsorganisation Human RightsWatch mehr als 300 politische Gefangene,deren Verbrechen darin bestehen, kritischeArtikel verfasst oder Reformen verlangt zuhaben. Von den 75 prominenten Dissiden-ten, die bei der bislang letzten großen Säu-berungswelle 2003 inhaftiert wurden, sindnur 14 wieder freigekommen – dank inter-

nationalem Druck. Die Gefäng-nisinsassen berichten oft überübelste Haftbedingungen, eineÜberprüfung ist schwierig: Als ein-ziger Staat der westlichen Hemi-sphäre verbietet Kuba dem RotenKreuz den Zugang zu seinen Ge-fängnissen. „Wir machen in die-ser Hinsicht keine Konzessio-nen“, sagte Kubas JustizministerRoberto Díaz Sotolongo 2004 improfil-Interview. Das kubanischeVolk kenne die Wahrheit oh-nehin. Erst 2003 fanden auch diebislang letzten Exekutionen statt:Drei Schwarze wurden nach ei-

nem Schnellverfahren hingerich-tet, weil sie versucht hatten, einSchiff nach Miami zu entführen.

Mit seinen Gegnern ist FidelCastro nie besonders zimperlichumgesprungen, auch wenn es ihmmeist gelang, das Image des Bru-talen auf seinen Bruder, den Ver-teidigungsminister Raúl, dem erjetzt die Macht übertrug, abzu-wälzen. „Immer gelte ich als derBöse“, soll sich Raúl Castro ein-mal in kleinem Kreis beklagt ha-ben. „In Wirklichkeit ist er es!“Castros Regime wird vorgewor-fen, seit der Machtergreifung

15. Mai 1955: Kubas Dikta-tor Fulgencio Batista er-lässt eine Amnestie, Castrokommt frei und beginntumgehend, einen Umsturzzu planen. Im Juli geht ernach Mexiko ins Exil, wo erauf den jungen argentini-schen Arzt Ernesto „Che“Guevara trifft.

2. Dezember 1956: DieYacht „Granma“ mit FidelCastro und 81 weiteren be-waffneten Guerilleros anBord läuft vor der kubani-schen Südküste auf Grund.Die Kämpfer verlieren ihreAusrüstung und werden anLand von Batistas Truppenentdeckt. Nur etwas mehrals ein Dutzend Mann kön-nen sich in die Berge derSierra Maestra retten.

Juli 1958: Mit 300 Rebellenschlägt Castro – in derFührung der Truppe unter-stützt von seinem jünge-ren Bruder Raúl – dieSommeroffensive von Ba-tistas 10.000 Mann star-ker Armee zurück.

Dezember 1958: Che Gue-vara erobert mit 300 Manndie strategisch wichtigeStadt Santa Clara in Zen-tralkuba.

1. Jänner 1959: Castronimmt Santiago de Cubaein. Batista flieht in dieDominikanische Republik.Eine Woche später ziehenCastro und dessen Mit-streiter triumphal in Ha-vanna ein.

1960: Erstes Abkommenmit der Sowjetunion unterNikita Chruschtschow. Kri-tische Medien werden ge-schlossen, alle größerenUnternehmen verstaatlicht.Die USA verhängen einHandelsembargo, PräsidentDwight D. Eisenhower au-torisiert „verdeckte Aktiongegen das Castro-Regime“.

16. April 1961: Am Vorabendder von der CIA unterstütz-ten Invasion in der Schwei-nebucht verkündet Castroerstmals den sozialistischenCharakter seiner Revoluti-on. Er leitet persönlich dieVerteidigung gegen die1500 an Land gegangenenExilkubaner, die vernich-tend geschlagen werden.

Siegreiche Revolution Fidel Castro imJänner 1959 im Zentrum von Havanna:Rede vor hunderttausenden Menschen

Den Leitspruch „Sozialismus oderTod“, der heute so gestrig klingt, hat er gegen das Motto der Glo-

balisierungskritiker eingetauscht: „Eine andere Welt ist möglich.“

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1959 zwischen 6000 und 12.000 Mordeund Erschießungen von angeblichen Kon-terrevolutionären und Kriminellen durch-geführt zu haben. Fidels Methode, angeb-liche Regimegegner zeitweise zu hundert-tausenden in Sportstadien zu internieren,schaute sich später Chiles Diktator Augus-to Pinochet ab. Nach 1971 ging Castromassiv gegen Schriftsteller, Intellektuelleund Künstler vor. Er steckte Homosexuel-le in Arbeitslager, über deren Toren „DieArbeit wird euch zu Männern machen“steht. Später wurden auch Aidskrankezwangsinterniert – in Che Guevaras ehe-maligem Haus.

Säuberung. Zu Zeiten des Kalten Kriegesfiel Castro damit freilich nicht besondersaus der Reihe: Mehr als die halbe Weltwurde damals von Regimen beherrscht, diebrutal gegen ihre eigenen Bevölkerungenvorgingen, ob nun im Namen des Sozialis-mus, des Vaterlands oder beidem. Dochauch nach 1989 blieb Castro auf Despo-tenlinie – keine Spur von Glasnost und Pe-restroika am Malecon. Dabei hatte MichailGorbatschow Castro den Weg gewiesen.

Man schrieb den 11. November 1987,Castro kochte Spaghetti für das EhepaarGorbatschow in deren Haus in Moskau.„Der liebe Genosse Fidel Castro wird mirsicherlich zustimmen, dass es nur ein ein-ziges Terrain gibt, das der Sozialismusnoch nicht erforscht hat“, sagte Gorbat-schow. „Die Freiheit.“ Castro antworteterasch: „Ja, natürlich, Freiheit. Aber ohnedie Erziehung zu vergessen.“

Kubas Patriarch glaubte sein Volk niereif für die Freiheit. 1989, nach dem Kol-laps der Sowjetunion, säuberte Castro sei-nen Staatsapparat von Perestroika-Sympa-thisanten. Als die kubanische Wirtschaftohne die gewohnte Hilfe aus Moskau zu-sammenbrach und die Kubaner Hungerlitten, lockerte er die rigiden Regeln derPlanwirtschaft zwar ein bisschen – er ließetwa Bauernmärkte und kleine Privatres-taurants zu, der Dollar wurde als Zweit- E

10. Oktober 1967: Che Gue-vara wird im bolivianischenUrwald getötet.

März, April 1971: Die Verhaf-tung des kubanischen Dich-ters Heberto Padilla sorgt fürinternationale Proteste, der Li-terat kommt nach 37 Tagenwieder frei. Castro verkündet,es sei notwendig, „der Revolu-tion abgeneigte“ Intellektuelleebenso wie Homosexuelle undGeistliche auszugrenzen.

10. November 1975: Castroschickt kubanische Truppen indas 11.000 Kilometer entfern-te Angola, um die dortige Re-gierung gegen Rebellen sowiezairische und südafrikanischeVerbände zu unterstützen. DerKrieg dauert fast 15 Jahre.

April 1980: Als 10.000 Kubanerin der peruanischen Botschaftin Havanna Zuflucht nehmen,gestattet Fidel Castro allenAusreisewilligen, Kuba überden Hafen Mariel zu verlassen.120.000 Menschen gehen.

15. März 1965: Nachdem Che Guevara öffent-lich die Sowjetunion kritisiert hat, kommt eszu einer 40 Stunden langen Auseinanderset-zung zwischen ihm und Fidel Castro. Danachverschwindet Guevara von der Bildfläche. Erwird zweieinhalb Jahre später in Bolivien alsFührer einer kleinen marxistischen Guerilla-truppe vom lokalen Militär, das von der CIAunterstützt wird, in die Enge getrieben, ge-stellt und ohne Verfahren erschossen.

22. bis 28. Oktober 1962:„Kubakrise“. Als die USA ent-decken, dass die Sowjetunionauf Kuba Nuklearwaffen statio-nieren will, kommt es fast zumdritten Weltkrieg. Im letztenMoment einigen sich US-Präsi-dent John F. Kennedy und Niki-ta Chruschtschow, Generalse-kretär der KPdSU, auf einen Ab-zug der Atomwaffen. Fidel Cas-tro rast vor Wut und versuchterfolglos, einen militärischenZwischenfall zu provozieren.

Aufruf zum AufstandExilkubaner. Hardliner, Pragmatiker, Arbeitswütige: drei Generationen.

Das Klima ist ähnlich wie in Kuba, die einstöckigen, pastellfarbenen Häuschen erinnernan jene auf der Karibikinsel, ja sogar die martialischen Kriegerdenkmäler in Miamis

„Little Havanna“ gleichen jenen im echten Havanna frappierend. Nur die Inschriften sind in-vertiert: Während sie in Kuba den Verteidigern gegen die Invasion in der Schweinebucht von1961 gewidmet sind, werden hier die „Märtyrer der Sturmbrigade“ von damals geehrt.

Montagabend vergangener Woche, als die Erkrankung Fidel Castros bekannt wurde, ginges in den Straßen von Little Havanna hoch her: Ausgelassene Menschen tanzten, schwenk-ten Fahnen und ließen Autohupen ertönen.

In Little Havanna lebt der Kalte Krieg fort: Hier hasst man Fidel Castro und den Kommunis-mus inbrünstig und weint dem Kuba der fünfziger Jahre nach. Im „Sentir Cubano“-Shop gibtes Klopapier mit Castros zur Fratze verzerrtem Konterfei zu kaufen, gleich daneben liegt dasTelefonbuch Havannas aus dem Jahr 1958. Ein paar Ecken weiter versammeln sich jedenNachmittag mehrere Dutzend steinalter Männer in der Gartenlaube des „Domino Club Maxi-mo Gomez“, mit Kamm und Kugelschreiber in der Hemdtasche und Zigarre im Mundwinkel.„Der Tyrann ist endlich bald weg, und dann fahre ich nach Havanna!“, verkündet der 83-jährige Maximo Del Llano emphatisch. Die politischen Diskussionen sind längst ebenso ritu-alisiert wie das tägliche Dominospiel. Von der US-Regierung verlangen die alten, aber ein-flussreichen Hardliner bei jeder Gelegenheit ein völliges Verbot von Reisen und Geldsendun-gen nach Kuba. Als Stammklientel der Republikaner haben sie dabei gewissen Erfolg:

„Die Alten können so etwas natürlich leicht fordern, sie haben keine Verwandten mehr inKuba, die Unterstützung brauchen“, sagt Joe Garcia. Der 42-Jährige sitzt im Verwaltungsratder kubanisch-amerikanischen Nationalstiftung CANF, die sich den Regimewandel in Kubazum Ziel gesetzt hat. Die CANF ist die größte Vereinigung unter den geschätzten zwei Millio-nen Kubanern in Florida, Garcia gehört jener jüngeren, pragmatischen Generation an, dieerst vor einigen Jahren die Führung der Organisation übernommen hat. In ihrem „Dissiden-ten-Adoptions-Programm“ unterstützt die CANF derzeit 133 Oppositionelle auf Kuba mit 60Dollar im Monat – denn das Regime sorgt dafür, dass sie keine Jobs finden. Das lange Rin-gen mit Castro hat ihn bescheiden gemacht. „Wir gehen Fidel immer wieder in die Falle. Voretwas mehr als zehn Jahren schufen wir eine Art Dachverband von Dissidentengruppen inHavanna“, erzählt er. „Eines Tages erschien der Mann, den wir zum zukünftigen Führer Ku-bas aufbauen wollten, in der Uniform eines Oberstleutnants und nahm alle anderen fest.“ DieLehre, die Garcia und CANF daraus gezogen haben: „Man muss einfach allen helfen. Dennwir können nicht herausfinden, wer die Guten sind.“ Ungeachtet aller Vorsicht sieht dieCANF nun die Chance für ein freies Kuba gekommen. Sie hat Mittwoch vergangener Wochezum Aufstand aufgerufen. Die Kubaner sollten Castros Erkrankung zu einem Umsturz nutzen,proklamierte Jorge Mas Santos, der Präsident der Exilanten-Organisation.

Die jüngste Generation der Ankömmlinge aus Kuba will von Politik gar nichts wissen: Da-von hatte sie in Kuba genug. Die 21-jährige Rocio de la Torre etwa versucht, einfach nur soviel wie möglich zu arbeiten, in ihrem neuen Job in der Cafeteria „Tropical“. Sie ist erst vorwenigen Monaten mit 34 anderen per Floß nach Florida gekommen. Weil sie so zierlich ist,wurde sie von den Schleppern übersehen und sparte sich mehrere tausend Dollar Schmug-gelgebühr. Heute trägt sie schon die ersten Insignien des Wohlstands – ein Handy, modischeTurnschuhe und Goldketten. „Mein Job hier hat zwar nichts mit meinem Studium zu tun“,sagt die Zivilingenieurin aus Havanna, „aber dafür habe ich etwas von meiner Arbeit.“

Sebastian Heinzel, Miami

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währung toleriert. Aber sobald sein Re-gime etwas Luft hatte, machte es so vielwie möglich wieder rückgängig. Erst vorwenigen Monaten verbot es gewisseKleinstunternehmen wieder.

Heute steht die Jahresproduktion vonZucker – Kubas wichtigstem Exportpro-dukt – auf einem ähnlichen Niveau wie vorhundert Jahren. Tägliche stundenlangeStromausfälle lassen das Leben auf der In-sel stocken. Der Großteil der über elf Mil-lionen Kubaner ist verarmt. Reis, Bohnen,Früchte gibt es per Lebensmittelkarte, eindurchschnittlicher Monatslohn reicht ge-rade einmal für Waschmittel und einePackung Seife. Wer keinen Zugang zu De-visen hat, kommt nur schwer über die Run-den – da helfen auch die oft zitierten Er-rungenschaften der Revolution, Gratisbil-dung und -krankenversorgung, nicht viel.

Reiche Armee. Die verfallenden Häuser inder Altstadt Havannas sind zum Sinnbildder Revolution mit ihren hehren Idealengeworden: An den bröckelnden Fassadenlässt sich ihr Glanz noch erahnen, doch imInneren sind sie oft nur noch Ruinen. Tei-le des Fußbodens und der Wände sind her-ausgebrochen, nur dank des milden karibi-schen Klimas ist an ein Leben hier über-haupt zu denken. Jährlich stürzen dutzen-de Gebäude zusammen – ein Hurrikan istdafür gar nicht nötig, schon anhaltenderRegen lässt sie unter ihrer eigenen Lastkollabieren.

Die wenigen prächtig restaurierten Ko-lonialbauten, schmucke Hotels für Touris-ten, sind kein Resultat der Revolution,sondern Kooperationsprojekte der kuba-nischen Streitkräfte mit spanischen oderfranzösischen Hotelkonzernen. Raúl Cas-tro, seit 47 Jahren Verteidigungsminister,hat die Armee nach 1989 abgespeckt undzur größten Holdinggesellschaft des Lan-des gemacht. Neben 230 Unternehmengehört ihr angeblich ein Viertel der 41.000Hotelbetten Kubas. Auf die gut bezahltenJobs in den Luxushotels hat nicht jeder

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profil: Liegt Fidel Castro im Sterben?Fuentes: Nein, laut meinen Quellen ister schon auf dem Weg der Besserung.Und die gute Nachricht ist, dass nunVeränderungen anstehen, unter CastrosAnleitung.profil: Was für Veränderungen?Fuentes: Nun, jetzt ist Raúl an derMacht. Er wird einige Monate seineMacht konsolidieren, und dann wird eseinen großen Wandel geben, vor allemauf wirtschaftlichem Gebiet. Er muss al-les ändern, um alles erhalten zu können.profil: Fidel Castro wird das Kommandoalso nicht wieder persönlich überneh-men, sobald er sich erholt hat?Fuentes: Nein, niemand gibt nur für zweioder drei Monate die Macht ab. Fidelgeht jetzt in den Ruhestand, so wie QueenElizabeth. Er hat sich das verdient.profil: In Ihrer „Autobiographie des Fi-del Castro“ schildern sie sein Leben ausseiner Sicht. Wie fühlt es sich an, FidelCastro zu sein?Fuentes: Fidel Castro ist eine Person,von der praktisch alles bekannt ist – bisauf seine Gedanken. Ich hatte Zugangzu seinem Denken, weil ich viel mit ihmund seinem Bruder Raúl gesprochen ha-be. Fidel liebt es, in kleinem Kreis zuerzählen, zum Beispiel von den Tricks,die er gegen seine Feinde einsetzt. Da-durch war es nicht schwer, mich in sei-nen Kopf zu versetzen.profil: Ist er leicht zu durchschauen?Fuentes: Fidel ist ein Genie, zumindestwas die Politik betrifft. In seinem Ge-schäft als Revolutionsführer ist er derBeste der Welt – dank seiner schnellenIdeen, seiner Intelligenz, seinem Ausse-hen. Er ist ein Mann, der konstant dieWahrheit verbirgt, ein Magier, der unsDinge vorführt, während er unbemerktetwas ganz anderes tut. Und die Revolu-tion ist unbesiegt geblieben, und er er-lebte gerade in der letzten Zeit so etwaswie eine Wiederauferstehung, einenzweiten Frühling.profil: Dank Venezuelas Präsident HugoChávez?Fuentes: Chávez ist nur eine seiner Pup-pen. Fidel Castro bestimmt heute die la-teinamerikanische Politik, nicht Lula

oder Kirchner (Luiz Inacio „Lula“ daSilva, der Präsident Brasiliens, und Nés-tor Kirchner, der Staatschef Argentini-ens, Anm. d. Red.).

Die Chinesen helfen ihm, und er hatsehr viel Geld. Er ist ein sehr arroganterMensch, völlig eingenommen von seinereigenen Persönlichkeit. Das beste Bei-spiel war sein Sturz vor zwei Jahren. Mitverletztem Bein und gebrochenem Armrichtete er sich auf – man stelle sich denSchmerz vor, den dieser alte Ziegenbocklitt – und verlangte nach den Fernsehka-meras. „Erschrecken Sie nicht, ich binnur hingefallen“, sagte er, und er schwitz-te vor lauter Schmerzen. Man kann ihneinen grenzenlosen Hurensohn nennen,aber er hat einen unbeugsamen Willen.profil: Sehr lange wird er wohl nichtmehr leben. Macht er sich Sorgen umsein Erbe?Fuentes: Ich glaube nicht, dass Fidel vieldarüber nachdenkt, was nach seinemTod passiert. Er ist so pragmatisch, dasser weiß, dass er nicht alle Probleme derZukunft lösen kann.profil: In Ihrem Buch erzählen Sie eineganze Reihe von Anekdoten, doch alsLeser weiß man nie, was wahr und wasFiktion ist – zum Beispiel, wenn SieCastro über seine ersten sexuellen Er-fahrungen im Alter von sieben Jahrenberichten lassen.Fuentes: Alles im Buch ist wahr. Er hatdie Geschichte selbst erzählt, ich wardabei.profil: Jedes Detail stimmt? Selbst dieLänge seines Penis? Sie geben sie mit8,89 Zentimetern im unerregten Zustandund 16 Zentimetern im erregten an.Fuentes: Ich habe Fotos von ihm in Un-terhosen gesehen, und er sagt selbst, erhat „riesiges Material“. Ich habe auchmit Frauen gesprochen, die sexuelle Be-ziehungen mit ihm hatten, um die ewigeFrage aller Kubaner zu beantworten:Wie lang ist seiner? Sie sagten, dass ersehr gut entwickelt ist für einenWeißen. Daraufhin ging ich in Biblio-theken, las alle Bücher über Penis-größen und versuchte den Mittelwertzwischen dem Penis eines weißen undeines schwarzen Mannes zu finden. Ich

„Eine Revolution ist ein sehr, sehr harDer kubanische Schriftsteller Norberto Fuentes hat im Exil in Miami Castros Biografie geschrieben. Mit Kubas Diktator verbindet ihn bis heute eine Hassliebe.

Interview

E

14. Februar 1988: CastrosArmee, die er von Havannaaus selbst dirigiert,schlägt in Angola die süd-afrikanischen Truppenzurück. Südafrikas erstemilitärische Niederlage be-deutet den Anfang vomEnde der Apartheid. 1991reist Nelson Mandela nachHavanna, um sich bei Cas-tro zu bedanken.

13. Juli 1989: „StrafsacheNr. 1“. General ArnaldoOchoa Sánchez, „Held derRevolution“ und Führer desAngola-Feldzugs, wird ge-meinsam mit drei anderenMilitärs hingerichtet – of-fiziell wegen Drogenhan-dels, inoffiziell wegen sei-ner Sympathien für Glas-nost und Perestroika. ImPartei- und Staatsapparatfinden umfangreiche Säu-berungen statt.

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sehe, dass nicht nur Kubaner an dieserFrage interessiert sind.profil: Sie bewegten sich in den achtzigerJahren in Castros innerstem Kreis, nunsind Sie im Exil. Wie kam es zum Bruch?Fuentes: Das war 1990, nach der Exekuti-on von General Arnaldo Ochoa und An-tonio de la Guardia, denen ich sehr nahestand. Fidel kam bei einem Empfang aufmich zu, aber ich wollte nicht mit ihmsprechen. Ein großer Fehler meinerseits.Von diesem Moment an war mein Lebenin Kuba schrecklich. Ich wurde ständigüberwacht, durfte nicht ausreisen, undmeine Bücher wurden nicht mehr publi-ziert. Ich versuchte per Floß zu fliehen,aber sie fingen mich. Meine Verhaftungwurde zur internationalen Schlagzeile,darum ließen sie mich gehen.profil: Castro ließ General Ochoa undGeheimdienstchef de la Guardia wegenDrogenhandels hinrichten. Angeblichstanden die Amerikaner damals kurz da-vor, Castros Verbindungen zum kolum-bianischen Kokainkartell aufzudecken.Fuentes: Ja, er saß in der Falle. Die Ame-rikaner entdeckten die Operationen vorder kubanischen Küste. Fidelmusste etwas tun, um die Re-volution zu retten. Kein Landkann den Vorwurf überleben,Drogenhandel zu betreiben,schon gar nicht die kubanischeRevolution, die so stolz auf ih-re Moral und Ethik ist. Fidelkonnte das Problem nur lösen, indem erseine besten Soldaten für die Revolutionsterben ließ. Dabei war Ochoa in denDrogenhandel gar nicht involviert, undTony de la Guardia hatte erst auf Anord-nung von Fidel Kontakt zu Pablo Esco-bars Drogenkartell aufgenommen.profil: Für Sie ist Castro mit den Exeku-tionen also zu weit gegangen?Fuentes: Da kann ich nur schwer objektivsein, Tony war mein Freund, ich habeviel geweint. Aber beide, Tony undOchoa, akzeptierten ihr Schicksal. EineRevolution ist eben ein sehr, sehr hartesGeschäft. Sie töteten im Namen der Re-volution viele Menschen, und nun warensie an der Reihe, auf dieselbe Weise zusterben. Aber von diesem Moment an

war die Revolution nicht mehr dieselbe –nicht nur für mich, sondern für MillionenKubaner. Es war das erste Mal, dass dieRevolution ihre eigenen Söhne tötete.profil: In der Einleitung zu Ihrem Buchschreiben Sie, dass Sie Fidel Castro da-mit die Möglichkeit stehlen, selbst eineAutobiografie zu schreiben.Fuentes: Ja. Wenn er jetzt eine Autobio-grafie schreibt, kann sie nur noch eineAntwort auf meine sein.profil: Ist das Ihre Form von Rache?Fuentes: Nein, ich kann kein Rachebuchschreiben. Ich bin nicht Alexander Sol-schenizyn. Zum einen habe ich nicht 25Jahre in einem Konzentrationslager ver-bracht, und zum anderen bin ich nichtböse auf die kubanische Revolution.

profil: Warum fallen so viele Intellektuel-le auf Fidel Castro herein?Fuentes: Nicht nur Intellektuelle, auchGeneräle der US-Armee und amerikani-sche Senatoren! Fidel kann zwar hart undzynisch sein, aber er ist eine sehr sanft-mütige Person, ein Schlangenbeschwö-rer. Wenn er jetzt hier zur Tür hereinkä-me, würden wir uns beide anscheißen.profil: In den letzten Jahren ist er härtergeworden. 2003 ließ er 75 Dissidentenverhaften.Fuentes: Es ist schrecklich, dass ich dassage, aber laut den kubanischen Gesetzenist das legal. Alle diese Leute wurdenvom US-Chefdiplomaten auf Kuba ange-trieben. Irgendwann musste Fidel Maß-nahmen ergreifen. Wenn er nicht hartist, wird er besiegt.profil: Wir sprechen hier von IhrenSchriftstellerkollegen!Fuentes: Alle diese Gefangenen sindFreunde von mir. Aber sie waren ge-warnt, schließlich kennen wir das Mons-ter in- und auswendig. Manche Dingekann man in Kuba einfach nicht tun.profil: Im Anhang Ihres Buches rechnen

Sie vor, dass die kubanischeRevolution 60.000 Menschendas Leben gekostet hat. Wares das wert?Fuentes: Eine Revolution hateben ihre eigenen Gesetze.Was ich in Kuba erlebte undworan ich teilnahm, war ein

Fest der Freude, der menschlichen Brü-derlichkeit. Das Leben war intensiv, wirschlossen tiefe Freundschaften und ver-folgten ein gemeinsames Ideal. Es wardie Wiedergeburt Kubas, und Fidel Cas-tro spielte darin eine enorme Rolle, weiler die Wünsche dieses Landes kannte. Imgrauen, traurigen Miami habe ich keineFreundschaften von solcher Reinheit ge-schlossen.profil: Wer heute nach Kuba reist, siehtvon dieser Freude aber nur noch wenig.Fuentes: Vielleicht ist es Fidels großeTragödie, zu lang gelebt zu haben. Viel-leicht hätte ein rechtzeitiger Tod ihn voreiner anderen Form von Niederlage be-wahrt – jener in den Augen seines Volkes.

Interview: Sebastian Heinzel, Miami

sehr hartes Geschäft“Castros Biografie geschrieben.

Norberto Fuentes, 63Beim Triumph der kubanischen Revolution 1959ist Norberto Fuentes 15 Jahre alt und tief beein-druckt. Er wird Journalist und Kriegsberichter-statter, der am Kampf gegen aufständische Kon-terrevolutionäre teilnimmt. Für seine Kurzge-schichten erhält er in den siebziger Jahren inter-nationale Anerkennung, bei Castros Regime fällter jedoch in Ungnade. Auf Vermittlung des ko-lumbianischen Literatur-Nobelpreisträgers Gabri-el García Márquez wird Fuentes rehabilitiert undverkehrt in den achtziger Jahren im innerstenKreis rund um Fidel Castro. Die kubanische Mi-litärintervention in Angola begleitet er in seinerEigendefinition als Revolutionär und Schriftstel-ler. 1990 bricht er mit Castro, 1994 darf er nachdreiwöchigem Hungerstreik nach Miami ausrei-sen, wieder über Vermittlung von García Már-quez. In seiner „Autobiographie des Fidel Cas-tro“, deren gekürzte Fassung im Mai auf Deutscherschienen ist, schildert er Castros Leben ausder Ich-Perspektive – schriftstellerisch gelun-gen, auch wenn sich dem Leser stets die Fragenach der Authentizität der Details stellt.Norberto Fuentes: Die Autobiographie des FidelCastro, Beck Verlag, 757 S., EUR 30,80

„Er kann zwar hart sein, aber er isteine sehr sanftmütige Person, ein

Schlangenbeschwörer. Wenn er jetzthier zur Tür hereinkäme, würden wir

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coverstory

eine Chance: Sie stehen nurhandverlesenem Personal mitParteibuch offen.

Da mögen Touristen erstauntsein über die demonstrative Le-bensfreude der Kubaner in die-sem tristen tropischen Sozialismus. Aberdas ist zumindest zum Teil eine optischeTäuschung: Kuba hat mit Abstand diehöchste Selbstmordrate Lateinamerikas, sohoch, dass die Behörden die Statistiken lie-ber gar nicht mehr publizieren. Dafürschaffte es jüngst der Gebärstreik der Ku-baner auf die Seite eins des Regierungs-blatts „Granma“: In Kuba würden nurnoch halb so viele Kinder wie 1970 gebo-ren, rechnete die Zeitung alarmiert vor.Der beste Weg, der karibischen Misere zuentkommen, führt freilich über das Meernach Florida, auf einem selbst gebautenFloß aus Autoreifen oder in einem Schlep-perschnellboot. Obwohl viele ertrinkenoder von der US-Küstenwache zurückge-schickt werden, sind seit 2001 mindestens150.000 Kubaner in den USA gelandet,mehr als während „Mariel“, dem Massen-exodus von 1980, als Castro jeden ziehenließ, der gehen wollte.

Erst im vergangenen November ist et-wa die 42-jährige Isabel, die ihren Nach-namen nicht verraten will, nach Floridagekommen. Mit ihrem Buchhaltergehaltin Kuba hatte sie ihren kranken Vater nichtlänger unterstützen können, nun jobbt siein einem Restaurant in Miami. „Wir arbei-

ten hier wie Tiere, umunsere Familien in Kubazu erhalten“, sagt sie.„Es ist sehr teuer, Geldzu schicken, da bleibtfast nichts übrig.“ Cas-tros Regime verdient an den Geldsendungenhunderttausender Kuba-ner aus Florida vorzüg-lich, weil es den Kurs be-

stimmt, zu dem sämtliche Dollar in ku-banische Währung gewechselt werdenmüssen.

Weder der sanfte Druck der EU aufCastro noch die Sanktionspolitik der USAhaben bis jetzt nennenswerte Wirkung ge-zeigt. Den Amerikanern wird regelmäßigvorgeworfen, mit ihrer harten Linie Cas-tros Machtposition über die Jahre sogargestärkt zu haben. Schließlich konnte erdie US-Regierung stets zum Sündenbockfür die schlechte Wirtschaftslage in Kubamachen.

Nachfolge. Dennoch hielten die USA bisjetzt ebenso hartnäckig an ihrer Kuba-Po-litik fest, wie Castro den US-Imperialis-mus geißelte. Erst Anfang Juli präsentiertedie US-Regierung ein 80-Millionen-Dollar-Programm für den Regimewechselin Kuba. Castro-Gegner in Miami schüt-teln über das jährliche Ritual nur zynischden Kopf: „Mit achtzig Millionen Dollarkann man doch nichts anfangen“, sagt Ali-na Fernández, Fidel Castros unehelicheTochter, im Gespräch mit profil. „Davonkönnen nur einige Bürokraten gut leben.“Fernández brach früh jeglichen Kontaktmit ihrem Vater ab und schaffte es, 1993

mit gefälschtem Pass über Spanien nachFlorida zu fliehen. Heute hat die 50-Jähri-ge in Miami eine tägliche spanischsprachi-ge Radioshow. Die Pläne der US-Regie-rung hält sie für leeres Gerede: „Die Bush-Administration behauptet, sie würde nachFidels Tod niemanden aus seinem Umfeldstützen“, sagt sie. „Aber Raúl Castro be-fehligt nun mal die Armee. Ich glaube, dieUSA werden einfach jene unterstützen, diedie Ordnung aufrechterhalten können –

selbst wenn das Raúl Castro ist.“Auf Zeit zumindest steht die-

ser nun an der Staatsspitze.Tatsächlich dürfte aber dielangsame Übergabe der operati-ven Regierungsgeschäfte von Fi-del Castro an seinen Bruder Raúlbereits seit einiger Zeit in Gange

sein. Aufgeregt registrierten Beobachter inMiami in den vergangenen Wochen dieverstärkte Präsenz Raúl Castros in den ku-banischen Medien. Zu seinem 75. Ge-burtstag am 3. Juni brachte „Granma“ eineausufernde Huldigung, in welcher der un-populäre und nicht sonderlich charismati-sche Raúl als Musterbeispiel an Volksnäheund Kompromissfähigkeit gepriesen wird.

Dass Raúl seinen Bruder als Führer desLandes nicht ersetzen kann, darüber sindsich alle einig. Aber hängt das System Cas-tro tatsächlich an der Person Fidel? Einerseiner besten Freunde, der Literaturnobel-preisträger Gabriel García Márquez, hatkürzlich geschrieben: „Fidel Castro ist dieStärke der Revolution, aber gleichzeitigauch ihre Schwäche.“ Und er meinte damitoffenbar, dass ein Mann, der in so starkemMaße ein Regime personifiziert, nicht ster-ben kann, ohne dass auch das Regime ver-schwindet.

Damit hat es aber noch Zeit. Noch istCastro nicht gestorben. Und selbst wenner nicht mehr das Spital verlassen sollte –die Hofübergabe hat der Máximo Líderoffenbar geregelt. Ein paar Monate dürftedie Kontinuität gewahrt sein. ■

Mitarbeit: Georg Hoffmann-Ostenhof

66 profil 32 • 7. August 2006

Das Kuba Fidel Castros hat mit Abstand die höchste SelbstmordrateLateinamerikas, so hoch, dass dieBehörden die Statistiken lieber gar

nicht mehr publizieren.

1990/1991: Nach dem Zer-fall der Sowjetunion unddem Zusammenbruch derkubanischen Wirtschaftverkündet Castro die„Sonderperiode in Frie-denszeiten“.

5. August 1994: OffeneProteste tausender Jugend-licher gegen das Regime inHavanna. Es gibt Tote, Ver-letzte, Verhaftungen.35.000 fliehen in der Folgeauf Flößen in die USA.

12. März 1996: US-Präsi-dent Bill Clinton unter-zeichnet mit dem „Helms-Burton-Act“ eine drasti-sche Verschärfung desWirtschaftsembargosgegen Kuba.

Jänner 1998: Castro emp-fängt Papst Johannes PaulII. und führt Weihnachenwieder ein.

März 2003: Castro lässt 75Dissidenten verhaften undzu hohen Gefängnisstrafenverurteilen. Drei Entführereiner Fähre werden nacheinem Schnellprozess hin-gerichtet.

20. Oktober 2004: FidelCastro stürzt vor laufen-der Kamera, bricht sichden Arm und verletzt sichschwer am Knie. Bereitsam nächsten Tag nimmt erwieder an einer Sitzungteil.

November 2005: Die CIAbehauptet, Castro leide anParkinson.

1. August 2006: Fidel Castro muss sich einergravierenden Darmoperati-on unterziehen und über-trägt die Führung vonStaat, Partei und Militär„vorübergehend“ an seinenBruder Raúl.

13. August 2006: Fidel Castro feiert seinen 80. Geburtstag.

Fidel – Liebling der Frauen Auf dem New Yorker Presse-ball im April 1959

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