Palliative Thulium-Laser-Vapoenukleation der Prostata...Palliative Thulium-Laser-Vapoenukleation der...

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UROLOGISCHE NACHRICHTEN | 01/02.2015 16 | SPECIAL | MEDIZINTECHNIK Palliative Thulium-Laser-Vapoenukleation der Prostata Behandlung von Prostatakarzinom-Patienten mit Harnverhalt und PSA-Werten ab 100 – Eine prospektive Machbarkeitsstudie Vier-Jahres-Ergebnisse mit ATOMS Behandlung der Inkontinenz beim Mann – Erfahrungen aus Halle HOF Während Verfahren zur Laserenu- kleation bei der Benignen Prostata- Hyperplasie (BPH) mittlerweile gut beschrieben sind, gibt es nahezu keine Daten zum Einsatz im palliativen Kontext, obwohl gerade multimorbide Patienten von den Vorteilen einer Laserbehandlung profitieren. Bei sehr hohem PSA ist die chirurgische Kapselgrenze oft nicht mehr vorhanden und das Gewebe hart, sodass hier gemäß dem Skalpell-Schere-Prinzip bei Infrarotlasern der Thuliumlaser als Schneidlaser zum Einsatz kommt. O bstruktive Miktionsbeschwer- den sind bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Pros- tatakarzinom häufig. Die bisherige Methode der Wahl war die palliative transurethrale Resektion der Prostata (pall. TURP), wobei hier teils hohe Reoperationsraten beschrieben sind. Die erfolgreiche Anwendung sowohl der photoselektiven Vaporisation der Prostata (PVP) als auch der Holmium- Laser-Enukleation der Prostata (HoLEP) im palliativen Kontext sind beschrieben. Soweit uns bekannt, ist die vorliegende Arbeit jedoch die erste prospektive Studie zur palliativen Thulium-Laser-Vapoenukleation der Prostata (pall. ThuVEP) bei sehr hohem PSA. Mittlerer PSA-Wert betrug 284 ng/ml Von März bis Dezember 2013 wurde bei sieben Patienten im Alter von 75,7 (68–83) Jahren mit einem mittleren PSA-Wert von 284 μg/l (97–593) die Prostata vapoenukleiert. Die palliative ThuVEP erfolgte durch einen in der Laserenukleation erfahrenen Opera- teur (n>400) mit einem 1940-nm-Tm- YAG-Laser (MultiPulse Tm+1470, Asclepion Laser Technologies GmbH, Jena) mit 100 W, die Bergung der Enu- kleate wurde mittels Morcellator (Piranha, Richard Wolf GmbH, Knitt- lingen) durchgeführt. Erfasst wurden Hämoglobin (Hb) und Restharn (RH) prä- und postoperativ, Prostatavolu- men, Morcellatgewicht, Operations- zeit, Katheterzeit und Komplikationen. Gute erste Ergebnisse Alle Patienten hatten präoperativ einen Katheter nach Harnverhalt. Mit- telwerte: Prostatavolumen in der transrektalen Ultraschalluntersuchung (TRUS) 49,5 (30–100) g, Morcellat- gewicht 38,4 (12–110) g. OP-Zeit 62 (48–98) min, entsprechend einer mitt- leren Operationsgeschwindigkeit von 0,62 g/min. Hb-Abfall 0,73 (0–2) g/dl. Entfernung des Dauerkatheters (DK) median nach 28 (24–72) Stunden. Allen Patienten bis auf einen (Entlas- sung mit DK) war bei Entlassung eine nahezu restharnfreie Miktion möglich (RH 25 [10–40] ml). Transfusions- pflichtigkeit, die Notwendigkeit eines Zweiteingriffes oder eine Inkontinenz traten nicht auf. Obwohl fast zehn Prozent der Pati- enten nach Diagnose eines Prostata- karzinoms eine TURP erhalten 1 , gibt es bezüglich dieser Gruppe wenige prospektive Daten. Allen Studien gemein ist das hohe mittlere Patien- tenalter von 75 Jahren. In retrospekti- ven Serien wurden Reoperationsraten von bis zu 25 Prozent sowie Miss- erfolgsraten (Inkontinenz und/oder DK-Ableitung) von circa 20 Prozent beschrieben 2 . Da die Morbidität dieses Kollektivs in der Regel deutlich höher liegt als bei Patienten, die mit kurati- ver Intention behandelt werden, liegt die Verwendung eines Laserverfahrens aufgrund der geringeren Blutungs- gefahr und der Vermeidung eines TUR-Syndroms nahe. Die PVP zeigt sich bei der BPH in der Metaanalyse von prospektiv randomisierten Studi- en den Enukleationstechniken bezüg- lich der funktionellen Ergebnisse und Reoperationsraten unterlegen 3 , zudem ist hier gegebenenfalls zur Histologie- gewinnung eine zusätzliche Biopsie nötig (alle o.g. Patienten hatten noch keine Histologie). Kapselgetreue transurethrale Enukleation oft unmöglich Hier bietet sich die Anwendung einer Enuleationstechnik mittels Infrarot- laser an. Die Standardmethode in unserer Klinik bei der BPH ist die kap- selgetreue transurethrale Enhanced- Pulse-Enukleation mit dem Holmium- laser (HoLEP 111 W). Aufgrund der bei sehr hohem PSA zunehmend aufgeho- benen Kapsel-Adenom-Grenze und der harten Gewebeeigenschaften unter Berücksichtigung des von uns unter- suchten „Skalpell-Schere-Prinzips bei Infrarotlasern“ (Abb. 1) entschieden wir uns gegen eine HoLEP und für die palliative ThuVEP. Fazit und Ausblick Die ThuVEP ist durch die gute Schneidwirkung des Thuliumlasers bei gleichzeitiger guter Blutstillung auch im palliativen Kontext möglich. Der Vorteil gegenüber reinen Vaporisa- tionstechniken besteht in der gleich- zeitigen Sicherung der Histologie. Durch die teilweise komplett aufgeho- bene Kapselgrenze bei gleichzeitig hartem Karzinomgewebe ist unserer Meinung nach jedoch eine ausrei- chende Erfahrung mit den Methoden der Laserenukleation (HoLEP, ThuLEP, ThuVEP) hilfreich. In Ermangelung von Vergleichsdaten ist eine prospek- tiv-randomisierte Studie im Vergleich zur palliativen TURP mit größeren Fallzahlen zur korrekten Einordnung der Methode geplant. W Literatur: 1. Krupski TL, Stukenborg GJ, Moon K et al. BJU Int 2010;106:1477–1483. 2. Marszalek M, Ponholzer A, Rauchenwald M et al. BJU Int 2007;99:56—59. 3. Ahyai SA, Gilling P, Kaplan SA et al. Eur Urol; 2010:58(3);384–397. ( Autor: Dr. med. Sven Piesche, Oberarzt Klinik für Urologie, Kinderurologie, Urologische Onkologie und Palliativmedizin Sana Klinikum Hof E-Mail: [email protected] HALLE In Deutschland sind knapp zehn Prozent der Männer von einer Harninkon- tinenz betroffen. Diese wird meist als sehr belastend und leidvoll empfunden. Die meist iatrogen bedingte Belastungs- inkontinenz (BI) nimmt unter den Betrof- fenen mit wiederum zehn Prozent den kleinsten Anteil ein 1 . Allgemein reichen die Behandlungsmöglichkeiten der BI beim Mann vom Urinalkondom bis hin zur Implantation von pubourethralen Schlin- gen, adjustierbaren Systemen oder einem künstlichen Harnblasenschließmuskel. D ie operative Therapie stellt in vielen Fällen nach wie vor eine Herausforderung dar. Letztlich erzielen bei sauberer Diag- nostik (retrogrades Urethrozysto- gramm, diagnostische Urethrozysto- skopie und Urodynamik) und klarer Indikation alle Systeme ein sehr gutes Ergebnis 2–4 . So stellt sich mittlerweile die Frage nach einem differenzierten Einsatz in Abhängigkeit vom Schwe- regrad der BI, den bereits erfolgten Vorbehandlungen und natürlich den Bedürfnissen des Patienten selbst. Welcher Patient profitiert von wel- chem System am meisten? Bis dato können zur Entscheidungsfindung nur Beobachtungsstudien zurate gezogen werden. Wir berichten über unsere Ergebnisse mit dem „adjustable trans- obturatorius male system“ (ATOMS®, Hersteller: A.M.I.). Zwischen Oktober 2009 und Sep- tember 2014 erhielten 53 über unsere hausinterne Inkontinenzsprechstunde betreute und nachgesorgte Patienten ein ATOMS. Präoperativ sowie im Rahmen jeder Follow-up-Unter- suchung wurden Miktionsprotokoll, 24-Stunden-Vorlagenzahl, 24-Stun- den-Pad-Test, Uroflowmetrie und Restharn evaluiert. Das mittlere Fol- low-up dieser prospektiven Beobach- tungsstudie betrug 26,52±17,76 (2,28– 57,48) Monate. Die statistische Analyse erfolgte mit SPSS 12.0 (p<0,05). Im Ergebnis waren die Patienten durchschnittlich 68 Jahre alt und bedurften präoperativ im Mittel 7,9±4,8 (2–18) Vorlagen am Tag (24-h-Pad-Test: 660±820 [80–2500] ml/24 h). In der Mehrzahl der Fälle wurden also Patienten mit zweit- beziehungsweise drittgradiger BI ver- sorgt. Unsere Patientenpopulation (Tab. 1) beinhaltet 40 Patienten nach radikaler Prostatekto- mie, drei Patienten nach primärer Therapie mit hochintensivem fokussiertem Ultra- schall (HIFU), acht Pati- enten nach transureth- raler Resektion der Prostata (TUR-P), einen Patienten nach trans- vesikaler Adenomekto- mie sowie einen Pati- enten nach traumatisch bedingtem Harnröhren- abriss. Infolge ihres Malignoms waren 16 der 42 Patienten mit Prostatakarzi- nom (37 %) vorbestrahlt. Darüber hin- aus waren elf der 53 Patienten (21 %) infolge ihrer Harninkontinenz bereits voroperiert. Eine ATOMS-Implantation dauerte im Mittel 67,6±21,1 (30–148) Minu- ten. Nach der Implantation waren durchschnittlich 4,3±2,5 (0–9) Adjus- tierungen erforderlich, um das gewünschte Kontinenzergebnis zu erreichen. Im Ergebnis wurden 26 Patienten (49 %) „trocken“ (keine oder maximal eine Vorlage zur Sicherheit, Fortsetzung siehe Seite 17 ( Piesche (2) Sven Piesche Abb. 1: Der Skalpell-Schere-Effekt bei Infrarotlasern: Bei vorhandener Kapsel-Adenomgrenze, die in der Regel bei BPH oder inzidentellen Karzinomen mit niedrigem PSA vorliegt, kann die Enukleation durch die mechanisch-präparierende Wirkung des Holmium-Laserpulses („Blow-Effekt“) umso effektiver unterstützt werden, je höher die Pulsenergie und Gesamtleistung gewählt werden („spreizende Schere“). Bei nicht mehr vorhandener Grenzschicht und/oder hartem Gewebe bei lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom mit hohem PSA zeigt die gute Schneidwirkung („Skalpell“) des Thulium-Lasers bei gleichzeitig exzellenter Blutstillung klare Vorteile. Mühlstädt et al. A.M.I. Mühlstädt Abb. 1: Kontinenzergebnis nach ATOMS-Implantation. „Trocken“: keine oder maximal eine Vorlage zur Sicherheit, <10 ml im 24-h-Pad-Test. „Verbessert“: Besserung um mehr als 50 Prozent (1–2 Vorlagen, 10–25 ml im 24-h-Pad-Test). Abb. 2: ATOMS mit vorkonnektiertem Skrotalport (mit freundlicher Genehmigung von A.M.I. Deutschland). Sandra Mühlstädt

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urologische NachrichteN | 01/02.201516 | special | medizintechnik

Palliative Thulium-Laser-Vapoenukleation der Prostata Behandlung von prostatakarzinom-patienten mit Harnverhalt und PSA-Werten ab 100 – Eine prospektive Machbarkeitsstudie

Vier-Jahres-Ergebnisse mit ATOMSBehandlung der inkontinenz beim mann – Erfahrungen aus Halle

Hof Während Verfahren zur Laserenu-kleation bei der Benignen Prostata-Hyperplasie (BPH) mittlerweile gut beschrieben sind, gibt es nahezu keine Daten zum Einsatz im palliativen Kontext, obwohl gerade multimorbide Patienten von den Vorteilen einer Laserbehandlung profitieren. Bei sehr hohem PSA ist die chirurgische Kapselgrenze oft nicht mehr vorhanden und das Gewebe hart, sodass hier gemäß dem Skalpell-Schere-Prinzip bei Infrarotlasern der Thuliumlaser als Schneidlaser zum Einsatz kommt.

O bstruktive Miktionsbeschwer-den sind bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Pros-

tatakarzinom häufig. Die bisherige Methode der Wahl war die palliative transurethrale Resektion der Prostata (pall. TURP), wobei hier teils hohe Reoperationsraten beschrieben sind. Die erfolgreiche Anwendung sowohl der photoselektiven Vaporisation der Prostata (PVP) als auch der Holmium-Laser-Enukleation der Prostata (HoLEP) im palliativen Kontext sind beschrieben. Soweit uns bekannt, ist die vorliegende Arbeit jedoch die erste prospektive Studie zur palliativen Thulium-Laser-Vapoenukleation der Prostata (pall. ThuVEP) bei sehr hohem PSA.

mittlerer psa-Wert betrug 284 ng/ml

Von März bis Dezember 2013 wurde bei sieben Patienten im Alter von 75,7 (68–83) Jahren mit einem mittleren PSA-Wert von 284 μg/l (97–593) die Prostata vapoenukleiert. Die palliative

ThuVEP erfolgte durch einen in der Laserenukleation erfahrenen Opera-teur (n>400) mit einem 1940-nm-Tm-YAG-Laser (MultiPulse Tm+1470, Asclepion Laser Technologies GmbH, Jena) mit 100 W, die Bergung der Enu-kleate wurde mittels Morcellator (Piranha, Richard Wolf GmbH, Knitt-lingen) durchgeführt. Erfasst wurden Hämoglobin (Hb) und Restharn (RH) prä- und postoperativ, Prostatavolu-men, Morcellatgewicht, Operations-zeit, Katheterzeit und Komplikationen.

Gute erste ergebnisse

Alle Patienten hatten präoperativ einen Katheter nach Harnverhalt. Mit-telwerte: Prostatavolumen in der transrektalen Ultraschalluntersuchung (TRUS) 49,5 (30–100) g, Morcellat-gewicht 38,4 (12–110) g. OP-Zeit 62 (48–98) min, entsprechend einer mitt-leren Operationsgeschwindigkeit von 0,62 g/min. Hb-Abfall 0,73 (0–2) g/dl. Entfernung des Dauerkatheters (DK) median nach 28 (24–72) Stunden. Allen Patienten bis auf einen (Entlas-sung mit DK) war bei Entlassung eine

nahezu restharnfreie Miktion möglich (RH 25 [10–40] ml). Transfusions-pflichtigkeit, die Notwendigkeit eines Zweiteingriffes oder eine Inkontinenz traten nicht auf.

Obwohl fast zehn Prozent der Pati-enten nach Diagnose eines Prostata-karzinoms eine TURP erhalten1, gibt es bezüglich dieser Gruppe wenige prospektive Daten. Allen Studien gemein ist das hohe mittlere Patien-tenalter von 75 Jahren. In retrospekti-ven Serien wurden Reoperationsraten von bis zu 25 Prozent sowie Miss-erfolgsraten (Inkontinenz und/oder DK-Ableitung) von circa 20 Prozent beschrieben2. Da die Morbidität dieses

Kollektivs in der Regel deutlich höher liegt als bei Patienten, die mit kurati-ver Intention behandelt werden, liegt die Verwendung eines Laserverfahrens aufgrund der geringeren Blutungs-gefahr und der Vermeidung eines TUR-Syndroms nahe. Die PVP zeigt sich bei der BPH in der Metaanalyse von prospektiv randomisierten Studi-en den Enukleationstechniken bezüg-lich der funktionellen Ergebnisse und Reoperationsraten unterlegen3, zudem ist hier gegebenenfalls zur Histologie-gewinnung eine zusätzliche Biopsie nötig (alle o.g. Patienten hatten noch keine Histologie).

kapselgetreue transurethrale enukleation oft unmöglich

Hier bietet sich die Anwendung einer Enuleationstechnik mittels Infrarot-laser an. Die Standardmethode in unserer Klinik bei der BPH ist die kap-selgetreue transurethrale Enhanced-Pulse-Enukleation mit dem Holmium-laser (HoLEP 111 W). Aufgrund der bei sehr hohem PSA zunehmend aufgeho-benen Kapsel-Adenom-Grenze und der harten Gewebeeigenschaften unter

Berücksichtigung des von uns unter-suchten „Skalpell-Schere-Prinzips bei Infrarotlasern“ (Abb. 1) entschieden wir uns gegen eine HoLEP und für die palliative ThuVEP.

Fazit und ausblick

Die ThuVEP ist durch die gute Schneidwirkung des Thuliumlasers bei gleichzeitiger guter Blutstillung auch im palliativen Kontext möglich. Der Vorteil gegenüber reinen Vaporisa-tionstechniken besteht in der gleich-zeitigen Sicherung der Histologie. Durch die teilweise komplett aufgeho-bene Kapselgrenze bei gleichzeitig hartem Karzinomgewebe ist unserer Meinung nach jedoch eine ausrei-chende Erfahrung mit den Methoden der Laserenukleation (HoLEP, ThuLEP, ThuVEP) hilfreich. In Ermangelung von Vergleichsdaten ist eine prospek-tiv-randomisierte Studie im Vergleich zur palliativen TURP mit größeren Fallzahlen zur korrekten Einordnung der Methode geplant. W

Literatur:1. Krupski TL, Stukenborg GJ, Moon K et al.

BJU Int 2010;106:1477–1483.2. Marszalek M, Ponholzer A, Rauchenwald

M et al. BJU Int 2007;99:56—59.3. Ahyai SA, Gilling P, Kaplan SA et al. Eur

Urol; 2010:58(3);384–397.

( Autor: Dr. med. Sven Piesche, Oberarzt Klinik für Urologie, Kinderurologie, Urologische Onkologie und Palliativmedizin Sana Klinikum Hof E-Mail: [email protected]

HAlle In Deutschland sind knapp zehn Prozent der Männer von einer Harninkon-tinenz betroffen. Diese wird meist als sehr belastend und leidvoll empfunden. Die meist iatrogen bedingte Belastungs-inkontinenz (BI) nimmt unter den Betrof-fenen mit wiederum zehn Prozent den kleinsten Anteil ein1. Allgemein reichen die Behandlungsmöglichkeiten der BI beim Mann vom Urinalkondom bis hin zur Implantation von pubourethralen Schlin-gen, adjustierbaren Systemen oder einem künstlichen Harnblasenschließmuskel.

D ie operative Therapie stellt in vielen Fällen nach wie vor eine Herausforderung dar.

Letztlich erzielen bei sauberer Diag-nostik (retrogrades Urethrozysto-gramm, diagnostische Urethrozysto-skopie und Urodynamik) und klarer Indikation alle Systeme ein sehr gutes Ergebnis2–4. So stellt sich mittlerweile die Frage nach einem differenzierten Einsatz in Abhängigkeit vom Schwe-regrad der BI, den bereits erfolgten Vorbehandlungen und natürlich den Bedürfnissen des Patienten selbst. Welcher Patient profitiert von wel-chem System am meisten? Bis dato können zur Entscheidungsfindung nur

Beobachtungsstudien zurate gezogen werden. Wir berichten über unsere Ergebnisse mit dem „adjustable trans-obturatorius male system“ (ATOMS®, Hersteller: A.M.I.).

Zwischen Oktober 2009 und Sep-tember 2014 erhielten 53 über unsere hausinterne Inkontinenzsprechstunde betreute und nachgesorgte Patienten ein ATOMS. Präoperativ sowie im Rahmen jeder Follow-up-Unter-suchung wurden Miktionsprotokoll, 24-Stunden-Vorlagenzahl, 24-Stun-

den-Pad-Test, Uroflowmetrie und Restharn evaluiert. Das mittlere Fol-low-up dieser prospektiven Beobach-tungsstudie betrug 26,52±17,76 (2,28–57,48) Monate. Die statistische Analyse erfolgte mit SPSS 12.0 (p<0,05).

Im Ergebnis waren die Patienten durchschnittlich 68 Jahre alt und bedurften präoperativ im Mittel 7,9±4,8 (2–18) Vorlagen am Tag (24-h-Pad-Test: 660±820 [80–2500] ml/24 h). In der Mehrzahl der Fälle wurden also Patienten mit zweit- beziehungsweise drittgradiger BI ver-sorgt. Unsere Patientenpopulation (Tab. 1) beinhaltet 40 Patienten nach

radikaler Prostatekto-mie, drei Patienten nach primärer Therapie mit hochintensivem fokussiertem Ultra-schall (HIFU), acht Pati-enten nach transureth-raler Resektion der Prostata (TUR-P), einen Patienten nach trans-vesikaler Adenomekto-mie sowie einen Pati-enten nach traumatisch bedingtem Harnröhren-

abriss. Infolge ihres Malignoms waren 16 der 42 Patienten mit Prostatakarzi-nom (37 %) vorbestrahlt. Darüber hin-aus waren elf der 53 Patienten (21 %) infolge ihrer Harninkontinenz bereits voroperiert.

Eine ATOMS-Implantation dauerte im Mittel 67,6±21,1 (30–148) Minu-ten. Nach der Implantation waren durchschnittlich 4,3±2,5 (0–9) Adjus-tierungen erforderlich, um das gewünschte Kontinenzergebnis zu erreichen. Im Ergebnis wurden 26 Patienten (49 %) „trocken“ (keine oder maximal eine Vorlage zur Sicherheit,

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Abb. 1: Der Skalpell-Schere-effekt bei Infrarotlasern: Bei vorhandener Kapsel-Adenomgrenze, die in der Regel bei BPH oder inzidentellen Karzinomen mit niedrigem PSA vorliegt, kann die Enukleation durch die mechanisch-präparierende Wirkung des Holmium-Laserpulses („Blow-Effekt“) umso effektiver unterstützt werden, je höher die Pulsenergie und Gesamtleistung gewählt werden („spreizende Schere“). Bei nicht mehr vorhandener Grenzschicht und/oder hartem Gewebe bei lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom mit hohem PSA zeigt die gute Schneidwirkung („Skalpell“) des Thulium-Lasers bei gleichzeitig exzellenter Blutstillung klare Vorteile.

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Abb. 1: Kontinenzergebnis nach ATOMS-Implantation. „Trocken“: keine oder maximal eine Vorlage zur Sicherheit, <10 ml im 24-h-Pad-Test. „Verbessert“: Besserung um mehr als 50 Prozent (1–2 Vorlagen, 10–25 ml im 24-h-Pad-Test).

Abb. 2: ATOMS mit vorkonnektiertem Skrotalport (mit freundlicher Genehmigung von A.M.I. Deutschland).

Sandra Mühlstädt

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medizintechnik | special | 17urologische NachrichteN | 01/02.2015

Langzeitergebnisse nach Implantation der Argus-SchlingeSehr gute Therapieoption bei mittlerer und schwerer Belastungsinkontinenz

<10 ml im 24-h-Pad-Test), während 15 Patienten (28 %) zumindest eine „Verbesserung“ um mehr als 50 Pro-zent (1–2 Vorlagen, 10–25 ml im 24-h-Pad-Test) erreichten, was einer Gesamterfolgsrate von 77 Prozent entspricht (Abb. 1). Durchschnittlich brauchten die Patienten postoperativ 1,3±1,8 (0–5) Vorlagen am Tag (24-h-Pad-Test: 20±46 (0-150) ml/ 24 h). Die Patienten mit Therapiever-sagen bedürfen letztlich, insofern sie dies mental und manuell bewerkstelli-gen können, einer weiterführenden Versorgung mittels eines künstlichen Sphinkters.

An postoperativen Komplikatio-nen (s. Tab. 2) sahen wir zweimalig (4 %) ein Skrotalhämatom unter thera-peutischer Antikoagulation, drei Pati-enten (6 %) mit persistierenden Schmerzen perineal/skrotal beim Sit-zen, einen Patienten (2 %) mit De-novo-Urgency, einen Patienten (2 %) mit Harnverhalt und Notwendigkeit zur temporären Ableitung per supra-pubischem Katheter sowie insgesamt sechs Wundinfektionen (12 %), wovon sich zwei perineal und vier im Bereich der Portkapsel fanden. Bei drei Patien-ten stellte die Infektion eine Frühkom-plikation innerhalb von 30 Tagen nach Implantation, bei drei Patienten eine Spätkomplikation durch Materi-alarrosion dar. Infolge der Infektion des Systems musste dieses bei fünf Patienten (10 %) komplett explantiert werden. Bei drei dieser fünf Patienten erfolgte nach sechs Monaten eine Re-Implantation des ATOMS mit hiernach

sehr gutem Erfolg. Darüber hinaus sahen wir drei Patienten mit Portarro-sionen infolge eines von der Fascia scarpia gelösten Ports. Bei einem Pati-enten war der Port vollständig kutan arrodiert, glücklicherweise ohne Infektion. Alle drei Patienten bedurf-ten einer operativen Revision, um den Port in loco typico zu replatzieren. Dies war unter anderem auch die Grundlage für die Idee der anderweiti-gen Platzierung der Portkapsel, sprich der Weiterentwicklung zum Skrotal-port (Abb. 2).

Zusammengefasst gibt es nicht ein Inkontinenzsystem für alle. Das zent-rale Element ist vielmehr der Patient mit seinem jeweiligen Grad der Belas-tungsinkontinenz, seinen Vorbehand-lungen, seinen Komorbiditäten sowie seinen Fähigkeiten und persönlichen Präferenzen. Denn letzten Endes lau-tet das Ziel, den für den Patienten bestmöglichen Weg zu finden. ATOMS

stellt dabei eine effektive operative Therapie in der Behandlung der Belas-tungsinkontinenz beim Mann dar. W

Literatur:1. Fuchs J, Wrobel B, Böhler G et al. Konti-

nenz aktuell 2012;57:13–19. 2. Rehder P, Haab F, Cornu JN et al. Eur Urol

2012;62:140–145. 3. Hübner WA, Gallistl H, Rutkowski M et

al. BJU Int 2010;107:777–782. 4. Trigo Rocha F, Gomes CM, Mitre AI et al.

Urology 2008;71:85–89. 5. Dindo D, Demartines N, Clavien PA. Ann

Surg 2004;244:931–937.

( Autoren: Mühlstädt S, Mohammed N, Schumann A, Fornara P Universitätsklinik für Urologie und Nieren-transplantation Martin-Luther-Universität Halle/Saale Korrespondenz: Dr. med. Sandra Mühlstädt E-Mail: [email protected] Info: Die Autoren versichern, dass keine Inte-ressenskonflikte bestehen.

erfurt Die Argus®-Schlinge ist ein adjustierbares Kontinenzsystem für die Belastungsinkontinenz des Mannes. Dabei wird ein Silikonkissen im Bereich der bulbären Urethra auf den Musculus bulbospongiosus positioniert. Die Schlin-genarme können retropubisch (Argus classic®) oder transobturatorisch (ArgusT®) ausgeleitet und verankert wer-den. Durch die Kompression der Schlinge wird der urethrale Widerstand erhöht und damit eine Verbesserung der Kontinenz-situation erreicht (Abb. 1 und 2).

Z wischen April 2007 und Januar 2014 wurden in unserer Klinik bei 140 Patienten aufgrund

einer Belastungsinkontinenz eine Argus®-Schlinge retrobupisch implan-tiert. Zur Inkontinenz führende Ein-griffe waren in 131 Fällen eine radi-kale Prostatektomie (RPE, wobei sämtliche OP-Methoden vertreten waren) und in neun Fällen eine trans-urethrale Resektion (TUR) der Prosta-ta. Bei 41 Patienten war präoperativ eine Bestrahlung und bei 29 Patienten eine TUR des Blasenhalses vorgenom-men wurden. Fünf Patienten hatten eine Harninkontinenz I°, 100 eine Inkontinenz II° und 35 eine Inkonti-nenz III°.

Zwischen Januar und Februar 2014 erfolgte eine Auswertung der operier-ten Patienten. Diese wurde in der Regel durch eine telefonische Befra-

gung vorgenommen. In einigen weni-gen Fällen wurde der behandelnde Urologe befragt. Eruiert wurden die aktuelle Kontinenzsituation (Vor-lagenverbrauch) und die Patientenzu-friedenheit (ausgedrückt als Schul-note). Des weiteren erfolgte eine Subgruppenanalyse nach der Vor-behandlung. Außerdem wurden die Komplikationen erfasst.

Insgesamt konnten die Daten von 138 Patienten ausgewertet werden. Das mittlere Follow-up betrug 37,8 (1–82) Monate. Als Erfolg wurde eine vollständige Kontinenz (keine Vorla-ge) bis maximal eine Vorlage pro Tag definiert. Bei unseren strengen Krite-rien wurde eine bloße Reduktion des Vorlagenverbrauches (beispielsweise von 6 auf 3 Vorlagen) nicht als Erfolg gewertet.

Die Erfolgsrate im gesamten Kol-lektiv lag bei 60,1 Prozent (Tab. 1). Bei

Patienten ohne Bestrahlung und ohne TUR-Blasenhals (80 Patienten) lag die Erfolgsrate mit 73,7% deutlich höher (Tab. 2). Patienten, die zuvor eine Bestrahlung und/oder eine TUR-Bla-senhals erhalten hatten, waren deut-lich schlechter in ihrer Kontinenzsitu-ation (Tab. 3 und 4).

Die Patientenzufriedenheit, ausge-drückt als Schulnote, lag im Durch-schnitt bei 2,7.

Eine Adjustierung wurde relativ häufig vorgenommen, nämlich bei 101 von 138 Patienten (72 %). In den meis-ten Fällen – bei circa 90 Prozent (90/101 Patienten) – musste ein Nach-spannen und in circa zehn Prozent (11/101) eine Lockerung des Systems erfolgen. Eine Adjustierung war auch nach mehreren Jahren noch problem-los möglich.

Als Komplikation sind länger anhal-tende Schmerzen, die über die Wund-heilung hinausgingen und die Einnah-me von Analgetika erforderten, bei zehn Prozent (14/138) zu verzeichnen. Nur in einem einzigen Fall war eine Explantation aufgrund von Schmerzen erforderlich. Eine Zügelruptur trat bei 6,4 Prozent (9/138) der Patienten auf. In all diesen Fällen wurde problemlos eine neue Schlinge eingelegt. Eine Explantation der Argus-Schlinge auf-grund von Arro sion der Urethra (4/138) oder Infek tion (6/138) erfolgte bei 7,2 Prozent (10/138).

In einem Fall (0,7 %; 1/138) kam es nach laparoskopischer Da-Vinci-RPE zu einer Sigmaverletzung. Aus diesem Grund würden wir heute nach einer laparoskopischen Da-Vinci-RPE eine retropubische Argus®-Schlinge allen-falls nach vorheriger CT-Diagnostik des kleinen Beckens implantieren.

Durch die vorliegenden Daten konnte gezeigt werden, dass die Argus®-Schlinge eine sehr gute Thera-pieoption in der Behandlung der männlichen Belastungsinkontinenz darstellt.

Vergleichbare Arbeiten1,2 zeigten etwas bessere Kontinenzraten bei geringeren Fallzahlen und kürzerer Nachbeobachtungszeit, jedoch etwas höhere Komplikationsraten bezüglich Arrosion und Infektion. Bestrahlte Patienten wiesen in unserem Kollektiv schlechtere Ergebnisse auf als nicht bestrahlte Patienten. Gleiches trifft für Patienten nach TUR-Blasenhals zu.

Fazit und ausblickAus unserer Sicht stellt die adjustier-bare Argus®-Schlinge eine sehr gute Therapieoption bei mittlerer und schwerer Belastungsinkontinenz (aus-genommen der Durchlaufinkonti-nenz) dar. Vor allem für Patienten, die aus manuellen Gründen für einen artifi ziellen Sphinkter nicht infrage kommen oder diesen ablehnen, besteht durch die Argus®-Schlinge eine gute Chance, die Kontinenz wie-der zu erlangen. Die Möglichkeit, jederzeit nachjustieren zu können, ergibt einen unschätzbaren Vorteil gegenüber nicht nachjustierbaren Systemen.

fortsetzung siehe Seite 18 (

( fortsetzung von Seite 16

Tab. 1: Ergebnisse ATOMS der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie, MLU Halle.RPVE: radikale Prostatovesikulektomie.

Tab. 2: Postoperative Komplikationen ATOMS der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie, MLU Halle; * Einteilung entsprechend Clavien5.

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Alexander Krebs

Abb. 2: Adjustierung der Argus-Schlinge.

Abb. 1: Retropubische Argus-Schlinge.