Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

14
360 Seiten, Paperback ISBN: 978-3-406-63090-3 Weitere Informationen finden Sie hier: http://www.chbeck.de/9329193 Unverkäufliche Leseprobe © Verlag C.H.Beck oHG, München Hubert Wolf Papst & Teufel Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Transcript of Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

Page 1: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

360 Seiten, Paperback ISBN: 978-3-406-63090-3

Weitere Informationen finden Sie hier: http://www.chbeck.de/9329193

Unverkäufliche Leseprobe

© Verlag C.H.Beck oHG, München

Hubert Wolf Papst & Teufel Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Page 2: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

PAPST UND TEUFEL?

papst und teufel?

«Wenn es sich darum handeln würde, auch nur eine einzige Seele zuretten, einen größeren Schaden von den Seelen abzuwenden, so wür-den Wir den Mut aufbringen, sogar mit dem Teufel in Person zuverhandeln.»1 Pius XI., von dem diese Aussage stammt, hat währendseiner Amtszeit als Papst in den Jahren von 1922 bis 1939 in der Tatmehrfach den Mut gehabt, mit Personen zu verhandeln, die oftmals fürInkarnationen des Bösen gehalten wurden: Benito Mussolini, AdolfHitler und Josef Stalin. Dabei ging es dem «Stellvertreter Jesu Christiauf Erden» stets primär um das Seelenheil der Gläubigen und um Ga-rantien für eine ungehinderte Seelsorge der katholischen Kirche. Fürdie Sicherung des ewigen Lebens der ihm anvertrauten «Schäfchen»war der oberste Hirte der Kirche auf dem Feld der irdischen Existenzsogar bereit, dem Teufel in Gestalt totalitärer Ideologien und ihrer An-führer diplomatisch bis an die Grenzen des Möglichen entgegenzu-kommen. Im Austausch für die Gewährung geistlicher Freiheit solltedie Kirche zur Not auf alle weltlichen Aktivitäten verzichten und sichaus Politik und Öffentlichkeit im wahrsten Sinn des Wortes in dieSakristeien zurückziehen.

Rom und die Herausforderungen des 20. Jahrhundertsrom und die herausforderungen des 20. jahrhunderts

Pius XI. hielt diese Rede am 16. Mai 1929. Auf den ersten Blick schei-nen sich seine Worte ausschließlich auf die ein Vierteljahr zuvor, am11. Februar 1929, zwischen dem faschistischen Italien und dem Heili-gen Stuhl abgeschlossenen Lateranverträge zu beziehen. Dieses Ab-kommen hatte nach über einem halben Jahrhundert heftiger Kon-flikte zwischen dem Königreich Italien und dem Heiligen Stuhl end-lich eine Lösung der «Römischen Frage» gebracht. Seit der Besetzungdes Kirchenstaates und der Stadt Rom durch italienische Truppen im

Page 3: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

Jahr 1870 im Zuge des Risorgimento, der Entstehung des italienischenNationalstaats, hatten sich die Päpste als Gefangene im Vatikan gese-hen. Der traditionelle päpstliche Segen «Urbi et Orbi», für die StadtRom und den ganzen Erdkreis, wurde an den kirchlichen Hochfestenwie Weihnachten und Ostern nicht mehr von der äußeren Loggia derPeterskirche gespendet, sondern nur noch von der inneren Loggia indie Basilika hinein, damit die italienischen «Räuber des Kirchenstaa-tes» davon nur ja nichts abbekämen. Für die maßgeblichen Vertreterder Römischen Kurie und den Papst selbst war es schlicht undenkbar,sich den Stellvertreter Jesu Christi auf Erden, das Oberhaupt vonAbermillionen katholischen Gläubigen weltweit, als Untertan desitalienischen Königs und gewöhnlichen Bürger Italiens vorzustellen.Zur Ausübung seines universalen geistlichen Amtes brauchte derPapst ihrer Ansicht nach die Souveränität eines eigenen Staates, derihm völlige Unabhängigkeit von weltlichen Mächten gewährte. Um-gekehrt konnte das neue Königreich Italien im Interesse seiner geradegewonnenen nationalen Einheit auf gar keinen Fall Teile des Kirchen-staates und schon gar nicht die Hauptstadt Rom dem Papst zurück-geben. Staat und Kirche blockierten sich so jahrzehntelang gegensei-tig. Während des Ersten Weltkriegs gab es sogar Überlegungen, denHeiligen Stuhl von Rom nach Liechtenstein oder Mallorca zu ver-legen. Was mit parlamentarisch gestützten Regierungen Italiens stetsgescheitert war, die Conciliazione, die Verständigung zwischen derRömischen Kurie und dem italienischen Nationalstaat, kam zwi-schen dem totalitären Regime Mussolinis und Pius XI. 1929 schließ-lich zustande: Faschismus und Katholizismus einigten sich. In denLateranverträgen, die aus einem Staatsvertrag, einem Konkordat undeinem Finanzabkommen bestanden, wurden der souveräne Staat derVatikanstadt errichtet und damit für den Papst zumindest ein kleinerKirchenstaat geschaffen sowie als Gegenleistung für eine Entpoliti-sierung von Klerus und Kirche die katholischen Glaubens- und Moral-prinzipien staatskirchenrechtlich in Italien besonders geschützt.Gleichzeitig schaffte der Papst den Faschisten die ungeliebte politi-sche Konkurrenz katholischer Provenienz, die Volkspartei, vom Hals.Die Verhandlungen und der Abschluß der Lateranverträge mit demItalien Mussolinis können durchaus auch als Pakt des Papstes mit«dem Bösen» im Interesse der Seelsorge interpretiert werden.

8 papst und teufel?

Page 4: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

Auch wenn Pius XI. in seiner Ansprache im Rahmen einer Privat-audienz für katholische Professoren und Studenten den italienischenBezug seiner Äußerungen akzentuierte, ergibt sich aus dem Kontextklar und deutlich, daß der Pontifex maximus seine Aussagen nichtnur anlaßbezogen beziehungsweise auf die italienische Situation fi-xiert, sondern in viel grundsätzlicherer Weise verstanden wissenwollte. Es ging ihm nicht nur um die gerade abgeschlossenen Ver-handlungen mit Mussolini und den italienischen Faschismus. Pius XI.nutzte die Audienz vielmehr, um am Beispiel des Themas Bildungund Erziehung Rolle und Funktion der Kirche angesichts der Heraus-forderungen der modernen Welt in prinzipieller Weise zu umreißen.Dabei sahen sich Papst und Kurie seit dem 19. Jahrhundert mit denzunehmenden Versuchen der Staaten konfrontiert, den Einfluß derKirche in zentralen Bereichen wie der Erziehung der Kinder undJugendlichen zurückzudrängen oder sogar ganz auszuschalten. DerPapst betrachtete die kirchliche Erziehung als einen unabänderlichenewigen göttlichen Auftrag an die Kirche zur Rettung der Seelen derjungen Menschen. Die katholische Kirche als «Mater et Magistra», alsMutter und Lehrerin, hatte für ihn nicht nur das unaufgebbare Recht,sondern auch die heilige Pflicht, den Eltern, denen das Erziehungs-recht im Schoß der Kirche nach göttlichem Recht unverrückbar zu-kam, ihre Hilfe in diesem Bereich angedeihen zu lassen, weil die ein-zelnen Familien ansonsten überfordert wären. Der Staat indes dürfesich dieses Recht der Erziehung in gar keinem Fall anmaßen, das wäre«absurd» und «gegen die Natur» – so der Papst. In der vollständigenKontrolle von Erziehung und Bildung der jungen Generation, die vonzahlreichen Staaten, gleich welcher Weltanschauung sie auch folgten,angestrebt wurde, sah Pius XI. eine Hauptgefahr nicht nur für daszeitliche Wohl, sondern auch für das ewige Heil der Kinder undJugendlichen. Hier war die Kirche gefordert, hier standen ewige Werteauf dem Spiel, hier ging es um Sein oder Nichtsein, hier mußte mannotfalls sogar mit dem Teufel in Person verhandeln. Der Papst unter-strich in seiner Ansprache, daß er in dieser Weise schon mehrfach mitden Staaten verhandelt habe und bis an die Grenzen des für die KircheMöglichen gegangen sei, «wenn davon das Schicksal unserer geliebtenKatholiken abhing». Aber wenn es um die naturrechtlichen Prin-zipien und das göttliche Recht selbst ging, mußte die Kirche nach An-

rom und die herausforderungen des 20. jahrhunderts 9

Page 5: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

sicht Pius’ XI. unnachgiebig bleiben, weil diese «unanfechtbar, unab-dingbar, unwiderstehbar» seien, also schlicht nicht zur Dispositionder Menschen – auch nicht der Kirche – stünden.

Der moderne Staat, gleichgültig auf welcher weltanschaulichenGrundlage er basierte, versuchte nach Ansicht von Papst und Kurieeinen umfassenden beziehungsweise totalen Anspruch auf seine Bür-ger durchzusetzen, der mit dem nicht minder totalen Anspruch derkatholischen Kirche auf ihre Gläubigen in Konflikt geraten mußte.Die katholische Weltanschauung sah sich im Laufe des 20. Jahrhun-derts immer stärker mit totalitären Ideologien konfrontiert, die alspolitische Religionen das Christentum und seinen absoluten Wahr-heitsanspruch bis aufs Messer bekämpften. Ideologien traten miteinem ebensolchen Anspruch und dem Ziel einer totalen Vereinnah-mung von Staat, Gesellschaft und Individuen auf. Sie vergöttertensich selbst in Pervertierung des biblischen Gebots «Du sollst keineanderen Götter neben mir haben». Daß die katholische Kirche mitihrem dem Selbstverständnis nach in Gott selbst gründenden Wahr-heitsanspruch und der Papst als Repräsentant Jesu Christi angesichtsdieser vielfältigen, nicht minder umfassenden Heilsangebote undalternativen politischen Religionen herausgefordert waren, liegt aufder Hand. «Der Begriff des Totalitarismus» – so hieß es in einem in-ternen Papier des Päpstlichen Staatssekretariates vom Herbst 1933 –«darf aber keinesfalls dazu mißbraucht werden, um politische undweltliche Ziele zu erreichen. Die Kirche selbst strebt nach Totalität,um den ganzen Menschen und die ganze Menschheit für Gott zu ver-langen.»2

Wenn im folgenden von «Totalitarismus» und «Totalitarismen»gesprochen wird, dann geschieht dies eher aus pragmatischen Grün-den; eine Anlehnung an eine bestimmte Theorie ist damit nicht ver-bunden. Die Verwendung des Totalitarismusbegriffs könnte in der Tatdazu führen, die Gemeinsamkeiten ganz unterschiedlicher politischerSysteme wie des Kommunismus und des Faschismus zu stark zu beto-nen. Hier geht es nur darum, den umfassenden Anspruch, den unter-schiedliche politische Ideologien und religiöse Glaubensgemeinschaf-ten erhoben haben, im wahrsten Sinn des Wortes auf einen Begriff zubringen. Im kurialen Sprachgebrauch der dreißiger Jahre scheinen dieBegriffe «total» und «totalitär» ohnehin synonym verwendet worden

10 papst und teufel?

Page 6: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

zu sein, so daß in den dreißiger Jahren noch nicht von einem elabo-rierten Totalitarismusbegriff ausgegangen werden kann.

Das dualistische Weltbild der Katholiken ist ernstzunehmen, anihm orientierten sie sich im Kampf mit den neuen Ideologien. «Einereligiöse Betrachtung des Nationalsozialismus muß» – so schrieb EricVoegelin (1901–1985), der den Begriff der «politischen Religion» wis-senschaftlich maßgeblich prägte, 1938 im amerikanischen Exil – «vonder Annahme ausgehen dürfen, daß es Böses in der Welt gebe; undzwar das Böse nicht nur als einen defizienten Modus des Seins, als einNegatives, sondern als eine echte, in der Welt wirksame Substanz undKraft.» Und er fügte hinzu, «einer nicht nur sittlich schlechten, son-dern religiös bösen, satanischen Substanz» könne «nur aus einergleich starken religiös guten Kraft der Widerstand geleistet werden».Man könne «eine satanische Kraft» mit «Sittlichkeit und Humanitätallein» schlicht nicht «bekämpfen». Letztlich seien nur «große reli-giöse Persönlichkeiten» zum «Widerstand gegen das Böse» fähig, nursie könnten den Kampf gegen die äußerst attraktive Kraft des «Luzife-rischen» in die Hand nehmen.3 Wenn überhaupt jemand, dann waraus der Sicht der Kirche der Papst als Stellvertreter Jesu Christi aufErden als Nachfolger der Inkarnation der Güte Gottes dazu berufen,den Kampf gegen das Böse zu organisieren.

Die Lehre der Kirche malte diesen Kampf zwischen Gut und Bösein grellen Farben aus, und in der Vorstellungswelt der Päpste undvieler Katholiken war er durchaus real. Der Papst hatte den damit ver-bundenen Erwartungen gerecht zu werden, und die papsttreuen Gläu-bigen sahen sich vor die Wahl gestellt: Sie mußten sich entscheidenzwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen ewigem Heil und ewigerVerdammnis – zwischen Papst und Teufel eben. An dieser Grundent-scheidung hatten sie ihr Handeln auszurichten. So wie Christus in derWüste dreimal vom Teufel versucht wurde und ihn dreimal zurück-wies (Matthäus 4,1–11), so sah sich der Papst als Repräsentant Christiauf Erden gefordert, sich dem Bösen zu stellen, um als «guter Hirte»die ihm anvertraute Herde sicher durch die finsteren Schluchten zuden ewigen Weideplätzen im Himmel zu führen und keines seinerSchäfchen auf dem Weg durch diese Zeit mit all ihren Gefährdungenzu verlieren.

Es ging Pius XI. also um den Schutz ewiger, unveränderlicher

rom und die herausforderungen des 20. jahrhunderts 11

Page 7: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

Wahrheiten und damit letztlich um den Heilsauftrag der katholischenKirche in dieser Welt, deren Verteidigung den Papst sogar mit dem,was er für das Böse in Person hielt, in Kontakt treten ließ. Damit sindnicht nur die totalitären Weltanschauungen des 20. Jahrhunderts wieKommunismus, Nationalsozialismus, Faschismus, Franquismus oderein radikal antikirchlicher Liberalismus als «böse» antichristlicheIdeologien gemeint, auch nicht nur Stalin, Hitler, Mussolini oderFranco als dunkle Fürsten dieser Welt. Hinter dem Satan verbergensich in den Augen des Papstes auch nicht nur die totalen Ansprücheder modernen Nationalstaaten auf die Seelen ihrer Bürger. Der Teufelsteht für ihn vielmehr als Chiffre für all die modernen Versuchungenund prinzipiellen Infragestellungen der ewigen göttlichen Wahrheit,die Jesus Christus geoffenbart hat und deren Garant in der Welt diekatholische Kirche und nicht zuletzt der Nachfolger des Apostelfür-sten Petrus, der Papst selbst, ist. Der «böse» Zeitgeist will durch seineEinflüsterungen, seien sie materieller oder ideeller Art, die Christ-gläubigen vom rechten Weg abbringen, so daß sie ihren von Gott ge-wiesenen Lebensweg und ihr ewiges Seelenheil verlieren. Es geht umnichts weniger als die alles entscheidende Frage, ob es dem Papst alsHaupt der ecclesia militans, der streitenden Kirche in dieser Welt, ge-lingt, für die Katholiken das Tor zum Himmel offenzuhalten und diePforten der Hölle zu verschließen.

Die Existenz der Hölle als Ort ewiger Verdammnis und das Wirkendes Teufels in dieser Welt standen zur Zeit Pius’ XI. für gebildeteTheologen und einfache Katholiken gleichermaßen außer Frage, siewaren bedrohende Realität. «Die Offenbarungen Christi über denTeufel sind von großem Ernst», schrieb etwa der Freiburger ErzbischofConrad Gröber (1872–1948) 1937 in seinem immer wieder aufgelegtenHandbuch der religiösen Gegenwartsfragen. Dreimal nenne ihnChristus im Johannesevangelium den «Herrscher dieser Welt» (Johan-nes 12,31, 14,30 und 16,11), und Paulus spreche sogar vom «Gott die-ser Weltzeit» (2. Korinther 4,4). Für Gröber ist der Teufel nach demeindeutigen Zeugnis der Heiligen Schrift «der Feind» schlechthin, derauf dem «Acker des Gottesreiches das Unkraut sät. … Der Teufelführt die Bösen an, die, sei es innerhalb der sichtbaren Kirche, sei esvon außen, an dem Untergang des Reiches Christi arbeiten; aber erwird die auf den Felsen Petri gebaute Kirche nicht überwältigen.»4 Die

12 papst und teufel?

Page 8: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

dualistische Annahme zweier gleichrangiger ewiger Prinzipien, Gottauf der einen und der Teufel auf der anderen Seite, hat die Kirche aberstets abgelehnt. Vielmehr wurde Luzifer als gefallener Engel betrach-tet, wie schon das Vierte Laterankonzil 1215 festgehalten hat: «DerTeufel und die anderen Dämonen sind zwar von Gott der Natur nachgut geschaffen, aber sie sind von sich aus böse geworden. Der Menschjedoch hat aufgrund der Einflüsterung des Teufels gesündigt.»5 DieUrsünde der gefallenen Engel, die aus dem Himmel auf die Erde ge-stürzt sind, und der Sündenfall der Menschen im Paradies liegen so-mit auf einer Linie. Seither ist die Schlange, der Teufel, der Satan inder Welt und verführt in ganz unterschiedlichen Gestalten die Men-schen immer neu zum Bösen. «Diese Gewalt Satans ist sehr ernst zunehmen», heißt es im einschlägigen Teufelsartikel des Lexikons fürTheologie und Kirche aus dem Jahr 1938, dem Standardwerk für ka-tholische Theologen und Pfarrer. Christus, der ihn einen «Menschen-mörder von Anfang an» (Johannes 8,44) nennt, habe im Teufel «denFeind seines ganzen Erlösungswerkes» gesehen.6 Durch Christi Erlö-sertod am Kreuz habe die Kirche zwar ein wirksames Mittel zur Be-kämpfung des Teufels in der Hand. Das bedeutet allerdings nicht, daßdas Böse, wie wiederum Gröber ausführt, damit «einfach aus der Weltausgeschlossen wäre». Vielmehr bleibe «die Macht des Satans zwar‹bis zur Ernte› im Unkraut erkennbar», aber im Weltgericht werdeseine Macht endgültig zerbrochen. «Im Hinblick darauf … wartet dieKirche in Zeiten der Verfolgung auf den Endsieg Christi.»7 Bis zurWiederkehr des Herrn zum Jüngsten Gericht sind der einzelne Christund die Kirche den Versuchungen des Teufels ausgesetzt, wird derKampf zwischen Gut und Böse unerbittlich ausgefochten.

Als natürlicher Gegenspieler des Bösen, gleich in welcher Gestaltes sich auch zeigte, war der Papst sowohl nach eigenem Selbstver-ständnis als auch nach den Erwartungen der Gläubigen gefordert. Der«Bischof von Rom, Stellvertreter Jesu Christi, Nachfolger des Apostel-fürsten, Oberster Pontifex der universalen Kirche, Patriarch desAbendlandes, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der römi-schen Kirchenprovinz und Souverän des Staates der Vatikanstadt»,8

wie die offizielle Titulatur nach dem Annuario Pontificio, dem jähr-lich erscheinenden offiziellen päpstlichen Handbuch, lautet, mußtesich wie Jesus Christus selbst in der Heiligen Schrift dem Versucher

rom und die herausforderungen des 20. jahrhunderts 13

Page 9: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

und Fürsten der Welt stellen. Denn nach katholischer Glaubensüber-zeugung «vertritt der Papst die Stelle Jesu Christi auf Erden».9 In denheftigen Auseinandersetzungen mit dem absolutistischen Kirchen-regiment zahlreicher meist protestantischer Staaten des 19. Jahrhun-derts hatten nicht wenige Katholiken im Zuge des sogenannten Ultra-montanismus ihre Hoffnungen ultra montes, über die Berge, nachRom, auf den Papst als den in der Ewigkeit gründenden Petrusfelsengerichtet, der in den tosenden Stürmen der Moderne Halt und Sicher-heit bot, an den man sich in den Fluten des Bösen festklammernkonnte. Man sah im Papst «gleichsam eine Inkarnation der übernatür-lichen Ordnung», in der die Völker Christus selbst erkennen, «derdeshalb in allen und für alle im Papst und mit dem Papst und durchden Papst ist»10 – wie ein italienischer Bischof 1870 auf dem ErstenVatikanischen Konzil formulierte. Die Volksfrömmigkeit ging nocheinen Schritt weiter mit Formulierungen wie «Wenn der Papst medi-tiert, ist es Gott, der in ihm denkt».11 Schließlich wurde sogar einedreifache Inkarnation, eine dreifache Menschwerdung des SohnesGottes propagiert: durch die Geburt des ewigen Logos im Jesuskindim Stall von Bethlehem, durch die Wandlung von Brot und Wein inLeib und Blut Christi in der Heiligen Kommunion und schließlichdurch die geheime Wahl eines Kardinals im Konklave zum Papst.

Diese Vorstellungen führten auf dem Ersten Vatikanischen Konzilzur Dogmatisierung der Unfehlbarkeit und des universalen Jurisdik-tionsprimats des römischen Papstes. Durch diese Dogmen wurde allenKatholiken als zu glauben verbindlich vorgeschrieben: Der Papst istinfolge seiner Unfehlbarkeit der Garant für die sichere Erkenntnis dergeoffenbarten göttlichen Wahrheiten, nach denen «Gott aus seinerunendlichen Güte den Menschen auf das übernatürliche Ziel hinge-ordnet hat, nämlich zur Teilnahme an den göttlichen Gütern, die jedeEinsicht des menschlichen Geistes übersteigen».12 Daher ist er unver-zichtbar, «um das heilbringende Werk der Erlösung auf Dauer zu ge-währleisten». Sein Primat «über den gesamten Erdkreis», den Chri-stus, der Herr, «unmittelbar und direkt dem seligen Apostel Petrusverheißen und übertragen» hat, und in Petrus zugleich all seinenNachfolgern auf dem Apostolischen Stuhl, sichert die «Stärke undFestigkeit der ganzen Kirche», zumal in Zeiten, «da sich die Pfortender Unterwelt von Tag zu Tag mit größerem Haß und von überall her

14 papst und teufel?

Page 10: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

gegen das von Gott gelegte Fundament erheben». Wenn der Papst inAusübung seines Amtes als oberster Hirte und Lehrer der Kirchespricht, sind seine Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen«unfehlbar aus sich selbst, nicht erst aufgrund der Zustimmung derKirche».13

Wenn sich Pius XI. auf der Sedia gestatoria, angetan mit den Pon-tifikalgewändern, gekrönt mit der Tiara, unter einem Baldachindurch die Schar der Gläubigen in die Peterskirche tragen ließ, wurdeseine Rolle als Repräsentant der Güte Gottes und Gegenspieler desTeufels in all seinen Erscheinungsformen in augenscheinlicher Weisesymbolisch inszeniert. Der tragbare Thronsessel und die Gewänder,die auf das antike Kaiserzeremoniell zurückgehen, weisen auf denumfassenden herrschaftlichen Anspruch des römischen Bischofs inKirche und Welt hin. Die dreifache Krone steht für die allumfassendepäpstliche Autorität und seine universale Vollmacht als «Vater derFürsten und Könige, Lenker der Welt und Stellvertreter Christi aufErden», wie es im Pontificale Romanum von 1596, dem großen Zere-monienbuch der Päpste, treffend heißt.14 Unter dem Baldachin wirdnormalerweise während der Fronleichnamsprozession vom Priesterdas Allerheiligste getragen, die in eine prächtige Monstranz einge-setzte gewandelte Hostie, in der Christus selbst sakramental gegen-

Pius XI. auf der Sediagestatoria.

Page 11: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

wärtig ist. Die Stelle des eucharistischen Brotes nimmt hier der Papstals Realsymbol Jesu Christi in dieser Welt ein.

Die wahrhaft teuflisch anmutenden Herausforderungen für Pius XI.waren groß und vielfältig. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen,die sein Pontifikat weitgehend abdeckt, war durch gewaltige Umbrü-che geprägt. In der Sowjetunion etablierte sich nach der Oktoberrevo-lution der Kommunismus, was mit einer rigiden Kirchenverfolgungverbunden war. In Deutschland hatte die Novemberrevolution dasEnde der Monarchie gebracht; auf die Weimarer Demokratie folgtendie nationalsozialistische Diktatur, der «Anschluß» Österreichs unddie Sudetenkrise. Im Spanischen Bürgerkrieg unterlag die Volksfront-regierung, und Franco errichtete sein autoritäres Regime. In Italienentstand der Faschismus, und Mussolini stieg zum Diktator auf. Über-all radikalisierten sich alte und neue Nationalismen, eine sozialdar-winistische Rassenlehre und ein biologistischer Antisemitismus ge-wannen an Boden. Der antikirchliche Zeitgeist stellte christlicheWerte und Überzeugungen grundsätzlich in Frage.

Nicht weniger als dreimal hatte der Papst in den zwanziger Jahrender Sowjetunion unter Stalin die Aufnahme diplomatischer Beziehun-gen mit dem Heiligen Stuhl und die völkerrechtliche Anerkennungdes kommunistischen Regimes der UdSSR durch die katholische Kir-che angeboten, wenn im Gegenzug die Christenverfolgungen in dembolschewistischen System aufhörten und wenigstens eine Grundver-sorgung der Katholiken mit den Sakramenten, den Gnadenmitteln derKirche, garantiert würde. Gleichzeitig hoffte man wohl auch auf eineAufwertung des Katholizismus gegenüber der verfolgten orthodoxenStaatskirche. Erste Auswirkungen des antikirchlichen kommunisti-schen Terrors nach der Oktoberrevolution von 1917 hatte AchilleRatti als Apostolischer Visitator in Polen und Nuntius in Warschauam Ende des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1918 bis 1921 aus eige-ner Anschauung kennengelernt. Seither war der russische Bolschewis-mus für den späteren Papst wie einen Großteil der Römischen Kuriedie Verkörperung des Bösen par excellence, vor dem Kirche und Weltunbedingt geschützt werden mußten, mit dem man aber im Interesseder Rettung der Seelen zur Not auch verhandeln mußte.

Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem DeutschenReich, das 1933 wenige Monate nach der «Machtergreifung» Hitlers

16 papst und teufel?

Page 12: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

abgeschlossen wurde, galt nicht wenigen als der Pakt des Papstes mitdem Teufel schlechthin. Auch wenn Pius XI. im Frühjahr 1933 Hitlerals einzigen Staatsmann gelobt hatte, der – außer dem Papst selbst –sich öffentlich und eindeutig gegen den Kommunismus ausgesprochenhabe, gaben sich der Pontifex maximus und sein Kardinalstaatssekre-tär Eugenio Pacelli – der spätere Papst Pius XII. – über den menschen-verachtenden und kirchenfeindlichen Charakter des nationalsoziali-stischen Regimes in Deutschland keinerlei Illusionen hin. In denvierziger Jahren scheint Pius XII. Hitler sogar ausdrücklich als vom«Teufel besessen» betrachtet zu haben. Nach Aussagen des JesuitenPeter Gumpel, der als Untersuchungsrichter der Kongregation für dieSelig- und Heiligsprechungen seit Jahren die Erhebung Pius’ XII. zu denEhren der Altäre betreibt, habe der Papst per «Fernexorzismus» mehr-fach versucht, eine Teufelsaustreibung bei Hitler vorzunehmen unddiesen so – allerdings ohne Erfolg – «vom Satan zu befreien».15 DerPakt mit Hitler war für die Kurie im Grunde ein Akt katholischer Vor-wärtsverteidigung im Hinblick auf die schlimmen Zeiten, die man inRom auf die Kirche unter nationalsozialistischer Herrschaft zukom-men sah. Mit dem Reichskonkordat wollte man einen hohen Wallerrichten, hinter dem die katholische Kirche ihrer von Gott übertrage-nen totalen Verantwortung für das ewige Seelenheil der ihr anvertrau-ten Gläubigen gegen den Absolutheitsanspruch des Nationalsozialis-mus und seiner Weltanschauung wenigstens halbwegs gerecht werdenkonnte.

Diese Rechnung scheint in seelsorgerlicher Hinsicht aufgegangenzu sein. Tatsächlich blieb die katholische Kirche die einzige Institu-tion im «Dritten Reich», die sich der Gleichschaltung weitgehend er-folgreich entziehen und eine Eigenständigkeit ihrer Liturgie und Ver-kündigung erhalten konnte. Anders als bei der evangelischen Kirche,in der die Deutschen Christen als nationalsozialistischer Brückenkopfinstalliert werden konnten, gelang es den «braunen Truppen» nicht, innennenswertem Umfang in den Innenraum der katholischen Kirchevorzudringen. Das Reichskonkordat verhinderte in Deutschland einneues Seelsorge-Desaster, wie es während des Kulturkampfs der sieb-ziger und achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts geherrscht hatte, als tau-sende Pfarreien und zahlreiche Bischofsstühle wegen des kirchenpoli-tischen Konflikts zwischen der katholischen Kirche und dem neuen

rom und die herausforderungen des 20. jahrhunderts 17

Page 13: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

deutschen Nationalstaat Otto von Bismarcks nicht besetzt werdenkonnten und daher zahllosen Gläubigen die Tröstungen der HeiligenSakramente vorenthalten blieben. Damals waren Taufen, Firmungen,Eheschließungen und die Feier der heiligen Eucharistie in der Messevielfach nicht möglich. Selbst die Sterbesakramente konnten oft nichtgespendet werden, so daß Katholiken ohne Beichte und Sündenverge-bung, ohne seelsorgerlichen Beistand und Letzte Ölung vor Gottes An-gesicht treten mußten.

Aber war der Preis für diese seelsorgerliche Selbstbehauptung derkatholischen Kirche während des «Dritten Reichs» nicht viel zuhoch? Hatte der Papst mit seiner Konzentration auf das ewige Seelen-heil der Katholiken nicht das zeitliche Wohlergehen aller Menschenvergessen? Wie kamen der Papst und seine engsten Mitarbeiter mitdem doppelten Anspruch zurecht, als oberste Hirten die ihnen anver-traute Herde durch finstere Schluchten zu sicheren Weideplätzen ansWasser des Lebens zu führen und gleichzeitig Anwalt aller Menschenals Ebenbilder Gottes sein zu müssen? Wie sahen Pius XI. und seinKardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli die Entwicklung in Deutsch-land? Wie beurteilten sie die politischen Konstellationen in der Wei-marer Republik? Wie nahm man den Aufstieg der Nationalsozialistenwahr? Hatte sich die Kurie auf Hitler und sein totalitäres Regime aus-reichend vorbereitet? Glaubte man mit dem Nationalsozialismusnach dem Modell des italienischen Faschismus, mit dem man 1929 inden Lateranverträgen zu einer Verständigung gekommen war, umge-hen zu können? Unterschätzte man aufgrund der «guten» Erfahrungmit dem Diktator Mussolini den Diktator Hitler? War der «Pakt mitdem Teufel», dem die Sorge um das Seelenheil der Gläubigen alsoberstes Prinzip zugrunde lag, letztlich verantwortlich für das«Schweigen» Roms zur Verfolgung und systematischen Ermordungvon Millionen von Juden durch die Nationalsozialisten? Gingen gartraditioneller kirchlicher Antijudaismus und moderner Rassenanti-semitismus – zumindest indirekt – eine unheilige Allianz ein? Oderwollte Pius XI. den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, indem ermit den «braunen» Machthabern in Berlin einen Vertrag schloß, umein Bollwerk zum Schutz Europas vor dem russischen Kommunismuszu errichten? Und spezieller: Was bedeuten die deutschen Erfahrun-gen des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli, der nicht weniger als

18 papst und teufel?

Page 14: Papst und Teufel - beckassets.blob.core.windows.net

zwölf Jahre in der entscheidenden Phase von 1917 bis 1929 als Nun-tius in München und Berlin tätig war, für seine Einschätzung derSituation im Reich und für die vatikanische Deutschlandpolitik? Wel-che personellen Netzwerke hat er in seiner Zeit in Deutschland ge-knüpft? Lassen sich bestimmte Handlungsmuster des späterenPius XII. gar auf deutsche Erfahrungen zurückführen? Hängt vielleichtsogar sein viel diskutiertes «Schweigen» zum Holocaust damit zu-sammen?

Diese und zahlreiche andere Fragen konnten bislang nur unzurei-chend beantwortet werden, weil die Forschung nicht hinter die Mau-ern des Vatikans blicken konnte. Zwar ermöglichten die öffentlichenund veröffentlichten Äußerungen und Handlungen von Papst undKurie entscheidende Einsichten, und in zahlreichen staatlichen Ar-chiven und Privatnachlässen tauchte äußerst interessantes Materialauf. Aber die römische Zentralüberlieferung mit den Berichten derNuntien, den Beratungsprotokollen der verschiedenen kurialen Kon-gregationen als vatikanischen Ministerien, die Akten des HeiligenOffiziums als oberster Glaubensbehörde, die Beratungen zwischenKardinalstaatssekretär und Papst waren für diesen Zeitraum bislangverschlossen. Über die internen Diskussionen der Kurie konnte mandaher nur spekulieren. Das Vatikanische Geheimarchiv schien sei-nem Namen wieder einmal alle Ehre machen zu wollen.

In den geheimen Archiven des Vatikansin den geheimen archiven des vatikans

Sollte letztlich Dan Brown also doch recht haben, der in seinemThriller Illuminati beschrieb, wie es im Geheimarchiv aussieht undwer reinkommt und wer nicht?16 «Das Archivio Vaticano. Einer vonRobert Langdons Lebensträumen wurde wahr. … Langdon kanntekeinen einzigen amerikanischen nichtkatholischen Gelehrten, demZutritt zu den Vatikanischen Geheimarchiven gewährt wordenwäre. … Das Bild, das er sich im Lauf der Jahre von diesem Raum ge-macht hatte, hätte unzutreffender nicht sein können. Langdon hattesich staubige Bücherregale vorgestellt, die von alten, zerfleddertenFolianten überquollen, Priester, die bei Kerzenlicht die Beständekatalogisierten, Bleiglasfenster und Mönche mit Federkielen über

in den geheimen archiven des vatikans 19

engelhardt
Textfeld
Textfeld
_________________________________________ Mehr Informationen zu diesem und vielen weiteren Büchern aus dem Verlag C.H.Beck finden Sie unter: www.chbeck.de
engelhardt
Textfeld