Paracelsus

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  • K L E I N E B I B L I O T H E K D E S W I S S E N S

    LUX-LESEBOGENNATUR- UND K U L T U R K U N D L I C H E H E F T E .

    FRANZ BAUMER

    PARACELSUSARZT, PHILOSOPH

    UNDMENSCHENFREUND

    V E R L A G S E B A S T I A N L U X

    M U R N A U - M N C H E N - I N N S B R U C K - L T E N

  • Winterwinde fegen ber kahle cker und den dichten Wald, wor-in eingebettet die Schweizer Ortschaft Einsiedeln liegt. Bald wirdder Schnee jeden Laut in seine Traumdecke hllen. Dann wird dasLeben der Menschen noch abgeschiedener sein als sonst und nursprlich die Kunde vom groen Weltgeschehen zu ihnen dringen.Nicht nur voll Frieden und Frommheit werden ihre Trume sein,sondern auch von bsen Geistern durchzogen; steigen doch in dieseraberglubischen Zeit aus jedem Winkel Dmonen, Teufel und Hexenauf. So in sich versponnen, merkt Einsiedeln kaum, wie die Weltsich anschickt, ihre mittelalterlichen Grenzen einzureien. Es istdie Zeit der khnen Welteroberer. In den mchtigen StadtstaatenItaliens, in den deutschen Kontoren der Fugger und Weiser, inRom, in Spanien und Portugal werden die Geschicke der neuenZeit bestimmt. Ein Jahr ist es her, seit Christoph Columbus Amerikaentdeckte, und eben erst hat er zum zweitenmal die Segel gesetzt,gen Westen, nach Dominika, Portoriko und Jamaika.

    Von Italien her weht der frische Wind des Humanismus undder Renaissance. Renaissance zu deutsch: Wiedergeburt. DerGlanz der Antike soll wiedergeboren werden. Der Mensch ist auf-gerufen zu Macht und Schnheit, zur Harmonie all seiner Krfte,zu seiner vollen Menschlichkeit, seiner Humanitt. Der Mensch alsMittelpunkt allen Geschehens: das ist das Anliegen des Humanis-

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    Welt im Umbruch

    er Chronist schreibt das Jahr 1493.

  • mus und der Humanisten. Er wird herausgelst aus allen Bindungender umhegten, der gotischen Welt, herausgehoben als selbstherr-liche Persnlichkeit aus der festgefgten Gemeinschaft der mittel-alterlichen Stndeordmung und hingefhrt zu eigener Entscheidungund zu neuen Formen in Religion und Wissenschaft, in Politikund Kunst.

    Tief graben die Gelehrten des Humanismus sich in die wieder-entdeckten Werke des Altertums ein, in denen sie nach glnzendenVorbildern suchen. Unbekmmert um Tradition und Verbot legensie griechische, hebrische und lateinische Texte aus, um krafteigenen Denkens die Wahrheit zu finden. Rcksichtslos kmpfen indieser Zeit die Mnner der Politik und die groen seefahrendenMchte um Einflugebiete und neue Eroberungen jenseits derMeere. Im Volk mehren sich die Zeichen des Aberglaubens und derUnduldsamkeit. Hufiger werden die Hexenprozesse, im Elsa ent-brennt unter der Fahne des Bundschuhs der erste Bauernaufstand.In der Weltchronik" des Hartmann SchedeL die in diesem Jahre1493 erscheint, sind die groen Ereignisse der Zeit zu lesen.

    Hollbein der ltere vollendet die Flgelbilder fr den Weingar-tener Altar, und Tilmann Riemensehneider, der Bildhauer mit demzartbeseelten Meiel, grbelt ber den Ursprung des Menschen-geschlechtes nach und erschafft seine Steinfiguren Adam und Eva".Das alles bewegt die Welt im Jahre 1493. In Einsiedeln nimmt mandavon kaum mehr Notiz als die groe Welt ihrerseits von demSchweizer Ort. Und doch ist mit diesem Jahre auch Einsiedeln be-deutend fr die Welt geworden; denn am 10. November 1493 wurdedort Philipp Theophrast Bombast von Hohenheim geboren, dergroe Arzt, Chemiker, Philosoph und Mensch, der unter dem Na-men Paracelsus weltberhmt geworden ist.

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    Paracelsus, wie Theophrastus erst spter genannt wird und wieer sich dann selber nennt, ist die verballhornte bersetzung desNamens Hohenheim ins Lateinische; doch kann es auch bedeuten:mehr als Celsus, mehr als jener berhmte Gelehrte des Altertums,dessen medizinische Lehren noch in des Paracelsus Lebenszeitnachwirken.

    Mehrdeutig wie schon der Name ist Paracelsus selbst, der groe:s

  • Geist zwischen Mittelalter und Neuzeit. Legende und Geheim-nis sind um ihn gewoben und weite Strecken seines Lebens inDunkel gehllt. Bald da bald dort taucht er auf, der schlichtgeklei-dete Mann mit dem mchtigen Kopf, der hohen Stirn, den wetter-gehrteten aber gtigen Zgen, dem durchdringenden Blick unddem groen Schwert an der Seite, von dem die Zeitgenossen sichzuraunen, es wre in seinem Knauf ein geheimes und besonderskostbares Heilpulver oder gar der lapis philosophorum", der Steinder Weisen, verwahrt.

    Stets zieht dieser Mann die Wanderwege, und wren sie noch somhsam, den Herbergen vor. Aber bei aller Unrast und Wander-schaft ist er, dem Namen seines Heimatortes Einsiedeln gem,wirklich ein Einsiedler geworden, ein Groer .des Geistes, dem seinGenius viel Einsamkeit auferlegt hat. Der khne Forschergeist, dereinen Columbus oder Vasco da Gama in ferne Welten treibt, lebtauch in ihm. Doch ist er grblerischer als diese.und richtet seinenBlick auf das innerste Wesen der Dinge, auf die verborgenen Krfteder Natur, die er liebend ergrndet.

    In seinem Naturforschen ist Paracelsus ganz Kind der neuen Zeit,die die Natur aus der Natur selber zu verstehen bestrebt ist undtrotzdem die Welt als Gotteswelt bejaht. In seinem Drang nachErkenntnis ffnete er Auge und Herz allen Dingen, bis seih Blickzu ihrem letzten Grund vorgedrungen ist, um von dort aus dieGanzheit der Welt zu erfassen, in einer Weltschau, die das eigeneIch unendlich erweitert. Denkmalhaft ragt die Gestalt der Paracel-sus an der Schwelle zweier Zeitalter, und er wute um seine Be-deutung. Sein Wahlspruch, den wir auf vielen seiner Bildnisse fin-den: Wer sich selbst gehren kann, soill keinem andern angehren,ist Ausdruck seines stolzen und berechtigten Selbstbewutseins.

    So steht Paracelsus vor uns, aber wir mssen aus vielen verstreu-ten Zeugnissen die Flle seines Lebens erst wie ein Mosaik zusam-mensetzen. Die Flle seines geheimen Wissens ganz zu erfassen,reichen freilich selbst die zahllosen Bcher nicht aus, die ber ihngeschrieben worden sind. Dieser Ringende, Neuland Durchfor-schende konnte gleich den zeitgenssischen Entdeckern von Lndernund Erdteilen das neu Gewonnene noch nicht in einem abgerunde-ten Gesamtbild zusammenfassen, und so ist sein Lebenswerk bisheute noch immer nicht ausgedeutet.

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  • In Tannzapfen erwachsen"Theophrastus Paracelsus der wegen seiner goldblonden Haare

    auch den Namen Aureolus, der Goldhaarige, erhielt entstammtdem alten wrttembergischen Geschlecht der Bombaste von Hohen-hein, deren Stammschlo Hohenheim sdlich Stuttgart bei demDorfe Plieningen liegt. Der Vater, Wilhelm von Hohenheim, warpraktischer Arzt und Lizentiat, Hochschullehrer der Medizin. DieMutter stammte aus einer Einsiedeler Familie namens Ochsner.Was sie fr Paracelsus bedeutet haben mu, entnehmen wir seineneigenen Worten: Das Kind bedarf keines Gestirns noch Planeten;seine Mutter ist sein Planet und sein Stern".

    Die ersten Kindheitseindrcke des Theophrastus sind durch dieUrgewalt und Unberhrtheit seiner schweizerischen Heimat ge-prgt. Noch heute ist ja die Pflanzenwelt des Einsiedeler Gebietesihrer Mannigfaltigkeit wegen berhmt. Das Vaterhaus des Paracel-sus stand an der rauschenden SihL bei der Brcke, am Saume derTannenwlder, und er selbst berichtet, da er in Tannenzapfen er-wachsen" sei. Rauh war die Welt, die die ersten Zge seines streit-baren Geistes mitformte, und so sagt er von sich selbst: Von derNatur bin ich nicht subtil (zart und fein) gesponnen, ist auch nitmeines Landes Art, da man was mit Seidenspinnen erlange; wirwerden auch nit mit Feigen erzogen, noch mit Met, noch mit Weizen-brot, aber mit Ks, Milch und Haferbrot . . ."

    Der Vater war nicht nur Arzt, sondern auch Lehrer der Scheid-kunst, jener chemischen Kunst, die aus Gesteinen und Metallen undPflanzen durch Schmelzen und Destillieren, Erhitzen und Abkh-len neue Stoffe abzuscheiden und zu gewinnen vermag. Frh schonhat er den Sohn mitgenommen in die Bergwerke, die Erzwsche-reien, Schchte und Htten und zu den geheimnisvoll glhendenSchmelzfen. So hat Theophrastus schon von Kindesbeinen an dasunmittelbare Erlebnis der wirkenden Krfte der Natur erfahren.

    ber seine Ausbildung berichtet er: Von Kindheit auf habe ichdie Dinge getrieben und von guten Unterrichtern gelernet, .die inder Adepte Philosophie (der Durchforschung der tiefsten Natur-geheimnisse) die ergrndetsten waren, und den Knsten mchtignachgrndeten: erstlich von meinem Vater, Wilhelmus von Hohen-heim, der mich nie verlassen hat."

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  • Neun Jahre ist Theophrastus alt, als er im Jahre 1502 nach Vil-lach in Krnten kommt, wohin der Vater als Arzt bersiedelt. Obdie Mutter damals mitkam oder schon gestorben war, wissen wirnicht. Unter der ernsten Anleitung des Vaters,, den Paracelsus sehrgeliebt hat, ist ein Blick frh gereift, und so tritt er wachen undkritischen Sinnes als Sechzehnjhriger in die benachbarte Kloster-schule im Lavanttale ein. Dort gilt es, Bcherweisheit aufzunehmenund sich auf den Besuch der Hohen Schule vorzubereiten. Dannstudiert er die Knste der Arznei und Medizin in Deutschland,Frankreich und Italien. Mit zwanzig Jahren erwirbt er an der Uni-versitt Ferrara in Italien das Doktordiplom. Nie hlt es ihn langean einem Ort. Die Knste", sagt er, ausgeteilt durch die ganzeWelt, mssen auch an vielen Orten aufgesucht und gesammelt wer-den." Aber auch in seinen Studienjahren zieht er die lebendigeNatur den toten Buchstaben vor. Das einzig wahre Buch, weil esvon Gott selbst geschrieben ist, und das lehrreichste von allen istihm die Natur in ihrer Mannigfaltigkeit: Die Bcher, so Gottselbst geschrieben hat, die seind gerecht, ganz vollkommen undohn Falsch."

    Wandern und ForschenImmer treibt es Paracelsus wieder aus Schulstuben und Biblio-

    theken hinaus in Wiesen, Wlder, Einden und Gebirge. Und im-mer sucht und forscht er, um der Natur die verborgensten Krfteand Rtsel abzulauschen und etwas vom Geheimnis des Lebensaus ihnen zu erfahren. Ihm ist die Natur lngst nicht mehr das un-heimliche Grenzgebiet gegen das Gottesreich, das man frchtet undbesser nicht betritt. Ihm ist gerade die Natur erfllt von Gottegeheimsten Krften, ganz werdendes und sich wandelndes LebenLockung und Hoffnung. Den Zeitgenossen ist dieser Forschertrie'unheimlich, unheimlich wie so vieles in dieser grenden Zeit. Para-celsus aber hat unmittelbar aus der Natur sein tiefstes Wissen er-fahren. Dieses Erfahren bedeutet fr ihn im ursprnglichen Sinnedes Wortes ein Er-fahren, ein Durchfahren, Landfahren, bedeutet:Wanderschaft!

    Er wandert mit scharf beobachtenden Augen umher, und niemandist ihm zu gering, um nicht noch etwas von ihm zu erlernen. Vonden Hufschmieden lt er sich das Ausbrennen der Wunden und

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  • ein blutstillendes Heilmittel aus Kupfer zeigen, und die Fuhr-leute fragt er nach ihren Salben, mit denen sie i'hre wundgeseheuer-ten Gule behandeln. So treibt es ihn immer weiter, gen Lissabon,durch Spanien, durch Engelland, durch die Mark, durch Preuen,durch Litauen, durch Polenland, Ungarn, Walachei, Siebenbrgen,Karpaten, Windisch Mark, auch sonst ander Lnder". Ich habe inallen den Erden und Orten fleiig und emsig nachgefragt, Erfor-schung gehabt gewissener und erfahrener Knste der Arzney: Nichtallein bei den Doktoren, sondern auch bei den Scherern, Badern,gelehrten rzten, Weibern, Schwarzknstlern, so sie die Arzney-kunst pflegen, bei den Alchimisten, bei den Klstern, bei Edeln undUnedeln, bei den Gescheiten und Einfltigen . . . "

    Es ist ja die Zeit, wo auch Schwarzknstler, Scharlatane undQuacksalber reich vertreten sind. Vielerorts taucht der Zauberer Dr.Johannes Faustus auf, bald in Schwbisch Hall, bald in Maulbronn,und die Leute dieser aus den Fugen geratenen Zeit laufen ihm nach,berauschen sich an dem Gruseln, das er ihnen bereitet, weil sieseinen Schlichen nicht gewachsen sind, oder sie trachten nach Wun-dersalben, die jung machen, das Leben verlngern oder die Klug-heit frdern sollen. In abgelegenen Alchimistenkchen brodelt esaus Pfannen und gluckst es in Retorten, weil man in immer neuenVersuchen sich um das Galdmachen oder um den Stein der Weisenbemht.

    Wenn auch Paracelsus zwischen Wert und Unwert all dieser Ex-perimente zu unterscheiden wei hat er doch sogar eine Absagean die Goldmacherkunst und ihr Bemhen um den Weisheitssteingeschrieben, da wir im selbigen kein wahrhaftig Wissen nit tra-gen" , so beobachtet er doch jeden der Versuche ganz genau.ber alledem kommt er zu der Einsicht, da zur Heilkunst dasExperimentieren und Wissen allein nicht genug ist, da der Kampfdes Arztes gegen die Krankheit und gegen den Tod auch ein Kampfmit dem Schicksal ist, bei dem es viele Niederlagen einzusteckengilt: Hab viel nachgedacht, da die Arzney eine Ungewisse Kunstsei, die den einen gesund machen, zehn aber verderben kann."

    Aber Paracelsus will heilen und helfen. Was er in einem Landnicht findet, das sucht er in einem anderen. Will einer einen Bra-ten essen", sagt er, so kommt das Fleisch aus einem andern Land,das Salz aus einem andern, die Speis aus einem andern Land. Ms-

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  • sen die Ding wandern, bis sie zu uns kommen, so mut auch du wan-dern, bis du das erlangest, das zu dir nit gehen kann." Weil dieNatur das groe Lehrbuch ist, darin die Lnder die Bltter sind,mu man ihre Bltter umkehren".

    Die gelehrten Doktoren der erstarrten Schulmedizin sind andererMeinung, Sie blttern lieber in dicken Kommentaren, worin diebekannten Krankheiten und Heilmittel aufgezeichnet sind. Sie hal-ten sich noch immer an die Regeln der rmischen, griechischen undaltarabischen Heilkunde, folgen dem Wortlaut der alten Texteund glaubten an die berholte Lehre von den vier inneren Grund-krankheiten, die sie als kalte, warme, trockene und feuchte" be-zeichnen. Entsprechend ist die Behandlung der Kranken: Diekalten" Krankheiten werden durch Wrme, die warmen" durchKlte, die feuchten" durch Trockenbehandlung, die trockenen"durch Feuchtigkeit bekmpft. Paracelsus aber will eigenen Er-wgungen folgen, dem, was er in langer bung und Erfahrung frwahr befunden hat. Er will selber sehen und beobachten.

    Im Jahre 1517 begleitet er das niederlndische Heer als Wund-arzt und sammelt so auch zwischen Armbrsten und Hellebarden,Musketen und Kanonen, Erfahrung, Experientz", wie er es nennt.Vierzigerlei Leibkrankheiten" erforscht und bekmpft er dabeimit gutem Erfolg. Was bisher nur den verachteten Badern berlas-sen war, das Schneiden und Ausbrennen der Wunden, das machter alles selbst, und er stellt dadurch die Verbindung her zwischenForschung und Praxis, zwischen Heilkunde und Heilen. Er begreiftden Leib als ein lebendiges Ganzes. Deshalb versucht er an Stelledes bisher allein blichen blo uerlichen Brennens, Schneidensund Renkens die gestrten Krfte auch von innen her wieder in dierechte Ordnung zu bringen. Den Dnkel und Hochmut der rzte,die sich auf den Universitten in gepflegtem Humanisten-Latein er-gehen und davor zurckschrecken, sich die Finger zu beschmutzen,verachtet er. In der derben Sprache seiner Zeit sagt er es ihnenauch: Wo der gelehrte Arzt nicht ein Chirurgus dazu ist, so stehter da wie ein lgtz, der nichts ist als ein gemalter Affe".

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    An vielen Orten taucht Paracelsus auf, und sein Ruf als Gelehrterwie als ttiger Heilknstler verbreitet sich bald. Nie ist er zufrieden

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  • mit dem, was er kann und wei. Sein Forschergeist ist unersttlichund seine Arbeitskraft geradezu unheimlich. Bleibt er einmal einpaar Tage oder Wochen an einem Ort, so wirft er sich oft nur frdrei, vier Stunden mit Stiefeln und Sporen auf die Lagerstatt, undso manches Mal durchwacht er schreibend im Schein einer llampe,oder forschend und prfend vor glhenden Kohlenbecken, Schmelz-tiegeln., Retorten und Windfen eines vorbergehend und notdrf-tig eingerichteten Laboratoriums die Nacht. Immer schaler scheintihm das Wissen der gelehrten Schulen angesichts der lebendigenNatur und dem tglichen Menschenleid. Was lehren sie denn auch,an den hohen Universitten? Nichts als Bcherwissen, Begriffe, de-nen der lebendige Inhalt fehlt, Lehrstze des vergtterten Medi-ziners und Gelehrten Galenus, der vor mehr als. 1300 Jahren lebte,oder die des Griechen Hippokrates, sowie Ergnzungen und Er-klrungen des Arabers Averroes. Verdienstvolle Mnner, gewi;aber ihre Erkenntnisse liegen zu weit zurck, als da man sie un-geprft bernehmen drfte. Allzulange hat man sich an den Buch-staben ihrer Schriften gehalten und nicht bedacht, da vieles blut-leer geworden ist an dem, was sie gelehrt haben. Wie anders istdoch das echte, wirkende Leben setlbst!

    So verwirft Paracelsus die toten Begriffe und rckt der Naturzu Leibe. Und doch gengt es ihm nicht, Stoffe zu finden, nein, weittiefer ergrndet" er die Erscheinungen der Welt: er sucht die inihr waltenden Krfte. Nicht um das Fabare, Feste, nicht um dieStoffe allein geht es ihm, sondern mehr noch um das Leben", dassie durchpulst, Leben im Sinne der tiefinnersten Wirkungskrfteder Natur. Nur wer diese kennt und sie richtig anzusetzen wei,kann heilen. Deshalb sagt er, mssen die rzte wissen, von wan-nen das Zinn, von wannen das Kupfer, das Gold, das Eisen wachstund wie es wachst und was ihm zusteht"; denn auch die Metalle undMinerale sind fr ihn nicht tot, irgendwie sind sie entstanden, wan-deln und verndern sich und knnen in ihrem Wesen beeintrchtigtund beeinflut werden. Erst viel sptere Zeiten, vor allem die mo-derne Atomphysik, haben diese Wandelbarkeit und dieses innereLeben der Stoffe wieder entdeckt. Paracelsus fordert: Das soll einArzt wissen, was schmilzt im Blei? Was ist das, das im Wachs zer-geht? Was ist das, das im Demant so hart ist? Und was ist das, dasim Alabaster so wei ist? So er nun das wei, so mag er sagen, was

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  • das sei, das ein Geschwr macht, was einen Karbunkel macht, wasdie Pest macht". Dieses Forschen nach den verborgenen Grndenund dem Wesen der Dinge reicht ber den Raum der Medizin hin-aus. Im Suchen des Paracelsus Hegt schon die faustische Sehnsuchtnach der Wahrheit, wie sie dreihundert Jahre spter in GoethesWerk Gestalt geworden ist und in den Worten, die er Faus*sprechen lt:

    Drum ha-V ich mich der Magie ergeben^Ob mir durch Geistes Kraft und MundNicht manch' Geheimnis wrde kund,Da ich nicht mehr, mit saurem Schwei,Zu sagen brauche, was ich nicht wei,Da ich erkenne, was die WeltIm Innersten zusammenhlt."

    Es ist nicht die schwarze Kunst des Doktor Faust, der Paracelsussich ergibt, sondern die lichte, die heilende, die nichts anderes istals der demtige Einblick in die tiefen Abgrnde der Natur unddes Geistes. Paracelsus verbndet sich nicht, wie der Faust derSage und Goethes Faust, mit dem Teufel, sondern er spricht immerwieder aus, da solches alles durch und mit Hlf und Zuthun desVaters der Medizin, Jesum Christum, den einigen Gesundmacher,zugehe und geschehe." Die Aberglubigkeit seiner Zeit prangert eran: Wann es mit Teufels Hlf geschieht, so gilaubst du, es habKraft und Wrkung. Kannst du denn nicht auch glauben, da derSchpfer der Natur, Gott im Himmel, auch so stark sei, da ersolche Kraft und Wrkung den Metallen, Wurtzeln, Krutern, Stei-nen und anderen dergleichen auch geben knnte? Als ob der Teufelstrker, kunstreicher, allmchtiger und gewaltiger wre dann dereinig, ewig, allmchtig und barmhertzig Gott, der die genanntenMetalle, Stein, Wurtzeln und dergleichen dem menschlichen Ge-schlecht zu Nutz und Wohlfahrt erschaffen hat."

    Zu Nutz und Wohlfahrt der Mitmenschen gebraucht Paracelsussein Forschen und Wissen. Was er als Knabe schon in Villach be-gonnen, das ergnzt er in Schweden, spter in Meien und Ungarn,wo er berall die Bergwerke besudit, um seine Kenntnisse in derhttenkundlichen Tinkturenbrauerei, einem Nebenzweig der Pflan-zenheilkunst, zu erweitern. Und auch hier kmmert er sich nichtnur um die verschiedenen ETze, ihre Entstehung, ihre Gewinnung

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  • und Verwertung, sondern auch um die Wirkung der Metalldmpfeauf die Bergleute, deren Gang, Lebensweise und Aussehen er be-obachtet, so da er als erster Manahmen ergreift, ihnen gesundereLebensverhltnisse zu schaffen.

    *Schauend, forschend und lernend durchwandert Paracelsus

    Europa. Und was fr ein Europa! Es ist geladen vom neuen, vomzukunftstrchtigen Geist. O saeculum! 0 literae! Juvat vivere!"schreibt 1517 der kmpferische Freigeist Ulrich von Htten an dengelehrten Humanisten Willibald Pirkheimer, den Ratsherrn zuNrnberg: 0 Jahrhundert! 0 Wissenschaften! Es ist eine Lust zuleben!"

    Die Wissenschaften erwachen. In dieser Zeit schaffen berallauch die Knstler unsterbliche Werke: Albrecht Drer, Lukas Cra-nach, Albrecht Altdorfer, die beiden Haus Holbein, Pieter Brueghel,Peter Vischer, Raffael, Tizian, Lionardo da Vinci, Michelangelo undviele andere Groe mehr.

    Martin Luther, der streitbare Geist mit der glhenden Religiosi-tt, der schon 1517 seine 95 Thesen an der Schlokirche zu Witten-berg angeschlagen hat, gibt im Jahre 1520 seine drei groen Re-formschriften gegen das Menschenwerk" in der Kirche heraus:An den Adel deutscher Nation", Von der Freiheit eines Christen-menschen" und Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche".Im gleichen Jahre erkennt der Portugiese Fernando Magellan aufder ersten Weltumsegelung die wirkliche und bis dahin weit unter-schtzte Gre der Erdkugel, indem er die Breite des Stillen Ozeanssegelnd durchmit. .

    So ringt der Mensch dieser Zeit auf allen Gebieten um ein neuesWeltbild, um die groe Welt der Lnder und Meere, die allumspan-nende Welt der Kirche und die kleine Welt der Sfte und Natur-stoffe in Phiolen und Retorten. Und nicht weniger revolutionr wiedie Eroberungen und die Durchforschung des Erdballs sind jeneUmwlzungen, die das Innere des Menschen betreffen, seine Stel-lung zu Gott und Welt. Wie viele sich in dieser Zeit mhen, dasrechte Wort zu finden fr all das Drngende und Neue, soplagt auch Paracelsus sich um Form und Stil, in denen er seineneuen und die ganze Medizin seiner Zeit umstrzenden Erfahrun-gen falich und mitteilbar machen kann.

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  • Fr die groe Zahl seiner neuen Einsichten mu Paracelsus dieBenennungen finden und prgen. Und es sind lauter Geschehnisseund Krfte, die uerst schwer zu fassen und suberlich voneinan-der zu trennen sind. Viele Krfte des Weltalls sieht er in den Metal-len, Steinen, Stoffen und Pflanzen schlummern, und er macht siedurch chemische Prozesse, durch Zerlsen, Mischen und Bindenfrei. Immer wieder mu er zwischen der Vielfalt der Naturkrftesondern und auseinanderhalten, denn jedes Organ des menschlichenKrpers ist empfnglich fr ein ganz besonderes, genau abgestimm-tes Krfte- und Heilmittel, ein Arcanum, wie Paracelsus es nennt.Die Natur mu in ihrer Weis und Art erhalten bleiben. Ihr solletverstehen, wie die Natur nicht durcheinanderplampert Essen undTrinken, Fleisch und Brot in eine einzige Form, sondern in vieleFormen." So darf auch der experimentierende Arzt nicht alles, wieviele Apotheker und Quaksalber es tun, durcheinander kochen wieeine Suppenwurst", liegen doch in den Gewchsen Segen und Giftoft eng beieinander. Sie zu kennen und zu trennen gehrt zur Kunstder Alchimia", wie Paracelsus sie versteht.

    Whrend Paracelsus, der Arzt, sich mht, seine Krftelehre ver-stndlich zu machen, erschafft in England William Shakespeare seingroes dichterisches Werk, in dem erstmals in der abendlndischenLiteratur die Innenwelt des Menschen in ihren verborgenen Kraft-strmen, Leidenschaften, Sehnschten und Nten aus tiefer Men-schenkenntnis heraus durchleuchtet wird. Und eigenartig: so wieShakespeare Gut und Bse in der Brust des Menschen miteinanderringen sieht und dramatisch gegeneinander fhrt, so findet derDichter auch Worte fr das wunderbare Gegeneinander des Heil-krftigen und des Zerstrerischen innerhalb der Erde, der Natur,der Kruter und Gestirne. In seinem Drama Romeo und Julia"stehen die Verse des Bruders Lorenzo:

    0 wunderbar ist die wohlttige Kraft,Der Kruter, Bume, Steine Eigenschaft.Nichts was auf Erden lebt ist so gering,Es taugt der Erde doch zu einem Ding.Nichts Gutes, das nicht richtigem Brauch entwandtEntartet und ins Unheil war gerannt . ..Im Kindeskelche dieser zarten BlteHat Gift den Sitz und heilungskrftige Gte . . .

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  • Wir wissan nicht, ob irgendwann Paracelsische Gedanken mit denAnsichten Shakespeares zusammengetroffen sind. Paracelsus ist zwarin England gewesen, doch braucht es nicht seine Lehre gewesen zusein, die Shakespeare an dieser und an andere Stellen seinerDramenwiedergegeben hat. Es war wohl die Aufgeschlossenheit dieser beidengroen Geister fr das Neue, ihre feine Witterung, die sie zu glei-chen Aussagen gefhrt hat.

    Allerorten KampfWir sind im Jahre 1524. Paraceilsus nimmt seinen ersten Aufent-

    halt in Salzburg. Nahe der alten Kumpfmhle hat er sein Quartier.Viele Kranke gehen bei ihm ein und aus, aber auch Mnner, die demMagistrat nicht recht geheuer sind. Man hat sie in Verdacht, mit denaufstndischen Bauern in Verbindung zu sein. Dreizack und Morgen-stern, Dreschflegel und Bauernsense stehen allerorten auf gegen dasRitterschwert. Die Bauern wollen ihr Recht, ihr Recht auf Freiheitund den gerechten Ertrag der harten Arbeit ihrer Hnde. Sie lehnensich gegen die mchtigen und einseitig bevorzugten Adelsstnde auf.In Franken ist es der Ritter Florian Geyer, der die Bauern fhrt, inThringen Thomas Mnzer, in Tirol Michael Gaismair.

    Im Jahre 1525 entbrennt der groe deutsche Bauernkrieg. DieBauern legen ihre 12 Artikel vor, in denen sie soziale Gerechtigkeitfordern. Doch siegen bei Mhlhausen die Frsten ber die Heereder Bauern und richten nun um so entschiedener ihre Herrschaft auf.

    Seit einem Jahr schon geht in Wrzburg aus den Hnden desTilman Riemenschneider kein Bildwerk mehr hervor, hat man ihndoch wegen seiner Beteiligung am Aufstand grausam bestraft undihm eine Hand abgeschlagen. Und nun wird auch Paracelsus ver-haftet, weil er mit den Bauern im Bndnis war. Aber er hat Gelegen-heit zu entkommen und flieht aus der Stadt.

    ber ein Jahr begibt er sich jetzt wieder auf Wanderschaft, dies-mal zwischen Donau und Rhein. Sprlich fliet die Kunde von seinemLeben. Nur aus Ingolstadt ist bekannt, da er ein Mitglied der hohenmedizinischen Fakultt behandelt und die Tochter eines Ratsherrn,die alle rzte aufgegeben haben, auf wunderbare Weise geheilt hat.Dann taucht sein Name bald hier bald dort auf, in Neuburg an derDonau, in Tbingen, Rottweil, Freiburg im Breisgau, LiebenzeU,

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  • Wildbad, Baden-Baden, Gppingen und in Neuenburg am Rhein, biswir, unterm 5. Dezember 1526 im Brgerbuch der Stadt Straburglesen, da der Arzneiarzt Theophrastus von Hohenheim das Brger-recht erworben und sich einer Zunft angeschlossen habe, die dieKornhndler, Mller, Strkefabrikanten, Wundrzte und andere ein-zelne rzte umfat. Aber auch in Straburg hlt er sich nicht langeauf. Schon im November 1526, noch bevor er den Straburger Br-gerbrief in Hnden hat, finden wir ihn in Basel.

    Basel, die blhende Stadt des Handels und Gewerbes, ist in dieserZeit auch als geistiger Mittelpunkt des wissenschaftlichen und knst-lerischen Lebens berhmt. Da sind hervorragende Druckereien undleisten in der neuen Kunst des Buchdrucks, die der Mainzer JohannesGutenberg 1455 der Welt geschenkt hat, Vorbildliches. Da ist dieberhmte Universitt, die der gelehrte Eneo Silvio Piccolomini1460, als er bereits als Pius II. auf dem Papststuhl sa, gestiftet hat,und da sind Knstler wie Hans Holbein der Jngere, und die er-lauchten Geister aus dem Humanistenkreis: Erasmus von Rotterdam,Wolfgang Lachner, Marcus Heiland, Wolfgang Muskulus und andere.

    Der Humanismus, jene geistige Bewegung, die, von Italien aus-gehend, in der Wertschtzung des Menschen als Einzelpersnlichkeitgipfelt, sucht seine Vorbilder wie die Renaissance in der antikenWelt. Die Ruinen der ruhmreichen Vorzeit und das Latein der rmi-schen Kaiserzeit begeistern die Gelehrten zu immer neuen Studien,die sich nicht nur auf die altrmische, sondern auch auf die altgrie-chische Welt ausdehnen. Seit 1453 ist der Vorrat jahrhundertealterWerke der Schriftsteller Alt-Roms und Alt-Griechenlands noch umunermeliche Schtze vermehrt worden. Damals sind viele griechischeGelehrte, vollgepackt mit riesigen Bcherkisten, aus Konstantinopel,das die Trken erobert haben, schutzsuchend an die Kste Italiensgeflchtet. Auf diese Weise erleben auch die alten Griechen ihreWiedergeburt, ihre Renaissance. Aus allen diesen bereits berkom-menen Schtzen schpfen auch die Baseler Humanisten, die gelehrteAbhandlungen schreiben, den alten Sprachen nachgehen und ihrenEhrgeiz in einen mglichst geschliffenen lateinischen Sprachstilsetzen.

    Paracelsus ist nach Basel berufen worden, um den BuchdruckerJohannes Frohen zu behandeln. Paracelsus' Ruhm mu also schongro gewesen sein in dieser Zeit; denn Froben ist einer der bekann-

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  • testen Brger der Stadt, dessen Druckerei wegen ihrer wissenschaft-lichen Genauigkeit und der knstlerischen Buchgestaltung berhmtist. Erasmus von Rotterdam ist mit ihm befreundet, wohnt in seinemHause und lt seine Werke bei ihm drucken, und Hans Holbeinder Jngere arbeitet als Zeichner bei ihm und liefert fr die Druck-werke herrlichen Buchschmuck.

    Paracelsus ist nicht nur als Stadtarzt, sondern auch als ordentlicherProfessor der Medizin nach Basel gekommen. In einer Schrift, die erdem Zricher Stadtarzt Christoph Clauser widmet, nennt er sichPhysikus et Ordinarius Basiliensis", Stadtarzt und Professor derBaseler Universitt. Am 5. Juni 1527 sind am Schwarzen Brett derUniversitt in lateinischer Sprache die Vorlesungen angeschlagen,die er halten wird. Aber nicht nur diese, die Collegia, kndigt er an;er gibt auch gleich seine Grundstze bekannt: Keine blo rede-kundiigen Doktores wolle er erziehen., sondern heilkundige Arzte.Nicht die Alten wolle er erklren, sondern die Natur. Nicht aufGrund des Hippokrates oder des Galenus wolle er lehren, sondernauf Grund seiner eigenen Erfahrungen und Mhen.

    So ist es zu lesen. Es ist eine Kampfansage an die Gelehrten derBucharznei, die, sozusagen hinterm Ofen sitzend, Phantastereienber die Natur und die Krankheiten ausbrten. Wieder steht seineEigenstndigkeit und Urwchsigkeit, sein Erforschen und Erfahrengegen den toten Buchstaben und den weltfremden Wissenschafts-betrieb der rzte seiner Zeit.

    Seine erste Vorlesung hlt Paracelsus in lateinischer Sprache.Immer noch ist das Latein die internationale Gelehrtensprache, diean allen Universitten und fr alle Fcher als die einzig verbindlicheim Gebrauch ist. Dadurch ist von vornherein eine klare Scheidungzwischen den gebildeten Gelehrten und dem ungebildeten Volk ge-macht. Viele Gelehrte halten streng auf die Trennung, bedeutet siedoch Macht, Ansehen und Hebung des eigenen Standes gegenberdem unbeholfenen Volk. Anders Paracelsus! Er ist vom Recht jedeseinzelnen auf die Gter des Wissens berzeugt, ganz besonders abervon der hohen Sendung des Arztes als Helfer der Menschheit, derweder Standes- noch Bildungsunterschiede kennen darf. Und sowagt er die revolutionre Tat, die ihn zum Zunftbrecher innerhalbder Professorenschaft macht: er kndigt seine zweite Sommervor-lesung ber Chirurgie in deutscher Sprache an '- die erste Universi-

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  • t'tsvorlesung in deutscher Sprache! Es geht ihm um die Verbreitungseiner Lehre und um das rechte Ansehen des Arztes: Mein Vor-haben ist hier zu erklren, was ein Artzt sein soll und das auf teutsch,damit das allgemein bekannt werde." Seine oft dunkle und derbeSprache ist der Kampf seines feurigen Geistes, der mehr sieht undsinnt, als durch Worte schon aussprechbar und mitzuteilen ist.

    So revolutionr Paracelsus in seiner Lehre ist, so sehr seine starkePersnlichkeit das Ideal der neuen Zeit verkrpert, so tief ver-wurzelt ist er aber auch noch in vielen Zgen und in seiner deut-schen Grbelei der mittelalterlichen, der gotischen Welt. Nie ist ereo selbstherrlich, wie manche Geister der Renaissance, die nichtsHheres mehr ber ihrem Menschenwissen anerkennen. Immer neigter sich in allem seinem Wissen vor Gott, den er als den ersten Arztbezeichnet, von dem allein die Entscheidung ber Krankheit oderGesundheit abhngig ist: Das sollt ihr Christen merken, da Gottder Erst Artzt sein soll, denn er ist der hchst, und nit der mindst,der mehr ist und der gewaltigest, ohn den nichts geschieht."

    Der Zusammenprall mit den Universittskollegen ist unvermeidlich.Schon uerlich unterscheidet er sich von ihnen. Sie gehen in Samtund Seide und tragen mit Stolz die hoheitsvolle Amtstracht, denroten Talar und das Barett, die sie von dem gemeinen Volk deutlichabheben; Paracelsus aber gibt sich in unfeierlicher Schlichtheit, hei-nahe rmlich geht er einher, und immer wieder sagt er, da nichtdas Kleid, sondern das Knnen den Arzt ausmacht. Rcksichtslos ent-larvt er die Eitelkeit, die durch uerlichen Prunk das Unvermgenund Unwissen verschleiern will. 0 du mein Liebe, o du mein HerrDoctor", spottet er, ist das Physika? ist das Chirurgie? ist dasKunst? 0 du Katzensilber!" Wollen die Amtsrzte durch Abstanddie Bewunderung ihrer Patienten erreichen, so gewinnt Paracelsussie durch Nhe, durch Dienst auch an den rmsten, und geradeihnen gegenber. Wie unbequem ist doch dieser Mann, der auf alleUngerechtigkeiten tadelnd deutet: Den Reichen wartet man wohl;den Armen wartet niemand. Auch im Spital liegen die Gesunden imBett, und die Kranken, Drftigen, Presthaften im Stall: Soll das nitErbarmung bringen ber uns Christen?"

    Und immer wieder betont er mit Nachdruck die Wichtigkeit deseigenen Naturforschens und chemischen Laborierens fr den Arzt,eo er nicht ein bloer Buchgelehrter ohne wirkliches Heilwissen

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  • hleiben wird. Er lobt die wenigen wirklich forsche-den rzte; denndiselbigen gehn nit um mit Faullenzen und also prchtig einher inSamt, Seide und Taft; sie haben nit glden Ring an den Fingern,silbern Dolch an der Seite, weie Handschuhe an den Hnden stek-ken, sondern sie warten ihrer Arbeit im Feuer Tag und Nacht inGeduld." In Paracelsus' Kampf gegen den amtlichen Hochmut drcktsich jedoch noch mehr aus als bloes Anderssein. Es sind zwei Zeit-alter, die sich hier gegenberstehen: das der genau abgestuften,standesmigen Bindungen hier, der Durchbruch der freien Per-snlichkeit dort.

    Es war auch bei den lteren rzten nicht immer nur private Eitel-keit und bser Wille, der sie die alte Tracht verteidigen lie: mitder feierlichen Pracht ihres Auftretens wahrten sie die mittelalterliche Weihe und Hoheit, die allen Wissenschaften und auchihrem medizinischen Stande eigen waren. Als Paracelsus ihre ber-lebte Tracht verwarf, da verletzte er eine altberkommene Tradi-tion. In dieser Zeit der Wende herrscht eben berall ein harterKampf der Geister.

    Aus seiinen eigenen Worten glauben wir Paracelsus vor uns auf-steigen zu sehen, im Lederwams und Schurz, vor dem rauchendenKohlenbecken seines Laboratoriums und mit geschwrztem Gert inder Hand, wenn er von den guten rzten sagt, sie gen nit um mitSpazieren, sondern sie suchen ihr Kurzweil im Laboratorio, tragenschlechte lederne Kleider und Fellvorhangen und Schrz, daran siedie Hand wischen, stoen die Finger in die Kohlen, in Kot undDreck, sind ruig wie die Schmid und Khler".

    Welch eine Arbeitsleidenschaft steckt in diesem Mann, der nichtssehnlicher wnscht, als ungestrt forschen, heilen und wieder forsehen zu knnen! Paracelsus hat zunchst geglaubt, Basel wre dafrder rechte Ort. Aber die Quertreibereien seiner Gegner, die entsetztber die Unerbittlichkeit seiner Forderungen sind, werfen ihm vieleKnppel in den Weg. Wie? Kann man denn erlauchter Professorund zugleich alltglicher Stadtarzt sein? So fragen sie. Das ist nieblich gewesen. Und um den immer weiter wachsenden Ruhm desHohenheimers in Verruf zu bringen, scheuen sie auch vor Verleum-dungen nicht zurck. Theophrastus wendet sich mit der Bitte umSchutz und Hilfe an den Baseler Magistrat. Dieses Schriftstck istnoch heute im Baseler Stadtarchiv zu sehen. Es enthlt eine ent-

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  • schiedene Zurckweisung der Vorwrfe seiner Neider. KostbareZeit mu Paracelsus mit unntzen Streitereien verzetteln und sogarseine Vorlesung unterbrechen, bis der Stadtrat eine Vershnung derbeiden Parteien herbeifhrt. Als Paracelsus seine Vorlesung wiederfortsetzt, lt er jedoch die gelehrten Herrn Kollegen nicht in Ruhe,sondern greift sie heftig an. Den Galenus, von dessen Schriftensie auch nicht um Fingerbreite abweichen, nennt er in seinem Zorneinen Lgner, und Avicenna, den sie wie ein Orakel in allem undjedem befragen, einen Kchenmeister. Die Anhnger der altenSchule sind ihm Leute, die mit ihrem Barett, mit roten Htleinund Talaren ihre Torheit bedecken".

    Bald verdirbt er es sich auch noch mit den Apothekern, derenGeheimnistuerei und Umstandskrmerei er ablehnt und denen ervorwirft, da sie von ihrem Beruf nichts verstehen, Rezepte fl-schen und nur dazu taugen, dem Kranken mglichst viel Geld ab-zunehmen.

    Paracelsus ist berzeugt, da seine Lehre und seine Heilmethodedie richtige ist. Darin ist er ein Jnger der neuen Zeit, deren Ge-lehrte den Wahlspruch Zu den Quellen zurck" auf ihre Fahnenschreiben, nur grbt er nach den Quellen eben nicht in verstaubtenBchern, sondern in der lebendigen Natur. Nicht die Bcher", sagter, auf 'denen der Staub liegt und die die Schaben fressen mgen,auch nit die Bibliotheken, sondern die Elemente in ihrem Wesensind die Bcher". Und am Sankt Johannistag des Jahres 1527 wirfter die Summe der Bcher", ein bekanntes berholtes Handbuchder Schulmediziner, ins Feuer, auf da alles Unglck mit demRauch in die Luft gang!"

    Die Gegenseite bleibt nicht unttig. Die Ereignisse folgen Schlagauf Schlag, und schon drngen sieh Studenten vor der neuenBrse und der Dompforte von St. Peter in Basel, wo Paracelsus ineinem Spottgedicht lcherlich gemacht wird. Man hat Galenus, denvergtterten Altmeister der Gegner, hchstpersnlich bemht undseinen Schatten aus dem dreizehnhundertjhrigen Todesschlaf her-aufbeschworen, damit er selbst den Neuerer zurechtweise. In dieserbsartigen Schmhschrift auf Paracelsus, die seinen Namen Theo-phrastus, d. h. Knder Gottes, in Cacophrastus, d. h. Mist-Quat-schender, verdreht, schimpft Galenus:

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  • Hre, der du besudelt den herrlichen Ruhm meines Namens,Bald ein geschwtziges Maul, bald einen Narren mich schiltst!Wie, ich verstnde von Knsten des Heilens nicht das geringste,Htte mit kundiger Hand niemals sie selber gebt?Was du nicht sagst! Ich habe doch nie verchtliche Kruter,Zwiebeln und Knoblauch gekannt! Nieswurz kenne ich wohl,Nieswurz sende ich dir, dieses Kraut fr verrckte Gehirne.Jeder Narrenkurort sei dir empfohlen zugleich. . . !Wahrlich, Hippokrates' Nachttopf zu tragen, bist du nicht wrdig,Bist wahrhaftig nicht wert, mir nur ein Sauhirt zu sein.Was ist zu tun, du Narr, den schon ein jeder durchschaut hat?Hng' dich am Stricke auf! Das war' in guter Entschlu!"

    Paracelsus ist tief beleidigt: Und nur, weil ich die Dinge nenne,die in einem Arzt sollen gefunden werden, soll ich meinen Namenvon ihnen verndert tragen, Cacophrastus, der ich doch Theophra-stus billiger hei, Art- und Taufshalber". Und in erbitterten Schrif-ten macht er sich Luft. Er nennt seine Feinde Narren und Esel,Buben und Betrger, Lausjger und talartragende Gaukler. In die-ser Zeit spricht man eben eine deftige Sprache.

    Mit solchen Kraftausdrcken sind diese ungestmen Jahrzehntekeineswegs sparsam, rcksichtslos trifft man den Gegner. So hatSebastian Brant mit seinem Narrenschiff", einer Dichtung, dieParacelsus sehr schtzte, die menschliche Dummheit angeprangert,Thomas Murner ruft aus: Nit schdlicheres denn ein gelehrterNarr!", und Luther spricht vom Geplrr seiner Gegner, die er alsMaulesel und Eselskpfe bezeichnet, und er glaubt: Das -geflltGott wohl, da man sich vor Menschen und Teufel nicht frchte,vielmehr keck und trutzig, mutig und steif wider sie sei, wenn sieanfahren und unrecht haben."

    Paracelsus wird unrecht getan in Basel. Auch um private Rechtehat er zu kmpfen. Cornelius von Lichtenfels, ein angesehener Ba-seler, prellt ihn um das Honorar, um das der betrogene Arzt einenProze fhren mu. Er jagt dem Geld nicht nach. Im Gegenteil.Stets preist er die Armut: Darumb mehr denn selig ist der, der dieArmut lieb hat", sagt er. Aber er will sein Recht. Sein Sendungs-bewutsein ist so gro, da er all den Widersachern zuruft: Mirnach met ihr! Mir nach und nit ich Euch! Mir nach, Avicenna, Ga-

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  • lene, mir nach und ich nit euch nach, ihr von Paris, ihr von Mont-pellier, ihr von Schwaben, ihr von Meien, ihr von Cln, ihr vonWien, und was an der Donau und am Rheinstrom ist, du Italia,du Dalmatia, du Athenis, du Griech, du Arabs, du Israelita, mir nachund nit ich Euch nach! Ich werd Monarch und mein wird die Herr-schaft sein."

    Felsenfest glaubt Paracelsus an das, was er an medizinischemWissen durch viele Mhe ergrndet" hat. Wer wie er so in dieTiefe des Wesens der Dinge, der Geschpfe, Pflanzen, Gestirne,Metalle und des Menschen dringt, der mu siegen; er, der Begrn-der dieses Wissens, wird der Monarch der neuen Medizin, der Knigder rzte sein. Er wei genau, wie umwlzend seine Lehre ist, wiesehr es der Zeit bedarf, die seinem vorauseilenden Wissen erst nach-folgen mu. Es ist nit mein Will", sagt er seinen Gegnern, daihr in einem Jahr schon sollt fallen, sondern ihr mt nach langerZeit eure Schand selbst erffnen. Mehr will ich ausrichten nach mei-nem Tod wider euch denn vorher. Der Theophrastus wird euch krie-gen auch ohne Leib!", das heit, wenn er lngst schon dahin-gegangen ist.

    Entgegen den Baseler Schmhungen und Verleumdungen, diejetzt auf ihn niederprasseln, gibt uns ein erhaltener deutscher BriefAuskunft ber seine schlichte Gte und Menschlichkeit. Der Briefschildert, wie eine Frau in groer Not wegen ihres schwer erkrank-ten Mannes zu Paracelsus kommt. Er nimmt keine Entlohnung, gibtihr ein Mittel und die Versicherung mit nach Hause, ihr Mann werdewieder gesund werden. Den andern Tag um den Mittag" ist die Frauwieder gekommen, hat ein Gulden bracht, ist vor ihm niedergefal-len, hat ihm den gereicht und gebeten, er wollte ihn fr gut an-nehmen, und gesagt, sie htte nicht mehr zu Haus und Hof, siewollte ihm sonst mehr geben; ihr Mann sei gar frisch von demjeni-gen, das er ihr gegeben hat. Darauf er geantwortet: Liebes Weib,nimm deinen Gulden und kauf dir und deinem Mahn Essen undTrinken, und danket G o t t . . . "

    Nochmals wendet Paracelsus sich an den Magistrat um Hilfe, be-klagt sich besonders wegen der ffentlichen Verunglimpfung durchdie Schmhschrift, aber der Stadtrat entzieht ihm die schtzendeHaad. Paracelsus verbreitet ein Flugblatt gegen den Stadtrat undalle seine Gegner und verlt Basel im Februar 1528.

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  • Einsame JahreBasel war die Stadt, in der Paracelsus am lngsten sehaft ge-

    wesen ist. Aber Ruhe ist ihm nicht beschieden. Wieder beginnt dieUnrast des Wanderns. Theophrastus aber macht sich keine Sorgen,wie er weiter kommen und was er am morgigen Tag erfahren wird:Was geht die Zukunft des morgigen Tages den heutigen Tag an?Dieweil ein jeglicher Tag sich selbst trgt und es genug ist, da erauf sich selb acht habe, auf die heutige Stund'." Denn der Mensch,meint er, soll den heutigen Tag in Sorge tragen, denn der morgigeTag tut ihm kein Schaden nicht, der Tod kommt nicht morgen, son-dern heut'".

    So ist Paracelsus Leben und Denken stets aus der Gegenwartheraus auf das Ganze des Schicksals gerichtet, das auch den Todnoch einbezieht, der ja, wenn er einmal da ist, nicht auf morgenverschoben werden kann.

    Zunchst wendet sich Theophrastus ins Elsa, nach Kolmar, woer sich erneut den Studien widmet. Hier entstehen mehrere medizi-nische Schriften, darunter auch die sieben Bcher ber offene Wun-den, die er dem angesehenen Brger Konrad Wickram widmet. Ausdieser Zeit sind uns auch zwei Briefe an den Baseler Freund Boni-fatius Amerbach erhalten, aus denen wir erfahren, da Paracelsusschnell das Vertrauen der-Kranken erworben hat. In Kolmar schlieter sich Lorenz Fries an, der zwar ein Arzt der alten Schule ist undstreng an ihr festhlt, was ihn aber nicht hindert, ein Verehrer des

    % Menschen Paracelsus zu sein, dem er in herzlicher Weise Unterkunftin seinem Hause gewhrt. Freilich haben die beiden auch eine Ge-meinschaft: die Liebe zur deutschen Sprache, die sie der lateinischenvorziehen. Auch Fries gebraucht seit einiger Zeit in seinen Vorle-sungen das Deutsche, was ihn zum Bundes- und auch Leidensgenos-sen des Hohenheimers macht. In seinem Spiegel der Artzney"schreibt er spter einmal: Es bednkt mich teutsche Zung nit min-der wrdig, da alle Ding darin beschrieben werden, als Griechisch,Hebreisch, Latinisch, Italienisch, Spanisch, Frantzsisch. Solt unserSprach minder sein?"

    Paracelsus bleibt in Kolmar nicht allein. Sein Schler und Mit-arbeiter Oponorius, den er auf Empfehlung des Baseler HumanistenOkolampadius zu sich genommen hat, ist ihm nachgereist. Aber auch

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  • mit diesem Schler hat Theophrastus, wie mit manchen anderenkein Glck. Auf diesen Oponorius gehen fast aller Verleumdungenzurck, unter denen der Meister zu leiden hatte; Oponorius sollteder Hauptschuldige an all dem Gerede werden, das sich auch weiter-hin des groen Gelehrten bemchtigte. Wenn man Paracelsus einenunwissenden Schwindler, einen sittenlosen Lumpen, verworrenenSchwtzer, anmaenden Prahler und einen gottlosen Quacksalbernannte, um ihn unmglich zu machen, so geht diese Hetze auf desOponorius Schuildkonto. Es blieb nicht aus, da manche kleine Gei-ster sich bald ins Ohr raunten, er stehe mit dem Teufel und mitHexen in Verbindung.

    Noch hofft Paracelsus, der Baseler Magistrat werde ihm die ver-diente Genugtuung verschaffen und ihn zurckberufen. Als aberdiese Hoffnung trgerisch bleibt, verlt er Kolmar. Er taucht inEnsisheim auf, wohin ihn eine Naturmerkwrdigkeit lockt, ein rie-siger Meteorstein, den er untersucht und beschreibt und wobei erals erster die mineralische Art und Herkunft der Meteore erkennt.Immer geht er ja der Natur nach, der Mutter Natur, wie er sagt,aus der die Mineralia wachsen", und er verteidigt seine stndigeWanderschaft, denn dem Forseher gehen die Berg nit nach, son-dern er mu ihnen nachgehen . .. Wie ikann einer denn hinter dieBereitung der Natur kommen, wenn er sie nit sucht, wo sie ist?Soll mir denn das verarget werden, da ich meine Mineralia er-wandert und ihr Gemt und Herz erfahren hab, ihre Kunst in meineHnde gefat, so da sie midi lehren, das Feine vom Kot zuscheiden . . . ? "

    Wie sachlich und zukunftsweisend des Paracelsus Naturforschenauf allen Gebieten ist, zeigt sich auch darin, da er ohne Bedenkendie alte Lehre von der heiligen Siebenzahl der Metalle, die densieben Planeten zugeordnet sind, verlt, und auer Gold, Silber,Kupfer, Zinn, Eisen, Blei und Quecksilber noch eine Reihe von Me-tallen erstmalig nennt, die seine Zeit nicht kannte oder doch zu-mindest als Metalle nicht anerkannte, nmlich: Zink, Wismut, Ko-balt, Antimon und Arsen. Erst um die Mitte des 18. Jahrhundertswar die wissenschaftliche Chemie dazu bereit, die Metallnatur dermeisten dieser Stoffe anzuerkennen. So weit ist Paracelsus seinerZeit voraus.

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  • Immer mehr zieht es ihn jetzt in die Stille. Dort kann er un-gestrt seinen Gedanken nachgehen, kann nachsinnen,, sich ganz insich selber versenken und kann aus der Tiefe seiner Weltschau dieverborgenen Bilder der Welt und der Natur heraufholen. Und sospannt sich der Bogen seines Forschens und Betrachtens immerhher und weiter. Er reicht von den Steinen, den Stoffen, denErden und Pflanzen bis hinauf zu den Gestirnen. Er ist des Glaubens,da die Lufthlle der Erde bis zu diesen Gestirnen heraufreicheund da die Sterne deshalb Einflu auf das Wettergeschehen unddie damit verbundenen Krankheiten haben mten.

    Darin ist er noch ganz in seiner Zeit verhaftet. Da noch niemandetwas von den Krankheitskeimen wei, von den Bakterien undViren, vermutet er auch, da fr die Entstehung der weitverbreite-ten Seuchen, fr den Schwarzen Tod", die Cholera und andere Seu-chen der Menschheit, nur der Einflu der Sterne und ihrer Ausdn-stungen verantwortlich gemacht werden msse, und so ist seine For-derung zu verstehen: Ein Arzt soll am ersten ein Astronom sein."

    Solche, wenn auch fehlhaften oder nur zum Teil heute noch ver-tretbaren Anschauungen, ergrbelt Paracelsus in seinen einsamen,entsagungsvollen Stunden, denn bis zu den Sternen reicht zu seinemSchmerz Experimentieren nicht hinauf. Allemal bei der Nacht,wenn alle leiblichen Dinge ruhen, heimlich und still sind, da ist ambesten und ntzlichsten zu spekulieren und meditieren, auch anheimlichen, besonders dazu gelegenen Orten, also da keiner vonLeuten beschrieen, erschreckt, oder verhindert werden kann, dazuauch mit nchternem Leibe."

    Auch in Ensisheim ist Paracelsus nicht lange geblieben. In derChronika, Zeytbuch und Geschichtbibel" des Sebastian Franck istzu lesen:

    Doctor Theophrastus von Hohenheim, ein Physikus und Astro-nomus. Anno 1529 ist gemeldeter Doctor gen Nrnberg kommen,ein seltzam wunderbarlich Mann, der fast alle Doctores undSkribenten verlacht."So hat Paracelsus also auch die berhmte Reichsstadt Nrnberg

    an der Pegnitz aufgesucht, die Stadt der Meistersinger und des HansSachs, die dieser um dieselbe Zeit als einen blhenden Rosengart"'besingt, in dem viel Frohsinn herrsche.

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  • Arzt am Krankenbett (Aus Petrarcas Trostspiegel")

    Als Paracelsus in die Stadt kommt, werden jedoch nicht nur lu-stige Weisen gesungen. Das Geznk der religisen Parteien erflltdie Politik: hie Ppstliche, hie Lutheraner.

    Paracelsus verkehrt zunchst viel im Hause des StadtsehreibersLazarus Spengler, wo er auch den Fhrer der Nrnberger Prote-stanten, den Prediger von St. Lorenz, Andreas Oslander, kennenlernt. Dieser leidenschaftliche Mann kennt keine Grenzen in seinemHa gegen die Ppstlichen. Er lt alte Papstbilder, die im Kar-tuserkloster der Stadt aufgefunden wurden, durch Holzschnittevervielfltigen und ntzt sie zur Propaganda gegen die Katholikenaus. Da wendet Paracelsus sich gegen ihn und seine Auslegung derBilder, die von Hans Sachs in Reime umgeschmiedet worden ist. Ertut es aus Ekel vor jeglichem weltlichen Machtanspruch in Dingendes Glaubens. Eine Snde wider den heiligen Geist ist's", ruft erin die tobende Menge der Streitenden, da ihr sagt: ich bin evan-gelisch des neuen Glaubens, ich bin des alten Glaubens, ich bin ro-manisch, ich bin zwinglisch, lutherisch, tufferisch . .. Du hrst nichtwas Chrsitus sagt, und hrest nur was sie sagen. So man sprche:

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  • Christus hat den Papst an seine Statt gesetzt, der Luther ist seinGesandter, die Tuffer sind seine Mrtyrer, der Zwingli sein Apo-stel, das ist die Gotteslsterung wider den heiligen Geist." Nunseht", ruft er, was das fr ein Greuel ist in den Pharisern". Aberes bleibt einsam um den Mahner, der sich durch seine Unerbittlich-keit nur Migunst und Feinde schafft.

    Mitten im Lrm der Streitenden bleibt Paracelsus ganz er selbst.Weder-die Ansprche der Lutheraner, noch 'die der Gegenpartei,weder die Gebote des Schweizer Reformators Zwingli, noch die derWiedertufer oder Tufer, die zum Zeichen ihres Glaubens sich alsErwachsene noch einmal taufen lassen, sind fr ihn verbindlich.Mit niemandem lt er sich vergleichen. Stolz bekennt er: Ich binTheophrastus, und mehr als die, denen ihr mich vergleichet . . .Ich bin nit Lutherus, ich bin Theophrastus, den ihr zu Basel Caco-phrastum hiet . . . Du weit wohl, ich la Lutherum sein Ding ver-antworten, ich will das mein auch selbst verantworten."

    In Nrnberg erscheinen seine ersten Schriften geheimnisvollen,magischen Inhalts, die Practica, gemacht auf Europen", mit Vor-aussagen ber die kommenden Weltereignisse. Dann erteilt manihm Druckverbot fr seine weiteren Bcher, und Paracelsus ver-lt die Stadt. Im Mrz 1530 zieht er sich in das friedliche Labertal,nach Beratzhausen zurck, wo er bis 1531 bleibt. Nur einmal verlter das Dorf und fhrt nach Amberg, wahrscheinlich um einen Kran-ken zu heilen. Tief grbt er sich in die Arbeit ein. In der Eindeschreibt er seine beiden Hauptwerke, die Bcher Paragranum" undParamirum". Das trstet ihn in seiner Einsamkeit, denn: Diesist mein Gut und bester Reichtumb, den kann mir kein Dieb steh-len . .. man nehme mir zuvor den Leib. Die Kunst kann man mirnit nehmen, denn sie ist in mir verborgen und ein unbegreiflichDing."

    *

    In Beratzhausen findet Paracelsus wieder den heimlichen, be-sonders gelegenen Ort", an dem er forschen, sinnen und schreibenkann. So vieles hat sich in ihm angesammelt. Nun endlich mu esin grere Zusammenhnge gebracht und niedergeschrieben wer-den. Und wieder sitzt er nchtelang in seinem Laboratorium, ver-git Zeit, Ort, Essen und Trinken und schreibt und schreibt. Manch-mal hetzen seine Gefhle die Gedanken, und er mu sich rechtfer-

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  • tigen, wenn er nicht alles so schnell herauskommt, wie er's gernemchte.

    Er sieht das ferne Verrieseln des Sandes im Stundenglas nichtmehr, das umzuwenden er lngst vergessen hat, noch denkt er anden Blasbalg, um die verglimmende Glut im Ofen wieder anzu-fachen. Nur den Kniespan steckt er von Zeit zu Zeit hher. Dannschreibt er wieder:

    Da ihr nun forthin recht verstehet, wie ich den Grund derArtzney verstehe und worauf ich bleibe und bleiben werde: nm-lidi in der Philosophie, nmlich in der Astronomie, nmlich in derAlchimie (der Chemie) nmlich in den Tugenden . . . Bedenket, dadie vierte Sule sei die Tugend und bleibe beim Arzt bis in denTodt, die da beschliet und erhalte die anderen drei Sulen."

    Immer mu die Sule der Tugend hinzukommen, mit der der Arztdie viehisch Naturam" des Menschen in sich berwinden kann,um aus der gttlichen Natur seines Wesens heraus der grten Ge-heimnisse teilhaftig zu werden. Wer die rechte Tugend nicht be-sitzt, wer trinkt oder ein liederliches Leben fhrt, aus dem wachsetein falscher Arzt". Erst diese letzte Sule seines Lehrgebudesund seiner Erfahrungen, die Tugend, sichert der eigentlichen Heil-kunst ihren Erfolg. Damit spricht Paracelsus etwas aus, was wirheute eigentlich alle wissen: da nmlich die Heilkraft aller groenrzte nicht allein von ihrer handwerklichen Gesdiieklichkeit aus-geht, die natrlich notwendig ist, sondern auch von ihrer starkenPersnlichkeit, die dem Kranken erst das ntige Vertrauen gibt.Mit seiner Tugendlehre ist Paracelsus der Knder einer unvergleich-lich hohen Ethik des Arztes geworden, die aus dem Gefhl der De-mut und des Glaubens erwdist.

    Und wieder schreibt Paracelsust-Sobald der Arzt im Sinn hat, sein Gewinn anders zu brauchen,

    dann aus reinem Herzen, so steht er auf falschem Grund." In einemsolchen Herzen wird nie die Liebe des Samariters, erglhen: So denNchsten eine Not anfllet, die ihr ihm wisset zu helfen, so ver-stopfet nicht die Nasen wie die Schreiber tun . . . bei denselben istnidits zu suchen. Aber bei den Samaritanern, das ist bei den Er-fahrenen der Natur, da liegt das Wissen und die Hilf. Darauf mer-ket, da nichts ist, wo grere Liebe von Herzen gesucht wird dennin dem Arzt."

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  • Das Stundenglas verrinntBeratzhausen war eine Zuflucht, die Paracelsus Mue zu seinem

    schriftstellerischem Werk gewhrte. Achtunddreiig Jahre ist erjetzt alt. Vieles von der Hitzigkeit seines Temperamentes hat erschon berwunden. Nun geht er daran, seine strmischen Jugend-entwrfe neu zu berarbeiten. Er befat sich mit Naturproblemen, dieerst heute wieder von Forschung und Wissenschaft in ihrem ganzenAusma gewrdigt werden; denn allzulange blieb der Kern seinesLehrgutes unter dem phantastischen Beiwerk seiner bilderreichenund oft schwer verstndlichen Ausdrucksweise verborgen. Paracelsusdringt noch tiefer in die Zusammenhnge ein, die zwischen Krperund Seele bestehen, zwischen dem Leibe und der Umwelt in ihrenvielfltigen Erscheinungen. So beschftigt er sich auch mit dem in-neren Wesen der Farben und ihrer Einwirkung auf den Menschen.Goethe hat Paracelsus wegen seiner Farbenlehre als den Bahn-brecher bezeichnet, der den Reigen derjenigen anfhrt, die aufden Grund der chemischen Farbenerscheinungen und Vernderun-gen zu dringen suchen". Als erster will Paracelsus die Heilkrfteder Farben ergrnden. Wie weit ist er auch hierin seiner Zeit vor-aus! Erst uns ist das Wissen um den seelischen Gehalt" der ver-schiedenen Farben und ihren Einflu auf den Menschen vertraut ge-worden, nnd erst in unseren Tagen beginnt man auch die Farbenentsprechend ihrer Wirkung auf das menschliche Gemt, auf seineStimmungen und die Gesundheit in Arbeits- und Wohnrumen undim Straenbild entsprechend anzuwenden.

    Erkenntnisse und Ahnungen des Paracelsus sind auch jetzt nochdas Ergebnis vieler Mhen und Opfer. Von Leid und Entbehrungengeprft, ist er noch verinnerlichter geworden. Die Bildnisse, dieuns aus seinen letzten Lebensjahren von ihm berkommen sind, be-sttigen das. Nicht nur als Arzt und Naturforscher und Philosopharbeitet er in dieser Zeit. Mehr und mehr beschftigen ihn dieewigen Dinge. Und eigenartig: so grend und drngend dieser Geistseiner Zeit vorauseilt, so umstrzlerisch er in seinen medizinischenAnsichten ist, so wenig ist er auf dem Gebiete des Glaubens vonden Erschtterungen der neuen Zeit erfat. In den Bezirk seinesGottesglaubens dringt sein Zweifel nicht ein. Immer wieder betonter: Wir haben hier in gttlichen Dingen nichts zu grbeln, mssen

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  • allein bei den Werken, die da geschehen, erkennen: denn sie sindZeichen des Meisters, der
  • lebt, probiert und erfahren sei in Armut, ngsten, Kriegen undNten."

    Noch einmal, im Jahr 1538, kommt Paracelsus in den Ort seinerKnabenjahre, nach Villach, er besucht das Grab seines Vaters, der i vor vier Jahren hier gestorben ist. Dann wandert er weiter nach St. j Veit in Krnten und nach Wolfsberg im nrdlichen Lavanttal.

    Im Mrz 1540 taucht er in Klagenfurt auf, wohin der Landes-hauptmann Hans Ungnad, Freiherr zu Sonnegg, sich mit der Bittewendet, er mge zu seiner Behandlung nach Pettau kommen. Aberer ist zu schwach, den beschwerlichen Weg zu wagen; schwachenLeibs halber" lehnt Paracelsus die Reise ab. Zum zweitenmal geht i er nach Salzburg. Der Erzbischof Ernst, Herzog von Bayern undPfalzgraf bei Rhein, der ein groer Verehrer aller magischen Na- I turdinge ist, hat ihn wahrscheinlich dorthin berufen und macht ihn ] zu seinem Leibarzt. Salzburg ist Paracelsus letzter Aufenthalt.

    Im Eckhaus am Platzt, gegenber der Salzachbrcke, dann im ] Wirtshaus zum weien Ro in der Kaigasse kehrt Paracelsus ein.Dorthin beruft er an Sankt Mattheustag den ein- und zwantzigsten J des Monats Septembris 1541, zur Mittagszeit", einen beeidigten j Notar und mehrere Zeugen, um sein Testament aufzusetzen.

    Was Paracelsus auf das Krankenlager gezwungen hat, ist unbe- | kannt. Das Testament des Philippi Theophrasti Paracelsi, des J hocherfahrenen Teutschen Philosophi und beider Artzney Doctoris"ist ein Dokument ergreifender Gottes- und Menschenliebe. Das We- j nige, das Paracelsus hat, vermacht er den Armen. Nur vier Bcherbesitzt er: eine Bibel in Kleinformat, eine zusammenfassende Bibel-erklrung, ein Neues Testament und die Erklrungen des heiligenHieronymus ber die Evangelien.

    Drei Tage nach Abfassung des Testamentes, am 24. September1541 ist Paracelsus gestorben. Zur letzten Ruhestatt hat er sichselbst den Friedhof der Bruderhusler zu St. Sebastian gewhlt.

    Auf seinem Grabmal in der nrdlichen Vorhalte der St. Seba-stians-Kirche in der Linzergasse stehen in lateinischen Lettern dieWorte:

    Hier liegt begraben Philippus Theophrastus, der hochangeseheneDoktor der Medizin, welcher auch die schrecklichsten Wunden,Lepra, Podagra und Wassersucht und andere unheilbar schei-nende Krankheiten auf wunderbare Weise durch seine Kunst 1

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  • he i l t e . U n d de r sein H a b u n d G u t u n t e r die A r m e n ve r t e i l en l i e .Im J a h r e 1541, am 24. S e p t e m b e r , ve r t ausch te e r das L e b e n m i td e m T o d e . "Pa race l sus aber lebt we i t e r , sein Wissen und seine Ges ta l t , des-

    ha lb , weil alles an i hm die F r u c h t unsgl icher Mhen , Le iden u n dOpfer war , und weil ein D e n k e n u n d seine Leh re dem l i ebendenT u n am Nchsten entwuchs , d e n n :

    L e h r e n und n i t t h u n , das ist k le in . L e h r e n und thun , das istg ro u n d gan t z . "

    UinschJaggestaltung: Karlheinz DobskyDie Umschlag vorder seite zeigt die schne farbige BHdniszeichnung des Para-celsus von Hans Holbein dem Jungeren. Auf der Rckseite steht ein zeit-genssischer Einblatt-Druck aus dem Besitz der Zentralbibliothek Zrich.Oben links das Kloster Einsiedeln. Darunter halbrechts die sogenannte Teu-felsbrcke" ber dem Wildbach S-ilil und rechts daneben das Haus desArztes und Scheideknstlers Wilhelm Bombast von Hohenheira, in dem am10. November 1493 Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim ge-boren wurde, der sich spter P a r a c e l s u s nannte. Einen vergrertenAusschnitt bringen wir zusammen mit einem Ausspruch des Paracelsus aufSeite 17. Die Abb. auf der 2. UraschJagseite zeigt einen Arzt bei der Behand-lung eines Ausstzigen (zeitgenssischer Holzschnitt), die Abbildung Text-seite 2 das Wappen des Paracelsus. Die Zitate aus den Schriften des Hohen-heimers und aus Quellen der Zeit entsprechen nicht immer der zum Teil

    schwerverstndlichen Schreibweise der Originale

    L u x - L e s e b o g e n 2 0 1 (Geschichte). H e f t p r e i s 2 5 P f g .Natur- und knlturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljhrl. 6 Hefte DM 1.50)durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt Verlag Sebastian Lux, Mur-nau, Oberbayern, Seidl-Park. Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwrth