Partizipation Jugendstrafvollzug Partizipation kompakt · Herstellung und Satz: Ulrike Poppel ISBN...

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Marcel Schweder (Hrsg.) Handbuch Jugendstrafvollzug Judith Rieger | Gaby Straßburger (Hrsg.) Partizipation kompakt Handbuch für Studium, Praxis und Lehre Sozialer Berufe

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Das »Handbuch Jugendstrafvollzug« bietet einen umfassen-den Einblick in verschiedenste Themengebiete des Jugend-strafvollzugs. Ausgehend von Grundfragen der Erziehung er-öffnet es verschiedene, aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis geführte, Diskurse zum Jugendstrafvollzug. Es werden die Statuspassagen vor, während und nach der Haft sowie die verbindenden Übergänge aus erziehungswissenschaftli-cher, sozialpädagogischer, kriminologischer und juristischer Sicht kritisch reflektiert. Darüber hinaus werden Projekte in-nerhalb und außerhalb des Jugendstrafvollzugs vorgestellt. Beiträge zu weiterführenden und übergreifenden Aspekten des Jugendstrafvollzugs runden das Handbuch ab.

www.juventa.deISBN 978-3-7799-3122-5

Judith Rieger | Gaby Straßburger (Hrsg.)

Partizipation kompaktHandbuch für Studium, Praxis und Lehre Sozialer Berufe

Marcel Schweder (Hrsg.)

Handbuch Jugendstrafvollzug

Judith Rieger | Gaby Straßburger (Hrsg.)

Partizipation kompaktHandbuch für Studium, Praxis und Lehre Sozialer Berufe

3122_UmschlagSchweder_HB_JSV_final_51mm.indd Alle Seiten 26.06.2015 11:52:07

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Marcel Schweder (Hrsg.) Handbuch Jugendstrafvollzug

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Marcel Schweder (Hrsg.)

Handbuch Jugendstrafvollzug Unter Mitarbeit von Jens Borchert

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2015 Beltz Juventa · Weinheim und Basel Werderstraße 10, 69469 Weinheim www.beltz.de · www.juventa.de Herstellung und Satz: Ulrike Poppel

ISBN 978-3-7799-4335-8

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Gefängnisse sollen die Menschen nicht

kaputtmachen, deswegen müssen sie offen sein:

offen für eine Zukunft, wie sie allen Menschen zur

Verfügung steht. Diese Menschen müssen wieder

in die Gesellschaft integriert werden. Und es liegt

in unserem Interesse, sie darauf vorzubereiten.

Das ist die wahre Rolle des Gefängnisses.

Robert Badinter

franz. Justizminister 1981–86

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Vorwort

Die Inhaftierung von jungen und heranwachsenden Frauen und Männern scheint in Deutschland bis dato ein unverzichtbares Mittel der Reaktion auf ein – aus Sicht des Wertekonsenses der Gesellschaft – nicht vertretbares, de-viantes Verhalten zu sein. Gleichsam wird immer wieder darauf verwiesen, dass es sich beim rechtlich legitimierten Entzug der Freiheit um eine ultima ratio, ein letztes Mittel, handelt bzw. handeln muss. Gewollte wie auch unge-wollte Einflüsse auf die Identität der In-Haft-Genommenen werden aufseiten der Befürworter_innen1 und Gegner_innen durchaus wahrgenommen und reflektiert. In Reflexion dieses Bewusstseins wird die Inhaftierung heute nicht mehr nur als Antwort auf etwas, in dem Falle die Sanktionierung strafbaren Handelns, verstanden. Vielmehr ist sie gleichermaßen gestaltendes Mittel zum Zweck. Mit der Inhaftierung – oder genauer dem Gefängnis als Institu-tion – wurde ein Raum geschaffen, welcher Sozialisation und damit Rehabi-litation ermöglichen soll.

Im Jugendstrafvollzug wird der intrapersonalen Reflexion (das heißt dem sich bewusst werden des eigenen, nonkonformen Verhaltens) und der Bear-beitung kriminogener Dispositionen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Mit Blick auf das Zeitfenster „Jugend“ und die daran anknüpfenden Chancen der Neuorientierung ist die dezidiert erzieherische Ausrichtung des Jugend-strafvollzugs nachvollziehbar. Neben dem Anspruch, die Inhaftierten zu för-dern, bildet der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten ebenfalls eine Grundidee des Strafvollzugs. Beiden Perspektiven soll „durch eine ziel-gerichtete und wirkungsorientierte Vollzugsgestaltung sowie [eine, M. S.] si-chere Unterbringung und Beaufsichtigung der Gefangenen“ (§ 1 SächsJSt-VollzG) Rechnung getragen werden.

Aus diesem scheinbar klaren Anspruch resultiert, dass sich das Gefängnis, so es denn mit der Ausgestaltung des Vollzugs den formulierten Zielen ge-recht werden möchte, einer Vielzahl von Fachkräften unterschiedlichster Fachgebiete bedienen muss. Dabei ist nicht nur an die Vielfalt interner Pro-zesse gedacht, sondern gleichsam an das davor und das danach. So ist einer-seits an die Lebensumstände vor der Haft anzuschließen, um hieraus Pläne für Zeit in Haft abzuleiten. Zum anderen müssen Konzepte entwickelt und Möglichkeiten geschaffen werden, die Inhaftierten begleitet in die Freiheit zu entlassen.

1 Frauen stellen im Jugendstrafvollzug die Minorität dar. Gleichzeitig gelten aber nicht alle der

formulierten Aussagen für Frauen und Männer gleichermaßen. Aus diesem Grund sind ausschließlich die Angaben, welche für beide Geschlechter Gültigkeit besitzen, gendergerecht verfasst wurden. Gleichwohl der Lesefluss hierdurch gestört wird, ermöglicht diese Form eine genauere Differenzierung der Aussagen – im Zusammenhang eines männerdominierten Jugendstrafvollzugs m. E. unumgänglich.

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Aufgrund dieser Komplexität bedarf es für eine notwendigerweise statt-finde Reflexion des Jugendstrafvollzugs, i. S. eines Bewertungs- und Konklu-sionsprozesses, verschiedenster Perspektiven. So sind der Jugendstrafvollzug, die daran angrenzenden Phasen, die Arbeitsfelder sowie alle in diesen Kon-texten Handelnden für eine Vielzahl von Forschungsdisziplinen – wie bei-spielsweise Kriminologie, Rechtswissenschaft, Soziologie, Erziehungswissen-schaft oder Psychologie – von Interesse. Diese Multiperspektivität, insbeson-dere aber die gegenseitigen Bezüge, machen es nicht nur interessierten Au-ßenstehenden, sondern ebenso aktiv Forschenden oft sehr schwer, ein klares Verständnis über die Theorie und Praxis des Jugendstrafvollzugs zu erhalten.

Die Idee eines Handbuchs entstand aus dem Bedarf in Forschung, Stu-dium und Lehre heraus, die Diskurse über den Jugendstrafvollzug sowie die verschiedenen Zugänge und Facetten im Zusammenhang verständlich zu machen und darüber hinaus ebenso Einblicke in die (erfahrene) Realität des Personals sowie der Inhaftierten zu geben. Insofern richtet sich das Hand-buch als Nachschlagewerk sowie als Studienbuch insbesondere an Studie-rende, Wissenschaftler_innen und die im Jugendstrafvollzug Tätigen. Dar-über hinaus versteht sich die Publikation durchaus als Impulsgeber für neue Diskurse und Forschungen sowie entsprechende Aktivitäten im Erwach-senenvollzug.

Die erste Ausgabe des Handbuchs „Jugendstrafvollzug“ umfasst acht Ka-pitel, welche sich im Kern am Prozess respektive an den Passagen von krimi-nell sein, bestraft werden, inhaftiert sein, entlassen werden und frei sein orien-tieren. Darüber hinaus werden ausgewählte, den Jugendstrafvollzug tangie-rende Projekte sowie allgemeinere Forschungsperspektiven vorgestellt. Prin-zipiell stellt das Handbuch eine Zusammenstellung von Berichten aus Wis-senschaft und Praxis dar.

Im ersten Kapitel werden die aus dem Jugendstrafvollzug direkt erwach-senden Fragen und Kontexte erörtert. Ausgehend von den Spezifika der Ju-gend(-phase) werden das Verhältnis von Erziehung und Strafe sowie die Frage erörtert, ob der Jugendstrafvollzug ggf. eine Form der Hilfe darstellt.

Die Beiträge des zweiten Kapitels fokussieren auf die Entstehung von Ju-gendkriminalität. Hierbei werden sowohl verschiedene Erklärungsmuster als auch mögliche Zusammenhänge mit anderen Sozialisierungsinstanzen auf-gezeigt und diskutiert.

Das dritte Kapitel nimmt den Übergang von der Freiheit in die Unfreiheit in den Blick. Neben Erläuterungen zum Jugendgerichtsgesetz werden Mög-lichkeiten alternativer, erzieherischer Maßnahmen vorgestellt. Ferner wird diskutiert, ob überhaupt inhaftiert werden sollte und, wenn ja, inwieweit die Inhaftierung mit Chancen verbunden ist.

Das vierte Kapitel blickt aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf die Phase des Inhaftiertseins. Aus Gründen der Systematisierung wurden die

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Beiträge gruppiert, wobei die Zuordnungen nicht kategorisch, sondern in-haltlich zu betrachten sind. Während im ersten Abschnitt Rahmenbedingun-gen des Jugendstrafvollzugs im Vordergrund stehen, sind es im zweiten Ab-schnitt die Formen berufsförmiger Arbeit im Vollzug sowie das Personal selbst. Innerhalb des dritten Abschnitts werden einerseits verschiedenste, spezifische Herausforderungen, wie das individuelle Erleben und Verarbei-ten des Entzugs der Freiheit näher betrachtet. Der vierte Abschnitt nimmt die sozialen und pädagogischen Ansätze in den Blick und verbindet diese mit den Erkenntnissen der vorangestellten Abschnitte.2

Das fünfte Kapitel befasst sich mit dem Übergang von der Unfreiheit in die Freiheit. Im Mittelpunkt steht nicht nur die Frage nach der Notwendig-keit eines Resozialisierungsgesetzes, sondern auch die Vorbereitung, Ausge-staltung und Organisation der Entlassung.

Die Phase nach der Haft stellt an die Entlassenen besondere Herausfor-derung – sie müssen sich bewähren. Hierfür stehen ihnen unterschiedliche Formen der Hilfe zur Verfügung, welche im sechsten Kapitel ebenso erörtert werden, wie die Bedingungen der Rückfallvermeidung und die Problematik des Stigmas Haft.

Die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs ist immer wieder auch Gegen-stand von Projekten. Das siebte Kapitel stellt eine Auswahl verschiedenster kurz- und langfristiger Initiativen im Kontext des Jugendstrafvollzugs vor. Die wenigen Beispiele können und sollen dabei kein umfassendes Bild pro-jektorientierter Arbeit geben, sondern in erster Linie exemplarisch die Band-breite des Engagements aufzeigen.

Schlussendlich summiert das achte Kapitel übergreifende Perspektiven auf den Jugendstrafvollzug und soll damit die im ersten Kapitel aufgeworfe-nen Grundfragen um Diskurse zur Forschung und möglichen Reformen er-weitern.

Um der bereits angesprochenen, inhaltlichen Verwobenheit der einzel-nen Beiträge Rechnung zu tragen und die direkten Bezüge besser hervorzu-heben, sind Verweise auf andere Beiträge innerhalb des Handbuches in Klammern gesetzt und gekennzeichnet (→ Autor_in). Darüber hinaus ist al-len Beiträgen ein Abstract vorangestellt, in welchem die wesentlichen Inhalte bzw. Aspekte zusammengefasst sind.

An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, allen Autor_innen für die konstruktive Zusammenarbeit sowie die geduldige Be- und Überarbeitung der Beiträge zu danken, welche das Handbuch überhaupt erst ermöglichten.

2 Mit der Dominanz pädagogisch orientierter Beiträge wird darüber hinaus der immer wieder

formulierte Auftrag des Jugendstrafvollzugs, die Erziehung und Förderung der Inhaftierten, herausgestellt.

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Frau Dörte Ihrke und Carolin Taschler möchte ich für das weit über das Nor-male hinausgehende Engagement bei der Durchsicht der einzelnen Aufsätze danken. Mein Dank gilt in besonderer Weise Hans Gängler, der mich dazu ermutigt hat, meine Idee in die Tat umzusetzen. Der Dank gilt auch dem Verlag Beltz Juventa; hier insbesondere Herrn Frank Engelhardt für die Mög-lichkeit der Publikation, den betreuenden Mitarbeiter_innen für die sorgfäl-tige Durchsicht und Korrektur des Manuskripts sowie dessen Überführung in das Buchformat. Für die finanzielle Unterstützung möchte ich der Gustav Radbruch-Stiftung danken, Herrn Helmut Kury und Herrn Wolfgang Wirth für das Engagement bei der Akquise. Darüber hinaus gilt mein Dank Jens Borchert für die Mitarbeit. Mit seinen Ideen hat er das Handbuch gerade in den Anfängen wesentlich beeinflusst.

Nicht zuletzt möchte ich Frau Manuela Niethammer, meinen Kolleg_in-nen und natürlich meiner Familie dafür danken, dass sie alle über Liegenge-bliebenes hinweggeschaut und Freiräume geschaffen haben.

Ich wünsche allen Leser_innen, dass ihnen das Handbuch im Rahmen der eigenen Praxis nützlich ist. Mit Blick auf die Zukunft würde ich mich über Rückmeldungen – auch kritischer Ansichten – und Anmerkungen bezüglich möglicher Ergänzungen sehr freuen.

Leipzig im Frühjahr 2015 Marcel Schweder

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Inhalt

Pflicht oder Kür? – Kooperationen im und mit dem Jugendstrafvollzug Marcel Schweder und Kathleen Herzog 17

I Grundfragen und Kontexte Jugend – Probleme und Aufgaben Lothar Böhnisch 28 Zum Verhältnis von Erziehung und Strafe Siegfried Müller 43 Jugendstrafvollzug als Hilfe? Hans Gängler 59

II Vor der Haft Jugendkriminalität – Ursachen und Spezifika Eduard Matt 68 Gewalt als Kind der Schule? Wilfried Schubarth 87 Ausbildung und Verurteilung zu Jugendstrafe Joachim Walter 101

III Übergang von der Freiheit in die Unfreiheit Jugendgerichtsgesetz (JGG) Bernd-Rüdeger Sonnen 118 Bewährung – Hilfe und/oder Kontrolle? Ruben Franzen 132

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Inhaftierung als adäquates Strafmittel oder wie punitiv darf/sollte man sein? Helmut Kury 149 Inhaftierung als Chance? Bernd Detmer 162

IV In der Haft Jugendstrafvollzugsgesetze Jochen Goerdeler 180 Jugendarrest – „ein notwendiges Übel“? Eine Einschätzung aus der Praxis Ute McKendry 201 Strafvollzugsarchitektur – Funktionale und symbolische Merkmale sowie Strategien ihrer Nutzung Heidi Helmhold 213 Unterbringung im Jugendstrafvollzug Johann Endres 228 Zur Aktualität von Goffmans Konzept „totaler Institutionen“ – Empirische Befunde zur gegenwärtigen Situation des „Unterlebens“ in Gefängnissen Bernd Dollinger und Holger Schmidt 245 Rolle und Aufgaben der Anstaltsleitung im Jugendstrafvollzug Gerhard Weigand 260 Von Berufs wegen hinter Gittern Benno Kretzschmar 277 Der Psychologische Dienst im Jugendstrafvollzug Sylvette Hinz 295 Praktizieren im Gefängnis – Der Medizinische Dienst Sigrid Heyde 314 Gefängnisseelsorge – Nicht nur Hilfe für die Seele Sarah J. Jahn 324

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Zwischen autoritärer Zumutung und Entwicklungsversprechen – Der Freiheitsentzug als tief greifende biographische Konflikterfahrung Mechthild Bereswill 339 Freiheit in der Unfreiheit – Subkultur als Strukturelement im Jugendstrafvollzug Karl-Heinz Bredlow 354 Migranten im Jugendstrafvollzug Joachim Walter 372 Mädchen und junge Frauen im Jugendstrafvollzug Rita Haverkamp 392 Junge Frauen im (Jugend-)Strafvollzug – ein Sonderfall? Das Hafterleben aus Sicht inhaftierter junger Frauen Anke Neuber 408 Drogen im Gefängnis Heino Stöver 425 Gewalt im Jugendvollzug André Ernst 437 Soziale Arbeit im Gefängnis Jens Borchert 452 Kooperation statt Konfrontation – Sicherheit und Pädagogik im Jugendstrafvollzug Peter Bierschwale 467 Pädagogisches Denken und Handeln im Jugendstrafvollzug Philipp Walkenhorst 482 Vom ganzheitlichen Bildungsansatz zur lernenden Organisation – Entwicklungsbedingungen für einen erfolgreichen Jugendstrafvollzug Daniela Fahrnbach 507

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Innovation macht Schule – Der pädagogische Dienst als (Um-)Gestalter des Jugendstrafvollzugs Ulrike Bublies 522 Erziehung durch Bildung – Schulische Einrichtungen im geschlossenen Jugendstrafvollzug der Bundesrepublik Deutschland Susann Reinheckel 533 Arbeitsort: Gefängnisschule – Lehren unter erschwerten Bedingungen Marcel Schweder 546 Jugendstrafvollzugs-Pädagogik und ihre Didaktik Hans-Jürgen Eberle 558

V Übergang von der Unfreiheit in die Freiheit Resozialisierungsgesetz Heinz Cornel 582 Übergangsmanagement im und nach (Jugend-)Strafvollzug – Von der Entlassungsvorbereitung zum Übergangssystem Wolfgang Wirth 599 Durchgehende Interventionsgestaltung in den Sozialen Diensten der Justiz Wolfgang Klug 618

VI Nach der Haft Soziale Hilfe als gesetzliche Pflicht – Forderungen des sowie Folgerungen aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) Reinhard Wiesner 636 Nach der Haft – Theorie und Praxis einer risikoorientierten Bewährungshilfe Wolfgang Klug 657 Führungsaufsicht nach Jugendstrafe Axel Dessecker 677

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Vor der Haft ist nach der Haft? Wolfgang Stelly und Jürgen Thomas 693 Jugendhaft und Stigmatisierung Walter Hammerschick und Arno Pilgram 707

VII Projekte im Kontext des Jugendstrafvollzugs Das Modellprojekt RUBIKON – Übergangsmanagement im Rahmen von Intensivbewährungshilfe Maria Walsh 730 Aufgaben des Übergangsmanagements in der Praxis – Das Beispiel einer Gemeinschaftsinitiative zur beruflichen Wiedereingliederung von (jungen) Strafgefangenen Wolfgang Wirth 742 Jugendstrafvollzug in freien Formen – Projekt Chance und Seehaus Wolfgang Stelly 755 Podknast Inge Roy 767 Alphabetisierung als Chance im Strafvollzug – Wie das Projekt RAUS weiterhilft Tim Henning und Tim Tjettmers 777 Studentisches Lernen im Jugendstrafvollzug Jens Borchert 789

VIII Übergreifende Perspektiven zum Jugendstrafvollzug Forschung zum Jugendstrafvollzug – Notwendigkeit, Dimensionen, Möglichkeiten und Grenzen Hans-Jürgen Kerner 796 Plädoyer zur Abschaffung des Jugendstrafvollzugs Werner Nickolai 817

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Frischer Wind für alte Konzepte? – Neurowissenschaften und Jugendstrafrechtspflege Wolfgang Gratz 828 Reformpädagogik im Strafvollzug Jens Borchert 844 Andere Länder, andere Sitten? – Konzepte in Europa als Impulsgeber für den deutschen Jugendstrafvollzug Ineke Pruin und Rita Haverkamp 859 Statt eines Nachworts – Innenansichten Ricky F. 875

Abkürzungsverzeichnis 878 Sachwortverzeichnis 880 Autorinnen und Autoren 884

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Pflicht oder Kür?

Kooperationen im und mit dem Jugendstrafvollzug

Marcel Schweder und Kathleen Herzog

Kooperationen innerhalb von Organisationen sowie die systemübergreifende zwischen Organisationen bzw. den darin Tätigen können formeller oder informel-ler Natur sein. Diese Untergliederung richtet sich danach, ob das Erfordernis ei-ner Zusammenarbeit aus den vorhandenen strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingen resultiert oder die Beteiligten diese selbst als notwendig er-achten und folglich initialisieren. In beiden Fällen wird der Austausch von Infor-mationen befördert oder verhindert, wobei sowohl das eine als auch das andere positive bzw. negative Folgen nach sich zieht. An dieser Stelle möchte der vorlie-gende Beitrag ansetzen und darstellen, inwieweit bestimmte Kooperationen für den Kontext des Jugendstrafvollzugs charakteristisch sind, eben weil sie aus dem Zwangskontext selbst bzw. aus den formal-juristischen Aspekten resultie-ren.

1 Einleitung

Im und am Jugendstrafvollzug sind eine Vielzahl von Personen beteiligt: Al-lein an der Umsetzung der Maßnahme „Freiheitsentzug“ wirken verschie-denste Akteure mit. Daneben bestehen Verbindungen zu weiteren externen Organisationen (vgl. → Weigand und → Wirth) wie etwa Gerichten, den so-zialen Diensten der Justiz, privaten Trägern, Arbeitsagenturen, Einrichtun-gen der Sozialen Arbeit, der Polizei oder öffentlichen Bildungsstätten und deren Mitarbeiter_innen. So kann nicht nur im Jugendstrafvollzug selbst, sondern auch darüber hinaus und mit Blick auf die Tätigen von einem mul-tiprofessionellen Gefüge gesprochen werden. Kooperation in diesem Bereich subsumiert damit weitaus mehr Aspekte als die bloße Zusammenarbeit an und für sich. Ziel ist vielmehr – auch vor dem Hintergrund der eigenen Zu-friedenheit – an der Realisierung des (Arbeits-)Ziels mitzuwirken sowie in den Prozess gestaltend einzugreifen. Darüber hinaus kann die zielbezogene Bündelung von Kompetenzen erreichen, dass die Aufgaben nicht nur effek-tiver und damit weniger belastend bearbeitet, sondern zudem besonders problemhaltige Situationen besser bewältigt werden können. Basis für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist neben dem Wissen über die Aufgaben

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und Zuständigkeiten der Kolleg_innen gegenseitiges Vertrauen sowohl in Bezug auf die Arbeit selbst als auch auf die (zwischenmenschliche) Beziehung betreffend. Insbesondere aufgrund der dezidiert erzieherischen und damit auf die Förderung der jungen und heranwachsenden Inhaftierten ausgerich-teten Maßnahme „Freiheitsentzug“ erscheinen in erster Linie die personen-bezogenen Beziehungen im Gefängnis interessant.

2 Personen im Strafvollzug und deren Zusammenarbeit

Quantitativ bestimmen maßgeblich die Mitarbeiter_innen des allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) den Jugendstrafvollzug. Ursächlich hierfür ist auch das Aufgabenverständnis, welches vornehmlich die alltägliche Versorgung, Be-treuung und Beaufsichtigung der Inhaftierten sowie die Sicherung des Voll-zugs in seiner Gesamtheit umfasst (vgl. → Kretzschmar). Zu den Bediensteten des AVD kommen die Mitarbeiter_innen des Werkdienstes, der Verwaltung, der Fachdienste3 und der Anstaltsleitung. Diese Vielfalt an Berufen bedingt ei-nerseits klare Rollenzuweisungen und somit abgegrenzte Aufgabenfelder. An-dererseits ist, vor allem unter dem Aspekt der Verwirklichung des Vollzugs-ziels, die Abstimmung der Arbeitshandlungen und Maßnahmen nicht nur fakultativ, sondern formal gefordert (vgl. z. B. SächsJStVollzG4 § 7 Abs. 1). Im gegebenen hierarchischen System scheint dieser Anspruch jedoch mit vielerlei Hürden verbunden.

Obwohl die Aufgaben und Zuständigkeiten der einzelnen Berufsgruppen den im Vollzug Tätigen durchaus bekannt sind, findet eine die Beteiligten zufriedenstellende Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeiter_innen der verschiedenen Dienste offensichtlich nicht statt (vgl. Lehmann/Greve 2006, S. 55 ff.). Wenngleich aus dem Wissen um die Aufgaben des anderen nicht automatisch eine Kooperation resultiert, ist es doch eine Bedingung. In An-betracht dessen, dass – bezogen auf die einzelnen Vertreter_innen der Be-rufsgruppen – ein geringes Vertrauen gegenüber den anderen Mitarbei-ter_innen besteht (vgl. hierzu Schollbach 2013, S. 199 f.), erscheint das Fehlen von Kooperationen allerdings nachvollziehbar; zumindest dann, wenn Ver-trauen als Basis für gelingende Zusammenarbeit gesehen wird. Als sehr prob- lematisch stellt sich das über alle Berufsgruppen hinweg hohe Misstrauen gegenüber den Gefangenen dar, da dies „nicht für ein Resozialisierung för-

3 Hierzu zählen der Sozialdienst, der Psychologische Dienst, der Medizinische Dienst, die Seel-

sorge und der Pädagogische Dienst. 4 Der Bezug zum sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetz ist hier und im Folgenden exemplarisch.

Die Aussagen sind in ähnlicher oder identischer Weise in den Gesetzen der anderen Bun-desländer enthalten.

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derndes Klima spricht“ (ebd., S. 201). Aus dem Anspruch heraus, dass der Jugendstrafvollzug erzieherisch und förderwirksam zu gestalten ist, muss die Mitverantwortung und damit Teilhabe der Gefangenen gesichert sein. Das heißt alle im Jugendstrafvollzug Tätigen müssen sich bewusst machen, dass die bisher vorhandenen, klaren Grenzziehungen zwischen Berufsgruppen wenngleich nicht obsolet werden, so doch immer mehr verwischen. Damit liegt weder die Sicherheit noch die Behandlung ausschließlich in der Hand einer Berufsgruppe (vgl. Jesse 2008, S. 116).

Aus der eigenen Erfahrung sowie Gesprächen mit im Vollzug Tätigen of-fenbart sich der dem Gefängnis inhärente Zielkonflikt (Strafen/Überwachen – Erziehen/Behandeln), welcher innerhalb der eigenen Person be- und ver-arbeitet werden muss. Die an einzelne Berufe im Vollzug gebundenen bzw. von Seiten der Inhaftierten zugeschriebenen – und darüber hinaus in Teilen gelebten – Muster des „überwachenden“ und „behandelnden“ Dienstperso-nals müssen aufgebrochen, neu besetzt und intrapersonell verinnerlicht wer-den. Und es besteht die Notwendigkeit die daran geknüpften Veränderungs-prozesse gemeinsam und professionell zu be- und verarbeiten, z. B. im Rahmen von Maßnahmen der Supervision (vgl. hierzu auch Möller 1997), der kollegialen Beratung oder der Mediation. Hierfür bedarf es jedoch nicht nur eines gegenseitigen Verständnisses über die individuellen Aufgaben – insbesondere deren Grenzen – innerhalb des Vollzugs, sondern zudem einer die Organisation übergreifenden Anknüpfung an die dezidiert vollzugliche Arbeit.

3 Kooperationen über Systemgrenzen

Für die Organisation selbst, deren Mitarbeiter_innen und die Inhaftierten ist eine Kultur der Zusammenarbeit bedeutend, denn die Organisation entwi-ckelt und verbessert sich nur in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit ihren Herausforderungen weiter. Eine solche Zusammenarbeit kann einer-seits in formalen Gremien, wie z. B. in Dienstberatungen, Arbeits- oder auch Lenkungsgruppen stattfinden. In diesen offiziellen Gremien tauschen sich die Mitarbeiter_innen über die Möglichkeiten, Inhalte und Strukturen der Kooperation aus und wirken so an der Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit, informieren und beteiligen sich entsprechend an der Umsetzung. Neben dieser formalen Kooperation gibt es andererseits Besprechungen und Zu-sammenarbeiten abseits der formalen Organisationswege durch informelle Kooperationsstrukturen in und über die Organisationsgrenzen hinweg. Diese informellen Kooperationen können unterschiedlich ausgestaltet sein, es handelt sich einerseits um Gruppen, die sich über bestimmte Aspekte aus- tauschen und absprechen, anderseits aber einzelne Personen verschiedener

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Rollenträger, die neben den Gruppen und formellen Organisationswegen eng zusammenarbeiten und ihr Handeln besprechen, was ihnen in der alltäg-lichen Arbeit dann als Orientierungsgrundlage dient. Auf solchen informel-len Ebenen unterschiedlicher Art kann sich dann auch über Inhalte mit for-malen Gehalt ausgetauscht.

Grundsätzlich können beide Kooperationswege erfolgreich sein, dennoch wird eine Kooperationsstruktur auf der Ebene der Organisation gewünscht, sodass sie mit den beteiligten Mitarbeiter_innen ausgehandelt und von allen gleichermaßen bei der Umsetzung berücksichtigt wird. So ist es für Koope- rationsstrukturen auf informeller Ebene bedeutend, dass die Kooperations-inhalte und -ziele in den Arbeitsstrukturen auf der Organisationsebene wie-der zur Geltung kommen. Sofern dies geschieht, steht einem solchen ersten Zugang von Zusammenarbeit nichts entgegen. Kritisch hingegen ist der Ver-bleib der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten ohne Inkenntnissetzung anderer, an den Kooperationspunkten theoretisch beteiligten Akteure. Denn solch eine Zusammenarbeit erreicht nicht die Organisationsebene und kann folglich nicht zur Entwicklung und Verbesserung der Organisationsarbeit im Jugendstrafvollzug beitragen.

Neben der internen Kooperation gründet das Konzept des Erziehungs-/ Behandlungsvollzugs auf die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Orga-nisationen und Personen außerhalb der Jugendstrafanstalt. Das Angebot an Unterstützungsleistungen fokussiert dabei nicht nur auf die offensichtlichste Phase: die nach der Haft (z. B. bei der Jobsuche), sondern ebenso auf die Zeit vor (z. B. bei der Haftvermeidung) und in der Haft (z. B. innerhalb des Eh-renamts). Wenngleich der Aufbau von Kooperationsstrukturen sowie die Verstetigung der Zusammenarbeit mit Dritten5 durch die Jugendstrafvoll-zugsgesetze (vgl. exemplarisch SächsJStVollzG § 7 Abs. 2) formal gefordert werden, ist es ein weiterer Schritt, die Übergänge so zu gestalten, dass sich die Jugendstrafe bzw. die Maßnahmen innerhalb dieser passgenau und lü-ckenlos an die vor, in und nach der Haft anschließen. Dass dieser Anspruch nicht ohne weiteres zu erfüllen ist, erklärt sich von selbst, als ein Beispiel sei nur die Problematik des Datenschutzes genannt.

Wenn über eine Zusammenarbeit intra- und extramuraler Organisatio-nen und/oder Personengruppen referiert wird, dann vornehmlich am Bei-spiel des Übergangsmanagements; vielleicht auch wegen der angenommen hohen Korrelationen mit Rückfallraten. Verstanden wird unter dem Über-gangsmanagement die „Schaffung von Förderketten zur sozialen Wiederein-gliederung von (ehemaligen) Strafgefangenen“ (Wirth 2010, S. 81). Ziel der initiierten Kooperationen ist die „Sicherung von Behandlungskontinuität

5 Das SächsJStVollzG nennt im § 7 Abs. 2 bspw. die Bewährungshilfe, die Führungsaufsicht, das

Jugendamt einschließlich der Jugendgerichtshilfe, die Schulen sowie berufliche Bildungsträger.

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und/oder Wiedereingliederungsstabilität“ (ebd., S. 82). Damit kommt der Haftentlassung im Rahmen der Resozialisierung eine wesentliche Funktion zu. Sie nimmt nicht nur den Erziehungsgedanken auf und führt diesen fort, sondern schließt im besten Falle an die im Vollzug absolvierten Maßnahmen mit neuen an. Die Notwendigkeit, vor allem aber die Bedeutung der Zusam-menarbeit, kann am Beispiel der Vermittlungsquote Arbeit/Ausbildung ver-deutlicht werden: Unabhängig vom Delikt liegt die Wiedereingliederung bei „praktizierte[r] Zusammenarbeit um nahezu 17 Prozentpunkte höher […] als in Fällen ohne eine entsprechende Kooperation“ (ebd., S. 89). Das heißt auch, dass für und mit den Jugendlichen und Heranwachsen individuelle Konzepte der Wiedereingliederung entwickelt werden müssen, welche weit über den Tag der Entlassung hinausreichen. Voraussetzung hierfür aller-dings ist die enge Zusammenarbeit von Vollzugsbehörden sowie den Stellen und Institutionen, welche entlassene Jugendliche beaufsichtigen und unter-stützen (vgl. BMJ Berlin/BMJ Wien/EJPD Bern 2007, Rule 100.2).

Unter dem Aspekt des Präventionsgedankens ist es ferner erforderlich, Kooperationen mit Institutionen und deren Vertreter_innen in den Blick zu nehmen, welche in die Erziehung und Betreuung von Jugendlichen und Her-anwachsenden innerhalb der Phase vor einer Verurteilung zur Freiheitsstrafe involviert sind. Zu nennen wären hier bspw. die Familie, die Jugendhilfe, die Polizei und nicht zuletzt die Schule. Gerade letztere beinhaltet aufgrund der allgemeinen Schulpflicht die Möglichkeit, einen breiten Teil der Jugendli-chen zu erreichen. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass sich deviantes Ver-halten sehr oft innerhalb der Schulzeit zeigt oder entwickelt, bietet die Insti-tution zahlreiche Anknüpfungspunkte für Kooperationsbeziehungen und damit die Möglichkeit beginnender Delinquenz präventiv entgegenzuwir-ken. Neben der Zusammenarbeit mit den Eltern/Erziehungsberechtigten, der Polizei oder der Jugendhilfe ist ebenso ein direkter Austausch mit Inhaftier-ten im Rahmen von schulischen Exkursionen o. ä. denkbar.

Während die einen versuchen, über interdisziplinäre Kooperationen Le-bensverläufe so zu beeinflussen, dass delinquentes Verhalten und in dessen Folge Sanktionen (im schlimmsten Fall eine Inhaftierung) vermieden wer-den, konzentrieren sich am scheinbar dichotomen „anderen Ende“ die Betei-ligten darauf, eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft und straffreies Leben zu ermöglichen. Außen vor bleibt bei dieser Betrachtung das Dazwi-schen. Auch im Vollzug ist eine Reihe von externen Personen anderer Insti-tutionen tätig, die nicht unabdingbar mit dem Freiheitsentzug in Verbindung stehen und von daher die Systemgrenzen durchdringen. Einen wesentlichen Beitrag im Rahmen der Resozialisierung leisten beispielsweise ehrenamtlich tätige Vollzugshelfer_innen (vgl. hierzu Fritsch-Oppermann 2004). Darüber hinaus bestehen Kooperationen mit der Drogen- und Schuldnerberatung, im Bereich der Aus- und Weiterbildung mit externen Bildungsträgern oder

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Schulen im Umkreis, den Handwerks- sowie Industrie- und Handelskam-mern des Landes oder auch den Jobcentern (vgl. → Weigand). Im Gegensatz zu den Vertreter_innen an den Anschlussstellen vor und nach der Haft, sind die „externen Internen“ in die Abläufe des Gefängnisses eingebunden, was die Arbeit zumindest von seiner prozessualen Anbindung an das individuelle Resozialisierungskonzept eines_r jeden Einzelnen erleichtert. Die Kommu-nikation und die Auswertungen der Erfahrungen bietet demzufolge durch-aus die Chance, Strategien und Erkenntnisse bei der Konzeptionierung der Arbeit der an den Übergängen Tätigen zu berücksichtigen. Nicht nur an die-ser Stelle erscheint eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit gegebener Praxis unabdingbar.

4 Wissenschaft und Praxis

Im Allgemeinen werden die Ansichten und Erträge von Wissenschaft und Praxis als gegensätzliche Pole betrachtet und auf den ersten Blick scheint es als sei der gegenseitige Einfluss nicht besonders groß (vgl. auch Rössner 2004, S. 77).

Wie bereits ausgeführt sind im und um den Jugendstrafvollzug eine Viel-zahl von Personen unterschiedlichster Arbeitsfelder6 tätig. Die einen verfü-gen über praktisch fundiertes Wissen und Handeln, die anderen über wis-senschaftlich fundiertes Wissen, häufig ohne praktisches Handeln innerhalb der Disziplin. Praktiker_innen erleben eine berufliche Realität, die durch Zeitknappheit, dringliche Prioritäten, begrenzte Lösungsfähigkeit bzw. -möglichkeit und Unabschließbarkeit der Aufgaben geprägt ist (in Anleh-nung an Oelkers 2000). Neben diesen realen Erfahrungen von Schwierigkei-ten und Belastungen setzt eine (teils) idealistische Vorstellung der Theoreti-ker_innen an, die Wissen sammeln und Ansätze erarbeiten, was ein Spannungsverhältnis aufmacht. Sowohl die Theoretiker_innen als auch die Praktiker_innen haben ihre jeweilige Perspektive auf den Jugendstrafvollzug und ergänzen einander. Dem vielfachen Vorwurf der Diskrepanz von Theo-rie und Praxis, häufig in der Metapher des Theorie-Praxis-Grabens ausge-drückt, lässt sich dagegen nur mit einer objektiven Darstellung der Ergeb-nisse sowie Erfahrungen beider Perspektiven begegnen. Kooperation setzt hier an, indem sie zwischen den wissensbasierten Konzepten produktiv ver-mittelt und diese nicht einfach als Idealismus und Realismus addiert. So bricht die theoretische Basis die Routine in beruflichen Alltagssituationen auf, wodurch das Handlungsrepertoire durch neue Möglichkeiten für die

6 Eben diese werden dann, nach mehr oder weniger nachvollziehbaren Kriterien, der Wissen-

schaft oder der Praxis zugeordnet.

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Praktiker_innen erweitert wird. Ihnen muss also bewusst werden, dass Handlungsalternativen zur Verfügung stehen, und zwar auf der Grundlage von realistischen Möglichkeiten. Diese realistischen Möglichkeiten müssen Theoretiker_innen liefern und daher ihre Ansätze und Konzepte auf die Ver-wirklichungschancen hin überprüfen. Wenn beide Seiten sich in kooperati-ver Form austauschen, kann eine Öffnung für neue Handlungsmöglichkeiten einerseits und von Idealen ferne Vorstellungen andererseits die Basis für ei-nen produktiven Umgang der beiden Wissenskonzepte aus Theorie und Pra-xis liefern. Überdies übersetzen die Praktiker_innen notwendigerweise das wissenschaftbasierte Wissen in Handlungswissen und fassen die Folge „als Erfindung einer neuen Wirklichkeit“ (Berner 2006, S. 22) auf. Nicht zuletzt unterliegen die Wissens- und Erfahrungsbestände sowohl von Seiten der Praktiker_innen, als auch von den Theoretiker_innen einer kritischen Refle-xion, um überhaupt den Eingang in das Bewusstsein zu finden. Die Zusam-menarbeit und der Austausch ermöglicht damit, theoretische Reflexionshil-fen für einen professionellen Umgang sowie realistische Möglichkeiten von Ideen, Ansätzen oder Konzepten bereitzustellen.

5 Resümee

Prinzipiell scheint es um die Zusammenarbeit im und mit dem Jugendstraf-vollzug besser gestellt als wahrgenommen, insofern ist eben auch zu disku-tieren, ob die bereits vorhandenen Formen der Zusammenarbeit für die Ziel-setzung des Jugendstrafvollzugs in gleichem Maße förderlich wie ausrei-chend sind. Das Gefühl der „verschiedenen Welten“ seitens der vielzähligen Akteure lässt sich eher darin begründen, dass die Ergebnisse der Zusammen-arbeit bzw. die Kooperationen an vielen Stellen unmerklich – quasi von selbst – entstanden bzw. abgelaufen sind. Diese Zusammenarbeiten finden teil-weise noch auf informeller Ebene in oder zwischen verschiedenen Organisa-tionen statt. So kann sicherlich konstatiert werden, dass die „pädagogische Wende“ im Jugendstrafvollzug verbunden mit der Wahrnehmung und An-erkennung der Besonderheit der Phase „Jugend“ neben gesellschaftlichen Veränderungsprozessen im Wesentlichen auf der theoretischen Reflexion ar-tikulierter Praxis und der praktischen Umsetzung entfalteter Theorie beruht.

Mit Blick auf die im Jugendstrafvollzug vor und nach der Inhaftierung so-wie die an den Systemgrenzen Tätigen offenbart sich eine besondere „Vielfalt an Fachwissen, Methodenkenntnissen und Berufserfahrung“, deren systema-tische Erschließung eine besondere „Herausforderung und Chance“ (Man-hart 2013, S. 84) beinhaltet, wenn sie denn erkannt, genutzt und befördert wird. Kooperation im und mit dem Jugendstrafvollzug stellt demnach eine Pflicht und keine Kür dar; kurz: eine Notwendigkeit. Damit diese gelingt,

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braucht es „[n]eben dem Willen zur Zusammenarbeit […] klare Zuständig-keiten und Verantwortlichkeiten, ein gemeinsames Fallverständnis, eine ge-meinsame Sprache sowie einen strukturierten Informationsaustausch“ (Keel 2013, S. 192).

Darüber hinaus ist ein von Opportunismus und Ressentiments befreites Menschenbild notwendig, welches für alle Beteiligten handlungsleitend sein sollte. Denn die subjektiven Vorstellungen sind es, welche nicht nur die Zu-sammenarbeit im Vollzug (vgl. Rieger 1990, S. 36), sondern auch die Verän-derbarkeit des Jugendstrafvollzugs insgesamt befördern (oder erschweren). Insofern erscheint nicht nur die Auseinandersetzung der Vertreter_innen von Theorie und Praxis mit den Konzepten der (jeweils) anderen von Nöten, sondern zudem die Beteiligung der Öffentlichkeit am Diskurs.

Die Beiträge des Handbuchs bieten eine Grundlage für eine avisierte in-terdisziplinäre Kooperation der mit dem Jugendstrafvollzug (noch nicht) be-trauten Organisationen und Personen. Sie zeigen Beispiele gelungener Ko-operationsstrukturen auf, die über verschiedene Organisationswege gestaltet wurden und werden. Darüber hinaus kommen die Wissensbestände von Pra-xis und Theorie im und um den Jugendstrafvollzug zur Vorstellung. Die bei-den Perspektiven stehen sich nicht als Dichotomien gegenüber, sondern re-präsentieren eigenständige Wissenskonzepte. Die Verbindungsleistungen zwischen diesen Konzepten realisieren die zahlreichen Beiträge, welche vor dem Hintergrund der persönlichen beruflichen Situation gedeutet und mo-difiziert werden können.

Literatur

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I Grundfragen und Kontexte

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Jugend – Probleme und Aufgaben

Lothar Böhnisch

Die Betrachtung von Jugend als zeitlich (am Lebensalter) scharf abgrenzbare Le-bensphase ist aus sozialpädagogischer Sicht strittig. Insofern ist zu fragen, in-wieweit und über welche Faktoren diese Phase beschreibbar ist. Mit Blick auf die Jugendkriminalität sind die Wechselwirkungen von und zwischen Herkunftsmi-lieu, jugendtypischen Verhalten, Etikettier- und Stigmatisierungen sowie Ge-schlechterspezifika zu diskutieren. Im Folgenden werden daher, von der Prob-lemgruppe Jugend ausgehend, die Aufgaben und Probleme innerhalb der Bewältigungslage Jugend erörtert. Auf der Basis der Erkenntnis, dass delinquen-tes Verhalten als Bewältigungsverhalten verstanden werden muss, wird begrün-det, warum Devianz unterbrechende Sozialarbeit sich nicht nur auf die unmittel-bare Beziehungsarbeit mit Jugendlichen beschränken und/oder allein auf die (jugend-)strafrechtliche Intervention verlassen darf.

1 Problemgruppe Jugend?

Die Lebensphase Jugend ist heute nicht nur von ihrem Beginn, sondern auch von ihrem Ende bzw. Übergang ins Erwachsenen- und Erwerbsalter schwer abzugrenzen. Denn auch im Altersbereich der jungen Erwachsenen (der 18- bis 25-Jährigen) ist längst nicht mehr auszumachen, wann Jugend aufhört und das Erwachsensein beginnt. Dies wird noch dadurch kompliziert, dass auch die Konturen des Erwachsenen- und Erwerbsalters verschwommen sind, so dass es für Jugendliche schwer ist, sich vorzustellen, auf welches Er-wachsenenalter sie sich hinbewegen. So ist es auch schwierig geworden, die Jugendphase vom Erwachsenenstatus her zu bestimmen. Vor diesem Hinter-grund mehren sich in der Jugendsoziologie Stimmen, die nicht nur eine Ent-grenzung, sondern gar eine Auflösung der Jugend (als abgrenzbares Lebens-alter) behaupten.

Jugendpädagogisch fruchtbarer ist es deshalb, von der Bewältigungslage Jugend zu sprechen. Jugend als sich historisch wandelnde gesellschaftliche Konstruktion muss also je biografisch unterschiedlich von den Jugendlichen – Mädchen und Jungen – bewältigt werden. Diese Bewältigungslage ist heute gekennzeichnet durch die Spannungen zwischen früher soziokultureller Selbstständigkeit und im Durchschnitt länger andauernder ökonomischer Abhängigkeit, zwischen der Offenheit und Verwehrung eigensinniger sozi-

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alräumlicher Aneignung und – im Hinblick auf die öffentliche Thematisie-rung der Jugendfrage – zwischen der Anerkennung als gesellschaftlicher Ak-tivposten und der Etikettierung als Risikogruppe.

Dabei haben wir es in der Sozialarbeit vor allem und immer wieder mit solchen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun, die sozial benachtei-ligt sind und sich in entsprechend prekären Bewältigungslagen befinden. Der soziale Druck auf diese Jugendlichen hat in den letzten Jahren eher zugenom-men, die soziale Spaltung der Gesellschaft bildet sich schon in der Jugend ab (vgl. Quenzel/Hurrelmann 2010). Es sind junge Leute mit geringem Selbst-wertgefühl, mangelnder Anerkennung und eingeschränkten bis verwehrten Möglichkeiten, sozial wirksam zu werden die über sozial auffälliges bis anti-soziales Verhalten auf sich aufmerksam machen und so zu Adressaten oder gar Klienten der Jugendhilfe werden. Sie sind am stärksten davon betroffen, dass heute soziale Probleme und Lebensschwierigkeiten, von denen Jugend-liche eigentlich verschont bleiben sollten, in das Jugendalter hineinreichen (Erosion des Moratoriums) und der Grat zwischen jugendkulturellem Expe-rimentier- und Risikoverhalten und Kriminalität schmal geworden ist. Hier gilt es Beziehungen („andere Erwachsene“) und Projekte anzubieten, Räume zu eröffnen und Milieus zu gestalten, in denen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen soziale Anerkennung und Selbstwirksamkeit erfahren und so spüren können, dass sie nicht auf antisoziales Verhalten angewiesen sind.

Jugendliche können heutzutage leicht in eine Selbstständigkeitsfalle gera-ten: Einerseits sind sie im postmodernen Vergesellschaftungsprozess auf eine Art und Weise freigesetzt, das sie früh soziokulturell selbstständig werden; gleichzeitig verspüren sie den gesellschaftlichen Druck, sich zurückzuneh-men, die Dynamik der Adoleszenz zu unterdrücken. Das macht hilflos. We-nige spalten ihre Hilflosigkeit in Gewalt gegen Schwächere ab. Die Mehrheit lebt – mit der Unbefangenheit der Jugend – ihr eigenes Leben, um sich so an den sozialen und gesellschaftlichen Problemen, von denen das Jugendalter heute nicht verschont ist, vorbei zu lavieren. In dieser Ambivalenz muss man auch die Ergebnisse der Shell-Jugendstudien (Jugend 2000 – 2010) interpre-tieren, in der sich deutliche Hinweise auf biografiezentrierte – der Gesell-schaft gegenüber indifferente – soziale Orientierungen finden. Während in früheren deutschen Jugendstudien der 1980er und 1990er Jahre die Tendenz überwog, dass die Jugend eine gespaltene soziale Orientierung zeigte – gesell-schaftlich-pessimistische versus persönlich-optimistische –, scheint für viele jetzt nur noch ein eher optimistischer Glaube an sich selbst orientierungslei-tend zu sein. Das frühere Orientierungsmodell ließ sich jugendtypisch erklä-ren: In der Pubertät steht das eigene Selbst narzisstisch im Mittelpunkt der Welt und der gesellschaftlichen Optionen, an denen es sich entsprechend reibt. Heute reiben sich viele Jugendliche nicht mehr am Gesellschaftlichen, sondern übernehmen früh das biografische Bewältigungsmodell der Erwach-