Patagonien Roadbook 2009

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Patagonien Roadbook 2009 Panorama - Leserreise

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Patagonien Online Tagebuch Joachim Chwaszcza Edition Summit

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Patagonien Roadbook 2009

Panorama - Leserreise

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Sonntag, 18.10. 11 Uhr: Viel Spielraum bleibt uns, Georg Hohe-nester (DAV Panorama) und Joachim Chwaszcza (DAV SummitClub) , nicht für unsere geplante Geschichte im Panorama 1/2010 -den kaum sind wir zurück aus Patagonien, müssen Text und Bilderschon in die Grafik. Dazu kommt unser liveticker auf der Internet-seite des Deutschen Alpenvereins und der Edition Summit. Abervielleicht zum ersten Mal könne Leser und Interessierte fast „zu-schauen“, wie ein doch eher aufwändiger Artikel so langsam ent-steht. Also bleiben Sie einfach drann, denn am 18.11. sind wirbereits im Flieger und vielleicht schon am 19.11. gibt es die erstenImpressionen. Bis dahin trösten wir uns mit einem Glas chileni-schen Cabernet, was sicherlich ein gelungener Auftakt ist. Aufwww.wetter.com pendeln sich erfreulicherweise in Ushuaia dieTemperaturen so langsam auf die Plusgrade ein, es wird Frühlingauf der anderen Seite der Erdhalbkugel. Der Sprung von Jordanien- München - Patagonien, es ist ein spannender Herbst 2009. Einesturmfeste Mütze und eine Sonnencreme mit ultrahohem Licht-schutzfaktor hab ich mir, nachdem mir alle Landeskenner dazu ge-raten haben, inzwischen gekauft. Die Regenklamotten sind aucheingepackt, die Kamera wurde gereinigt und der Ipod ist aufgela-den - es kann also losgehen!

Mittwoch, 17.00 Uhr: Ich habe angefangen, Geschichten vonFrancisco Coloane aus dem Büchlein „Feuerland“ zu lesen. Co-loane gilt neben Neruda als der bedeutendste Schriftsteller Chiles.Abenteuergeschichten vom Feinsten, von Goldgräbern, Gauchos,Indios und Freiheitskämpfern. Von einsamen Tafelbergen und derendlosen Bartgrassteppe. Coloane schreibt mit einer fast biblischzu nennenden Sprachgewalt aus der Einsamkeit am Ende der Welt.„An die neunhundert Männer versammelten sich auf der Meseta dela Turba, um zu beraten; sie waren die Überlebenden jener Fünf-tausend, die sich am Arbeiteraufstand in Santa Cruz in Patagonienbeteiligt hatten....Da drüben liegt Patagonien, antwortete er undzeigte mit dem ausgestreckten Arm auf den Horizont, wo ein in-tensiv blaues und rosafarbenes Stück Himmel leuchtete. Von da anwar das für mich Patagonien, ud ich bin ihm nicht mehr von derSeite gewichen, bis er mich mitnahm...“ Ein grandioser Auftakt,eine atemraubende Einstimmung - in knapp einer Stunde geht eszum Flughafen.

Donnerstag, 19.11.2009, 20.00 Uhr: Ankunft in Santiago nacheiner zeitlosen Nacht. 14 Stunden Flug – davon alleine drei nurüber Brasilien. Dann sind die Andengipfel im Morgenlicht zu er-

kennen. Ein Meer von braun-weißen Spitzen, einsamen Tälern,ganz in der Ferne ist der Pazifik zu sehen…Wir fahren in die Stadt. Unser Fahrer erklärt unterwegs und gibtauch eine politische Einführung. Claro, wir sind in Chile – und imDezember sind Präsidentschaftswahlen! Am Vormittag noch, der für uns mit vier Stunden Zeitverschiebungschon der Nachmittag ist, ein erster Rundgang durch Santiago. Esist eine moderne, fast mitteleuropäische Stadt. Und Chile ist einfreundliches Land. Vor allem die Bewohner von Santiago. Allesläuft hier einen Tick langsamer, einen Tick zuvorkommender undentspannter ab wie bei uns. Diese Offenheit hätten wir nicht erwar-tet. Dann der geführte Stadtrundgang, etwas Historie, natürlichauch jüngste Geschichte, aber auch der wunderbare Aussichts-punkt am Castillo Hidalgo mit Blick über die Stadt bis hin zurKette der Anden, Downtown mit einer ausgedehnten Fußgänger-zone und mittendrin der große Plaza de Armas: Che Guevara undJesus stehen dort als Bildmotiv nebeneinander zum Kauf und dieKathedrale aus dem 17. Jahrhundert konkurriert mit einem ultra-modernen Geschäftsgebäude. Im Park nebenan umarmen sich Lie-bespaare und vor dem Regierungspalast La Moneda gibt es dieerste Begegnung mit Patagonien: Eine Gruppe, kaum mehr als

zehn, fünfzehn Chilenen, heben demonstrativ ihre Plakate in dieLuft und skandieren ihr umweltpolitisches Anliegen: Kein giganti-sches Wasserkraftwerk in Patagonien!

Freitag, 20.11.2009, 18.30 Uhr: Ein spannender Reisetag vonSantiago nach Puerto Montt. Eigentlich dürfte es keine großeSache sein. Aber heute morgen war ein Streik der Fluglotsen, eineendlose Schlange vor der Abfertigung, wir wollten schon wiederzurück ins Hotel als plötzlich der Flughafen doch wieder offen warund die Flüge abgefertigt wurden. Ddann saß noch der „ehren-werte“ ultrarechte Präsidentschaftskanditat Sebastian Pirera mit imFlugzeug und am Ende war mein Gepäck nicht mitgekommen,dafür aber der notwendige Gepäckzettel im Papierkorb des Flugha-fens in Santiago. Also alles recht drunter und drüber - aber mit fastschon chilenischer Gelassenheit sind auch solche Situationen gutzu meistern. Bei der Ankunft in Puerto Montt begrüßt uns Windund Regen und begleitet uns auf der Fahrt ins nahe Puerto Varrasam Llago Llanquihue, überragt von den Vulkanen Osorno und Cal-buco. Immerhin haben wir sie heute schon mal gesehen, diese bei-den Bilderbuchvulkane. Wir sind jetzt mitten im „deutschen“Chile. Dass der Nachbarort, bzw. Ein Stadtteil von Puerto Varras

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Nueva Braunau heißt, stimmt zunächst nach dieser Flugbegleitungetwas seltsam und schlägt in eine vorurteilsbesetzte Kerbe. Abernach kurzer Recherche kann Entwarnung gegeben werden - dieStadt ist nach einem Dorf in Böhmen benannt...

Beeindruckend sind die riesigen Urwälder aus Buschwerk, Gagel-bäumen - immer wieder durchbrochen durch Marsch- und Heide-landschaften. Gelber Ginster, ein „Mitbringsel der deutschenEinwanderer aus dem 19. Jh. wuchert allüberall und überdeckt diehiesige Flora. Im Sommer unterstützt er die häufigen Brände, er-zählt uns unser hiesiger Begleiter und führt uns dann sofort tieferein in die Geschichte von Puerto Varas. Haupterwerb dieser Re-gion ist die Lachszucht in den endlosen Fjorden, 60 Prozent derMilch kommt aus dieser Gegend und Nestlé unterhält hier einegroße Fabrik. Na dann...Die typische Holzbauten zaubert ein zeit-verseztes Stimmungsbild und wären nicht überall Autos, Handysoder wie bei uns im Hotel wireless Lan, dann könnte man fastglauben, hier lebt man noch wie in Europa vor 50 Jahren. Unsinn,denn Chile ist ein topmodernes und fortschrittliches Land, das mitfesten Schritten einem durchaus respektablen Wohlstand entgegen-steuert. Der weit verbreitete Schrecken vor der lateinamerikani-schen Kriminalität ist hier in Puerto Varras kein Thema. Da passtes, dass heute in der Tageszeitung aktuelle Zahlen vorgelegt wur-den. 33 Prozent aller Entführungen weltweit passieren in Latein-amerika und auch in Sachen Mord führt der Kontinent souverändie Bestenliste an. Aber: Chile´s Anteil an allen harten Straftatenin Lateinamerika liegt bei den Gewaltverbrechen bei 1 Prozent undbildet das löbliche Schlusslicht auf dem Kontinent. Ob nun Wahr-heit oder geschickt formulierte Zahlenspiele - das Thema Sicher-heit ist hier für uns, die wir gerade unterwegs sind, kein allzugroßes Thema - wir warten eher auf besseres Wetter!

Samstag, 21.11.2009, 19.30 Uhr: Endlich angekommen. Zwarkämpfen wir beide immer noch mit unserem jetlag, aber so lang-sam kommen wir damit zurecht. Unser heutiges Ziel war derOsorno-Vulkan, 2661 m, der sich - zumindest auf den Plakaten desTourismusverbandes von Puerto Varas - majestätisch über den Seeerhebt. Bei uns versteckt er sich heute morgen erst einmal hintereiner dichten Wolkenwand. Oben auf knapp 1400 Metern am „Ski-zentrum“ angekommen, schneit es dann auch. Einen geplantenSpaziergang über das Vulkaneis brechen wir ab - nichts ist so trau-rig, wie eine verregnete und mit Wolken verhangene Skiabfahrt. Esmacht einfach keinen Sinn. Da ist die Zeit doch besser genutzt, umauf Hotelsuche zu gehen und das geplante Programm etwas zu ju-stieren. Wir sind dann auch fündig geworden und haben ein Eco-Hotel besichtigt, dass mehr als nur die Erwartungen erfüllt. Esgibt einiges an Aktivitäten wie Trekking, Kajak usw - und dieskombiniert mit einem durchaus charmanten und ansprechendenAmbiente. Es sind genau diese „Kleinigkeiten“ wie Hotels und Re-staurants besichtigen, Strecken persönlich abgehen,, Routen nacheigenen Erfahrungen kombinieren, die zwar aufwändig sind, letzt-endlich dann aber doch zum Erfolg führen. Und für unsere Leservom Panorama-Magazin soll es eben dann schon etwas ausgesuch-ter sein. Am Petrohue-Wasserfall schließlich war El Pichan, derDämon der Mapuche-Indianer dann doch gnädig mit uns undzeigte sich in seiner schönsten Form als Vulkan Osorno. Über dentosenden Wassern diese „kleinen“ Andenflusses erhebt sich derBilderbuchvulkan mit einer fetzigen Wolkenmütze. Nach dem ehergrauen Vormittag ein Göttergeschenk!

Sonntag, 21.11.2009, 19.30 Uhr: Nocheinmal zeigte sich El Pi-chan gestern gnädig und erschien im spätabendlichen blauen Lichtals leuchtende weiße Schneekuppe über dem See. Verständlich,dass die Mapuche-Indianer diesen Berg als Sitz eines Geistes aus-gewählt haben. Im Krater ruht, einer alten Legende nach der mäch-tige und allgewaltige El Pichan, der eines Tages wütend und voller

Zorn aus seinem schneebedeckten Schlaf erwachen wird, solltensich die Mapuche nicht mehr um Natur und das Leben im Ein-klang mit der Natur bemühen. Eigentlich eine schöne Vorstellung,denn manchmal könnte man auf El Pichan zurückgreifen. So weh-ren sich die Chilenen und auch die Mapuche unter anderem gegendie geplanten Staudämme am Pascua-Fluss in Patagonien. „En-desa“ - das spanisch-chilenische Energieunternehmen - will imSüden drei Staudämme bauen, um die Stromversorgung für denverstärkten wirtschaftlichen Aufschwung sicherzustellen. Der Pas-cua ist zwar nicht der längste, aber immerhin der drittstärkste FlussChiles. Der nahegelegene Baker-Fluss schaufelt pro Sekundeknapp 600 Kubikmeter Wasser gen Mündung und soll ebenfallszwei Stauwerke bekommen. Der Strom wird über eine gigantischeÜberlandleitung gen Norden transportiert und natürlich genutzt.Aber auch und vielleicht auch vor allemn an das benachbarte Ar-gentinien verkauft. Von vielen sozialen und umweltpolitischen Be-wegungen wird darauf hingewiesen, dass bis dato bei weitem nichtalle erneuerbaren Energien ausgenutzt werden....(www.patagonia-sinrepresas.cl)Auch im Nationalpark Alerce Andino nahe Puerto Montt mit sei-nen bis zu mindestens 2500 Jahre alten Koniferen und einem zu-sammenhängenden 40 000 Hektar Primärwald, demvaldivianischen Regenwald, hätte ein Kraftwerk stehen sollen. DieTunnel sind schon gesprengt, der Kraftwerkbau konnte gestopptwerden. Auf einem etwa dreistündigen Rundweg waren wir heutedort unterwegs, allerdings ohne Regen und gottseidank auch ohneKraftwerk.

Morgen geht es weiter gen Süden nach Punta Arenas und gen Pu-erto Natales. Der Wetterbericht sagt für den Abend strammereTemperaturen voraus, „gefühlte“ minus 4 Grad - ab morgen packeich die Mütze aus...

Dienstag, 24.11.2009, 10.30 Uhr: Angekommen nach einem phä-nomenalen Flug über das Nördliche und Südliche Patagonische In-landeis mit direkter Sicht auf Cerro Torres und die Paine-Türme.Puntas Arenas, die Magellanstraße, gegenüber liegt Tierra delFuego, die große Insel. Traumziel, atemraubende Zwischenstationmit ziehenden Wolken und endloser Weite, die ersten Nandus undGuanakos stehen Spalier. Maria begleitet uns auf der Fahrt gen Pu-erto Natales, wir sind in der 12. Region, der „Region de Magalla-nes y della Antarctica Chilena“. Maria ist unsere payadora, sieerzählt uns auf der Fahrt die Geschichten und Legenden, von ein-samen Gauchos und vornehmen Schafzüchtern, vom Stolz der be-nachbarten Argentinier und der desolacion der BewohnerPatagoniens. Der Weg zum Arzt, zum Spezialisten, er führt minde-stens 2000 Kilometer Flugstrecke gen Norden nach Santiago. Ur-laub? Wozu und vor allem wohin, wenn alles Tagesetappen undhorrende Flugkosten weit entfernt ist...

Puerto Varas - Osorno

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Paine Nationalpark

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Wir verabschieden uns von Maria, die in wenigen Stunden Fahrtvon Puntas Arenas durch die endlose Pampa in Richtung Nordenuns nicht nur die Augen geöffnet hat. Es ist eine unglaublicheFreundlichkeit und Wärme, mit denen Chile seine Besucher emp-fängt. Danke Maria für deine Geschichten und willkommen in Pu-erto Natales: La ultima esperanza - die letzte Hoffnung - keinschlechter Name für dieses Ende der Welt. Ein großer Fjord, um-rahmt von schroffen Bergen mit Hängegletschern und satter Gras-steppe,ein Fährhafen und ein paar Strassenzeilen, deren Häuser ineine Vergangenheit zurückdeuten, die noch gar nicht so lange zu-rückliegen mag. Mord, Totschlag, Einsamkeit und das wilde undharte Leben der Walfänger gehören der Vergangenheit an, Globe-trotter, Weltenbummler und Glücksritter hatten hier ihr Zuhause,heute wisn wir es, die hier bleiben.

Mittwoch - Samstag, 28.11.2009, 10.30 Uhr: Der Wind peitschtmit einer Geschwindigkeit vom 80 Stundenkilometer. Es ist derzweite Tag im Paine Nationalpark und wir sind unterwegs zumLago Grey, um den Grey-Gletscher mit dem Boot anzufahren. Vonwegen! Es ist kaum möglich, gegen den Wind anzulaufen, ge-schweige denn, mit einem Boot auf den See zu fahren. Wie kleineEisnadeln stechen die Wassertropfen im Gesicht - Patagonien istdie Wetterküche, und wir sind mitten drinn. Ausziehen, anziehen,Mütze auf, Mütze runter. Aber dafür sind wir gekommen, um dieendlose Weite zu erfahren, die Endlosigkeit zu spüren und natür-lich, um der Natur unseren Tribut zu zollen. Wie lächerlich sind dadoch unsere hochgelobten Outdoorklamotten, wie allgewaltig istdagegen der der über die Steppe fegende Wind, wolkentreibendund laut aufheulend, um plötzlich still zu sein, der Sonne den Vor-

tritt zu lassen, um dann nur ein paar Sekunden später dunkel-schwarze Regenwolken auf uns niederprasseln zu lassen. Mansollte es akzeptieren, dass man hier an der Wetterfront ist.

Vor uns stehen die Torres del Paine mit ihren gewaltigen Granitna-deln und immer wieder ziehen sie unsere Blicke an. Man kannnicht einfach wegsehen. Am ersten Tag nicht und auch nicht amletzten. Vier Tage waren wir jetzt unterwegs im Paine National-parkt, bestens untergebracht in den Suite-Domes des Ecocamps,dass tatsächlich Eco ist und nicht nur ein vorgeschobener Marke-tinggag. Was wir an Abfall produziert haben - vielleicht eineHandvoll, die in einer mitgebrachten Tüte wieder den Nationalparkverlassen hat. Strom aus dem Mini-Wasserkraftwerk gab es nur imMindestmaß und geheizt? In den Standard Domes überhaupt nicht

und ansonsten nur mit totem Holz. Nachaltiger Tourismus amEnde der Welt - die Natur schreibt hier die Achtung vor und es ko-stet keinerlei Mühe oder nur einen vorbeihuschenden Gedanken,um einzusehen, dass diese Art des Nationalpark-Besuches wohldie richtige ist. Der Respekt vor der Natur und die Achtsamkeit derBerührung - sie wird hier mit dem Wind eingefräst in das Denkenund Handeln.

In drei Tagesekursionen waren wir unterwegs zum Lago Grey, zumFrench Valley und zum Aussichtspunkt auf die Torres del Paine.Acht Sztunden Gehzeit im peitschenden Wind, sie kosten Müheund Kraft - auch wenn es nur einfache Wanderungen sind. Umsomehr schätzen wir bei der Rückkehr die bescheidene, aber dochgepflegte Atmosphäre im Camp. Die Flasche chilenischen Rot-

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wein, das abgestimmte Dinner, das wärmende Feuer und amAbend das bis 22 Uhr anhaltende Tageslicht, das uns immer wie-der die Blicke auf die Torres schenkt.

Heute, am Samstag sind wir frühmorgens von Torres del Paineaufgebrochen, um mit dem Bus nach Calafate in Argentinien zufahren. Endlose Pampa it Bargras und Mata Negra, Nandus,Schafe und Rinder, dazu eine nicht enden wollende Weite undEndlosigkeit im Wechselspiel mit den treibenden Wolken. Endlichliegt weit vor uns, tief blau schimmernd der Lago Argentino. ImBus lesen wir und träumen vom alten Patagonien, von Butch Cas-sidy und Sundance Kid, von walisischen Siedlern und italienischenEinwanderen. Von seltsamen Urzeitzeugnissen wie dem Mylodonund dem Machismo der Gauchos. Patagonien hat sich seitdem ge-wandelt und jetzt pendelt die internationale Globetrotterszene, be-stens ausgestattet mit Northface und all den „wichtigen“Nobelmarken der Outdoorszene durchs Land. Es ist ein bischenschade und versetzt in eine nachdenkliche Stimmung. ModernesNomadentum oder der allgegegnwärtige Funktionsjackentest? Ca-lafate, vor 30 Jahren noch ein weltvergessenes Drecksnest in derEinsamkeit mit kaum mehr als fünf Häusern ist heute der notwen-dige und aufgeblähte Startpunkt für Argentiniens meistbesuchteSehenswürdigkeit, die Gletscherfront des Perito Moreno...

Montag, 30.11.2009, 12.30 Uhr: Perito Moreno, eigentlich klingtder Name ja mehr nach einem argentinischen Tangosänger ( es warin Wirklichkeit ein argentinischer Forscher gleichen Namens) alsnach einem übermächtigen, sich auf fünf Kilometer ausbreitendenGletscher, dessen sechzig Meter hohe Eistürme wie bei gewaltigenSchlotsprengungen in sich zusammenkrachen und in das graugrüne Wasser des Lago Argentino stürzen. Bis zu zwei Meter amTag schiebt sich eine träge und doch gefährliche Eismasse genLago. Alles ist an einem Gletscher anders, selbst die Zeit wird ge-brochen wie dünnes Glas. Stürzt einer der Türme in der für Glet-scher so langsamen Zeitlupe ins Wasser, peitscht eine Gischt- undSchaumkrone auf, und die treibenden Eisschollen heben und sen-ken sich auf der Wasseroberfläche in slow-motion. GewaltigesKrachen, den tobenden Wind übertönend, hallt über das Wasserund auf der gegenüberliegenden Halbinsel mit den Aussichtsplatt-formen für dieses gewaltige Naturschauspiel folgen die Kamera-linsen dem Schall. Ihr Klicken verschwindet im Nichts desWindes.

Das Auftreffen des Eises auf die vorgeschobene Halbinsel im LagoArgentino, die übermächtige Staumauer, die sogar die Naturzwingt, gegen ihre eigenen Prinzipien zu handeln und an einemSee mit einer Staumauer aus Eis zwei bis zu mehrere Meter unter-schiedliche Wasserstände zu schaffen, ist ein einzigartiges Phäno-

men. Alle paar Jahre bricht diese Staumauer in einer gewaltigenExplosion und tosende Wassermassen und stürzende Eismeteoritenverwandeln diesen Moment in ein eisiges Inferno.

Wir sind an einem ganz normalen Tag hier und ausgerüstet von un-seren guides mit den vielleicht antikesten Steigeisen Argentiniesbeim Minitrekking auf dem Gletscher. Es ist eine wild zerklüfte-tete Eiswelt, glitzernd weiß, mysthisch türkis oder leuchtend blau.Im Hintergrund verschwimmen die Berge zu schwarzen Maskenund das tosende Donnern der krachenden Eistürme verklingt imaufkommenden Schneetreiben... Perito Moreno ist Urgewalt purund so beeindruckend, dass man über den touristischen Auftriebim nahen Calafate gerne hinweg sieht. Patagonien ist faszinierend,aber es ist auch weit weg von den stetig die Vergangenheit be-schwörenden und romantisierenden Erzählungen der modernenReiseschriftsteller. Vielleicht hat Chatwin vor 30 Jahren dieses,alte wehmütige und rauhe Patagonien erlebt. 2009 zeigt sich Pata-gonien als weites, wildes Land mit dramatischer Natur, exklusi-vem Tourismus, besten Restaurants und einem steten Strom anperfekt ausgestatteten und weitgereisten Funktionsnomaden. Undwir mitten drinn auf der Suche: nach einer neuen Sicht, nach altenKlischees oder doch nur nach Natur und Dramatik?. Heute Nach-mittag geht es ans Ende der Welt gen Ushuaia, dem Tor zu Feuer-land!

Dienstag, 1.12.2009, 20.30 Uhr: Der Wind peitscht die Schnee-flocken waagrecht über den Beagle-Kanal, die Wellen türmen sichknapp einen halben Meter auf. Unser Paddelboot driftet immerwieder nach rechts ab, denn die linke Seite unserer Mannschaft isteinfach stärker besetzt. Wir sind gestern abend in Terra di Fuegoangekommen, in Ushuaia, und wie es sich gehört, spielt das Wetteralle Kapriolen. „Evereything is possible“ hieß es gestern, undheute hat sich dieses Versprechen eingelöst. Wir sind unterwegsauf die Gable-Insel, eine Privatinsel mitten im Beagle-Kanal. Zu-erst ein kleines Riverrafting, dann mit dem Schlauchboot in denKanal, dann mit dem Zodiac-Boot und 300 PS zur Insel. Ausgefro-ren, durchgebeutelt, durchnässt und vom Wind ausgeblasen errei-chen wir die alte Schafschererhütte auf der Insel. Unsere guidespacken Salami, Käse und Oliven aus, und natürlich ein paar Fla-schen Malbek-Wein. Das tut gut - vor allem jetzt und hier am Endeder Welt. Ushuaia nimmt für sich in Anspruch, die südlichste Stadtder Welt zu sein, nur das auf der anderen Seite des Kanals in Chileliegende Port Williams ist noch südlicher, nur: es ist so winzig,dass man nicht von einer Stadt sprechen kann. Umgeben von einerwilden Szenerie aus Schneebergen, die wir aber wegen des peit-schenden Schneesturms nur selten sehen, hiken wir nach unseremrustikalen Lunch quer über die Insel. Baumflechten, die legendä-ren Buchenwälder, Heidelandschaft, und immer wieder Biber-dämme. Die für uns niedlichen gesellen haben sich hier zu einerwahren Plage ausgewachsen und dass es mehr Biber (sie wurden

Perito Moren0

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Feuerland

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in den 50er Jahren erst von der Armee ausgesetzt) als Menschen inFeuerland gibt, ist kein Treppenwitz, sondern bittere Tatsache.Nach einem elfstündigen Ausflug in die Wildnis sind wir wiederim Hotel angekommen und heute werden wir wohl etwas späterzum Dinner gehen - hier ist es bis Mitternacht hell und morgensum 4 Uhr geht die Sonne auf. Na denn einen schönen Abend...

Mittwoch, 2.12.2009, 20.30 Uhr: Endlich hat es heute abend auf-geklart. Untertags bei wechselndem Wetter die Fahrt zum LagoFagnano über den Passo Garibaldi, das Queren der Andenausläu-fer, der Blick ins Landesinnere und noch einmal endlose Wälderund der drittgrößte See Argentiniens. Es ist unsere letzte Outdoor-Aktion und ein bißchen Wehmut liegt über dem Tag. Noch einmalpeitscht untertags der Wind und Feuerland zeigt sich verhüllt inweiß. Atu, unser guide, erzählt von den Ureinwohnern, den Yama-nas, die keine Kleider kannten, das Feuer wie ihren Augapfel hüte-ten, sich von Seelöwenfleisch ernährten und im eiskalten Wassernach Meeresspinnen tauchten. Und letztendlich ausgerottet wur-den. Von Exekutionskommandos, von Krankheiten, von weißerÜbermacht. Gestern auf der Estancia Haberton hatte man nochversucht, den Yamanas einen Rückzugsort zu ermöglichen - aberumsonst. Argentinien ist nicht zufällig das „weisseste“ aller süd-amerikanischen Länder und die Geschichte der Ureinwohner einmehr als bitterer Wermutstropfen. Stolz tragen Flüsse und Tälerdie alten Namen der Yamanas - ihre Namen sind noch da, ihre Le-genden noch bekannt. Ihr Volk ist verschwunden.

Wir hätten uns gewünscht, heute noch einmal etwas mehr zu Fußunterwegs zu sein. Durch diese faszinierenden Wälder zu streifen,an der Küste des Beagle-Kanals zu wandern, gegen den Wind an-

zukämpfen. Abends, in der Lodge, muss das Gesicht brennen,dann schmeckt der feurige argentinische Rotwein eben besondersgut. Also stellen wir wieder einmal unser Programm für die Leser-reise um, statt dem erholsamen Tagesausflug vielleicht doch nocheinmal eine Wanderung - schließlich sind wir genau dafür hierhergekommen, um die wichtigen Versatzstücke vor Ort zu erkunden.Trotzdem, unsere heutigen guides Atu und Peto, machen einensuper job und sie werden uns wohl auch bei der Leserreise zur Ver-fügung stehen. Und so erzählen und erklären sie vieles und ganznebenbei organisieren sie auch noch ein perfektes Barbeque. Einpaar Stückchen Rinde vom Nira-Baum geben dem Fleisch eineganz besondere Würze.

Wir sind am Wendepunkt unserer Exkursion nach Patagonien.Morgen geht es mit einem Tag Zwischenstopp in Buenos Aires zu-rück nach Deutschland. Die Vorbereitungen für die Leserreise desDAV Panorama sind abgeschlossen. So manches wurde verfeinertund optimiert. Vom Tagesablauf, von den Orten, vom Rhythmus.Fitzroy und Cerro Torre sind jetzt mit im Programm, auch wennwir beide Bergriesen nur aus dem Flieger sehen konnten. Und un-terwegs haben wir so manches wichtige Erlebnismoment mit ein-gebaut. Dasdetailierte Programm wird schon bald veröffentlichtwerden, unsere komplette Geschichte über das Sehnsuchtsziel Pa-tagonien könne Sie in der Januarausgabe des DAV Panorama nach-lesen. Ihnen allen, die immer wieder auf unserer Seite warenmuchas gracias für ihr Interesse. Und vielleicht sind wir ja schonbald unterwegs. Gemeinsam und voller Abenteuerlust zwischenSantiago und Ushuaia...adios muchachos y hasta luego und vieleGrüße vom Ende der Welt!