Pathophysiologie des ischämischen Schlaganfalls · 1 Pathophysiologie des ischämischen...

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1 Pathophysiologie Pathophysiologie des des ischämischen ischämischen Schlaganfalls Schlaganfalls Prof.Dr.Christof Klötzsch Neurologische Abteilungen Hegau-Klinikum Singen & Kliniken Schmieder Allensbach Schlaganfall Ca. 150.000 - 200.000 neue Schlaganfälle pro Jahr in Deutschland Dritthäufigste Todesursache ! 20% der Betroffenen sterben innerhalb der ersten 4 Wochen (1/3 im ersten Jahr) nur 1/3 wird wieder beruflich und privat voll rehabilitiert 1/3 bleibt schwer behindert und auf Hilfe angewiesen

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Pathophysiologie Pathophysiologie des des ischämischenischämischen SchlaganfallsSchlaganfalls

Prof.Dr.Christof KlötzschNeurologische Abteilungen Hegau-Klinikum Singen &

Kliniken Schmieder Allensbach

Schlaganfall

• Ca. 150.000 - 200.000 neue Schlaganfälle pro Jahr in Deutschland

• Dritthäufigste Todesursache !• 20% der Betroffenen sterben innerhalb der

ersten 4 Wochen (1/3 im ersten Jahr)• nur 1/3 wird wieder beruflich und privat voll

rehabilitiert• 1/3 bleibt schwer behindert und auf Hilfe

angewiesen

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Verschiedene Formen des Schlaganfalls

Ischämischer Infarkt

80%

Verschiedene Formen des SchlaganfallsIntracerebrale Blutung

13%

Subarachnoidalblutung

5%

3

Verschiedene Formen des Schlaganfalls

Sinusvenenthrombose

1-2%

Makroangiopathie 30-40% der ischämischen Schlaganfälle

Atherosklerotisch Dissektion

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modifiziert nach: Falk E et al. Circulation 1995; 92: 657-71.

MakrophagenTissue factor

Fibrin

Aggregierte PlättchenBlutfluss

Atherothrombose und arterielle Embolien

Hämodynamische Infarkte< 5% der ischämischen Schlaganfälle

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Nicht arteriosklerotische Gefäßerkrankungen

• Dissektion• Fibromuskuläre Dysplasie• Vaskulitis• Moya-Moya-Erkrankung• Sneddon-Syndrom• Morbus Winiwarter-Bürger Erkrankung• Migräne

Dissektion

• 2.6-2.9/100.000 Einwohner• ~ 20% der juvenilen Insulte !• ICA:VA 3:1• Prädisposition:

– Bagatelltraumen ???– Fibromuskuläre Dysplasie: 10-15%– Ehlers-Danlos-S., Marfan-S.

• Klinik: Kopf-/Halsschmerzen, Horner-S., Hirnnervenausfälle IX-XII

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Fibromuskuläre Dysplasie

• „Gänsegurgelartige“ Einengung der Gefäße

• Frauen/Männer 3:1• Prävalenz: 1%• Nierenarterien 3x häufiger betroffen• auch Dissektionen und Aneurysmen

(20%)• Therapie: selten Angioplastie, TEA

wegen submandibulärer Aus-breitung selten möglich

Vaskulitis

• Erregerbedingt: Varizellazoster, Borrelien

• Riesenzellarteriitis: Takayasu

• Kollagenosen: sLE, Sjögren

• M.Wegener, Churg-Strauss, Panart.nodosa

• Vaskulitis bei M.Crohn bzw. Colitis ulcerosa

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VaskulitisRiesenzellarteriitis „Takayasu-Arteriitis“

• Alter < 40 J., F >>M• 2.6/106 Einwohner• Kopfschmerzen, RR ↑,

Claudicatio brachialis• Subclavia-, Communis-,

Pulm.arterienstenosen, -verschlüsse

• Kortikosteroide(Cyclophosphamid, MTX)

Drogeninduzierte Hirninfarkte~ 5% der juvenilen Insulte

• Kokain bzw. Crack– Vasokonstriktion– Thrombozytenaggregation ↑, Thromboxan ↑– Vaskulitis

• Amphetamine bzw. Ecstasy– Vasokonstriktion– Vaskulitis

Sloan et al. Neurology 1998

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Ursachen: Hypertonus, Diabetes

11

2233

4455

6677

88

Cerebrale Mikroangiopathie mit lakunären Infarkten30% der ischämischen Insulte

CADASILCerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mitsubkortikalen Infarkten und Leucencephalopathie

• Genlokus Chromosom 19 fast vollständige Penetranz

• Mittleres Erkrankungsalter• Lakunäre Syndrome,

vaskuläre Demenz, Pseudobulbärparalyse

• In 40% Migräne +/- Aura• MRT: Lakunen und

konfluierende Marklager-läsionen

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LA

RA

Kardiale Emboliequellen 25-30% der ischämischen Insulte

Aortenplaque HerzklappenveränderungenWandthromben EndokarditisSpontanechos Persistierendes Foramen ovalePostinfarkt-Aneurysmen Vorhofseptumaneurysmen

Paradoxe Hirnembolie

• PFO-Prävalenz: 25%• PFO in 50-80% der

kryptogenen Insulte nachweisbar

• Risikofaktoren: Vorhofseptumaneurysma, großer Shunt, Shunt in Ruhe, Thromboseneigung

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ThrombophilienThrombophilie Normal-

bevölkerung (%)Schlaganfall-patienten (%)

Faktor-V-LeidenMut. heterozygot

3-7 20

Faktor-V-LeidenMut. homozygot

0.02 3

Prothrombin-A-Mutation

1.2-2.3 4.6-7.1

AT-III-Mangel 0.02 1

Protein-C-Mangel 0.2 3

Protein-S-Mangel < 1 1-2

Faktor-VIII-Erhöhung *

5-10 >20

Fibrinogen (>5g/l)* ? 3-5

Sonstige Gerinnungsstörungen

• Thrombozytosen• Polyzythämie• Sichelzell-Erkrankung• HIT-II-Syndrom

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Cerebraler Stoffwechsel

Hirngewicht entspricht 2% des Körper-gewichtesGehirn erhält 15% des HerzzeitvolumenGehirn verbraucht 20% des gesamten O2-BedarfesSubstratvorrat im Gehirn in Form von Glucose und Glykogen reicht für 1 min.

Energieumsatz des Gehirns

Tätigkeitsumsatz: Umsatz einer Zelle unter physiologischen BedingungenBereitschaftsumsatz:Umsatz zur Erhaltung der FunktionsbereitschaftErhaltungsumsatz:minimaler Umsatz zur Erhaltung der Zellstrukturen

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„Time is Brain“

JCBFM 2000;20:1276-93.

0

10

20

30

40

min

CBF

(ml/1

00g/

min

)

300 9060 4120 5 6 24 48h

Membran-funktions-störung

Funktionsstörung

Normale Funktion Vitales Gewebe

Penumbra

InfarktEinzelzell-nekrosen

Energieträger im cerebralen Stoffwechsel

90% der Glucose werden oxidativ metabolisiert10% werden anaerob zu Pyruvat abgebautNur unter pathologischen Bedingungen werden auch Aminosäuren und Ketonkörper metabolisiert

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Cerebrale Perfusion

Regulation der Hirndurchblutung folgt Ohmschen Gesetz:Cerebraler Blutfluss (CBF) = Perfusionsdruck (P)/Gefäßwiderstand (R)

Perfusionsdruck = Mittlerer Arterieller Druck (MAP) – intrakran.Druck (ICP)

Cerebrale Perfusion

Gefäßwiderstand R bestimmt durch:

Viskosität: durch Erythrozyten u. Eiweissbestandteile beeinflusst

Gefäßdurchmesser: 40% des Gefäß-widerstandes werden durch Arteriolen mit einem Durchmesser von 40-100µm bestimmt

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Autoregulation der cerebralen Perfusion

Cerebrale Autoregulation = Hirndurchblutung bleibt in einem Bereich von 50-150 mmHg des arteriellen Mitteldrucks stabilaußerhalb dieser Grenzen erfolgt eine blutdruckpassive PerfusionBei Hypertonikern ist der Autoregulationsbereich nach oben verschoben

Cerebrale Autoregulation

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pCO2 und cerebrale Perfusion

pCO2-Anstieg führt zu Vasodilation pCO2–Abfall zu löst Vasokonstriktion ausPhysiologischer Regulationsbereich liegt bei 25-60 mmHg pCO2

In diesem Bereich lineare Zunahme des CBF um 4% pro 1 mmHg pCO2-Anstieg

Penumbra („tissue at risk“)

Fokale cerebrale Ischämie zeichnet sich durch ein schwer perfusions-gestörtes Zentrum und einMinderperfundiertes, teilweise kollateralisiertes) Randgebiet (=Penumbra) aus.

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Zytotoxisches Ödem

Ein Abfall der Hirndurchblutung unterhalb des Erhaltungsumsatzes führt zu einem Versagen der Ionenpumpen der ZellmembranEs kommt zu einem K-Ausstrom und Na/Ca-Einstrom in die Zelle sowie zu einemZytotoxischen (=intrazellulärem) ÖdemSpäter entwickelt sich auch ein vasogenesÖdem, dass im CT + KM nach wenigen Tagen an der girlandenartigen KM-Aufnahme erkennbar ist.

KernspintomographieMismatch-Konzept

MRA DWI PWIA.cerebri media verschlossen Hirngewebe irreversibel geschädigt Gestörte Gewebedurchblutung

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Basistherapie

Stroke 1994;25:1901-14; Cerebrovasc Dis 1997;7:113-128.

Blutdrucksenkung bei RR > 200mmHg

Normoglykämie

Normothermie

Optimale Oxygenierung

Thrombose-Prophylaxe

Blutdruck

• Typischerweise in der Akutphase erhöht

• Aufgrund der gestörten Autoregulation erfolgt die Durchblutung in ischämischen Arealen weitgehend blutdruckpassiv

Jorgensen, Lancet 1994

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Blutdruck in der Akutphase und Outcome

Cerebrovasc Dis 1994;4:204-10.

170

160

150

140

13020 4 6 8 10 12 14 16 18 20

Tage nach Einschluss

Blu

tdru

ck (m

mH

g)

70

60

40

20

040

Wochen nach EinschlussB

arth

el S

core

Blutdruck Outcome

8 12 16 20 24

50

30

10

PlazeboNimodipin 1 mg/hNimodipin 2 mg/h

Blutdruck

• Milde Hypertension anstreben 160-180/90-100 mmHg

• Antihypertensive Therapie, wenn RR > 200 sys. bzw. 110 mmHg dia.

• Urapidil (Ebrantil®) 10-50 mg i.v.• Clonidin (Catapresan®) 0.15 mg i.v.• Nitrendipin (Bayotensin®) sublingual

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Reith et al. Lancet 1996; 347: 422-5

Bedeutung der Körpertemperatur beim akuten Schlaganfall

100

80

60

40

0

20

Schl

echt

es O

utco

me

(Tod

ode

r SSS

< 3

0)

Sehr schwer0-14 Punkte

Schwer15-29 Punkte

Moderat30-44 Punkte

Gering45-58 Punkte

Initialer Schweregrad des Schlaganfalls (SSS)

Fieber Normothermie

1°-Temperaturerhöhung verdoppelt Rateder schwer behinderten bzw.verstorbenen Pat.

Körpertemperatur

• Verzicht auf wärmende Decken• Aktive Kühlung • Paracetamol 500-1000mg• Cave Novamin (Novalgin®): Hypotension !• Antibiotische Therapie nicht aufschieben

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Glucosestoffwechsel

• Diabetische Stoffwechsellage „entgleist“ häufig nach Hirninfarkt

• Hyperglykämien als auch Hypoglykämienverschlechtern das Outcome nach Hirninfarkt

• Altinsulin bei Bz > 200 mg/dl• Glucosegabe bei Bz < 100mg/dl

Jorgensen, Lancet 1994

Blutzucker (BZ) und Thrombolyse < 3h

Cerebrovasc Dis 2002;13:89-94.

31 Nicht-Diabetiker 17 normoglykämisch(BZ < 178 mg/dl; bzw. 9,9 mmol/l)14 hyperglykämisch(BZ > 178 mg/dl; bzw. 9,9 mmol/l)

NIHSS Tag 28 4,0 vs. 7,4 (p <0,05)

MRT-Infarktgrößenzunahme 27,1 vs. 39,9% (p<0,05)

Kein Unterschied Zeit bis BehandlungsbeginnZeit bis Rekanalisation

(HbA1c < 7%)

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Sauerstoffsättigung

• Pulsoxymetrie einsetzen; SO2 95-100%• 2-4 l Sauerstoff über Nasensonde• Indikation zur Intubation:

– Ateminsuffizienz – schwere Schluckstörung – erhebliche Vigilanzminderung

Flüssigkeitsbilanz

• Vermeidung von Exsikkose und Überwässerung

• Kristalline Lösungen• Kolloidale Lösungen• ∅ Hämodilution !!

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EKG-Monitoring

• Detektion von intermitt.Vorhofflimmern

• Erfassen sonstiger primärer oder sekundärer Rhythmusstörungen (Infarkte rechte Inselregion)

Cavallini et al., Stroke 2003; 34: 2599-2603

Vorteile des Monitoring auf der Stroke Unit

Detektion von Komplikationen bei 268 prospektiv untersuchten Patienten

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Rel. Risikoreduktion für Tod u. Pflegebedürftigkeitdurch Behandlung auf einer Stroke Unit

The Stroke Unit Trialist Collaboration Cochrane Review 2000

Relative Risikoreduktion (%)-50 -40 -30 -20 -10 0

Männer

Frauen

< 75 Jahre

> 75 Jahre

leichter Schlaganfall

mittelschwerer Schlaganfall

schwerer Schlaganfall-42

-27

-16

-29

-23

-23

-34

Median Follow-up: 1 Jahr

Stroke Unit und Überleben

Stroke 1997;28:1861-66; Stroke 1998;29:58-62; Stroke 1999;30:1524-27.

Standard Stroke Unit Effekt

1 Monat 23 % 14 % - 9 %

6 Monate 31 % 24 % - 7 %

1 Jahr 37 % 31 % - 6 %

5 Jahre 71 % 59 % - 12 %

10 Jahre 87 % 76 % - 11 %

NNT: 10

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ThrombolyseThrombolyse

Thrombolyse

• Zeitfenster 0-3 Stunden, sofern noch keine Frühzeichen eines Infarkt von mehr als 1/3 des MCA-Territorium. NNT= 7

• Zwischen 3-6 Stunden weniger effektiv und mit häufigeren Blutungen verbunden. NNT= 25

NINDS, ECASS 1+2, ATLANTIS

25

Effektivität der Thrombolyse und Dauer der Ischämie

OR/NNT kombinierter Endpunkt (mRS≤1, NIHSS ≤1, BI≥95)0–90 min: OR 2,8; NNT≈4 91-180 min: OR 1,5; NNT≈9181-270 min: OR 1,4; NNT≈21 271-360 min: OR 1,2; NNT≈45

Brott et al., submitted

Dauer Schlaganfall - Beginn bis Behandlung(onset to treatment time, OTT) (min)

Adj

ustie

rte O

dds

ratio

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

1,5

1,0

0,5

060 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360

NINDSECASS I + IIATLANTIS

Therapie des Malignen Media-Infarktes mit der Hemikraniektomie

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Therapie des Malignen Media-Infarktes mit der Hemikraniektomie

keine OP späte OP frühe OP

Zeitpunkt 39 h 21 h

Herniations-zeichen 75% 13%

Letalität 78 % 34,4% 16%

ICU (Tage) 12,6 13,3 7,4

StrokeStroke 1998;29:1888-1893.

Begrenzung sekundärer neuronaler Schäden

> 50 „Neuroprotektiva“ zeigten in 88 Studien

mit 20.000 Patienten - keinen signifikanten

Effekt oder aber - gravierende Neben-

wirkungen

Kidwell et al. Stroke 2001

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Neuroprotektiva bisher nicht erfolgreich

Anti-inflammatorische Therapie– Cytokinhemmstoffe (z.B. IL-1-Rezeptor-Antagonisten)– Immunmodulatoren (z.B. Tacrolimus, Cyclosporin)

Neuroprotektive Therapie– Calciumantagonisten (z.B. Nimodipin)– Glutamat-Antagonisten

- NMDA-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Magnesium)- AMPA-Rezeptor-Antagonisten (z.B. ZK200775)- Glycin-Antagonisten (z.B. GV-150526A)

– GABA-Agonisten (z.B. Clomethiazol)– GABA-Analoga (z.B. Pirazetam)– Calcium-aktivierte Kalium-Kanal-Öffner (z.B. BMS-204352) – Adenosinagonisten (z.B. Acadesin, Propentofyllin, Pentoxifyllin) – 5-HT1A -Agonisten (z.B. Ipsapiron, BAY X 3702)– Wachstumsfaktoren (z.B. Trafermin)– Membran-Stabilisatoren (z.B. Citicholin)

Vielen Dank für Ihre

Aufmerksamkeit