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J.O. Steiß und H. Lindemann Definition und Prävalenz Als Allergie wird eine immuno- logisch vermittelte, gegen Fremd- substanzen gerichtete Überempfind- lichkeitsreaktion des Organismus bezeichnet. Von dem Begriff der Allergie müssen verschiedene andere Begriffe abgegrenzt werden (Tab. 1). Hier sind besonders die “Pseudo- allergien” zu nennen. Dabei handelt es sich um klinische Symptome, die allergischen Erkrankungen, vor allem an der Bronchialschleimhaut, an der Haut und im Gastrointestinaltrakt entsprechen, die nicht auf immuno- logischen Prozessen basieren, also nicht mit Antikörperproduktion einher- gehen. Ursache ist eine direkte Ein- wirkung von Histamin und Serotonin. Mögliche Quellen sind u.a. Erdbeeren, Schokolade, Meeresfrüchte, Tomaten und Kontrastmittel. Der Begriff “Kreuzallergie” bezeich- net eine immunologische Reaktion spezifischer IgE-Antikörper mit unter- schiedlichen Substanzen, die ähnliche oder identische antigene Determinan- ten besitzen. Somit reagieren Patienten, die gegen eines der Allergene sensi- bilisiert sind, auch gegen das andere Allergen (Tab. 2). Kreuzallergien spielen klinisch u.a. bei dem “oralen Allergie Syndrom” (OAS) als Zeichen einer pollenassoziierten Nahrungs- mittelallergie eine Rolle [8, 13]. Die Prävalenz von allergischen Erkrankungen hat in den letzten Jahrzehnten – gerade im Kindesalter – rasant zugenommen: 8 – 14% der Kin- der und Jugendlichen in Deutschland leiden inzwischen an einer Neuro- dermitis, bis zu 10% erkranken an allergischem Asthma und bis zu 25% an Heuschnupfen. Innerhalb der letzten 10 Jahre hat sich die Anzahl der Erkrankten in Europa verdoppelt [6, 16, 17]. Dabei bestehen deutliche Unter- schiede in der Häufigkeit zwischen verschiedenen Ländern der Welt und auch innerhalb Europas. So war in der ISAAC-Studie (International Study of Asthma and Allergies in Childhood) die Asthmaprävalenz bei Kindern in Großbritannien, Neuseeland und Au- stralien mit etwa 30 – 40% am höchsten, während Indonesien oder Griechenland Pathophysiologische und diagnostische Prinzipien bei Allergien

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J.O. Steiß und H. Lindemann

Definition und Prävalenz

Als Allergie wird eine immuno -logisch vermittelte, gegen Fremd -substanzen gerichtete Überempfind -lich keits reaktion des Organismusbezeichnet. Von dem Begriff derAllergie müssen verschiedene andereBegriffe abgegrenzt werden (Tab. 1).Hier sind besonders die “Pseudo -allergien” zu nennen. Dabei handelt essich um klinische Symptome, dieallergischen Erkrankungen, vor alleman der Bronchialschleimhaut, an derHaut und im Gastrointestinaltraktentsprechen, die nicht auf immuno -logischen Prozessen basieren, alsonicht mit Antikörperproduktion einher -gehen. Ursache ist eine direkte Ein -wirkung von Histamin und Serotonin.Mögliche Quellen sind u.a. Erdbeeren,Schokolade, Meeresfrüchte, Tomatenund Kontrastmittel.

Der Begriff “Kreuzallergie” bezeich -net eine immunologische Reaktionspezifischer IgE-Antikörper mit unter -schiedlichen Substanzen, die ähnlicheoder identische antigene Determinan -ten besitzen. Somit reagieren Patienten,

die gegen eines der Allergene sensi -bilisiert sind, auch gegen das andereAllergen (Tab. 2). Kreuzallergienspielen klinisch u.a. bei dem “oralenAllergie Syndrom” (OAS) als Zeicheneiner pollenassoziierten Nahrungs -mittel allergie eine Rolle [8, 13].

Die Prävalenz von allergischenErkrankungen hat in den letztenJahrzehnten – gerade im Kindesalter –rasant zugenommen: 8 – 14% der Kin -der und Jugendlichen in Deutsch landleiden inzwischen an einer Neuro -dermitis, bis zu 10% erkranken anallergischem Asthma und bis zu 25% an Heuschnupfen. Innerhalb der letzten 10 Jahre hat sich die Anzahl derErkrankten in Europa verdoppelt [6, 16, 17]. Dabei bestehen deutliche Unter -schiede in der Häufigkeit zwischenverschiedenen Ländern der Welt undauch innerhalb Europas. So war in derISAAC-Studie (International Study ofAsthma and Allergies in Childhood) die Asthmaprävalenz bei Kindern inGroßbritannien, Neuseeland und Au -stra lien mit etwa 30 – 40% am höchsten, während Indonesien oder Griechenland

Pathophysiologische unddiagnostische Prinzipien beiAllergien

nur eine Rate von 2 – 5% aufwiesen;Deutschland lag mit etwa 15% imMittelfeld [3]. Erst in jüngster Zeit gibtes Hinweise auf eine Stagnation dieserEntwicklung [19].

Die Gründe für die Zunahme vonAllergien sind vielschichtig. Gesichert

ist der Zusammenhang zwischen Ato -pie und vermehrter Allergenexposition, veränderter Innenraumbelüftung, Pas -sivrauchexposition, Ein-Kind-Familie,fehlender Infekt- und Endotoxin ex -position sowie zunehmendem Hygiene -status [15, 17, 18].

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Tab. 1 Definitionen.

Bezeichnung Erläuterung

Allergie krankmachende Überempfindlichkeit aufgrund immunologischerSensibilisierung

Pseudoallergie nichtimmunologische Überempfindlichkeit mit klinischenSymptomen, die allergischen Erkrankungen ähneln

Empfindlichkeit normale Reizantwort

Überempfindlichkeit eine das normale Maß übersteigende Reizantwort

Sensibilisierung Verstärkung der Empfindlichkeit nach wiederholtem Kontakt

Toxizität normale Giftigkeit einer Substanz

Intoxikation Reaktion auf die normale pharmakologische Toxizität

Idiosynkrasie nichtimmunologische Überempfindlichkeit ohne Bezug zurpharmakologischen Toxizität

Intoleranz Überempfindlichkeit im Sinne der pharmakologischen Toxizität

Atopie familiär auftretende Neigung zur Entwicklung bestimmterKrankheiten (Allergisches Asthma, Rhinokonjunktivitis, atopisches Ekzem) auf dem Boden einer immunologischenÜberempfindlichkeit gegen Umweltstoffe, assoziiert mit erhöhterIgE-Bildung und veränderter unspezifischer Reaktivität

Tab. 2. Häufige Kreuzallergien.

Pollen/Pollen Gräserpollen – RoggenpollenBirkenpollen – Erle-, Hasel-, Buchenpollen

Pollen/Nahrungsmittel Birkenpollen – Steinobst, Karotte, Sellerie

Nahrungsmittel/Nahrungsmittel Weizenmehl – Roggen-, Hafer-, MaismehlErdnuss – Erbse, Bohne, Tomate, Soja

Sonstige Latex – Birkenfeige, exotische FrüchteHausstaubmilbe – Hummer, Krabbe, Garnele

Allergien haben somit eine große undnoch weiter steigende medizinische,soziale sowie volkswirtschaftlicheBedeutung. Allein in der Bundes re -publik Deutschland betragen diejährlichen asthmabezogenen Behand -lungs kosten ca. 2,5 Mrd. Euro. Nachwie vor besteht ein großes Defizit in derBehandlung von Patienten mit einerAllergie.

Pathomechanismen

Nachdem ein Allergen inhaliert bzw.aufgenommen worden ist, hat derKörper prinzipiell 3 Reaktions möglich -keiten:

– Es erfolgt keine Reaktion, und derOrganismus ist immunologisch to le -rant.

– Es entsteht eine Sensibilisierungohne klinische Symptome.

– Die Sensibilisierung führt zu kli -nischen Symptomen. Erkrankungenwie allergisches Asthma, atopischeDermatitis, allergische Rhinokon -junktivitis, Nahrungsmittel- oderInsektengiftallergie, im Extremfallein anaphylaktischer Schock, sind die Folge.

Prinzipiell kann jeder Stoff in unsererUmwelt zum Auslöser einer Allergiewerden. Bei den meisten Allergenenhandelt es sich um Eiweißsubstanzentierischer oder pflanzlicher Herkunftwie z.B. Pollen, Milben und Schim -

Pathophysiologische und diagnostische Prinzipien bei Allergien 3

Abb. 1. Allergische Kaskade (Einzelheiten im Text). Modifiziert nach [Hammelmann E.:Serie: Grundlagen der Allergologie. Pädiatrische Allergologie 3, 7 (2004)].TZR: T-Zell-Rezeptor.

melpilze. Nach Coombs und Gell wer -den je nach Reaktionsmechanismusund nach der Zeitspanne zwischenAllergenkontakt und dem Auftretenvon Symptomen 4 Typen allergischerReaktionen unter schieden (Tab. 3) [1].Ungefähr 90% aller Allergien sindIgE-vermittelte Allergien vom Sofort -typ (Typ I). Die Symptome tretenwenige Minuten bis Stunden nach demKontakt mit dem Allergen auf.

Das Allergen wird zunächst von einer antigenpräsentierenden Zelle (APC)auf genommen und aktiviert eine T- Zelle. Der TH2-Lymphozyt (T-Helfer -zelle) stimu liert durch Freisetzung vonInterleukin (IL)-4 und IL-13 die Bil -dung von IgE- Antikörpern durch B- Lym pho zyten (Sensibili sier ungsphase).Die IgE- Anti körper binden an ver schie -dene Rezep tor typen auf Mastzellen,

baso philen und eosinophilen Granulo -zyten, Lympho zyten und Makrophagen. Bei erneuter Allergenexposition kommt es durch Brückenbildung (“bridging”)zwischen dem Allergen und mindestens 2 IgE-Molekülen zur Degranulation der Mastzellen, aus denen Mediatoren wieHistamin, Leukotriene, Prosta glan dineoder Zytokine freigesetzt werden, diezu einer allergische Entzün dungs re -aktion führen (Abb.1). In der Spät phase kommt es zur TH2-Zell- ge steuertenMigration verschiedener Entzündungs -zellen in die Schleimhaut, die ihrerseitsaktiviert werden und Mediatoren frei -setzen (u.a. ECP aus eosinophilenGranulozyten). Die zel lu läre Reaktionkann zu einer chroni schen Entzündungund damit zur Hyperreaktivität derSchleim haut füh ren. Nach heutigemKenntnisstand steht der TH2- Lympho -

4 Steiß und Lindemann

Tab. 3. Einteilung der allergischen Reaktionen nach Coombs und Gell [1].

Typ Pathogenese Klinisches Bild

I Soforttypreaktion – AnaphylaxieMastzell-Aktivierung – Allergisches Asthma bronchialeMediatorfreisetzung – Allergische Rhinokonjunktivitis

– Allergische Urtikaria– Allergische Gastroenteritis

II Zytotoxische Reaktion – hämolytische AnämieKomplement-Aktivierung – AgranulozytosePhagozytose – Thrombozytopenische Purpura

III Immunkomplexreaktion – SerumkrankheitImmunkomplexbildung – VaskulitisKomplement-Aktivierung – Alveolitis

– Nephritis– Arthritis

IV Spättypreaktion, zellulär – KontaktekzemAntigenpräsentation und – Atopische DermatitisT-Lymphozyten-Aktivierung – Arzneimittelexantheme

zyt am Beginn der Kaskade derallergischen Reaktion. Er entwickeltsich aus der naiven T-Zelle (TH0- Zelle). Ob eine TH1- oder eine TH2- Zelle entsteht, ist abhängig von derantigenpräsentierenden Zelle und denausgeschütteten Zytokinen (Abb. 2).Bei aller gischen Erkrankungen über -wiegen TH2- Lymphozyten, währendz.B. bei AutoimmunerkrankungenTH1- Zellen vorherrschen [2, 13].

Bei der “Hygienehypothese” derAller gieentstehung in westlichen Län -dern (s.o.) stellt man sich vor, daß ein“immunologisch naiver” Säugling in

einer sauberen Umgebung aufwächst.Daraus resultiert ein größerer Anteilvon TH2-Zellen. Dagegen führen dieInfektexposition durch mehrere Ge -schwister, die frühe Aufnahme in eineKindertagesstätte sowie das Auf wach -sen auf einem Bauernhof mit Kontaktzu Stalltieren zu einer vermehrtenTH1-Produktion, die bezüglich derAllergieentwicklung einen protektivenEffekt hat [9]. Daneben ist die(poly-)genetisch bestimmte Dispo si -tion ein wichtiger, aber quantitativschwer einschätzbarer Faktor für die“Richtungsbestimmung” des Immun -

Pathophysiologische und diagnostische Prinzipien bei Allergien 5

Abb. 2. Zelluläre Regulation.

systems. Dabei scheint der Interaktionzwischen Umwelteinflüssen und gene -tischer Prädisposition eine zentraleRolle in der Krankheitsentstehung zu -zu kommen [5].

In Entwicklungsländern dominiertebenfalls die TH2-Immunität aufgrundder hohen Zahl von parasitären Erkran -kungen. Trotzdem finden sich dortdeutlich weniger allergische Erkran -kungen als in westlichen Ländern. DasVerhältnis zwischen TH1- und TH2- Zellen kann somit nicht der alleinigeGrund für die Entstehung von Allergien sein. Eine mögliche Erklärung diesesWiderspruchs könnte der individuelleEinfluß der regulatorischen T-Zellen(Treg) sein, die Gegenstand aktuellerForschungen sind. Es handelt sich umverschiedene T-Zell-Subpopulationen,die TH1- und TH2-Zellen gleicher -maßen hemmen. Bei chronischenInfektionen mit Parasiten produziert ein Großteil der Treg-Zellen Zytokine wieTGF-b und IL-10, die so einedämpfende Wirkung auf Entzündungund Hyperreagibilität bei allergischenErkrankungen und auch Autoimmun -erkrankungen haben. Dieses regula -torische Netzwerk unter Einbeziehungder Treg-Zellen scheint eine Schlüssel -rolle bei der Frage zu spielen, ob dasImmunsystem in der Lage ist, auf harm -lose Antigene adäquat zu reagierenoder nicht (Abb. 2).

Diagnostik

Anamnese und Untersuchung

Die allgemeine Verfügbarkeit aller -go logisch-diagnostischer Tests führtmitunter zu einem unkritischen Einsatz. Es sollte auf ein abgestuftes und öko -nomisch vertretbares Vorgehen bei derAllergiediagnostik geachtet werden(Tab. 4). Diese umfaßt 4 Schritte, dieaufeinander aufbauen und sich gegen -

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Tab. 4. Welche Allergene sollten in dieStandarddiagnostik einbezogen werden?

InhalationsallergenePollen– frühblühende Bäume (Haselnuß, Birke

oder Erle je nach Exposition); weitereBäume je nach saisonaler Anamnese

– Gräser/Roggen– Kräuter (bei Symptomen von Juli bis

September: auch Beifuß)

Hausstaubmilben– Dermatophagoides pteronyssinus

(ausgeprägte Kreuzallergie mitMehlmilbe)

Haustiere– Katze (Indikatorallergen bei Kindern)– weitere (z.B. Hund, Meerschweinchen,

Hamster, Pferd je nach Anamnese)

Schimmelpilze– Alternaria alternata (besonders bei

Beschwerden in der Erntezeit)– Cladosporium herbarum– Penicillium notatum– Aspergillus fumigatus

Nahrungsmittelallergene– Kuhmilch (vorzugsweise bei älteren

Säuglingen als Indikatorallergen)– Hühnerei (vorzugsweise bei älteren

Säuglingen als Indikatorallergen)– Soja*– Weizen*– Erdnuss*– Nüsse*– Fisch*– weitere je nach Anamnese

*bei gezieltem Verdacht

seitig ergänzen sollten: Anamnese,Hauttestung, In-vitro-Diagnostik undProvokationstests [8, 11].

Aus einer korrekt durchgeführtenAnamnese ergibt sich häufig die “halbeDiagnose”. Anamnesefragen solltensowohl all ge meine Fragen als auchkrank heits spezifische Fragen beinhalten (Tab. 5). Die gut erhobene Anamnesekann eine große Zahl weiterer Unter -suchungen überflüssig machen.

Bei der körperlichen Untersuchungist u.a. auf Minimalformen einer ato -pischen Diathese wie trockene Haut,weißer Dermographismus, einge ris -sene Ohrläppchen, nasale Querfalte(“Allergikergruß”), Herthoge’schesZeichen (laterale Ausdünnung derAugenbrauen), doppelte Unterlidfalte(Dennie-Morgan-Falte) oder einen“Lecke bart” (Perlèche) zu achten [7].

Sollen allergische Auslöser lediglichausgeschlossen werden, genügt es

meist, einen der gängigen In-vitro- Screening-Tests auf Inhalations -allergene (z.B. SX1®, Pharmacia) oderbei Verdacht auf eine Nahrungs -mittelallergie (z.B. FX5®, Pharmacia)zu veran lassen. Der alleinigen Be -stimmung des Gesamt-IgE im Serumsind diese Tests vorzuziehen, da dasGe samt- IgE trotz einer Atopie normalausfallen kann. Andererseits kann esauch unabhängig von einer Atopieerhöht sein (Tab. 6).

Hautteste

Prick-Test

Für die inhalativen Allergene wirddie Prick-Testung als gebräuchlichsterHauttest eingesetzt. Bei Hinweisen aufeine hochgradige Sensibilisierungempfiehlt sich die Durchführung einesReibtests: Dabei wird mit dem nativenAllergen die volare Haut des Unterarms zehnmal kräftig gerieben (Kontrolle am anderen Arm mit Mulltupfer) [11].

Pathophysiologische und diagnostische Prinzipien bei Allergien 7

Tab. 5. Allgemeine Anamnese zur Er fas -sung einer Allergie.

– Eigenanamnese (z.B. Symptome,Verlauf, saisonale oder perennialeBeschwerden, Auslöse- bzw.Triggerfaktoren)

– Umgebungsanamnese undLebensgewohnheiten (z.B. Haustiere,Rauchen, Hausstaubmilben-,Schimmelpilzbelastung, Pflanzen,Chemikalienkontakt)

– Familienanamnese (z.B allergischeoder Lungenerkrankungen)

– bisherige Diagnostik(z.B. welche Allergiediagnostik?)

– bisherige Therapie (z.B. Hyposensibilisierung,Pharmakotherapie, alternativeVerfahren)

Tab. 6. Erkrankungen mit einer Gesamt- IgE-Erhöhung im Serum.

– Allergien (z.B. Asthma bronchiale,atopische Dermatitis, allergischeRhinokonjunktivitis)

– Immundefekte (z.B. Hyper- IgE- Syndrom, Wiskott-Aldrich-Syndrom,AIDS)

– Infektionen (z.B. Parasiten,Mykoplasmen)

– Nephrotisches Syndrom

– Hepatitis, Leberzirrhose

– Maligne Tumoren (M. Hodgkin etc.)

Der Prick-Test kann in jedem Alterangewandt werden und dient demNach weis einer spezifischen Sensibi li -sierung vom Soforttyp (Tab. 7). DieHistaminliberation aus Mastzellen derHaut, die an hochaffine Rezeptorengebundenes spezifisches IgE auf wei -

sen, führt zu einer Rötung und Quaddel -bildung. Bei jedem Haut-Prick-Testmuß eine Positiv-Kontrolle (Histamin -lösung 1 mg/ml) und eine Negativ -kontrolle mitgeführt werden, damit dasAusmaß der allergischen Reaktioneingeordnet werden kann. Die Ab -lesung, bei der ausschließlich dieQuaddel (nicht die Rötung!) bewertetwird, erfolgt nach 15 Minuten mit derAngabe des Quer- und Längs durch -messers in mm. Eine Quaddel > 3 mmbzw. ein Hautindex > 0,6 ist positiv,vorausgesetzt es liegt eine negativeReaktion auf die Kontrollösung undeine positive Histaminreaktion vor(Abb. 3). Dabei kann ein positiverHauttest auch auf eine überstandene,“vernarbte”, klinisch symptomloseSensibilisierung (z.B. nach Hypo sen -sibilisierung) hinweisen. Kontra in di -kationen für einen Prick-Test sind dasVorliegen eines generalisierten Ek -zems, Hautinfektionen, die Einnahmevon Antihistaminika (in den letzten 5Tagen [11]), eine Urticaria factitia undder Verdacht auf eine Anaphylaxie beidem zu testenden Allergen.

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Tab. 7. Praktische Durchführung desHaut-Prick-Tests.

– vor Testung nach Antihistaminikumfragen

– Dokumentationsbogen ausfüllen(Auswahl der Allergene)

– Unterarm vorsichtig säubern und mitAllergenen beschriften

– Tropfen auftragen– Abstand zwischen den Tropfen

mindestens 3 cm– Genormte Lanzette mit 1 mm Stichtiefe

wählen– kurz und mit gleichem Druck senkrecht

einstechen– für jeden Tropfen neue Lanzette

benutzen– nach 1 Minute kann der Tropfen

abgewischt werden

Abb. 3. BerechnungQuaddelgröße undHautindex beimPrick-Test.

Ato pie-Patch-Test

Der Atopie-Patch-Test (APT) ist einEpikutantest und nimmt eine Stellungzwischen den Tests auf Allergien vomSoforttyp (Typ I) und vom verzögertenTyp (Typ IV) ein. Er wird mit Nah -rungsmittel- oder Inhalationsallergenen durchgeführt und ist vor allem beiKindern mit einer Neurodermitisgeeignet. Als Pathomechanismus wirdvermutet, daß Langerhans-Zellen überIgE-Rezeptoren Aero- oder Nahrungs -mittelallergene binden und dieseT-Lymphzyten präsentieren. DurchAktivierung der ortsansässigen T-Zel -len kommt es zu einer Entzündung alsSpätreaktion [4].

Beim APT wird ein Tropfen desentsprechenden Nahrungsmittels (z.B.Kuhmilch, Hühnerei, Sojamilch, Wei -zen proteinlösung) auf ein Filter pa -pierchen gegeben (z.B. Finn chamber,12 mm Kammergröße) und in einerAluminiumkammer für 48 Stunden auf

dem Rücken der Kinder aufgeklebt.Nach 20 Minuten und 72 Stunden (also24 Stunden nach Entfernen der Kam -mer) wird der APT abgelesen. Als posi -tive Reaktion gilt eine persistierende,unscharf begrenzte, deutlich erythe ma -töse, papulöse Ekzemreaktion (Abb. 4). Der APT ist ein zusätzlicher Baustein in der Diagnostik von Nah rungs mittel -allergien bei der Beur tei lung vonSpätreaktionen (Tab. 8). Beweiskräftigsind nach wie vor jedoch nur – meistkontrolliert durchgeführte – oraleNahrungsmittelprovokationen [9, 12].

In-vitro-Testverfahren

Unter den verschiedenen In-vitro- Testverfahren hat sich vor allem derNachweis des allergenspezifischen IgEbewährt. Die Bestimmung des spe -zifischen IgE im Serum ist vom Alterunabhängig und sollte ausschließlich

Pathophysiologische und diagnostische Prinzipien bei Allergien 9

Abb. 4b. Irritative Atopie-Patch-Reaktion.Abb. 4a. Positive Atopie-Patch-Reaktion.

Abb. 4. Spezifische und unspezifische Hautveränderungen beim Atopie-Patch-Test.

von der klinischen Indikation abhängiggemacht werden. Mit einem fluori -metrischen Immunoassay wird mitenzymmarkierten Antikörpern IgE imPatientenserum nachgewiesen, welches an Träger-gekoppeltes Allergen gebun -den hat. Werte > 0,35 kU/l werden imHinblick auf eine Sensibilisierung alspositiv gewertet [13]. Dabei weist einpositiver Befund lediglich auf eineSensibilisierung gegen ein Allergen hinund ist nicht gleichbedeutent mit demNachweis einer klinischen Relevanz.

Praktisch wird man bei der Wahl derAllergiediagnostik wie folgt vorgehen:Bei Säuglingen und Kleinkindern isteine Blutentnahme meist weniger in -vasiv als ein Haut-Prick-Test. EineBlutentnahme zur IgE-Bestimmungsollte jedoch unbedingt erfolgen, wennbei dem Patienten eine Anaphylaxiegegen das verdächtige Allergen besteht, die Haut bei einem schweren Ekzemnicht “testbar” ist oder kurz zuvorAntihistaminika verabreicht wurden.

Überwiegend für wissenschaftlicheFragen wird die Histamin- oder Leuko -trienfreisetzung (CAST, zellulärerAntigenstimulationstest), die Lym pho -zytenstimulation (Lymphozytenstimu -la tions test) oder der Nachweis spe -zieller Mediatoren oder Zytokine inSekreten eingesetzt. Bei Patienten mit

dem Verdacht auf das Vorliegen einesallergischen Asthmas wird zunehmenddie Bestimmung des exhalativen oralenStickstoffmonoxids (eNO) empfohlen.Erhöhte Werte (³ eNO 30 ppb) weisenauf einen Entzündungsprozess derbron chialen Mukosa hin, der aller gi -scher bzw. viraler oder bakteriellerGenese sein kann [14]. Insofern lassensie bei bekannter Allergie Rück -schlüsse auf eine akute Allergen -exposition zu.

Provokationstestungen

Provokationstestungen sollten durch -ge führt werden, wenn Anamnese,Haut testungen und In-vitro-Unter -suchungen keine eindeutige Diagnosebzw. Hinweise auf die Aktualität einesAllergens ergeben haben und sich ausdem Ergebnis wichtige Konsequenzenfür die Expositionsprophylaxe oderTherapie ableiten lassen. Voraus set -zung ist neben der sorgfältigen Indi -kationsstellung ein erscheinungsfreiesIntervall.

Provokationen beinhalten ein nichtgeringes Risiko für den Patienten undsollten ausschließlich durch aller go -logisch und notfallmedizinisch weiter-und fortgebildete Ärzte erfolgen. Die

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Tab. 8. Kriterien zur Beurteilung des Atopie-Patch-Test.

Allergische Reaktion Irritative Reaktion

deutliches Erythem mildes, bräunliches ErythemPapeln Bullae, Nekroseunscharfer Rand scharfer RandPersistenz kurze DauerCrescendo Reaktion Decrescendo Reaktion

wichtigsten Provokationstestungen fürdie Praxis sind konjunktivale, nasale,orale und bronchiale Provokationen.Am Zielorgan ist der Provokationstestam aussagekräftigsten, doch auch er istnicht “das Maß aller Dinge” und kannfalsch-positiv oder falsch-negativ sein[11].

Fazit

Der Begriff der “Allergie” ist heute inaller Munde, wird jedoch häufigunkritisch und falsch benutzt. Allergienkönnen alle Organe betreffen undgehören zu den großen gesund heit -lichen Herausforderungen unsererGesellschaft. Die Diagnostik aller gi -scher Erkrankungen hat zum Ziel, dieBeschwerden einem klinischen Krank -heitsbild zuzuordnen und nach einemüberlegten und rationellen Vorgehennach Möglichkeit den ursächlichenAuslöser (Allergen) zu ermitteln.

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