Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu...

43
Timo Güzelmansur, Tobias Specker SJ (Hg.) Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums? Islamische Deutungen und christliche Reaktionen Verlag Friedrich Pustet Regensburg

Transcript of Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu...

Page 1: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

Timo Guumlzelmansur Tobias Specker SJ (Hg)

Paulus von Tarsus Architekt des Christentums

Islamische Deutungen und christliche Reaktionen

Verlag Friedrich PustetRegensburg

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd 3 02052016 213100

INHALTSVERZEICHNIS

Timo Guumlzelmansur Tobias Specker SJWort der Herausgeber 9

Oumlmer OumlzsoyEinfuumlhrung 17

Tobias Specker SJPaulus der Architekt des ChristentumsZur Paulusinterpretation in ausgewaumlhlten islamischen Traditionen und gegenwaumlrtiger tuumlrkischer Religionswissenschaft 21

Einleitung 23Das Anliegen 23Die Entscheidung zur Unterscheidung ndash der haumlresiologische Diskurs 26

I Teil Paulus macht den Unterschied Exemplarische Traditionen klassischer Denker 321 Sayf ibn Umar at-Tamīmī 3611 Die Figur des bdquoGlaumlubigen (al-mumin)ldquo 3912 Das Gegenbild ndash die Figur des Paulus 43121 Paulus ndash eine Person von zweifelhaftem Ruf 44122 Paulus ndash der Verfaumllscher der urspruumlnglichen Botschaft 45123 Paulus ndash der Vermittler unsicheren Wissens 5013 Unentschieden und verfuumlhrbar ndash die Figur des Volkes 5114 Zwischen Haumlresie und Unglauben 532 bdquoReligionswissenschaftldquo und Ambiguitaumlt ndash die Figur

des Paulus in aṭ-Ṭabarīs bdquoTarīḫ ar-rusul wa-l-mulūkldquo 5421 Nuumlchternes historisches Interesse 5622 bdquoInter- und innerreligioumlse Ambiguitaumltldquo 593 Kontroverstheologie und Geschichtsschreibung ndash

Abd al-Ǧabbār 6231 Charakteristika der Figur des Paulus 64

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd 5 02052016 213100

6 Inhaltsverzeichnis

32 Paulus ohne Gesetz ndash die Aumlnderung der Religionspraxis 6633 Charakteristika der Darstellung Abd al-Ǧabbārs 71331 Geschichtlichkeit 71332 Kontroverstheologische Zuspitzungen 7334 Zusammenfassung 754 Barnabasevangelium 775 Zusammenfassung 81

II Teil Religionswissenschaft oder Kontroverstheologie Die Paulusinterpretation gegenwaumlrtiger tuumlrkischer Theologen 86

1 Zur Methode 882 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund des Paulus 9521 Das Judentum 9522 Die Mysterienkulte und der bdquoHellenismusldquo 9723 Die Gnosis 993 Zur Person des Paulus 10031 Paulus ein Jude ohne Judentum 10132 Jerusalem versus Antiochia 1044 Thematische Auseinandersetzung 10741 Die Figur des historischen Jesus im Gegensatz zu Paulus 108411 Prophetische Nachfolger Jesus und Johannes der Taumlufer 108412 Jesus richtig verstanden Prophet und Menschensohn 109413 Die Reich-Gottes-Botschaft als moralische Warnung 111414 Jesus und das Gesetz 11242 Die Figur des Paulus im Gegensatz zum historischen Jesus 113421 Erloumlsungsmythologie anstelle von Historizitaumlt 113422 Christozentrik anstelle von Theozentrik 115423 Spiritualisierung und Politisierung zugleich 117424 Inkonsistenter Freiheitsbegriff anstelle von Gesetzestreue 118425 Egozentrik anstelle von Christozentrik 12043 Zusammenfassung

Das Christentum ist eine paulinische Religion 1215 Religionswissenschaft oder Kontroverstheologie 12251 Methodische Fragen 12352 Inhaltliche Fragen 12553 Die Kreuzigungsthematik 131

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd 6 02052016 213100

7Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung Von der Haumlresiologie zur Religionswissenschaft 134

Literatur 147

Hans-Ulrich WeidemannDer Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams Schlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen 153

Hinweis der Redaktion 1541 Paulus zwischen den Religionen 1552 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus 1563 Paulus zwischen zwei Religionen 1584 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo 1605 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude 1636 Die Ekklesia aus Juden und Heiden 1657 Die Teilhabe an Christus 1678 Die Partizipations-Christologie des Apostels 16981 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo) 17082 Christus und der Geist 17283 Und der irdische Jesus 1759 Die Kreuzestheologie 17691 Kreuz und Partizipation 17692 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu 17810 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai 18211 Ausblick Der Paulus receptus 186Literatur 188

RegisterBibelstellen 193Koranstellen 194Namen 195

Die Autoren 198

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs17 02052016 213100

Der Voumllkerapostel aus dem Samen AbrahamsSchlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen

Hans-Ulrich Weidemann

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2153 02052016 213119

Hinweis der Redaktion

Der folgende Beitrag von Hans-Ulrich Weidemann fuumlhrt in komprimierter Form durch die Ansaumltze und Perspektiven der gegenwaumlrtigen Paulusforschung und bietet auf diese Weise ein Gegenuumlber zu den kritischen Stimmen der mus-limischen Tradition und Gegenwart Es ist kein Anliegen der gesamten Schrif-tenreihe innerhalb der theologischen Konfliktfelder eine passgenaue Vertei-digung zu unternehmen oder einfache apologetische Gegenargumente an die Hand zu geben Insofern steht der folgende Beitrag fuumlr sich und versucht keine bdquoWiderlegungldquo Dennoch sind die Bezuumlge zu der vorangehenden Analyse leicht zu erkennen und koumlnnen auch zur weiteren Klaumlrung im christlich-islamischen Gespraumlch dienen

In den ersten Kapiteln geht es um die Frage ob mit Paulus in Absetzung vom Judentum oder gar in Anlehnung an die Religionen der roumlmischen Antike eine neue Religion gegruumlndet wurde Auch die Motive bdquoPaulus zwischen den Kulturen Paulus der Faumllscherldquo sind von hierher neu zu bedenken Die ekkle-siologischen Uumlberlegungen koumlnnen sodann im Hinblick auf das Motiv bdquoPaulus der Spalterldquo gelesen werden waumlhrend die ausfuumlhrliche Analyse der Partizipa-tions-Christologie auf die Frage nach dem Erloumlsungsverstaumlndnis zu beziehen und damit implizit auch der Einordnung in die Gnosis entgegen zu stellen ist Zugleich erlaubt sie auch eine differenziertere Einschaumltzung des Vorwurfs mit Paulus sei der urspruumlngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschaumldigenden Christologie ersetzt worden Von hierher kann die Bedeutung des historischen Jesus innerhalb der paulinischen Theologie und das Motiv eines Widerspruchs zwischen der paulinischen Christologie und einer evangeliumsgemaumlszligen bdquoJesulogieldquo thematisiert werden Die Verbindung von Partizipations-Christologie und Kreuzestheologie beruumlhrt einen zentralen Punkt der christlich-islamischen Kontroverse Sie hilft einerseits dabei die spe-zifische theologische Rationalitaumlt der paulinischen Argumentation zu verste-hen und ist somit dem Motiv bdquoPaulus ohne Verstandldquo zuzuordnen Zugleich ist sie mit der Frage der Glaubwuumlrdigkeit und der bdquoEgozentrikldquo des Paulus ver-bunden Eine ausfuumlhrliche Beachtung findet schlieszliglich die Haltung des Paulus zum Gesetz in der das Motiv bdquoPaulus ohne Gesetzldquo aufgegriffen wird Wenn Hans-Ulrich Weidemann das letzte Kapitel mit bdquoPaulus receptusldquo uumlberschreibt so ist dies auch dem zukuumlnftigen christlich-islamischen Gespraumlch zu wuumlnschen Ein differenziert betrachteter Paulus kann der christlich-islamischen Verstaumln-digung eine entscheidende Hilfe sein

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2154 02052016 213119

155Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

1 Paulus zwischen den Religionen

Der Apostel Paulus war und ist eine kontroverse Figur Dies gilt schon fuumlr die ersten Generationen christusglaumlubiger Juden und Nichtjuden Person und Verkuumlndigung des Heidenapostels trafen von Anfang an nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Skepsis und erbitterte Gegnerschaft1 Diese fruumlhen Kontroversen wurden durch die Entste-hung des Corpus Paulinum und seine Rezeption als kanonische bdquoHeilige Schriftldquo in den sich formierenden christlichen Groszligkirchen zunaumlchst entschieden ndash aber auch in den kommenden Jahrhunderten entzuumlndeten sich gerade an den Briefen des Apostels immer wieder massive Konflikte Dies ist im christlichen Kanon als einem Dokument der ekklesialen Plu-ralitaumlt in gewisser Weise angelegt schlieszliglich wird durch die kanonische Rezeption sowohl des Corpus Paulinum als auch z B des Jakobusbriefes und des Matthaumlusevangeliums das bdquopaulinische Christentumldquo einerseits Teil der normativen Textgrundlage andererseits dadurch gerade bdquoeinge-bettetldquo und in gewisser Hinsicht relativiert

Es ist bemerkenswert dass die bis heute andauernden innerchrist-lichen Kontroversen um Paulus sozusagen eine muslimische Verlaumlnge-rung erfahren haben (und bis heute erfahren) Der Beitrag von Tobias Specker im vorliegenden Band dokumentiert eindruumlcklich die ndash aller-dings weitgehend kritische und ablehnende ndash Auseinandersetzung isla-mischer Gelehrter und Wissenschaftler mit Paulus Im vorliegenden Bei-trag geht es nicht darum auf diese Debatten im Einzelnen zu reagieren Vielmehr sollen einzelne Schlaglichter auf die gegenwaumlrtigen Diskurse uumlber den Apostel und seine Theologie geworfen werden die von christ-lichen und ndash in zunehmendem Maszlige ndash von juumldischen Wissenschaftlern im Kontext universitaumlrer Institutionen gefuumlhrt werden

Dabei wird man zunaumlchst zur Kenntnis nehmen muumlssen dass in die-sen gegenwaumlrtigen Diskursen um Leben und Werk des Paulus viele der zugrunde liegenden Kategorien und Begriffe neu definiert und anders justiert werden als im Kontext der aumllteren Forschungsparadigmen Das gilt bereits fuumlr Grundkategorien wie bdquoReligionldquo und bdquoJudentumldquo ins-besondere fuumlr bdquoChristentumldquo und bdquoChristenldquo aber auch fuumlr die Rekon-

1 Vgl dazu Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2155 02052016 213120

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 2: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

INHALTSVERZEICHNIS

Timo Guumlzelmansur Tobias Specker SJWort der Herausgeber 9

Oumlmer OumlzsoyEinfuumlhrung 17

Tobias Specker SJPaulus der Architekt des ChristentumsZur Paulusinterpretation in ausgewaumlhlten islamischen Traditionen und gegenwaumlrtiger tuumlrkischer Religionswissenschaft 21

Einleitung 23Das Anliegen 23Die Entscheidung zur Unterscheidung ndash der haumlresiologische Diskurs 26

I Teil Paulus macht den Unterschied Exemplarische Traditionen klassischer Denker 321 Sayf ibn Umar at-Tamīmī 3611 Die Figur des bdquoGlaumlubigen (al-mumin)ldquo 3912 Das Gegenbild ndash die Figur des Paulus 43121 Paulus ndash eine Person von zweifelhaftem Ruf 44122 Paulus ndash der Verfaumllscher der urspruumlnglichen Botschaft 45123 Paulus ndash der Vermittler unsicheren Wissens 5013 Unentschieden und verfuumlhrbar ndash die Figur des Volkes 5114 Zwischen Haumlresie und Unglauben 532 bdquoReligionswissenschaftldquo und Ambiguitaumlt ndash die Figur

des Paulus in aṭ-Ṭabarīs bdquoTarīḫ ar-rusul wa-l-mulūkldquo 5421 Nuumlchternes historisches Interesse 5622 bdquoInter- und innerreligioumlse Ambiguitaumltldquo 593 Kontroverstheologie und Geschichtsschreibung ndash

Abd al-Ǧabbār 6231 Charakteristika der Figur des Paulus 64

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd 5 02052016 213100

6 Inhaltsverzeichnis

32 Paulus ohne Gesetz ndash die Aumlnderung der Religionspraxis 6633 Charakteristika der Darstellung Abd al-Ǧabbārs 71331 Geschichtlichkeit 71332 Kontroverstheologische Zuspitzungen 7334 Zusammenfassung 754 Barnabasevangelium 775 Zusammenfassung 81

II Teil Religionswissenschaft oder Kontroverstheologie Die Paulusinterpretation gegenwaumlrtiger tuumlrkischer Theologen 86

1 Zur Methode 882 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund des Paulus 9521 Das Judentum 9522 Die Mysterienkulte und der bdquoHellenismusldquo 9723 Die Gnosis 993 Zur Person des Paulus 10031 Paulus ein Jude ohne Judentum 10132 Jerusalem versus Antiochia 1044 Thematische Auseinandersetzung 10741 Die Figur des historischen Jesus im Gegensatz zu Paulus 108411 Prophetische Nachfolger Jesus und Johannes der Taumlufer 108412 Jesus richtig verstanden Prophet und Menschensohn 109413 Die Reich-Gottes-Botschaft als moralische Warnung 111414 Jesus und das Gesetz 11242 Die Figur des Paulus im Gegensatz zum historischen Jesus 113421 Erloumlsungsmythologie anstelle von Historizitaumlt 113422 Christozentrik anstelle von Theozentrik 115423 Spiritualisierung und Politisierung zugleich 117424 Inkonsistenter Freiheitsbegriff anstelle von Gesetzestreue 118425 Egozentrik anstelle von Christozentrik 12043 Zusammenfassung

Das Christentum ist eine paulinische Religion 1215 Religionswissenschaft oder Kontroverstheologie 12251 Methodische Fragen 12352 Inhaltliche Fragen 12553 Die Kreuzigungsthematik 131

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd 6 02052016 213100

7Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung Von der Haumlresiologie zur Religionswissenschaft 134

Literatur 147

Hans-Ulrich WeidemannDer Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams Schlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen 153

Hinweis der Redaktion 1541 Paulus zwischen den Religionen 1552 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus 1563 Paulus zwischen zwei Religionen 1584 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo 1605 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude 1636 Die Ekklesia aus Juden und Heiden 1657 Die Teilhabe an Christus 1678 Die Partizipations-Christologie des Apostels 16981 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo) 17082 Christus und der Geist 17283 Und der irdische Jesus 1759 Die Kreuzestheologie 17691 Kreuz und Partizipation 17692 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu 17810 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai 18211 Ausblick Der Paulus receptus 186Literatur 188

RegisterBibelstellen 193Koranstellen 194Namen 195

Die Autoren 198

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs17 02052016 213100

Der Voumllkerapostel aus dem Samen AbrahamsSchlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen

Hans-Ulrich Weidemann

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2153 02052016 213119

Hinweis der Redaktion

Der folgende Beitrag von Hans-Ulrich Weidemann fuumlhrt in komprimierter Form durch die Ansaumltze und Perspektiven der gegenwaumlrtigen Paulusforschung und bietet auf diese Weise ein Gegenuumlber zu den kritischen Stimmen der mus-limischen Tradition und Gegenwart Es ist kein Anliegen der gesamten Schrif-tenreihe innerhalb der theologischen Konfliktfelder eine passgenaue Vertei-digung zu unternehmen oder einfache apologetische Gegenargumente an die Hand zu geben Insofern steht der folgende Beitrag fuumlr sich und versucht keine bdquoWiderlegungldquo Dennoch sind die Bezuumlge zu der vorangehenden Analyse leicht zu erkennen und koumlnnen auch zur weiteren Klaumlrung im christlich-islamischen Gespraumlch dienen

In den ersten Kapiteln geht es um die Frage ob mit Paulus in Absetzung vom Judentum oder gar in Anlehnung an die Religionen der roumlmischen Antike eine neue Religion gegruumlndet wurde Auch die Motive bdquoPaulus zwischen den Kulturen Paulus der Faumllscherldquo sind von hierher neu zu bedenken Die ekkle-siologischen Uumlberlegungen koumlnnen sodann im Hinblick auf das Motiv bdquoPaulus der Spalterldquo gelesen werden waumlhrend die ausfuumlhrliche Analyse der Partizipa-tions-Christologie auf die Frage nach dem Erloumlsungsverstaumlndnis zu beziehen und damit implizit auch der Einordnung in die Gnosis entgegen zu stellen ist Zugleich erlaubt sie auch eine differenziertere Einschaumltzung des Vorwurfs mit Paulus sei der urspruumlngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschaumldigenden Christologie ersetzt worden Von hierher kann die Bedeutung des historischen Jesus innerhalb der paulinischen Theologie und das Motiv eines Widerspruchs zwischen der paulinischen Christologie und einer evangeliumsgemaumlszligen bdquoJesulogieldquo thematisiert werden Die Verbindung von Partizipations-Christologie und Kreuzestheologie beruumlhrt einen zentralen Punkt der christlich-islamischen Kontroverse Sie hilft einerseits dabei die spe-zifische theologische Rationalitaumlt der paulinischen Argumentation zu verste-hen und ist somit dem Motiv bdquoPaulus ohne Verstandldquo zuzuordnen Zugleich ist sie mit der Frage der Glaubwuumlrdigkeit und der bdquoEgozentrikldquo des Paulus ver-bunden Eine ausfuumlhrliche Beachtung findet schlieszliglich die Haltung des Paulus zum Gesetz in der das Motiv bdquoPaulus ohne Gesetzldquo aufgegriffen wird Wenn Hans-Ulrich Weidemann das letzte Kapitel mit bdquoPaulus receptusldquo uumlberschreibt so ist dies auch dem zukuumlnftigen christlich-islamischen Gespraumlch zu wuumlnschen Ein differenziert betrachteter Paulus kann der christlich-islamischen Verstaumln-digung eine entscheidende Hilfe sein

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2154 02052016 213119

155Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

1 Paulus zwischen den Religionen

Der Apostel Paulus war und ist eine kontroverse Figur Dies gilt schon fuumlr die ersten Generationen christusglaumlubiger Juden und Nichtjuden Person und Verkuumlndigung des Heidenapostels trafen von Anfang an nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Skepsis und erbitterte Gegnerschaft1 Diese fruumlhen Kontroversen wurden durch die Entste-hung des Corpus Paulinum und seine Rezeption als kanonische bdquoHeilige Schriftldquo in den sich formierenden christlichen Groszligkirchen zunaumlchst entschieden ndash aber auch in den kommenden Jahrhunderten entzuumlndeten sich gerade an den Briefen des Apostels immer wieder massive Konflikte Dies ist im christlichen Kanon als einem Dokument der ekklesialen Plu-ralitaumlt in gewisser Weise angelegt schlieszliglich wird durch die kanonische Rezeption sowohl des Corpus Paulinum als auch z B des Jakobusbriefes und des Matthaumlusevangeliums das bdquopaulinische Christentumldquo einerseits Teil der normativen Textgrundlage andererseits dadurch gerade bdquoeinge-bettetldquo und in gewisser Hinsicht relativiert

Es ist bemerkenswert dass die bis heute andauernden innerchrist-lichen Kontroversen um Paulus sozusagen eine muslimische Verlaumlnge-rung erfahren haben (und bis heute erfahren) Der Beitrag von Tobias Specker im vorliegenden Band dokumentiert eindruumlcklich die ndash aller-dings weitgehend kritische und ablehnende ndash Auseinandersetzung isla-mischer Gelehrter und Wissenschaftler mit Paulus Im vorliegenden Bei-trag geht es nicht darum auf diese Debatten im Einzelnen zu reagieren Vielmehr sollen einzelne Schlaglichter auf die gegenwaumlrtigen Diskurse uumlber den Apostel und seine Theologie geworfen werden die von christ-lichen und ndash in zunehmendem Maszlige ndash von juumldischen Wissenschaftlern im Kontext universitaumlrer Institutionen gefuumlhrt werden

Dabei wird man zunaumlchst zur Kenntnis nehmen muumlssen dass in die-sen gegenwaumlrtigen Diskursen um Leben und Werk des Paulus viele der zugrunde liegenden Kategorien und Begriffe neu definiert und anders justiert werden als im Kontext der aumllteren Forschungsparadigmen Das gilt bereits fuumlr Grundkategorien wie bdquoReligionldquo und bdquoJudentumldquo ins-besondere fuumlr bdquoChristentumldquo und bdquoChristenldquo aber auch fuumlr die Rekon-

1 Vgl dazu Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2155 02052016 213120

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 3: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

6 Inhaltsverzeichnis

32 Paulus ohne Gesetz ndash die Aumlnderung der Religionspraxis 6633 Charakteristika der Darstellung Abd al-Ǧabbārs 71331 Geschichtlichkeit 71332 Kontroverstheologische Zuspitzungen 7334 Zusammenfassung 754 Barnabasevangelium 775 Zusammenfassung 81

II Teil Religionswissenschaft oder Kontroverstheologie Die Paulusinterpretation gegenwaumlrtiger tuumlrkischer Theologen 86

1 Zur Methode 882 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund des Paulus 9521 Das Judentum 9522 Die Mysterienkulte und der bdquoHellenismusldquo 9723 Die Gnosis 993 Zur Person des Paulus 10031 Paulus ein Jude ohne Judentum 10132 Jerusalem versus Antiochia 1044 Thematische Auseinandersetzung 10741 Die Figur des historischen Jesus im Gegensatz zu Paulus 108411 Prophetische Nachfolger Jesus und Johannes der Taumlufer 108412 Jesus richtig verstanden Prophet und Menschensohn 109413 Die Reich-Gottes-Botschaft als moralische Warnung 111414 Jesus und das Gesetz 11242 Die Figur des Paulus im Gegensatz zum historischen Jesus 113421 Erloumlsungsmythologie anstelle von Historizitaumlt 113422 Christozentrik anstelle von Theozentrik 115423 Spiritualisierung und Politisierung zugleich 117424 Inkonsistenter Freiheitsbegriff anstelle von Gesetzestreue 118425 Egozentrik anstelle von Christozentrik 12043 Zusammenfassung

Das Christentum ist eine paulinische Religion 1215 Religionswissenschaft oder Kontroverstheologie 12251 Methodische Fragen 12352 Inhaltliche Fragen 12553 Die Kreuzigungsthematik 131

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd 6 02052016 213100

7Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung Von der Haumlresiologie zur Religionswissenschaft 134

Literatur 147

Hans-Ulrich WeidemannDer Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams Schlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen 153

Hinweis der Redaktion 1541 Paulus zwischen den Religionen 1552 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus 1563 Paulus zwischen zwei Religionen 1584 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo 1605 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude 1636 Die Ekklesia aus Juden und Heiden 1657 Die Teilhabe an Christus 1678 Die Partizipations-Christologie des Apostels 16981 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo) 17082 Christus und der Geist 17283 Und der irdische Jesus 1759 Die Kreuzestheologie 17691 Kreuz und Partizipation 17692 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu 17810 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai 18211 Ausblick Der Paulus receptus 186Literatur 188

RegisterBibelstellen 193Koranstellen 194Namen 195

Die Autoren 198

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs17 02052016 213100

Der Voumllkerapostel aus dem Samen AbrahamsSchlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen

Hans-Ulrich Weidemann

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2153 02052016 213119

Hinweis der Redaktion

Der folgende Beitrag von Hans-Ulrich Weidemann fuumlhrt in komprimierter Form durch die Ansaumltze und Perspektiven der gegenwaumlrtigen Paulusforschung und bietet auf diese Weise ein Gegenuumlber zu den kritischen Stimmen der mus-limischen Tradition und Gegenwart Es ist kein Anliegen der gesamten Schrif-tenreihe innerhalb der theologischen Konfliktfelder eine passgenaue Vertei-digung zu unternehmen oder einfache apologetische Gegenargumente an die Hand zu geben Insofern steht der folgende Beitrag fuumlr sich und versucht keine bdquoWiderlegungldquo Dennoch sind die Bezuumlge zu der vorangehenden Analyse leicht zu erkennen und koumlnnen auch zur weiteren Klaumlrung im christlich-islamischen Gespraumlch dienen

In den ersten Kapiteln geht es um die Frage ob mit Paulus in Absetzung vom Judentum oder gar in Anlehnung an die Religionen der roumlmischen Antike eine neue Religion gegruumlndet wurde Auch die Motive bdquoPaulus zwischen den Kulturen Paulus der Faumllscherldquo sind von hierher neu zu bedenken Die ekkle-siologischen Uumlberlegungen koumlnnen sodann im Hinblick auf das Motiv bdquoPaulus der Spalterldquo gelesen werden waumlhrend die ausfuumlhrliche Analyse der Partizipa-tions-Christologie auf die Frage nach dem Erloumlsungsverstaumlndnis zu beziehen und damit implizit auch der Einordnung in die Gnosis entgegen zu stellen ist Zugleich erlaubt sie auch eine differenziertere Einschaumltzung des Vorwurfs mit Paulus sei der urspruumlngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschaumldigenden Christologie ersetzt worden Von hierher kann die Bedeutung des historischen Jesus innerhalb der paulinischen Theologie und das Motiv eines Widerspruchs zwischen der paulinischen Christologie und einer evangeliumsgemaumlszligen bdquoJesulogieldquo thematisiert werden Die Verbindung von Partizipations-Christologie und Kreuzestheologie beruumlhrt einen zentralen Punkt der christlich-islamischen Kontroverse Sie hilft einerseits dabei die spe-zifische theologische Rationalitaumlt der paulinischen Argumentation zu verste-hen und ist somit dem Motiv bdquoPaulus ohne Verstandldquo zuzuordnen Zugleich ist sie mit der Frage der Glaubwuumlrdigkeit und der bdquoEgozentrikldquo des Paulus ver-bunden Eine ausfuumlhrliche Beachtung findet schlieszliglich die Haltung des Paulus zum Gesetz in der das Motiv bdquoPaulus ohne Gesetzldquo aufgegriffen wird Wenn Hans-Ulrich Weidemann das letzte Kapitel mit bdquoPaulus receptusldquo uumlberschreibt so ist dies auch dem zukuumlnftigen christlich-islamischen Gespraumlch zu wuumlnschen Ein differenziert betrachteter Paulus kann der christlich-islamischen Verstaumln-digung eine entscheidende Hilfe sein

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2154 02052016 213119

155Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

1 Paulus zwischen den Religionen

Der Apostel Paulus war und ist eine kontroverse Figur Dies gilt schon fuumlr die ersten Generationen christusglaumlubiger Juden und Nichtjuden Person und Verkuumlndigung des Heidenapostels trafen von Anfang an nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Skepsis und erbitterte Gegnerschaft1 Diese fruumlhen Kontroversen wurden durch die Entste-hung des Corpus Paulinum und seine Rezeption als kanonische bdquoHeilige Schriftldquo in den sich formierenden christlichen Groszligkirchen zunaumlchst entschieden ndash aber auch in den kommenden Jahrhunderten entzuumlndeten sich gerade an den Briefen des Apostels immer wieder massive Konflikte Dies ist im christlichen Kanon als einem Dokument der ekklesialen Plu-ralitaumlt in gewisser Weise angelegt schlieszliglich wird durch die kanonische Rezeption sowohl des Corpus Paulinum als auch z B des Jakobusbriefes und des Matthaumlusevangeliums das bdquopaulinische Christentumldquo einerseits Teil der normativen Textgrundlage andererseits dadurch gerade bdquoeinge-bettetldquo und in gewisser Hinsicht relativiert

Es ist bemerkenswert dass die bis heute andauernden innerchrist-lichen Kontroversen um Paulus sozusagen eine muslimische Verlaumlnge-rung erfahren haben (und bis heute erfahren) Der Beitrag von Tobias Specker im vorliegenden Band dokumentiert eindruumlcklich die ndash aller-dings weitgehend kritische und ablehnende ndash Auseinandersetzung isla-mischer Gelehrter und Wissenschaftler mit Paulus Im vorliegenden Bei-trag geht es nicht darum auf diese Debatten im Einzelnen zu reagieren Vielmehr sollen einzelne Schlaglichter auf die gegenwaumlrtigen Diskurse uumlber den Apostel und seine Theologie geworfen werden die von christ-lichen und ndash in zunehmendem Maszlige ndash von juumldischen Wissenschaftlern im Kontext universitaumlrer Institutionen gefuumlhrt werden

Dabei wird man zunaumlchst zur Kenntnis nehmen muumlssen dass in die-sen gegenwaumlrtigen Diskursen um Leben und Werk des Paulus viele der zugrunde liegenden Kategorien und Begriffe neu definiert und anders justiert werden als im Kontext der aumllteren Forschungsparadigmen Das gilt bereits fuumlr Grundkategorien wie bdquoReligionldquo und bdquoJudentumldquo ins-besondere fuumlr bdquoChristentumldquo und bdquoChristenldquo aber auch fuumlr die Rekon-

1 Vgl dazu Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2155 02052016 213120

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 4: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

7Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung Von der Haumlresiologie zur Religionswissenschaft 134

Literatur 147

Hans-Ulrich WeidemannDer Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams Schlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen 153

Hinweis der Redaktion 1541 Paulus zwischen den Religionen 1552 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus 1563 Paulus zwischen zwei Religionen 1584 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo 1605 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude 1636 Die Ekklesia aus Juden und Heiden 1657 Die Teilhabe an Christus 1678 Die Partizipations-Christologie des Apostels 16981 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo) 17082 Christus und der Geist 17283 Und der irdische Jesus 1759 Die Kreuzestheologie 17691 Kreuz und Partizipation 17692 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu 17810 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai 18211 Ausblick Der Paulus receptus 186Literatur 188

RegisterBibelstellen 193Koranstellen 194Namen 195

Die Autoren 198

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs17 02052016 213100

Der Voumllkerapostel aus dem Samen AbrahamsSchlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen

Hans-Ulrich Weidemann

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2153 02052016 213119

Hinweis der Redaktion

Der folgende Beitrag von Hans-Ulrich Weidemann fuumlhrt in komprimierter Form durch die Ansaumltze und Perspektiven der gegenwaumlrtigen Paulusforschung und bietet auf diese Weise ein Gegenuumlber zu den kritischen Stimmen der mus-limischen Tradition und Gegenwart Es ist kein Anliegen der gesamten Schrif-tenreihe innerhalb der theologischen Konfliktfelder eine passgenaue Vertei-digung zu unternehmen oder einfache apologetische Gegenargumente an die Hand zu geben Insofern steht der folgende Beitrag fuumlr sich und versucht keine bdquoWiderlegungldquo Dennoch sind die Bezuumlge zu der vorangehenden Analyse leicht zu erkennen und koumlnnen auch zur weiteren Klaumlrung im christlich-islamischen Gespraumlch dienen

In den ersten Kapiteln geht es um die Frage ob mit Paulus in Absetzung vom Judentum oder gar in Anlehnung an die Religionen der roumlmischen Antike eine neue Religion gegruumlndet wurde Auch die Motive bdquoPaulus zwischen den Kulturen Paulus der Faumllscherldquo sind von hierher neu zu bedenken Die ekkle-siologischen Uumlberlegungen koumlnnen sodann im Hinblick auf das Motiv bdquoPaulus der Spalterldquo gelesen werden waumlhrend die ausfuumlhrliche Analyse der Partizipa-tions-Christologie auf die Frage nach dem Erloumlsungsverstaumlndnis zu beziehen und damit implizit auch der Einordnung in die Gnosis entgegen zu stellen ist Zugleich erlaubt sie auch eine differenziertere Einschaumltzung des Vorwurfs mit Paulus sei der urspruumlngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschaumldigenden Christologie ersetzt worden Von hierher kann die Bedeutung des historischen Jesus innerhalb der paulinischen Theologie und das Motiv eines Widerspruchs zwischen der paulinischen Christologie und einer evangeliumsgemaumlszligen bdquoJesulogieldquo thematisiert werden Die Verbindung von Partizipations-Christologie und Kreuzestheologie beruumlhrt einen zentralen Punkt der christlich-islamischen Kontroverse Sie hilft einerseits dabei die spe-zifische theologische Rationalitaumlt der paulinischen Argumentation zu verste-hen und ist somit dem Motiv bdquoPaulus ohne Verstandldquo zuzuordnen Zugleich ist sie mit der Frage der Glaubwuumlrdigkeit und der bdquoEgozentrikldquo des Paulus ver-bunden Eine ausfuumlhrliche Beachtung findet schlieszliglich die Haltung des Paulus zum Gesetz in der das Motiv bdquoPaulus ohne Gesetzldquo aufgegriffen wird Wenn Hans-Ulrich Weidemann das letzte Kapitel mit bdquoPaulus receptusldquo uumlberschreibt so ist dies auch dem zukuumlnftigen christlich-islamischen Gespraumlch zu wuumlnschen Ein differenziert betrachteter Paulus kann der christlich-islamischen Verstaumln-digung eine entscheidende Hilfe sein

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2154 02052016 213119

155Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

1 Paulus zwischen den Religionen

Der Apostel Paulus war und ist eine kontroverse Figur Dies gilt schon fuumlr die ersten Generationen christusglaumlubiger Juden und Nichtjuden Person und Verkuumlndigung des Heidenapostels trafen von Anfang an nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Skepsis und erbitterte Gegnerschaft1 Diese fruumlhen Kontroversen wurden durch die Entste-hung des Corpus Paulinum und seine Rezeption als kanonische bdquoHeilige Schriftldquo in den sich formierenden christlichen Groszligkirchen zunaumlchst entschieden ndash aber auch in den kommenden Jahrhunderten entzuumlndeten sich gerade an den Briefen des Apostels immer wieder massive Konflikte Dies ist im christlichen Kanon als einem Dokument der ekklesialen Plu-ralitaumlt in gewisser Weise angelegt schlieszliglich wird durch die kanonische Rezeption sowohl des Corpus Paulinum als auch z B des Jakobusbriefes und des Matthaumlusevangeliums das bdquopaulinische Christentumldquo einerseits Teil der normativen Textgrundlage andererseits dadurch gerade bdquoeinge-bettetldquo und in gewisser Hinsicht relativiert

Es ist bemerkenswert dass die bis heute andauernden innerchrist-lichen Kontroversen um Paulus sozusagen eine muslimische Verlaumlnge-rung erfahren haben (und bis heute erfahren) Der Beitrag von Tobias Specker im vorliegenden Band dokumentiert eindruumlcklich die ndash aller-dings weitgehend kritische und ablehnende ndash Auseinandersetzung isla-mischer Gelehrter und Wissenschaftler mit Paulus Im vorliegenden Bei-trag geht es nicht darum auf diese Debatten im Einzelnen zu reagieren Vielmehr sollen einzelne Schlaglichter auf die gegenwaumlrtigen Diskurse uumlber den Apostel und seine Theologie geworfen werden die von christ-lichen und ndash in zunehmendem Maszlige ndash von juumldischen Wissenschaftlern im Kontext universitaumlrer Institutionen gefuumlhrt werden

Dabei wird man zunaumlchst zur Kenntnis nehmen muumlssen dass in die-sen gegenwaumlrtigen Diskursen um Leben und Werk des Paulus viele der zugrunde liegenden Kategorien und Begriffe neu definiert und anders justiert werden als im Kontext der aumllteren Forschungsparadigmen Das gilt bereits fuumlr Grundkategorien wie bdquoReligionldquo und bdquoJudentumldquo ins-besondere fuumlr bdquoChristentumldquo und bdquoChristenldquo aber auch fuumlr die Rekon-

1 Vgl dazu Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2155 02052016 213120

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 5: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

Der Voumllkerapostel aus dem Samen AbrahamsSchlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen

Hans-Ulrich Weidemann

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2153 02052016 213119

Hinweis der Redaktion

Der folgende Beitrag von Hans-Ulrich Weidemann fuumlhrt in komprimierter Form durch die Ansaumltze und Perspektiven der gegenwaumlrtigen Paulusforschung und bietet auf diese Weise ein Gegenuumlber zu den kritischen Stimmen der mus-limischen Tradition und Gegenwart Es ist kein Anliegen der gesamten Schrif-tenreihe innerhalb der theologischen Konfliktfelder eine passgenaue Vertei-digung zu unternehmen oder einfache apologetische Gegenargumente an die Hand zu geben Insofern steht der folgende Beitrag fuumlr sich und versucht keine bdquoWiderlegungldquo Dennoch sind die Bezuumlge zu der vorangehenden Analyse leicht zu erkennen und koumlnnen auch zur weiteren Klaumlrung im christlich-islamischen Gespraumlch dienen

In den ersten Kapiteln geht es um die Frage ob mit Paulus in Absetzung vom Judentum oder gar in Anlehnung an die Religionen der roumlmischen Antike eine neue Religion gegruumlndet wurde Auch die Motive bdquoPaulus zwischen den Kulturen Paulus der Faumllscherldquo sind von hierher neu zu bedenken Die ekkle-siologischen Uumlberlegungen koumlnnen sodann im Hinblick auf das Motiv bdquoPaulus der Spalterldquo gelesen werden waumlhrend die ausfuumlhrliche Analyse der Partizipa-tions-Christologie auf die Frage nach dem Erloumlsungsverstaumlndnis zu beziehen und damit implizit auch der Einordnung in die Gnosis entgegen zu stellen ist Zugleich erlaubt sie auch eine differenziertere Einschaumltzung des Vorwurfs mit Paulus sei der urspruumlngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschaumldigenden Christologie ersetzt worden Von hierher kann die Bedeutung des historischen Jesus innerhalb der paulinischen Theologie und das Motiv eines Widerspruchs zwischen der paulinischen Christologie und einer evangeliumsgemaumlszligen bdquoJesulogieldquo thematisiert werden Die Verbindung von Partizipations-Christologie und Kreuzestheologie beruumlhrt einen zentralen Punkt der christlich-islamischen Kontroverse Sie hilft einerseits dabei die spe-zifische theologische Rationalitaumlt der paulinischen Argumentation zu verste-hen und ist somit dem Motiv bdquoPaulus ohne Verstandldquo zuzuordnen Zugleich ist sie mit der Frage der Glaubwuumlrdigkeit und der bdquoEgozentrikldquo des Paulus ver-bunden Eine ausfuumlhrliche Beachtung findet schlieszliglich die Haltung des Paulus zum Gesetz in der das Motiv bdquoPaulus ohne Gesetzldquo aufgegriffen wird Wenn Hans-Ulrich Weidemann das letzte Kapitel mit bdquoPaulus receptusldquo uumlberschreibt so ist dies auch dem zukuumlnftigen christlich-islamischen Gespraumlch zu wuumlnschen Ein differenziert betrachteter Paulus kann der christlich-islamischen Verstaumln-digung eine entscheidende Hilfe sein

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2154 02052016 213119

155Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

1 Paulus zwischen den Religionen

Der Apostel Paulus war und ist eine kontroverse Figur Dies gilt schon fuumlr die ersten Generationen christusglaumlubiger Juden und Nichtjuden Person und Verkuumlndigung des Heidenapostels trafen von Anfang an nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Skepsis und erbitterte Gegnerschaft1 Diese fruumlhen Kontroversen wurden durch die Entste-hung des Corpus Paulinum und seine Rezeption als kanonische bdquoHeilige Schriftldquo in den sich formierenden christlichen Groszligkirchen zunaumlchst entschieden ndash aber auch in den kommenden Jahrhunderten entzuumlndeten sich gerade an den Briefen des Apostels immer wieder massive Konflikte Dies ist im christlichen Kanon als einem Dokument der ekklesialen Plu-ralitaumlt in gewisser Weise angelegt schlieszliglich wird durch die kanonische Rezeption sowohl des Corpus Paulinum als auch z B des Jakobusbriefes und des Matthaumlusevangeliums das bdquopaulinische Christentumldquo einerseits Teil der normativen Textgrundlage andererseits dadurch gerade bdquoeinge-bettetldquo und in gewisser Hinsicht relativiert

Es ist bemerkenswert dass die bis heute andauernden innerchrist-lichen Kontroversen um Paulus sozusagen eine muslimische Verlaumlnge-rung erfahren haben (und bis heute erfahren) Der Beitrag von Tobias Specker im vorliegenden Band dokumentiert eindruumlcklich die ndash aller-dings weitgehend kritische und ablehnende ndash Auseinandersetzung isla-mischer Gelehrter und Wissenschaftler mit Paulus Im vorliegenden Bei-trag geht es nicht darum auf diese Debatten im Einzelnen zu reagieren Vielmehr sollen einzelne Schlaglichter auf die gegenwaumlrtigen Diskurse uumlber den Apostel und seine Theologie geworfen werden die von christ-lichen und ndash in zunehmendem Maszlige ndash von juumldischen Wissenschaftlern im Kontext universitaumlrer Institutionen gefuumlhrt werden

Dabei wird man zunaumlchst zur Kenntnis nehmen muumlssen dass in die-sen gegenwaumlrtigen Diskursen um Leben und Werk des Paulus viele der zugrunde liegenden Kategorien und Begriffe neu definiert und anders justiert werden als im Kontext der aumllteren Forschungsparadigmen Das gilt bereits fuumlr Grundkategorien wie bdquoReligionldquo und bdquoJudentumldquo ins-besondere fuumlr bdquoChristentumldquo und bdquoChristenldquo aber auch fuumlr die Rekon-

1 Vgl dazu Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2155 02052016 213120

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 6: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

Hinweis der Redaktion

Der folgende Beitrag von Hans-Ulrich Weidemann fuumlhrt in komprimierter Form durch die Ansaumltze und Perspektiven der gegenwaumlrtigen Paulusforschung und bietet auf diese Weise ein Gegenuumlber zu den kritischen Stimmen der mus-limischen Tradition und Gegenwart Es ist kein Anliegen der gesamten Schrif-tenreihe innerhalb der theologischen Konfliktfelder eine passgenaue Vertei-digung zu unternehmen oder einfache apologetische Gegenargumente an die Hand zu geben Insofern steht der folgende Beitrag fuumlr sich und versucht keine bdquoWiderlegungldquo Dennoch sind die Bezuumlge zu der vorangehenden Analyse leicht zu erkennen und koumlnnen auch zur weiteren Klaumlrung im christlich-islamischen Gespraumlch dienen

In den ersten Kapiteln geht es um die Frage ob mit Paulus in Absetzung vom Judentum oder gar in Anlehnung an die Religionen der roumlmischen Antike eine neue Religion gegruumlndet wurde Auch die Motive bdquoPaulus zwischen den Kulturen Paulus der Faumllscherldquo sind von hierher neu zu bedenken Die ekkle-siologischen Uumlberlegungen koumlnnen sodann im Hinblick auf das Motiv bdquoPaulus der Spalterldquo gelesen werden waumlhrend die ausfuumlhrliche Analyse der Partizipa-tions-Christologie auf die Frage nach dem Erloumlsungsverstaumlndnis zu beziehen und damit implizit auch der Einordnung in die Gnosis entgegen zu stellen ist Zugleich erlaubt sie auch eine differenziertere Einschaumltzung des Vorwurfs mit Paulus sei der urspruumlngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschaumldigenden Christologie ersetzt worden Von hierher kann die Bedeutung des historischen Jesus innerhalb der paulinischen Theologie und das Motiv eines Widerspruchs zwischen der paulinischen Christologie und einer evangeliumsgemaumlszligen bdquoJesulogieldquo thematisiert werden Die Verbindung von Partizipations-Christologie und Kreuzestheologie beruumlhrt einen zentralen Punkt der christlich-islamischen Kontroverse Sie hilft einerseits dabei die spe-zifische theologische Rationalitaumlt der paulinischen Argumentation zu verste-hen und ist somit dem Motiv bdquoPaulus ohne Verstandldquo zuzuordnen Zugleich ist sie mit der Frage der Glaubwuumlrdigkeit und der bdquoEgozentrikldquo des Paulus ver-bunden Eine ausfuumlhrliche Beachtung findet schlieszliglich die Haltung des Paulus zum Gesetz in der das Motiv bdquoPaulus ohne Gesetzldquo aufgegriffen wird Wenn Hans-Ulrich Weidemann das letzte Kapitel mit bdquoPaulus receptusldquo uumlberschreibt so ist dies auch dem zukuumlnftigen christlich-islamischen Gespraumlch zu wuumlnschen Ein differenziert betrachteter Paulus kann der christlich-islamischen Verstaumln-digung eine entscheidende Hilfe sein

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2154 02052016 213119

155Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

1 Paulus zwischen den Religionen

Der Apostel Paulus war und ist eine kontroverse Figur Dies gilt schon fuumlr die ersten Generationen christusglaumlubiger Juden und Nichtjuden Person und Verkuumlndigung des Heidenapostels trafen von Anfang an nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Skepsis und erbitterte Gegnerschaft1 Diese fruumlhen Kontroversen wurden durch die Entste-hung des Corpus Paulinum und seine Rezeption als kanonische bdquoHeilige Schriftldquo in den sich formierenden christlichen Groszligkirchen zunaumlchst entschieden ndash aber auch in den kommenden Jahrhunderten entzuumlndeten sich gerade an den Briefen des Apostels immer wieder massive Konflikte Dies ist im christlichen Kanon als einem Dokument der ekklesialen Plu-ralitaumlt in gewisser Weise angelegt schlieszliglich wird durch die kanonische Rezeption sowohl des Corpus Paulinum als auch z B des Jakobusbriefes und des Matthaumlusevangeliums das bdquopaulinische Christentumldquo einerseits Teil der normativen Textgrundlage andererseits dadurch gerade bdquoeinge-bettetldquo und in gewisser Hinsicht relativiert

Es ist bemerkenswert dass die bis heute andauernden innerchrist-lichen Kontroversen um Paulus sozusagen eine muslimische Verlaumlnge-rung erfahren haben (und bis heute erfahren) Der Beitrag von Tobias Specker im vorliegenden Band dokumentiert eindruumlcklich die ndash aller-dings weitgehend kritische und ablehnende ndash Auseinandersetzung isla-mischer Gelehrter und Wissenschaftler mit Paulus Im vorliegenden Bei-trag geht es nicht darum auf diese Debatten im Einzelnen zu reagieren Vielmehr sollen einzelne Schlaglichter auf die gegenwaumlrtigen Diskurse uumlber den Apostel und seine Theologie geworfen werden die von christ-lichen und ndash in zunehmendem Maszlige ndash von juumldischen Wissenschaftlern im Kontext universitaumlrer Institutionen gefuumlhrt werden

Dabei wird man zunaumlchst zur Kenntnis nehmen muumlssen dass in die-sen gegenwaumlrtigen Diskursen um Leben und Werk des Paulus viele der zugrunde liegenden Kategorien und Begriffe neu definiert und anders justiert werden als im Kontext der aumllteren Forschungsparadigmen Das gilt bereits fuumlr Grundkategorien wie bdquoReligionldquo und bdquoJudentumldquo ins-besondere fuumlr bdquoChristentumldquo und bdquoChristenldquo aber auch fuumlr die Rekon-

1 Vgl dazu Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2155 02052016 213120

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 7: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

155Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

1 Paulus zwischen den Religionen

Der Apostel Paulus war und ist eine kontroverse Figur Dies gilt schon fuumlr die ersten Generationen christusglaumlubiger Juden und Nichtjuden Person und Verkuumlndigung des Heidenapostels trafen von Anfang an nicht nur auf Zustimmung sondern auch auf Skepsis und erbitterte Gegnerschaft1 Diese fruumlhen Kontroversen wurden durch die Entste-hung des Corpus Paulinum und seine Rezeption als kanonische bdquoHeilige Schriftldquo in den sich formierenden christlichen Groszligkirchen zunaumlchst entschieden ndash aber auch in den kommenden Jahrhunderten entzuumlndeten sich gerade an den Briefen des Apostels immer wieder massive Konflikte Dies ist im christlichen Kanon als einem Dokument der ekklesialen Plu-ralitaumlt in gewisser Weise angelegt schlieszliglich wird durch die kanonische Rezeption sowohl des Corpus Paulinum als auch z B des Jakobusbriefes und des Matthaumlusevangeliums das bdquopaulinische Christentumldquo einerseits Teil der normativen Textgrundlage andererseits dadurch gerade bdquoeinge-bettetldquo und in gewisser Hinsicht relativiert

Es ist bemerkenswert dass die bis heute andauernden innerchrist-lichen Kontroversen um Paulus sozusagen eine muslimische Verlaumlnge-rung erfahren haben (und bis heute erfahren) Der Beitrag von Tobias Specker im vorliegenden Band dokumentiert eindruumlcklich die ndash aller-dings weitgehend kritische und ablehnende ndash Auseinandersetzung isla-mischer Gelehrter und Wissenschaftler mit Paulus Im vorliegenden Bei-trag geht es nicht darum auf diese Debatten im Einzelnen zu reagieren Vielmehr sollen einzelne Schlaglichter auf die gegenwaumlrtigen Diskurse uumlber den Apostel und seine Theologie geworfen werden die von christ-lichen und ndash in zunehmendem Maszlige ndash von juumldischen Wissenschaftlern im Kontext universitaumlrer Institutionen gefuumlhrt werden

Dabei wird man zunaumlchst zur Kenntnis nehmen muumlssen dass in die-sen gegenwaumlrtigen Diskursen um Leben und Werk des Paulus viele der zugrunde liegenden Kategorien und Begriffe neu definiert und anders justiert werden als im Kontext der aumllteren Forschungsparadigmen Das gilt bereits fuumlr Grundkategorien wie bdquoReligionldquo und bdquoJudentumldquo ins-besondere fuumlr bdquoChristentumldquo und bdquoChristenldquo aber auch fuumlr die Rekon-

1 Vgl dazu Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2155 02052016 213120

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 8: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

156 Hans-Ulrich Weidemann

struktion der sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum ndash und die Frage ob diese und aumlhnliche Metaphern den Vorgang uumlber-haupt historisch angemessen beschreiben In diesen der Einzelausle gung voraus- und zugrunde liegenden Problemstellungen liegt m E das ei-gentlich innovative Potenzial der gegenwaumlrtigen Debatten zumal hier die Entscheidungen fallen die dann jene steuern oder zumindest praumlgen

2 Die (Neu-)Entdeckung des Juden Paulus

Worum geht es naumlherhin in diesen Diskursen Laut Paula Fredriksen befindet sich die neuzeitliche wissenschaftliche Diskussion um den Apostel Paulus derzeit in einem zweiten Paradigmenwechsel bdquoThe pa-radigm shifted from Paul against Judaism to Paul and Judaism That perspective is shifting yet again from Paul and Judaism to Paul within Judaism A daunting task of re-imagining lies before usldquo2 Folgt man Fredriksen dann ist die sog bdquoNew Perspective on Paulldquo ndash zweifellos ist sie mit dem ersten von ihr genannten Paradigmenwechsel gemeint ndash be-reits Teil der Forschungsgeschichte und wird gegenwaumlrtig von einem weiteren abgeloumlst und uumlberholt

Mit dem Begriff bdquoNew Perspective on Paulldquo apostrophierte James D G Dunn vor bereits uumlber 30 Jahren eine mit Autoren wie Krister Stendahl und Ed Parish Sanders verbundene Neuausrichtung der Pau-lusexegese3 Dunns Begrifflichkeit verbirgt den mit ihr verbundenen normativen Anspruch keineswegs Sie teilt die Diskussion um den Apos-tel und seine theologischen Grundoptionen in bdquoaltldquo und bdquoneuldquo ein ndash

2 Paula FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter J TOMSONJoshua SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) LeidenBoston 2014 17ndash51 51 Ob tatsaumlchlich alle Briefe neu uumlbersetzt die Woumlrterbuumlcher neu formuliert und die Kommentare neu geschrieben werden muumlssen wie Fredriksen emphatisch formuliert sei dahingestellt

3 James D G DUNN The New Perspective on Paul (1983) in DERS The New Per-spective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110 Grundlegend waren die Bei-traumlge von Krister STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215 sowie von Ed Parish SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Patterns of Religion London 1977 Vgl die ausfuumlhrliche Darstellung bei Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand RapidsCambridge 2004

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2156 02052016 213120

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 9: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

157Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

womit die von den Vertretern der bdquoNew Perspectiveldquo als bdquoaltldquo etiket-tierten Diskurse nun unmittelbar in Verdacht geraten ver-altet zu sein Damit haumlngt zusammen dass sich die zunaumlchst v a aus der skandina-vischen und angelsaumlchsischen Paulusexegese stammenden Autoren der bdquoNew Perspectiveldquo polemisch gegen die bdquoalteldquo deutsche und lutherische Paulusdeutung wandten Neben einer Vielzahl inhaltlicher Fragen ent-zuumlndete sich die Kritik der bdquoNew Perspectiveldquo vor allem am (negativen) Bild des Judentums als einer Gesetzesreligion an der behaupteten Zen-tralstellung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theo-logie und an deren Ausrichtung am individuellen Heil

Die Geschichte der bdquoNew Perspectiveldquo und der Kritik an ihr kann hier nicht nachgezeichnet werden Unbezweifelbar ist dass in ihrem Gefol-ge grundlegende Erkenntnisse gewonnen wurden hinter die man kaum wird zuruumlckgehen koumlnnen Dies betrifft ndash wie von Paula Fredrikson be-tont ndash insbesondere die Rekonstruktionen des antiken Judentums vor der Tempelzerstoumlrung im Jahre 70 n Chr Hier hat die von der bdquoNew Perspectiveldquo ausgeloumlste Diskussion der letzten Jahrzehnte ergeben dass sowohl das Judentum zur Zeit des Paulus in seiner Pluralitaumlt und Hete-rogenitaumlt als auch die juumldische Identitaumlt des Paulus neu und differenziert wahrzunehmen und nur in enger Bezogenheit aufeinander zu rekon-struieren sind Gerade die Einsicht in die Pluralitaumlt des Judentums vor 70 n Chr ndash die sich sogar in Pluralformen wie bdquoJudaismsldquo niederschlaumlgt4 ndash kann als eine der grundlegenden Einsichten der gegenwaumlrtigen Debat-te gelten

Die von P Fredriksen dargestellten Perspektivenwechsel haben nun weitreichende Folgen fuumlr die Rekonstruktion des historischen Rahmens in dem Person und Werk des Paulus verortet werden aber auch fuumlr un-sere (z T neuzeitlichen) Begriffe zu seiner Beschreibung Damit veraumln-dert sich zugleich die Perspektive ndash hier erweist sich Dunns Begriffsbil-dung nach wie vor als tragfaumlhig ndash auf die Einzeltexte

4 Vgl Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2157 02052016 213120

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 10: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

158 Hans-Ulrich Weidemann

3 Paulus zwischen zwei Religionen

Einer der immer wieder variierten Vorwuumlrfe von muslimischer Sei-te lautet dass Paulus eine neue Religion begruumlndet hat5 Damit ist ein Themenkreis beruumlhrt der gegenwaumlrtig stark in der Diskussion steht In der Formulierung von J D G Dunn geht es dabei um die Frage bdquoHow a Jewish sect became a Gentile religionldquo6

Bevor allerdings die Rolle des Paulus in diesem Prozess untersucht werden kann muss man beachten dass nicht nur im Zusammenhang der Paulus- sondern auch der Jesusforschung aktuell zunehmend be-zweifelt wird ob das antike Judentum mit dem Begriff bdquoReligionldquo der sich im Westen erst seit dem 18 Jh entwickelt hat und der auszligerdem anhand einer bestimmten Erscheinungsform von Religion ndash naumlmlich des Christentums ndash ausgebildet wurde angemessen beschrieben werden kann Denn in der mediterranen Welt des 1 Jhs bdquogab es keine eigene so-ziale Institution die als sbquoReligionlsquo wahrgenommen wurdeldquo7 Das was wir heutzutage als bdquoreligioumlseldquo Praktiken bezeichnen war in den antiken me-diterranen Gesellschaften in andere soziale Institutionen bdquoeingebettetldquo naumlmlich in das Gemeinwesen (polis) d h den bdquoStaatldquo bzw den Stadt-staat oder das Imperium und das Haus (oikos) d h die Familie oder die Verwandtschaft Deswegen wird in neueren Beitraumlgen vorgeschlagen auf den Begriff bdquoReligionldquo in diesen Kontexten ganz zu verzichten und das antike Judentum als ethnos also als ethnische Gruppe zu verstehen ndash analog zu den anderen antiken bdquoReligionenldquo (besser Ethnien) Denn es ist deutlich bdquodass das Modell von Judentum qua Religion prinzipiell alle Merkmale ausblendet die fuumlr die ethnische Identitaumlt der Judaumler un-verzichtbar sindldquo8 Die dann im engeren Sinne bdquoreligioumlsenldquo Merkmale naumlmlich Monotheismus Erwaumlhlung Tora Beschneidung Sabbat Spei-

5 Siehe dazu Tobias SPECKER in diesem Band 21ndash1526 James D G DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Mich-

igan 2009 17 und weiter bdquohow a mission so much within the diversity of Second Temple Judaism became a movement which broke through the boundaries marking out that Judaism to emerge as a predominantly Gentile religionldquo

7 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010 214 Zum Folgenden vgl ebd 207ndash236 (bdquoReligionsmodell und Ethnizitaumltsmo-dell des Judentums im 1 Jahrhundertldquo)

8 STEGEMANN Jesus 233 Dazu gehoumlren laut Stegemann z B das Gefuumlhl gemein-samer Abstammung die Bedeutung des gemeinsamen Wohngebiets und einer ge-meinsamen Sprache der Anspruch auf eine gemeinsame und besondere Geschichte das Gefuumlhl kollektiver Einzigartigkeit und Solidaritaumlt usw (vgl ebd 235)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2158 02052016 213120

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 11: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

159Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

se- und Reinheitsvorschriften usw werden im Ethnizitaumlts-Modell nicht als bdquoGlaubensuumlberzeugungenldquo sondern als zur Verfassung des Volkes gehoumlrige Elemente aufgefasst die nicht von den bdquoethnischenldquo Struktu-ren abloumlsbar sind Wolfgang Stegemann beschreibt diesen Paradigmen-wechsel so bdquoAus einer Religion die mit einer bestimmten Ethnie ver-bunden ist wird eine antike Ethnie fuumlr die u a kulturelle Eigenheiten die wir religioumls nennen von herausragender Bedeutung sindldquo9 Auch fuumlr den juumldischen Gelehrten Daniel Boyarin entsteht bdquoreligion as a discrete category of human experienceldquo erst durch die Christianisierung des Roumlmischen Reiches ab dem 4 Jh Erst im Zuge dieses Vorgangs erfolge bdquoreligionrsquos disembeddingldquo von den ethnischen Merkmalen10

Unter den Voraussetzungen der genannten Debatte wird man also nicht ungeschuumltzt davon reden koumlnnen dass Paulus eine bdquoneue Reli-gionldquo gegruumlndet habe erst recht nicht im Gegenuumlber zu einem bdquoJuden-tumldquo Zur bdquoReligionldquo entwickelt sich das bdquoChristentumldquo erst im Laufe der Zeit und zudem im Gegenuumlber zu einem (entsprechend konstruier-ten) bdquoJudentumldquo11 Damit ist die auch in christlichen und juumldischen Dis-kursen verhandelte Frage ob Paulus der bdquoGruumlnderldquo des Christentums ist zwar nicht erledigt wohl aber verschoben Denn es ist im Hinblick auf die Nach- und Rezeptionsgeschichte paulinischer Theologie durch-aus sinnvoll zu untersuchen inwieweit gerade die paulinischen Texte die Entwicklung des bdquoChristentumsldquo zu einer bdquodisembedded religionldquo befoumlrdert haben So kann man tatsaumlchlich die These formulieren dass gerade die Paulusbriefe den Weg des Christentums zu einer bdquoReligionldquo ermoumlglicht gesteuert oder zumindest geebnet haben Voraussetzung dafuumlr war aber dass sie aus ihrem urspruumlnglichen Zusammenhang (s u) geloumlst in neue Kontexte (z B die Diskurse einer zunehmend bdquoheidenchristlichenldquo Kirche) eingestellt und gegen ihre urspruumlngliche

9 STEGEMANN Jesus 235 10 Daniel BOYARIN Border Lines The Partition of Judaeo-Christianity Philadelphia

2007 11 im Anschluss an Seth Schwartz Laut Boyarin kann man aber auch das rab-binische Judentum ndash im Unterschied zum Christentum ndash nicht als bdquoReligionldquo im engeren Sinne bezeichnen bdquothe difference between Christianity and Judaism is not so much a difference between two religions as a difference between a religion and an entity that refuses to be oneldquo (ebd 8) Und auch bdquodas Heidentumldquo wurde erst im christlichen Diskurs zu einer Religion gemacht (ebd 9f)

11 BOYARIN Border Lines 11 im Anschluss an Denis Gueacutenoun bdquoReligion is consti-tuted as the difference between religionsldquo und weiter bdquoChristianity in its constitu-tion as religion therefore needed religious difference needed Judaism to be its other ndash the religion that is falseldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2159 02052016 213120

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 12: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

160 Hans-Ulrich Weidemann

Intention () zur Grenzziehung zwischen Juden und Christen instru-mentalisiert werden konnten

4 Paulus und die bdquoTrennung der Wegeldquo

Der eben skizzierten Diskussion daruumlber ob das antike Judentum mit dem Religionsbegriff angemessen zu beschreiben ist ging eine ausgie-bige Debatte um die sog bdquoTrennung der Wegeldquo von Judentum und Christentum voran So herrscht seit geraumer Zeit Konsens dass sich die bdquoTrennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesusbewegung nicht eindeutig auf ein festes und dazu noch gar fruumlhes Datum festlegenldquo laumlsst12 Konsens ist auch dass die bdquoTrennungsprozesseldquo lokal und zeitlich ganz unterschiedlich und noch dazu in verschiedenen Etappen verliefen Es duumlrfte allerdings uumlberhaupt anachronistisch sein von einer bdquoTrennungldquo zu sprechen denn diese Wortwahl impliziert fast zwangslaumlufig die Vorstellung dass die beiden spaumlter getrennten Entitaumlten ndash eben bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo ndash bereits vor ihrer Trennung irgendwie schon als solche existierten wenn auch noch sozusagen unter einem Dach Stattdessen ist sowohl das was wir als bdquoChristentumldquo bzw bdquoKircheldquo bezeichnen als auch das was spaumlter bdquorabbinisches Judentumldquo heiszligen wird in mittels und nach der bdquoTrennungldquo im engeren Sinne erst entstanden bdquoDass die Entstehung des Christentums nicht ohne das antike Judentum erklaumlrt werden kann darf heute als Allgemeinplatz gelten und auch die Tatsache dass sbquoJuden-tumlsquo und sbquoChristentumlsquo nicht von Anfang an als zwei fest umrissene sbquoRe-ligionenlsquo neben- oder besser gegeneinander standen hat sich inzwischen herumgesprochen Dass aber auch das rabbinische Judentum der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich erst langsam herausbildete und dass dieser Prozess der Selbstfindung nicht unabhaumlngig von der Entstehung des Christentums gesehen werden kann ndash diese Einsicht hat erst in den letzten Jahren begonnen sich in der Forschung durchzusetzenldquo13

12 Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messianische und universalistische Bewegung in DERS Judaica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218 207

13 Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums Fuumlnf

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2160 02052016 213120

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 13: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

161Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Deswegen wird die Metapher von der bdquoTrennung der Wegeldquo von Ju-dentum und Kirche zunehmend abgelehnt So spricht Daniel Boyarin statt von bdquoparting of the waysldquo lieber von bdquoimposed partitioning of what was once a territory without border linesldquo14 und richtet den Blick auf die Frage wer ab dem 2 Jh eigentlich ein Interesse an Grenzziehungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo hatte und warum Auszligerdem weist Boyarin darauf hin dass bdquothe border spaceldquo zwischen dem was spaumlter als Judentum und Christentum manifest wurde in der Spaumltantike bdquoa crossing point for people and religious practicesldquo war15

Boyarin vertritt in diesem Diskurs pointiert bdquoa perspective that refuses the option of seeing Christian and Jew Christianity and Judaism as fully formed bounded and separate entities and identities in late antiquityldquo16 Natuumlrlich schlieszligt auch Boyarin nicht aus dass es schon sehr bald bdquosome Christians who were not Jewsldquo sowie bdquoJews who were not Christiansldquo gab17 Diesen Aspekt wird man vom neutestamentlichen Befund her ge-genuumlber Boyarin noch verstaumlrken Immerhin geht ja schon Paulus im Roumlmerbrief (also Mitte der 50er Jahre) davon aus dass das Evangelium von Israel definitiv abgelehnt wird (Roumlm 930ndash104 117ndash10 1125ndash32)18 Wenn Paulus auszligerdem in 2 Kor 1124 erwaumlhnt er sei fuumlnfmal von einem Synagogengericht zur Strafe der 39 Hiebe verurteilt worden dann zeigt das dass seine Verkuumlndigung bei anderen Juden durchaus auf mas-sive Ablehnung stoszligen konnte19 Um die Jahrhundertwende reflektiert dann das Johannesevangelium bereits einen bdquoSynagogenausschlussldquo von

Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010 3 Der Titel von Schaumlfers Buch ist programmatisch

14 BOYARIN Border Lines 1 Auch FREDRIKSEN Contexts 47f lehnt es ab von einer bdquoTrennung der Wegeldquo zu sprechen

15 Ebd analog FREDRIKSEN Contexts 23f 16 BOYARIN Border Lines 717 BOYARIN Border Lines 718 Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukirchen-Vluyn 2011

436 formuliert das so bdquoFuumlr Paulus haumltte sich Israel demnach in seiner groszligen Mehr-heit gegen die Christusbotschaft entschieden weil es der Uumlberzeugung war nur so Israel bleiben zu koumlnnenldquo

19 Dazu Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Christen Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 12009 23ndash27 Eine anders geartete These vertritt Paula FREDRIKSEN die darauf hinweist dass Paulus nach 2 Kor 1124f von Juden wie auch von Roumlmern bestraft wurde laut Fredrik-sen deswegen weil der Apostel Heiden dazu brachte die Verehrung ihrer Goumltter aufzugeben (vgl 1 Thess 110 u ouml) Das bringe sowohl roumlmische als auch juumldische Instanzen gegen ihn auf (Contexts 42ndash47)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2161 02052016 213120

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 14: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

162 Hans-Ulrich Weidemann

bestimmten Judenchristen (Joh 922 1242 162) weiszlig daneben aber von anderen bdquo(an Christus) glaubenden Judenldquo die im Synagogenver-band verbleiben (Joh 223 731 u ouml) Und auch bei den Synoptikern finden sich Echos von Repressalien gegenuumlber christusglaumlubigen Juden von Seiten anderer Juden20 Dies alles spricht aber m E nicht gegen die grundsaumltzliche Tragfaumlhigkeit von Boyarins These bdquoJudaism and Chri-stianity were not separate entities until very late in late Antiquityldquo auch wenn es natuumlrlich bdquoseparatist groupsldquo auf beiden Seiten gab die in man-chen Gegenden auch dominant waren Daher spricht Boyarin fuumlr die Zeit bis Konstantin und Theodosius (4 Jh) von bdquoJudaeo-Christianityldquo21 Innerhalb dieser bdquoJudaeo-Christianityldquo gibt es unterschiedliche Grup-pen deren Interaktionen und Abgrenzungen Boyarin mit verschiedenen Metaphern zu beschreiben versucht so mit der des bdquodialect clusterldquo22 oder der der Familienaumlhnlichkeiten23 Mit anderen Autoren lehnt er daher nicht nur die Metapher einer bdquoTrennung der Wegeldquo ab sondern auch das weit verbreitete Modell bdquodas Judentumldquo sei die Mutterreligion bdquodesldquo Christentums Boyarin dagegen bdquoJudaism is not the sbquomotherlsquo of Christianity they are twins joined at the hipldquo24

Wir muumlssen Boyarins Thesen nicht in all ihren Veraumlstelungen nach-zeichnen zumal sie fuumlr die ersten beiden Jahrhunderte sicherlich uumlber-zeugender sind als fuumlr das 3 und 4 Jh Im Falle des Paulus koumlnnen sie

20 Vgl dazu Mk 139 (bdquoin den Synagogen werdet ihr geschlagen werdenldquo) und Mt 101722 2334 auszligerdem Lk 622 (bdquoabsondernldquo) par Mt 511f u ouml

21 Daniel BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquo bdquoChristianityldquo in Adam H BECKERAnnette Y REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86 78 auszligerdem BOYARIN Border Lines 21 u ouml

22 BOYARIN Semantic Differences 76 vgl auch BOYARIN Border Lines 18ndash20 Ebd 20 bdquothe various Christian groups formed a dialect cluster within the overall assort-ment of dialects that constituted Judaism (or perhaps better Judaeo-Christianity) at the timeldquo

23 Im Anschluss an Wittgenstein BOYARIN Semantic Differences 78ff sowie BOYARIN Border Lines 22f

24 BOYARIN Border Lines 5 Differenzierter Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjuden-tum und Urchristentum Vorgeschichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006 35 bdquoIm Hinblick auf die Rezeption der heiligen Schrif-ten Israels ist die Metapher von Mutter und Tochter weiter guumlltigldquo fuumlr die formative Phase des Fruumlhjudentums sei dagegen von Wechselwirkungen zwischen bdquoJudentumldquo und bdquoChristentumldquo auszugehen und daher auf die beliebten Familienmetaphern zu verzichten

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2162 02052016 213121

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 15: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

163Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

aber dazu fuumlhren Person und Botschaft des Apostels konsequent in das komplexe Panorama des Fruumlhjudentums einzuzeichnen25

5 Das Selbstverstaumlndnis des Paulus als Jude

Im Kontext der aumllteren Paradigmen der Paulusexegese ndash und nicht zu-letzt innerhalb des bdquoReligionen-Paradigmasldquo (s o) ndash konnte die Be-rufung des Paulus zum Apostel der Nichtjuden nur als bdquoBekehrungldquo vom Juden zum Christen ndash und damit faktisch als bdquoReligionswech-selldquo ndash wahrgenommen werden Damit bleiben aber jene autobiografi-schen Textpassagen letztlich unverstaumlndlich in denen sich Paulus ganz selbstverstaumlndlich als Jude identifiziert So formuliert er noch in sei-nem mutmaszliglich letzten Schreiben pointiert und im Praumlsens bdquoDenn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams aus dem Stamm Benjaminldquo (Roumlm 111) Kurz zuvor spricht er von den Israeliten als sei-nen Bruumldern seinen Stammesverwandten dem Fleische nach (93) Die juumldische Identitaumlt teilt Paulus nicht nur mit Petrus (Gal 215 bdquoWir sind von Natur aus Judenldquo) sondern sogar mit seinen im 2 Korintherbrief attackierten Gegnern (2 Kor 1122 bdquoSie sind Israeliten ndash ich auch Sie sind Abrahams Kinder ndash ich auchldquo)

Aus diesen Texten geht klar hervor dass sich Paulus auch nach seiner bdquoBekehrungldquo als Jude verstanden hat mehr noch Er ist gerade als Jude vom auferstandenen und erhoumlhten Christus zum Apostel der Heiden berufen Paulus beansprucht ja den auferstandenen Christus in goumlttlicher Herrlichkeit gesehen und von ihm zum Apostel der Nicht-juden berufen worden zu sein26 Mit der visuellen Erfahrung ist also ein kognitiver Erschlieszligungsvorgang verbunden (Gal 116) den Paulus in den Bahnen alttestamentlich-juumldischer Prophetenberufungen deutet Zugleich stellt er sich damit in eine Reihe mit den anderen Osterzeugen

25 Laut Daniel BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Berkeley etc 1994 2 repraumlsentiert Paulus bdquoone option which Judaism could take in the first cen-turyldquo Boyarin weiter bdquoI read him as a Jewish cultural critic and I ask what it was in Jewish culture that led him to produce a discourse of radical reform of that cultureldquo Auch FREDRIKSEN Contexts 47 sieht Paulus schlicht als bdquoa diaspora Jew of the late Second Temple periodldquo

26 Vgl dazu die autobiografischen Passagen Gal 111ndash17 1 Kor 91f 153ndash11 Phil 34ndash11 sowie 2 Kor 46

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2163 02052016 213121

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 16: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

164 Hans-Ulrich Weidemann

Im Unterschied zu diesen ndash namentlich erwaumlhnt er Petrus sowie die Leit-figur der Jerusalemer Urgemeinde seit den 40er Jahren den Herrenbru-der Jakobus ndash ist ihm aber bdquodas Evangelium der Vorhautldquo (Gal 27) und das Apostolat fuumlr die Heiden (28) anvertraut

Die juumldische Identitaumlt des Paulus und der anderen christusglaumlubi-gen Juden ist aber nicht nur biografisch aufschlussreich sie ist fuumlr den Apostel auch von theologischer d h heilsgeschichtlicher Relevanz Dies zeigt bereits der Galaterbrief Indem gerade Juden wie Petrus und Paulus zum Glauben an Christus kommen (was eben nicht bedeutet dass sie fortan keine Juden mehr sind) erkennen sie dass auch sie bdquoals Suumlnder befundenldquo und bdquoin Christus gerechtfertigtldquo werden (vgl Gal 217) dass also bdquoder Menschldquo ndash Jude wie Nichtjude ndash nicht aus bdquoGesetzeswerkenldquo von Gott gerechtfertigt wird sondern durch den Glauben an Christus Jesus (216)

Noch staumlrker betont Paulus im Roumlmerbrief die theologische Rele-vanz seiner juumldischen Identitaumlt Das zeigen v a die autobiografischen Passagen in Roumlm 9ndash1127 Paulus inszeniert sich hier als Jude der um sein eigenes Volk klagt und fuumlr dessen Rettung sein eigenes Heil anbie-tet (Roumlm 91ndash5) der fuumlr es Fuumlrbitte bei Gott einlegt und fuumlr ihren Eifer Zeugnis gibt (101ndash3) Eben und nur so naumlmlich als bdquoIsraelit aus dem Samen Abrahams vom Stamm Benjaminldquo (111) der zudem am achten Tag seines Lebens beschnitten wurde und als bdquoHebraumlerldquo von bdquoHebraumlernldquo abstammt (Phil 35) ist er Teil des bdquoHeiligen Restesldquo christusglaubender Juden der wiederum den Fortbestand der Verheiszligungen an bdquoganz Is-raelldquo verbuumlrgt (Roumlm 111ndash6) ndash und eben als solcher ist er bdquoApostel aller Heidenldquo (Roumlm 15 1113 1516)

Mehr noch Durch seine Berufung zum Heidenapostel gibt er zu-gleich das bdquoModellldquo der Hinwendung Israels zum Herrn Jesus Christus ab die nicht durch die Mission der Kirche sondern durch den wieder-kommenden Christus selbst erfolgt28 Gerade als Jude in dem Christus

27 Dazu Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Diskurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177 147ndash173

28 Grundlegend zum bdquoMysteriumldquo in Roumlm 1125bndash27 Otfried HOFIUS Das Evange-lium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202 197f bdquosbquoGanz Israellsquo kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil Das bedeutet jedoch keineswegs einen sbquoSonderweglsquo am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei Israel wird vielmehr aus

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2164 02052016 213121

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 17: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

165Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

selbst den Glauben gewirkt hat erkennt sich Paulus bdquoals den Prototyp des dem Evangelium gegenuumlber verschlossenen und des von dem erwaumlh-lenden Gott nicht preisgegebenen Israelldquo29

Paulus kann seine Berufung also gerade nicht als Uumlberwindung seiner juumldischen Existenz sehen30 Das bedeutet aber dass sein Selbstverstaumlnd-nis als Heidenapostel und seine juumldische Identitaumlt gerade nicht zueinan-der in Widerspruch stehen

6 Die Ekklesia aus Juden und Heiden

Paulus beansprucht dass Gott in ihm seinen Sohn geoffenbart hat damit er ihn unter den Nichtjuden verkuumlndige (Gal 116) Es ist da-her eine der grundlegenden Einsichten des Apostels dass Gott bdquouns nicht allein aus den Juden sondern auch aus den Voumllkern berufen hatldquo (Roumlm 924 vgl 1 Kor 124 718) Doch keineswegs zielt das Wirken des Apostels darauf eine neue aus Nichtjuden rekrutierte Religion zu begruumlnden und die Verbindungen zu Israel zu kappen Ziel des pauli-nischen bdquoApostolats der Unbeschnittenheitldquo (Gal 28) ist vielmehr die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo Seine Wirksamkeit richtet sich also nicht auf die Etablierung einer neuen bdquoReligionldquo sondern auf die Ge-meinschaft von Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo

Keineswegs bekaumlmpft Paulus daher an sich die juumldische Gesetzesob-servanz Paula Fredriksen betont dass der Apostel gerade nicht den epispasmos propagiert also das Ruumlckgaumlngigmachen der Beschneidung durch bestimmte Techniken Es laumlsst sich auch nicht belegen dass er geborene Juden an der Beschneidung ihrer Soumlhne hinderte auch wenn sie christusglaumlubig und getauft waren31 Stattdessen kaumlmpft er gegen die Beschneidung der getauften Nichtjuden ndash und somit gegen

dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen ndash das rettende Wort seiner Selbsterschlieszligung das den Glauben wirkt der Gottes Heil ergreift hellip Wenn aber Israel durch die unmittelbare Begegnung mit Christus selbst das Evangelium vernimmt und zum rettenden Glauben an ihn kommt so bedeutet das Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben wie Paulus selbstldquo Ebenso THEOBALD Gottesbilder 172f

29 HOFIUS Evangelium 19830 Vgl THEOBALD Gottesbilder 172 31 Vgl FREDRIKSEN Contexts 35ndash39

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2165 02052016 213121

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 18: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

166 Hans-Ulrich Weidemann

die Aufhebung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden bdquonach dem Fleischldquo Juden und Heiden die zum Glauben an Christus kom-men und auf Jesus Christus getauft werden sind also bdquoeiner in Christusldquo und in dieser Hinsicht gibt es bdquoweder Jude noch Griecheldquo (Gal 328 vgl 56) Das bedeutet nicht dass Juden aufhoumlren Juden zu sein oder dass Nichtjuden zu Juden werden Paulus haumllt somit ndash anders als seine bdquoju-daistischenldquo Opponenten ndash die ethnische Differenzierung zwischen Is-rael und den bdquoVoumllkernldquo auch innerhalb der Ekklesia aufrecht32 Pablo T Gadenz spricht daher vom bdquooverlapldquo zwischen Israel und der Kirche aus Juden und Heiden33 und Michael Theobald hat gezeigt dass es Paulus im Roumlmerbrief um eine theologische Legitimierung seiner Missionsstra-tegie geht bdquodie auf die Einheit der Gemeinden aus Juden und Heiden abzieltldquo34 Dies wird nur dadurch verstaumlndlich dass die Juden innerhalb der Ekklesia eine theologisch unersetzliche Funktion haben garantieren sie doch die Kontinuitaumlt der Verheiszligungen Gottes an sein Volk

Es ist unbestritten dass die aus Juden und Nichtjuden zusammen-gesetzte Ekklesia von Antiochien die praumlgende Erfahrung des Apostels und eine entscheidende Triebfeder seiner Theologie darstellt Aller-dings verschleiert Lukas in Apg 1119ndash21 den bdquogemischtenldquo Charakter der antiochenischen Ekklesia35 der aber aus Gal 211ndash14 eindeutig her-vorgeht Dass es in Antiochien systematisch zum Bruch von Toragebo-ten gekommen waumlre ist ganz unwahrscheinlich auch von einem Bruch mit der Synagoge kann keine Rede sein zumal die meisten der antioche-nischen bdquoHeidenchristenldquo aus der Gruppe der Gottesfuumlrchtigen stam-men duumlrften Entscheidend war offenbar das bdquogemeinsame Essen unter den Nichtjudenldquo also die das Herrenmahl einschlieszligende Mahlgemein-schaft von Juden und Heiden offenbar (auch) in Haumlusern von Nichtju-den36 Von den anderen Formen juumldisch-nichtjuumldischer Interaktion in

32 FREDRIKSEN Contexts 36 bdquoPaulrsquos principled resistance to circumcising gentiles-in-Christ further precisely preserves the distinction kata sarka between Jews and the various other ethnic groups within the ekklecircsialdquo

33 Vgl Pablo T GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesi-ology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009 327 bdquoWithout the remnant there would be no sbquooverlaplsquo between Israel and the Churchldquo

34 Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000 289 35 Vgl dazu Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur

Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014 276ndash279 zum Folgenden ebd 282ndash287

36 Zu dieser Interpretation der paulinischen Wendung μετὰ τῶν ἐθνῶν συνεσθίειν (bdquomitten unter den Heiden zusammen essenldquo) vgl WEIDEMANN Taufe 285ndash287

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2166 02052016 213121

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 19: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

167Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Antiochien waren diese bdquochristlichenldquo Feiern dadurch unterschieden dass die nichtjuumldischen Teilnehmer nicht als Gaumlste sondern als voll-staumlndig bdquogleichberechtigtldquo ndash besser bdquogeheiligt in Christus Jesusldquo ndash an-gesehen wurden Diese Hintanstellung ethnischer Unterschiede bei den Mahlfeiern die programmatische Einbeziehung getaufter Nichtjuden in die eucharistische Tischgemeinschaft die Etablierung von gemeinsamen Mahlfeiern in Haumlusern getaufter Nichtjuden sowie die verbindende Ak-klamation Jesu als des Herrn gaben vermutlich auch den Anstoszlig zur ent-sprechenden Akzentuierung der Tauftheologie die sich dann in Tauf-formeln wie Gal 328 herauskristallisierte Dass damit allerdings auch die Bestreitung einer soteriologischen Funktion des Gesetzes vorbereitet wurde ist offensichtlich

7 Die Teilhabe an Christus

Wenn die paulinische Missionstaumltigkeit wie auch seine theologische Reflexion auf die bdquoEkklesia aus Juden und Heidenldquo abzielt dann stellt sich die Frage welches soteriologische Modell den ekklesiologischen und den christologischen Anliegen des Apostels entspricht Dabei stoumlszligt man auf unterschiedliche sprachliche Felder so kann Paulus z B von der bdquoRechtfertigung von Beschneidung und Vorhaut durch Glaubenldquo (vgl Roumlm 330) sprechen Das Wortfeld der Rechtfertigung tritt v a im Galater- und im Roumlmerbrief auf doch gibt es bei Paulus noch ein weiteres Wortfeld das in der aktuellen Paulusdiskussion im-mer mehr in den Vordergrund ruumlckt die Partizipation an Christus37 So formuliert der Apostel in der bereits genannten offenbar aus der Ekklesia von Antiochia stammenden Passage Gal 328 bdquoIhr seid einer [nicht eins] in Christus Jesusldquo und das bedeutet bdquoIn Christus Jesusldquo gibt es weder Jude noch Grieche nicht Sklave und Freier nicht Mann und Frau Analog dazu heiszligt es in 56 bdquoDenn in Christus Jesus hat we-der Beschneidung noch Vorhaut irgendeine Kraft sondern durch Liebe wirksamer Glaubeldquo bdquoIn Christusldquo bezeichnet also jene Sphaumlre in der die

37 Ausfuumlhrlich und aktuell dazu die Beitraumlge in Michael J THATEKevin J VANHOO-ZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2167 02052016 213121

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 20: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

168 Hans-Ulrich Weidemann

durch die Oppositionspaare in Gal 328 (vgl 56 und 1 Kor 719) ange-zeigte Wirklichkeit nicht mehr gilt

Hier haben wir ein in ganz unterschiedlichen Diskursen greifbares Anliegen des Apostels vor uns hier ist seine eigene Handschrift genau-er sind seine Anliegen und Einsichten die uumlber die konkrete Situation in Antiochien hinausgehen erkennbar Dabei ist der sprachliche Befund eindeutig Im Unterschied zur Rechtfertigungsthematik durchziehen die bdquoIn-Christusldquo-Formeln samt verwandter und komplementaumlrer Wen-dungen das gesamte Corpus Paulinum38 Auch wenn hier im Einzelfall andere Akzente gesetzt werden dass es sich dabei um bdquoa fundamental aspect of his thought and speechldquo handelt wird kaum zu bezweifeln sein39 Die In-Christus-Aussagen bilden also die christologische Sub-struktur der paulinischen Ekklesiologie Der Grundgedanke der Par-tizipation und des Seins bdquoin Christusldquo ermoumlglicht es dem Apostel die Einheit seiner Ekklesien auszusagen ohne gleichzeitig die bdquoethnischenldquo Differenzierungen aufheben zu muumlssen

Seit geraumer Zeit wird die grundlegende Bedeutung der Partizipa-tionsvorstellung fuumlr die paulinische Theologie insgesamt herausgear-beitet Allerdings waren die aumllteren Diskussionen noch von unsachge-maumlszligen Gegenuumlberstellungen gepraumlgt So wurden die entsprechenden Texte zu Beginn des 19 Jhs unter dem Schlagwort einer paulinischen bdquoMystikldquo verhandelt Doch wurde in den anschlieszligenden Debatten zu-nehmend erkannt dass diese Kategorie fuumlr eine praumlzise Beschreibung dieses Aspekts der paulinischen Theologie unbrauchbar ist40 Dass aber die gemeinte Sache keineswegs mit dem Begriff bdquoMystikldquo steht und

38 Vgl dazu die Darstellung des Befundes bei James D G DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCambridge 1998 396ndash401 (bdquoin Christusldquo bdquoim Herrnldquo) 401ndash404 (bdquomit Christusldquo) 404ndash405 (bdquoin Christus hineinldquo) Auszligerdem WOLTER Paulus 235ndash252

39 DUNN Paul 399 und weiter bdquoPaulrsquos perception of his whole life as Christian its source its identity and its responsibilities could be summed up in these phrasesldquo Auch laut WOLTER Paulus 235 handelt es sich bei dem Ausdruck bdquoin Christusldquo und seinen Aumlquivalenten bdquoum typisch paulinische Formulierungenldquo

40 Darstellung mit Literatur bei DUNN Paul 390ndash393 sowie ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 227ndash235 und 252ndash259 Aber schon Ernst KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980 212ndash215 zeigt dass diese Kategorie ungeeignet ist bdquoMystik ist zu vielschichtig als daszlig man unpraumlzisiert davon sprechen duumlrfteldquo (212) Dies gelte auch fuumlr jene Stellen in denen ἐν eindeutig lokalen Sinn habe (213)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2168 02052016 213121

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 21: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

169Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

faumlllt zeigt die Position von E P Sanders41 Laut Sanders ist der Kern-gedanke der partizipatorischen Soteriologie des Apostels nicht die ju-ridische Rechtfertigung des Suumlnders sondern das Sein in Christus die Partizipation Sanders brachte damit das Modell der Partizipation an Christus gegenuumlber einem einseitig rechtlich verstandenen Rechtfer-tigungsmodell in Stellung und auch diese Gegenuumlberstellung hat ihre Probleme auf die wir hier nicht weiter eingehen koumlnnen

In juumlngeren Veroumlffentlichungen wird daher zunehmend insistiert dass man das paulinische Partizipationsmodell nicht in kuumlnstlichen Gegensatz zu anderen soteriologischen Aussagen des Apostels bringen darf Ebenfalls einzuklammern ist die Frage ob die paulinischen Texte bdquomystische Erfahrungenldquo widerspiegeln Denn zwar ist anzunehmen dass mystisch-partizipative Erfahrungen auf Seiten des Apostels den diskursiven Partien seiner Briefe korrespondieren42 doch sind uns diese nicht mehr direkt zugaumlnglich Deswegen betont Michael Wolter dass die entsprechenden Aussagen in den paulinischen Briefen stets das Produkt (oder die Voraussetzung) theologischer Reflexion seien von Paulus aber nie mit bdquomystischenldquo Erfahrungen in Verbindung gebracht werden43 Genau dieser Umstand dokumentiert ja die theologische Relevanz der entsprechenden Aussagen mit denen Paulus bdquoeine existentielle Zuge-houmlrigkeit und Abhaumlngigkeit zum Ausdruck bringen will die enger und naumlher nicht gedacht werden kannldquo44

8 Die Partizipations-Christologie des Apostels

Laut J D G Dunn ist die Partizipationsvorstellung ndash im Unterschied zur Rechtfertigungslehre ndash bdquothe more natural extension of Paulrsquos christologyldquo45 Wenn diese Beobachtung zutrifft dann stellt sich die Fra-ge wer der Christus ist an dem und an dessen Schicksal die Glaubenden

41 SANDERS Paul 421ff u ouml dagegen WOLTER Paulus 252 42 So bemerkt DUNN Paul 400 dass bdquoan experience [] understood as that of the risen

and living Christldquo den Grund dieses Motivs bilde und nicht bdquomerely a belief about Christldquo

43 Vgl WOLTER Paulus 25644 WOLTER Paulus 24645 DUNN Paul 390

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2169 02052016 213121

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 22: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

170 Hans-Ulrich Weidemann

und Getauften partizipieren Wenn also das Thema der Teilhabe und Anteilgabe zentral fuumlr die paulinische Soteriologie ist dann ist zu erwar-ten dass die paulinische Christologie entsprechend akzentuiert ist46

81 Christologie und Christuskult (bdquoChrist devotionldquo)

Zunaumlchst ist unbestreitbar dass der Apostel eine bdquohohe Christologieldquo vertritt auch wenn diese in den uns erhaltenen Briefen eher vorausge-setzt und in den Dienst der jeweiligen Argumentation gestellt als eigen-staumlndig entfaltet ist Dies zeigen nicht nur Gottespraumldikate wie bdquoHerr der Herrlichkeitldquo die Paulus auf Jesus Christus uumlbertraumlgt (1 Kor 28) sondern schon die Tatsache dass die Geschichte Jesu Christi nicht mit der des sog bdquoirdischen Jesus ndash in paulinischer Terminologie des Chris-tus bdquonach dem Fleischldquo ndash identisch ist sondern eine bdquoVorgeschichteldquo naumlmlich die Praumlexistenz Christi hat dass sie auf das gegenwaumlrtige Wir-ken des Auferstandenen und bdquozur Rechten Gottesldquo Erhoumlhten abzielt und dass sie auf dessen Parusie ausgerichtet ist Die Christologie des Apostels besitzt eine narrative Grundstruktur weswegen in der Pau-lusexegese diverse Versuche unternommen wurden die ndash natuumlrlich zahlreicheren und ungleich komplexeren ndash christologischen Aussagen der Paulusbriefe thematisch zu ordnen Diese Versuche ergeben eine chronologisch strukturierte bdquostoryldquo deren Grundkenntnis der Apostel offenbar bei seinen Empfaumlngern voraussetzen kann Man kann sagen dass sich diese bdquostoryldquo zwischen der Praumlexistenz und der Parusie Christi abspielt47 Zweifellos vertritt der Apostel eine hohe Praumlexistenzchristo-logie in deren weisheitlichen Bahnen Christus zudem als Schoumlpfungs-mittler bzw Mitschoumlpfer praumldiziert wird48 Der praumlexistente Christus ist

46 Auf den Zusammenhang von Partizipationstheologie und (hoher) Christologie weist auch Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael J THATEKevin J VANHOOZERConstantine R CAMPBELL (Hrsg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participa-tion (WUNT II384) Tuumlbingen 2014 87ndash102 88 hin bdquohis theology of participation requires a Christology that is neither purely functional nor adoptionistldquo

47 Fuumlr den Roumlmerbrief entwirft THEOBALD Roumlmerbrief 169ndash185 bdquoAspekte und Sta-tionen des Jesus-Wegsldquo naumlmlich 1 Praumlexistenz 2 Der irdische Jesus (v a in seiner Einbindung in die Verheiszligungsgeschichte Israels aufgrund seines Jude-Seins) 3 Tod und Auferweckung Jesu 4 Die Inthronisation Jesu Jesus als Herr 5 Jesus ndash Retter im Gericht

48 Vgl dazu die Darstellung bei DUNN Paul 266ndash293 THEOBALD Roumlmerbrief 169f

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2170 02052016 213122

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 23: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

171Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

beispielsweise bei der Wuumlstenwanderung bdquounserer Vaumlterldquo praumlsent und spendet als bdquomitwandernder Felsenldquo der Exodusgeneration bdquopneuma-erfuumlllten Trankldquo (1 Kor 104) Dass das bdquoKommen des Retters vom Zionldquo (vgl Roumlm 1126) den Fluchtpunkt der Christologie des Apostels bildet ist ebenfalls unbestreitbar49 Sie teilt er ebenso mit anderen fruumlhchristli-chen Zeugen wie die Deutung des Ostergeschehens als Erhoumlhung bdquozur Rechten Gottesldquo

Die so skizzierte bdquoHochchristologieldquo des Apostels setzt die in sei-nen Ekklesien praktizierte und auch von ihm selbst vollzogene bdquoChrist devotionldquo voraus sie reflektiert und legitimiert diese Mit diesem und aumlhnlichen Begriffen hat Larry W Hurtado die Erforschung der fruumlhen Christologie ndash und damit auch der des Paulus ndash in eine neue Richtung gewiesen50 Denn Hurtado richtet den Fokus auf die den Bekenntnissen vorausliegenden oder ihnen parallel laufenden kultischen und devotio-nalen Praktiken Damit meint er bdquoa cluster of phenomena in which Jesusrsquo name itself is treated as powerful and efficacious in various waysldquo naumlm-lich beispielsweise die Taufe bdquoim Namen Jesuldquo (oumlffentliche) Heilungen und Exorzismen bdquoim Namen Jesuldquo vor allem aber die Akklamation Jesu als Kyrios (1 Kor 123 Phil 210f) den an Jesus gerichteten gottesdienst-lichen maranathaacute-Ruf (1 Kor 1622) aber auch das Gebet zu Jesus (2 Kor 128)51 Hurtado betont bdquothe regularized place of Jesus in such prayers is without parallel in Jewish groupsldquo52 Im Unterschied zu anderen in den Himmel erhobenen Gestalten wie Henoch oder Elijah wird vom Kyrios Jesus in den Bahnen von Ps 1101 eine einzigartige Stellung bdquozur Rech-ten Gottesldquo ausgesagt und damit seine gottesdienstliche Verehrung und seine Einbeziehung in die Anbetung des einen Gottes Israels reflektiert

zeigt dass die Praumlexistenzvorstellung im Hintergrund von Phil 26ndash9 2 Kor 89 1 Kor 104 sowie der Sendungstexte Gal 44 und Roumlm 83 auszligerdem von Roumlm 13 und 832 steht auch wenn sie kein eigenstaumlndiges Thema der paulinischen Reflexion darstellt

49 Dazu DUNN Paul 294ndash315 In der Parusie ist die bdquoHoffnungldquo der Glaubenden be-gruumlndet vgl dazu ausfuumlhrlich WOLTER Paulus 182ndash226

50 Ausfuumlhrlich dazu Larry W HURTADO One God One Lord Early Christian De-votion and Ancient Jewish Monotheism London 1988 DERS Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005 DERS How on Earth Did Jesus Become a God Historical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005 Ders Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

51 Vgl HURTADO Lord 200ndash20652 HURTADO One God 107

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2171 02052016 213122

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 24: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

172 Hans-Ulrich Weidemann

und legitimiert Seit Hurtado wird zudem die spezifisch juumldische Kontur dieser bdquoChrist Devotionldquo herausgearbeitet die zweifellos auf die Jeru-salemer bdquoUrgemeindeldquo aus christusglaubenden Juden zuruumlckgeht53

Bemerkenswert ist dass die Christologie nirgendwo bdquoas a point of dif-ference between Paul and Jerusalemldquo genannt wird54 Nirgendwo deutet Paulus an dass es in christologischer Hinsicht einen Dissens zwischen ihm und den anderen Osterzeugen naumlmlich Petrus und dem Herren-bruder Jakobus gegeben habe (vgl dazu Gal 118 mit 1 Kor 153ndash5) Dies ist umso bemerkenswerter als die beiden Letzteren im Unterschied zu Paulus den irdischen Jesus noch persoumlnlich kannten

82 Christus und der Geist

Paulus setzt innerhalb der so strukturierten hohen Christologie nun aber mittels der Partizipationsvorstellung einen ganz eigenen Akzent Dies zeigt sich auch daran dass dieser Gedanke in den von der For-schung als bdquovorpaulinischldquo identifizierten (und im Einzelfall natuumlrlich umstrittenen) Formeln und Wendungen55 kaum oder gar nicht ausge-praumlgt ist

Dafuumlr aktiviert Paulus insbesondere die Pneumatologie Der Apostel begreift ndash wie andere urchristliche Zeugen auch ndash die Auferweckung Jesu als Werk des Geistes Gottes56 Doch geht er einen entscheidenden Schritt weiter indem er formuliert dass durch die Auferstehung bdquoder letzte Adam zu einem lebendig machenden Geistldquo wurde (1 Kor 1545) Zunaumlchst Da bdquoder Geist lebendig machtldquo (2 Kor 36 vgl Gal 68) wird der Auferstandene hier als Lebensspender praumldiziert und bdquodem ersten Adamldquo gegenuumlbergestellt Ein wichtiges Element der genannten Partizi-pation an Christus ist demnach die von M Wolter so genannte bdquoprototy-pische Inklusivitaumltldquo57 Wie Adam ist Christus fuumlr alle Menschen schick-

53 Darauf deutet der aramaumlische an den erhoumlhten Christus gerichtete Ruf maranathaacute hin

54 So William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy G STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006 7ndash89 42f

55 Exemplarisch 1 Kor 153ndash5 Phil 26ndash11 Roumlm 13f 56 Vgl Roumlm 14 1 Kor 1545 Roumlm 811 sowie 1 Tim 316 1 Petr 31857 WOLTER Paulus 237 zu 1 Kor 1522 und 2 Kor 134 und weiter bdquoDas Geschick

eines Fruumlheren bestimmt das Geschick der mit ihm verbundenen Spaumlterenldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2172 02052016 213122

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 25: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

173Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

salsbestimmend Wie die Folgen von Adams Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit betreffen so betreffen auch die Folgen von Christi Tat universal die ganze bdquoadamitischeldquo Menschheit Anders for-muliert So wie die bdquoparticipation in Adamldquo direkte Konsequenzen hatte (naumlmlich ein Leben in Tod und Suumlnde) so auch die bdquoparticipation in Christldquo Letztere bedeute bdquochange of Lordshipldquo aber auch bdquoparticipation in his deathldquo58

Aber mehr noch Der auferstandene Christus wurde (egeacuteneto) lebendig machender Geist J D G Dunn bemerkt dazu dass Paulus den Aufer-standenen hier bdquoas in some sense taking over the role or even somehow becoming identified with the life-giving Spirit of Godldquo charakterisiert59 und weiter bdquoChrist is experienced in and through even as the life-giv-ing Spiritldquo60 Diese Bindung der Pneumatologie an die Christologie ist offensichtlich bdquoein entscheidendes Merkmal und vielleicht sogar eine urspruumlngliche Einsicht paulinischer Theologieldquo61 Die christologische Akzentuierung der Pneumatologie ist ebenso wie die pneumatologische Akzentuierung der Christologie demnach das eigentliche Anliegen des Apostels

Dies wird v a in Roumlm 8 deutlich In Roumlm 81 heiszligt es emphatisch bdquoAlso keine Verdammnis fuumlr die die in Christus Jesus sindldquo Zugehouml-rigkeit zu Christus und der Besitz seines Geistes gehoumlren fuumlr Paulus zu-sammen daher spricht er kurz darauf seine Adressaten als solche an die bdquoim Geist sindldquo weil bdquoGottes Geist in euch wohntldquo (88) Damit aber bdquowohnt der Geist dessen der Jesus von den Toten erweckt hat in euchldquo (811) was wiederum die kuumlnftige Lebendigmachung bdquoeurer sterblichen Leiberldquo verbuumlrgt Im selben Atemzug kann Paulus aber auch formulie-ren dass bdquoChristus in euchldquo ist (810) bdquoMit dem Geist Gottes ist Jesus Christus der Auferstandene und Erhoumlhte in denen praumlsent die an ihn glauben und auf ihn getauft sindldquo62

58 DUNN Paul 410f59 DUNN Paul 262 Dazu verweist Dunn auf Gen 27 Hiob 334 Ps 10429ndash30 Ez

379ndash10 sowie Roumlm 811 2 Kor 36 und Roumlm 82 Ebd 264 bdquohellip so far as giving life is concerned Christ is not conceived of as working separately from the Spiritldquo

60 DUNN Paul 264 61 KAumlSEMANN An die Roumlmer 213 Daher sei das Sein im Geist vom Sein in Christus

aus zu interpretieren nicht umgekehrt (214) 62 WOLTER Paulus 169f Ebd 171 Als bdquoGeist Christildquo laumlsst der Geist nach paulini-

scher Vorstellung Christus in den Glaubenden anwesend sein als Geber des Geistes belaumlsst er jedoch Gott in seiner Transzendenz

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2173 02052016 213122

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 26: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

174 Hans-Ulrich Weidemann

Hier laumlsst sich auch erkennen dass und wie Paulus seine hohe Chris-tologie unter Aufnahme der biblischen Vorgaben des juumldischen Mo-notheismus (und keineswegs jenseits davon) konzipiert hat Im Unter-schied zur spaumlteren altkirchlich-heidenchristlichen Lehrentwicklung mit ihrer philosophischen Terminologie (bdquoWesenldquo bdquoPersonldquo bdquoNaturldquo) steht Paulus primaumlr der Text seiner Heiligen Schrift vor Augen dort findet er den praumlexistenten Christus in der Septuagintafassung von Gen 12 (vgl 81) angedeutet wo bdquoim Anfangldquo der Schoumlpfung von Gott und vom Geist (pneuacutema) Gottes die Rede ist Deswegen kann der Apostel sagen dass bdquoallesldquo (tagrave paacutenta) bdquoaus ihmldquo naumlmlich aus dem einen Gott dem Vater und zugleich bdquodurch ihnldquo naumlmlich durch den einen Kyrios Jesus Chris-tus ist (1 Kor 86) Vielleicht kann man von einem bdquopneumatologisch transformierten Monotheismusldquo sprechen was aber im Kontext antik-juumldischer Pneumatologien sowie der juumldischen Auslegungsgeschichte von Gen 11ndash3 (va bei Philo von Alexandrien) weiter zu diskutierten waumlre Der Mensch Jesus ist fuumlr Paulus nicht nur der juumldische Messias (Roumlm 95) sondern der gesandte bdquoSohnldquo des Vaters (Gal 44) und der universale Kyrios (Phil 211) Indem er ihn mit dem schoumlpferischen und lebensschaffenden Geist Gottes identifizierte uumlberschritt er zweifellos die Grenze dessen was fuumlr viele andere Juden akzeptabel war dies liegt aber in der Konsequenz seines bdquoDamaskuserlebnissesldquo

Hinzu kommt dass Paulus dem Auferstandenen eine pneumatolo-gisch qualifizierte bdquoLeiblichkeitldquo zuspricht63 Weil der Auferstandene zum Leben spendenden pneuma geworden ist (1 Kor 1545) werden die Glaubenden bei der Totenauferstehung in ein bdquohimmlisches somaldquo (1540) bzw ein bdquopneumatisches somaldquo (1544) verwandelt Das impli-ziert dass Christus selbst ein so qualifiziertes soma hat ndash laut Phil 321 das bdquosoma seiner Herrlichkeitldquo Diesen pneumatologisch transformier-ten soma-Begriff setzt Paulus nun ein um die Partizipation die Teil-habe an Christus aussagen zu koumlnnen So gewaumlhrt der auferstandene Jesus Christus in der Eucharistie koinoniacutea (communio) mit seinem Leib (1 Kor 1016) waumlhrend der praumlexistente Christus der Exodusgeneration bdquopneumatische Speise und Trankldquo d h Speise und Trank die pneuma enthalten und uumlbereignen gewaumlhrte (vgl 1 Kor 1016 mit 103f) Und laut 1 Kor 1213 sind bdquowir alle durch ein () pneuma in ein () soma ge-tauft wordenldquo alle getauften Christusglaumlubigen ndash seien sie Juden seien

63 Zur Frage nach der Substanzhaftigkeit des Geistes vgl WOLTER Paulus 159ndash164

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2174 02052016 213122

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 27: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

175Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sie Griechen ndash bilden also einen bdquoLeibldquo in Christus zumal sie bdquoein () pneumaldquo mit dem Herrn sind (617)

83 Und der irdische Jesus

Ernst Kaumlsemann hat beobachtet dass der Formel bdquoin Christusldquo eine andere Formel parallel laumluft naumlmlich bdquoim Herrnldquo ndash und nicht ein bdquoin Jesusldquo das sich auf die Gemeinschaft mit dem Irdischen bezieht bdquoMan wird also durch den Gekreuzigten und Auferstandenen bestimmt wenn man in Christus istldquo64 Diese Beobachtung ist wichtig fuumlr das Ver-staumlndnis der paulinischen Partizipationschristologie Doch was ist dann mit dem Christus bdquonach dem Fleischldquo

Paulus spricht in Roumlm 13f Roumlm 95 sowie fuumlr 2 Kor 516 vom bdquoFleischldquo Jesu um seine menschliche Abstammung im Sinne der fami-liaumlr-davidischen und ethnisch-juumldischen Herkunft zu bezeichnen Diese Rede vom bdquoFleischldquo Christi im Hinblick auf seine Menschlichkeit und Sterblichkeit ist traditionell urchristlich65 Roumlm 83 dokumentiert aber dass Paulus das bdquoFleischldquo Jesu nochmals in einem eigenen Sinne ver-steht Denn laut diesem Text sandte Gott seinen Sohn bdquoin die Gleichge-stalt des von der Suumlnde beherrschten Fleischesldquo und als Suumlndopfer um am Fleisch die Suumlnde zu verurteilen Ausgehend von Roumlm 83 kann man also sagen dass sich nach Paulus im sog irdischen Jesus ndash im Christus katagrave saacuterka ndash das bdquoGeschehen goumlttlicher Identifikation mit dem suumlndi-gen und deshalb dem Tod verfallenen Menschenldquo vollzieht66 Dieses von Seiten Gottes initiierte Identifikationsgeschehen liegt damit der oben skizzierten Partizipation der Glaubenden am gekreuzigten und aufer-standenen Christus voraus und zugrunde

64 KAumlSEMANN An die Roumlmer 21365 Vgl dazu 1 Tim 316 sowie Hebr 214 57 1020 In den johanneischen Schriften

1 Joh 42 2 Joh 7 sowie Joh 114 66 Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis

der Auferstehung in 1 Kor 15 in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbin-gen 2008 102ndash114 108 und weiter bdquoIn diesem Geschehen hat Christus der Sohn Gottes sich selbst unloumlslich mit diesem Menschen und eben damit diesen Menschen unloumlslich mit sich selbst verbunden Ja er ist mit diesem Menschen ganz und gar eins geworden Deshalb ist der Tod Christi als solcher der Tod des Suumlnders und die Auf-erstehung Christi als solche die Herauffuumlhrung des neuen Menschen dem durch die Befreiung von Suumlnde und Tod die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott geschenkt und damit auch der Zugang zum ewigen Leben eroumlffnet istldquo

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2175 02052016 213122

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 28: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

176 Hans-Ulrich Weidemann

Bemerkenswert ist aber die juumldisch-messianologische Kontur die Pau-lus im Roumlmerbrief der Christologie verleiht67 Hier arbeitet der Apostel die davidische Herkunft Jesu (Roumlm 13) heraus und bezieht den in Jes 1110 genannten bdquoWurzelschoumlszligling Isaisldquo auf Jesus (1512) In 95 betont Paulus die Herkunft bdquodes Christus dem Fleische nachldquo aus Israel und nennt ihn in 158 gar bdquoDiener der Beschneidungldquo Anders als in 1 Thess 19f spricht Paulus in Roumlm 1126 schlieszliglich von der Parusie Christi als bdquoKommen des Retters vom Zionldquo der abwenden wird bdquodie Gottlosigkei-ten von Jakobldquo der sich also insbesondere dem nicht an Christus glau-benden Israel zuwenden wird

Dieser Akzentuierung des Judeseins Jesu korrespondiert gerade im Roumlmerbrief die Herausstellung der bleibenden juumldischen Identitaumlt des Heidenapostels

9 Die Kreuzestheologie

91 Kreuz und Partizipation

Doch waumlre die paulinische Partizipations-Soteriologie ohne ihre grund-legende Verbindung zur sog Kreuzestheologie noch unterbestimmt Denn auch hier setzt der Apostel mit dem Partizipationsgedanken sei-nen entscheidenden Akzent ndash auch im Vergleich mit anderen fruumlh-christlichen kreuzestheologischen Entwuumlrfen68

Es ist bemerkenswert dass Paulus insbesondere von Christus als dem Gekreuzigten im Hinblick auf die Partizipation der Glaubenden spricht Die geradezu klassisch gewordene Formulierung findet sich in Gal 219f

Ich bin mit Christus gekreuzigt (Χριστῷ συνεσταύρωμαι)Und nicht mehr ich lebesondern Christus lebt in mir

67 Dazu Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davids hellipldquo (Roumlm 13) Wand-lungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

68 Vgl dazu umfassend Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheolo-gie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2176 02052016 213122

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 29: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

177Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Aus dem Kontext wird deutlich dass es keineswegs um individuelle Erfahrung mystischen Einsseins mit Christus geht Denn Paulus sagt hier dass auch bdquowir die wir von Natur aus Juden und nicht Suumlnder aus den Heidenldquo sind (Gal 215) von Gott gerecht gemacht wurden aus Glauben an Christus und nicht aus Gesetzeswerken (216) Damit sind bdquoauch wirldquo Juden gerechtfertigte Suumlnder (217) Die genannte Aussage steht also in einem eindeutigen Kontext Das bdquoIchldquo das hier spricht ist bdquodurch das Gesetz dem Gesetz gestorben damit ich fuumlr Gott lebeldquo (219) Der folgende oben zitierte Satz verdeutlicht dann wo und wann sich dieses Sterben das das bdquoIchldquo hinter sich hat vollzogen hat naumlmlich am Kreuz Christi

Denselben Gedanken formuliert Paulus in 2 Kor 514 nun aller-dings in der Begrifflichkeit der bdquoVersoumlhnungldquo und im Plural bdquoWir sind zu dem Urteil gekommen Einer starb fuumlr alle ndash folglich star-ben alle Und fuumlr alle starb er damit die Lebenden nicht mehr fuumlr sich selbst leben sondern fuumlr den der fuumlr sie starb und auferweckt wurdeldquo

Ein weiterer Schluumlsselsatz faumlllt in Roumlm 66 bdquoUnser alter Mensch wurde mitgekreuzigt damit der der Suumlnde unterworfene Leib vernich-tet wuumlrdeldquo Deswegen werden die Glaubenden laut Paulus bdquoauf seinen Tod getauftldquo wenn sie im Namen Jesu Christi die Taufe empfangen und sind deswegen bdquomit Christus begraben durch die Taufe auf sei-nen Todldquo Die Taufe als leiblicher Vorgang bezieht den Leib des Glau-benden in das Geschehen von Golgotha ein Jesus Christus stirbt am Kreuz aber da er vom Vater bdquoin die Gleichgestalt des von der Suumlnde beherrschten Fleisches gesandtldquo wurde (Roumlm 83) und mit der von Adam herkommenden Menschheit also den der Suumlnde unterworfe-nen Leib teilt wird durch seinen bdquofuumlr unsldquo erlittenen Tod bdquounser alter Menschldquo vernichtet und mit seiner Auferstehung der neue Mensch her-aufgefuumlhrt ein Vorgang den Paulus nur als Neuschoumlpfung begreifen kann

Mit J D G Dunn wird man also sagen dass die Kategorie der bdquoStell-vertretungldquo (substitution) fuumlr die Erfassung des paulinischen Verstaumlnd-nisses des Todes Jesu nicht ausreicht bdquoIt is rather that Christrsquos sharing their death makes it possible for them to share his deathldquo Im Unter-schied zum Gedanken der Stellvertretung sind laut Dunn die Konzepte der bdquoRepraumlsentationldquo und der bdquoPartizipationldquo zentral fuumlr die paulini-sche Soteriologie denn diese ndash im Gegensatz zu jenem ndash bdquohelp convey

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2177 02052016 213122

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 30: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

178 Hans-Ulrich Weidemann

the sense of a continuing identification with Christ in through and beyond his death which hellip is fundamental to Paulrsquos soteriologyldquo69

92 Der bdquoBedeutungsuumlberschussldquo des Kreuzes Jesu

Nicht zuletzt im Blick auf den Koran ist festzuhalten Fuumlr Paulus ist der Kreuzestod Jesu zweifellos ein bdquohistorischesldquo Datum Wenn Paulus davon spricht dass bdquoder Herr der Herrlichkeitldquo von den Archonten dieses Aumlons gekreuzigt wurde (1 Kor 28)70 dann entspricht das faktisch der Bemerkung des Tacitus der Jesu Tod mit der Herrschaft des Tiberius und des Pilatus verbindet bdquoChristus Tibero imperitante per procurato-rem Pontium Pilatum supplicio adfectus eratldquo (Annales 1544)71 Zugleich ist deutlich dass Paulus die immense Spannung dass gerade der Herr der Herrlichkeit () gekreuzigt () wurde nicht aufloumlst Die genannten soteriologischen Aussagen setzen vielmehr voraus dass Gott selbst im Kreuzestod seines Sohnes bdquoam Werkldquo ist bdquoGott war in Christus und ver-soumlhnte die Welt mit sichldquo (2 Kor 519) bdquoChristi Tod ist nicht nur die Ermoumlglichung der Versoumlhnung mit Gott sondern er ist als das Werk des Deus in Christo der Vollzug dieser Versoumlhnungldquo72

Mit anderen hat Michael Wolter in juumlngerer Zeit herausgestellt dass bdquodie Rede vom Kreuz Jesu bei Paulus eine deutlichen Bedeutungsuumlber-schuss aufweist und dass es einen Unterschied macht ob Paulus einfach nur vom Tod Jesu spricht oder ob er in den Vordergrund stellt dass dieser Tod ein Kreuzestod warldquo73 Dies gilt insbesondere fuumlr die beiden Korintherbriefe und den Galaterbrief

Um zu rekonstruieren worin dieser bdquoBedeutungsuumlberschussldquo besteht ist es noumltig sich die Kreuzigung als roumlmische Todesstrafe zu vergegenwaumlr-tigen Wie jede Strafe ist auch die Kreuzigung eine Form der Kommuni-

69 DUNN Paul 223 70 Die in der Literatur diskutierte Frage ob damit bdquoweltliche Herrscherldquo oder daumlmoni-

sche Maumlchte gemeint sind macht eine falsche Alternative auf71 Auch JOSEPHUS Antiquitates 1863f nennt Pilatus im Zusammenhang des Kreu-

zestodes Jesu auszligerdem erwaumlhnt er eine Anzeige bdquoder ersten Maumlnner bei unsldquo (καὶ αὐτὸν ἐνδείξει τῶν πρώτων ἀνδρῶν παρ᾽ ἡμῖν σταυρῷ ἐπιτετιμηκότος Πιλάτου)

72 Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2 Kor 519a in DERS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143 142f

73 WOLTER Paulus 117

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2178 02052016 213123

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 31: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

179Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

kation von Macht74 Die Kreuzigung ist zunaumlchst eine oumlffentliche Form der Hinrichtung Dass Kreuzigungen unter freiem Himmel stattfinden ist selbstverstaumlndlich vor allem aber werden gerne exponierte Orte aus-gewaumlhlt so dass die Gekreuzigten bdquoweithin sichtbarldquo sind75

Der Ver-Oumlffentlichung korrespondiert die Verlaumlngerung des Sterbe-prozesses Seneca spricht daher davon dass der Mensch am Kreuz un-ter Todesmartern langsam dahinschwinde Glied fuumlr Glied umkomme und sein Leben tropfenweise verliere Gerade dieses Hinauszoumlgern des Todes die extreme Verlaumlngerung des Sterbens ist fuumlr ihn der eigentli-che Skandal der Kreuzigung (Ep 101) Eben dies scheint die Kreuzi-gung gegenuumlber anderen Kapitalstrafen ndash das roumlmische Strafrecht kennt Enthauptung Tierhatz Saumlcken Verbrennen Volksfesthinrichtungen Felssturz fuumlr den juumldischen Bereich waumlre die Steinigung hinzuzuneh-men ndash unterschieden zu haben Doch kommt noch ein Drittes hinzu

74 Damit nehme ich einen Blickwinkel ein wie ihn insbesondere Michel Foucault in seinem Grundlagenwerk bdquoUumlberwachen und strafenldquo (surveiller et punir 1975) ent-wickelt hat obwohl dieser in seine Darstellung der Todesstrafe in der Neuzeit die Kreuzigung natuumlrlich nicht miteinbezieht Vgl dazu Michel FOUCAULT Uumlberwa-chen und strafen in Die Hauptwerke Frankfurt Main 2008 701ndash1019 735

75 So ARTEMIDOR Traumbuch II 53 Die Uumlberlebenden des Spartakusaufstandes wer-den bdquoentlang der ganzen Straszlige von Rom nach Capua gekreuzigtldquo (APPIAN I 120) Cicero berichtet dass das Kreuz des roumlmischen Buumlrgers Gavius bdquonach Sitte und Ge-wohnheit der Mamertiner hinter der Stadt an der Via Pompeia errichtet wurdeldquo noch dazu zur Meerenge hin (In Verrem 66 = 169) als bdquoam Eingang Siziliens (vesti-bulo Siciliae) an einer Stelle wo alle hin und zuruumlck vorbeifahren musstenldquo (170) Curtius Rufus berichtet dass Alexander der Groszlige 2000 Kriegsgefangene bdquouumlber eine weiter Strecke an der Kuumlsteldquo kreuzigen lieszlig und damit ein triste spectaculum insze-nierte (Geschichte Alexanders des Groszligen 4417) Und der juumldische Historiker Fla-vius Josephus berichtet aus dem juumldischen Krieg dass der roumlmische Feldherr Titus juumldische Kriegsgefangene bdquogegenuumlber der Stadtmauerldquo kreuzigen laumlsst damit bdquoder Anblick (τὴν ὄψιν)ldquo die Belagerten zur Aufgabe bewege (Bellum V 450f) Auch Spar-tacus laumlsst einen roumlmischen Gefangenen bdquoin der Mitte zwischen den beiden Heerenldquo kreuzigen um seinen eigenen Maumlnnern durch diesen Anblick zu zeigen (δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν) welches Schicksal im Falle einer Niederlage droht (Appian I 119) Ps-Quintilian bringt es auf den Punkt bdquoWann immer wir Verbrecher kreuzi-gen werden die belebtesten Straszligen ausgewaumlhlt wo die meisten Menschen zusehen und davon bewegt werden koumlnnenldquo (Declamationes 274 13) Ausfuumlhrlich zu diesen und den anderen antiken Quellen zur roumlmischen Kreuzigung vgl Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977 David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Cruci fixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008 Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2179 02052016 213123

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 32: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

180 Hans-Ulrich Weidemann

Der Delinquent wird nicht bdquovon auszligenldquo zu Tode gebracht (durch Beil Tier Feuer Wasser Rute etc) er stirbt sozusagen bdquovon selbstldquo und die-ses Sterben spielt sich vor aller Augen in maximaler Entehrung ab Der Tod selbst ist relativ bdquounspektakulaumlrldquo (durch Ersticken) daher liegt die Befriedigung fuumlr die zuschauende Menge beim Akt des Aufhaumlngens und dem darauf folgenden (langen) Todeskampf Dieses Fehlen des Henkers der Wegfall einer bdquoEinwirkung des Scharfrichters auf den Koumlrper des Delinquentenldquo ist bemerkenswert Denn damit entfallen bdquoHerausfor-derung und Zweikampfldquo bei der Hinrichtung76 Die Kreuzigung ist also jene Form der Hinrichtung die am allerwenigsten an eine Kampfszene erinnert Hier triumphiert die entfesselte Macht des Staates der Gekreu-zigte ist auf dem Nullpunkt eigener Macht angekommen er setzt seinem Tod nicht einmal den Widerstand seines eigenen Koumlrpers entgegen Eben deswegen bedeutet der Kreuzestod die maximale Entehrung und (da-mit) Entmaumlnnlichung Durch die Art und Weise der Hinrichtung wird dem Delinquenten jede () Moumlglichkeit eines ehrbaren Todes genom-men Am Koumlrper des Gekreuzigten wird der vollstaumlndige Triumph des Imperiums sichtbar

Auf diesem Hintergrund wird verstaumlndlich warum Paulus den Kreu-zestod Jesu als bdquoZunichtemachung der Weisheit der Weltldquo versteht Wenn Gott selbst im entehrenden Kreuzestod seines Sohnes aktiv ist dann werden die Maszligstaumlbe der bdquoWeltldquo konsequent als Maszligstaumlbe der Welt qualifiziert die nichts mit denjenigen Gottes zu tun haben ja die-sen sogar entgegenstehen koumlnnen Als mit Gottes Kraft erfuumlllte und daher zur Rettung wirksame Verkuumlndigung von Jesus Christus ist das Evangelium fuumlr Paulus dezidiert bdquoWort vom Kreuzldquo (1 Kor 118) weil der Apostel Christus als Gekreuzigten verkuumlndigt (123) Im Evange-lium wird also bdquozur Rettung wirksamldquo verkuumlndigt dass und wie Gott den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis gemacht hat77 indem er in ihm gehandelt hat Eben weil Gott im Kreuz seines Sohnes gehandelt hat werden die in der umgebenden Mehrheitsgesellschaft geltenden Maszligstaumlbe von dem was bdquoweise und klugldquo (119) was bdquoweise maumlchtig edelldquo (126) was bdquostark und geehrtldquo ist (127) auf den Kopf gestellt Indem er das in den Augen der Welt Toumlrichte Schwache und Ehrlose

76 FOUCAULT Uumlberwachen 75477 In Anlehnung an WOLTER Paulus 121

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2180 02052016 213123

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 33: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

181Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

erwaumlhlt macht Gott die Weisen Starken und Ehrbaren zuschanden Am Kreuzestod seines Sohnes wird daher sichtbar dass Gott das was ist vernichtet und das was nichts ist erwaumlhlt (vgl 1 Kor 128) Paulus greift also genau die beiden Aspekte auf die die Kreuzesstrafe im roumlmi-schen Imperium von Seiten der Staatsmacht an die Untertanen kom-munizieren soll ndash die voumlllige Entehrung und die vollstaumlndige Vernich-tung der Feinde des Imperiums ndash und schlieszligt daraus auf das Handeln Gottes in Gericht (bdquoVernichtungldquo) und Heil (bdquoNeue Schoumlpfungldquo)

Hinzu kommt ein Zweites Wie andere juumldische Autoritaumlten seiner Zeit auch bezieht Paulus die urspruumlnglich auf das postmortale Aufhaumln-gen von Getoumlteten bezogene Vorschrift Dtn 2122f auf die Kreuzigung78 Damit ist laut Dtn 2122f in der Lektuumlre des Paulus und anderer Juden seiner Zeit ein Gekreuzigter bdquovon Gott verfluchtldquo Die grundlegende Erkenntnis des Apostels besteht nun gerade nicht darin im Falle Jesu eine Ausnahme von der Geltung von Dtn 2122f zu machen Stattdessen wendet der Apostel die Passage aus der Tora radikal auf den gekreuzig-ten Jesus an ndash jedoch unter dem Vorzeichen des pro nobis Am Kreuz laumlsst Gott seinen Sohn unter dem Fluch des Gesetzes sterben seinen Sohn der aber bdquouns zugute () zum Fluch d h zum Verfluchten gewor-denldquo ist (Gal 313) Mit dem Kreuzestod des bdquovon einer (juumldischen) Frau unter dem Gesetz geborenenldquo Sohnes Gottes (vgl Gal 44) werden die die unter dem Gesetz waren losgekauft und empfangen die Sohnschaft

Doch verleiht der Apostel seiner Partizipations-Christologie im eige-nen Fall noch eine dritte eine biografische Dimension die sich ihm ver-mutlich in den Kontroversen um sein Apostelamt in Korinth erschlossen hat Dort hatte man offenbar im Blick auf seine chronische Krankheit (2 Kor 127ndash9) seinen mit bdquoehrlosen Narbenldquo uumlbersaumlten Koumlrper (2 Kor 1124f Gal 617) seine mangelhaften rhetorischen Faumlhigkeiten (2 Kor 116) sowie seine offensichtliche Unterlegenheit gegenuumlber den bdquoUumlber-apostelnldquo (2 Kor 115) vorgeworfen bdquoseine leibhaftige Anwesenheit ist schwach (d h ehrlos) und seine Rede veraumlchtlichldquo (2 Kor 1010) In Re-aktion darauf inszeniert sich Paulus mittels seiner Briefe als Epiphanie des Gekreuzigten Denn laut Paulus besteht die Teilhabe an Christus (auch) in der koumlrperlichen Angleichung an Jesus ndash naumlmlich an den Gekreuzigten und Auferstandenen Die bdquoErkenntnis Christi Jesu als meines Herrnldquo (Phil 38) hat also ndash in gewisser Analogie zur Herkunft aus dem Volk

78 Dazu DUNN Paul 225ndash227

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2181 02052016 213123

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 34: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

182 Hans-Ulrich Weidemann

Israel ndash leibhaftige Konsequenzen laut Phil 310 naumlmlich die bdquoTeilhabe an seinem Leidenldquo die aus Paulus einen bdquomit seinem Tod Gleichgestal-tetenldquo macht Daher formuliert er im 2 Korintherbrief bdquoAllezeit tragen wir das Sterben (nekrosis) Jesu an unserem Leib herum damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar werde Denn immer werden wir die wir leben in den Tod uumlbergegeben um Jesu willen damit auch das Leben Jesu sichtbar werde an unserem sterblichen Fleischldquo (410) Waumlh-rend sich bdquodas Leben Jesuldquo v a dadurch manifestiert dass Paulus trotz aller Bedraumlngnisse vor dem Schlimmsten bewahrt bleibt praumlgt sich das Todesleiden Jesu an seinem Leib aus Paulus codiert also seine eigenen entehrenden und entmaumlnnlichenden koumlrperlichen Defekte ndash die Narben zahlreicher Zuumlchtigungen aber auch eine chronische Krankheit die er als bdquoPfahl im Fleischldquo und Faustschlaumlge eines Engels Satans beschreibt ndash als Epiphanie des ehrlos gekreuzigten Jesus an seinem Leib und bringt dies dialektisch mit dem bdquoLebenldquo der Gemeinde ihren Charismen ihrer Kraft und Staumlrke in Verbindung Man kann also mit Erhardt Guumlttge-manns sagen dass der Gekreuzigte am soma des Apostels epiphan wird bdquoDie Wuumlrde des Apostels kommt also dadurch zustande dass die Leiden des Apostels nichts anderes sind als die Epiphanie der Kreuzigung des irdischen Jesus die als Heilsgeschehen am Apostel praumlsent ist und da-mit die Identitaumlt des Herrn mit dem Gekreuzigten offenbartldquo79 Dabei kommt den Briefen des Apostels eine grundlegende Erschlieszligungsfunk-tion zu

10 Adam Abraham und Mose Das Gesetz vom Sinai

Fuumlr ein konsequentes Verstaumlndnis des Paulus in den Koordinaten des von P Fredriksen und anderen favorisierten Paradigmas bdquoPaul within Judaismldquo stellen die paulinischen Aussagen zum juumldischen Gesetz si-cherlich die komplexeste und widerstaumlndigste Thematik dar Auch hier stehen die muslimischen Anfragen an die paulinischen Aussagen zum

79 Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Studien zur paulini-schen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966 134

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2182 02052016 213123

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 35: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

183Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Gesetz sozusagen in Verlaumlngerung innerjuumldischer und fruumlhchristlicher Diskussionen von denen bereits die Paulusbriefe selbst Zeugnis ge-ben80 Es ist an dieser Stelle nicht moumlglich eine auch nur einigermaszligen vollstaumlndige Darstellung der komplexen paulinischen Darlegungen zum juumldischen Gesetz zu geben Moumlglich sind nur einige wenige Hinweise darauf welche Brennpunkte die gegenwaumlrtige Debatte unter den Vor-zeichen des genannten Paradigmas aufweist Dabei orientieren wir uns an jenen drei Bezugspersonen zwischen denen Paulus seinen Gesetzes-diskurs inszeniert Adam Abraham und Mose

a) MoseDass Paulus mit dem Begriff noacutemos in den meisten Faumlllen konkret die Tora vom Sinai meint die die spezifischen Rechtsforderungen Gottes an sein Volk Israel enthaumllt und also mit dessen Erwaumlhlung und den daraus resultierenden Heiligkeitsforderungen zusammengehoumlrt ist unbestritten81 Daher weist M Wolter auf einen wichtigen Punkt hin bdquoWenn Paulus die Gesetzesfrage eroumlrtert ist immer Israel mit im Spiel und die Gesetzesfrage ist bei ihm immer Bestandteil der Israelfrageldquo82 Das Gesetz markiere fuumlr Paulus nicht zuletzt die Exklusivitaumlt der Gottes-beziehung Israels (93f) wird also v a dort virulent wo es um Sicht-barkeit und Abgrenzung von Juden gegenuumlber Nichtjuden geht v a in der Diaspora Damit sind mehrere Diskursfelder angesprochen So werden im Gefolge der bdquoNew Perspectiveldquo verstaumlrkt die Funktionen des Gesetzes vom Sinai als juumldische bdquoidentity markerldquo und bdquoboundary mar-kerldquo herausgearbeitet Damit einher geht eine intensive Diskussion um die Bedeutung der paulinischen Wendung bdquoWerke des Gesetzesldquo Dabei geht es um gleich mehrere Fragen Sind mit diesem Syntagma die bdquoVor-schriftenldquo der Tora gemeint oder die von diesen geforderten bdquoTatenldquo83 Meint Paulus ndash ausschlieszliglich oder in erster Linie ndash jene von der Tora

80 Insbesondere der streckenweise als bdquoDialogus cum Iudaeoldquo gestaltete Roumlmerbrief dazu exemplarisch THEOBALD Roumlmerbrief 67ndash74

81 Darstellung des sprachlichen Befundes z B bei DUNN Paul 131ndash13382 WOLTER Paulus 35483 Vgl dazu Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um

den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in DERS (Hrsg) Lutherische und Neue Pau-lusperspektive Beitraumlge zu einem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134 Roland BERGMEIER Gerechtig-keit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2183 02052016 213123

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 36: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

184 Hans-Ulrich Weidemann

den Israeliten vorgeschriebenen bdquoWerkeldquo die diese von Nichtjuden un-terscheiden und abgrenzen also Beschneidung Speisegebote Sabbat-heiligung Heiratsregeln usw

Als pharisaumlisch gepraumlgter Jude haumllt Paulus auch nach seiner Berufung zum Heidenapostel daran fest dass die Mosetora eben fuumlr Israel gilt84 Auch in der galatischen Krise kaumlmpft er nicht gegen die Tora sondern mit allen Mitteln dagegen dass Nichtjuden () Toraobservanz auf sich nehmen indem sie z B die Bescheidung und andere bdquoGesetzeswerkeldquo praktizieren Von einer Toraobservanz durch Juden inklusive christus-glaumlubiger Juden schweigt Paulus allerdings ist unbestreitbar dass die bdquoGesetzeswerkeldquo auch fuumlr christusglaumlubige Juden keinerlei soteriologi-sche Relevanz haben koumlnnen (Gal 215f) Das zeigt dass die Problema-tik des Gesetzes fuumlr den Apostel uumlber seine abgrenzende Funktion ge-genuumlber Nichtjuden weit hinausgeht

Gerade auch in der Diskussion um die muslimischen Anfragen an die Aussagen des Apostels zum Gesetz ist es wichtig diesen fuumlr Paulus und andere antike Juden entscheidenden Konnex zwischen Gesetz und Gottesvolk Israel zu thematisieren Er bildet das Vorzeichen auch fuumlr die tiefer gehenden Reflexionen des Apostels uumlber den Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod

b) AdamTrotz der polemischen Aumluszligerungen im Galaterbrief ist fuumlr Paulus bdquodas Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gutldquo (Roumlm 712) Die Tora ist der geoffenbarte Gotteswille (Roumlm 217f) Gottes Wort an Israel (32) und die Gabe die Israels Erwaumlhlung aus den Voumllkern begruumlndet (94) Die Tora ist also geistlich (Roumlm 714) und Sie ist zum Leben gegeben (710) Wie Paulus insbesondere im Roumlmerbrief aus-fuumlhrt liegt das Problem des guten und heiligen Gesetzes jedoch auf Seiten des Menschen als des Adressaten der Rechtsforderung Gottes bdquoDenn wir wissen dass das Gesetz geistlich ist ich aber bin fleischlich unter die Suumlnde verkauftldquo (714) Die paulinischen Aussagen uumlber das Gesetz stehen also in Wechselwirkung nicht nur zur Kreuzestheolo-gie sondern insbesondere zur Anthropologie des Apostels Aus die-

84 Davon unbenommen ist dass fuumlr Paulus wie fuumlr viele andere Juden seiner Zeit die Rechtsforderungen Gottes den Heiden bdquoins Herz geschriebenldquo sind (Roumlm 214f) Zu diesem bdquogeschoumlpflichen Merkmalldquo der Nichtjuden vgl THEOBALD Roumlmerbrief 145ndash147

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2184 02052016 213123

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 37: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

185Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

sem Grund wird Adam zur entscheidenden Bezugsgroumlszlige Das Gesetz Gottes trifft am Sinai auf Menschen die von Adam herkommen und an deren Grundverfassung aumlndert auch die Gabe des Gesetzes an das Volk Israel nichts Das Gesetz ist daher bdquomachtlosldquo (Roumlm 83) es kann nicht bdquozum Leben fuumlhrenldquo (Gal 31) Laut Paulus wird es bdquoder Uumlber-tretungen wegen hinzugefuumlgtldquo (Gal 319) durch das Gesetz des Mose wird das Wesen der Suumlnde als Uumlbertretung des heiligen Willens Gottes also als aktiver Widerstand gegen die offenbaren Rechtsforderungen Gottes offenbar Weil es wegen des Fleisches der Menschen unfaumlhig ist (Roumlm 82f) bringt das eigentlich zum Leben gegebene Gesetz dem Menschen den Tod (Roumlm 710)

Paulus geht aber sogar noch einen Schritt weiter indem er den Ge-danken formuliert dass Gottes heiliges Gesetz selbst indem es auf den Menschen trifft der unter der Herrschaft der Suumlnde steht in die Haumlnde der Suumlnde geraumlt Diese bdquoergreift die Gelegenheit durch das Gebot und be-wirkte in mir jegliche Begierdeldquo (Roumlm 78) Denn durch das Gebot bdquoDu sollst nicht begehrenldquo wird die Begierde im Menschen geweckt Des-wegen kann Paulus sagen bdquoDie Kraft der Suumlnde ist das Gesetzldquo (1 Kor 1556)

Es ist dieser unloumlsbare Zusammenhang von Gesetz Suumlnde und Tod mit dem Christus ein bdquoEndeldquo gemacht hat bdquoDenn teacutelos des Gesetzes ist Christus fuumlr jeden der glaubt zur Gerechtigkeitldquo (Roumlm 104) Diese Aus-sage gilt umfassend und bezieht sich keineswegs auf die rituell-kultische Reinheitstora85 da bdquojeder der glaubtldquo bdquoin Christusldquo eine bdquoNeue Schoumlp-fungldquo ist (vgl Gal 617)

c) AbrahamDass Paulus unter Rekurs auf die adamitische Menschheit keineswegs einfach das Gesetz vom Sinai abschafft zeigt die Tatsache dass er dem Gesetz die an Abraham als dem bdquoVaterldquo der Beschnittenen wie der Un-beschnittenen ergangene Verheiszligung vor- und uumlberordnet Deswegen kann er auch davon sprechen dass Gott das Evangelium () in heiligen Schriften vorher-verheiszligen habe (Roumlm 12) Paulus loumlst also das Ge-setz vom Sinai aus der heilsgeschichtlichen Kontinuitaumlt heraus die von Abrahams Erwaumlhlung und der Geburt Isaaks ausgeht und bezieht im

85 Vgl THEOBALD Roumlmerbrief 134f der auf die breite juumldische Vorgeschichte der Unterscheidung von ethischen Geboten und Reinheitstora hinweist

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2185 02052016 213124

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 38: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

186 Hans-Ulrich Weidemann

Gegenzug die nichtjuumldischen Christusglaubenden in diese Erwaumlhlung mit ein86 Die konstruierte Kontinuitaumlt fuumlhrt also von der Erwaumlhlung Abrahams zum Evangelium von Jesus Christus bdquoJetzt aber ist abseits des Gesetzes Gottes Gerechtigkeit offenbart wordenldquo (Roumlm 321) und zwar bdquoGottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus fuumlr alle die glaubenldquo (322) Deswegen ist das Evangelium bdquoKraft Gottes zur Rettung fuumlr jeden der glaubt fuumlr den Juden zuerst und ebenso auch den Heidenldquo (116f)

Auch diese ndash hier nur angedeuteten ndash Ausfuumlhrungen des Apostels zum Gesetz haben eine christologische Substruktur die Partizipation an Christus Insofern Juden und Nichtjuden bdquoin Christusldquo sind ist bdquoder in der Liebe wirksame Glaubeldquo (Gal 56) und sind nicht die bdquoWerke des Gesetzesldquo das Identitaumltsmerkmal zumal Letztere ja wiederum die Exklusivitaumlt Israels gegenuumlber den Voumllkern bestaumlrken Umso bemer-kenswerter ist es dass Paulus an der bleibenden Unterscheidung von Juden und Nichtjuden in der Ekklesia gerade festhaumllt (s o) und es verbietet diese Unterschiede aufzuheben (1 Kor 719) Seine antioche-nischen Erfahrungen haben offensichtlich zu einem Ideal der bdquoEinheit von bleibend Verschiedenen in Christusldquo gefuumlhrt weniger zu einem Ideal der Gleichheit Dass auch dieses Ideal ein genuin juumldisches ist sei hier nur angemerkt

11 Ausblick Der Paulus receptus

Die juumlngeren Diskussionen um Leben und Werk des Paulus von Tarsus sind nicht zuletzt dadurch gepraumlgt und bereichert dass sich zuneh-mend juumldische Gelehrte an ihnen beteiligen die Paulus als Jude und damit als Teil der eigenen Tradition (wieder-)entdecken Neben der kritischen und konstruktiven Rezeption der bdquoNew Perspectiveldquo ist die-ser Umstand ein treibender Motor fuumlr die hier nur selektiv skizzierte Neuausrichtung und Gewichtsverlagerung der exegetischen Diskurse

Konsens ist es Person und Werk des Paulus unterscheiden zu muumls-sen von seiner eigenen Nachgeschichte in einer schon in der Spaumltantike

86 Vgl WOLTER Paulus 356

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2186 02052016 213124

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 39: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

187Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

stark veraumlnderten ekklesialen aber auch politischen Situation Damit ist das Thema der paulinischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte angesprochen Neuere Rezeptionstheorien verstehen bdquoRezeptionldquo als wechselseitiges Geschehen das immer auch auf den Referenzbereich einwirkt und diesen gewisser Hinsicht miterzeugt87 Wenn Paulusbriefe ab dem 2 Jh als Heilige Schrift einer sich immer mehr im Gegenuumlber zum Judentum definierenden bdquoGroszligkircheldquo rezipiert werden die dabei ist sich zu einer nichtjuumldischen Religion zu entwickeln dann entsteht eine Art heidenchristlicher bdquoPaulus receptusldquo ndash und in dessen Verlaumln-gerung dann auch der bdquoPaulusldquo der muslimischen Diskurse Die sehr wuumlnschenswerte groumlszligere Beteiligung muslimischer Gelehrter an den ge-nannten juumldischen und christlichen Diskursen koumlnnte an diesem Punkt ansetzen indem die Konstruktionsbedingungen der jeweiligen Paulus-bilder und die ihnen zugrunde liegenden Transformationsprozesse of-fengelegt und der kritischen Analyse ausgesetzt werden Es ist naumlmlich deutlich geworden dass die groszligkirchlich-heidenchristliche Paulusre-zeption ebenso wie ihre juumlngere muslimische Schwester ganz bestimmte Wahrnehmungen der paulinischen Texte gesteuert und ein jeweils ent-sprechendes Paulusbild konstruiert haben Mit dem bdquoPaul within Juda-ismldquo ist nun eine weitere diskursive Groumlszlige im Spiel die sich fuumlr die zu-kuumlnftige Debatte als maszlig-gebend erweisen duumlrfte

87 Vgl dazu Hartmut BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transforma-tion in DERS u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kultu-rellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38 Boumlhme spricht von bdquoRuumlckkopplungseffekten auf den Referenzbereichldquo und schlaumlgt deswegen ein bdquobi-direktionales Modellldquo vor bdquowonach die Aufnahmekultur im Akt der Transformation grundsaumltzlich die Refe-renzkultur veraumlndertldquo (ebd 27)

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2187 02052016 213124

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 40: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

188 Hans-Ulrich Weidemann

LITERATUR

Michael BACHMANN Keil oder Mikroskop Zur juumlngeren Diskussion um den Ausdruck bdquoWerke des Gesetzesldquo in Michael BACHMANN (Hrsg) Lutherische und Neue Paulusperspektive Beitraumlge zu ei-nem Schluumlsselproblem der gegenwaumlrtigen exegetischen Diskussion (WUNT 182) Tuumlbingen 2005 69ndash134

Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Par-ted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003

Roland BERGMEIER Gerechtigkeit Gesetz und Glaube bei Paulus Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke (BThS 115) Neukirchen-Vluyn 2010

Hans BOumlHME Einladung zur Transformation Was ist Transformati-on in Hans BOumlHME u a (Hrsg) Transformation Ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels Muumlnchen 2011 7ndash38

David BOYARIN A Radical Jew Paul and the Politics of Identity Ber-keley u a 1994

David BOYARIN Semantic Differences or bdquoJudaismldquobdquoChristianityldquo in Andreas BECKERAnnette REED (Hrsg) The Ways that Never Parted Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (WUNT 95) Tuumlbingen 2003 65ndash86

David BOYARIN Border Lines The Partition of Judeo-Christianity Philadelphia 2007

David W CHAPMAN Ancient Jewish and Christian Perceptions of Crucifixion (WUNT II244) Tuumlbingen 2008

Andreas DETTWILERJean ZUMSTEIN (Hrsg) Kreuzestheologie im Neuen Testament (WUNT 151) Tuumlbingen 2002

James DUNN The Theology of Paul the Apostle Grand RapidsCam-bridge 1998

James DUNN The New Perspective on Paul (1983) in James DUNN The New Perspective on Paul (WUNT 185) Tuumlbingen 2005 89ndash110

James DUNN Beginning from Jerusalem (Christianity in the Making 2) Michigan 2009

Michael FOUCAULT Uumlberwachen und strafen in Die Hauptwerke FrankfurtMain 2008 701ndash1019

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2188 02052016 213124

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 41: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

189Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Hubert FRANKEMOumlLLE Fruumlhjudentum und Urchristentum Vorge-schichte ndash Verlauf ndash Auswirkungen (Studienbuumlcher Theologie 5) Stuttgart 2006

Pauls FREDRIKSEN How Later Contexts Affect Pauline Content or Retrospect is the Mother of Anachronism in Peter TOMSON Jef-frey SCHWARTZ (Hrsg) Jews and Christians in the First and Se-cond Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden ndashBoston 2014 17ndash51

Pablo GADENZ Called from the Jews and from the Gentiles Pauline Ecclesiology in Romans 9ndash11 (WUNT II267) Tuumlbingen 2009

Erhardt GUumlTTGEMANNS Der leidende Apostel und sein Herr Stu-dien zur paulinischen Christologie (FRLANT 90) Goumlttingen 1966

Martin HENGEL Crucifixion in the Ancient World and the Folly of the Message of the Cross London 1977

Martin HENGEL Das fruumlheste Christentum als eine juumldische messi-anische und universalistische Bewegung in Martin HENGEL Ju-daica Hellenistica et Christiana Kleine Schriften III (WUNT 109) Tuumlbingen 1999 200ndash218

Otfried HOFIUS Das Evangelium und Israel Erwaumlgungen zu Roumlm 9ndash11 in DERS Paulusstudien (WUNT 51) Tuumlbingen 21994 175ndash202

Otfried HOFIUS Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis Zum Verstaumlndnis der Auferstehung in 1Kor 15 in Otfried HOFIUS Ex-egetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 102ndash114

Otfried HOFIUS Gott war in Christus Sprachliche und theologische Erwaumlgungen zu der Versoumlhnungsaussage 2Kor 519a in Otfried HO-FIUS Exegetische Studien (WUNT 223) Tuumlbingen 2008 132ndash143

William HORBURY Beginnings of Christianity in the Holy Land in Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turn-hout 2006 7ndash89

Larry W HURTADO One God one Lord Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism London 1988

Larry W HURTADO Lord Jesus Christ Devotion to Jesus in Earliest Christianity Grand Rapids 2005

Larry W HURTADO How on Earth Did Jesus Become a God His-torical Questions About Earliest Devotion to Jesus Grand Rapids 2005

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2189 02052016 213124

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 42: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

190 Hans-Ulrich Weidemann

Larry W HURTADO Jesusverehrung und die Froumlmmigkeit des Juden-tums zur Zeit des zweiten Tempels in EvTh 68 (2008) 266ndash285

Erich KAumlSEMANN An die Roumlmer (HNT 8a) Tuumlbingen 41980Ora LIMORGuy STROUMSA (Hrsg) Christians and Christianity in

the Holy Land From the Origins to the Latin Kingdoms Turnhout 2006

Grant MACASKILL Incarnational Ontology and the Theology of Participation in Paul in Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuuml-bingen 2014 S 87ndash102

Gerd LUumlDEMANN Paulus der Heidenapostel Antipaulinismus im fruumlhen Christentum (FRLANT 130) Goumlttingen 21990

Jacob NEUSNER What is a Judaism in Bruce CHILTONJacob NEUSNER (Hrsg) The Brother of Jesus James the Just and His Mission Louisville 2002 1ndash9

Karl-Wilhelm NIEBUHR Heidenapostel aus Israel Die juumldische Iden-titaumlt des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen (WUNT 62) Tuumlbingen 1992

Gunnar SAMUELSSON Crucifixion in Antiquity An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion (WUNT II310) Tuumlbingen 2011

Ed P SANDERS Paul and Palestinian Judaism A Comparison of Pat-terns of Religion London 1977

Peter SCHAumlFER Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Chris-tentums Fuumlnf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Ju-dentums (Tria Corda 6) Tuumlbingen 2010

Wenhua SHI Paullsquos Message of the Cross as Body Language (WUNT II254) Tuumlbingen 2008 Wolfgang STEGEMANN Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopaumldie 10) Stuttgart 2010

Michael THATEKevin VANHOOZERConstantin CAMPBELL (Hgg) bdquoIn Christldquo in Paul Explorations in Paulrsquos Theology of Union and Participation (WUNT II384) Tuumlbingen 2014

Michael THEOBALD Der Roumlmerbrief (EdF 294) Darmstadt 2000Michael THEOBALD Von Saulus zu Paulus Vom Juden zum Chris-

ten Das Juumldische am Apostel als bleibende Herausforderung in WUB 1 (2009) 23ndash27

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2190 02052016 213124

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124

Page 43: Paulus von Tarsus, Architekt des Christentums?Paulus sei der ursprüngliche Ein-Gott-Glaube Jesu zugunsten einer den Mono-theismus beschädigenden Christologie ersetzt worden. Von

191Der Voumllkerapostel aus dem Samen Abrahams

Michael THEOBALD Unterschiedliche Gottesbilder in Roumlm 9ndash11 Die Israel-Kapitel als Anfrage an die Einheit des theologischen Dis-kurses bei Paulus in Udo SCHNELLE (Hrsg) The Letter to the Romans (BETL 226) Leuven 2009 135ndash177

Michael THEOBALD bdquoGeboren aus dem Samen Davidshellipldquo (Roumlm 13) Wandlungen im paulinischen Christus-Bild in ZNW 102 (2011) 235ndash260

Peter TOMSONJEFFREY SCHWARTZ (Hgg) Jews and Christians in the First and Second Centuries How to Write Their History (CRINT 13) Leiden-Boston 2014

Krister VON STENDAHL The Apostel Paul and the Introspective Conscience of the West in HThR 56 (1963) 199ndash215

Hans-Ulrich WEIDEMANN Taufe und Mahlgemeinschaft Studien zur Vorgeschichte der altkirchlichen Taufeucharistie (WUNT 338) Tuumlbingen 2014

Stephen WESTERHOLM Perspectives Old and New on Paul The bdquoLutheranldquo Paul and His Critics Grand Rapids-Cambridge 2004

Michael WOLTER Paulus Ein Grundriss seiner Theologie Neukir-chen-Vluyn 2011

CIBEDO_Bd4_7_02_05_2016_druckfreiindd Abs2191 02052016 213124