Peter Zumthor Athmosphären

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WEGE ZUR ARCHITEKTUR 1 2004

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Architektonische Umgebungen

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WEGE ZUR ARCHITEKTUR 1

2004

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PETER ZUMTHOR ATMOSPHÄREN Architektonische Umgebungen Die Dinge um mich herum

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L- FSB

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<Atmosphere is my style>

J M W Turner 1844 zu John Ruskin

Vortrag am 1. Juni 2003 in der Kunstscheune, Schloß Wendlinghausen

Wege durch das Land - Literatur- und Musikfest in Ostwestfalen-Lippe

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Wege zur Architektur Editorial

<Mir gefällt die Vorstellung, mit einem Haus zum atmo-

sphärischen Reichtum eines Ortes beizutragen, an den

sich ein Passant oder Bewohner gerne erinnert>, sagt

Peter Zumthor. Über <Atmosphären. Architektonische

Umgebungen - Die Dinge um mich herum> sprach der

Schweizer Architekt während des Literatur- und Musik-

festes <Wege durch das Land> am 1. Juni 2003 an einem

passenden Ort: Schloß Wendlinghausen, an dem die

Ideale der Renaissance - Schönheit und Harmonie, Dau-

erhaftigkeit und Annehmlichkeit- in bestechender Rein-

heit verwirklicht wurden. Peter Zumthor schätzt Orte und

Häuser, die den Menschen aufheben, ihn gut wohnen

lassen und unauffällig unterstützen. Seine Bauten beein-

drucken durch körperhafte Präsenz, Schlichtheit, Hand-

werklichkeit und Empfindsamkeit für Materialien.

Mit seinem Vortrag begann eine Zusammenarbeit zwi-

schen dem Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe und dem

Unternehmen Franz Schneider Brakel, die über eine fi-

nanzielle Unterstützung des Literatur- und Musikfestes

<Wege durch das Land> hinausreicht und sichtbaren Aus-

druck in dieser Publikation findet, die als limitierter Pri-

vatdruck von FSB herausgegeben wird und nicht im

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Arnold Böcklin (1827-190ll Die Toteninsel (Erste Fassung), 1880 Depositum der Gottfried Keller-Stiftung 1920 © Kunstmuseum Basel, Martin Bühler

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Wege zur Architektur Editorial

Handel erhältlich ist. Um die Spontaneität und Direkt-

heit der Rede zu erhalten, wurde der vor mehr als 400

Zuhörern frei gehaltene Vortrag für die Drucklegung nur

leicht redigiert. Bewußt wurde die Güte der herkömm-

lichen Rechtschreibung beibehalten.

Das Literatur- und Musikfest <Wege durch das La'nd>

unter der künstlerischen Leitung von Dr. Brigitte Labs-

Ehlert ist eine exquisite Reihe, die poetische Orte in Ost-

westfalen und Künste beziehungsreich miteinander ver-

knüpft. Es sind gedankliche Wagnisse, die in Worten

und Tönen Gestalt annehmen. Immer von der Lokalität

den Ausgang nehmend, an eine Person, ein literarisches

Ereignis oder ein Motiv anknüpfend, dieses über die Zei-

ten und Nationen variierend, vorgetragen von den besten

Schauspielern, international renomm ierten Schriftstel-

lern und Musikern, begleitet von Tanztheater, Ausstel-

lung und Gesprächen. Der Vortrag von Peter Zumthor

war eingebettet in ein Programm, das angeregt von der

Architektur Schloß Wendlinghausens nach dem Maß der

Schönheit fragte mit Madrigalen aus dem Italien des

16. Jahrhunderts, strahlender Raummusik von Markus

Stockhausen und Tara Bouman sowie im kunstvollen

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Wege zur Architektur Editorial

Roman der dänischen Autorin Inger Christensen über

die Fresken von Andrea Mantegna; der Schauspieler Udo

Samel führte auf den Spuren von Goethes Italienischer

Reise zu Bauten Palladios. Dazu gedacht, das Alte mit

dem Neuen zusammenzubringen, werden auch in den

nächsten Jahren an architektonisch interessanten histo-

rischen Gebäuden Architekten unserer Tage

über ihre Ethik des Entwerfens und Bauens sprechen.

<Wege zur Architektur> erhalten eine Fortsetzung.

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Peter Zumthor Atmosphären

Der Titel <Atmosphären> leitet sich daher: Mich interes-

siert - denn natürlicherweise muß mich das interessie-

ren - schon lange: Was ist das eigentlich: Architektoni-

sche Qualität? Es ist für mich relativ einfach zu sagen.

Architektonische Qual ität ist nicht - für mich -, in Archi-

tekturführern vorzukommen oder in der Architekturge-

schichte vorzukommen oder publiziert zu werden usw.

Architektonische Qualität, das kann sich bei mir nur da-

rum handeln, daß ich von einem Bauwerk berührt bin.

Was zum Teufel berührt mich denn an diesen Bauwer-

ken? Und wie kann ich das entwerfen? Wie kann ich et-

was entwerfen wie den Raum auf dieser Fotografie hier

- das ist eine persönliche Ikone von mir, ich habe das

Gebäude nie gesehen, ich glaube, das gibt es gar nicht

mehr, und ich schaue es wahnsinnig gerne an. Wie kann

man solche Dinge entwerfen, die eine derart schöne,

selbstverständliche Präsenz haben, die mich immer wie-

der berührt.

Ein Begriff dazu ist die Atmosphäre. Wir kennen das ja

alle: Wir sehen einen Menschen und haben einen ersten

Eindruck von ihm. Und ich habe gelernt: vertraue dem

nicht, du mußt dem Menschen eine Chance geben. Jetzt

bin ich ein bißchen älter und ich muß sagen, ich bin

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John Russell Pope (1874-1937) Union Station or Broad Street Station, Riehmond, VA (1919) Aus: Arehiteeture in Ameriea, by G. E. Kidder Smith Ameriean Heritage Publishing Co. Ine. New York 1976

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Peter Zumthor Atmosphären

doch wieder beim ersten Eindruck. Ein bißchen ist es

für mich so auch mit der Architektur. Ich komme in ein

Gebäude, sehe einen Raum und bekomme die Atmo-

sphäre mit, und in Sekundenbruchteilen habe ich ein

Gefühl für das, was ist.

Atmosphäre spricht die emotionale Wahrnehmung an,

das ist die Wahrnehmung, die unglaublich rasch funk-

tioniert, die wir Menschen offenbar haben, um zu über-

leben. Wir werden ja nicht jedesmal, in jeder Situation

irgendwie lang denken wollen, ob uns das gefällt oder

nicht, ob wir davonspringen müssen oder nicht. Da ist

etwas in uns, das uns sofort viel sagt. Sofortiges Ver-

ständnis, sofortige Berührung, sofortige Ablehnung. Also

anders als dieses lineare Denken, das wir auch haben

und das ich auch liebe, von A nach B mit dem Kopf,

und wo wir uns das dann alles zurechtlegen müssen.

Die emotionale Wahrnehmung kennen wir natürlich in

der Musik. Der erste Satz dieser Bratschensonate von

Brahms, der Einstieg der Viola - nach zwei Sekunden

ist das Gefühl da! (Sonate Nr. 2 in Es-Dur für Viola und

Klavier) Und ich weiß nicht, warum. Und ein bißchen

ist das auch so in der Architektur. Nicht so stark wie in

der größten der Künste, der Musik, aber es ist da.

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Ernst Brunner, Backtag in Vrin, Brottragen (1942) © Sammlung Ernst Brunner, Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Basel

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Peter Zumthor Atmosphären

Ich lese Ihnen etwas vor, was ich aufgeschrieben habe

in meinem Notizbuch zu diesem Thema. Um zu sehen,

was das denn ist. Das ist Gründonnerstag 2003. Das

bin ich. Ich sitze da, ein Platz in der Sonne, große Ar-

kade, lang, hoch, schön in der Sonne. Der Platz - Häu-

serfront, Kirche, Monumente - als Panorama vor mir.

Die Wand des Cafes im Rücken. Die richtige Dichte von

Menschen. Ein Blumenmarkt.Sonne. Elf Uhr. Die gegen-

überliegende Platzwand im Schatten, angenehm bläu-

I ich. Wu nderbare Geräusche: nahe Gespräche, Schritte

auf dem Platz, Stein, Vögel, leichtes Gemurmel der

Menge, keine Autos, kein Motorenlärm, entfernte Bau-

geräusche ab und zu. Die beginnenden Feiertage haben

die Schritte der Menschen bereits verlangsamt, stelle

ich mir vor. Zwei Nonnen - das ist wieder Wirklichkeit,

ohne Vorstellung - zwei Nonnen, gestikulierend, gehen

quer über den Platz, leichtfüßig, leicht wehende Hau-

ben, jede trägt eine Plastiktasche. Temperatur: ange-

nehm frisch, warm. Ich sitze in der Arkade, auf einem

bleichgrün gepolsterten Sofa, die Bronzefigur auf dem

hohen Sockel vor mir auf dem Platz dreht mir den

Rücken zu und schaut wie ich auf die zweitürmige

Kirche. Die Doppeltürme der Kirche haben ungleiche

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Diözesanmuseum Kolumba, Köln, Deutschland. Im Bau

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Peter Zumthor Atmosphären

Helme, beginnen unten gleich und werden gegen oben

hin individueller. Einer ist höher und hat eine um die

Helmspitze gelegte Goldkrone. Bald wird B von rechts

schräg über den Platz auf mich zukommen. Nun, was

hat mich da berührt? Alles. Alles, die Dinge, die Men-

schen, die Luft, Geräusche, Ton, Farben, materielle Prä-

senzen, Texturen, auch Formen. Formen, die ich verste-

hen kann. Formen, die ich versuchen kann zu lesen. For-

men, die ich als schön empfinde. Und was hat mich da

noch berührt? Meine Stimmung, meine Gefühle, meine

Erwartung damals, als ich da saß. Und es kommt mir

dieser berühmte englische Satz in den Sinn, der auf

Platon verweist: <Beauty is in the eye of the beholder>.

Das heißt: Alles ist nur in mir. Aber dann mache ich das

Experiment, ich nehme den Platz weg. Und ich habe

nicht mehr die gleichen Gefühle. Einfaches Experi-

ment, entschuldigen Sie die Simplizität meines Den-

kens. Aber ich nehme jetzt den Platz weg - und meine

Gefühle verschwinden. Ich hätte diese Gefühle so da-

mals nie gehabt ohne diese Atmosphäre des Platzes.

Logisch. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen den

Menschen und den Dingen. Damit habe ich zu tun als

Architekt. Und ich denke, das ist meine Leidenschaft.

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Vincenzo Scamozzi (1548-1616) Palazzo Trissino Baston, Innenhof, Vicenza (1592)

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Peter Zumthor Die Magie des Realen

Es gibt eine Magie des Realen. Ich kenne sehr wohl die

Magie des Gedankens. Und die Leidenschaft des schö-

nen Gedankens. Aber hier spreche ich von dem, was ich

häufig unglaublicher finde: die Magie des Wirklichen

und des Realen.

Frage. Ich frage mich als Architekt: <Die Magie des Realem - Cafe im Studentenwohnheim, ein Bild von Hans Baum-

gartner, aus den dreißiger Jahren. Diese Männer sitzen

da und es gefällt ihnen. Ich frage mich: Kann ich solche

Atmosphären, kann ich diese Dichte, diese Stimmung,

kann ich als Architekt das entwerfen? Und wenn ja, wie?

Und ich glaube dann: ja, und ich glaube: nein. Ich glau-

be ja, weil es gute Dinge und schlechtere Dinge gibt.

Und jetzt noch ein Zitat. Da schreibt ein Musikwissen-

schaftier in einem Musiklexikon diesen Satz hier. Ich

habe ihn dann vergrößert und im Büro aufgehängt und

gesagt: So müssen wir arbeiten! Der Musikwissenschaft-

Ier sagte über diesen einen Komponisten, den Sie so-

fort erraten werden: <Radikale Diatonik, kräftige und dif-

ferenzierte rhythmische Skandierung, Deutlichkeit der

Melodielinie, Klarheit und Rauhheit der Harmonien,

schneidendes Strahlen der Klangfarben, schließlich die

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Hans Baumgartner (1911-1996) Studentenwohnheim, Clausiusstraße, Zürich 1936 ©Sammlung Hans Baumgartner, Fotostiftung Schweiz, Winterthur. VG Bild-Kunst

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Peter Zumthor Die Magie des Realen

Schlichtheit und Durchsichtigkeit des musikalischen

Gewebes und die Festigkeit des formalen Gerüstes.>

(Andre Boucourechl iev über <das echte Russentum der

musikalischen Grammatik Igor Strawinskys» Das hängt

jetzt oben im Büro für uns alle. Und es spricht mir von

Atmosphären, auch die Musik dieses Komponisten hat

diese Eigenschaften, uns, mich zu berühren nach einer

Sekunde. Aber was ich da auch merke, in dieser Be-

schreibung, ist Arbeit, und das tröstet mich, es gibt

schon eine handwerkliche Seite, um dieses anzugehen,

diese Aufgabe, architektonische Atmosphären zu schaf-

fen. Es muß Verfahren, Interessen, Instrumente und

Werkzeuge geben in meiner Arbeit. Ich beobachte mich

jetzt selbst und erzähle Ihnen in neun kleinen Mini-

Kapiteln, was ich gefunden habe, was mich umtreibt,

wenn ich versuche, mir diese Atmosphäre meiner Häu-

ser zu generieren. Und es ist klar, diese Antworten sind

hoch persönlich, ich habe keine anderen. Sie sind sehr

empfindlich, individuell, sie sind vermutlich sogar Emp-

findlichkeiten, persönliche Empfindlichkeiten, die mich

dann dazu führen, das so und so zu machen.

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Oe Meelfabrik Leiden, Leiden, Holland. Projekt

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Peter Zumthor Der Körper der Architektur

Erste Antwort-Titel: <Der Körper der Architektur>. Die ma-

terielle Präsenz der Di nge ei ner Arch itektur, des Ge-

rüstes. Wir sitzen hier drinnen in dieser Scheune, wir

haben diese Reihen von Balken, die sind dann wiede-

rum überdeckt von usw. Ich nehme das sinnlich wahr.

Und das finde ich das erste und größte Geheimnis der

Architektur, daß sie Dinge aus der Welt, Materialien aus

der Welt zusammenführt und diesen Raum macht. Denn

für mich ist das wie eine Anatomie. Wirklich, ich nehme

Körper fast wörtlich. So wie wir unseren Körper haben

mit einer Anatomie und Dingen, die man nicht sieht,

und einer Haut usw., so wirkt Architektur auf mich und

so versuche ich, sie zu denken. Körperlich, als Masse,

als Membran, als Stoff oder Hülle, Tuch, Samt, Seide,

alles um mich herum. Der Körper! Nicht die Idee des

Körpers - der Körper! Der mich berühren kann.

Zweite Antwort-Großes Geheimnis, große Leidenschaft,

große Freude immer wieder. <Der Zusammenklang der Ma-

terialiem.lch nehme eine bestimmte Menge von Eichen-

holz und eine andere Menge von Tuffstein und dann

gebe ich noch etwas dazu: drei Gramm Silber, einen

Schlüssel-was hätten Sie noch gerne? Ich bräuchte Sie

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Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, Berlin, Deutschland. Treppenturm, vom Abriß bedroht

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Peter Zumthor Zusammenklang der Materialien

als Bauherren, um mit Ihnen zusammen das dann zu

machen. Dann legen wir die Dinge konkret hin, zuerst

im Geiste, bald aber wirklich. Und schauen, wie sie mit-

einander reagieren. Und wir wissen alle: Die reagieren

miteinander! Materialien klingen zusammen und kom-

men zum Strahlen und in dieser Materialkomposition

entsteht etwas Einmaliges. Materialien sind unendlich

- nehmen Sie einen Stein, und diesen einen Stein kön-

nen Sie sägen, schleifen, bohren, spalten und polieren,

er wird immer wieder anders sein. Und dann nehmen

Sie diesen Stein in ganz kleinen Mengen oder in riesi-

gen Mengen, er wird wieder anders. Und dann halten Sie

ihn ins Licht, er wird nochmals anders. Bereits ein Ma-

terial hat schon tausend Möglichkeiten. Ich liebe diese

Arbeit, und je länger ich sie mache, umso geheimnis-

voller wird sie irgendwie. Man hat immer Ideen, stellt i

sich vor, wie etwas ist. Und wenn ich dann das Ding

real hinhalte - habe ich gerade letzte Woche erlebt, ich

war ganz sicher, ich kann diese weiche Zeder als Aus-

kleidung dieses großen Wohnraumes nicht gebrauchen

in diesem Sichtbetongebäude, die ist zu weich, ich brau-

che ein härteres Holz, fast wie Ebenholz, das diesem

Sichtbeton etwas entgegenhält an Dichte und Masse

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Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, Berlin, Deutschland. (Modell)

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Peter Zumthor Zusammenklang der Materialien

und diesen unglaublichen Glanz hat. Und dann haben

wir das auf die wirkliche Baustelle gebracht. Oh,

Scheiße! Die Zeder war doch besser! Plötzlich habe ich

es gesehen, diese Zeder, die war so weich und die hat

sich problemlos behauptet in dieser Umgebung. Und

ich habe das Palisanderzeug, das Mahagoni, alles wie-

der ausgeräumt. Ein Jahr später: Dunkle, harte, reich

gemaserte Edelhölzer sind wieder eingezogen, daneben

weichere, hellere. Die Zeder war letztendlich zu linear

strukturiert, zu spröde; sie wurde doch nicht eingebaut.

Also das nur als Beispiel, wieso ich finde, daß es immer

wieder geheimnisvoll ist. Und dann etwas anderes. Es

gibt eine kritische Nähe der Materialien zueinander, die

ist abhängig vom Material selber und vom Gewicht, das

es hat. Und Sie können Materialien in einem Bauwerk

zusammenbringen. Da gibt es einen Punkt, wo sie zu

weit weg sind, dann schwingen sie nicht miteinander,

und dann gibt es einen Punkt, wo sie zu eng sind, und

dann sind sie tot. Das heißt, dieses Fügen im Bauwerk

hat viel mit ... - okay, Sie wissen, was ich meine! Nein,

sonst bleibe ich eine halbe Stunde noch da. Ja, ich

habe Beispiele, also ich habe <Palladio> aufgeschrie-

ben, wo ich solche Dinge erlebe, immer wieder erlebt

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Therme Vals, Vals, Graubünden, Schweiz. © Margherita Spiluttini

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Peter Zumthor Der Klang des Raumes

habe. Diese atmosphärische Energie, vor allem bei Pal-

ladio - ich erwähne es jetzt trotzdem, weil ich immer

das Gefühl gehabt habe, dieser Architekt, dieser Bau-

meister, der muß ein unglaubliches Gefühl gehabt ha-

ben für die Präsenz und das Gewicht der Materialien,

für diese Dinge, über die ich jetzt versucht habe zu

sprechen.

Drittens. <Der Klang des Raumes>. Hören Sie! Jeder Raum

funktioniert wie ein großes Instrument, er sammelt die

Klänge, verstärkt sie, leitet sie weiter. Das hat zu tun

mit seiner Form und mit der Oberfläche der Materialien

und der Art und Weise, wie die Materialien befestigt

sind. Beispiel: Nehmen Sie einen wunderbaren Fich-

tenholzboden wie einen Geigendeckel und legen den

auf Hölzern aus in Ihrem Wohnraum. Oder anderes Bild:

Sie leimen ihn auf die Betonplatte! Spüren Sie den

Unterschied im Klang? Ja. Der Klang des Raumes wird . heute, leider, von vielen Leuten gar nicht wahrgenom-

men. Der Klang des Raumes - also für mich jetzt per-

sönlich, das erste, was mir immer in den Sinn kommt,

ist: Die Geräusche, als ich Bub war, die Arbeitsgeräu-

sche meiner Mutter in der Küche. Die haben mich

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Therme Vals, Vals, Graubünden, Schweiz. © Helene Binet

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Peter Zumthor Der Klang des Raumes

immer glücklich gemacht. Da konnte ich in der Stube

sein, ich wLjßte immer, die Mutter da hinten ist da, klap-

pert mit den Pfannen oder so. Aber Sie hören auch die

Schritte in der großen Halle, Sie hören die Geräusche

in der Bahnhofshalle, Sie hören die Geräusche in der

Stadt usw. Wenn ich dann einen Schritt weiter gehe, es

wird vielleicht ein bißchen mystischer jetzt, und ich

denke, wir nehmen alle Fremdgeräusche aus dem Ge-

bäude raus, wir stellen uns das vor, nichts ist mehr da,

nichts erzeugt mehr irgendeine Anrührung. Dann kann

man sich die Frage stellen: Tönt das Gebäude jetzt trotz-

dem? Machen Sie den Versuch mal selber. Ich glaube,

die tönen immer. Die tönen auch ohne eine Anrührung.

Ich weiß nicht, was es ist. Es ist vielleicht der Wind oder

so. Aber man spürt nur, wenn man einmal in einen

schalltoten Raum geht, daß da etwas anderes ist.

Schön ist es! Finde ich. Ich finde, es ist wunderschön,

ein Gebäude zu bauen und dieses Gebäude aus der

Stille heraus zu denken. Das heißt, es ruhig zu machen,

das braucht heute ziemlich viel, weil unsere Welt so lär-

mig ist. Also da bei Ihnen weniger. Aber ich kenne an-

dere Orte, die sind lärmiger, da müssen Sie viel ma-

chen, damit die Räume mal ruhig werden und dann aus

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Domino de Pingus Winery, Penafiel, Spanien. Projekt

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Peter Zumthor Die Temperatur des Raumes

der Stille heraus, mit den Proportionen und den Mate-

rialien usw. wieder sich vorzustellen, wie das tönt. Also,

das tönt jetzt ein bißchen wie eine Sonntagspredigt, ich

weiß. Aber viel einfacher und pragmatischer, oder? Wie

es wirklich tönt, wenn wir durchgehen. Wenn wir spre-

chen, wenn wir miteinander sprechen, wie soll das tö-

nen? Wenn ich im Salon mit drei guten Freunden am

Sonntagnachmittag reden will und lesen? Hier habe ich

aufgeschrieben: das Schließen der Tür. Es gibt Gebäu-

de, die wunderbar tönen, die sagen mir: ich bin aufge-

hoben, ich bin nicht allein. Das ist vermutlich dieses

Mutterbild, das ich nicht loswerde und eigentlich auch

nicht loswerden will.

Viertens. <Die Temperatur des Raumes>. Ich bin immer noch

dabei, die Dinge zu benennen, die mir wichtig sind beim

Kreieren von Atmosphären. Da gibt es die Temperatur.

Ich glaube daran, jedes Gebäude hat eine bestimmte

Temperatur. Und ich erkläre es Ihnen, und ich bin nicht

sehr gut darin, das zu machen, aber es interessiert mich

außerordentlich. Die schönsten Dinge sind doch Über-

raschungen. Wir haben viel, viel Holz, viele Holzbalken

verwendet, um in Hannover den Schweizer Pavillon zu

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Klangkörper Schweiz, Expo 2000 Hannover, Hannover, Deutschland. Fotograf: Walter Mair

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Peter Zumthor Die Dinge um mich herum

bauen. Und wenn es dann heiß war, war es in diesem

Pavillon kühl wie im Wald, und wenn es kühl war, war

es in diesem Pavillon wärmer als draußen, obwohl er

nicht geschlossen war. Man weiß ja, daß Materialien

mehr oder weniger von unserer Körperwärme abziehen.

Also, Stahl ist kalt und zieht die Wärme weg, diese Ge-

schichten. Aber wenn ich das mache, kommt mir auch

das Wort temperieren in den Sinn. Vielleicht ein biß-

chen so, wie die Klaviere temperieren, also die richtige

Stimmung suchen. Im wörtlichen sowie übertragenen

Sinn. Das heißt, diese Temperatur ist eine physische und

vermutlich auch eine psychische. Was ich sehe, was ich

spüre, was ich berühre, auch mit den Füßen.

Fünftens. Es gibt neun von diesen Dingen, wir sind beim

fünften. Ich möchte Sie nicht langweilen. Fünftens. <Die

Dinge um mich herum>. Immer wieder, komme ich in Ge-

bäude, in Räume von Menschen, Freunden, Bekannten,

Leuten, die ich nicht kenne, bin ich beeindruckt von den

Dingen, die die Leute bei sich haben, in ihrer Woh-

nungsumgebung oder in ihrer Arbeitsumgebung. Und

manchmal, ich weiß nicht, ob Sie das kennen, stelle ich

eine große Beziehung und Liebe und Sorgfalt fest,

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Klangkörper Schweiz, Expo 2000 Hannover, Hannover, Deutschland. Fotograf: Giovanni Chiaramonte

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Peter Zumthor Die Dinge um mich herum

etwas, das paßt. Beispiel: Köln, vor zwei Monaten. Der

junge Peter Böhm hat mich herum geführt, wir gingen

in die Bienefeld-Häuser. Da habe ich zum ersten Mal

zwei Bienefeld-Häuser in Köln von innen kennenge-

lernt. Samstag morgens um neun. Das war so etwas, das

war absolut beeindruckend! Diese Häuser mit diesen

unglaublich vielen schönen Details, man könnte schon

fast sagen, exzessiven Details! Wo man diesen Heinz

Bienefeld spürt, wie er diese Dinge gemacht hat, über-

all. Und dann die Leute. Der eine war Studienrat, der

andere war Richter, und sie waren alle so angezogen wie

dieses deutsche Bürgertum am Samstagmorgen. Und

es waren alle Dinge da. Die schönen Gegenstände, die

schönen Bücher, sie waren alle ausgelegt, Instrumente

waren da, Cembali, Violinen usw. Aber die Bücher ...

Also, das hat mich eigentlich sehr beeindruckt, es war

sehr sprechend. Ich habe mich gefragt, war es Aufgabe

der Architektur, dieses Gefäß zu schaffen, um diese

Dinge aufzunehmen? Oder auch die Arbeitswelt oder

den Bahnhof oder irgendetwas, das einem erlaubt, die-

se Dinge bei sich zu haben. Ich erlaube mir, eine klei-

ne Anekdote zu erzählen. Das habe ich einmal vor mei-

nen Studenten erzählt vor ein paar Monaten, es war

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Klangkörper Schweiz, Expo 2000 Hannover, Hannover, Deutschland. Fotograf: Giovanni Chiaramonte

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Peter Zumthor Die Dinge um mich herum 38 I 39

eine zypriotische Assistentin dabei - schwierig in Zy- Im Atelier Zumthor

pern aufzuwachsen -=- eine hervorragende Architektin.

Sie hat für mich einen kleinen Cafe-Tisch entworfen,

den sie dann auch für sich gerne haben wollte. Und

später, nach diesem Vortrag, wo ich ein bißchen aus-

führlicher als jetzt über die Dinge um mich herum

sprach, sagte sie: <Damit bin ich überhaupt nicht ein-

verstanden. Diese Dinge belasten einen. Ich habe mei-

ne ganze Habe im Rucksack. Ich möchte immer unter-

wegs sein. Dieses Ding, diese Last, diese bürgerliche

Last dieser Dinge, das haben nicht alle Menschen.> Ich

habe sie angeschaut und gesagt: <Und dieser Cafe-

Tisch, den du unbedingt haben wolltest?> Sie hat dann

nichts mehr gesagt. Also, irgendwie scheint das doch

etwas zu sein, das wir alle kennen. Ich bringe Ihnen ein

bißchen nostalgische Beispiele. Aber ich denke schon,

das sei auch so, wenn ich eine Bar mache, eine super-

coole Bar irgendwo oder eine Disko einrichte und selbst-

verständlich müßte das auch in einem Literaturhaus so

sein, da müßten wir noch ein bißchen Gegengift einbau-

en, damit nicht alles zu beschaulich wird. Diese Vor-

stellung, daß Dinge in ein Gebäude hineinkommen, hin-

einkommen sollen, die ich nicht mache als Architekt,

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Peter Zumthor Zwischen Gelassenheit und Verführung 40 I 41

an die ich aber denke, gibt mir ein bißchen einen Blick Brücke in Italien.

in die Zukunft meiner Gebäude, die ohne mich stattfin-

det. Das tut mir sehr gut, das hilft mir sehr, mir immer

diese Zukunft der Räume vorzustellen, der Häuser, wie

sie dann sind Gebrauch. Auf Englisch würde man

wohl sagen: <A sense of home.> Auf Deutsch weiß ich.

nicht, Heimat kann man wohl nicht mehr sagen. In

meinem Notizbuch steht, daß ich zu diesem Thema bei

Nietzsche etwas finden dürfte: <Der Wanderer und sein

Schatten>, Aphorismus 280, Schein und Sein in der

Welt der Waren, und auch in <Nachgelassene Fragmen-

te>, 1880/81: < ... vor allem sein (des Dinges) Vorhan-

densein als Körper und Substanz ... > Auch Baudrillard

< Das System der Di nge> von 1968 möchte ich zu diesem

Thema gerne lesen.

Ein weiterer Punkt, der mich immer wieder umtreibt,

den ich spannend finde in meiner Arbeit, überschreibe

ich, es ist der sechste Punkt: <Zwischen Gelassenheit und Verführung>, hat zu tun damit, daß wir uns in der Ar-

chitektur bewegefl. Architektur ist sicher eine Raum-

kunst, sagt man, Architektur ist aber auch eine Zeit-

kunst. Ich erlebe sie nicht nur in einer Da

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Page 42: Peter Zumthor Athmosphären

Peter Zumthor Zwischen Gelassenheit und Verführung

waren Wolfgang Rihm und ich uns einig, auch Architek-

tur ist Zeitkunst, wie die Musik Zeitkunst ist. Das heißt,

ich überlege mir, wie wir uns bewegen in dem Gebäude,

und da sehe ich diese Spannungspole, mit denen arbei-

te ich gerne. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, vielleicht von

diesem Thermalbad, das wir gebaut haben. Da war es I

für uns unglaublich wichtig, eine Art <freies Schlen-

dern> zu produzieren, fast ein bißchen in der Stimmung

nicht von Führung, sondern Verführung. Also, Kranken-

hauskorridor: Führung. Es gibt aber auch die Verfüh-

rung, das Loslassen, das Schlendern, und das können

wir Architekten machen. Das Können hat ein bißchen

mit Inszenierung zu tun, manchmal. In diesem Bad ha-

ben wir versucht, räumliche Einheiten an einen Punkt

zu bringen, wo die in sich halten. Wir haben das ver-

sucht, ich weiß nicht, ob uns das gelungen ist, ich glau-

be, nicht schlecht. Räume - da bin ich, und sie begin-

nen, mich räumlich zu halten, ich bin nicht im Durch-

zug. Ich stehe da, ich kann sein, aber da lockt schon

etwas um die Ecke, da fällt schon das Licht so ein und

da auch, und ich schlendere dadurch; iob muß sagen, J

das ist eines meiner größten Vergnügen: nicht geführt

zu werden, sondern frei schlendern zu können - drifting,

42 I 43

I Ching Gallery (Pavillon für die I Ching genannte Skulptur von Walter De Maria), Dia Center for the Arts, Beacon, NY, USA. Projekt

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t

Page 44: Peter Zumthor Athmosphären

Peter Zumthor Zwischen Gelassenheit und Verführung

ja? Und so bewege ich mich auf einer Entdeckungs-

reise. Als Architekt muß ich schauen, daß das nicht

zum Labyrinth wird, vielleicht, wenn ich nicht will. Und

ich führe dann wieder Orientierungen ein, mache Aus-

nahmen, das kennen Sie ja alle. Führung, Verführung,

Loslassen, Freiheit geben. Für eine.n bestimmten Ge-

brauch ist es viel schlauer und sinnvoller, Ruhe zu

schaffen, Gelassenheit, also einen Ort, wo Sie nicht her-

umrennen müssen und nicht die Tür suchen müssen.

Und da lockt nichts, da sind Sie einfach da. Auditorien

zum Beispiel müßten so sein. Oder Stuben. Oder Kinos.

Wo ich immer wieder viel lerne in dieser Beziehung, ist

natürlich im Kino. Das ist klar. Die Kameramänner und die Regisseure arbeiten mit dem gleichen Aufbau von

Sequenzen. Und das versuche ich auch in meinen Ge-

bäuden. So, daß es mir gefällt, und so, daß es Ihnen ge-

fällt und vor allem so, daß es zum Gebrauch des Ge-

bäudes paßt. Hinführen, vorbereiten, anregen, freudige

Überraschungen, Entspannung, aber, schon immer so, muß ich beifügen, daß nichts Didaktisches mehr da ist,

sondern daß es selbstverständlich wirkt.

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I Ching Gallery (Pavillon für die I Ching genannte Skulptur von Walter De Maria), Dia Center for the Arts, Beacon, NY, USA. Projekt

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Peter Zumthor Spannung zwischen innen und außen

Siebtens. Da ist auch etwas ganz Besonderes in der

Architektur, das mich fasziniert. <Die Spannung zwischen.

innen und außen>. Finde ich unglaublich gut. Also, daß wir in der Architektur ein Stück aus der Weltkugel her-

ausnehmen und in eine kleine Kiste bauen. Und plötz-lich gibt es ein Innen und ein Außen. Drinnen sein,

draußen sein. Fantastisch. Und - auch fantastisch - das

heißt: Schwellen, Übergänge, kleines Schlupfloch, un-

merkliche Übergänge zwischen innen und außen, un-

glaubliches Gefühl für Ort, unglaubliches Gefühl für

Konzentration plötzlich, wenn diese Hülle um einen her-

um plötzlich da ist und uns versammelt und hält, viele

von uns oder nur eine Person. Dann spielt sich dort das

Spiel von Individualität und Öffentlichkeit ab, von Pri-

vatheit und Öffentlichkeit. Die Architektur arbeitet ja

damit. Ich habe ein Schloß, ich wohne in diesem Schloß

und gegen außen zeige ich euch diese Fassade. Diese

Fassade sagt: Ich bin, ich kann, ich will, was auch im-

mer der Bauherr und der Architekt zusammen sagen

wollten. Und die Fassade sagt auch: Aber ich zeige euch nicht alles. Gewisse Dinge sind drinnen, die gehen

euch einen Dreck an. Das ist beim Schloß so, wie auch

bei der Wohnung in der Stadt. Wir setzen Zeichen. Wir

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Domino de Pingus Winery, Penafiel, Spanien. Projekt

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Page 48: Peter Zumthor Athmosphären

Peter Zumthor Spannung zwischen innen und außen

beobachten. Ich weiß nicht, ob Sie meiner Leiden-

schaft folgen können, das sind nicht voyeuristische

Dinge, im Gegenteil, das hat so viel mit Atmosphäre zu

tun. Denken Sie an <Rear Window>, Alfred Hitchcock.

Das Leben von draußen betrachtet in diesem Fenster.

Ein Klassiker. Sie sehen dort diese Frau im roten Ge-

wand, in dem erleuchteten Fenster, und Sie wissen

nicht, was sie macht. Aber doch: Etwas sieht man! Oder,

das Umgekehrte: Edward Hopper <Early Sunday Mor-

ning>. Die Frau, die innen im Raum sitzt und durchs

Fenster nach außen schaut auf die Stadt. Ich bin stolz

darauf, daß wir als Architekten solche Dinge machen

dürfen bei jedem Gebäude. Und ich stelle es mir immer

wieder vor, bei jedem Gebäude: Was will ich sehen, ich

oder der oder die, die das gebrauchen, wenn ich drin-

nen bin? Was will ich, das die anderen von mir sehen?

Und welche Referenz zeige ich mit meinem Gebäude,

mache ich an die Öffentlichkeit? Gebäude sagen ja im-

mer etwas zur Straße oder zum Platz. Sie können zum

Platz sagen: Ich freue mich, an diesem Platz zu stehen.

Oder die können sagen: Ich bin hier das schönste Ge-

bäude, ihr alle seid wirklich schlecht. Ich bin wie eine

Diva. Gebäude können das alles sagen.

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Domino de Pingus Winery, Penafiel, Spanien. Projekt

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Peter Zumthor Stufen der Intimität

Jetzt kommt etwas, bei dem ich jetzt zum ersten Mal

für mich herausgefunden habe, daß mich das eigent-

lich immer interessiert hat. Ich weiß aber nicht so viel

darüber, - Sie werden es gleich merken - aber es ist da.

Ich muß noch weiter darüber nachdenken. Überschrie-

ben habe ich es mit: <Stufen der Intimität>. Hat zu tun

mit Nähe und Distal'1z. Klassische Architekten würden

sagen: Maßstab. Aber das tönt zu akademisch, ich

meine das mehr körperlich als Maßstab und Dimensio-

nen. Das betrifft verschiedene Aspekte, die Größe, die

Dimension, der Maßstab, die Masse des Bauwerks ge-

genüber mir. Es ist größer als ich, es ist viel größer als

ich. Oder Dinge im Bauwerk sind kleiner als ich. Tür-

fallen, Scharniere oder Zwischenteile, Türen. Kennen

Sie diese schlanke, hohe Tür, wo alle Leute gut ausse-

hen, wenn sie durchkommen? Kennen Sie die etwas

langweilige breitliche Tür, diese flatschige? Kennen Sie

die einschüchternden großen Portale, wo vielleicht der,

der öffnet, gut aussieht oder stolz? Das heißt, die Größe

und die Masse und die Schwere der Dinge. Die dünne

Tür und die dicke Tür. Die dicke Mauer und die dünne

Mauer. Kennen Sie diese Gebäude? Ich bin fasziniert

von diesen Gebäuden. Ich versuche immer, solche zu

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Domino de Pingus Winery, Penafiel, Spanien. Projekt

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Peter Zumthor Stufen der Intimität

machen, wo Innenform, also leerer ,Raum innen, nicht

gleich ist mit der Außenform. Wo Sie also nicht einen

Grundriß nehmen können und einfach Striche rein-

zeichnen können, so, das sind jetzt alles die Wände,

zwölf Zentimeter, und diese Unterteilung ergibt außen

und innen, sondern wo verborgene Massen innen sind,

die Sie nicht erkennen. Das ist wie ein ausgehöhlter

Kirchturm, wo Sie im Gemäuer hochsteigen. Das ist ein

Beispiel von Tausenden, die etwas mit diesem Gewicht

und der Größe zu tun haben. So groß wie ich, kleiner

als ich. Und interessant ist ja, daß Dinge, die größer

sind als ich, mich einschüchtern können, staatliche Repräsentation, Bank aus dem 19. Jahrhundert oder

irgend so etwas, Säulen usw. Oder, gestern gehört, Villa Rotonda von Palladio, ein großes monumentales Ding,

wenn ich aber selber innen stehe, bin ich nicht einge-/

schüchtert, sondern fühle mich eigentlich fast erhaben,

wenn ich dieses altmodische Wort gebrauchen darf. Die

Umgebung schüchtert mich nicht ein, sondern macht

mich irgendwie größer oder läßt mich freier atmen oder

- ich weiß nicht, wie ich das Gefühl nennen soll, Sie

wissen, was ich meine. Es gibt beides, erstaunlicher-

weise. Man kann also nicht einfach sagen, klar, groß ist

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Vincenzo Scamozzi (1548-1616) Villa Rocca Pisana (1575)

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Peter Zumthor Stufen der Intimität

schlecht, es fehlt der menschliche Maßstab. Das hört

man manchmal so in Laiengesprächen, auch von Archi-

tekten. Menschlicher Maßstab heißt dann, etwa so groß

wie wir. Aber das ist nicht so einfach. Und dann, was

dazugehört, zu dieser Weite, Nähe, Distanz von mir und

den Bauwerken, - ich denke immer gerne daran, etwas

für mich allein zu machen, für eine Person allein. Ich

allein, für mich allein oder für mich in der Gruppe, ganz

andere Geschichte. Haben Sie dieses schöne Studen-

tencafe vorhin gesehen? Und jetzt dieses wunderbare

Gebäude von Le Corbusier auf dem Bild. Ich wäre stolz,

ich hätte das gemacht. Also, ich, für mich allein, für

mich und andere in der Gruppe, oder für mich in der

Masse. Fußballstadion. Okay. Palast. Und diese Dinge,

finde ich, die muß man denken. Und ich glaube, die

kann ich gut denken, die kann ich alle gut denken. Das

einzige, wo ich große Probleme habe, das würde ich

aber auch gerne können, das muß ich Ihnen sagen, wo

ich das aber nicht schaffe, ist beim Wolkenkratzer. Ich

schaffe das nicht, mir vorzustellen, ich und viele, 5000

oder ich nicht wie viele, in einem Wolkenkratzer,

wie ich das/ machen müßte, daß ich mich gut fühle mit

all denen zusammen, mit diesem Hochhaus. Was ich in

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Le Corbusier (1887 -1965) Villa Sarabhai, Ahmedabad 1955

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Peter Zumthor Das Licht auf den Dingen

der Regel sehe bei Hochhäusern, ist eine Außenform,

die eine Sprache spricht mit der Stadt usw., die gut

oder schlecht oder was auch immer ist. Ein Gefühl, das

ich mir sehr wohl vorstellen kann, ist ein Fußballstadion

für 50000 Personen, das mit diesem Kessel kann eine

unglaublich schöne Geschichte sein. Gestern. Vicenza,

das Olympische Theater. Haben wir auch gehört von

unserem Herrn Goethe, der hat das alles schon viel, viel früher gesehen. Und der schaut ja hin, das ist das Fan-

tastische bei ihm, der schaut hin. Okay, das sind diese

Stufen der Intimität, die mich noch immer umtreiben.

Das letzte. Als ich diese Dinge vor ein paar Monaten

aufgeschrieben habe, saß ich in der Stube, bei mir im

Wohnzimmer und habe mich gefragt: Was fehlt dir

noch? Ist das jetzt alles? Sind das so deine Themen?

Und dann habe ich es plötzlich gesehen. War relativ

einfach. <Das Licht auf den Dingen>. Ich habe mir das mal

fünf Minuten lang angeschaut, wie es bei mir im Wohn-

zimmer wirklich ausschaut. Wie das Licht ist. Und das

ist fanta?tisch! Das ist bei Ihnen sicher gleich. Wo das

Licht überall und wie. Wo die Schatten waren. Und

wie die stumpf waren oder funkelnd oder

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Toni Molkerei, Zürich 2002 © Jules Spinatsch

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Peter Zumthor Das licht auf den Dingen

aus der Tiefe kamen. Dann habe ich es später gesehen,

da hat mir Walter De Maria, Künstler in Amerika, eine

neue Arbeit gezeigt für Japan, das wird eine riesige Hal-

le, zwei-, dreimal so groß wie die Scheune hier. Vorne

offen und nach hinten ganz dunkel. Und dort liegen

zwei oder drei riesige Steinbälle, aus massivem Stein,

riesige Kugeln. Ganz hinten waren Stäbe aus Holz, über-

zogen mit Blattgold. Und dieses Blattgold - das wissen

wir alle längst, aber es hat mich wieder berührt, als ich

es gesehen habe - dieses Blattgold hat aus der Tiefe, aus

der Schwärze des Raumes geleuchtet! Das heißt, dieses

Gold scheint die Eigenschaft zu haben, geringste Men-

gen von licht ganz hinten im Dunkel auffangen zu kön-

nen und abzustrahlen.

Es gibt zwei lieblingsideen, denen ich in diesem Zu-

sammenhang immer wieder nachhänge. Denn wir ma-

chen kein Gebäude und holen am Schluß den Elektro-

planer und sagen: Okay, wo wollen wir da noch Leuch-

ten setzen und wie wollen wir das Ding ausleuchten?

Sondern ,diese Vorstellung ist von Anfang an dabei. Die

eine lieblingsvorstellung ist die: das Gebäude zunächst

als zu denken und dann nachher, wie in

Im Arbeitsraum von Peter Zumthor

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Peter Zumthor Das Licht auf den Dingen

einem Aushöhlungsprozeß, Lichter zu setzen, Licht ein-

sickern zu lassen. Und dann kommt schon die zweite

Lieblingsidee - das ist alles sehr logisch, das sind keine

Geheimnisse, das macht jeder. Die zweite Lieblingsidee

ist, die Materialien und Oberflächen bewußt ins Licht

zu setzen. Und dann zu schauen, wie die reflektieren.

Also mit diesem Bewußtsein, wie das reflektiert, die Ma-

terialien zu wählen und so ein stimmiges Ding zu ma-

chen. Das beelendet mich sehr, hier in dieser wunder-

schönen Gegend, gestern und heute zu sehen, wie viele

Häuser kein Licht mehr von außen haben in dieser wun-

derschönen Landschaft, wo die Natur, das Sonnenlicht

von einer umwerfenden Schönheit ist. Und dann diese

stumpfen Häuser - ich weiß nicht, was es ist, ich weiß

nicht, was die da anstreichen. Und dann sieht man, daß

sie alle tot sind. Jedes zehnte Haus hat noch eine alte

Ecke, wo es plötzlich wieder leuchtet oder wo irgendwie

wieder etwas kommt. Und das ist so schön, Materialien

zu wählen, Stoffe, Kleider, die schön im Licht stehen,

und so die Kombination zu machen. Bei diesem Thema

des Tageslichtes und des Kunstlichtes, ich muß es Ihnen

gestehen, daß das Tageslicht, das Licht auf den Dingen

mich manchmal so berührt, daß ich darin manchmal

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Pavillon Louise Bourgeois, Dia Center for the Arts, Beacon, NY, USA. Projekt

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Peter Zumthor Das Licht auf den Dingen

fast etwas Spirituelles zu spüren glaube. Wenn die Kapelle Bruder Klaus.

Sonne am Morgen wieder aufgeht - was ich immer wie-

der bewundere, das ist wirklich fantastisch, die kommt

jeden Morgen'wieder-und sie beleuchtet die Dinge wie-

der, dann meine ich, dieses Licht, das kommt nicht von

dieser Welt! Ich verstehe dieses Licht nicht. Ich habe

da das Gefühl, es gibt etwas Größeres, das ich nicht ver-

stehe. Ich bin sehr froh, ich bin unendlich dankbar, daß

es das gibt. Auch heute, da, wenn wir wieder nach

draußen gehen. Und daß ich dieses Licht habe als

Architekt, das ist tausendmal besser als Kunstlicht.

Sehen Sie, jetzt bin ich eigentlich durch. Und wieder

frage ich mich: War das jetzt alles? Und ich muß Ihnen

noch etwas gestehen: Ich muß Ihnen drei kleine An-

hänge machen. Ich glaube, die neun Dinge, von denen

ich jetzt gesprochen habe, das waren Arbeits- und Denk-

ansätze von mir oder von uns im Büro, vielleicht ein

bißchen idiosynkratisch, kann schon sein. Aber die sind

einigermaßen, denke ich, objektivierbar. Aber was ich

jetzt sage, das hat mehr mit mir persönlich zu tun und

ist vielleicht noch weniger objektivierbar als viele Din-

ge, von denen ich vorhin gesprochen habe. Aber wenn

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Peter Zumthor Architektur als Umgebung 64 165

ich über meine Arbeit rede, muß ich schon sagen, was Kapelle Bruder Klaus.

mich halt bewegt. Und da gibt es noch drei Dinge.

Die erste Überschreitung, die erste Transzendenz hier,

für mich, wäre: <Architektur als Umgebung>. Das gefällt mir

sehr gut, die Vorstellung, daß ich ein Gebäude mache,

einen großen Gebäudekomplex oder einen kleinen, und dieser wird Teil einer Umgebung. Ganz im Handkeschen

Sinne. (Peter Handke hat die Umgebung, die physische

Um-Gebung, verschiedentlich beschrieben, so im Inter-

viewband <Aber ich lebe nur von den Zwischenräumen>.)

Und dies ist die Umgebung von Menschen, für mich

oder meistens auch nicht für mich, und wird Teil von

deren Leben, Kinder wachsen da auf. Vielleicht erin-

nern sie sich 25 Jahre später unbewußt an irgendein

Gebäude, eine Ecke, eine Straße, einen Platz, keine Ah-

nung vom Architekten, ist auch nicht wichtig. Aber die

Vorstellung, daß die Dinge da sind - auch ich erinnere

mich an viele Dinge in der Welt, gebaut, die ich nicht

verantwortet habe, die mich aber berührt, bewegt, er-leichtert, die mir geholfen haben. Es gibt mir ein viel

schöneres Gefühl, mir vorzustellen, dieses Gebäude

wird in 25, 30 Jahren vielleicht von jemandem erinnert

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Page 66: Peter Zumthor Athmosphären

Peter Zumthor Stimmigkeit

werden. Vielleicht weil er da seine erste Jugendliebe ge-

küßt hat. Spielt keine Rolle, warum. Um das deutlich

zu machen, das gefällt mir viel besser als die Vorstel-

lung, dieses Gebäude wird in 35 Jahren noch immer im

Architekturlexikon vorkommen. Das ist eine ganz ande-

re Ebene. Und die zweite hilft mir nicht beim Entwer-

fen. Das war die erste Transzendenz, dieser Versuch,

Architektur als Umgebung. Vielleicht hat es am Ende

ein bißchen, das muß ich vermutlich zugeben, vielleicht

hat es ein bißchen mit Liebe zu tun. Ich liebe Archi-

tektur, ich liebe die gebauten Umgebungen und ich

glaube, ich liebe es, wenn die Leute das auch lieben.

Ich muß das zugeben, es freut mich, wenn es mir gelin-

gen würde, Dinge zu schaffen, die andere Leute lieben.

Zweiter Anhang. Wie habe ich den überschrieben? <Stim-

migkeit>. Das ist auch mehr ein Gefühl. Das heißt, alle

diese Überlegungen des Machens und Herstellens von

Architektur, die auch noch eine ganz andere Ebene, ei-

ne professionelle Ebene haben, von der ich hier gar

nicht spreche. Ich finde, das ist Büroalltag oder so, da

kann man in der Uni und im Büro darüber sprechen oder.

Das ist mehr Didaktik. Ich denke, alle diese Dinge, die

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Projekt für ein Berghotel, Tschlin, Graubünden, Schweiz.

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Page 68: Peter Zumthor Athmosphären

Peter Zumthor Stimmigkeit

Entscheidungen, die ich fälle - das sind ja tausend Ent-

scheide-dich-Fälle, die jeder Architekt fällt, die würde

ich gerne im Gebrauch aufheben. Also, das größte Kom-

pliment für mich ist, wenn man mir an einem Gebäude

keine Form ablesen kann und sagt: Aha, da hast du jetzt

eine super-coole Form machen wollen, sondern wenn

alles seine Erklärung findet im Gebrauch. Das wäre

schon das schönste Kompliment. Und da bin ic.h ja nicht alleine in der Architektur, das ist eine uralte Tradition,

auch in der Schriftstellerei, beim Schreiben usw. Und

in der Kunst. Aber ich denke, ein alter schöner Ausdruck

dafür ist: Die Dinge sind dann zu sich gekommen, sind

bei sich. Weil sie dann das sind, was sie sein wollen.

Und Architektur ist gemacht für uns zum Gebrauchen.

Es ist keine freie Kunst. Ich finde, es ist auch die vor-

nehmste Aufgabe der Architektur, daß sie eine Ge-

brauchskunst ist. Aber eben das Schönste, die Dinge

sind zu sich gekommen, sind stimmig. Und dann ver-

weist alles aufeinander und Sie können das nicht aus-

einandernehmen. Der Ort, der Gebrauch und die Form.

Die Form verweist auf den Ort, der Ort ist so und der Gebrauch ist so und so.

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Projekt für ein Berghotel, Tschlin, Graubünden, Schweiz.

Page 69: Peter Zumthor Athmosphären
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Peter Zumthor Stimmigkeit

Und jetzt fehlt aber noch etwas, und das ist jetzt wirk-

lich das letzte, es ist jetzt schon da, irgendwie. Jetzt

habe ich es also geschafft, in neun Punkten und zwei

Anhängen nicht über die Form zu reden. Sie spüren das

sehr stark, das ist eine Leidenschaft von mir und die

hilft mir auch sehr beim Arbeiten. Wir arbeiten nicht an

der Form, wir arbeiten an all den anderen Dingen. Am

Klang, an den Geräuschen, an den Materialien, an der

Konstruktion, an der Anatomie usw. Der Körper der Ar-

chitektur, ganz aril Anfang, ist Konstruktion, Anatomie,

Logik des Konstruierens. Wir arbeiten an all diesen Din-

gen und schauen immer gleichzeitig auf den Ort und

den Gebrauch. Etwas anderes habe ich nicht zu tun, das

ist der Ort, den kann ich beeinflussen oder nicht, und

das ist der Gebrauch. In der Regel haben wir ein großes

Modell oder eine Zeichnung, meistens ein Modell, und

das kommt halt dann vor, daß irgendetwas von daher

stimmt, von vielen Dingen her stimmt, dann schaue ich

es an und sage: Ja, stimmt zwar alles, ist aber nicht

schön! Das heißt, ich schaue die Dinge schlußendlich

schon an. Und ich glaube, wenn die Arbeit geglückt ist,

haben die eine Form angenommen, von der ich dann

häufig nach langer Arbeit überrascht bin. Von der ich

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Diözesanmuseum Kolumba, Köln, Deutschland. Im Bau

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Page 72: Peter Zumthor Athmosphären

Peter Zumthor Die schöne Gestalt

denke: Hätte ich nie, nie daran denken können, daß

das so wird, von Anfang an. Das ist nur möglich jetzt

nach all diesen Jahren manchmal - slow architecture.

Ich habe dann große Freude, bin auch stolz. Aber, wenn

es dann am Schluß nicht schön ausschaut, also für

mich nicht- ich sage jetzt bewußt einfach nur schön, es

gibt Bücher über Ästhetik, - wenn mich diese Form

nicht anrührt, dann gehe ich wieder ganz zurück und

beginne wieder von vorne. Das heißt, mein Schlußkapi-

tel oder mein letztes Ziel ist vermutlich dann halt

schon: <Die schöne Gestalt>. Ich finde sie wieder viel-

leicht in Ikonen, manchmal finde ich sie wieder in Stil-

leben, die mir helfen zu sehen, wie irgendetwas seine

Form gefunden hat, aber auch in Werkzeugen des All-

tags, in Literatur und in Musikstücken.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

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Diözesanmuseum Kolumba, Köln, Deutschland. Im Bau

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Wege zur Architektur 1

Herausgeber FSB Franz Schneider Brakel GmbH + Co

© Peter Zumthor, Haldenstein (Text)

© Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe, Detmold (für diese Ausgabe)

Fotonachweise siehe Marginalien

Die Aufnahmen der Architekturmodelle stellte

das Atel ier Zumthor zur Verfügung

Buchgestaltung, Satz und Herstellung: Ernst-Reinhardt Ehlert

Gesetzt aus der Trade Gothic und Traffic.

Druck: Druckerei Bösmann GmbH, Detmold.

Einband: Bödiger Buchbinderei GmbH, Langenhagen

Einmaliger limitierter Privatdruck von

Franz Schneider

Brakel GmbH + Co

Dezember 2004