Philosophie Des Subjekts

download Philosophie Des Subjekts

of 57

Transcript of Philosophie Des Subjekts

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    1/57

    102

    Teil I Kap. IIL Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    4

    Das Subjekt in der empirischen und rationalen

    Psychologie

    der Metaphysik-Pölitz

    Die

    einzige uns überlieferte Nachschrift

    der Kantischen

    Metaphysikvorlesungen

    aus den siebziger Jahren ist zuerst 1821 anonym von Karl Heinrich Ludwig Pö

    Jitz89

    publiziert

    worden. Heinze hat in einer wegweisenden Studie

    1894 gezeigt,

    daß das

    Manuskript LI,

    aus

    dem

    Pölitz die Abschnitte

    über

    die Metaphysica

    specialis zum Druck beförderte, nahezu identisch ist

    mit zwei weiteren Abschrif

    ten H

    und

    K

    1.

    Bei allen drei

    Manuskripten handelt

    es

    sich

    also um

    Abschriften

    einer

    (oder

    mehrerer kompilierter)

    Vorlesungsnachschrift(en)

    im eigentlichen

    Sinne, die uns nicht erhalten ist (sind). Leider hatte

    Pölitz

    jedoch

    die Ontologie

    nach

    dem Manuskript

    L2 abgedruckt, welches auf eine Vorlesung zurückgeht, die

    mit Sicherheit nach der Publikation

    der

    Kritik

    von

    1781 gehalten wurde. Die On

    tologie

    von

    L 1

    die

    umfangreicher als die von L2 ist, wurde

    dagegen

    niemals ver

    öffentlicht.

    Sie ist

    uns heute nur durch die

    Darstellung

    von Heinze bekannt, der

    auch kurze Exerpte aus ihr abdruckt. Der Abschnitt »Prolegomena«, der sich nach

    Heinze

    nicht

    in LI findet,90 wurde

    von

    ihm nach H

    (mit

    Varianten aus Kl) als

    Beilage

    I

    seiner

    Arbeit publiziert; als Beilage II brachte er ein Manuskriptteil mit

    dem

    Titel

    »Begriff

    von

    Raum

    und

    Zeit«,

    welches

    er nach

    H,

    Kl

    und

    Ll

    edierte.

    Beide Beilagen sind in die

    Akademie-Ausgabe,

    die die Metaphysica

    specialis

    nach Pölitz (also Ll )

    91

    abdruckt,

    übernommen

    worden. Dabei

    wurden

    jedoch die

    Ausführungen

    über

    den »Begriff von Raum und Zeit« fälschlich zusammen

    mit

    den »Prolegomena« abgedruckt. Dem

    Benutzer dieses

    Bandes

    der

    Akademie

    Ausgabe wird so nicht deutlich, daß Kant die »transcendentale Aesthetik«

    (XXVIII: 181) im Rahmen der Ontologie

    abhandellen

    Das Manuskript

    LI

    geht auf eine Vorlesung zurück, welche

    spätestens

    im

    Winter

    1779/80, also vor der Publikation

    der Kritik

    der reinen

    Vernunft,

    gehalten

    wurde, wie nicht zuletzt aus einem Vergleich mit der

    Metaphysik Mrongovius

    aus

    dem Winter

    1782/83 (oder 1783/84) sinnfällig wird. Der terminus a quo ist jedoch

    umstritten. Heinze hat gezeigt, daß die Vorlesung nicht vor dem Winter 1775176

    gehalten

    worden

    sein kann: In

    der

    Vorlesung wird von

    Crusius, der

    im Oktober

    1775 verst:ub, als jemandem gesprochen, der

    bereits verstorben

    ist.93 Dasselbe

    Argument gilt für eine Erwähnung von Sulzer,

    der im

    Februar 1779 verstarb.

    Heinze machte jedoch darauf aufmerksam, daß die Passage, in der

    Sulzer erwähnt

    wird,

    korrupt

    ist,

    so

    daß sie nicht als

    ein harter

    Beleg für eine Datierung des ter

    minus

    a

    quo

    auf den

    Winter

    1778179 gelten kann.94 Carl

    legt den terminus post

    89

    Die Vorrede dieser Ausgabe, in der Pölitz über

    seine

    Editionstätigkeit

    Rechenschaft

    ab-

    legt, ist abgedruckt in XXIX: 151 l-1514.

    90

    Vgl. Heinze 894: 49 l

    91

    Diese Manuskriptteile lagen schon Heinze nicht mehr vor.

    92

    Vgl.

    Heinze

    1894: 526. Kant folgt damit

    Baumgartens

    Metaphysica, in

    der

    wie in den

    Schriften Wolffs

    Raum

    und Zeit in der Ontologie abgehandelt werden (vgl.

    u a

    XVII: 79, § 239).

    93

    Vgl. Heinze 1894: 516. Zur Datierung vgl. auch XXVI l: 1340-1346 (Lehmann).

    94

    Vgl.

    Heinze

    1894: 515-516.

    4. Das Subjekt in der empirischen und rationalen Psychologie der Mctapllys'K-Pöl1t/. l'J3

    quem auf den Winter 1777/78, da sich seiner Einschätzung nach in L 1 eine Theo

    rie der Einbildungskraft findet, die inhaltlich

    von

    Tetens' 1777 publizierten

    Philo

    sophischen Versuchen

    über

    die

    menschliche Natur »abhängig ist«

     

    . Carl spricht

    von einer

    » vermögenstheoretischen Wende ,

    die sich in Kants Entwürfen zu einer

    Deduktion

    der

    Kategorien nach

    1775

    [sc. nach den Aufzeichnungen des Duisburg

    Nachlasses] feststellen läßt und die die erste

    Auflage

    [der Kritik]

    geprägt

    hat.«

    ( 989: 115)

    Heinze

    hatte

    schon

    aufgrund

    der Nähe

    einzelner Lehrstücke der Onto

    logie von LI mit der Kritik für eine Datierung der Vorlesungsnachschrifl »auf den

    Ausgang

    der

    siebziger Jahre«96 plädiert.

    Diese Vorlesung, aus der wir

    bereits ausführlich

    zitiert haben, verdient aus

    verschiedenen

    Gründen

    unsere besondere

    Aufmerksamkeit. Zunächst

    äußert sich

    Kant in ihr zu allen Bereichen der

    Metaphysik,

    der Metaphysica generalis und

    speCialis, und zwar nach dem

    Leitfaden

    von Baumgartens

    Metaphysica.

    Dabei ist

    zu beachlen, daß Kant

    sowohl Positionen

    Baumgartens referiert und kritisiert als

    auch seine eigenen Vorstellungen zu den diversen

    Theorien

    entwickelt.

    In der

    Metaphysik Pölitz

    thematisiert Kant wie in

    seiner

    ebenfalls im Winter

    halbjahr

    gelesenen Anthropologie die

    empirische

    Psychologie.

    Wir haben damit

    die einmalige Situation, an

    zwei

    verschiedenen

    Orten

    Äußerungen Kants über die

    sen

    Bereich

    der Schulmetaphysik zu finden, die

    vielleicht

    sogar aus

    demselben

    Semester

    stammen,

    ohne daß

    Kant

    in seiner

    Anthropologievorlesung

    auf die

    Me

    taphysikvorlesung und vice versa verweisen würde. Anders die

    Philosophische

    Enzyklopädie97;

    in ihr wird

    der

    Teil

    der »Wißenschaft der denkende

    Natur, das ist

    9

    5

    Carl 1989: l 18; vgl. 115- l

    J

    6 und 119-138.

    Diese Abhängigkeit

    reduziert sich bei Carl

    aber schließlich darauf, daß es

    »gut

    möglich [ist], daß die transzendentale Theorie der Erkenntnis

    vermögen durch Kants Lektüre von

    Tetens

    1777 erschienenen

    Philosophische

    Versuche über die

    menschliche

    Natur beeinflußt wurde. Kant hat deutlich gesehen, daß er und Teteno verschi,cdene

    Fragen stellten und unterschiedliche Ziele verfolgten. Insofern kann

    der

    Einl1uß

    nur

    darin bestan

    den haben, daß Kant sich genötigt sah, diese Differenzen durch Betonung des ttanszenclentalen

    Charakters seiner Theorie der Erkenntnisvermögen stärker herauszustellen.« (Carl 1989: 174) Der

    für die Theorie

    der

    Einbildungskraft essentielle Terminus

    der

    produktiven Einbildungskraft (vgl.

    Kritik

    A 120

    Anm.)

    begegnet nicht in der

    Metaphysik-Pölitz

    (vgl. XXVIII: 230-231

    u

    235-238),

    wohl

    aber

    in

    dem

    nach

    dem Januar

    1780

    geschriebenen Losen Blatt

    B 12

    (XXlll:

    18; vgl. Carl

    1989: 128) sowie in der Anthr.-Petersburg (1781/82) p. 107 (vgl. Giordanetti

    1991: 680)

    und

    in

    der Reflexion 341 (XV: 134, datiert 1780-1783). In der

    Reflexion

    2884 wird ebenfalls von dem

    »Vermögen der productiven Einbildungskraft« (XVI: 558) gesprochen. Sie stammt nach Adickes

    wahrscheinlich aus den neunziger Jahren, wobei

    er

    jedoch eine

    Datierung

    auf die Jahre 1776-78

    nicht ausschließt.

    96

    Heinze

    1894: 521; vgl.

    auch Satura

    1971: 14, der wohl selbst eine Datierung

    auf

    den

    Zeitraum zwischen 1781 bis 1785 nicht ausschließen will. In L 1 findet sich auf der Seite

    234

    die

    Unterscheidung zwischen fraus und illusio (»Demnach werden wir den Satz merken:

    s

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    2/57

    104

    Teil L Kap. l L Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    der Seele,« der die Seele empirisch betrachtet, Anthropologie98

    oder

    empirische

    Psychologie genannt

    99

    Zudem

    behandelt Kant natürlich in seiner Metaphysikvorlesung auch die ra

    tionale Psychologie, deren Seelenerörterung wir bisher im

    Rahmen der

    Kanti

    schen Vorlesungen über Anthropologie aus den siebziger Jahren

    nur

    beiläufig

    diskutiert haben. Schon Heinze hatte mit Blick auf diesen Abschnitt der Metaphy

    sikvorlesung festgestellt, daß Kant noch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre

    nicht von Paralogismen der reinen Seelenlehre

    spricht oo

    Wir

    werden uns fragen müssen, in welchem Verhältnis Kants Ausführungen

    über das Ich-Bewußtsein und die Seele in der empirischen

    zu

    der in der rationalen

    Psychologie stehen, Es wird sich zeigen, daß die von ihm in der empirischen Psy

    chologie (wie in der Anthropologie) thematisierte Selbsterkenntnis, die auf einer

    Selbstanschauung des Ich beruht, aus methodischen und inhaltlichen Erwägungen

    heraus keinesfalls mit der Wesenserkenntnis der Seele, die in

    der

    rationalen Psy

    chologie vorgetragen wird, verwechselt oder gar explizit mit ihr identifiziert wer

    den darf, obgleich in beiden der Sache nach von der Seele als

    einer

    res cogitans

    gesprochen wird. Die Argumente, die für diese klare Trennung

    der

    beiden Zu

    gangsweisen

    zur

    Wesenserkenntnis der menschlichen Seele angeführt werden

    können, sind so zwingend, daß es schwer fällt zu verstehen,

    warum

    sie bisher,

    soweit ich sehe, noch von keinem Kant-Interpreten gewürdigt worden sind.

    1 1

    Wißenschaften aus den Vorlesungen des Herrn Profeßors Immanuel Kant« (vgl. Stark 1984: 295

    und 298; XXIX: 663 ist der Titel fehlerhaft angegeben). Die Nachschrift geht auf eine Vorlesung

    zurück, die J775, 1777178 oder 1779/80 gehalten worden ist. Für eine Datierung auf den Sommer

    1775 argumentiert Kuehn (1983: 310-313). während Tonelli (1962: 513) für 1777178 oder 1779/80

    plädiert. Nach Stark (1987: 134 u. 153, Anm. 66; vgl. l 984: 296-304) ist der Terminus a quo auf

    das Jahr 1777 zu legen. - Über die tatsächlich gehaltenen Vorlesungen sind eigens Verzeichnisse

    geführt worden, aus denen auch die Anzahl der Studenten, die den Kollegia beiwohnten, hervor

    geht. Zur Enzyklopädievorlesung des Sommers 1775 vgl. die »Halbjährige Tabelle Von den im

    Sommerhalbenjahre von Ostern biß Michaelis, 1775 auf der Vniversität

    zu

    Königsberg wirklich zu

    stande gekommenen und gelesenen Collegiis. In Facultate philosophica.« Darin heißt es für dieses

    Kolleg Kants: »Encyclopaedie aller philos. Wissenschaften [nach]

    Feder

    privatim [vor] 20

    [Studenten].« (Olsztyn XXVIII/ , Nr. 200, Seite 686; diese Angaben verdanke ich Werner Euler).

    98

    Sie

    mu[ von der praktischen Anthropologie unterschieden werden, die als Ethik oder

    Tugendlehre »von dem guten Gebrauch der Freyheit

    in

    Ansehung des Menschen« (XXIX:

    12

    handelt.

    99

    Vgl. XXIX: 11; vgl. 44. In der

    Metaphysik-L2

    wird an einer Stelle eindeutig auf das An-

    thropologiekolleg verwiesen (vgl. XXVIII: 585).

    100

    Vgl. Heinze 1894: 545.

    101

    Vgl. etwa Cramer 1915: 228-229, 232-233, 242-244, Saturn 1971: 27-28 sowie Brandt

    1992: 105 u. 109 und l994a: 16. Car schreibt: »We have seen [sc. im Duisburg-Nachlaß] that the

    apperception is based on the unity of the subject understood

    as

    res cogitans. At that time the para

    logisms were yet to be discovered; their discovery is to be dated rather late. Even his lectures on

    metaphysics given about 1777 or later, Kant adopted the dogmatic position

    of

    Rational Psycholo

    gy (28: 224-27, 265-69).« (1989a: 19) Auf den Seiten 224 his 227 der Metaphysik-Pölitz handelt

    Kant aber nicht von der rationalen, sondern von der empirischen Psychologie, in der die Seele

    ebenfails als res cogitans gefaßt wird.

    4. Das Subjekt

    in

    der empirischen und rationalen Psychologie der Metaphysik-Pölitz 105

    Dies trifft auch für die Einschät zung der Leistungsfähigkeit der rationalen

    logie zu. Die Tatsache, daß Kant in

    der Metaphysik-Pölitz

    die Paralogismen der

    reinen Seelenlehre noch nicht entdeckt hat, isl nicht gleichbedeutend mit der Aus

    sage, Kant habe in dieser Vorlesung dogmatische rationalpsychologiscl1e Einsich

    ten vorgetragen, die inhaltlich eine Erweiterung dessen darstellen, was wir über

    die Seele in der empirischen Psychologie kennengelernt haben.

    Dies gilt mit umgekehrten Vorzeichen auch für den im Jahre

    1910

    von Theo

    dor Haering vorgelegten Kommentar

    zum

    Duisburg-Nachlaß. Haering übersieht

    nämlich seinerseits, daß Kant auch

    im

    Duisburg-Nachlaß, dessen Reflexionen

    iil-

    ter als die

    Metaphysik-Pölitz

    sind, an einer substantiellen Selbstanschauung des

    Ich festhält. Es kann daher keine Rede davon sein, daß in diesen Ausarbeitungen

    Kants »schon alle grundlegenden Gedanken der Kritik vorhanden« 1910: 151)

    seien, die es nur noch auszuformulieren gelte. Haer ing weiß denn auch mit Kants

    explizitem Rekurs

    auf

    die rationale Psychologie

    auf

    der Seite II von Blatt

    18

    des

    Duisburg-Nachlasses nichts anzufangen

    1 2

    und beraubt sich damit der Möglich

    keit, die Überlegungen, die

    zur

    Analytik der

    Kritik

    führen, in ein Verhältnis zu

    denen zu setzen, die sich 1781 im Paralogismuskapitel niederschlagen. In dieses

    Bild fügt sich auch Erdmanns Versuch, die

    Metaphysik-Li

    zeitlich vor die Nieder

    schrift der Reflexionen des Duisburg-Nachlasses zu datieren. Seines Erachtens ist

    L1 »sicher nicht vor dem Winter 1773/4 und

    kaum

    viel später nachgeschrie

    ben«I03

    worden.

    Beginnen

    wir

    mit einigen terminologischen Vorbestimmungen, die uns

    zum

    Teil bereits vertraut sind: Die Erkenntnis

    der Gegenstände

    der Sinne ist die Phy

    siologie, die entweder empirisch oder rational und entweder eine Physiologie des

    äußeren Sinnes (Physik) oder des inneren Sinnes (Psychologie) ist.

    1

    0

    4

    Das Objekt

    des inneren Sinnes ist das Ich.1os

    Die

    empirische Physik und die empirische Psy

    chologie gehören nicht zur Metaphysik, weil diese »eine Wissenschaft der reinen

    Vernunft ist«

    1

    06,

    die ihre Prinzipien also nicht aus der Erfahrung gewinnt. »Psy

    chologia empirica

    ist die Erkenn tniß von den Gegenst änden des inneren Sinnes, so

    fern sie aus der Erfahrung geschöpft ist.

    [ .. ]

    Die

    rationale Psychologie

    ist die

    Erkenntniß er Gegenstände des innern Sinnes, so fern sie aus der reinen

    r-

    nunft entlehnt

    ist.«

    1 7

    Demnach hat Kant zur

    Zeit

    der

    Metaphysik-Pölitz

    das Un

    terfangen einer Wesenserkenntnis der Seele durch reine Verstandesbegriffe noch

    nicht mit der transzendentalen Dialektik und

    einem

    Vernunftbedürfnis in Verbin

    dung gebracht. »Die denkenden Wesen betrachte ich ent weder blos aus Begriffen,

    und das ist die psychologia ralionalis; oder durch Erfahrung, die theils innerlich in

    102 Vgl. Haering 1910: 7 u. 96.

    103

    Erdmann 1884: 65; vgl. 1883: 140. Erdmann geht zudem von der irrigen Annahme aus,

    es handele sich hierbei um eine direkte Nachschrift der Vorlesung (vgl. Heinze 1894: 487).

    104

    Vgl. XXVIII: 221-222 u.

    Danziger Physik,

    XXIX: 100-101.

    ios Vg XXVIII

    225

    io6 XXVIII: 223; vgl. XXIX: 11-12

    Enzyklopädie).

    1 1

    XXVIII: 222-223.

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    3/57

      06

    Teil L Kap. HI. Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    mir selbst geschiehet, oder äußerlich, die ich an andern Naturen wahrnehme, und

    nach der Analogie, die sie mit mir haben, erkenne; und das ist die psychologia

    empirica, wo ich denkende Naturen durch Erfahrung betrachte.«

    1

    08

    Wie sieht nun das Verfahren der empirischen Psychologie aus, und zu welchen

    Erkenntnissen gelangt sie? »Das substratum, welches zum Grunde liegt, und wel

    ches das Bewußtseyn des inneren Sinnes ausdrückt, ist

    der Begriff

    109

    von Ich

    welcher blos ein Begriff der empirischen Psychologie ist. Der Satz:

    [eh bin

    ist

    von

    Cartesius

    als der erste Erfahrungssatz angenommen worden, der evident ist;

    denn die Vorstellungen vom Körper könnte ich haben, wenn auch keine Körper da

    wären; aber mich schaue ich selbst an, ich bin mir unmittelbar bewußt.«

    110

    Wäh

    rend ich mich im inneren Sinn selbst anschaue , schließe ich bloß

    auf

    die Exi

    stenz der äußeren Gegenstände.1

    1

    1 Und bei Schlüssen können uns bekanntlich

    Fehler unterlaufen, insbesondere dann, wenn es sich um lange Schlußketten han

    delt. Die Anschauung des Ich ist nach Kants Auffassung also ein Erfahrungssatz

    und gehört in die empirische Psychologie. Das Selbstbewußtsein (das

    »subjective

    Bewußtseyn«) »ist ein auf sich selbst gekehrtes Beobachten; es ist ni cht discursiv,

    sondern intuitiv.«

      2

    Damit

    jedoch

    nicht genug. Wie

    in

    der

    Anthropologie-Friedländer

    macht Kant

    sodann

    darauf

    aufmerksam, daß sich das Ich auf sich selbst als

    Mensch

    und als

    Intelligenz beziehen kann. »Diese Intelligenz, die mit

    dem

    Körper verbunden ist,

    und den Menschen ausmacht, heißt

    Seele;

    aber

    allein betrachtet

    ohne den Körper

    heißt sie Intelligenz. Die Seele ist also nicht blos denkende Substanz, sondern

    in

    so fern sie mit

    dem

    Körper verbunden eine Einheit ausmacht.«

    113

    In der Reflexi

    on 4728 aus der Mitte der siebziger Jahre lesen

    wir

    entsprechend: »Geist ist eine

    reine intelligentz. (rein ist, was von allem fremdartigen abgesondert ist.) Also ist

    Geist eine intelligentz, abgesondert von aller Gemeinschaft mit Korpern. Wenn

    ich

    in

    der psychologia rationalis von allem commercio mit Körpern abstrahire, so

    ios XXVIII: 224

    1 9 Vgl. unten S. 298-300.

    11 XXVIII: 224. - Carl geht auf die spezifische Lehre der empirischen Psych ologie der Me

    taphysik-Pölitz wohl unter der Annahme nicht ein, daß die »Lehre von der Substantialität, Simpli

    zität und Freiheit der Seele« (1989: 118) grundsätzlich zur rationalen Psychologie zu zählen ist.

    111

    Diese

    Position wird in einer Reflexion aus den späten

    achtziger

    Jahren

    unter der

    Über

    schrift »Gegen den (materialen) ldealism« erörtert. Dieser »gründet sich darauf, daß wir unserer

    eigenen Existenz uns unmitlelbar

    bewust

    sind,

    äußerer Dinge

    aber nur durch

    einen Schlus

    von

    dem unmittelbaren Bewustseyn bloßer Vorstellungen von Dingen ausser uns auf die Existenz der

    selben, welcher Schlus aber in seiner Folgerung nicht evident ist

    [„.].«

    (XVIII: 306, RefL 5653,

    datiert 1785-89) n der Metaphysik-Mrongovius expliziert Kant die Position des Idealismus: »Daß

    ich als Mensch existire, ist schon ein Schluß, und zwar ein Schluß, der keine mathematische Ge-

    wißheit giebt, denn der Idealist leugnet das Dasein der Körper.« (XXIX: 877)

    2 XXVIII: 227.

    113

    XXVIII: 224-225. Vgl. auch die frühen Ausführungen in der Logik-Philippi: » eh bin mir

    nur meiner eigenen Erfahrung bewust. Ich wie ich mich durch meine innere Sinne allein erkenne

    ist meine Seele. Ich wie ich mich nach den äussern und innern Sinnen erkenne, bin ein Mensch.

    Ich wie ich mich bloß durch den äußern Sinne erkenne ist mein Körper.« (XXIV: 403)

    4. Das Subjekt in der empirischen und rationalen Psychologie der Metaphysik-l

    ölil;,

    1 f/

    wird aus dem

    Begrif

    der Seele der des Geistes und psychologia

    wjrd

    gia. Wenn ich die intelligentz weglasse und blos Seele in Gemeinschaft mit Kor

    per nehme, so bleiben animae brutorum.« (XVII: 689)

    Entscheidend dafür, mich als Intelligenz oder als Geist denken zu können, isl

    nach Kant das Verfahren

    der

    Abstraktion, welches gewissermaßen an die Stelle

    von Descartes' methodischem Zweifel tritt. Auch in den späteren kritischen Schrif

    ten, nicht zuletzt in der

    Kritik der reinen Vernunft

    greift Kant darauf zurLck, um

    wesentliche Ergebnisse der transzendentalen Ästhetik und Logik

    zu

    gewinnen.114

    Anders als bei Descartes wird die Existenz, die im Aktus des 'Ich denke' gedacht

    wird und aufgrund dieses Verfahrens zu Bewußtsein kommt, als ein bloßes

    Daß

    gedacht, welches aber dennoch auf eine Realität verweist, die als unabhängig vom

    Denkakt selbst gedacht werden muß; die Abstraktion setzt ein Mannigfaltiges der

    Sinnlichkeit voraus.

    Während ich als Seele also mit

    dem

    Körper in einem Commercium stehe und

    »meinen Ort in der Welt als Seele durch den Körper« (XXVIII: 225) bestimme,

    bin ich als Intelligenz

      5

    an keinem Ort. Es fällt auf, daß Kant

    an

    dieser Stelle

    seiner Ausführungen nicht, was nahegelegen hätte,

    auf

    seine Apperzeptionstheorie

    eingeht, über die er sich in den sie bziger Jahren nicht zuletzt in den (privaten) Re-

    flexionen des Duisburg-Nachlasses geäußert hat. Stattdessen wendet er sich dem

    Begriff

    Ich

    auf eine Art und Weise zu, die uns bereits aus den frühen Anthropo

    logievorlesungen vertraut ist und die die Unt erscheidung zwischen logischem und

    psychologischem Ich nicht kennt. Nach Kant »drückt« der Ich-Begriff nämlich die

    Substantialität und die Simplizität meiner Seele, »die in mir denkt« (XXVIII:

    226), aus. Ohne Vorbild in den Anthropologievorlesungen (aber durch die

    Meta

    physica

    Baumgartens nahegelegt) ist es schließlich, daß Kant an dritter und letzter

    Stelle die lmmaterialität

    meiner

    selbst nennt. Die Immaterialität, Substantialität

    und Einfachheit folgen aus der »Zergliedrung von sich selbst.« (ihid.)

    Nach Kant bin ich mir meines »Subjekts

    und

    meines Zustandes« einerseits,

    »der Dinge außer mir«

     

    6 andererseits bewußt. Als Intelligenz bin ich »ein We-

    114

    Der Terminus der Abstraktion ist grundlegend für das Kantische Modell von Selbstbe

    wußtsein und Selbsterkenntnis in der zweiten Auflage der Kritik; vgl. Teil

    ll

    Kap. sowie zum

    Verfahren der Isolation A 22/B 36 u A 62/B 87. Bereits im§ 8 der lnaugurald;.sserta ion disku

    tiert Kant das Abstraktionsverfahren.

    115

    Der Ausdruck 'Intelligenz' begegnet nur in der empirischen Psychologie der Metaphysik·

    Pölitz. In der rationalen Psychologie fragt Kant danach, ob die Seele auch ein Geist sei. »Zum

    Geiste wird erfordert nicht allein, daß er ein immaterielles Wesen sey, sondern daß er auch ein von

    aller Materie abgesondertes selbst denkendes Wesen sey.« (XXVIII: 273) Der Geist wäre sozusa

    gen eine Intelligenz, die für sich selbst existieren, d. h. denken kann, ohne in einem Kommetzium

    mit dem Körper zu stehen (vgl. XXVIII: 278).

    '

    16

    Crusius unterscheidet in § 16 seiner Schrift Entwurf der

    nothwendigen

    Vernunft-Wahr

    heiten zwischen innerer und äußerer Empfindung, womit er sich die Möglichkeit eröffnet, die Exi

    stenz äußerer

    Gegenstände

    wie

    später

    Kant

    auf

    das

    unmittelbare

    Zeugnis des Bewußtseins zu

    gründen. »Wir nehmen in uns Gedancken wahr. In einigen derselben sind wir bey wachendem

    Zustande genöthiget, Dinge unmittelbar uns als wircklich und gegcnwartig vorzustellen, und die

    ser Zustand heißt Empfindung§ 16. Wir nennen es äusscrliche Empfindung wenn wir uns darin-

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    4/57

    108 Teil

    I Kap.

    IIL Selbstbewußtsein,

    Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    sen, das denkt, und das will.

    Das Denken un Wollen kann aber nicht angeschaut

    werden;

    also bin ich auch kein Object

    der

    äußeren Anschauung. Was

    aber

    kein

    Object der äußern Anschauung ist, das ist immateriell.« (XXVIII 226) Wird in der

    Kritik von

    I 781

    der Beweis der Immaterialität der Seele im Rahmen des zweiten

    Paralogismus

    der

    reinen Seelenlehre

    117

    erörtert und kritisiert, wird in

    der Meta

    physik-Pölitz ein positiver Beweis der Immaterialität der menschlichen Seele be

    reits

    auf dem

    Boden der empirischen Psychologie geführt.

    Wenden wir uns

    dem

    Abschnitt über die rationale

    Psychologie

    in

    der

    Meta

    physik-Pölitz

    zu. In ihm folgt Kant der Baumgartensehen Bestimmung der rationa

    len Psychologie als einer Erkenntnis aus Begriffen, die jedoch von Kant näher als

    Begriffe a priori gekennzeichnet werden. In

    der

    rationalen

    Psychologie

    »sollen

    wir [sc. nach den Direktiven von Baumgartens Lehrbuch] untersuchen, wie viel

    wir von der menschlichen Seele durch die Vernunft erkennen können.«

    (XXVIII:

    263) Nach Kant ist der Begriff der Seele ein Erfahrungsbegriff; in der rationalen

    Psychologie, die auf eine »metaphysische Erkenntniß« der Seele zielt, wird jedoch

    der »bloße« Begriff der Seele in Anspruch genommen,

    der

    in nicht

    mehr

    bestehen

    soll, als

    »daß

    wir eine Seele haben.« (ibid.) Dies entspricht der Ausgangssituation

    im späteren Paralogismuskapitel; die rationale Psychologie appliziert die Katego

    rien als transzendentale Prädikate auf das als existierend gedachte Ich

    denke ,

    wobei Kant in der

    Kritik

    die Syllogismen, die eine Selbsterkenntnis der Seele stif

    ten sollen, tatsächlich als Paralogismen ausweist.1 is

    Uns soll zunächst nur der von Kant als transzendental bezeichnete erste Teil

    der rationalen Psychologie in der

    Metaphysik-Pölitz

    interessieren, in

    dem

    die See

    le aus einem absoluten Gesichtspunkt »Schlechthin an un für sich selbst ihrem

    Subjecte nach, aus blos reinen Verstandesbegriffen allein« (XXVIII: 263) betrach

    tet wird.

    In dem transzendentalen Teil der rationalen Seelenlehre wenden wir die

    »transscendentalen Begriffe der Ontologie« auf die Seele an, welche sind: »l) daß

    die Seele eine Substanz sey; 2) daß sie einfach; 3) daß sie eine einzelne Substanz,

    und 4) daß sie simpliciter spontanea agens sey.«119

    Der

    Syllogismus wird hier

    also noch nicht, wie dann in der

    Kritik

    als medium veritatis der rationalen Psy-

    nen Dinge als ausser demjenigen Dinge, das in uns denckt, vorstellen, und diese richten sich nach

    dem Zustande gewisser Werckzeuge unseres Leibes. Innerliche Empfindungen aber heissen sie,

    wenn wir uns darinnen etwas als in dem Dinge selbst, welches in uns dencket, vorstellen. Durch

    dieselben sind wir uns unserer selbst, unserer Gedancken, und unseres Gemülhs-Zustandes, be

    wust.«

    §

    426: 824-825)

    7

    Vgl.A356-36l.

    8

    Vgl. Teil

    II,

    Kap.

    IV.

    9

    XXVIII: 265.

    Leibniz

    schreibt in seinen

    Principes de

    l

    Nature et de

    l

    Grace fondes en

    raison: »

    .

    La Substance est un Etre capable d'Action. Elle est simple ou composee.

    La

    Substance

    simple est celle qui

    n

    a

    point

    de parties. La composee est l assemblage

    des

    substances simples, ou

    des Monades. Monas est un

    mot

    Grece, gui signifie l Unite, ou ce gui est un.

    Les

    composes ou les

    corps sont des Multitudes;

    et

    les substances simples,

    es

    Vies,

    es

    Ames,

    es

    Esprits sont

    des

    Unites.« (Leibniz 1965, VI: 598)

    4. Das Subjekt in der empirischen und rationalen Psychologie der Metapl;ysik.Pölnz 109

    chologie verstanden.

    Mit einer

    gewisse n Parallelität zu den in der

    empirischen

    Psychologie

    wird

    zwischen dem

    Ich in sensu stricto und in sensu

    latiori unterschieden. In sensu stricto ist der »Gegenstand des innern Sinnes, die

    ses Subject das Bewußtseyn« (ibid.) die Seele; in sensu latiori drückt das Ich

    »aber mich als ganzen

    Menschen

    mit Seele und Körper aus« (ibid.)_ Für die

    Me·-

    thode der rationalen Psychologie ist es kennzeichnend, die oben angeführten

    »transscendentalen

    Begriffe«

    (XXVIII: 266) auf das Ich in sensu stricto in der

    Absicht anzuwenden, apriorische Erkenntnisse über die Natur der Seele überhaupt

    zu gewinnen_ Es ist nicht klar, ob dies überhaupt ein sinnvolles Unternehmen ist.

    Denn wenn in der empirischen Psychologie gezeigt wird, daß die Anschauung des

    Ich eine Erfahrung ist, die den inneren Sinn voraussetzt, dann scheint in der ratio

    n;ilen Psychologie, die die so gewonnene Existenz des Ich als Seele voraussetzt,

    immer auch ein empirischer Gehalt mitgegeben zu sein. Sie wäre dann im stren

    gen Sinne

    keine

    rationale

    Psychologie

    mehr. Wird die Existenz der Seele in der

    empirischen Psychologie jedoch nicht als eine Erfahrung ausgezeichnet, dann fin

    det sich in ihr umgekehrt ein Lehrstück, welches per definitionem nicht ein Teil

    ihrer selbst sein darf. In

    der Kritik

    hat

    die

    Existenz, die

    im

    Ich

    denke

    gedacht

    wird, jedoch keinen empirischen Inhalt; sie bezeichnet ein bloßes Faktum.

    Viel wichtiger ist

    zunächst

    aber die

    Beobachtung,

    daß

    Kant

    in

    der

    rationalen

    Psychologie der Metaphysik-Pölitz als möglich behauptet, was er in der Kritik der

    reinen Vernunft

    scharf zurückweisen wird, nämlich daß wir durch die Anwendung

    reiner Verstandesbegriffe

    auf

    das Ich apriorische Erkenntnisurteile über die Seele

    treffen können. Die Seele

    muß

    hier als eine zentrale Ausnahme von seiner bereits

    in der

    Metaphysik-Pölitz

    vertretenen Ansicht gelten: Kategorien haben nur dann

    Sinn und Bedeutung, wenn sie

    auf

    ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit angewandt

    werden.

    In den Auszügen der Metaphysik-Pölitz (Ontologie), die uns von Heinze über

    liefert sind, findet sich ein klarer Hinweis auf Bedingungen, unter denen ein syn

    thetischer Gebrauch der Kategorien in eine transzendentale Dialektik führt: »Alle

    synthetischen Principia sind nichts anders als Principia der Exposition der Erfah

    rung, weil sie auch Principia der Composition der Erfahrung sind, und ohne sie

    keine Erfahrung mög lich ist. - Alle synthetischen Princ ipia sollen nicht von Din

    gen überhaupt urtheilen, sondern vom Gegenstande der Sinne, denn sons: sind sie

    transcendent und dialektisch.«

    12

    Kategorien eignen sich also nur insofern als

    synthetische Prinzipien der Erfahrung, als sie auf diese Erfahrungen selbst bezo

    gen werden. Zweifelsohne will die Vernunfterkenntnis der Seele durch reine Be

    griffe jedoch eine synthetische Erkenntnis apriori sein, da sie, wie es in der

    Kritik

    heißen wird; über die Seele als solche, nicht nur über mein 'Ich denke' urteilt. Wie

    kann aber die rationale Psychol ogie synthetische Urteile apriori bezüglich der See-

    120

    XXVIII: 187 (Auszug-Heinze von LI). - Diese Überlegungen werden im Grundsatzkapi

    tel der

    Kritik

    weiterentwickelt; vgl. auch XXVIII: 185

    u.

    188. Nach der auf die Jahre 1773.75 da

    tierten Reflexion 1601 führt der Gebrauch der allgemeinen Logik als Organon in eine Diitlektik

    (vgl. XVI: 31-32).

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    5/57

    l lO

    Teil I Kap. lt Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    Je stiften, wenn sie doch keine empirische Erfahrung voraussetzen darf? Die ratio

    nale Psychologie

    abstrahiert

    gerade von aller Erfahrung

    und

    bezieht sich allein

    auf

    die Existenz der Seele, die zwar in der Erfahrung gegeben ist, aber,

    da

    sie als

    solche keinen empirischen Inhalt hat, nicht geeignet scheint, synthetische Urteile a

    priori bezüglich der Seele

    zu

    formulieren. »Der Begriff der Seele an sich selbst ist

    ein Erfahrungsbegriff

    Wir

    nehmen aber

    in

    der rationalen Psychologie nichts mehr

    aus der Erfahrung, als den bloßen

    Begriff

    der Seele,

    daß

    wir eine Seele haben.

    Das Uebrige muß aus der reinen Vernunft erkannt werden. Diejenige Erkenntniß,

    wo wir den Leitfaden der Erfahrung verlassen, ist die

    metaphysische Erkenntniß

    der Seele.«

    (XXVlll:

    263) Was erkennen wir dann aber in der rationalen Psycho

    logie, was uns nicht bereits aus der empirischen Psychologie vertraut ist? Kants

    eindeutige Antwort lautet: »Wenn wir nun von der Seele a priori reden; so werden

    wir von ihr nichts mehr sagen, als sofern wir alles von dem Begriffe vom Ich her

    leiten können, und sofern wir auf dieses Ich die transscendentalen Begriffe an

    wenden können.« (XXVIII: 266) Dieses Zitat gibt zu erkennen, daß wir in der ra

    tionalen über den Wissensbestand der empirischen Psychologie

    keinesfalls

    hin

    ausgehen können. Der Unterschied zwischen der empirischen und der rationalen

    Psychologie besteht nicht darin, daß wir in der letztem einen Zuwachs an Wissen

    bezüglich der Seele erlangen können, sondern ist allein begründet in den ver

    schiedenen methodischen Zugangsweisen. Die rationale Psychologie setzt die

    empirische Psychologie und mit ihr die (metaphysische) Deduktion der reinen

    Verstandesbegriffe voraus, die das Muster der Exposition sowohl der empirische n

    als auch

    der

    rationalen Psychologie abgibt. Also gerade diejenigen Charakteri

    stika, die das Ich als Gegenstand der empirischen Psychologie ausdrückt , kön

    nen dann im Bereich der rationalen Psychologie auf das als bloß existierend ge

    dachte Ich appliziert werden 121

    121

    In der ersten Auflage der Kritik eruiert Kant die Bedingung, unter der es möglich sein

    würde, mich selbst im Sinne der rationalen Psychologie zu erkennen: »Dieses

    ch

    müßte eine An

    schauung sein, welche, da sie beim Denken überhaupt (vor aller Erfahrung) vorausgesetzt würde,

    als Anschauung a priori synthetische Sätze lieferte, wenn es möglich sein sollte, eine reine Ver

    nunfterkenntnis von

    der

    Natur eines denkenden Wesens überhaupt zustande zu bringen. Allein

    dieses Ich ist sowenig Anschauung, als Begriff von irgendeinem Gegenstande, sondern die bloße

    Form des Bewußtseins, welches beiderlei Vorstellungen begleiten, und sie dadurch

    zu

    Erkenntnis

    sen erheben kann, sofern nämlich dazu noch irgend etwas anderes in der Anschauung gegeben

    wird, welches zu einer Vorstellung von einem Gegenstande

    Stoff

    darreicht.« (A 382) Eine An

    schauung a priori habe ich von mir im inneren Sinn nicht. Nach der Kritik haben wir jedoch eine

    Anschauung a priori des Raumes. Die Wissenschaft, die sich auf diese Anschauung bezieht, ist die

    Geometrie: »Geometrie ist eine Wissenschaft, welche die Eigenschaften des Raumes synthetisch

    und doch a priori bestimmt. Was muß die Vorstellung des Raumes denn sein, damit eine solche

    Erkenntnis von ihm möglich sei? Er muß ursprünglich Anschauung sein; denn aus einem bloßen

    Begriffe lassen sich keine Sätze, die über den Begriff hinausgehen, ziehen, welches doch in der

    Geometrie geschieht (Einleitung V). Aber diese Anschauung muß a priori, d. i. vor aller Wahr

    nehmung eines Gegenstandes, in uns angetroffen werden, mithin reine, nicht empirische Anschau

    ung sein.« (B 40-41) Würden wir, so Kant in der

    Kritik,

    eine Anschauung a priori des Ich haben,

    dann hätten wir mit der rationalen Psychologie eine Wissenschaft vorliegen, die sich auf die Zeit

    1-.. .„:aht „

    . . 1 . ~ r r . _..nrnptrlP

    n ~ r ~ 1 J p j Of r.rrlnf't ; t

    TMi;: Ärhlir h

    h 1t K;int in seiner lnau2uraldisserta

    4. Das Subjekt in der empirischen und rationalen Psychologie der Metaphysik·Pölitz 1l1

    Der wohl entscheidende Grund dafür, daß die rationale Psychologie

    in

    positi

    ver Hinsicht nicht über den Wissensbest and der empirischen Psychologie hinaus

    gehen kann, sofern es um die Wesensmerkmale der Seele geht, ist wohl

    dann zu

    sehen, daß die rationale Psychologie gerade die nur

    auf

    dem Boden der empiri

    schen Psychologie verifizierbare Existenz des denkenden Subjekts voraussetzt. Es

    macht nach Kant keinen Sinn, von der Existenz eines Subjekts

    zu

    sprechen.

    wcl

    ches nicht auf ein im inneren Sinn gegebenes Mannigfaltiges angewiesen ist; die

    Existenz des denkenden Subjekts kann nicht more geometrico bewiesen werden.

    Die nun in der rationalen Psychologie der

    Metaphysik-Pölitz

    genannten vier

    »transscendentalen Begriffe« (XXVIII: 266) stimmen mit einer bedeutenden Aus

    nahme mit der Tafel der »transzendentalen Prädikate«

    122

    überein, auf die sich die

    Paralogismen in der

    Kritik

    beziehen.

    123

    Während Kant in der Vorlesung

    an

    vier

    ter Stelle die Freiheitsproblematik diskutiert, wird in der

    Kritik

    an dieser System

    stelle die Idealismusproblematik erörtertI

    24

    , die an die Kategorie der Modalität

    anschließt.

    Vielleicht ist einer der Gründe, warum Kant im Abschnitt über die rationale

    Psychologie der Metaphysikvorlesung die Freiheit an der vierten Systemstelle er

    örtert, darin zu sehen, daß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Kategorien der

    Modalität

    in

    den Kanon der Kategorientafel aufgenommen hat. Im Abschnitt über

    die Ontologie, aus der Heinze zitiert, wird die Modalität von den drei anderen

    Kategorien separiert. Über die Kategorien der Qualität, Quantität und Relation

    heißt es bestimmt: »dies sind die Kategorien des Verstandes, und ausser ihnen gibt

    es keine mehr.«

    12

    5

    Zu der Modalität schreibt Heinze referierend: »Eine gewisse

    Unsicherheit, abgesehen von dem Fehlen der unendlichen Urtheile und der diesen

    entsprechenden Kategorien der Einschränkung, zeigt sich nur noch betreffs der

    Modalität. Später [sc. in der Kritik] werden die modalen Kategorien ganz unmit

    telbar neben die andern gestellt. In den Vorlesungen folgen diese den andern erst

    tion die These vertreten, daß es eine Wissenschaft von der reinen Zeitanschauung gibt: »Daher

    betrachtet die REINE MATHEMATIK den

    Raum

    in der GEOMETRIE, die

    Zeit in

    der reinen ME

    CHANIK« (W V: 45, Sectio II, § 12) Die empirische Psychologie beschäftigt sich nach Maßgahe

    dieses Paragraphen zwar nur mit den Phaenomena des inneren Sinnes, aber mit der reinen Mecha

    nik ist ein Systemort angegeben, den Kant nach 1770 auch mit der reinen Anschauung a priori des

    Ich hätte füllen können.

    122 A 343-344/B 401-B 402.

    123

    An der dritten Stelle wird in

    der

    Metaphysik Pölitz davon gesprochen, daß die Seele

    »eine

    einzelne Seele

    (die Unität, die Einheit der Seele)« (XXVIII: 267) ist, ohne jedoch zu erwäh

    nen, daß dies nichts anderes als die numerische Identität meiner Seihst als Person bezeichnet (vgl.

    den dritten Paralogismus der Kritik .

    i

    24

    Nach Cramer stehen ldealismuswiderlegungen »bei den deutschen Philosophen außer

    halb des systematischen Zusammenhangs der rationalen Psychologie, wenn sie sich auch

    in

    den

    Abhandlungen der rationalen Psychologie finden (Wolff). Dies ist jedoch nicht immer

    cter

    Fall.

    Man betrachtet den Idealismus auch als kosmologisches Problem (Baumgarten) und in der Form

    des Egoismus als theologisches Problem (Wolf ). Widerlegungen des Idealismus in Kompendien

    der Logik sind keine Seltenheit (Knutzen und Crusius).« (1915: 31, Anm. 2)

    125

    XXVIII: 186.

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    6/57

    112 Teil L Kap. III. Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    nach, als hätten sie nicht dieselbe Giltigkeit und Bedeutung wie die früheren.«126

    Da die Freiheit jedoch überhaupt nicht als Kategorie bezeichnet wird, gibt Kant in

    der rationalen Psychologie der Metaphysik-Pölitz eine Exposition der Seelenlehre,

    die nicht mit der Kategorientafel zur Deckung

    zu

    bringen ist.

    Im

    Gegensatz zur

    Kritik er reinen Vernunft wird die Freiheit in der Metaphysikvorlesung aber im

    Rahmen der rationalen Psychologie erörtert, weil die Freiheit mit der Spontaneität

    identifiziert wird, womit dem Selbstbewußtsein ein priviligierter Zugang zur prak

    tischen Selbsterkenntnis eröffnet wird.

    Wir haben oben gesehen, daß Kant bezüglich der Freiheitsproblematik in der

    empirischen und in der rationalen Psychologie mit der praktischen und der trans

    zendentalen Freiheit zwei gänzlich unterschiedliche Konzepte von Freiheit auf

    greift, ohne daß dabei die rationale Psychologie zu einer Erweiterung unserer spe

    kulativen Erkenntnis beitragen würde. Wie sieht es aber

    mit

    den anderen Berei

    chen dieser zwei Wissenschaften aus? Sieht der Beweis für die Substantialität und

    die Einfachheit der Seele, au f die ich mich hier beschränken möchte, in der empi

    rischen Psychologie anders aus als in der rationalen?

    ( l) Die Substantialität der Seele wird in der empirischen Psychologie zwar in

    Form eines Syllogismus

    S 1

    thematisiert, dabei wird aber als unproblematisch

    vorausgesetzt, daß wir die Substanz der Seele »Unmittelbar anschauen kön

    nen« 127.

    Der

    Syllogismus stiftet hier also keine neue Erkenntnis (wie in

    der

    In

    terpretation Wolffs), sondern bestimmt nur den Ausdruck

    'Substanz'; d. h„

    es

    wird gerechtfertigt, warum das Ich-Subjekt eine Substanz genannt werden kann.

    Er lautet:»[ .]

    Substanz ist das erste Subject aller inhärirenden Accidenzen.

    [2.)

    Es ist dieses Ich aber ein absolutes Subject, dem alle Accidenzen und Prädicate

    zukommen können, und was gar kein Prädicat von einem andern Dinge seyn

    kann. [3.] Also drückt das Ich das Substantiale aus; [„.].«128

    Auch die Argumentation in

    der

    rationalen Psychologie wird in einem Syllo

    gismus

    S 2

    vorgetragen:

    »[ l.

    Was kein Prädicat von ei nem andern Dinge ist, ist

    eine Substanz. [2.] Das Ich ist das allgemeine Subject aller Prädicate, alles Den

    kens, aller Handlungen, aller möglichen Urtheile, die wir von uns als einem den

    kenden Wesen fällen können.

    [„.].

    Es geht also gar nicht an, daß das Ich ein Prä

    dicat von etwas anderm wäre.

    [„.].

    [3.] Folglich ist das Ich, oder die Seele, die

    durch das Ich ausgedrückt wird, eine Substanz.«129 Gibt es einen inhaltlichen

    Unterschied zwischen diesen beiden Syllogismen?

    126

    Zitiert nach XXV Il: 186.

    127

    XXVIII: 226.

    128

    XXVIII:

    225 226

    die

    in eckigen

    Klammern

    beigefügte

    Numerierung stammt

    von mir,

    R K.). Knutzen bestimmt den Zusammenhang von Subjekt und Substanz wie foiot: »Eine Sub

    stanz ist ein fortdauerndes Subject, welches dem Wechsel der Zufälligkeiten u n t r ~ o r f n ist;

    [.„].

    Durch ein Subject aber verstehe man ein Ding, in wie weit man es als so etw as betrachtet, was ein

    Wesen hat, und noch überdem anderer Beschaffenheiten fähig ist.« (1744: 25-26) Nach Knutzen

    ist es eine »innere Erfahrung« (1744: 20), die uns von der Einheit und Identität des Subjekts über

    zeugt.

    129

    XXVIII: 266 (die

    in

    eckigen Klammern beigefügte Numerierung

    stammt

    von mir, H.K.).

    4. Das Subjekt

    in

    der empirischen und rationalen Psychologie der Mctaphysik-i'ölitz

    1

    Wenn ich richtig sehe, besteht der Unterschied darin, daß die Substantialität

    des Ich oder der Seele in ihnen in zwei verschiedenen Hinsichten

    wird.

    In

    S

    1

    geht es Kant darum, das Ich als Subjekt aller möglichen Akzidcnlicn

    und Prädikate auszuweisen. Das Ich drückt »nicht allein die Substanz, sondern

    auch das Substantiale selbst aus. Ja was noch

    mehr

    ist, den Begri ff den wir über

    haupt von allen Substanzen haben, haben wir von diesem Ich entlehnt«

    130

    Dies

    steht in direktem Widerspruch zu Kants Ausführungen zum ersten Paralogismus

    der Substantialität in der ersten Kritik in denen er darauf hinweist, »daß wir viel

    mehr die Beharrlichkeit eines gegebenen Gegenstandes aus der Erfahrung zum

    Grunde legen müssen, wenn wir

    auf

    ihn den empirisch brauchbaren Begriff von

    einer Substanz

    anwenden wollen.«

    1

    31

    Das Ich ist als absolutes Subjekt aller mög

    lichen Prädikate ausgewiesen. In der Major ist vorausgesetzt, daß ich »in mir«

    »die Substanz unmittelbar« (XXVIII: 226) anschaue. Von Substanz kann ich aber

    nur dann sinnvoll sprechen, wenn das Ich als Subjekt aller möglichen Prädikate

    gedacht werden muß, es etwas gibt, was nicht es selbst ist. Es ist dieser Sinn der

    Substantialität des Ich, der in den Anthropologievorlesungen thematisiert und in

    der ersten

    Kritik

    in die Theorie der transzendentalen Apperzeption überführt wer

    den wird.

    Es ist kein Zufall, daß Kant in

    der

    rationalen Psychologie S 2 nicht dalünge-

    hend erläutert, daß wir eine anschauende Kenntnis der Substantialität der Seele

    haben, weil es innerhalb der Methodik der rationalen Ps ychologie nicht erlaubt ist,

    von einer solchen zu sprechen. Kant geht es

    nunmehr

    um einen anderen Aspekt,

    hinsichtlich dessen wir von der Substantialität des Ich bzw. der Seele sprechen

    können Hierbei steht nun nicht im Vordergrund, daß, wie es in der Minor heißt,

    das Ich kein »Prädicat von etwas anderm« sein kann.

    132

    Die Perspektive ist also

    vertauscht. In S

    1

    ist gewissermaßen die Objektseite, in S

    2

    die Subjektseite the

    matisiert. Ferner s cheint in S

    1

    und S

    2

    ein Unterschied bezüglich des Gegenstan

    des, dem

    wir

    die Eigenschaft zuschreiben, eine Substanz zu sein,

    Während in S 1 das Ich Substanz genannt wird, ist es in S 2 die Seele; nur in S 2

    ist von »uns« die Rede. Diese Beobachtung scheint die eigentliche sachliche Dif

    ferenz zwischen S 1 und S 2 zu bezeichnen, was auch mit dem Gegenstandsbe

    reich der empirischen und rationalen Psychologie übereinstimmt. In der empiri

    schen Psychologie beschäftigen wir uns mit unserem je eigenen lch, m der ratio-

    uo XXVIII: 226; vgl. XVIII: 174, RefL 5404. Bereits Aristoteles hat

    in

    der Kategorienlchre

    darauf hingewiesen, daß die Substanz Voraussetzung aller Prädikation ist, selbst aber nicht prädi

    ziert werden kann (vgl. Kategorien 2a-b).

    111 Kritik

    A 349. In der

    Metaphysik-L2

    (wohl Anfang der neunziger Jahre) dagegen heißt es

    entsprechend: »In dem Begriff vom Ich liegt die Substanz,

    es

    drükt das Subject aus, dem alle acci

    dentia inhaeriren. Substanz ist ein Subject, das andern Dingen nicht als accidens inhae.rircn kann.

    Das substantiale ist das eigentliche Subject. Wenn ich mir meiner selbst bewust bin, habe ich als

    denn einen

    Begriff

    von dem Substantiale?

    auf

    keinerley Weise. Das algemeine Merkmal, wodurch

    wir in der Welt alle Substanzen kennen, ist die Beharrlichkeit.« (XXVIII: 590)

    m

    In der Nachschrift

    heißt

    es auch,

    daß

    das Ich kein

    »Prädicat

    von einem andern Wesen

    seyn« kann (XXV Il: 266).

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    7/57

    114

    Teil . Kap. Ul Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    nalen Psychologie aber mit einem Subjekt überhaupt, das sich mit dem Ausdruck

    ' ich' auf sich bezieht. Im Paralogismuskapitel der ritik wird dieser Gesichts

    punkt eine große Rolle spielen.

    133

    Mir scheint nicht eindeutig aus der Metaphy

    sik-Pölitz

    hervorzugehen, ob Kant selbst die Konzeption vertreten hat, wir könn

    ten allen Subjekten, die Ich sagen können, das Prädikat der Substanz zusprechen,

    oder ob er hier nur die Ansicht der traditionellen Metaphysik referiert, daß alles,

    was denkt, eine res cogitans ist.

    134

    (2) Der Beweis der Einfachheit der Seele wird sowohl in der empirischen als

    auch in der rationalen Psychologie mit der Überlegung erbracht, daß »die Seele,

    die in mir denkt, eine absolute Einheit

    135

    ausmache, ein singulare in sensu abso

    luto, und also die Simplicität; denn viele Substanzen können nicht zusammen eine

    Seele ausmachen.«136 Bezüglich der Einfachheit der Seele ist also kein inhaltli

    cher Unterschied zwischen den beiden Teilbereichen der S eelenlehre festzustellen.

    Wir hatten bei der Exposition der empirischen und rationalen Psychologie ge

    sehen, daß Kant in der ersteren von dem Erfahrungssatz Ich denke ausgeht, wäh

    rend er in der rationalen Psychologie nach eigener Auskunft um eine Anwendung

    der »lransscendentalen Begriffe« (XXVIU: 266) auf die Seele bemüht ist. In der

    empirischen Psychologie unterscheidet er objektives und subjektives Bewußtsein

    und versucht deutlich zu machen, was es mit der intuitiven Erkenntnis unserer

    selbst auf sich hat: »Das objective Bewußtseyn, oder die Erkenntniß von Gegen

    ständen mit Bewußtseyn, ist eine nothwendige Bedingung, von allen Gegenstän

    den eine Erkenntniß zu haben. Das subjective Bewußtseyn ist aber ein gewaltsa

    mer Zustand. Es ist ein auf sich selbst gekehrtes Beobachten; es ist nicht discursiv,

    sondern intuitiv.«1

    3

    7 Die empirische Selbsterkenntnis hat also bereits in den sieb

    ziger Jahren einen besonderen -problematischen - Status.

    Die rationale Psychologie setzt, wie bereits herausgestellt, den »gewaltsamen

    Zustand« der empirischen Psychologie voraus, insofern sie sich der Prädikate be

    dienen muß, die uns intuitiv zugänglich sind. Dem obigen Zitat nach zu urteilen

    ist die rationalpsychologische Erkenntnis der Seele aber eine diskursive, und zwar

    der

    Seele überhaupt. Wir betrachten hier die Seele also mit den »transscendenta

    len Begriffen der Ontologie«

    138

    .

    Die Methodiken der empirischen und der ratio

    nalen Psychologie verhalten sich somit invers zueinander: Während in der empiri

    schen Psychologie aus der intuitiven Erfahrung gezeigt wird, welche Begriffe das

    133

    Vgl. A 353-354.

    1

    3

    4

    Zu Lamberts Auffassung vgl. oben S 76 (Anm. 2).

    135

    Auch Knutzcn definiert die »Einheit des Subjects« als absolute: »Die Einheit wird zwar

    sonst im unterschiedenen Verstande genommen, indem sie bald eine eigentliche, (absolutam unita

    tem), die gar keine Menge anderer Subjecte in sich faßet, anzeiget, bald eine zusammengesetzte

    Einheit, (unitatem per aggregationem) bedeutet, in welcher letzten Absich t man auch ein ganz

    Regiment Soldaten, und eine ganze Welt voll Creaturen, ein Regiment, eine Welt nennet.« (1744:

    18

    Anm.)

    136

    XXVIII: 226; zum Wortlaut der rationalen Psychologie vgl. 266-267.

    137

    XXVIII 227

    138

    XXVIII

    264

    4. Das Subjekt in der empirischen und rationalen Psychologie der Metaphys ik-Pöiit, ; 15

    Ich ausdrückt l39, werden gerade diese Begriffe in der rationalen

    auf das Ich bzw. die Seele als Gegenstand des inneren Sinnes angewandt Wir

    »wenden« (XXVIII: 265) die transzendentalen Begriffe der Ontologie auf die See

    le an. fü ist klar, daß die Anwendung der Begriffe ihren Erwerb (die metaphysi

    sche Deduktion) voraussetzt. Es dürfte daher nicht überraschen, daß die empiri

    sche und die rationale Psychologie dort, wo sie nicht verschiedene Thematiken

    aufnehmen, zu identischen bzw. vergleichbaren Ergebnissen kommen. Auch dort,

    wo mit der transzendentalen Freiheit eine Problematik aufgenommen wird, wel

    che im Rahmen der empirischen Psychologie

    nicht

    verhandelt wurde bzw. ver

    handelt werden konnte, bringt die rationale Psychologie keine neuen dogmati

    schen metaphysischen Erkenntnisse

    hervor 140

    Ihr Nutzen ist, um eine Formulie

    rung aufzunehmen, die auch im Paralogismuskapitels der Kritik entscheidend ist,

    rein negativ.

    141

    Die rationale Psychologie kann zeigen, daß es keine Argumente

    geben kann, mittels derer die Unmöglichkeit der transzendentalen Freiheit be

    weisbar ist.

    Dieser negative Nutzen der reinen Seelenlehre zeigt sich nun auch in den zwei

    verbleibenden Abschnitten dieser Disziplin, in denen die S eele mit anderen. Din

    gen (körperliche und denkende Naturen) verglichen (2. Abschnitt) bzw. über die

    Verknüpfung der Seele mit diesen anderen Dingen

    (3.

    Abschnitt) gehandelt wird.

    Erst in diesen Abschnitten wird die Frage aufgew01fen, deren Beantwortung nach

    Kant die »größte Sehnsucht« (XXVIII: 263) des Menschen und somit das oberste

    Beweisziel der rationalen Psychologie darstellt: Wie sieht der zukünftige Zustand

    der Seele aus? Sind wir Personen, die unsterblich sind? Sollte es dogmatische Ein

    sichten geben, die der rationalen Psychologie nach Kant eigen sind, dann müßte er

    sie an diesem Ort der

    Metaphysik-Pölitz

    präsentieren.

    Wenden wir uns diesen Abschnitten zu, so fällt schon durch den Gebrauch der

    Termini hypothetisch (XXVIII: 264) und

    'problematisch'

    142 auf, daß Kant hier

    im Gegensatz etwa zu Wolff und Baumgarten gerade keine dogmatischen Behaup

    tungen aufstellen will, die unsere

    auf

    dem Felde der empirischen Psychologie

    gewonnenen Erkenntnisse der Natur und der Eigenschaften der Seele in theoreti

    scher Perspektive erweitern würden. Für alle diesbezüglichen Ausführungen gilt:

    »Wir werden also hier

    unsere Unwissenheit

    kennen lernen, und

    den Grund der

    selben einsehen; warum es unmöglich ist, daß hierin kein Philosoph weiter gellen

    139

    Wie bereits deutlich geworden sein dürfte, handelt es sich hierbei um einen trrminus

    technicus, der in der rationalen Psychologie nicht vorkommt: »Denn dieser Begriff von

    kl i

    drückt

    aus« (XXVIII: 225). In der Amhr.-Collins heißt es entsprechend: »D er er;,te Gedancke der uns auf.

    stößt, wenn wir uns selbst betrachten drückt das Ich aus; es drückt aus die Beschauung seiner

    selbst.

    [„ ]

    Es drückt ferner meine Substantialität aus

    [.„ .«

    (p. 2-3) Auch

    in

    der

    ritik

    finden sich

    für ihn Belege: »Denn, wenn diese [sc. die Kategorien) nicht eine bloß logische Bedeutung haben,

    und die Form des Denkens analytisch ausdrücken sollen,

    [„. .«

    (A 219/B 267; vgl. B 157 Anm)

    14

    Dennoch unterscheidet sie sich hier inhaltlich von der Erörterung der Seele in der empiri

    schen Psychologie.

    141

    Der Terminus begeg net XXVIII: 291

    »negativen

    Nutzen«).

    1

    4

    2

    Vgl. XXVIII: 276

    u

    278.

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    8/57

    116

    Teil . Kap. HI. Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    kann, und auch nicht gehen wird; und wenn wir das wissen, so wissen wir schon

    viel.« (XXVIII: 274) Dieser Grund wird uns einleitend genannt: Wir werden »er

    sehen, daß unsere transscendentalen Begriffe nicht weiter gehen, als uns die Er

    fahrung leitet, und daß sie nur die Erkenntniß a posteriori dirigiren.

    Bis n die

    Grenzen der Erfahrung können wir zwar kommen, so wohl

    aparte

    ante als post,

    aber nicht bis über die Grenzen der Erfahrung. Allein hier werden wir mit Nutzen

    philosophiren, indem wir dadurch die falsche Vernünftelei in Schranken halten,

    die die wahre Erkenntniß nur untergräbt.« (XXVIII: 264) Kant gibt bereits hier zu

    erkennen, daß die Frage nach dem zukünftigen Zustand der menschlichen Seele

    nicht mehr in der von Wolff oder Baumgarten vertrauten Weise beantwort et wer

    den kann: »Wir werden hier nicht dogmatisch von dem Zustande der Seele vor der

    Geburt und nach dem Tode reden;

    obgleich man davon, wovon m n nichts weiß,

    weit mehr reden kann, als davon, wovon man etwas weiß.« (XXVIII: 264-265)

    Beschränken wir uns auf die Kardinalfrage der rationalen Psychologie. Wenn

    wir sie nicht dogmatisch beantworten können, wie dann? Zunächst eine Vorbe

    merkung zum Ausdruck dogmati sch : Kants Verwendung dieses Ausdrucks

    macht deutlich, daß mit ihm eine Abgrenzung gegenüber der Schulmetaphysik

    vorgenommen werden soll, so wie sie dem Studenten, der die Kantische Vorle

    sung hört, etwa in Form des Baumgartensehen Metaphysik-Kompendiums ver

    traut ist. Kants Position selbst ist aber aus der Sicht der Kritik der reinen Vernunft

    post festum auch als dogmatisch zu bezeichnen, allerdings aus einem anderen

    Grunde. Der Kantische Dogmatismus der siebziger Jahre leitet sich her vom Aus

    gangspunkt seines Philosophierens, dem Ich- oder Selbstbewußtsein, welches

    deshalb als ein Grund dogmatischer Einsichten (im Sinne der Kritik anzusehen

    ist, weil Kant die Kategorien als reale Eigenschaft en des Ich-Subjekt s selbst

    begreift, also nicht bloß als die Formen der Gegenstände der Erfahrung. Die empi

    rische Psychologie ist dogmatisch, weil sie eine anschauende Erkenntnis unserer

    selbst behauptet.

    Die Kategorien sind dezidiert intellektuelle Relationen, so daß Tiere, die kein

    Selbstbewußtsein haben, weder eine Erkenntnis von Gegenständen der Erfahrung

    haben, noch sich selbst als Subjekte begreifen können: »Sie [sc. die Tiere] werden

    keine allgemeine Erkenntniß durch Reflexion haben, nicht die Identität der Vor

    stellungen, auch nicht die Verbindungen der Vorstellungen nach dem Subjecte

    und Prädicate, nach Grund und Folge, nach dem Ganzen und nach den Theilen;

    denn das sind alles Folgen des Bewustseyns, dessen die Thiere ermangeln.«143 Es

    bedarf keiner exegetischen Subtilitäten, um in diesen Verbindungsfunktionen die

    Urteilsfunktionen der Relation zu erkennen, auf denen alle Verbindung zwischen

    Vorstellungen gründet. In der Kritik der reinen Vernunft schreibt Kant:

    »

    ] Alle

    Verhältnisse des Denkens in U1teilen sind die a des Prädikats zum S ubjekt, b) des

    143

    XXVlll: 276. Nach Ameriks ist Kants These, Tiere haben keinen inneren Sinn, wohl so

    zu verstehen, »that they [sc. die Tiere] lacked the judgmental capacity that he

    later

    designated as

    apperception.« (1982: 25 J) Demgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß

    Kant

    den Tieren noch

    in

    den achtziger Jahren neben dem Vermögen der Apperzeption

    auch

    den inneren Sinn abspricht.

    4. Das Subjekt

    in

    der empirischen und rationalen Psychologie der Metaphysik Polit1. i l 7

    Grundes zur Folge, c) der eingeteilten Erkenntnis und der gesammelten Uliedcr

    der Einteilung untereinander.« (A 73/B 98)

    Nun vertritt Kant die Auffassung, daß auch die Unsterblichkeit der Seele aus

    schließlich in Rekurs auf diejenige Instanz zu beweisen ist, mittels derer wir über

    haupt nur Erkenntnisse über die Seele gewinnen können: das Selbstbewußtsein.

    Seines Erachtens ist der einzig mögliche Beweis für die Unsterblichkeit der Seele

    transzendental und wird demnach a priori geführt. 'Leben' wird von ihm definiert

    »als ein Vermögen aus dem innern Princip, aus der Spontaneität , zu handeln_ Nun

    liegt es schon im allgemeinen Begriff der Seele, daß sie ein Subject sey, das Spon

    taneität in sich enthält, sich selbst aus dem Princip zu determiniren. Sie ist der

    Quell des Lebens, der den Körper belebt.« (XXVIII: 285) Das »Bcwustscyn des

    bloßen Ich« stellt also einen hinreichenden Beweis dafür dar, »daß das Leben

    nicht im Körper, sondern in einem besondern Princip liegt, welches vom Körper

    unterschieden isl; daß folglich dieses Principium auch ohne Körper fortdauern

    kann, und dadurch sein Leben nicht vermindert, sondern vermehrt wird.«

    (XXVIII: 287) Dieser Beweis ist bekanntlich nur auf der Grundlage der Kanti

    schen Ich-Theorie zu führen und kann sicherlich nicht als ein spezifisches Lehr

    stück der rationalen Psychologie angesehen werden. Das einzig Rationale an die

    sem Beweis ist, daß hier ein Be griff von Selbstbewußtsein vorausgesetzt wird, der

    sich auf das bloße Denken und Wollen des Subjekts, also die Intelligenz, bezieht.

    »Denken und Wollen sind bloß Gegenstände des inneren Sinnes.« (XXVIII: 279)

    Die Betonung liegt hier auf dem Wort 'bloß'. Denn die Seele ist zwar ein Gegen

    stand des inneren Sinnes, aber ein solcher, der in einem (wie immer zu fassenden)

    Kommerzium mit dem Körper steht, als einer wechselseitigen Bestimmung von

    denkendem Wesen und Körper. Der Ausdruck menschliche Seele' setzt voraus,

    daß wir es mit einem Subjekt zu tun haben, welches sowohl einen inneren ais auch

    einen äußeren Sinn hat.

    Von

    der Beziehung zum äußeren Sinn wird aber beim

    Denken und Wollen als 'bloßen' Gegenständen des inneren Sinnes (also des Be

    wußtseins) abstrahiert. Sie drücken die Intelligenz eines Subjekts aus, ohne dabei

    zu prätendieren, daß dieses Subjekt als Seele gänzlich unabhängig von außeren

    Empfindungen denken und wollen kann. Das Bewußtsein des bloßen Denkens und

    Wollens ist systematisch gesehen der Ausgangspunkt der reinen oder transzenden·

    talen Apperzeption, von der die

    Kritik

    spricht. Das Bewußtsein unseres Denkens

    und Wollens ist also ein solches, welches als Spontaneität überhaupt noch keinen

    Bezug auf den Begriff der Seele hat, wohl aber auf den der Substanz. Einern (wie

    immer gearteten) Subjekt Spontaneität zuzuschreiben, heißt zugleich, ihm die

    Eigenschaft der Substantialität zuzueignen. Die Unsterblichkeit der Seele, die

    Kant aus dem Sponlaneitätsbewußts ein gewinnt, kann erst dann sinnvoll behaup

    tet werden, wenn das denkende Subjekt als ein solches verstanden wird, welches

    in einem Kommerzium mit dem Körper steht.

    Während dieser apriorische Beweis der Unsterblichkeit der Seele nur in einem

    uneigentlichen Sinne Teil der rationalen Psychologie ist, werden die traditionellen

    dogmatischen Beweise der Unsterblichkeit der Seele als undurchführbar abge

    lehnt: der theologisch-moralische, der empirische aus der Psychologie und der

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    9/57

    118 Teil I, Kap. lll. Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    analogische.

    144

    Überraschend gibt Kant gegen

    Ende der Ausführungen

    zur ratio

    nalen Psychologie zu erkennen,

    »daß es

    ganz und gar

    nicht hier unserer Bestim

    mung gemäß ist uns um die künftige Welt viel zu bekümmern; sondern wir müssen

    den Kreis zu dem wir hier bestimmt sind vollenden und abwarten wie es in An

    sehung der künftigen Welt seyn wird.«

    (XXVIII:

    300-301 Und

    nun wird eine

    Überlegung vorgetragen, die auch in der Kritik in den Vordergrund treten wird:

    Nicht der theoretische Beweis der Unsterblichkeit der Seele und die

    Beschaffen

    heit der zukünftigen Welt stellt die

    »Hauptsache«

    unseres irdischen Strebens dar,

    sondern die Moralität, »daß wir uns

    auf

    diesem

    Posten

    rechtschaffen und sittlich

    gut verhalten, und uns des künftigen

    Glücks würdig

    zu machen suchen.«145 Aus

    diesem Grund fand Kant den theologisch-moralischen Unsterblichkeitsbeweis als

    »practisch hinreichend genug, einen künftigen

    Zustand

    zu glauben.« (XXVIII:

    289) Dasselbe gilt für die transzendentale Freiheit; auch sie ist »practisch hinrei

    chend, aber nicht speculativ.« (XXVIII:

    270)

    Wenn nicht die spekulative, sondern

    die Moralphilosophie die

    »Hauptsache«

    darstellt, auf

    deren Grundlage ein

    prak

    tisch hinreichender Unsterblichkeitsbeweis geführt werden kann, dann sind die

    spekulativen Anstrengungen

    im Bereich der

    rationalen

    Psychologie

    nur insofern

    von Bedeutung, als durch sie gezeigt werden kann, daß die Sterblichkeit der Seele

    keinesfalls mit den Mitteln der

    spekulativen

    Vernunft zu beweisen ist. In

    diesem

    Sinne gesteht Kant dem

    empirischen

    Beweis aus der Psychologie

    einen

    »negati

    ven

    Nutzen« (XXVIII: 291) zu: Aus

    Erfahrungsgründen

    kann niemals die Sterb

    lichkeit der Seele bewiesen werden,

    da wir

    im

    Leben Erfahrungen

    nur in Verbin

    dung mit dem Körper anstellen. Welche Folgen der Verlust des Körpers hat, bleibt

    unvoraussehbar: Der Tod ist nicht von dieser Welt. Aus dem selben Grunde kann

    der Sitz der Seele ebensowenig eingesehen werden wie es eine Wissenschaft von

    Geistern geben kann; durch die Vernunft kann nichts eingesehen werden,

    »als daß

    solche Geister möglich sind.« (XXVIII:

    300

    5. Was heißt es eine Anschauung seiner selbst zu haben?

    Der Kantischen Distinktion zwischen empirischer und rationaler Psychologie

    entspricht auf der Ebene der Methode die

    zwischen

    zwischen intuitiver und dis

    kursiver Erkenntnis der Seele.

    Wir

    hatten in unseren bisherigen Ausführungen of

    fen gelassen, was genau Kant in den

    siebziger Jahren

    des 18. Jahrhunderts unter

    einer intuitiven oder anschauenden Selbsterkenntnis versteht.

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Konzeption e iner intuitiven Selbster

    kenntnis nicht mit einer intellektuellen

    Anschauung

    identifiziert werden darf.

    144

    Vgl. XXVIII: 288, 291 u. 292.

    145

    XXVIII: 301: vgl. 265. In der Reflexion 4934 (1776-78) wird der hyperphysische Ge

    brauch der Kategorien in spekulativer Hinsicht ausgeschlossen, gleichzeitig aber seine Bedeutung

    für den moralischen betont: »Die transscendentalen Begriffe sind von gar keinem hyperphysischen

    Gebrauch ausser in subsidium der moralischen.« (XVIII: 33)

    5. Was heißt es, eine Anschauung seiner selbst zu haben?

    19

    Kant hat zu

    keinem Stadium seiner

    philosophischen

    Entwicklung angem mmen,

    daß der menschliche diskursive Verstand einer intellektuellen der

    Seele oder der Gegenstände der Erfahrung fähig ist.146

    Anschauen können

    wir nur mit

    unseren Sinnen.

    In der

    Metaphysik-Pölitz

    heißt es entsprechend:

    »kh

    selbst schaue mich an, die Körper aber nur so, wie sie

    mich affizieren. [„ ] Wenn ich

    aber

    in den Bestimmungen weiter gehen will; so

    verfalle ich in den

    mystischen

    Idealismus. Beha upte ich denkend e Wesen von

    denen ich intellectuelle Anschauung habe; so ist das mystisch.

    Die Anschauung ist

    aber

    nur

    sensuell; denn nur die Sinne schauen an; allein der Verstand schaut nicht

    an, sondern reflectirt.«

      47

    Im

    Duisburg-Nachlaß lesen wir: »Wenn wir intellectu

    ell anschaueten, so bedürfte es keiner titel

    der

    apprehension, um ein Obiect sich

    vorzustellen.« (XVII:

    658,

    Refl.

    4677)

    In

    einer

    anderen Reflexion ersetzt Kant

    den Ausdruck Verstand durch den des Geistes . Der Geist ist - Kant folgt der

    Tradition -

    eine

    Seele, die (funktional) nicht mit

    einem

    Körper

    in

    Verbindung

    steht. »[„.] Daß

    unsre Seele ohne Körper

    als Geist andere

    Dinge,

    cl i. äußerlich

    anschaue, ist

    eine

    Überschreitung

    der

    Schranken des dati.

    Denn

    die Seele erken

    nen wir nur als den Gegenstand des inneren Sinnes und den Körper

    ab

    das Mittel

    der äußeren. Unser Anschauen ist physisch und nicht mystisch; das physische ist

    nicht pneumatisch, sondern organisch.«148

    So ist Platon in Kants Verständnis ein mystischer Philosoph, weil er

    eme

    intel

    lektuelle Anschauung des Verstandes angenommen hat: »Das mystische ideal der

    intellectuellen

    Anschauung

    des Plato.«149 Und: »Plato der intellectualphilosoph.

    Mystisch. / Epicur der

    empirische

    philosoph.

    /Aristoteles der

    [bricht ab].«150

    146

    Hinsichtlich der Inauguraldissertation vgl. den § 10.

    147

    XXVIII: 207; vgl. 179: »Intellectuale Anschauung bei den Menschen ist ein Unding.« In

    der

    Metaphysik-Pölitz

    heißt es einschränkend: »Weil also Raum und Zeit nur Formen der Sinn

    lichkeit sind, so können wir erstlich nicht allgemein behaupten, dass alle Dinge im Raume und in

    der Zeit sind, weil nicht alle Dinge Gegenstände der Sinnlichkeit sind, z. E. Gott und unsere

    Seele.« (XXVIII: 181)

    1

    4

    s XVIII: 13, Refl. 4863 (datiert 1776-78).

    149

    XIX: 108, Refl. 6611 (sechziger Jahre). Gegen die Vorstellung Swedenbmgs, man könne

    andere Geister in dieser Welt anschauen, vgl. neben den Träumen eines Geistersehers auch Meta

    physik-Pölitz

    XXVIII: 300 und

    Metaphysik-Volck111a11n

    XXVIII: 371.

    150

    XVIII: 21, Refl.

    4894;

    vgl. Refl. 4867 (»Der Gebrauch des Verstanucs ist

    entweder

    my

    stisch oder logisch; der letztere metaphysisch oder physiologisch. Aristoteles und epicur.« XV II:

    15

    und Refl. 4868 (»Plato trug mystisch intellectualia, Aristoteles logische intellectualia vor, letz

    terer fehlte darin, daß er sagte, sie wären auch in den Sinnen gelegen. Denn der Begrif der Ursache

    lag niemals in der sinnlichen Anschauung.« XVIII: 15) Siehe auch die Refle.

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    10/57

     20

    Teil I, Kap. lll. Selbstbewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    Noch

    in

    der

    Kritik der reinen Vernunft

    spricht Kant hinsichtlich der Frage nach

    dem Ursprung reiner Vernunfterkenntnisse von Platons »mystischem Systeme«

    (A 854/B 882).

    Die intellektuelle Anschauung beinhaltet also die These, daß ich mich und die

    Dinge außer mir auf eine nicht-physische Weise anschaue. Neben dem Element

    der Diskursivität des Verstandes hebt Kant demgegenüber bezüglich der Selbster

    kenntnis der Seele hervor, daß der Verstand ein reflektierendes Vermögen ist. Die

    Anschauung meiner selbst im Sinne Kants bezieht sich i mmer auf die Seele, nicht

    auf den Verstand oder auf den Geist. Insbesondere dadurch, daß er niemals be

    hauptet, wir würden unseren

    eist

    anschauen, ist klar herausgestellt, daß die An

    schauung unserer selbst immer eine sinnliche Anschauung sein muß. Allerdings

    muß er dabei ausschließen, daß ich mich als Seele a uf dieselbe Art und Weise wie

    die Körper außer mir anschaue, denn dann würde ich meine Seele nur als Phae

    nomenon anschauen.

    Kants Theorie der Selbstanschauung scheint in den siebziger Jahren mit einem

    Widerspruch konfrontiert zu sein, der sich aus der möglichen Nichtvereinbarkeit

    von zwei Thesen ergibt: 1) Nur die Sinne schauen an. 2) Die Anschauung mei

    ner selbst beruht auf einer Reflexion des Verstandes bzw. der Apperzeption.

    (Ad

    1)

    Dasjenige, dessen ich mir im inneren Sinn bewußt bin, ist ein Erfah

    rungssatz, nämlich Ich bin

    5

    • »Das erste, was ich bey mir gewahr werde, ist

    das Bewußtseyn. Dies ist kein besonderes Denken, sondern dasjenige worunter

    ich die übrige Vorstellungen etc. bringen kann, es ist die Bedingung und die form

    unter der wir denkende Wesen oder intelligentzen sind.« (XXIX: 44) Dies heißt

    nichts anderes, als daß ich deshalb eine Anschauung von mir selbst haben kann,

    weil es sich bei dem Bewußtsein meiner selbst im inneren Sinn um einen Erfah

    rungssatz handelt. Im Gegensatz zu den äußeren Körpern,

    zu

    denen ich

    in

    einem

    Affektionsverhältnis stehe, welches derart beschaffen ist, daß ich es hier mit ei

    nem Mannigfaltigen von Vorstellungen in der Erscheinung zu tun habe, bin ich

    mir selbst im inneren Sinn so gegeben, wie ich an mir selbst beschaffen bin. Da

    nur die Sinne anschauen und ich eine Anschauung meiner selbst habe, schaue ich

    mich im inneren Sinn an. Ich habe also eine »physische« Anschauung und zwar

    meiner individuellen Seele.

    (Ad

    2) Die Unterscheidung zwischen der Anschauung von mir, so wie ich an

    mir selbst als Seele beschaffen bin, und der Anschauung von etwas als Erschei

    nung kann Kant nur dadurch rechtfertigen, daß

    er

    die Selbstanschauung im inne

    ren Sinn als solche versteht, die au f der Beobachtung seiner selbst, also auf einem

    reflexiven Akt, gegründet ist. Da Tiere über kein Reflexionsbewußtsein verfügen,

    haben sie auch keinen inneren Sinn; eine Position, die Kant schon in den fünfziger

    Jahren vertreten hatl52 und, soweit ich sehe, in der Schulmetaphysik ohne Vor-

    bild ist. Hiermit erklärt sich jedoch der ansonsten überraschend anmutende Sach-

    151

    Vgl. XXVIII: 224.

    152

    »Das

    Bewust

    seyn ist sensus internus. [ .. ] animalia ha bent sensum extern um, non inter

    num,« (XVI: 80, Retl. 1680, datiert 1755/56)

    5. Was heißt es, eine Anschauung seiner selbst zu habcn'I

    2

    verhalt, daß Kant keine Tierpsychologie vorträgt.

    Von

    Wesen, die keinen inneren

    Sinn haben, kann man schwerlich eine empiri sche Psychologie schreiben.

    Ein Widerspruch in der Kantischen Theori e scheint sich nun dadurch

    zu

    erge

    ben, daß er zwar einerseits reflexives Bewußtsei n und inneren Sinn identifizieren

    muß, dies aber aus systematischen Gründen nicht machen darf. Es gehört zur De

    finition des inneren wie des äußeren Sinnes, daß dasjenige, was i n ihnen ist , ih

    nen gegeben worden ist. Schauen wir uns im inneren Sinn an, muß dasjenige, was

    wir dort anschauen, gegeben worden sein. Gleichzeitig können wir uns die An

    schauung unserer selbst nur aufgrund eines reflexiven Aktes

    zu

    Bewußtsein brin·

    gen. Subjekt und Objekt unserer Aufmerksamkeit fallen also zusammen. 153 Da

    bei sind wir uns als eines handelnden, spontanen Wesens bewußt. Aus diesem

    Bewußtsein folgt nun die grundlegende Bestimmung unserer selbst, nämlich daß

    wir eine Substanz sind: »WO eine Handlung ist, da ist substanz« (XVII: 663). In

    der Reflexion 4495 spricht Kant gar vom »verbum activum ich

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    11/57

      22

    Teil I, Kap. llL Selbstb ewußtsein, Selbstanschauung, Selbsterkenntnis

    veranlaßt haben, Kant generell eine »Unsinnliche, intellektuelle Selbstanschau

    ung« (1989: 189) in den siebzi ger Jahren zu unterstell en. Wenden wir uns diesen

    Texten zu, muß jedoch festgehalten werden, daß die Konzeption einer intellektuel

    len Anschauung von Kant

    in

    einem sehr spezifischen Sinne gebraucht wird und

    keinen Widerspruch mit seiner Auffassung einer Anschauung der Seele als eines

    Gegenstandes des inneren Sinnes beinhalte . Alle diesbezüglichen Dokumente

    sprechen von einer intellektuellen Anschauung immer dann, wenn es um die

    Spontaneität oder Freiheit der Seele und zwar im Sinne der transzendentalen oder

    absoluten Freiheit geht. Der

    Begriff

    des Intellektuellen bezeichnet nämlich ein

    Bewußtsein von einem Tun; Freiheit und Intelligenz gehören also zusammen.

      55

    Als Intelligenz bin ich kein Gegenstand des inneren Sinnes.

    »Die Wirklichkeit

    der

    Freyheit könen wir nicht aus der Erfahrung schließen.

    Aber wir haben doch nur einen

    Begrif

    von ihr durch unser intellectuelles inneres

    Anschauen (nicht den inneren Sinn) unsrer Thatigkeit, welche durch motiva intel

    lectualia bewegt werden kan; und wodurch practische Gesetze und regeln des

    Guten Willens selbst in ansehung unsrer möglich sind. Also ist die Freyheit eine

    nothwendige practische Voraussetzung. Sie wiederspricht auch nicht der theoreti

    schen Vernunft.«IS6 In

    der

    Reflexion 4228

    vom

    Ende

    der

    sechziger oder vom

    Anfang der siebziger Jahre schreibt Kant: »Wir sehen uns durch das Bewustseyn

    unsrer Persöhnlichkeit in der intellectualen Welt und finden uns frey. Wir sehen

    uns durch unsre Abhängigkeit von Eindrüken in der Sinnenwelt und finden uns

    determinirt. Unsere Anschauungen der Körper gehören alle zur Sinnenwelt; dem

    nach stimen die Erfahrungen mit den Gesetzen derselben determinirenden grün

    den. aber unsre intellectuale Anschauungen vom freyen Willen [sc. nicht von der

    Seele ] stimen nicht mit den Gesetzen der phaenomenorum.« (XVII: 467) In

    der

    Reflexion 5552 vom Ende der siebziger oder

    dem

    Anfang der achtziger Jahre

    heißt es: »Dreyerley intellectuelles [sc. Gott, Freiheit, Unsterblichkeit] (intelligi

    beles) (noumenon) enthält das Unbedingte, und von der Freyheit und ihren Geset

    zen kann man Erkentnis haben und dadurch die obiective Realit ät der Menschheit

    als noumenon mitten im mechanism desselben als phaenomenon beweisen.

    [„.]

    Die categorien aufs Intelligible angewandt können doch praktisch-dogmatische

    Erkenntnisse begründen, wenn sie nämlich auf die Freyheit gerichtet sind und das

    Subject derselben nur in relation darauf bestimmen; [ .. ] « (XVIII: 221) Kant ist

    also Ende der siebziger Jahre der Meinung, daß auf der Ebene der praktischen Phi

    losophie von Kategorien ein dogmatischer Gebrauch gema cht werden kann, wäh

    rend dies für den Bereich der theoretischen Philosophie ausgeschlossen ist.

      57

    155

    XVII: 447, Refl. 4182 (datiert 1769-1777) sowie XVIII: 7, Refl. 4849 (datiert 1776-78).

    156 XVI :

    509-510,

    Refl.

    4336

    (wahrscheinlich aus den siebziger Jahre).

    157 Diese Position wird auch in der Reflexion

    5119

    vertreten: »Der Nutze [sc. der Metaphy

    sik] ist also durchgängig negativ.

    1.

    Dogmatische Verneinungen, welche die empirische Ausbrei

    tung der Erkentnis einschränken, wegzuräumen. 2. Dogmatische Behauptungen, welche die Ver

    nunft über den praktischen Gebrauch unnütz ausdehnen wollen, einzuschränken.« (XVIII: 97, da

    tiert 1776-78)

    5.

    Was heißt es, eine Anschauung seiner selbst zu haben ?

    23

    In

    der Reflexion 5049 ( 1776-78) wird dabei der Begriff der log•schen Persön

    lichkeit als Äquivalent zur transzendentalen Persönlichkeit eingeführt: »[Der inne

    re Sinn]I58 Bewustseyn ist das Anschauen seiner Selbst. Es wäre nicht Bewust

    seyn, wenn es Empfindung wäre. In ihm liegt alles Erkentnis, wovon es auch sey,

    Wenn ich von allen Empfindungen abstrahire, so setze ich das Bewustscyn vor

    aus. Es ist die [transzendenta e]l

    5

    9

    logische Persohnlichkeit, nicht die practische:

    diese ist das Vermögen der Freyheit, kraft dessen man, ohne äußerlich bestimmt

    zu

    seyn, von selbst Ursache seyn kann. Die moralische personlichkeit ist die Fä

    higkeit der Bewegungsgründe der bloßen Vernunft, kraft deren ein Wesen der

    Gesetze fähig ist und also auch der Zurechnungen.«160

    Alle diese Texte kreisen also um das Problem der transzendentalen Freiheit

    bzw. der Spontaneität und behaupten, daß wir eine intellektuelle Anschauung von

    uns als einem freien und spontanen Wesen haben. Warum spricht Kant hier von

    einer intellektuellen Anschauung? Die Antwort liegt

    auf

    der Hand: Weil wir als

    freie Wesen Teil der noumenalen Welt sind; die Freiheitsges etze sind die Gesetze,

    die

    in

    der intelligiblen Welt gelten. Es kann also per definitionem keine andere als

    eine intellektuelle Anschauung unserer selbst dafür herangezogen werden. 'An

    schauung' meint hier nicht mehr als ein reines Bewußtsein. Das Freiheilsbewußt

    sein ist somit bereits in den siebziger Jahren vor allen anderen Arten von Bewußt

    sein oder Erkenntnis ausgezeichnet. Der Begriff der praktischen Freiheit ist hier

    für aber ungenügend, weil

    er

    nicht zu erklären vermag,

    wie

    es möglich ist, bloß

    durch intellektuelle Motive bestimmt zu werden. Die transzendentale Freiheit

    wird von Kant denn auch in der

    Metaphysik Pölitz

    in

    der

    rationalen Psychologie

    abgehandelt, wo es ausgeschlossen ist, daß ein empirischer oder Empfindungsge

    halt

    in

    unserem Bewußtsein eine Rolle spielt. Das heißt aber noch lange nicht, daß

    wir von unserer Seele (unserem Geist) eine intellektuelle Anschauung haben.

    Mir

    ist keine Reflexion oder Vor esungsnachschrift bekannt, in der Kant eine solche

    behaupten würde.

    Ein Subjekt, welches eine reine Spontaneität besitzt, nennt Kant

    in

    den siebzi

    ger Jahren Intelligenz, eine Redeweise, die uns auch in den achtziger Jahren be

    gegnen

    wird.161

    Der Mensch ist eine Intelligenz, weil

    er

    als praktisches Subjekt

    Glied des mundus intelligibilis

    ist.162

    In der

    Metaphysik Mrongovius

    wird das Existenzbewußtsein cbcnfalb als blo

    ße

    Intelligenz gefaßt: »Das Vermögen, den Gedanken zu fassen: Ich bin. gehört

    158 ( ] Von Kant gestrichen.

    159

    ]Von

    Kant gestrichen.

    60 XVIII:

    72-73;

    vgl. die Refl.

    6860

    (zweite Hälfte siebziger, Anfang achtziger Jahre): »Die

    apperception sein er selbst als eines intellectuellen wesens, was thätig ist, ist

    freyhe1t.

  • 8/17/2019 Philosophie Des Subjekts

    12/57

    124

    Teil

    ,

    Kap. IU. Selbstbewußtsein, Selbstanschauung,

    e l b s t e r k e n n t n i ~

    bloß für die Intelligenz. Dieses Ich bleibt, und wenn sich alles geändert hat, wenn

    sich Körper und Grundsätze geändert haben. Was nun die Identitaet seines Selbst

    ausmacht, ist schwer zu wissen;

    auf

    dieses bezieht sich alles, alles kann sich än

    dern, nur das Bewußtsein und die Apperzeption oder das Vermögen, die Vorstel

    lungen auf sein Selbst zu referieren.« (XXIX: 878) Auch in der zweiten Auflage

    der

    Kritik

    wird dieser Gedanke expressis verbis vorgetragen, ohne daß Kant dabei

    auf die Konzeption einer intellektuellen Anschauung zurückgreifen würde. In

    § 25

    führt er aus, daß ich mir »in der ursprünglichen Einheit der Apperzeption« weder

    bewußt bin, wie ich mir erscheine, noch, wie ich an mir selbst beschaffen bin,

    »sondern nur daß ich bin. Diese

    Vorstellung

    ist ein

    Denken

    nicht ein

    Anschauen.«

    25, B 157) Dieser Gedanke wird in einer Anmerkung wie folgt kommentiert:

    »[„.]

    ich stelle mir nur die Spontaneität meines Denkens, d.

    i

    des Bestimmens,

    vor, und mein Dasein bleibt i mmer nur sinnlich,

    d i

    als das Dasein einer Erschei

    nung, bestimmbar.

    Doch

    macht diese Spontaneität, daß ich mich

    Intelligenz.

    nenne.« (B 158 Anm.)

    Auch die oft zitierte Äußerung in A 546/B 574, wonach der Mensch sich selbst

    »auch durch bloße Apperzeption« erkennt, meint eine Erkenntnis als Intelligenz,

    nicht als Seele.163 Während Kant in den siebziger Jahren auf die Idee einer intel

    lektuellen Anschauung zurückgreift, um den Gedanken, mich selbst als spontanes

    und frei handelndes Wesen fassen zu können, wird es seit der

    Kritik

    als ein bloßes

    Bewußtsein gefaßt, welches im eigentlichen Sinne gerade keine Erkenntnis, son

    dern vielmehr ein bloßes Bewußtsein markiert. Zu

    jeder

    Erkenntnis gehört näm

    lich noch eine »bestimmte Art der Anschauung«(§ 25, B 157).

    Intelligenzen werden so von Kant als Wesen beschrieben, denen das Vermö

    gen des Verstandes und der Vernunft und damit der Spontaneität und der Freiheit

    zukommt.1

    64

    Seelen sind Subjekte, die zugleich Intelligenzen sein können, aber

    nicht müssen (siehe Tiere). Zudem stellt sich nur bei Seelen, nicht aber bei bloßen

    Intelligenzen, die Frage, ob sie unsterblich und immateriell sind. Die menschl iche

    Seele hat dabei nach M aßgabe der rationalen Psychologie das Vermögen der Intel

    ligenz und die Eigenschaften der Unsterblichkeit und der Immaterialität, die zu

    beweisen nach A

    383-384

    der

    Kritik

    zu den Hauptaufgaben dieser Disziplin ge

    hört. Intelligenzen als solche können aber weder sterblich noch unsterblich sein.

    In

    den achtziger Jahren benötigt Kant das Spontaneitätsbewußtsein,

    um

    We

    sen, die eine ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption haben, als Intel

    ligenzen ausweisen zu können; es ist die Intelligenz, die macht, daß ich in der