Philosophie im Mittelalter - epub.ub.uni- · PDF fileLa conception de la philosophie au moyen...
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Philosophie im Mittelalter Entwicklungslinien und Paradigmen
Herausgegeben von
Jan P.Beckmann, Ludger Honnef eider,
Gangolf Schrimpf und Georg Wieland
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Urtiversitdts-
BibJioîhek
M ü n c h e n
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Philosophie im Mittelalter I hrsg. von Jan P. Beckmann . . . - Hamburg : Meiner, 1987.
ISBN 3-7873-0747-8 NE: Beckmann, Jan P. [Hrsg.]
© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1987. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Über- setzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertra- gung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. - Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn. Druck: WS-Druckerei, Mainz, Buchbin- derische Verarbeitung Georg Kränkl, Heppenheim. Printed in Germany.
INHALT
I. URSPRÜNGE UND ANFÄNGE: VOR- UND FRÜHSCHOLASTIK
Bausteine für einen historischen Begriff der scholastischen Philosophie . . 1
Von Gangolf Schrimpf, Fulda
Zur mittelalterlichen Geistesgeschichte. Die Eigenart des europäischen Mittelalters und seines Denkens aus der Sicht Japans 27
Von Chumaru Koyama, Tokio
Die Selbsttranszendenz des Denkens zum Sein. Intentionali tätsanalyse als Gottesbeweis in »Proslogion«, Kap . 2 39
Von Klaus Riesenhuber, Tokio
IL DER SCHRITT ZUR UNIVERSALEN GESTALT! DAS PHÄNOMEN DER SCHOLASTIK
Rationalisierung und Verinnerlichung. Aspekte der geistigen Physiognomie des 12. Jahrhunderts 61
Von Georg Wieland, Trier
Éthique et connaissance de soi chez Abélard 81
Par Gérard Verbeke, Louvain
Kategorien der Sittenlehre. Gedanken zur Sprache der Mora l in einem Logik-Kompendium des 12. Jahrhunderts 103
Von Klaus Jakobi, Freiburg
A Parallel in the East to the »Logica Vetus« 125
By Shlomo Pines, Jerusalem
Le «De generatione et corruptione» d' Avicenne en traduction latine médiévale 131
Par Simone Van Riet, Louvain-la-Neuve
Wilhelm von Auvergne und die Transformation der scholastischen Philosophie im 13. Jahrhundert 141
Von Gabriel Jüssen, Bonn
X Inhalt
III. PHILOSOPHIE ALS EIGENE DIMENSION: DIE ENTWÜRFE DER HOCHSCHOLASTIK
Der zweite Anfang der Metaphysik. Voraussetzungen, Ansätze und Folgen der Wiederbegründung der Metaphysik im 13./14. Jahrhundert 165
Von Ludger Honnef eider, Berlin
L a conception de la philosophie au moyen âge. Nouvel examen du problème 187
Par Fernand Van Steenberghen, Louvain-la-Neuve
Thomas Aquinas on Substance as a Cause of Proper Accidents 201
By John F. Wippel, Washington D. C.
«Omnis corporis potentia est finita.» L' interprétat ion d'un principe aristotélicien: de Proclus à S. Thomas 213
Par Carlos Steel, Louvain
» . . . sie reden, als ob es zwei gegensätzliche Wahrheiten gäbe.« Legende und Wirklichkeit der mittelalterlichen Theorie von der doppelten Wahrheit 225
Von Ludwig Hödl, Bochum
Avicennas Auffassung von der Schöpfung der Welt und ihre Umbildung in der Philosophie des Heinrich von Gent 245
Von Raymond Macken, Löwen
Natura ad unum - ratio ad opposita. Zur Transfomation des Aristotelismus bei Duns Scotus 259
Von Fernando Inda rte, Münster
IV. ANALYSE UND KRITIK: DIE DIFFERENZIERUNG DER SCHOLASTIK IM SPÄTEN MITTELALTER
Allmacht, Freiheit und Vernunft. Zur Frage nach »rationalen Konstanten« im Denken des späten Mittelalters 275
Von Jan P. Beckmann, Hagen
Zur Authentizi tät der naturphilosophischen Schriften Wilhelms von Ockham 295
Von Gerhard Leibold, München
Inhalt XI
Res and Signum - O n the Fundamental Ontological Presupposition of the Philosophy of Wil l iam Ockham 301
By B. Ryosuke Inagaki, Fukuoka (Japan)
War Ockham ein Antimetaphysiker? Eine semantische Betrachtung 313
Von Lammen Marie de Rijk, Leiden
Robertus Anglicus O F M und die formalistische Tradition 329
Von Wolfgang Hubener, Berlin
Die philosophischen Wissenschaften an der Krakauer Universität im 15. Jahrhundert 355
Von Mieczyshw Markowski, Krakau
V. TRANSFORMATION UND KONTINUITÄT: MITTELALTER UND MODERNE
Neuzeit vor der Neuzeit? Zur Entdramatisierung der Mittelal ter-Neuzeit-Zäsur 369
Von Odo Marquard, Gießen
Vom Mittelalter zur Neuzeit. A m Beispiel der Modali täten 375
Von Josef Simon, Bonn
Thomas von A q u i n und die Neuzeit 387
Von Wilhelm Korff München
Naturgesetz und Bindung Gottes 409
Von Rainer Specht, Mannheim
Wie beurteilt Leibniz den ontologischen Gottesbeweis? 425
Von Albert Zimmermann, Köln
Reziproke Beziehungsstufung bei Johannes Duns Scotus, Luis de Mol ina und J . G . Fichte 439
Von Harald Holz, Münster
Wertorientierung durch Wissenschaft? Z u m Wandel des Verhältnisses von Wissenschaft und Bildung 455
Von Hans Michael Baumgartner, Bonn
PERSONENREGISTER 467
Thomas von Aquin und die Neuzeit
VON WILHELM KORFF, MÜNCHEN
1
Wir rekurrieren auf das Denken der Vergangenheit, um uns der Wahrheitsüber- stiege zu vergewissern, von denen wir heute leben. In einer sich zunehmend als Einheit erfahrenden Menschheit treten Kriterien zutage, die sich zugleich als Bausteine ihrer Herkunftsgeschichte erweisen. Von hier aus kommt Thomas eine neu zu entdeckende Schlüsselbedeutung zu.
2
Al le wesentlichen Entwicklungslinien der Geschichte der westeuropäischen Ge- sellschaft lassen sich einem zentralen, in entscheidenden Zügen christlich inter- pretierten Leitgedanken zuordnen: der Aufdeckung, Entfaltung und Sicherung des Subjektstatus des Menschen. In der mit zunehmender Ausgestaltung immer deutlicher hervortretenden Effizienz dieses Ansatzes liegt zugleich der Grund seiner überaus raschen, weltweiten Rezeption und Universalisierung, über den sich heute die Menschheit als Ganze zusammenzuschließen beginnt. In ihm scheint der Strukturkern des Menschseins selbst getroffen. Hieran kommt Tho- mas ein Antei l zu, der in seinen Konsequenzen längst nicht ausgeschöpft ist.
3
Zwischen Mittelalter und Neuzeit legen wir gewöhnlich eine Zäsur , bei der es weniger um genaue zeitliche Fixierungen als um sich über viele Einzelschritte vollziehende fundamentale Veränderungen in der Grundausrichtung des Den- kens geht. Sucht sich mittelalterliches Denken angesichts des Leidensdrucks der Welt und der Unausweichlichkeit menschlicher Schulderfahrung der Wahrheit Gottes über den Menschen vorgängig aus Gottes Heilshandeln zu vergewissern und hieraus seine Würde als Subjekt zu bestimmen, so weitet neuzeitliches Den-
388 Transformation und Kontinuität • W. Korff
ken das, was der Mensch von Gott erhofft, auf die Welt als Schöpfung hin aus. Insofern ist der Satz des Thomas »gratia supponit naturam et perficit e a m « 1
theologisch bereits ein zentraler neuzeitlicher Satz.
4
Mein Interesse an Thomas zielt auf ein theologisch konsistentes Begründungs- verständnis der neuzeitlichen Vernunft. In deren Ausweitung auf die Welt hin ist die Eigenständigkeit der irdischen Wirklichkeiten bereits vorausgesetzt. Genau hier beginnt das Problem der »Legitimität der Neuzeit« als theologisches Pro- blem. Gott ist nicht Substitutionsprinzip seiner Schöpfung, sondern deren Ursprungs- und Vollendungsprinzip.
5
Schöpfung meint bei Thomas nicht einfachhin Fertigung im Sinne von Fertigstel- lung. Das ins Dasein Gerufene geht nicht darin auf, daß es ist, sondern d a ß es sich verwirklicht, erfüllt. »Jedes Seiende ist seiner eigenen Tätigkeit und Vollendung wegen d a . « 2 Erst aus der Dynamik der in ihm liegenden Wirkkraft zu dem ihm eigenen Tätigsein vermag es zu gelingen, gewinnt es die ihm je eigene sinnhafte Gestalt und Reali tät . Das gilt im Prinzip für alle geschaffenen Möglichkei ten, von der unbelebten Materie bis hin zum Menschen. Thomas wendet sich damit ins- besondere gegen jene in der islamischen Philosophie seiner Zeit vertretenen Positionen, nach denen alle Wirkkraft der geschaffenen Dinge unmittelbarer Ausdruck des Wirken Gottes ist, so daß ihnen jede Fähigkeit zur Eigentät igkei t abgesprochen wird. Eben dies aber hieße nach Thomas nicht nur die Digni tä t der Kreatur herabmindern, sondern auch die Vollkommenheit der schöpferischen Macht Gottes selbst verkleinern und in Frage stellen. 3 Der Schöpfungsakt würde entleert, die Welt zur Marionette eines in seiner Allmacht reduzierten Got- tes.
/ à
Wenn es aber nun zum Wesen eines jeden geschaffenen Seins gehör t , aus sich selbst heraus tätig zu sein, so schließt dies nach Thomas noch ein weiteres ein: Auch die »Form«, die A r t und Weise der Tätigkeit des jeweiligen Seins kann nicht
1 STh I, 1, 8 ad 2; M I , 99, 2 ad 2. 2 STh I, 65, 2. 3 ScG III, 69.
Thomas von Aquin und die Neuzeit 389
unabhängig von der Struktur dieses Seins selbst gedacht werden, sondern steht mit ihr in einem ursächlichen Zusammenhang. Sein ist Tätigsein gemäß der ihm eigenen Wirkkraft und Form. 4 Von hier aus gelangt Thomas zu dem generellen Ax iom: agere sequit