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Pöhlmann • Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges

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Pöhlmann • Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges

Zeitalter der Weltkriege

Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt

Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und

Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Band 14

Markus Pöhlmann

Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges

Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945

FERDINAND SCHÖNINGH 2016

Umschlagabbildung: Ein Panzer VI der 3. Kompanie, schwere SS-Panzerabtei-lung 101, bei einer Vorführung im Raum Beauvais, Frankreich, Mai 1944 (BArch, Bild 101I-299-1805-10, Scheck)

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Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ∞ ISO 9706

© 2016 Ferdinand Schöningh, Paderborn(Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.schoeningh.de

Redaktion und Projektkoordination: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam (0791‐01)Koordination: Michael Thomae Lektorat: Cordula Hubert (Olching)Satz: Christine MauersbergerKarten, Grafiken: Bernd Nogli, Frank SchemmerlingBildrechte: Michael ThomaeUmschlaggestaltung: Carola Klinke

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig.

Printed in Germany Herstellung: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

ISBN 978-3-506-78355-4

Inhalt

Vorwort ........................................................................................................  IXDanksagung ..................................................................................................  XI

I. Einleitung ................................................................................................    11. Das Wissen von den Waffen: Stand und Perspektiven einer

artefaktzentrierten Militärgeschichte ...................................................    32. Militärische Mechanisierung als interdisziplinäres

Forschungsproblem ............................................................................    63. Quellen ..............................................................................................  104. Darstellungen .....................................................................................  115. Aufbau und Fragestellung ...................................................................  14

II. Militärische Innovation und Mechanisierung bis 1914 ...........................  191. Innovation als technische und organisatorische Herausforderung .......  202. Rahmenbedingungen der Rüstung......................................................  233. Militärkultur ......................................................................................  284. Kriegsbilder ........................................................................................  325. Parameter der Mechanisierung ............................................................  346. Resümee 1890‑1914 .........................................................................  46

III. Erster Weltkrieg .......................................................................................  491. Der Stellungskrieg als Katalysator von Mechanisierung.......................  502. Tankbau bei der Entente 1914‑1916 .................................................  573. Abwehr ...............................................................................................  59

a) Ein sonderbar geformtes Fahrzeug: Tanks an der Somme 1916 .....  60b) Lernen im Winter 1916/17 ...........................................................  65c) Die Frühjahrsschlachten 1917 .......................................................  68d) Die Krise des Tanks: Sommer 1917 ...............................................  71e) Cambrai ........................................................................................  73f ) Panzer und Peripetie 1918 .............................................................  77

4) Rüstung ..............................................................................................  83a) Beginn des Projekts A7V ...............................................................  84b) Die Organisation des Forschungs- und Entwicklungswesens .........  85c) Das »verlorene Jahr« 1917 .............................................................  87d) Großoffensive 1918 – aber ohne Panzer ........................................  92

5. Operationen: Frankreich 1917/18 ......................................................  996. Bilder vom Panzer I ............................................................................110

VI Inhalt

7. Resümee 1914‑1918 .......................................................................  117a) Das Ausbleiben der Panzerentwicklung 1914‑1916 ...................  118b) Heeresleitung und Panzerfrage 1917/18 ......................................  119c) Der Panzer in der Kriegsentscheidung von 1918 .........................  122

IV. Zwischen den Kriegen ...........................................................................  1311. Mechanisierung im Nachkrieg 1918‑1920 ......................................  131

a) Grenzschutz ................................................................................  132b) Kämpfe im Deutschen Reich.......................................................  133

2. Demobilisierung und Entwaffnung 1918‑1920 ..............................  139a) Die Panzerwaffe im Friedensvertrag von Versailles .......................  140b) Der Verbleib der Panzer nach 1918 .............................................  143

3. »Panzerlose« Zeit 1919‑1928? .........................................................  147a) Kriegsbild und Doktrinbildung ...................................................  150b) Publizistik ...................................................................................  157c) Ausbildung und Nachbildung .....................................................  171d) Erstes Rüstungsprogramm und Heeresmotorisierung ..................  175e) Panzerentwicklung ......................................................................  177f ) Resümee 1918‑1928 ..................................................................  180

4. Der Aufbau der Panzerwaffe 1929‑1935 .........................................  181a) Kriegsbild und Doktrinbildung ...................................................  182b) Publizistik ...................................................................................  185c) Aufbau der Kraftfahrkampftruppe ...............................................  206d) Konversion der Kavallerie ............................................................  209e) Aufstellung der Panzerdivisionen .................................................  210f ) Ausbildung und Nachbildung .....................................................  212g) Erprobung und Kaderbildung in der Sowjetunion ......................  216h) Zweites Rüstungsprogramm und Heeresmotorisierung ...............  222i) Die Panzerwaffe in der forcierten Heeresrüstung ab 1933 ...........  223j) Panzerentwicklung ......................................................................  225k) Resümee 1929‑1935 ..................................................................  228

5. Die Panzerwaffe bis zum Kriegsbeginn 1936‑1939 .........................  230a) Kriegsbild und Doktrinbildung ...................................................  230b) Publizistik ...................................................................................  244c) Aufstellung der Schnellen Truppen ..............................................  251d) Einsätze bis 1939 ........................................................................  253e) Entwicklung und Rüstung ..........................................................  263f ) Resümee 1936‑1939 ..................................................................  272

6. Bilder vom Panzer II .........................................................................  275

V. Zweiter Weltkrieg ..................................................................................  2971. Überfall 1939‑1941 ........................................................................  298

a) Kriegsbild ....................................................................................  302b) Operationen: Polen 1939 ............................................................  302c) Fallbeispiel: Die 4. Panzerdivision im Angriff auf Warschau

und an der Bzura .........................................................................  307d) Betrachtungen: Polen 1939 .........................................................  310e) Operationen: Frankreich 1940 ....................................................  311

Inhalt VII

f ) Fallbeispiel: Der Durchbruch der 6. Panzerdivision bei Monthermé ...........................................................................  320

g) Betrachtungen: Frankreich 1940 .................................................  324h) Doktrinbildung und Organisation ..............................................  327i) Rüstung ......................................................................................  332j) Resümee 1939‑1941 ..................................................................  338

2. Peripetie 1941‑1943 .......................................................................  341a) Kriegsbild ....................................................................................  343b) Operationen: Russland 1941 .......................................................  347c) Fallbeispiel: Die 10. Panzerdivision vor Moskau ..........................  357d) Betrachtungen: 1941 ...................................................................  359e) Operationen: Russland 1942 .......................................................  360f ) Betrachtungen: 1942 ...................................................................  373g) Operationen: Russland 1943 .......................................................  374h) Fallbeispiel: Die Rückzugskämpfe der 3. SS-Panzerdivision

in der Ukraine .............................................................................  388i) Betrachtungen: 1943 ...................................................................  392j) Doktrinbildung und Organisation ..............................................  393k) Rüstung ......................................................................................  408l) Resümee 1941‑1943 ..................................................................  431

3. Abwehr 1944/45 ..............................................................................  434a) Kriegsbild ....................................................................................  434b) Operationen: Frankreich 1944 ....................................................  440c) Fallbeispiel: Die Zerschlagung der Panzerlehrdivision

in der Normandie .......................................................................  459d) Betrachtungen: 1944 ...................................................................  465e) Doktrinbildung und Organisation ..............................................  468f ) Rüstung ......................................................................................  474g) Resümee 1944/45 .......................................................................  488

4. Panzer und Kriegsverbrechen ............................................................  4915. Bilder vom Panzer III .......................................................................  504

VI. Schluss ...................................................................................................  517

AnhangStatistik der Panzerfertigung 1934‑1945 ....................................................  525Typenblätter ................................................................................................  530Gliederungen ..............................................................................................  541Abkürzungen ...............................................................................................  547Quellen und Literatur .................................................................................  553Personenregister...........................................................................................  599

VIII Inhalt

Verzeichnis der Karten und Grafiken

Polen 1939: Deutscher Operationsplan mit Anteil Schneller Verbände ...............  303Frankreich 1940: Deutscher Operationsplan mit Anteil Schneller Verbände .......  312Sowjetunion 1941: Deutscher Operationsplan mit Anteil Schneller Verbände ....  344Sowjetunion 1942: Deutscher Operationsplan mit Anteil Schneller Verbände ....  361Kursk, 5. Juli 1943: Deutscher Operationsplan mit Anteil Panzerverbände ..... 376 f. Frankreich 1944: Einsatz von Panzerverbänden zur Abwehr der Invasion ...........  442Fertigung von Panzerkampfwagen, 1934‑1945 ..................................................  527Fertigung von Panzerjägern und Artillerie auf Selbstfahrlafette, 1940‑1945  ..........528Fertigung von Sturmgeschützen und Jagdpanzern, 1940‑1945  ..........................529Gesamtfertigung nach Gruppen 1934‑1945 ......................................................  529Burstyn-Motorgeschütz ......................................................................................  530Schwerer Panzerkampfwagen A7V ......................................................................  530Leichter Panzerkampfwagen Lk II ......................................................................  531Panzerkampfwagen I (Sd.Kfz 101) ......................................................................  531Panzerkampfwagen »Neubaufahrzeug« ...............................................................  532Panzerkampfwagen 35 (t) ...................................................................................  532Panzerkampfwagen IV (Sd.Kfz 161) ...................................................................  533Panzerkampfwagen II (Sd.Kfz 121) ....................................................................  533Panzerkampfwagen III (Sd.Kfz 141) ...................................................................  534Panzerkampfwagen 38 (t) ...................................................................................  534Sturmgeschütz III (Sd.Kfz 142/1) .......................................................................  535Panzerjäger »Marder I« (Sd.Kfz 135) ..................................................................  535Panzerkampfwagen VI »Tiger« (Sd.Kfz 181) .......................................................  536Panzerkampfwagen VIII »Maus« .........................................................................  536Jagdpanzer »Ferdinand« (Sd.Kfz 184) .................................................................  537Panzerkampfwagen V »Panther« (Sd.Kfz 171) .....................................................537Panzerhaubitze »Hummel« (Sd.Kfz 165) ............................................................  538Panzerkampfwagen VI, Ausf. B »Tiger II« (Sd.Kfz 182) ......................................  538Sturmgeschütz IV (Sd.Kfz 163) ..........................................................................  539Jagdpanzer 38 (t) »Hetzer« (Sd.Kfz 138/2) .........................................................  539Flakpanzer IV »Ostwind« ...................................................................................  540Panzerdivision: Vorschlag zur Gliederung (Faber du Faur), 1934 ........................  541Kampfwagendivision: Vorschlag zur Gliederung (Eimannsberger), 1934 ............  541Panzerdivision: Versuchsgliederung, 1934/35 .....................................................  542Panzerdivision, 1935 ..........................................................................................  542Panzerdivision, Herbst 1940 ...............................................................................  543Panzerdivision 44, 1944 .....................................................................................  543Panzerbrigade, 1944 ...........................................................................................  544Leichte Division, 1938 .......................................................................................  544Panzergrenadierdivision 43, 1943 .......................................................................  545

Vorwort

Es dürfte nur wenige Waffen geben, die unser Bild vom Krieg im Zeitalter der Weltkriege so stark beeinflusst haben wie der Panzer. Geboren im Stellungskrieg des Ersten Weltkrieges, weiterentwickelt unter den militärpolitisch einzigarti-gen Bedingungen der Zwischenkriegszeit, ist der Panzer zwischen 1939 und 1945 zum Träger des Landkrieges aufgewachsen. Das Waffensystem hat die Art, wie bis dahin Krieg geführt wurde, maßgeblich beeinflusst. Es verwundert also nicht, dass die Literatur über den Panzer auf den ersten Blick sehr reichhaltig ist. Beim genaueren Hinsehen stellt man allerdings fest, dass das Feld bis heute von populärer Technikliteratur und Erinnerungswerken bestimmt wird. Für die Geschichtswissenschaft stellt das einen unbefriedigenden Befund dar.

Markus Pöhlmann hat sich nun daran gemacht, genau 100 Jahre nach dem ersten Auftreten von Panzern die Fäden dieser großen Erzählung zusammenzu-führen. Denn die Geschichte des Waffensystems ist mehr als nur die Summe der technischen Detailinformationen, auch wenn diese eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit der Historiker bilden. Tatsächlich lassen sich über die Betrachtung des Panzers zeitgenössische Kriegsbilder herausarbeiten und die Bedingungen mi-litärischer Operationen beleuchten. Doch das Waffensystem kann auch helfen, das bis heute immer noch zu wenig beforschte Feld von Forschung, Entwicklung und Rüstung zu verstehen. Der Autor verweist hier zu Recht darauf, dass Rüstung immer ein Politikfeld ist. Schließlich untersucht er die Bilder, die wir vom Panzer haben. In dieser Verbindung der Betrachtung von militärischer, politischer und symbolischer Bedeutung liegt das Alleinstellungsmerkmal dieses Buches. Hier kann es Anregung für weitere Forschungen bieten.

Mit seinem konsequenten historischen Längsschnitt über einen Betrachtungs-zeit raum von über fünfzig Jahren fügt sich der Band in unsere Reihe »Zeitalter der Weltkriege« ein. Zu seinem Gelingen haben eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Hauses beigetragen, denen an dieser Stelle herzlich ge-dankt sei.

Dr. Hans-Hubertus MackOberst und Kommandeur desZentrums für Militärgeschichte undSozialwissenschaften der Bundeswehr

Danksagung

Die ersten Überlegungen zu diesem Buch gehen auf das Jahr 2007 zurück. Im Rahmen einer Assistenzvertretung am Historischen Institut der Universität Bern konnte ich im Gespräch mit meinem Doktorvater Stig Förster erste Ideen entwi-ckeln. Im selben Jahr schrieb ich das Konzept als Leverhulme Visiting Fellow an der University of Salford fort. Mein Dank geht daher an den Leverhulme Trust sowie an Alaric Searle, der mir ein produktives Jahr in Manchester ermöglicht hat.

Mit meinem Wechsel an das Militärgeschichtliche Forschungsamt im Jahr 2008 nahm die Arbeit Fahrt auf. Karl-Heinz Frieser hat sich als damaliger Leiter des Bereichs »Zeitalter der Weltkriege« für die Übernahme des Mannes und des Projektes stark gemacht. Sein Nachfolger, Rolf-Dieter Müller, der vielleicht beste Kenner der Wehrmacht überhaupt, hat das Projekt bis zum Abschluss unterstützt.

Der Text ist im Mai 2016 durch die Philosophische Fakultät der Universität Potsdam als Habilitationsleistung angenommen und für die Veröffentlichung überarbeitet worden. Ich danke dem Habilitationsausschuss, namentlich den drei Gutachtern Michael Epkenhans, Johannes Hürter und Sönke Neitzel.

Ich habe immer wieder wertvolle Hinweise auf historische Quellen und Zu-sam menhänge erhalten, und zwar von Jim Beach (Northampton), Paul Fröhlich (Potsdam), Marcel Kellner (Berlin), Alexander Kranz (Potsdam), Pascal Licher (Göttingen), Klaus-Peter Lohmann (Munster), Ralf Raths (Munster), Felix Römer (London), Roman Töppel (München), Jens Westemeier (manchmal Potsdam), Steven J. Zaloga (Abingdon) und Manfred Zeidler (Frankfurt/Main). Helmut Hammerich (Potsdam) hat das Manuskript kritisch gelesen. Für die Kapitel zum Zweiten Weltkrieg hat mich Adrian Wettstein (Bern) mit sehr wichtigen Anre-gungen, offener Kritik und vereinzelten Warnungen vor Schlimmerem bewahrt.

Mein Dank geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der im Anhang genannten Archive sowie die Bibliothekarinnen des ZMSBw. Die dort angesiedel-te Abteilung Publikationen, namentlich Michael Thomae, hat das Projekt betreut. Dabei lag der Satz in den bewährten Händen von Christine Mauersberger. Frank Schemmerling hat meine Vorlagen manchmal mit Stirnrunzeln gemustert und dann daraus Infografiken gezaubert, die man in der heutigen Verlagslandschaft lange suchen muss. Für das aufmerksame Lektorat des Manuskriptes danke ich Cordula Hubert (Olching), Diethard Sawicki vom Verlag Ferdinand Schöningh danke ich für die freundliche Aufnahme in die Reihe »Zeitalter der Weltkriege«.

Bücher, die von Mord und Totschlag handeln, seiner Frau und seiner Tochter zu widmen, halte ich für unangebracht. Bis ich schöngeistig schreibe, werden sich beide also noch gedulden müssen.

Markus Pöhlmann 8. August 2016

I. Einleitung

In den ersten Junitagen des Jahres 1940 hatte die Wehrmacht die Armeen Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens und der Niederlande nach nur einem Monat durch eine auf dem operativen Einsatz von Panzerdivisionen und Luft-streitkräften beruhende, neuartige Form der Kriegführung niedergeworfen. Den Moment, in dem sich die Panzer für die zweite Phase des Krieges gegen das fran-zösische Kernland wandten, beschrieb der damalige Ib-Generalstabsoffizier der 1. Panzerdivision, Major Johann Adolf Graf von Kielmansegg: »Das Gefühl der Überlegenheit, der menschlichen und technischen Überlegenheit ist in uns so stark, daß wir keiner Macht der Welt zugestehen, uns aufhalten zu können1.«

1968, im selben Jahr als Kielmansegg als Oberbefehlshaber der NATO-Streit-kräfte in Europa-Mitte in den Ruhestand trat, veröffentlichten die Rolling Stones mit »Sympathy for the Devil« ein Lied, in dem sie den Teufel als einen eben-so flamboyanten wie verbindlichen Zeremonienmeister der gewaltgeladenen Mensch heitsgeschichte auftreten lassen. Neben den Morden an der Romanov-Fami lie und den Kennedy-Brüdern führt Luzifer stolz einen weiteren Beleg seines Wirkens im 20. Jahrhundert ins Feld:

»I rode a tankHeld a general’s rankWhen the blitzkrieg ragedAnd the bodies stank2.«

Es kann füglich bezweifelt werden, dass sich Mick Jagger je intensiv mit der Geschichte des »Blitzkrieges« in Frankreich oder der deutschen Panzerwaffe be-schäftigt hat. Gleichwohl erschließt sich gerade aus dieser Spiegelung des Panzers in der Populärkultur die Relevanz des Themas: Zum Panzer kann jeder einen persönlichen Bezug herstellen. Diese Bezüge gehen mitunter weit über die sach-rationale militärische Zweckbindung hinaus. Der Panzer als Waffensystem ver-sinnbildlicht organisierte Maschinengewalt. Archaische und hochtechnisierte Dimensionen des Krieges – und hier lassen sich die jeweils auf ihre Weise emo-tional aufgeladenen Zitate von Kielmansegg und Jagger in Beziehung setzen – stehen dabei in enger Verbindung. Panzer waren und sind ein Bestandteil der Familienerinnerung: ob als akribisch beschriftetes Motiv in den Fotoalben der

1 Kielmansegg, Panzer zwischen Warschau und Atlantik, S. 176.2 Rolling Stones, Sympathy for the Devil (Beggars Banquet; Decca Records 1968). Friedrich

Kittler hat schon vor vielen Jahren auf die Liedzeile aufmerksam gemacht, das Potenzial des dahinter liegenden Themas dann aber kaum nutzbar gemacht. Siehe Kittler, Rock Music. Den schon von Oswald Spengler beklagten »Satanismus der Maschine« diskutiert Radkau, Technik in Deutschland, S. 253.

2 I. Einleitung

Veteranen oder als Topos der Erzählung vom Einmarsch 1945. Amerikanischer Panzer, afroamerikanischer Soldat und Kaugummi bilden geradezu eine motivi-sche Trias der Kriegsendeerinnerung, wenigstens in Westdeutschland. Hinter dem Eisernen Vorhang wandelte sich der Panzer zum Instrument und Sinnbild poli-tischer Unterdrückung. In den Berlin-Krisen von 1948 und 1953, in Budapest 1956 und in Prag 1968 erlangte die Waffe diesbezüglich eine starke symbolische Aufladung. Als Symbol des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland wurde der Stahlkoloss vor allem in der DDR auf den Denkmalsockel gehoben. In beiden Teilen Deutschlands bedeuteten Panzer über vier Jahrzehnte Kommiss, Abgaswolken speiende Militärkolonnen auf den Autobahnen, Flurschäden und Manöverunfälle. Heute, wo der Kampfpanzer aus den Arsenalen der europäi-schen Streitkräfte weitgehend verschwunden ist, ist er ironischerweise in den di-gitalen Spielewelten ubiquitär geworden.

Der Panzer trat in einer Epoche auf, in der das Verhältnis von Krieg und Technik neu verhandelt werden musste. Mechanisierung bildete sich seit dem frühen 20.  Jahrhundert auch im Kriegswesen aus3. Arbeitsweltliche Prinzipien hielten spätestens im Verlauf des Ersten Weltkrieges Einzug in die nicht ohne Grund als industrialisiert charakterisierte Massenarmee. Wo sich das neue Verständnis von Krieg als industrieller Arbeit Bahn brach, hatte dies auch Folgen für die Vorstellung von den Werkzeugen des Krieges, den Waffen. Schon Eckart Kehr hat darauf hingewiesen, als er die divergierenden Vorstellungen vom Wesen der Kanone bei den größten deutschen Waffenproduzenten der Epoche, Krupp und Erhardt, deutete: Während die Kanone für Krupp letztlich ein »fahrbarer Gußstahlblock« geblieben sei, habe Erhardt sie als »fahrbaren Explosionsmotor für außergewöhnlich hohe Explosionsdrucke und Kolbengeschwindigkeiten mit ganz besonderen kriegstechnischen Aufgaben« aufgefasst4.

Die Verbindung von Kanone und Motor ist in der Folge in Deutschland weit weniger zielstrebig verfolgt worden, als man dies annehmen mag. Der Panzer trat schließlich im Sommer 1916 zuerst aufseiten der damaligen Gegner in Erscheinung. Dies hatte nicht nur unmittelbare militärische Folgen. Vielmehr ergab sich damit auch das Problem, zu beschreiben und zu deuten, was bislang unbekannt war und worauf die deutschen Techniker und Soldaten zunächst auch noch eine ganze Weile nicht einmal materiellen Zugriff erlangen konnten. Das führte zu einer Verzögerung in der Begriffsbildung: »Tank« erwies sich als eine provisorische, aber verhältnismäßig langlebige Übernahme aus dem Englischen. Unter den zahlreichen Neologismen setzte sich in der Zwischenkriegszeit schließ lich »Panzerkampfwagen« durch. Die heutige begriffliche Reduzierung auf »Panzer« war noch zum Zeitpunkt des Aufbaus der Panzerwaffe als Waffen-gattung unüblich. Die für diesen Zusammenhang bestimmenden historischen Definitionen sind vornehmlich durch das von dem österreichischen Ingenieur und Reserveoffizier Fritz Heigl initiierte »Taschenbuch der Tanks« geprägt worden. Dieses internationale Referenzwerk gliederte noch 1935 »Panzerkraftfahrzeuge« in (radgetriebene) »Panzerkraftwagen« und (kettengetriebene) »Kampfwagen«. Die Definition beschrieb ihre Eigenart und Funktion: »Das Wesen der Panzer-

3 Geyer, Deutsche Rüstungspolitik, S. 101 f.4 Kehr, Krieg und Geld, S. 227. Siehe dazu auch Mollin, Auf dem Wege zur »Materialschlacht«,

S. 53 f.

I. Einleitung 3

kraftfahrzeuge besteht in der Eigenschaft, durch motorischen Zug die panzer-geschützte Besatzung zur Lösung des Gefechtsauftrags zu befähigen5.« Der Begriff »Panzer« wird also umgangssprachlich, damals wie heute, sowohl für eine Klasse von Gefechtsfahrzeugen als auch für einen speziellen Typ innerhalb die-ser Klasse verwendet. Bei diesem Typen handelt es sich um den »Kampfwagen«, heute in der Regel als »Kampfpanzer« bezeichnet. Diesen definiert ein weite-res maßgebliches Handbuch als »mit Waffen in Drehtürmen versehene, für die Hauptkampfarten der Panzerverbände bestimmte Vollkettenfahrzeuge«6. Neben den Panzerkampfwagen entwickelten sich als wichtige mechanisierte Fahr zeug-typen »Panzerspähwagen« (leicht gepanzerte Radfahrzeuge für Aufklärungs-zwecke) und »Schützenpanzerwagen« (teilgepanzerte Kampffahrzeuge für die Infanterie). Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges fand eine rasante Diversifizierung der Typenpalette statt: Flakpanzer, Funklenkpanzer, Funkpanzer, Jagdpanzer, Minenräumpanzer, Panzerbefehlswagen, Panzerbeobachtungswagen, Räumschau-fel panzer, Selbstfahrlafetten, Sturmartillerie und Waffenträger traten ins Arse nal der Waffengattung.

Die schienengebundenen Panzerzüge, die sowohl von der technischen Fahr-zeugklassifikation als auch von den militärischen Aufgaben und Einsatzgrund-sätzen eine ausgesprochene Sonderrolle spielten, werden in dieser Studie nur bis zum Ende der revolutionären und Nachkriegskämpfe 1923 kursorisch in die Untersuchung mit einbezogen. Für die Ausbildung der militärischen Me-chanisierung in Deutschland sind sie interessant und relevant, doch in der sich dann formierenden deutschen Panzerdoktrin spielen sie keine Rolle mehr.

Aufbauend auf die historischen Definitionen soll im Folgenden unter einem Panzer die zur Durchführung von Gefechtsaufträgen zweckmäßige Anordnung der militärischen Parameter Feuerkraft, Panzerung und Beweglichkeit in einem Kettenfahrzeug verstanden werden.

1. Das Wissen von den Waffen: Stand und Perspektiven einer artefaktzentrierten Militärgeschichte

Diese Arbeit versteht sich als Beitrag zur Militärgeschichte. Die wissenschaftlich betriebene Militärgeschichte in Deutschland ist themenzentriert und im besten Fall methodenorientiert. Wer die Entwicklung der letzten Jahrzehnte verfolgt hat, wird den Eindruck gewinnen, dass sie mehr Papier darauf verschwendet hat, die erfolgreiche Überwindung ihrer langjährigen Marginalisierung zu besin-gen, als dieses Papier für die Aufarbeitung der Desiderate zu verwenden. Zu den Desideraten, die sich auch im Zusammenhang mit der Beforschung des Panzers gezeigt haben, zählen zweifellos artefaktzentrierte Forschungen zu einzelnen Waffen bzw. Waffensystemen7. Bislang liegen zwar kaum monografische Studien

5 Heigl’s Taschenbuch der Tanks, T. 1, S. 9.6 Senger und Etterlin, Die deutschen Panzer, S. 14.7 Unter Waffensystem wird ein Verbund von militärtechnischen Komponenten verstan-

den, der die Anwendung der im Waffensystem integrierten Waffen unterstützt. Von der einfachen Waffenplattform unterscheidet sich das Waffensystem durch die komplexe Wechselwirkung seiner Komponenten.

4 I. Einleitung

vor, die wenigen deuten aber auf das geschichtswissenschaftliche Potenzial einer derartigen Perspektive hin8. Namentlich aus der methodisch bemerkenswerten Studie von Christian Kehrt zur Technikerfahrung deutscher Militärpiloten kön-nen zahlreiche Anregungen gewonnen werden9. Einen solitären Platz nimmt bis heute das Buch des britischen Historikers und Journalisten Patrick Wright ein. »Tank. The Progress of a Monstrous War Machine« bietet mit seiner internationalen und multiperspektivischen Herangehensweise und dem Faible des Autors für absei-tige Aspekte des Themas eine Fülle von wertvollen Denkanstößen zur Geschichte des Panzers. Es leistet jedoch wenig im Hinblick auf eine integrative Betrachtung von Kriegführung und Technik – schon gar nicht für den deutschen Fall10.

Warum aber könnte eine solche Perspektive von Nutzen sein? Zunächst weil die infrage stehende Epoche von rasanter und nachhaltiger Technisierung geprägt war11. Über die Betrachtung einzelner Waffensysteme lassen sich somit mögli-cherweise Strategien und Probleme der Aneignung von Technik durch das Militär in dieser Epoche herausarbeiten. Als Hypothese soll hier angenommen werden, dass der Panzer dazu in besonderer Weise geeignet ist, weil er ein hochtechnisches Rüstungsgut darstellt, das zu Beginn der Epoche erst erfunden wurde. Geeignet ist er auch deshalb, weil der Panzer, bedingt durch Bauart und Bedienung, eine besondere Mensch-Maschine-Interaktion erfordert, deren Erforschung wieder-um Aufschluss über die Deutung des Verhältnisses von militärischem Mensch und Maschine geben kann. Der Panzer lohnt aber auch deshalb eine intensi-ve und diachrone Betrachtung, weil diese Waffe militärische Traditionen und Handlungsmuster sehr konkret, für einzelne Waffengattungen wie die Kavallerie sogar existenziell infrage stellte12. Die Eignung des militärischen Artefakts Panzer ergibt sich aber schließlich aus seiner militärischen Relevanz, die sich als kriegs-entscheidend beschreiben lässt.

Wer den Versuch einer solchen waffenzentrierten Untersuchung unternimmt, stößt rasch wieder auf weitere Desiderate der Miltärgeschichtsschreibung. Dazu zählen Detailstudien zur Heeresrüstung oder prosopografische Analysen von mi-litärischen und militärisch-industriellen Netzwerken. Lutz Budraß hat mit seiner Studie zur Luftrüstung ab 1918 konsequent den Blick auf die militärischen, politi-schen und unternehmerischen Gruppen im Rüstungsprozess gelenkt und auf ihre »Kommunikationsformen und Informationssysteme« sowie die »Flexibilität dieser Formationen« hingewiesen13. Bei unterschiedlicher methodischer Herangehens-weise erhebt die vorliegende Studie gleichwohl einen vergleichbaren Anspruch. Zu den Desideraten zählen auch eine Geschichte der Reichswehr, die den in der älteren Literatur etablierten Primat der Innenpolitik überwindet, sowie breit an-

8 Erträge für das Zeitalter der Weltkriege haben sich bislang vor allem für die Waffen des Luftkrieges gezeitigt, darunter Syon, Zeppelin!; Schabel, Die Illusion der Wunderwaffen. Für den Seekrieg siehe Hadley, Count Not the Dead. Für den Landkrieg bietet die ältere Studie von Ellis, The Social History, eine lesenswerte, wenngleich empirisch recht oberfläch-liche tour d’horizon. Informativ und journalistisch ist die Geschichte des Sturmgewehrs AK-47 Kalašnikov von Chivers, The Gun. Erzählerisch stark ist auch Davis, Buda’s Wagon.

9 Kehrt, Moderne Krieger.10 Wright, Tank.11 Einführend Militär und Technik; Metz, Ursprünge der Zukunft, S. 405‑420.12 Kehrt, Moderne Krieger, S. 14, 24.13 Budraß, Flugzeugindustrie, S. 12.

I. Einleitung 5

gelegte Untersuchungen zu Konzepten wie Raum, Motorisierung, militärisches Lernen und Militärkultur14. Der Umstand, dass die Themenfelder Krieg und Militär seit den 1980er Jahren von der Kulturgeschichte aufgegriffen wurden, hat dazu geführt, dass vereinzelt der Stillstand der Forschung zum eigentlichen, krie-gerischen und um die Frage der Gewalt kreisenden Kern der Militärgeschichte moniert wurde15. Ob nun aber die Operationsgeschichte ein Desiderat der Forschung darstellt, kann bezweifelt werden. Erstens ist diese wenigstens für den Zweiten Weltkrieg umfänglich, wenn auch mit wechselnder Qualität fortgeschrie-ben worden16. Zweitens scheint es verfehlt, der Operationsgeschichte durch ihre methodische Neuorientierung auf die Beine helfen zu wollen17. Eine »moderne« Operationsgeschichte zu entwickeln, scheint mir ein verfehlter Ansatz. Vielmehr muss es ganz einfach darum gehen, die Erträge dieser Spezialforschung in einen erweiterten militärgeschichtlichen Forschungsrahmen nutzbringend zu integrie-ren. Beim Blick auf die erwähnten Forschungen, die sich einer Kulturgeschichte der Militärtechnik verschrieben haben, zeigt sich, dass dieser Forderung bislang nur ganz rudimentär nachgekommen wurde.

Ein lohnenswertes Forschungsfeld kann schließlich auch bei dem hier gewähl-ten Thema die Kultur des Militärs selbst darstellen. Unter Militärkultur verstehen wir eine spezifische Variante von Organisationskultur. Sie stellt eine Ansammlung von Werten, Normen und Annahmen dar, welche die Entscheidung zwischen Optionen beeinflusst und damit erleichtert. Militärkultur ist handlungsleitend und funktioniert zu guten Teilen habituell und implizit18. Mit Blick auf die deut-schen Streitkräfte im Zeitalter der Weltkriege ist das Konzept in den vergangenen Jahren namentlich von Isabel Hull erprobt worden. Ihr Ausgangspunkt war die Annahme einer militärkulturellen Prägung des preußisch-deutschen Heeres, die gekennzeichnet war vom Verlust der politischen Kontrolle über das Militär bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Überhöhung desselben. Der hieraus resultierende militärische Erfolgsdruck habe in eine Radikalisierung der kriegerischen Praxis gemündet, die sich zunehmend vom Grundsatz militärischer Verhältnismäßigkeit abgelöst und in deren Mittelpunkt die physische Vernichtung des Feindes gestan-den habe19.

Diese Sonderwegsthese organisierter Gewaltpraxis ist nicht unwidersprochen geblieben, wobei sich die Kritik vornehmlich an der Unterkomplexität des or-ganisationssoziologischen Modells, der Empirie der Fallbeispiele und der irri-gen Interpretation des militärischen Vernichtungsbegriffs festgemacht hat20. Für den hier untersuchten Zusammenhang liegt die Problematik der Interpretation

14 Wichtige Grundlagenarbeiten sind Barthel, Theorie und Praxis; Kaufmann, Kommunika-tionstechnik und Kriegführung; Möser, Fahren und Fliegen; Groß, Mythos und Wirklichkeit.

15 Aus sehr unterschiedlichen Perspektiven etwa Geyer, Eine Kriegsgeschichte, und Neitzel, Militärgeschichte ohne Krieg?

16 Siehe vor allem die Bände 2, 3, 4, 6, 7, 8 und 10/1 von Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg (DRWK). Zum Umfeld dieser Forschungen gehört auch die für Deutschland singuläre Studie von Frieser, Blitzkrieg-Legende.

17 So die Forderung von Wegner, Wozu Operationsgeschichte?, S. 113.18 Einführend Kier, Imagining War, S. 28; Wilson, Defining Military Culture.19 Hull, Absolute Destruction, S. 91‑109.20 Kühne, Rezension zu: Isabel V. Hull, Absolute Destruction; Ziemann, Rezension zu: Isabel

V. Hull, Absolute Destruction.

6 I. Einleitung

aber vielmehr in der selbstgewählten Beschränkung auf die Beobachtung der militärischen Praxis im Krieg selbst und der dahinter liegenden Annahme, Militär lerne vor allem aus traumatischen Kriegserfahrungen21. Wer von dieser Annahme ausgeht, begibt sich freilich der Chance, die Ausformung militärkul-tureller Dispositionen in Friedenszeiten zu beobachten und den Charakter des militärischen Lernprozesses zu verstehen. Dabei kann Militärkultur sehr wohl als Interpretationsrahmen für die Untersuchung militärischer Mechanisierung genutzt werden, so etwa bei der Frage nach der Genese historischer Kriegsbilder und ihrem Einfluss auf die Doktrinbildung.

In der deutschsprachigen Militärgeschichtsschreibung hat der Begriff der Doktrin keine Tradition. Seine Einführung scheint mir aber zweckmäßig, da sich darüber Kultur, Praxis und Werkzeuge in Verbindung bringen lassen. Für den vorliegenden Zusammenhang soll daher unter Doktrin eine Sammlung von militärischen Organisations-, Führungs- und Einsatzgrundsätzen verstan-den werden, deren Geltungsanspruch wenigstens eine Waffengattung umfasst. Doktrinbildung ist als diskursiver Prozess zu verstehen. Dabei können derartige Grundsätze zunächst vorläufige Geltung durch praktische Übereinkommen er-langen. Die Kodifizierung in Vorschriften bildet in der Regel erst den Abschluss der Doktrinbildung. Von der Militärtheorie unterscheidet die Doktrin die un-mittelbarere Anwendungsorientierung, von der Militärpolitik die diskursi-ve Beschränkung auf das Militär selbst. Sie stellt die operative Dimension von Militärkultur dar. Wie diese stellt sie ein Mittel und keinen Zweck an sich dar. Doktrin organisiert Aktion22.

Wo militärische Werte, Normen und Annahmen die Vorstellung vom nächs-ten Krieg beeinflussen, wo sie Einfluss auf die zur Kriegführung in Aussicht ge-nommenen militärischen Verfahren gewinnen, da stellt sich schließlich die Frage nach der Auswirkung einer spezifischen Militärkultur auf die Bereitstellung der erforderlichen materiellen Mittel. Der Blick auf die Militärkultur ist also nur dann lohnenswert, wenn er über die militärische Praxis im Krieg hinausgeht und wenn etwa danach gefragt wird, inwieweit sich ein Waffensystem wie der Panzer auch als Materialisierung militärkultureller Prägung verstehen lässt.

2. Militärische Mechanisierung als interdisziplinäres Forschungsproblem

Mechanisierung bedarf als historischer Begriff und als militärisches Konzept der Erläuterung. Im allgemeinen, arbeitsweltlichen Zusammenhang soll sie hier als Substitution menschlicher Arbeitskraft durch die Maschine verstanden werden. Die militärische Begriffsebene ist in den frühen 1920er Jahren zunächst durch Übernahmen aus dem angelsächsischen Fachdiskurs beeinflusst worden. Es dauerte noch wenigstens ein Jahrzehnt, bis sich auf deutscher Seite einheitliche Terminologien entwickelten.

21 Hull, Absolute Destruction, S. 93, 96.22 Hier baue ich auf Kier, Imagining War, S. 144, und auf Posen, The Sources of Military

Doctrine, S. 13 f.

I. Einleitung 7

Für eine Definition von Mechanisierung ist diese zunächst von der Moto-risierung zu unterscheiden23. Letztere stellte im militärischen Bereich einen umfassenden Innovationsvorgang dar, dessen Anfänge bis ins letzte Drittel des 19. Jahr hunderts zurückzuverfolgen sind und der hier nur mit Blick auf das Heer untersucht werden soll. Im Landkrieg bedeutete Motorisierung den Ersatz der tierischen Zugkraft durch den Motor zum Zweck des Transports von Truppen, Waffen und Gerät. Motorisierte Truppen verfügten über dauerhaft zugeteilte Kraftfahrzeuge, was sich in spezifischen Gliederungen und Anforderungen an das Personal und das Material niederschlug.

Mechanisierung bildet technisch einen Teilbereich der Motorisierung, mi-litärisch aber gleichzeitig eine Weiterentwicklung derselben. Denn in der Me-chanisierung vollzog sich die organisatorische, technische und taktische Verbin-dung von Motorisierung, Panzerung und Waffenwirkung. Fahrzeuge dienten den Truppen nicht mehr nur zum Transport ins Gefecht, sondern die Truppen konnten das Gefecht nun vom gepanzerten Fahrzeug aus führen. Dabei trat der Panzer als neue Waffengattung des mechanisierten Krieges in Erscheinung. Doch konnten selbstverständlich auch existierende Waffengattungen mechanisiert wer-den, etwa die Infanterie, Kavallerie, Artillerie und die Pioniere.

Die Verzögerung bei der Begriffsgenese in Deutschland hängt mit den militäri-schen Beschränkungen der Rüstung und Militärorganisation ab 1919 zusammen, die wiederum eine erhöhte Rezeption der ausländischen Mechanisierungskonzepte und -terminologien zur Folge hatte. So geht die Bezeichnung der später noch darzustellenden »Leichten Divisionen« auf französische Vorbilder zurück. Und die mitunter anzutreffende Bezeichnung »motomechanische Verbände« stellt eine Übernahme aus der zeitgenössischen sowjetischen Fachliteratur dar. Weiter kompliziert wird die Frage der Terminologien durch den Umstand, dass ab 1935 zwar »Panzerdivisionen« und »Leichte Divisionen« aufgestellt wurden, diese aber Teil der Waffengattung »Schnelle Truppen« war24. Eine Waffengattung mit der Bezeichnung »Panzertruppen« ist erst im April 1943 aufgestellt worden.

Der militärische Nutzungszusammenhang einer Waffe wird ohne Rückgriff auf die Bedingungen ihrer technischen Entwicklung nicht verständlich. Was können deshalb die Erträge der Technikgeschichte für die vorliegende Thematik beitragen? Nähert man sich aus militärgeschichtlicher Perspektive der Technikgeschichte, so fällt erstens auf, dass beide Disziplinen wissenschaftsgeschichtlich einem ver-gleichbaren Emanzipationsdruck ausgesetzt waren. Während sich die moderne Militärgeschichte mit der von Soldaten verfassten und als anwendungsorientiert

23 Für die zeitgenössische Definition siehe Müller, Mechanisierung und Motorisierung, sowie Nehring, Heere von morgen, S. 14‑17.

24 Der Leser zieht möglicherweise Genugtuung aus dem Umstand, dass die Begrifflichkeiten in der Wehrmacht selbst nicht durchgängig geläufig waren. So musste die Organisations-abteilung des Generalstabes im Mai 1941 die Bezeichnungen »Schnelle Truppen« und »Schnelle Verbände« erläutern. »Schnelle Verbände« war demnach ein Begriff der Führung. Er bezeichnete »solche Verbände in Stärke von Divisionen oder gemischten Brigaden, die in ihrer operativen Beweglichkeit den Inf.[anterie] Divisionen überlegen« waren. Dagegen beschrieb der Begriff »Schnelle Truppen« eine spezifische »waffenmässige Zugehörigkeit und Betreuung«. Siehe Bundesarchiv (im Folgenden BArch), RH 15/107: OKH/GenSt/Org.Abt. (II) Nr. 3038/41 geh. vom 8.5.1941 betr. Schnelle Verbände – Schnelle Truppen (Bl. 69).

8 I. Einleitung

kritisierten Kriegsgeschichte alten Zuschnitts auseinanderzusetzen hatte, musste die moderne Technikgeschichte die von Ingenieuren verfasste und als positivis-tisch und methodenfrei verschriene Technikgeschichte überwinden25. Zweitens fällt auf, dass Waffen und Rüstungsgüter selbst in der Technikgeschichte oftmals immer noch als die »dunkle Seite« der Technik firmieren und entsprechend gerin-ge Beachtung erhalten26. Drittens ist bemerkenswert, dass wesentliche Fragen der Technikgeschichte letztlich wiederum aus den Debatten der Techniksoziologie über-nommen wurden27. Soweit es hierbei um die Betrachtung von Sachtechnik ging, stand und steht die Frage im Mittelpunkt, welche soziokulturellen Verhältnisse die Genese von Artefakten befördert haben und welche gesellschaftlichen Folgen wiederum diese Artefakte im weiteren Verlauf gezeitigt haben. Innovation und Nutzung sollen damit als Leitbegriffe für die weitere Untersuchung aufgegriffen werden28.

Dabei wird für die Frage nach der Innovation der jeweilige militärische For-schungs- und Entwicklungsprozess untersucht werden. Es müssen demnach auf der Mikroebene des Panzers die sozial und (militär-)kulturell determinieren-den Faktoren für die Technikgenese herausgearbeitet und die »technologische Eindringtiefe«29 bestimmt werden, also das Ausmaß, in dem sich der Panzer als eigenständiger Einflussfaktor auf die militärischen Verhältnisse und darüber hin-aus bemerkbar gemacht hat. Hierzu sollen die folgenden Hypothesen formuliert werden: Erstens ereignet sich die Genese des Panzers 1916 nicht nur auf dem Höhepunkt eines radikalen und gewaltsamen Wandels des Kriegswesens. Der Genese war vielmehr schon eine regelrechte militärische »Transportrevolution« vo-rangegangen30. Die damit verbundenen Veränderungen des militärischen Raums und des Kriegsbildes müssen die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Panzers maßgeblich beeinflusst haben. Zweitens muss auch für die sachtechnische Mikroebene des Panzers angenommen werden, was für die Makroebene als längst ausgemacht gilt, dass nämlich das Design des Artefakts so lange prinzipiell als unfertig gilt, bis die Probleme und Wünsche der mit seiner Nutzung befassten gesellschaftlichen Gruppen gelöst sind31. Die Erfindung des Panzers stellte dem-nach keine einmalige, geschichtsmächtige Ingenieursleistung dar, sondern bilde-te allenfalls den Ausgangspunkt für einen »vielschrittigen, oft erratischen und nicht linearen Prozess soziotechnischer Neuausrichtung«, der über einen langen Zeitraum zu betrachten sein wird32.

Hält man sich den großen Prozess der Neuausrichtung der deutschen Ge-sellschaft auf die industrielle Mechanisierung vor Augen, so kam es hierbei zwei-fellos zu einem vorübergehenden »Zurückbleiben der kulturellen Subsysteme

25 Zur Geschichte der Disziplin siehe Gleitsmann/Kunze/Oetzel, Technikgeschichte, S. 198.26 Das stellt auch Möser, Fahren und Fliegen, S. 31, fest, der selbst militärische Artefakte in

seine Untersuchung einbezieht.27 Eine diesbezüglich wichtige Forschungs- und Transferleistung in die deutschsprachige

Militärgeschichte stellen die Arbeiten des Freiburger Soziologen Stefan Kaufmann dar.28 Einführend zur techniksoziologischen Debatte um technischen bzw. sozialen Determinis mus

Kaufmann, Technisiertes Militär; außerdem Gleitsmann/Kunze/Oetzel, Technikge schichte.29 Ich übernehme diesen Begriff von Dolata, Wandel durch Technik, S. 13.30 So formuliert das Metz, Ursprünge der Zukunft, S. 415. 31 So die Annahme bei Hughes, Technological Momentum.32 Dolata, Wandel durch Technik, S. 14.

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hinter dem Veränderungstempo der wirtschaftlich-technischen Basis«33. Anders sind Phänomene der Maschinenangst und -gegnerschaft, wie sie sich für die Mechanisierung der Landwirtschaft oder für die Automobilisierung finden las-sen, gar nicht zu erklären. Wo sachtechnische Artefakte zu Bedeutungsträgern für Größeres oder gar Anderes avancieren, wird man die inzwischen reichen Erträge der Kulturgeschichte des Krieges heranziehen können.

Wenn ich den Versuch mache, eine Geschichte des Panzers als Symbol zu schreiben, so erfordert dies einen breiten Quellenzugriff34. Damit rücken die vi-suelle Geschichte und ihre Medien in den Blickpunkt35. Der Forschungstrend ging dabei in den vergangenen zwanzig Jahren tendenziell weg von der traditio-nell kunsthistorisch inspirierten Betrachtung des trägergebundenen Einzelbildes und der Vorstellung, dass Bilder historische Verhältnisse widerspiegelten. Er bewegte sich, angestoßen durch die Digitalisierung, hin zu einem erweiterten Bildbegriff, dem Wechsel des Fokus auf die soziale Praxis des Bildgebrauchs und die mediale Dimension der Vermittlung historischer Ereignisse. Wenn Bilder als »Mythomotoren« (Günter Riederer) zu verstehen sind, fordert diese Lesart eine exemplarische Überprüfung anhand des Motorfahrzeuges Panzer ja geradezu her-aus36. Dafür sollen einmal die Methoden der realienkundlichen Bildinterpretation genutzt werden, da Bilder für einzelne Phasen der Geschichte des Panzers, etwa die Revolution 1918/19, auch eine nicht zu vernachlässigende militärhistori-sche Ersatzüberlieferung darstellen. Daneben werden vor allem die Praxen des Bildgebrauchs zu beleuchten sein, so bei der Instrumentalisierung des Panzers in der kommunikationspolitischen Auseinandersetzung um den Friedensvertrag von Versailles oder bei der medialen Flankierung der Aufrüstung der Wehrmacht. Der Forderung nach einem erweiterten Bildbegriff soll hier mit der Einbeziehung von so disparaten Bildquellen wie Meldeskizzen, Schnappschüssen, Propagandafilmen und Karikaturen nachgekommen werden37. Mit Blick auf die Ansätze der visuellen Geschichte lassen sich folgende Hypothesen formulieren: Die mögliche Relevanz des Panzers als Bildquelle ergibt sich zunächst aus seiner spezifischen Gestalt, die gleichermaßen Anknüpfungspunkte zu den archaischen wie den hochtechnologi-schen Dimensionen des Krieges bietet. Sein überraschendes Auftreten garantier-te ihm möglicherweise einen besonderen medialen Neuigkeitswert und hat sein Potenzial für die Deutung von Krieg und Niederlage gefördert. Schließlich ist zu vermuten, dass seine hochtechnische Anmutung – namentlich die Verbindung

33 So die Umschreibung des in der Soziologie als »cultural lag« bekannten Phänomens. Siehe Gleitsmann/Kunze/Oetzel, Technikgeschichte, S. 79.

34 In Anlehnung an Evert, Eisenbraut, S. 28‑30, verstehe ich – mit Blick auf Waffen – unter Symbol einen sachkulturellen Bedeutungsträger, mit dessen Hilfe soziale Realitäten vermit-telt werden können.

35 Militär, Krieg und Propagandabilder sind im Zuge der Hinwendung der Geschichts- und Kulturwissenschaften zum Bild bevorzugte Studienobjekte gewesen. Dazu Jäger, Photo-graphie, S. 113‑128; Paul, Von der Historischen Bildkunde.

36 Zit. nach Paul, Von der Historischen Bildkunde, S. 19.37 Den breiten Quellenansatz hat  – wenn auch nicht ausschließlich auf Bildquellen bezo-

gen – schon ein Klassiker der Geschichte der Mechanisierung gefordert. Siehe Giedion, Mechanization Takes Command. Die genutzten Quellenkorpora sind einander verwandt, doch sein Ansatz einer »anonymous history« kann kein Modell für die vorliegende Studie sein.

10 I. Einleitung

von Feuer, Stahl und Bewegung – die Attraktivität des Motivs für militärpoli-tisch-ideologische Selbstverortungen gefördert hat38.

Wer mit dem methodischen Handwerkskasten der Kulturwissenschaften an ein Artefakt wie einen Kampfpanzer herantritt, wird auf den ersten Blick das Fehlen von unmittelbaren emotionalen Wirkungen feststellen, die als technolo-gische Erhabenheit bzw. als ein spezifisches Gefühl von Automobilität definiert wurden39. Es wird daher im Folgenden auch zu untersuchen sein, wie sich ent-sprechende Wahrnehmungsdimensionen beim Panzer historisch entwickelt ha-ben. Dass es sie nicht gab und gibt, ist schon deshalb als unwahrscheinlich an-zusehen, weil dieses Artefakt ja für eine soziale Aktivität entwickelt wurde, die zu den emotionalsten gehört, denen sich der Mensch aussetzt – den Krieg. Die symbolischen Zuschreibungen, die für den Panzer entwickelt wurden, stamm-ten  – so könnte man erwarten  – von den eigentlichen Nutzern des Artefakts, den Soldaten. Doch wird hier von der Hypothese ausgegangen, dass derartige Zuschreibungen gerade auch von Individuen und sozialen Gruppen formuliert wurden, die über keinerlei professionelle Beziehung zu dem Artefakt verfügten, und dass deren Zuschreibungen möglicherweise sogar auf die eigentlichen Nutzer rückwirken konnten40.

3. Quellen

Alle Forschungen zur Geschichte von Militär und Krieg in Deutschland bis 1945 haben mit einem veritablen Quellenproblem zu kämpfen, das aus der kriegsbe-dingten physischen Zerstörung großer Korpora resultiert41. Dies gilt auch für die Geschichte des Panzers. Als besonders misslich hat sich der Quellenverlust für die Bestände des preußischen Kriegsministeriums erwiesen. So werden sich der Forschungs- und Entwicklungsprozess und generelle Technikhaltungen bei der Heeresverwaltung bis 1914 wohl nicht mehr vollumfänglich rekonstruieren las-sen. Für die ersten deutschen Panzerprojekte und die Operationen von 1914‑18 liegen die Verhältnisse jedoch schon viel besser, als allgemein angenommen wird. Hierzu liegt mit den klassifizierten Studien des Generals Erich Petter aus den frü-hen 1930er Jahren eine wichtige Ersatzüberlieferung vor, von der die Forschung seither enorm profitieren konnte42. Über die im Bayerischen Kriegsarchiv erhalte-nen Truppenakten lassen sich weitgehende Schlussfolgerungen zu den Reaktionen

38 Siehe Kramer, Dynamics of Destruction, S.  159‑210, insbesondere die Abbildung des Ge mäldes »Treno blindato in azione« (Panzerzug im Gefecht; 1915) des Futuristen Gino Severini (S. 197).

39 Weiterführend Syon, Zeppelin!, S. 276 f., und Möser, Fahren und Fliegen, S. 26. Metz, Ursprünge der Zukunft, S. 247, formuliert aus, was hier für den Panzer als besondere Va-riante des Kraftfahrzeugs untersucht werden soll: »Bewegung, Eigenbewegung gar, ›Auto-mobilität‹, ist eine tiefe psychische Erfahrung. Ein Automobil ist immer auch sinnlich, phänomenal«.

40 Möser, Fahren und Fliegen, S. 20.41 Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik, S. 29 f.42 Die Petter-Studien werden in den folgenden beiden Teilen umfänglich ausgewertet.

I. Einleitung 11

der deutschen Truppen auf das Auftreten der neuen Waffe und die Überlegungen ihrer Abwehr ab 1916 ziehen.

Für die Zwischenkriegszeit verbessert sich die militärische Aktenlage im Bun-desarchiv, namentlich für die Forschung, Entwicklung, Rüstung und Opera-tionsplanung. Beachtung verdient hier auch eine Reihe von Nachlässen von Panzeroffizieren der Wehrmacht, darunter Leo Geyr von Schweppenburg, Heinz und Heinz Günther Guderian, Oskar Munzel, Walther Nehring und Hans Reinhardt. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Arbeit erstmals eine systematische, wissenschaftliche Beforschung der Masse der mit der Panzerrüstung befassten Unternehmensarchive in Deutschland unternommen wurde.

An gedruckten Quellen können schließlich die deutschen Militärfachzeit-schriften genannt werden, ohne die heute keine ernst zu nehmende militärge-schichtliche Forschung auskommen kann. Diese Quellengattung wurde für den Zeitraum komplett ausgewertet.

4. Darstellungen

Die Literatur zum Themenkomplex bietet weder erschöpfende empirische Befunde noch geschlossene methodische Überlegungen. Wer den großen, konzeptionel-len Rahmen von Militärtechnik und Mechanisierung untersucht, wird weiterhin auf die wenigen inspirierenden Überblicksdarstellungen zurückgreifen müssen43. Erstaunlich geringen Raum nimmt die militärische Mechanisierung auch in den Klassikern der Techniksoziologie bzw. -geschichte ein44. Der Zusammenhang von militärischer Mechanisierung und Doktrinbildung ist inzwischen durch eine Reihe neuer Studien intensiv beforscht worden45.

Für die technische und organisatorische Entwicklung der Panzerwaffe liegt eine erkleckliche Zahl von Studien vor. Für den Ersten Weltkrieg sind zu-nächst die Erträge eines bedeutenden wehrtechnischen Großprojektes zu nen-nen, dem 1990 abgeschlossenen Nachbau des letzten verbliebenen Exemplars des ersten deutschen Panzers vom Typ A7V46. Zwar wird man hier vergeblich nach methodischer Reflexion suchen, auch bleibt die Einordnung in den grö-ßeren historischen Zusammenhang überschaubar. Doch sind im Rahmen des Rekonstruktionsprojektes wertvolle Detailerkenntnisse zur Technik- und

43 Etwa Fuller, Armament and History, oder Creveld, Technology and War.44 Besonders auffallend bei Giedion, Mechanization Takes Command, der ausführlich auf die

Mechanisierung des landwirtschaftlichen Schlachtbetriebs eingeht, dabei die Shoa streift, dann aber den militärischen Schlachtenbetrieb, der ja wertvolles Anschauungsmaterial für seine Thesen bieten würde, völlig außen vor lässt. Das tut dann, auf Giedion aufbauend, Pick, War Machine, S. 178‑188.

45 Einen Klassiker stellt mittlerweile Corum, The Roots of Blitzkrieg, dar. Einen auf meh-reren vorangegangenen Veröffentlichungen beruhenden Längsschnitt bietet Citino, The German Way of War. Dagegen stellt Shimon Naveh aus systemtheoretischer Perspektive die Bedeutung der Technisierung (und damit der Mechanisierung) der Heere für die Entwicklung des operativen Denkens im 20.  Jahrhundert grundsätzlich infrage. Siehe Naveh, In Pursuit of Military Excellence, S. 49.

46 Sturmpanzerwagen A7V.

12 I. Einleitung

Operationsgeschichte der Waffe erarbeitet worden. Mit den Arbeiten von Heinrich Kaufhold-Roll und Alexander Fasse liegen zwei wichtige Untersuchungen zur Rüstung und zum Panzerkrieg bis 1918 vor47.

Für die Zwischenkriegszeit stechen die älteren Arbeiten von Walter Spielberger und Ralf Barthel heraus48. Spielberger hatte sich seit den 1950er Jahren zu ei-nem der wichtigsten deutschen Publizisten im Bereich der populären, militär-technischen Literatur entwickelt. Der allgemein- und militärhistorische Gehalt der Darstellungen bleibt aber überschaubar und ist wenig kohärent dargestellt49. Ralf Barthels Leipziger Dissertation zählt zu den bis heute sehr lesenswerten Erträgen der DDR-Historiografie, zumal er sich intensiv mit der zeitgenössischen Militärpublizistik befasst hat50.

Die Frage der Ausbildung einer Panzerdoktrin in der Zwischenkriegszeit ist in der angelsächsischen Forschungsliteratur behandelt worden, der Fokus lag damit vornehmlich auf dem transnationalen Wissenstransfer. Wer aber wann welches Wissen vom Panzer in Deutschland generiert hat, trat in den kontro-versen Forschungsdiskussionen zeitweise in den Hintergrund51. Von besonde-rem Interesse, weil quellenreich und vergleichend, ist für diese Phase deshalb die Studie von Mary Habeck52. Für die Untersuchung des Aufbaus der Panzerwaffe ab 1935 konnten wichtige Erkenntnisse aus den Biografien von Bernhard Kroener und Klaus-Jürgen Müller zu zwei wichtigen militärischen Entscheidungsträgern gewonnen werden53. Dagegen sind wissenschaftlich ernst zu nehmende Opera-tionsgeschichten der Panzerwaffe von 1936 bis 1945 rar. Dem von dem Schweizer Historiker Eddy Bauer bereits 1962 verfassten Buch »Der Panzerkrieg« mangelt es zwar vielfach an empirischer Basis, viele Einschätzungen zur strategischen Ebene dürften durch den zwischenzeitlichen Fortschritt der Forschung überholt sein. Die Perspektive des Neutralen und sein Bemühen, gerade die durch die deut-sche Erinnerungsliteratur etablierte Sicht immer wieder pointiert zu hinterfragen, macht die Veröffentlichung aber bis heute zu einer lesenswerten Einstiegslektüre54. Walther Nehrings kurz darauf erschienene »Geschichte der deutschen Panzerwaffe« musste schon allein aus Mangel an Konkurrenzliteratur bislang als Standardwerk gelten. Für den Historiker stellt sich allerdings das Problem, dass der Autor selbst ein wichtiger Vertreter der Panzergeneralität der Wehrmacht war. Dazu kam, dass Nehring 1969 mit Rolf Stoves, einem aktiven Panzeroffizier der Bundeswehr, so-wie dem Publizisten Paul Carell zwei prominente Vertreter der Veteranenszene bzw. der zeitgenössischen Militärpublizistik als Ghostwriter gewonnen hatte, die seinen Text teilweise mithilfe nicht gekennzeichneter Zuarbeiten Dritter kompi-

47 Methodisch in der klassischen Ingenieursgeschichte verortet ist Kaufhold-Roll, Der deut-sche Panzerbau. Unentbehrlich, weil ungemein materialreich, ist Fasse, Im Zeichen des »Tankdrachen«.

48 Barthel, Theorie und Praxis; Spielberger, Die Motorisierung.49 Der Nachlass Spielberger wurde für diese Studie erstmals ausgewertet.50 Barthel, Theorie und Praxis.51 Siehe dafür Gat, British Armour Theory. Zwei Ausnahmen bilden Senff, Die Entwicklung

der Panzerwaffe, und Heinemann, The Development.52 Habeck, Storm of Steel.53 Kroener, »Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet«; Müller, Generaloberst Ludwig Beck.54 Bauer, Der Panzerkrieg.

I. Einleitung 13

lierten55. Das Ergebnis war, wie Nehrings Kamerad Geyr von Schweppenburg es Jahre später kritisch qualifizierte, ein »fleißiger Torso«56. Der von Gerhard Förster und Nikolaus Paulus verfasste »Abriß der Geschichte der Panzerwaffe« von 1977 zeichnet sich dadurch aus, dass dieser populärwissenschaftliche Längsschnitt die deutsche Entwicklung erstmals in die internationale einordnete57. Die Beiträge in dem vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebenen Reihenwerk »Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg« behandeln die Einsätze der Panzerwaffe im Rahmen der weiteren operationsgeschichtlichen Perspektive. Die unter dem suggestiven Titel »Blitzkrieg-Legende« 1995 erschienene Monografie von Karl-Heinz Frieser untersucht einen wichtigen Teilaspekt des Frankreich-Krieges und hat auf militärische wie fachwissenschaftliche Leser eine nachhaltige Wirkung entfaltet. Auch der Nestor der US-amerikanischen Militärgeschichte, Dennis Showalter, hat 2009 eine inspirierende Gesamtdarstellung der deutschen Panzerwaffe im Zweiten Weltkrieg vorgelegt, die freilich ausschließlich auf der Sekundärliteratur basiert58.

Die Divisionsgeschichten stellen einen wichtigen Korpus dar. Allerdings be-schränken sich deren Autoren in der Regel auf eine annalistische Darstellung oder sie schreiben an den Kriegstagebüchern der Verbände entlang. Auch bei dieser Literaturgattung sind mitunter eine unzureichende historische Ein-ordnung und eine geschichtspolitische Tendenz anzutreffen. Mit Ausnahme der älteren Arbeit von Charles Sydnor zur Totenkopfdivision und der Studie von Christian Hartmann zur Wehrmacht im Russlandkrieg 1941/42, welche die 4.  Panzerdivision als eine Fallstudie einbezieht, existieren keine historisch-kri-tisch angelegten Verbandsgeschichten der Panzerverbände von Wehrmacht und Waffen-SS59.

Für die Panzerrüstungsgeschichte der Wehrmacht liegen unzählige popu-läre Darstellungen, aber nur wenige wirtschafts- und technikgeschichtliche Fachstudien vor. Auch hier finden sich wieder wichtige Erträge in den einschlägigen Großaufsätzen des Reihenwerkes des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes60. Allerdings können diese aufgrund der erforderlichen Breite der Darstellung nicht bis auf die Mikroebene des Verhältnisses von Heereswaffenamt und Pri-vatwirtschaft vordringen. Der gesamte Forschungs- und Entwicklungsprozess, aber auch eine diachrone Darstellung der Panzerrüstung unter Berücksichtigung des Rüstungsministeriums unter Fritz Todt und Albert Speer einschließlich der eigentümlichen Rolle, die Hitler dabei spielte, fehlte bislang.

55 Nehring, Die Geschichte der deutschen Panzerwaffe. Die redaktionellen Verhältnisse er-schließen sich aus dem Nachlass Nehrings in BArch, N 543/v.79.

56 BArch, N 447/73: Brief Leo Geyr von Schweppenburg an Oskar Munzel vom 5.2.1970.57 Förster/Paulus, Abriß der Geschichte der Panzerwaffe. Das Buch wurde durch das

Militärgeschichtliche Institut der DDR herausgegeben. Nikolaus Paulus war nicht mit dem aus der Panzertruppe stammenden Generalfeldmarschall gleichen Namens verwandt.

58 Frieser, Blitzkrieg-Legende; Showalter, Hitler’s Panzer.59 Sydnor, Soldaten des Todes, und Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg.60 Vorneweg DRWK, Bd 5/1 (Beitrag Müller), und DRWK, Bd 5/2 (Beitrag Müller). Zu den

wenigen Arbeiten, die eine breite Basis an Unternehmensquellen aufweisen, zählt Knittel, Panzerfertigung im Zweiten Weltkrieg. Mit regionalhistorischem Fokus außerdem Kulla/Vollmer, Panzer aus Kassel.

14 I. Einleitung

Was die Widerspiegelung des Panzers in der staatlichen Kommunikationspolitik, der Literatur, der bildenden Kunst, der Fotografie, der Populärkultur – mithin also der kollektiven Erinnerung – angeht, gibt es bisher praktisch keine Forschungen61.

Diesem eklatanten Mangel an historischer Fachliteratur steht die Masse der Erinnerungsliteratur gegenüber. An erster Stelle sind die Erinnerungen von Heinz Guderian zu nennen, deren Einfluss auf die militärische und auch die historisch-wissenschaftliche Vorstellung von der Entwicklung der Panzerwaffe in Deutschland gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Diese Wir-kungsmacht geht aufgrund von Übersetzungen weit über den deutschen Leser-kreis hinaus. Das Buch hat gerade über die Rezeption im angelsächsischen Wissenschaftsraum auf die deutsche Forschung zurückgewirkt. Zusammen mit den Tagebüchern von Franz Halder und den Kriegserinnerungen Erich von Mansteins dürften Guderians »Erinnerungen eines Soldaten« mit 31  Auflagen und 15  fremdsprachigen Ausgaben zu den einflussreichsten Werken der deut-schen Erinnerungsliteratur zum Zweiten Weltkrieg überhaupt gehören62. Die vorliegende Untersuchung wird daran nichts ändern. Sie wird aber dazu führen, dass die Rolle Guderians beim Aufbau der deutschen Panzerwaffe und bei deren Operationen neu zu sehen sein wird. Das Ungleichgewicht zwischen der Masse an populärer Literatur und dem Mangel an wissenschaftlicher Fachliteratur ver-bunden mit der unheimlichen Wirkmächtigkeit der Erinnerungsliteratur bildet also ein spezifisches Quellenproblem bei der Beforschung des Panzers als Waffe und Symbol.

5. Aufbau und Fragestellung

Für die Großgliederung dieser Arbeit bietet sich ein chronologischer Längsschnitt durch die Geschichte der bewaffneten Macht im Deutschen Reich zwischen 1890 und 1945 an. Diese Periodisierung erschließt sich einmal aus der mitt-lerweile in der Militärgeschichtsschreibung etablierten Vorstellung eines Zeit-alters der Weltkriege, die hier für den militärtechnischen und -kulturellen Zusammenhang empirisch weiter unterfüttert werden soll63. Die Periodisierung erschließt sich aber auch aus der Technikgeschichte, die für die Jahrzehnte zwi-schen 1880 und 1920 pointiert eine »Sattelzeit« in Hinblick auf das Aufkommen von »Mobilitätsmaschinen« postuliert hat, zu denen letztlich auch der Panzer zu zählen ist64. Die Vorverlegung des Beginns des Untersuchungszeitraumes auf das

61 Die bislang wohl einzigen Untersuchungen bilden Tate, The Culture of the Tank, und Fox, »A New and Commanding Breed«. Siehe außerdem den anregenden Ausstellungskatalog 1917 – Jahr des Panzers, sowie Schneider, Teufel Tank.

62 Guderian, Erinnerungen eines Soldaten. Das Buch erschien bis 1977 in zehn Auflagen im Verlag Kurt Vowinckel (Heidelberg), danach in bislang 21 Auflagen im Motorbuch Verlag (Stuttgart). Die Verbundkataloge weisen bulgarische, englische, estnische, finnische, fran-zösische, griechische, italienische, japanische, koreanische, litauische, polnische, russische, serbische, spanische und tschechische Übersetzungen aus.

63 Den Nutzen der diachronen Perspektive auf das Zeitalter der Weltkriege betont auch Kehrt, Moderne Krieger, S. 39.

64 Möser, Fahren und Fliegen, S. 27.

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ausgehende 19. Jahrhundert scheint unverzichtbar, um die geschilderten militär- und technikgeschichtlichen Entstehungsbedingungen für Innovation darzustel-len. Von einer Erweiterung auf die in vielen populären Darstellungen meist recht erratisch kompilierte Prähistorie des Panzers, die bis zur Testudo der römischen Legionen und den Kampfmaschinen Leonardo da Vincis zurückreicht, soll hier im Interesse einer Schonung der Nerven der Fachkollegen aus diesen Epochen abgesehen werden.

Die Jahre der Reichswehr waren ganz sicher keine »panzerlose Zeit« (Walther Nehring)65. In Wirklichkeit setzte hier ab spätestens Mitte der 1920er Jahre eine intensive Beschäftigung mit der Waffe ein, begann wieder Forschung und Entwicklung und wurde die Rüstung eingeleitet. Dass »1933« deshalb im rüstungs- und militärgeschichtlichen Zusammenhang keinen zentralen Zäsurcharakter auf-weist, dürfte als Binsenweisheit gelten. Am Beispiel des Panzers wird noch einmal deutlich gemacht werden, dass wesentliche Entwicklungsentscheidungen und Doktrinbildungsprozesse zeitlich früher anzusetzen sind und dass der Beginn der nationalsozialistischen Diktatur schwerlich als Initialereignis für den Aufbau der deutschen Panzerwaffe gewertet werden kann. Auch die Zäsur »1939« wird für eine Waffengattung relativiert werden müssen, die sich schon seit 1936 fast unun-terbrochen – in Spanien, Österreich und der Tschechoslowakei – im militärischen Einsatz befand. Das Ende der Untersuchung im Jahr 1945 ergibt sich dagegen aus dem allgemein- wie militärhistorischen Zäsurcharakter des Jahres.

Innerhalb der chronologischen Teile wird den Kapiteln dann ein sachthemati-sches Säulenmodell zugrunde gelegt. Ausgangspunkt soll zunächst das Kriegsbild sein, aus dem sich militärische Erwartungen an einzelne Waffen, aber auch an die materielle Rüstung insgesamt herauslesen lassen. Dass diese Herangehensweise wenig mit technologischem Determinismus zu tun hat, wird schnell deutlich, wenn man die Geschichte des Panzers untersucht. Denn für dieses Artefakt gilt es zunächst einmal die Frage zu stellen, warum der Panzer bis 1914 eigentlich nicht erfunden wurde. Die Untersuchung des Zusammenhangs von Kriegsbild und Waffeninnovation wird sich  – das sei vorausgeschickt  – tendenziell um Fragen von operativen und taktischen Abwägungen, von binnenmilitärischen Priorisierungskontroversen und haushalterischen Opportunitäten drehen.

Diese Rahmenbedingungen sind auch bei der Beforschung der zweiten Säule zu berücksichtigen, die unter den drei Leitbegriffen Forschung, Entwicklung und Rüstung zu fassen ist. Unter den militärischen Innovationen der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stellt der Panzer insofern eine Ausnahme dar, als erst unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges ernsthaft in seine Entwicklung eingetreten wurde – ganz anders, als dies beim Kraftfahrzeug, beim Luftschiff, beim Motorflugzeug oder beim Unterseeboot der Fall gewesen ist. Ein deutscher Sonderweg ergibt sich darüber hinaus aus dem Umstand, dass die deutsche Rüstung und die Streitkräfte nach der Niederlage von 1918 durch den Friedensvertrag eingeschränkt waren. Die Panzerentwicklung und -rüstung war eigentlich durch ein Reichsgesetz schlichtweg untersagt. In den Untersuchungen zur Rüstung soll auch die Haltung der Industrie zu dem neuen Waffensystem betrachtet werden, woraus sich wiederum neue Einsichten in das Verhältnis von Militärbürokratie und Rüstungsindustrie unter den sich wandelnden Verhältnissen von Kaiserreich,

65 Nehring, Die Geschichte der deutschen Panzerwaffe, S. 39.

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Republik und Diktatur gewinnen lassen. Hier schließt sich auch die Frage nach der Verortung der Initiative bei der Panzerrüstung und möglichen nationalen Technikstilen an66.

Mit der dritten Säule, der Operationsgeschichte der Panzerwaffe, wird der Perspektivenwechsel von der Entwicklung zur Anwendung des Waffensystems vollzogen. Hierzu geben zwei Weltkriege reichlich Anschauungsmaterial. Für die Zwischenkriegszeit soll zudem die zunächst simulierte Anwendung, in Form von Kriegsspielen und Manövern, in die Untersuchung einbezogen werden.

Die simulierte Anwendung bildete nämlich im Frieden vielfach die Basis für die vierte Säule, die Doktrinbildung. Die Integration des neuen Waffensystems Panzer in die deutschen Streitkräfte kann geradezu als ein Musterbeispiel für einen solchen militärischen Prozess betrachtet werden. Diese Integration schlug sich aber nicht allein in neuen Gefechtsvorschriften nieder. Sie hatte vielmehr auch eminente Folgen für die binnenmilitärischen Machtverhältnisse, für das Ethos des Offizierkorps und mithin für die militärkulturelle Formung der Streitkräfte seit den 1920er Jahren. Pointiert gesprochen wird zu prüfen sein, ob die Einführung der neuen Waffe auch zur Herausbildung eines neuen Typus von Soldaten führte.

Keine historische Betrachtung eines militärtechnischen Artefaktes kann heute vollständig sein, wenn sie nicht auch in Ansätzen eine Untersuchung des Bildes desselben in der Kriegserinnerung leistet. Hierbei wird mit Blick auf den Panzer Neuland betreten. Und es muss hier der Fokus erweitert werden von der pro-fessionellen militärischen auf die gesamtgesellschaftliche Kriegserfahrung. Der Panzer war in Deutschland eben nicht nur ein militärtechnisches Artefakt, sondern er erwuchs auch zu einem Symbol – zu einem Symbol für Sieg und Niederlage, für ingenieurtechnische oder industrielle Leistungsfähigkeit, für die gewaltsame Revision der politischen Verhältnisse und für eine über den militärischen Kontext hinausreichende nationale Selbstverortung in einer technischen und später auch einer ideologischen Moderne.

Das Säulenmodell darf jedoch zu keiner schematischen Sicht auf die Ent-wicklungsgeschichte der Waffe verleiten. Das verbieten schon die unterschied-lichen Rahmenbedingungen für Entwicklung, Rüstung und Symbolbildung, die durch Friedens- und Kriegszeiten vorgeschrieben werden. Aus dem Modell eröffnet sich keine militärische Einbahnstraße, lässt sich keine technische Erfolgsgeschichte herauslesen.

Schon die Darstellung des Forschungsstandes erklärt, warum hier eine natio-nale Perspektive eingenommen wird. Denn der Forschungsstand stellt sich derart ungenügend dar, dass diese Arbeit zunächst einmal Grundlagenforschung für den deutschen Fall leisten muss. Erst auf deren Basis wird überhaupt ein zielführender Vergleich mit der Entwicklung der Waffe in anderen Staaten angestrengt werden können. Da die Geschichte des Panzers in Deutschland zu einem guten Teil die Geschichte der Beobachtung der Waffe im Ausland war und weil militärisches Lernen insgesamt ohne den Blick über den Zaun gar nicht möglich ist, werden sich gleichwohl zahlreiche Anknüpfungspunkte zur internationalen Entwicklung in der Epoche ergeben.

Für die weitere Darstellung eröffnen sich also vier zunächst recht abstrakt erscheinende Leitfragen, nämlich erstens: Wie ist Mechanisierung überhaupt als

66 Einführend zu Technikstilen siehe Radkau, Technik in Deutschland, S. 50‑61.

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Kulturvorgang im Militär zu verstehen? Zweitens: Welche Ursachen lassen sich für die Genese des Waffensystems Panzer ausmachen und welche Entwicklung nahm dasselbe in den Jahren von 1890 bis 1945? Drittens: Wie hat das neue Waffensystem in dieser Epoche das Verhältnis von Militär und Technik bzw. Krieg und Technik verändert? Und schließlich viertens: Welche Folgen hatte der Panzer für die Erinnerung an die beiden großen Kriege und unsere Vorstellung von Krieg und organisierter Gewalt an sich? Denn für alle Staaten, die wie Deutschland über keine eigenen Atomwaffen verfügten, erwuchs der Panzer zum bedeutendsten Waffensystem des Landkrieges im 20.  Jahrhundert. Seine Geschichte als Waffe und Symbol soll hier von den Anfängen bis zum Kriegsende 1945 erzählt werden.