Phonologie Harro Gross
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7/25/2019 Phonologie Harro Gross
http://slidepdf.com/reader/full/phonologie-harro-gross 1/3
Kapitel
3:
Phonologie
wfu haben
die
sprache
als
Kommunikationsmittel
und
als
Zeichensystem
charakterisiert.
Nun
gilt
es, ihre
Struktur zu
ermitteln.
Die
Sprache
begegnet
uns konkret in
miiLndlichen
oder schriftlichen
ÃuBerungen
ganz
verschiedener
Gr<iBe,
die
wir
Texte
nennen.
Die
erste Aufgabe
besteht in
der Analyse
der
Grundbestandteile,
also
darin,
Texte zu
segmenúieren
(in
kleinere
Einheiten
zu
zerlegen).
unsere
vorwissenschaftliche
Kenntnis
betrifft üelleicht
nur
solche
Eiúeiten,
die
graphisch
bzw.
akustisch
kenntlich
gemacht
werden,
wie Text,
Absatz,
Satz,
Wort,
Silbe, Buchstabe,,Laut.
Die
wissenschaftliche
Untersuchung
der
Sprachstrútur
hat
eine
genauere
Liste
von
Einheiten
ergeben,
denen man grammatische
Bereiche
zuordnen
kann
(wie
im
Schema
rechts).
Bei
der
Beschreibung
kann
das
Vorgehen
deszendent (von
groíJeren
zv
kleineren
Einheiten,,herabsteigend")
oder
umgekehrt
aszendent sein.
-
Hier wird
aus
didaktischen
Griinden
der zweite
Weg
gewiihlt.
Phonetik
Die
Phonetik
ist
eine Naturwissenschaft
auf
der
Gmndlage
von
Anatomie,
Physiologie,
Physik (Akustik)
und
Mathematik.
Ihre
Aufgabe
ist
die
materielle
Analyse sprachlicher
Áúerungen
bzw.
Laute
als eine
der Grundlagen
a)
der
theoretischen
Linguistik
und
Dialektologie
und
b)
fiir
die Ltisung
praktischer
Probleme
in
der Paúolinguistik,
Sprachdidaktik
gnd
Computerlingüstik.
Aus
dem
jeweiligen
ort
im
KommunikationsprozeÍJ (sprecher
-
Text
-
Hôrer)
ergeben
sich
drei Teilgebiete
der Phonetik
mit
verschiedenen
Aufgaben:
1)
Die
artikulatorische
Phonetik
beschreibt
die
prodútion
der Laute,
und zwar
nach
Artikulationsart
und
-ort.
2)
Die
akustische
Phonetik
beschreibt
die
Laute
nach
ihren physikalischen
Eigenschaften:
Dauer,
Frequenz,
tntensitàt.
Sie erstellt
z B.
nach
dem
visible-
speech-verfuhren
mir
Hilfe des
sonagraphen
sonagramme,
ist also
von
aufuendigen
technischen
Hilfsmitteln
abhiingig.
36
3) Die
auditive
Phonetik
untersucht die
Rezeption und Analyse sprachlicher
Zeichen
durch Ohr,
Nervenbahnen und Gehirn.
Wir
gehen
hier nur
auf die artikulatorische
Phonetik ein.
Die
Segmentienrng
von Áúerungen ergibt ein Lautinventar,
eine
Liste der Laute
einer
Sprache. Je
genauer
die
Untersuchung dabei
ist,
je
feiner die unterschiedenen
Nuancen, desto
lÍinger
wird diese
Liste,
z.B. kónnen Laute wie,,k"
oder,,a"
in
verschiedenen
lautlichen
Umgebungen und
von verschiedenen Sprechern
geâÚert fast
beliebig
üele
me8bar verschiedene Varianten ergeben.
Wir
beschrãnken uns
hier
auf
eine
recht
grobe
Liste, die
als Grundlage
flir
den nâchsten
Schritt, die Ermittlung
von
Phonemen
(LauÍnustern),
dienen
kam.
Ein
weiteres Problem
besteht
in der Transkription
der ermittelten
Laute. Da
die
ortho-
Licte &r
dcutscha
Leutc
md
lhrcr
Schrcibwsen
KURZVOKALE
LANGVOKALE
DIPHTHONGE
a
was
e hell, Hande
t bin
c
dort
DUm
e
bittg
(a abg)
oe Hôlle
Y
funí
(I4ystik)
o:
Rat, Hahn,
Aal
e:
den,
sehr, See
r: Lid,
ihr, sie
o: rot, Ohr,
Boot
u:
gut,
Uhr
e:
Bàr,
Àhre
o:
Ot,
UOnrc
y..
Tür,
kühn,
(typ)
Hai, Ei
lau,
(Kakao)
neu,
Sriue,
(Boy)
pfui
al
KONSONANTEN
b
d
o
o
P'
tt
k'
(?
pf
tS
tJ
f
z
S
bei, Ebbe
du,
Kladde
geh,
Egge
Pol, Nepp, ab
Tdt, satt, und,
Qheke)
Kuh,
Bock, weg,
quer,
(Chor)
-ab,
_und)
-
(harter
Vokaleinsatz)
Pfund
Zeit, Witz,
(Ccisium)
tschüs, Matsch
wer,
(Vase)
Fa§,
vor,
(Phase)
so,
Rose,
(Gaze)
das, Masse, Ma§e
J
Schuh,
(Chefl
i
ja,
(Voyeur)
h
hier
ç
(China),
echt
x
acht
I
lang,
Ball
m
Mai,
komm
n nun,wenn
,
eng,
Bank
(=
9k)
Í
rot, irre,
(Rheuma)
-
(Zungen-r)
-
(Ziipfchen-r)
(v
Karte, Torte)
-
(frikatives
r)
(e
er,
wir,
Tor,
fi)r)
-
(vokalisch.
r)
Text
Absatz
Textgranmatik
Satz
Satzelied
Syntax
Wort
Morphem
Morphologie
Phonem
Laut
Phonemik
Phonologie
Phonetik
(L7)
37
7/25/2019 Phonologie Harro Gross
http://slidepdf.com/reader/full/phonologie-harro-gross 2/3
gaphische
Schreibung in
den Einzelsprachen
nicht
sÍeng
phonetisch
ist,
sondern aus
historischen
und
praktischen
Griinden
verschieden
und inkonsequent,
mú man
sich
einer intemationalen
Lautschrift
bedienen, z.B.
der
der
IPA
(International
phonetic
Association).
unsere Liste
der
deutschen
Larte
zeigt
17 vokale, 4 Diphthonge
und 27 Konsonanten.
Eine
genaue
Festlegung
ist
aber
schon aus folgenden
Gri.Írden
unmciglich:
Z.B.
kônnen
unbetonte
Langvokale
als
halblange
Vokale
gelten
(vgl.
z.B. Mggre,
lggal,
Minute,
tqnal,
zqvor,
lsthet,
ôkonom,
Blro,
physik).
Die
Verhâltnisse
im
An-,
In-
und Auslaut
sind
verschieden.
So kônnen
b,
d,
g
am
Silbenanfang
im
Wort
stimmlos
-
aber
unaspiriert
-
werden
(vgl.
AUfoil,
enQlich, wegfahren'.
b, d,
g
=
p,
t,
k
-
nicht
:
p', t',
k' wie
bei
der
Auslautverhiirtung,
s
u.).
Fremdwõrter
bringen fremde
Laute
ein,
die
nur
zum Teil
angeglichen
oder in
das
System
eingebaut werden:
ã
Chance, l
pardon,
&
Parfum,
S
Journal,
Genie,
$Jeans,w
Whislcyu.a.
Schwierig
einzuordnen
sind
,,Halbvokale"
wie
i,
ü,
y
(etwa
in: Lil1e,
Statge,
evtl.
awhQgal,
zyei, Etyi),
die
zwischen
i
und
j
bzw.
úy und
v
liegen.
Gleiches
gilt
fiir e,
das auch
zu den
Vokalen geziihlt
werden k<innte
und
dem
+ núekommt.
Fehlerquellen
durch
die deutsche
Orthographie
liegen
besonders
in
der rureinheitlichen
Bezeichnung
der Dehnung
(a,
ah,
aa, ie
etc.),
in
der
Geltung
der
Buchstaben
v, s, ch
und
der,,Auslautverhiirtung"
von
b,
d,
g,
v, z zl
p',
t',
k', f, s
(o4
unf, weg
bray
lie;).
Kleiner
Exkurs
zur Rechtschreibreform
Die
sehr
vorsichtige Rechtschreibreform
von
1998 vereinfacht
die deutsche
orthografie
nur
geringfiigrg
(2.b.
rau
statt
rauh).
Trotzdem
ist sie
sehr
umstritten. Die
Reform
soll
die deutsche
Rechtschreibung
logischer
machen:
wôrter,
die
zusammen
geh<iren,
sollen
gleich geschrieben
werden
(Stammprinzip):
platzieren
statt
plazieren
(wegen
Platz)
übersclwcinglich
statt
überschwenglich
(wegen
überschwang)
Dies
fiihrt
zu mehr
Konsonantenverdoppelungen
nach kurzem
vokal
und damit
zu
einer
etwas konsequenteren
Laut-Buchstaben-Zuordnung
(Lautprinzip)
:
alternativ:
Pass-Stelle).
Deshalb,
und um das
gewohnte
Schriftbild
nicht allzusehr
zu
verândern,
wurde auf
eine
Kleinschreibung
der Substantive
verzichtet.
Um die
GroBschreibung
logischer
zu machen,
wird
sogar
vermehrt
groÍJ
geschrieben:
im
Allgemeiner?
statt
im allgemeinen
die Einzelne
statt
die einzelne
Fiir Deutschlerner
kônnten
zusiitzliche
Schwierigkeiten
dadurch entstehen,
dass die
Schreibung
einzelner
Wôrter eingedeutscht
wurde:
substanziell statíneben
substantiell
Potenzial statíneben
Potential;
Varietee
statt/neben
Varieté
Delfin
statíneben
Delphin.
Die
Tendenz,
vermehrt
auseinaÍIder
zu
schreiben,
wird
dagegen
von
üelen
begftiÚJt
werden: Radfahren
stalt
radfahren;
{)-prozentig
statt 40prozentig;
b e
ru/l
i c h
v
o
rw
(i
r
ts
ko
mm
e
n
stalt
b e
rull
i c h
v
o
rw cirt s k
o mm
e n'
Die
Kommaregeln
wurden erheblich
vereinfacht.
-
Generell
gilt,
dass
mehr alternative
Schreibungen
zugelassen
werden
(Panter
rreben
Panther).
Aúerdem
ist
die
Reform
nur
fiir
Behrirden
rurd
Schulen
verbindlich
-
nach einer
im Jahre
2005
endenden
úbergangszeit.
Privatleute und
auch die
Verlage kcinnen
weiterhin
so schreiben
wie
sie
wollen,
obwolú
-
zumindest
langfristig
-
eine allgemeine
Übernúme
der
neuen
Konventionen
wahrscheinlich
ist.
(Der
SPIEGEL
hat
allerdings
1996
angekiittdigt,
dass
er die alte
Rechtschreibung beibehalten
will.
AÚerdem
gibt
es
Versuche,
die
Reform
auf
gerichtlichem
Wege zu stoppen.)
-
Dieses Buch
ist übrigens
nach den alten
Regeln verfasst,
auBer diesem
Exkurs,
wie
die Leser/irmen sicher
gemerkt
haben.
Trotz
anderweitiger
Anktindigungen
in
den
Medien
gibt
es
also
keinen Grund
zur
Sorge:
Das
gewohnte
deutsçhe
Schriftbild bleibt
fast
ganz
erhalten.
(Ende
des
Exkurses)
Der
nâchste
Schritt
nach der Segmentierung
ist
die
Klassifizierung
der Laute.
Fiir
die
Vokale empfiehlt
sich
die
Darstellung
in
sogenannten,,Vokaldrei-
oder
-üerecken',
die
horizontal
die
Zungenstellung von vorn
nach
hinten und
vertikal
die
ZrurgenhÕhe
andeuten,
also
vor
allem die
Qualitiit
der
Vokale, weniger
ilre
Quantitat
und die
Lippenrundung
(bei
den
o-, u-, ô-, ü-Lauten).
nummefieren
statt numerieren
Tipp
statt
Tip
Nattirlich kann das
Vokalschema auch als
I
úbersicht oder Stammbaum
dargestellt
t
werden.
Die
Merkmale
sind
dabei
immer:
Zungenhcihe:
hoch
v:
mittel
-
tief
mittel
-
weit)
neufral
-
hinten
ungerundet
kurz
ungespannt
(wegen
Nummer)
(wegen
tippen)
Entsprechend
wird
die Regel
fiir/
vereinfacht.
/
gibt
es nur noch
nach langem
vokal:
dass
statt
dof
pass
statt
pa§
wir
wüssten
gern
statt
wir wüJgten
gern
sie
iss/
statt
sie
$t
Ein unerfreulicher
Effekt
dieser vereinfachungen
und Systematisierungen ist,
dass
einige
wrirter
liinger
werden.
Erleichterungen
bei
der
prodútion,
dem schreiben,
kÕnnen
die Rezeption,
also
das Lesen,
erschweren (Passsrelle
statt
passtelle,
38
(ihr
entspricht die
MundõÍfttung:
eng
Zungenstellung:
vorn
Lippen:
gerundet
Quantitât:
larg
Spannung
(der
Stimmlippen):
gespannt
39
7/25/2019 Phonologie Harro Gross
http://slidepdf.com/reader/full/phonologie-harro-gross 3/3
Fiir
die
Diphthonge
kãme
noch,,VariabilitÍit"
der ersten
drei
Merkmale
hiuu.
Wiihrend
im Deutschen
die
Vokalquanútât
besonders
charakteristisch ist,
spielt sie
etwa
in
den
romanischen
Sprachen
eine
geringe
Rolle.
Das
Franzôsische
wiederum
ist
durch nasale Vokale
gekennzeichnet
(vgl.
ã
-
franc,
õ
-
bon,
&
-
un),
das
Russische
durch
zwei
Vokalreihen
(otiert:
ja, je,
i,
jc,
j,
-
oder nicht: a,
e,
i,
c, u),
das
Chinesische
durch mehrere
e-
und i-Laute
sowie
l0
Diphthonge
und
4 Triphthonge.
Filr
die
Konsonanten
lassen
sich
Artikulationsart
und
-ort
leichter
angeben:
Im
Deutschen
gibt
es sowohl
stimmhafte
wie
stimmlose
verschlu§-
vnd
Reibelaute,
jedoch
nur stimmlose
A/frikaten
und nur
stimmhafte
Sonore
(:
Nasale
+
Liquide; üe
Bezeichnnngen
Nasole
wrd Laterale
weisen
übrigens auch
auf
den Artikulationsort:
Luftstrom
durch
die
Nase bzw.
an
den
Zungenseiten
entlang).
Typisch
fiir die deutsche
Aussprache
ist
ferner ein
,,Knacklaut"
(?)
arn
Anfang
jeder
vokalisch
anlautenden
Silbe,
(er
ist
uralt
-
?s:e
?rst'
?u'e?alt),
was
úelen Deutschlernern
schwerfiillt, die
gewohnt
sind, Silben
und Wcirter zu,,binden".
Nichtaspirierte
stimmlose Explosive (p,
t, k
/
b,
d,
g
-
je
nach Atemdruck) finden
sich
z.B.
im Franzôsischen (geschrieben
p,
t,
c)
und
im
Chinesischen
(in
der
Umschrift
40
LAUTE
ÂRTIKULATIONSÂRI
b
d
g
sth Explosive
(=
VerschluBlaute
/
Plosive)
'
t'
k'
)
stl,
aspir.
pf
ts
t
stl
AÍfrikaten
(Expl.
+
Spiranten)
z j
sth
Spiranten
(=
Reibelaute
/
Frikative)
s
J
ç
x v h
stl
m
n
0
sth
Nasale
I
sth
Laterale
I
Li-
ffiquide
R,E
sth
bil
lab
bial
denl
io-de
(Lipr
I
ot *^teffend
als
j,,euttrat"zusammengefaRt
alveolar
(postdental)
al
(Ziihne)
ntal
(Unterlippe,
Ziihne)
rcN)
ARTIKULATIONSORT
I
"lotta
rr.ht.r
Pinyin
geschrieben
à, d,
g);
das
letztere
besita aúerdem
aspidert€ Affrikaten
und
retroJlex-palaÍale Konsonanten,
die zwischen den
palatalen
md
den velaren
anzusiedeln
sind,
iihnliçh
dem englischen
r (r).
Im
Russischen schlieBlich
kônnen fast
alle
Konsonanten
je
nach Folgevokal
palatalisiert
(,,erweicht,
jotiert")
werdeq also
d,
t,
n
zu
d,
,
q
usw.; ob
sie als eigene
Laute,
Lautkombinationen,
-varianten
oder dgl.
gerechnet
werden, ist
dabei eine Sache der
methodischen
Festlegung.
4l