Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf ·...

9
Schlüsselwörter Stimulationspuls, monophasisch, biphasisch, Rundspule, Doppelspule, induzierte Feldverteilung, Nervenmodell, transkranielle Magnetstimulation Zusammenfassung Der Beitrag liefert einen Überblick über die technischen, biophysikalischen und physiologischen Grundlagen der transkraniellen Magnetstimulation (TMS). Ausgehend von der Technik eines Stimulators und des Wirkungsprin- zips der TMS werden der zeitliche Verlauf eines Stimula- tionspulses sowie die räumliche Verteilung der im Kopf induzierten Felder dargestellt. Auf der Grundlage von Schwellenmessungen werden Umrechnungsfaktoren für verschiedene gängige Stimulatorkonfigurationen ange- geben. Anschließend wird auf die Vergleichbarkeit von technischen Parametern zwischen Kernspinresonanz- tomographie und TMS eingegangen. Zum Schluss sind kurz mögliche technische Weiterentwicklungen darge- stellt. Keywords Stimulation pulse, monophasic, biphasic, round coil, double coil, induced fields, nerve model, transcranial magnetic stimulation Summary We present an overview on the technical, biophysical, and physiological fundamentals of transcranial magnetic stimulation (TMS). Starting with the stimulator techni- que and the active principle of TMS we illustrate the time course of a stimulation pulse and the spatial distri- bution of the induced fields. Based on threshold measu- rements transformation factors are given that allow the comparison of stimulation intensities using different stimulators. We discuss the comparability of technical parameters known from magnetic resonance imaging and TMS. Finally, we give an brief overview on putative further developments. The physical and physiological fundamentals of transcranial magnetic stimulation Nervenheilkunde 2003; 22: 168-76 eine Spule und erzeugt dabei ein starkes, transientes Magnetfeld. Dieses Feld indu- ziert ein elektrisches Feld, welches mit zunehmender Entfernung von der Spule schwächer wird. Durch das elektrische Feld wird an Zellmembranen eine Potenzial- differenz hervorgerufen, die im Kortex zu einer Hyper- und Depolarisierung von Neuronen führt. Dabei wird allgemein an- genommen, dass das elektrische Feld am stärksten auf die Axone und Axonhügel der kortikalen Neuronen wirkt (19). Für die Erregung von Axonen ist die Größe und Richtung des elektrischen Fel- des entscheidend. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Feld durch elektromagneti- sche Induktion oder direkt über Elektro- den appliziert wird. Allerdings unterschei- det sich elektrische Stimulation von Ma- gnetstimulation in der Geometrie, also der Richtung der applizierten elektrischen Fel- der. Ein weiterer, wesentlicher Unterschied liegt in den Nebenwirkungen des Energie- transfers. Magnetfelder durchdringen auch nicht-leitende Strukturen wie Knochen ohne wesentliche Abschwächung. Bei di- rekter Stromapplikation über Elektroden führt der hohe Ohmsche Widerstand des Knochens und der Haut zu einem erheb- lichen Spannungsabfall und macht daher hohe Stimulationsintensitäten erforderlich (21). Diese wiederum führen zur Mitstimu- lation von sensorischen Nervenendigungen im Kontaktbereich der Elektroden, die sehr schmerzhaft ist. Magnetstimulation ist weniger invasiv. Die Spule muss lediglich über den zu stimulierenden Bereich gehal- ten werden. Hautpräparation und Ankle- ben von Elektroden entfallen. Als Nachteil für die Magnetstimulation gegenüber elek- trischer Stimulation ist die aufwendige und schwere, schlecht transportable Geräte- © 2003 Schattauer GmbH Nervenheilkunde 4/2003 Physikalische und physiologische Grundlagen der transkraniellen Magnetstimulation T. Kammer 1 , A. Thielscher 2 1 Abteilung Neurobiologie, Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen 2 Abteilung Psychiatrie III, Universität Ulm S eit der Einführung durch Barker et al. (1) erfreut sich die transkranielle Magnetstimulation (TMS) einer zu- nehmenden Beachtung in der Erforschung, Diagnostik und Therapie des zentralen Nervensystems. Im Folgenden werden relevante physikalische, physiologische und technische Grundlagen der TMS darge- stellt, die die Stimulation des zentralen Nervensystems ermöglichen. ((Aus Platz- gründen gekürzt)) Die vorliegende Arbeit beschränkt sich dabei auf die Wirkung ei- nes einzelnen, zeitlich isolierten Magnet- pulses. Die Wirkung von paired-pulse TMS, also zweier zeitlich nah aufeinander folgen- der Pulse (18), und von repetitiver TMS, also von Puls-Salven, die mit 1-50 Hz appli- ziert werden und deren Ziel es ist, Eigen- schaften kortikaler Netzwerke zu modulie- ren (4, 24), werden nicht behandelt. Physikalische und technische Grundlagen Wirkungsprinzip Die Magnetstimulation beruht auf dem Prinzip der elektromagnetischen Induk- tion. Ein starker Strompuls fließt durch 168/11

Transcript of Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf ·...

Page 1: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

SchlüsselwörterStimulationspuls, monophasisch, biphasisch, Rundspule,Doppelspule, induzierte Feldverteilung, Nervenmodell,transkranielle Magnetstimulation

ZusammenfassungDer Beitrag liefert einen Überblick über die technischen,biophysikalischen und physiologischen Grundlagen dertranskraniellen Magnetstimulation (TMS). Ausgehendvon der Technik eines Stimulators und des Wirkungsprin-zips der TMS werden der zeitliche Verlauf eines Stimula-tionspulses sowie die räumliche Verteilung der im Kopfinduzierten Felder dargestellt. Auf der Grundlage vonSchwellenmessungen werden Umrechnungsfaktoren fürverschiedene gängige Stimulatorkonfigurationen ange-geben. Anschließend wird auf die Vergleichbarkeit vontechnischen Parametern zwischen Kernspinresonanz-tomographie und TMS eingegangen. Zum Schluss sindkurz mögliche technische Weiterentwicklungen darge-stellt.

KeywordsStimulation pulse, monophasic, biphasic, round coil,double coil, induced fields, nerve model, transcranialmagnetic stimulation

SummaryWe present an overview on the technical, biophysical,and physiological fundamentals of transcranial magneticstimulation (TMS). Starting with the stimulator techni-que and the active principle of TMS we illustrate the time course of a stimulation pulse and the spatial distri-bution of the induced fields. Based on threshold measu-rements transformation factors are given that allow thecomparison of stimulation intensities using different stimulators. We discuss the comparability of technicalparameters known from magnetic resonance imagingand TMS. Finally, we give an brief overview on putativefurther developments.

The physical and physiological fundamentals of transcranial magnetic stimulation

Nervenheilkunde 2003; 22: 168-76

eine Spule und erzeugt dabei ein starkes,transientes Magnetfeld. Dieses Feld indu-ziert ein elektrisches Feld, welches mit zunehmender Entfernung von der Spuleschwächer wird. Durch das elektrische Feldwird an Zellmembranen eine Potenzial-differenz hervorgerufen, die im Kortex zueiner Hyper- und Depolarisierung vonNeuronen führt. Dabei wird allgemein an-genommen, dass das elektrische Feld amstärksten auf die Axone und Axonhügelder kortikalen Neuronen wirkt (19).

Für die Erregung von Axonen ist dieGröße und Richtung des elektrischen Fel-des entscheidend. Dabei spielt es keineRolle, ob das Feld durch elektromagneti-sche Induktion oder direkt über Elektro-den appliziert wird. Allerdings unterschei-det sich elektrische Stimulation von Ma-gnetstimulation in der Geometrie, also derRichtung der applizierten elektrischen Fel-der. Ein weiterer, wesentlicher Unterschiedliegt in den Nebenwirkungen des Energie-transfers. Magnetfelder durchdringen auchnicht-leitende Strukturen wie Knochen ohne wesentliche Abschwächung. Bei di-rekter Stromapplikation über Elektrodenführt der hohe Ohmsche Widerstand desKnochens und der Haut zu einem erheb-lichen Spannungsabfall und macht daherhohe Stimulationsintensitäten erforderlich(21). Diese wiederum führen zur Mitstimu-lation von sensorischen Nervenendigungenim Kontaktbereich der Elektroden, diesehr schmerzhaft ist. Magnetstimulation istweniger invasiv. Die Spule muss lediglichüber den zu stimulierenden Bereich gehal-ten werden. Hautpräparation und Ankle-ben von Elektroden entfallen. Als Nachteilfür die Magnetstimulation gegenüber elek-trischer Stimulation ist die aufwendige undschwere, schlecht transportable Geräte-

© 2003 Schattauer GmbH

Nervenheilkunde 4/2003

Physikalische und physiologische Grundlagen der transkraniellen MagnetstimulationT. Kammer1, A. Thielscher2

1Abteilung Neurobiologie, Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen2Abteilung Psychiatrie III, Universität Ulm

Seit der Einführung durch Barker et al.(1) erfreut sich die transkranielle Magnetstimulation (TMS) einer zu-

nehmenden Beachtung in der Erforschung,Diagnostik und Therapie des zentralenNervensystems. Im Folgenden werden relevante physikalische, physiologische undtechnische Grundlagen der TMS darge-stellt, die die Stimulation des zentralenNervensystems ermöglichen. ((Aus Platz-gründen gekürzt)) Die vorliegende Arbeitbeschränkt sich dabei auf die Wirkung ei-nes einzelnen, zeitlich isolierten Magnet-pulses. Die Wirkung von paired-pulse TMS,also zweier zeitlich nah aufeinander folgen-der Pulse (18), und von repetitiver TMS,

also von Puls-Salven, die mit 1-50 Hz appli-ziert werden und deren Ziel es ist, Eigen-schaften kortikaler Netzwerke zu modulie-ren (4, 24), werden nicht behandelt.

Physikalische und technischeGrundlagenWirkungsprinzip

Die Magnetstimulation beruht auf demPrinzip der elektromagnetischen Induk-tion. Ein starker Strompuls fließt durch

168/11

Page 2: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

technik zu nennen, die wesentlich kostspie-liger ist als ein elektrischer Reizgenerator.

Prinzipieller technischer Aufbau vonMagnetstimulatoren und zeitlicherAblauf eines MagnetpulsesDer Magnetstimulator besteht im Wesentli-chen aus einem Kondensator, der Stimula-tionsspule und einem elektronischen Schal-ter, dem sog. Thyristor (Abb. 1). Der Thyri-stor kann die Verbindung zwischen Kon-densator und Spule schließen und somitden Schwingkreis einschalten. Der Kon-densator, der über ein Hochspannungs-netzteil auf bis zu 5000 V aufgeladen wur-de, entlädt sich, die gespeicherte Ladungfließt als Strom (mit bis zu 10000 A) durchdie Spule und baut dort ein transientes Ma-gnetfeld auf. Dieses Magnetfeld bewirkt,dass der Stromfluss anhält bis die gesamte

Ladung in den Kondensator zurückgeflos-sen ist und dieser dann mit umgekehrterPolarität wiederum komplett geladen ist.Anschließend fließt die Ladung wieder indie entgegengesetzte Richtung zurück, esbaut sich abermals ein Magnetfeld auf... Esentsteht eine sinusförmige Schwingung, dieaufgrund der Verluste im Schwingkreis gedämpft ist und langsam abklingt. DieFrequenz der Schwingung wird bestimmtdurch die Kapazität des Kondensators (etwa 100 �F), die Induktivität der Spule(etwa 15 �H) und den Widerstand. Sie beträgt bei herkömmlichen Stimulatorenetwa 2000-4000 Hz, was einer Schwin-gungsdauer von 250-500 �s entspricht. Diegedämpfte, langsam schwächer werdendeSchwingung kann direkt zur Stimulationeingesetzt werden (Fa. Cadwell). Bei denmeisten Geräten wird der Schwingkreis jedoch nach dem Ablauf einer Periodedurch Öffnen des Schalters unterbrochen,sodass ein biphasischer Stimulationspulsresultiert (Abb. 1a und 2a).

Schließlich gibt es auch die Möglichkeit,den Strom nicht zurück in den Kondensa-tor fließen zu lassen, sondern nach einerviertel Schwingung über eine Diode und einen Lastwiderstand abzuleiten. Es resul-tiert ein so genannter monophasischer Puls(Abb. 1b und 2d). Er hat gegenüber dem biphasischen Puls den Vorteil, dass zur De-polarisation der Axone hauptsächlich dieschnelle Aufstrichphase in einer Richtungbeiträgt. Bei den biphasischen Pulsen führtdie schnelle Rückschwingung zu einer Umladung der Membranen und somit zueinem wirksamen Polaritätswechsel derStimulation. Es hat sich herausgestellt,dass – wie später ausführlicher behandelt –dies im Vergleich mit dem monophasischenPuls ein effizienterer Weg ist, Axone zu depolarisieren. Allerdings entstehen durchden Polaritätswechsel komplexere undschwerer zu interpretierende Effekte imkortikalen Netzwerk. Ein wesentlicherGrund in der Verwendung von bipha-sischen Pulsen liegt heute darin begründet,dass ein großer Teil der Stimulationsener-gie in den Kondensator zurückfließt und so für den nächsten Stimulationspuls zurVerfügung steht. So lassen sich technischleichter repetitive Stimulationsmuster mitPulssalven von 1-50 Hz realisieren.

Abhängigkeit der Stimulation von Pulsform, Stromrichtung und StimulatorenergieStimulation eines AxonsDas Axon einer Nervenzelle weist ein Ruhepotenzial zwischen -50 und -70 mVauf. Durch das vom TMS-Puls verursachteelektrische Feld muss es auf etwa -30 bis -40mV depolarisiert werden, um ein Aktions-potenzial auszulösen. Die elektrischen Ei-genschaften eines Axons werden einerseitsdurch die semipermeable Zellmembran be-stimmt, die man sich als geladenen Kon-densator mit parallelem Leckwiderstandvorstellen kann. Dazu kommen Kompo-nenten wie spannungsabhängige Kanäleund Ionenpumpen, die einerseits das Ruhe-potenzial aufrechterhalten, andererseits beihinreichender Depolarisation das Aktions-potenzial auslösen. Zur Depolarisation desAxons ist eine Umladung der Zellmem-bran erforderlich. Es wird allgemein ange-nommen, dass das von außen angelegteelektrische Feld vor allem in Richtung ent-lang des Axons wirkt; Feldkomponentensenkrecht zum Axon können vernachläs-sigt werden, da sie ungleich größer seinmüssen, um das Axon zu depolarisieren(22, 27). Interessant ist nun die Frage, wiestark das eingebrachte elektrische Feld seinmuss und wie lang es anliegen muss, um ei-ne überschwellige Antwort auszulösen. Dasvon der TMS induzierte Feld ist proportio-nal zur Änderung des magnetischen Feldes(entspricht der Ableitung, Abb. 2b, e). Bar-ker et al. (2) führten Messungen mit einemMagnetstimulator durch, bei dem mono-phasische Pulsformen mit unterschiedli-chen Aufstrichzeiten, also unterschiedli-chen Frequenzen des Schwingkreises, er-zeugt werden konnten. Bei schnellerenAufstrichzeiten wurde weniger gespeicher-te Energie benötigt, um die Erregungs-schwelle im Motorkortex zu erreichen alsbei langsameren Aufstrichzeiten. Dies be-deutet, dass ein Magnetstimulator mithöherer Pulsfrequenz effizienter arbeitet.Allerdings steigt mit kürzeren Aufstrichzei-ten auch die zur Stimulation nötige Kon-densatorspannung an, was teurere Konden-satoren notwendig macht. Bei kommerziel-len Stimulatoren muss somit ein Kompro-

Kammer, Thielscher

169/12

Nervenheilkunde 4/2003

Abb. 1 Ersatzschaltbilder für a) biphasische und b) monophasische Magnetstimulatoren. C : Kondensator (100 mF), L : Stimulationsspule (15 mH), S : Schalter (Leistungsthyristor), D : Diode, Rl: Innenwiderstand desSchaltkreises, Rp: Leistungswiderstand. Der Schalter trenntden Schwingkreis LCR nach einer Schwingungsperiode.Während in a) der induzierte Strom aus der Spule in denKondensator zurückfließt und dort für den nächsten Stimu-lus zur Verfügung steht, wird er in b) über die Diode undden Leistungswiderstand Rp dem Schwingkreis entzogen.

a

b

Page 3: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden.

Mit Hilfe der Messungen konnten Bar-ker et al. (2) die Zeitkonstanten der korti-kalen Axone abschätzen. Sie lag bei 150 µs,einem Wert, der auch von Messungen mitelektrischer Stimulation in vitro bekanntist. Die Schwingkreise der kommerziell erhältlichen Stimulatoren erreichen Auf-strichzeiten von 60-125 µs.

Vergleich verschiedener Pulsformen: ModellbetrachtungenNeben der oben betrachteten monopha-sischen Pulsform kommen heute (z. B. beider repetitiven TMS) häufig biphasischePulse zum Einsatz. Die folgenden Modell-betrachtungen sollen die Unterschiede inder Wirkungsweise dieser beiden Pulstypenaufzeigen. Als erste Näherung lässt sich dieZellmembran des Axons dazu als Konden-sator mit einem parallel geschalteten Leck-widerstand vorstellen, wobei die aktivenKomponenten (Kanäle und Ionenpumpen)vernachlässigt werden. Dieser Kondensatorintegriert (»summiert«) die Ladungen auf,welche durch die von außen induzierteSpannung verschoben werden, sodass dasMembranpotenzial bei einem monopha-sischen Stimulus den in Abbildung 2f ge-zeigten zeitlichen Verlauf aufweist. DasMembranpotenzial hat bei monopha-sischer Stimulation somit ein einzelnes Maximum zu Beginn des Stimulations-pulses.

Bei biphasischer Stimulation zeigt dasMembranpotenzial 2 Extrema (Abb. 2c),ein initiales Maximum (wie beim mono-phasischen Puls) gefolgt von einem ausge-prägten Minimum. Man kann zeigen, dassdas Minimum aufgrund der Membranzeit-konstanten von 150 ms immer stärker ist alsdas initiale Maximum (bei den Berechnun-gen in Abb. 2c ist das Minimum z.B. 1,2fachstärker) (32). Damit ist ein biphasischerPuls vor allem durch das induzierte Poten-zialminimum wirksam. Folglich benötigenmonophasische Stimulatoren im Vergleichzu biphasischen höhere Intensitäten, umdie gleiche Wirkung zu erzielen. Bei den inAbbildung 3 betrachteten Stimulatoren istdies beispielsweise eben eine 1,2fach höhe-re Intensität, wenn alle anderen Randbe-

dingungen konstant gehalten werden. DesWeiteren weist das induzierte elektrischeFeld beim biphasischen Stimulus zum Zeit-punkt des Potenzialminimums die entge-gengesetzte Richtung im Vergleich zum in-itialen Maximum auf. Will man somit dieWirkung von mono- und biphasischen Sti-muluspulsen miteinander vergleichen, somuss die initiale Stromrichtung des bipha-sischen Pulses entgegengesetzt zum mono-phasischen Puls sein (siehe »Vergleich ver-schiedener Pulsformen, Stromrichtungenund Stimulatoren«).

Abschließend noch einige Anmerkung:Ob ein Axon bei einem in Abbildung 2c

und 2f dargestellten Maximum bzw. Mini-mum hyper- oder depolarisiert wird, hängtletztendlich von der Richtung des elektri-schen Feldes in Relation zum Axon ab.Diese ist bei kortikalen Neuronen jedochunbekannt, sodass man nur den Summe-neffekt über eine Vielzahl von Neuronenbetrachten kann und bei den obigen Abschätzungen vernachlässigt, ob ein Extremum positiv oder negativ ist. Weiter-hin ist die stark vereinfachte Betrachtungeines Axons als passive Membran zwarnicht falsch, sie kann aber nur eine quali-tative und keine quantitative Erklärung geben.

Physikalische und physiologische Grundlagen der TMS

170/14

Nervenheilkunde 4/2003

Abb. 2 Pulsformen von biphasischen (a, c, e) und monophasischen (b, d, f) Stimulatoren. Oben (a, d) sind die Ströme inder Spule gezeigt, in der Mitte (b, e) die im Gewebe induzierten elektrischen Felder und unten (c, f) das Membranpotenzialeines Modellaxons. Die induzierten Felder im Gewebe (b, e) entsprechen der Ableitung des Spulenstroms. Die Aufstrichzeit istdie Zeit, die der Strom in der Spule benötigt, um von 0 auf das Maximum anzusteigen (a, d). Nach dieser Zeit ändert sich diePolarität des induzierten elektrischen Feldes (b, e). Das Membranpotenzial (c, f) ergibt sich (vereinfacht ausgedrückt) ausdem Integral des induzierten elektrischen Feldes unter der Annahme einer Membranzeitkonstante von 150 ms. Der Betragdes Potenzials ist beim biphasischen Puls (c) in der ersten (hier positiven) Halbwelle kleiner als in der zweiten (hier negati-ven) Halbwelle.

a

b

c

d

e

f

Page 4: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

Vergleich verschiedener Pulsformen, Stromrichtungen und Stimulatoren: experimentelle Ergebnisse

Viele Faktoren bestimmen die tatsächlicheStimulationsstärke eines TMS-Gerätes. Zunennen sind die gespeicherte Energie, dieParameter des Schwingkreises, aus denensich die Stimulationsfrequenz mit einer be-stimmten Aufstrichgeschwindigkeit ergibt,die Pulsform und schließlich die Geometrieder Spule. Bisher gibt es keine Modelle, diealle Faktoren berücksichtigen und in derLage sind, die physiologische kortikaleAntwort auf eine Magnetstimulation reali-stisch vorauszusagen. Daher ist eine prag-matische Möglichkeit zum Vergleich ver-schiedener Stimulatoren die vergleichendeMessung eines physiologischen Parame-ters. Hierzu wählten wir die motorischeSchwelle (MS) eines kleinen Handmuskelsin Ruhe bei fokaler Stimulation des kon-tralateralen Motorkortex (15). Zum Ein-satz kamen die Stimulatoren Magstim 200(monophasische Pulsform), Magstim rapid(biphasische Pulsform) und Medtronic-Dantec Magpro (Pulsform umschaltbarzwischen monophasisch und biphasisch).Abbildung 3a zeigt die gemessenen motori-schen Schwellen in Prozent der maximalenAusgangsleistung als Mittelwerte von 8Versuchspersonen. Neben den genanntenStimulatoren wurde zusätzlich die Strom-richtung im Gyrus praecentralis zwischenpostero-anterior (p-a) und antero-posteri-or (a-p) variiert. Betrachten wir zunächstdie monophasischen Pulse. Sie waren fürdie Stromrichtung p-a niedriger als für a-p.Ferner lagen die Schwellen mit dem Mag-stim 200 deutlich unter denen von Medtro-nic-Dantec. Ganz anders war das Musterbei den biphasischen Pulsen. Hier war die Stromrichtung a-p günstiger als p-a.Außerdem lagen die Schwellen mit Med-tronic-Dantec unter denen von Magstimrapid.

Ein wesentlicher technischer Unter-schied zwischen den verschiedenen Stimu-latoren ist die Größe des verwendetenKondensators und die maximale Ladespan-nung. Aus diesen ergibt sich die maximalgespeicherte Energie, die für die verschie-denen Geräte in Tabelle 1 angegeben ist.Die im Gewebe induzierten Feldstärken

Kammer, Thielscher

171/ 15

Nervenheilkunde 4/2003

Abb. 3Motorische Schwellen von8 Versuchspersonen, ge-messen mit verschiedenenStimulatoren (Magstimund Medtronic-Dantec),monophasischen (mono)und biphasischen (bi) Puls-formen sowie den Strom-richtungen postero-anteri-or und antero-posterior,bezogen auf den Motor-kortex (Gyrus praecentra-lis). a) Mittelwerte der mo-torischen Schwellen, ange-geben in Prozent der maxi-malen Ausgangsleistungdes jeweiligen Gerätes; b)Mittelwerte der motori-schen Schwellen, normiertauf die Quadratwurzel dergespeicherten Energie derjeweiligen Stimulatoren.Daten aus (15).

Tab. 1 Verhältnis der Ausgangsleistung verschiedener Magnetstimulatoren. Die Umrechnungsfaktoren stammen von Mes-sungen der Motorschwelle (15). Die Berechnung der Stimulationsintensität eines Gerätes Ineu (in Prozent der Maximallei-stung) von dem Prozentwert eines anderen Gerätes Ibekannt erfolgt mittels des Dreisatzes: Ineu = Ibekannt * Faktorneu /Faktorbekannt.

a

b

Page 5: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

sind im Wesentlichen proportional zurQuadratwurzel der gespeicherten Energie(2). Normiert man die gemessenen Schwel-lenwerte (in Prozent der max. Ausgangslei-stung der Geräte) auf die maximal appli-zierbare Feldstärke, so zeigt sich ein konsi-stentes Bild in der Abhängigkeit der Puls-form und Stromrichtung auf die motorischeSchwelle (Abb. 3b). Biphasische Pulse sindeffizienter als monophasische, die Strom-richtung p-a ist für monophasische Pulsegünstiger, während für biphasische Pulse a-p vorzuziehen ist. Für alle Schwellenmes-sungen gilt, dass, bezogen auf die zur Ver-fügung stehende Energie, der Stimulatorvon Medtronic-Dantec effizienter arbeitetals die beiden Stimulatoren von Magstim.Modellrechnungen zeigen, dass dieshauptsächlich an den unterschiedlichenSpulengeometrien liegt (32, siehe »Feld-geometrie und Stimulationsort«).

Die vorgestellten Messungen ermögli-chen das Umrechnen von (relativen) Sti-mulationsintensitäten eines Gerätes in dieeines anderen Gerätes. Die Umrechnungs-faktoren sind in Tabelle 1 angegeben. Derphysiologische Hintergrund für die unter-schiedliche Effizienz der Pulsformen undStromrichtungen ist noch nicht vollständigverstanden. Es gibt Hinweise, dass im korti-kalen Netzwerk mit den verschiedenenStromrichtungen unterschiedliche neuro-nale Populationen erregt werden (29). AlsUrsache lässt sich eine Anisotropie in derOrientierung von Axonen in den kortika-len Schichten vermuten, die noch nicht cha-rakterisiert worden ist. Den Effizienzvor-teil der biphasischen Stimuli gegenüberden monophasischen kann hingegen be-reits das einfache passive Nervenmodellnäherungsweise erklären, wenngleich z. B.eine initiale Hyperpolarisierung von Natri-umkanälen als weiterer beim biphasischenStimulus wichtiger Faktor diskutiert wird(10).

Unterschiede in der Erregbarkeit ab-hängig von der applizierten Stromrichtungwurden auch für andere kortikale Arealenachgewiesen. Für den visuellen Kortexkonnten wir bezüglich der Phosphen-schwelle zeigen, dass latero-mediale Strö-me gegenüber medio-lateralen Strömen imVorteil sind (14). Im präfrontalen Kortexfanden Hill et al. (9) für eine Gedächtnis-

aufgabe ebenfalls eine Richtungspräferenzder induzierten Ströme.

Feldgeometrie und StimulationsortZurzeit werden vorrangig 2 verschiedeneSpulentypen zur TMS eingesetzt, die einfa-che Rundspule und die fokalere Doppel-spule, auch Schmetterlingsspule oder »figu-re-of-eight«-Spule genannt. Wie im Rönt-genbild zu sehen ist (Abb. 4a), sind dieWindungen des Leiters bei der einfachenRundspule spiralförmig in einer Ebene an-geordnet.

Misst man die induzierte elektrischeFeldstärke in einer Fläche mit bestimmtemAbstand zur Rundspule (z.B. 1 cm,Abb. 5a),

so liegt das Maximum nicht genau in derMitte der Spule, sondern in einem Kreisüber den Spulenwindungen. Durch den In-tensitätsabfall nach innen und außen ergibtsich ein trogförmiger Feldstärkeverlauf.Der induzierte Strom hat genau die entge-gengesetzte Richtung zum in der Spulefließenden Strom. Unabhängig von der ge-wählten Spulenausrichtung und -verkip-pung verlaufen die im Kopf induziertenStröme und das elektrische Feld dabei im-mer parallel zur Kortexoberfläche. Bewirktwird dies durch die Grenzschichten zwi-schen gut leitendem Liquor und schlechterleitendem Knochen sowie zwischen Kno-chen und nicht leitender Luft. An diesenGrenzschichten sammeln sich Ladungenund erzeugen ebenfalls ein elektrisches

Physikalische und physiologische Grundlagen der TMS

172/18

Nervenheilkunde 4/2003

Abb. 4Röntgenbilder der Stimu-lationsspulen: a) Rund-spule Medtronic-Dantec,b) fokale Spule Magstim,c) fokale Spule Medtro-nic-Dantec. Die Spulen-windungen der fokalenMagstim-Spule liegen ne-beneinander in einer Ebe-ne. Bei der fokalen Spulevon Medtronic-Dantecüberlappen sich die bei-den Windungen. Zusätz-lich sind sie im Winkel von140° zueinander ge-knickt.

b

c

a

Page 6: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

Feld, welches die radial zur Kortexober-fläche verlaufenden Komponenten desSpulenfeldes aufhebt (7).

Es wird allgemein angenommen, dasskortikales Gewebe durch einen TMS-Pulsdesto stärker erregt wird, je stärker dasdort induzierte elektrische Feld ist. Die Sti-mulation tritt damit am ehesten an der Stel-le des kortikalen Feldmaximums auf (13,33). Die Berechnung der Feldverteilung imKopf zeigt, dass bei einer Rundspule diestärksten Ströme entlang eines Ringes par-

allel zur Spulenwindung fließen. Diese we-nig fokale Eigenschaft wird zur Stimulationder motorischen Hirnrinde genutzt. Posi-tioniert man die Rundspule direkt auf demVertex, so werden motorische Areale bei-der Hemisphären depolarisiert und mankann motorische Leitungszeiten zu beidenArmen bestimmen.

Eine deutlich fokalere Stimulation er-möglicht die Doppelspule. Sie besteht aus 2 nebeneinander gerückten, einfachen Spulen, die gegenläufig vom Strom durch-

flossen werden (Abb. 4b, c). Dadurch summieren sich in der Mitte die trogförmi-gen Feldanteile zu einer Art Zapfen auf(Abb. 5b). Die Standard-Doppelspulen derFirma Medtronic-Dantec unterscheidetsich von der der Firma Magstim dadurch,dass sich die Windungen der beiden Spu-lenwicklungen in der Mitte überlappen unddass die beiden Wicklungen zueinander ineinem Winkel von 140° gekippt sind (Abb.4c). Dies führt zu einer Zunahme der Feld-stärke bei gleichzeitiger geringer Abnahmeder Fokalität (32). Die Feldstärkenzunah-me spiegelt sich in einer höheren Effizienzwider (Abb. 3b). Bezüglich der Unterschie-de in der Fokalität gibt es bisher keine systematischen Untersuchungen.

Einen elementaren Einfluss auf dieGröße der induzierten Feldstärke hat derAbstand des kortikalen Gewebes zur Spu-le. Die Intensität fällt etwa quadratisch mitder Entfernung zur Spule ab (Abb. 6a, b).Dies führt dazu, dass die charakteristischenFeldstärkeunterschiede, die auf die Spulen-geometrie zurückzuführen sind, zuneh-mend verwischen (Abb. 6c).

Generell gilt, dass eine größere Ein-dringtiefe mit stärkeren Stimulationsim-pulsen oder mit größeren Spulen erreichtwerden kann. Dies bedeutet allerdings immer, dass näher zur Spule liegende Bereiche ebenfalls stärkeren Feldgradien-ten ausgesetzt sind. Leider ist bei der TMSeine Fokussierung von Feldern in der Tiefeprinzipiell nicht möglich, mit welcher Kombination aus Spulen auch immer (7).Im Gegensatz zur Strahlentherapie, bei der Strahlenquellen aus verschiedenenRichtungen an einem Punkt fokussiert werden können, würde eine Verteilung vonmehreren Spulen immer zu hohen Feld-stärken direkt unter den Spulen und zu einer geringeren Feldstärke im Fokusführen.

Vergleich TMS und Kernspintomo-graphie: die »Tesla-Legende«

Die applizierte Stimulationsstärke wird beiden kommerziell verfügbaren Magnetsti-mulatoren über einen Regler eingestellt,der in Prozent der maximalen Stimulati-

Kammer, Thielscher

173/19

Nervenheilkunde 4/2003

Abb. 5Verteilung der elektri-schen Feldstärke a) einerRundspule, b) einer foka-len Doppelspule. Es wirdder Betrag des Vektorpo-tenzials in Luft in einemAbstand von 1 cm übereiner einfachen oder dop-pelten Leiterschleife dar-gestellt. Während die x-und y-Achse die Flächeaufspannen, in der dieSpule sich befindet, stelltdie z-Achse nach obenkeine Raumebene dar,sondern bildet die Feld-stärke ab.

a

b

Page 7: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

onsstärke skaliert ist. Dieser Prozentwertwird in den meisten TMS-Arbeiten auch di-rekt für die eingesetzten Stimulationsstär-ken berichtet (Abb. 3a). Da sich die Geräteverschiedener Hersteller aber in ihrer Lei-stungsfähigkeit unterscheiden (Tabelle 1),liefert dieser Prozentwert keine direkteAngaben zur tatsächlich applizierten Sti-mulationsintensität. Um Stimulationspara-meter vergleichbar zu machen, geben da-her viele Autoren die maximale Magnet-feldstärke in Tesla an, die das Gerät mit derverwendeten Spule erzeugen kann. Leiderlässt diese Angabe auch keinen Vergleichzwischen verschiedenen Geräten zu, da we-der die Aufstrichgeschwindigkeit des Sti-mulationspulses noch die Spulengeometrieerfasst wird. Zusätzlich suggeriert die An-gabe von beispielsweise 1,9 Tesla (maxima-le Feldstärke von Medtronic-Dantec Dop-pelspule MC-B70, nach Herstellerangabe),dass die Applikation von TMS vergleichbarsei mit der Exposition von Probanden inder Kernspintomographie mit einer Feld-stärke von ebenfalls 1,5-3 Tesla, wie sie beiden zurzeit eingesetzten Scannern üblichist. Hierbei wird übersehen, dass es sich beider Kernspintomographie zunächst um einstationäres Magnetfeld handelt, währenddie TMS nur funktioniert, da ein transien-tes, also sich änderndes Magnetfeld appli-ziert wird. Um die Stimulationsstärke einesTMS-Pulses zu beschreiben, ist daher zu-mindest die Angabe der stärksten Ände-rung des Magnetfeldes dB/dt nötig, da sichdas induzierte elektrische Feld proportio-nal zu diesem Gradienten verhält. So lässtsich auch ein Vergleich mit der Kernspinto-mographie wiederherstellen.

Die Bildgebung dort beruht auf der Ap-plikation von so genannten Gradienten, al-so ebenfalls plötzlichen Änderungen deselektromagnetischen Feldes. Diese Gradi-enten regen die Atome an und führen dazu,dass diese ein schwaches elektromagneti-sches Signal außenden, welches Rück-schlüsse auf die Anordnung der Atomezulässt und so zu einem Bild führt. Über-steigen diese Gradienten eine bestimmteStärke, so werden, genauso wie bei derTMS, in den Geweben elektrische Felderinduziert, die Neurone depolarisieren kön-nen. So kann es beispielsweise zu Muskel-zuckungen kommen. Da diese Nebenwir-

kung nicht nur unerwünscht, sondern po-tenziell gesundheitsschädigend ist, gibt esfür die Kernspintomographie Gradienten-grenzwerte. Diese liegen momentan bei 20T/s für Pulslängen über 120 µs. Für kürzerePulslängen sind stärkere Gradienten zuge-lassen, z.B. 200 T/s für eine Pulslänge von12 µs (11). Höhere Gradienten (500 T/s für

Pulslängen über 120 µs, 5000 T/s für einePulslänge von 12 µs) dürfen verwendetwerden, wenn der Untersucher sich ständigvergewissert, dass der Proband keinerleiMuskel- oder Hautstimulation erlebt (IECsafety standard, first controlled mode, [11]).Die Gradienten, die eine Magnetstimulati-onsspule erreicht, sind maximal 35000 T/s

Physikalische und physiologische Grundlagen der TMS

174/20

Nervenheilkunde 4/2003

Abb. 6Abnahme der elektrischenFeldstärke mit zuneh-mender Entfernung vonder Spule. a) relative Ab-nahme des Maximums(normiert auf die Feld-stärke bei 1 cm Abstand;b) relative Abnahme, dar-gestellt in den Ebenen mit1-3 cm Abstand; c) Verän-derung des Feldprofilsund damit der Fokalitätder Spule in den 3 ausge-wählten Ebenen. Das je-weilige Feldmaximum istauf 1 (rot) normiert. In-nerhalb der gestricheltenLinie ist die Feldstärke >70% der maximalen Feld-stärke.

c

b

a

Page 8: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

(Medtronic-Dantec-Doppelspule). DieserGradientenwert wird mit einem Abstandvon 2 mm von der Spulenoberfläche erreicht. Misst man mit 20 mm Abstand,so findet man nur noch einen maximalenGradienten von 13000 T/s. Dabei ist an-zumerken, dass auch die Änderung des magnetischen Feldes dB/dt nur eine grobeAbschätzung ermöglicht.

Letztendlich ist bei der TMS und derKernspintomographie allein die Stärke undDauer des induzierten elektrischen Feldesausschlaggebend. Beispielsweise erlaubtbei der TMS nur die Betrachtung des elek-trischen Feldes die Bestimmung des wahr-scheinlichen kortikalen Stimulationsortes.Auch bei der Kernspintomographie gibt esBestrebungen, die Gradientengrenzwertedurch die Betrachtung des elektrischen Feldes genauer einzugrenzen (31). DieSchwierigkeit dabei ist jedoch, dass daselektrische Feld zwar proportional zur Än-derung des magnetischen Feldes ist, es sichaufgrund der sehr komplizierten Leitfähig-keitsverteilung im Kopf bzw. im Körperaber nur näherungsweise durch vereinfa-chende Modelle beschreiben lässt. Bei derTMS wird dazu oft angenommen, dass derKopf durch eine homogene Kugel approxi-mierbar ist, was meist auch zu relativ gutenErgebnissen führt (12, 30, 33); bei der Kern-spintomographie wird beispielsweise derKörper des Patienten durch einen homoge-nen Zylinder abgeschätzt (26, 31). Die Ent-wicklung von Modellen zur Feldberech-nung, die auf der einen Seite die Realitätbesser beschreiben und auf der anderenSeite von ihrer benötigten Rechenzeit be-schränkt und einfach handhabbar sind, istsicherlich eine sinnvolle zukünftige Erwei-terung, sowohl bei der TMS als auch derKernspintomographie.

Erste Modelle für die TMS existierenbereits. Sie berücksichtigen die Leitfähig-keitsverteilung im Kopf bei der Feld-berechnung mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode (3, 16, 17). Dabei wird jedoch oftmals nicht das induzierte elektrischeFeld, sondern die induzierte Stromdichtedargestellt. Eines der Hauptergebnisse istoftmals, dass die Stromdichte auch noch intief liegenden Ventrikeln vergleichsweisehoch ist (20). Da Liquor im Vergleich zurgrauen und weißen Substanz eine sehr gute

Leitfähigkeit besitzt, ist dies wenig verwun-derlich. Bedeutung für die TMS hat dies allerdings kaum. Zur Nervenerregung istallein die Potenzialdifferenz über die Nervenmembran hinweg ausschlaggebend,und damit das elektrische Feld, nicht dieStromdichte (13, 22, 27). Bei zukünftigenDarstellungen sollte somit zum elektri-schen Feld übergegangen werden, wobeidann zu erwarten ist, dass dieses in denVentrikeln und den angrenzenden Struktu-ren deutlich geringer ist als an der Kor-texoberfläche.

Stand der Entwicklung und möglicheWeiterentwicklungen der TMS

Die neuesten Stimulatortypen, die auf demMarkt erhältlich sind, bieten eine hohe Fle-xibilität in der Wahl der Stimulationspara-meter wie Stromrichtung, Pulsform, Repe-titionsrate (bis zu 100 Hz) und ihrer An-steuerbarkeit durch externe Geräte. DieTechnik der TMS kann damit als weit-gehend ausgereift angesehen werden.Probleme bereiten nach wie vor die Erwär-mung der Spule, insbesondere bei längererrepetitiver Stimulation und die damit verbundene Sicherheitsabschaltung desStimulators. Neben aufwendigen aktivenKühlsystemen (Wasserkühlung [24], Öl-kühlung [23, 34]) könnten verbesserte Spulenkonstruktionen mit niedrigererohmscher Verlustleistung (25) und erhöh-ter Effizienz Abhilfe schaffen. Beispiels-weise induziert die Medtronic-Dantec-Doppelspule bereits heute durch ihre über-lappende Bauweise eine höhere maximaleFeldstärke bei gleichem maximalen Spu-lenstrom wie die Doppelspule von Mag-stim. Die Fokalität der beiden Spulen istdabei fast identisch (32).Auch eine Ernied-rigung der Pulsdauer führt zu einer Senkung der zur Stimulation notwendigenEnergie. Davey und Epstein (6) berechne-ten, dass eine von energetischer Sicht heroptimale Stimulation erst mit Schwingkrei-sen mit 10 kHz erreicht wird (im Vergleichzu den heute üblichen 3000-5000 Hz). DieStimulationsfrequenz wird nach oben jedoch durch die Anforderungen an dieBauteile wie Kondensator oder Thyristor

begrenzt, sodass in dieser Hinsicht auch beizukünftigen Stimulatoren ein Kompromisseingegangen werden muss.

Eine weitere Möglichkeit der Weiter-entwicklung besteht in einer Erhöhung derFokalität der Spulen, um noch gezielter engumgrenzte kortikale Areale stimulieren zukönnen. Von Roth und Mitarbeitern wurde1994 bereits der Prototyp einer 4-leaf-coil,also einer Spule mit 4 Windungen, einem 4-blättrigen Kleeblatt gleich, vorgestellt(28). Durchgesetzt hat sich dieser Spulen-typ bis heute allerdings nicht. Zum einenliegt das sicherlich an der Notwendigkeit,Navigationsgeräte einsetzen zu müssen (8, 15), um die höhere Fokalität auch nutzen zu können. Zum anderen ist nur fürwenige Einsatzzwecke wie z.B. Motor-mapping (5, 33) eine möglichst hohe Foka-lität von Nutzen. Bei den meisten heutigenAnwendungen wie etwa Depressionsbe-handlung, visueller Extinktion oder Beein-flussung des Arbeitsgedächtnisses ist nureine sehr grobe räumliche Eingrenzung desinteressanten kortikalen Zielgebietes mög-lich. Der Einsatz sehr fokaler Spulen machtdeswegen in vielen Fällen bisher keinenSinn.

Vergleicht man die bisher vorhandenenModelle zur Erklärung der zeitlichen undräumlichen Wirkung eines Stimulationspul-ses auf kortikale Netzwerke mit der in der Realität vorhandenen Komplexität, soscheint die TMS weniger durch ihre techni-schen Möglichkeiten begrenzt. Vielmehrhindert das momentan nur in Ansätzenvorhandene Verständnis über die nach einem Stimulationspuls ablaufenden phy-siologischen Vorgänge. Dies gilt in beson-derem Maße für die Applikation repetitverTMS. Ein gezielterer Einsatz der TMS sowohl in Diagnostik als auch in Therapieerfordert daher weniger eine Weiterent-wicklung der Technik, als vor allem eineAufklärung der grundlegenden biophysika-lischen und physiologischen Zusammen-hänge.

Literatur1. Barker AT, Jalinous R, Freeston IL. Non-inva-

sive magnetic stimulation of human motor cortex. Lancet 1985; 1: 1106-7.

2. Barker AT, Garnham CW, Freeston IL. Magne-tic nerve stimulation: the effect of waveform on

Kammer, Thielscher

175/21

Nervenheilkunde 4/2003

Page 9: Physikalische und physiologische Grundlagen der ...tkammer/pdf/Kammer_2003_Nervenheilkunde.pdf · miss zwischen Preis und Effizienz einge-gangen werden. Mit Hilfe der Messungen konnten

efficiency, determination of neural membranetime constants and the measurement of stimu-lator output. Electroenceph Clin Neurophysiol –Suppl 1991; 43: 227-37.

3. Cerri G, De Leo R, Moglie F, Schiavoni A. Anaccurate 3-D model for magnetic stimulation ofthe brain cortex. J Med Engineer Technol 1995;19: 7-16.

4. Chen R, Classen J, Gerloff C, Celnik P, Wasser-mann EM, Hallett M, Cohen LG. Depression ofmotor cortex excitability by low-frequencytranscranial magnetic stimulation. Neurology1997; 48: 1398-403.

5. Classen J, Knorr U, Werhahn KJ, Schlaug G,Kunesch E, Cohen LG, Seitz RJ, Benecke R.Multimodal output mapping of human centralmotor representation on different spatial sca-les. J Physiol 1998; 512: 163-79.

6. Davey K, Epstein CM. Magnetic stimulationcoil and circuit design. IEEE Trans BiomedEng 2000; 47: 1493-9.

7. Heller L, van Hulsteyn DB. Brain stimulationusing electromagnetic sources: theoretical aspects. Biophys J 1992; 63: 129-38.

8. Herwig U, Kolbel K,Wunderlich AP,ThielscherA, von Tiesenhausen C, Spitzer M, Schönfeldt-Lecuona C. Spatial congruence of neuronaviga-ted transcranial magnetic stimulation and func-tional neuroimaging. Clin Neurophysiol 2002;113: 462-8.

9. Hill AC, Davey NJ, Kennard C. Current orien-tation induced by magnetic stimulation influ-ences a cognitive task. Neuroreport 2000; 11:3257-9.

10. Hsu KH, Durand DM. Prediction of neural excitation during magnetic stimulation usingpassive cable models. IEEE Trans Biomed Eng2000; 47: 463-71.

11. IEC. Particular requirements for the safety ofmagnetic resonance equipment for medicaldiagnosis. In: Diagnostic imaging equipment,publication IEC 60601-2-33, medical electricalequipment, Part 2. Genf: International Electro-technical Commission (IEC) 1995.

12. Ilmoniemi RJ, Ruohonen J, Virtanen J. Relati-onsships between magnetic stimulation andMEG/EEG. In: Nilsson J, Panizza M, GrandoriF (eds). Advances in Magnetic Stimulation –Mathematical Modeling and Clinical Applica-tions, Vol. 2/2. Pavia: Fondazione SalvatoreMaugeri Edizioni 1996: 65-72.

13. Ilmoniemi RJ, Ruohonen J, Karhu J. Transcra-nial magnetic stimulation - a new tool for func-

tional imaging of the brain. Crit Rev BiomedEng 1999; 27: 241-84.

14. Kammer T, Beck S, Erb M, Grodd W. The influ-ence of current direction on phosphene thres-holds evoked by transcranial magnetic stimula-tion. Clin Neurophysiol 2001; 112: 2015-21.

15. Kammer T, Beck S, Thielscher A, Laubis-Herr-mann U,Topka H. Motor thresholds in humans.A transcranial magnetic stimulation study com-paring different pulseforms, current directionsand stimulator types. Clin Neurophysiol 2001;112: 250-8.

16. Keck ME, Sillaber I, Ebner K, Welt T, Toschi N,Kaehler ST, Singewald N, Philippu A, ElbelGK, Wotjak CT, Holsboer F, Landgraf R,Engelmann M. Acute transcranial magnetic stimulation of frontal brain regions selectivelymodulates the release of vasopressin, biogenicamines and amino acids in the rat brain. Eur J Neurosci 2000; 12: 3713-20.

17. Krasteva V, Papazov S, Daskalov I. Magneticstimulation for non-homogeneous biologicalstructures. BioMedical Engineering OnLine2002; 1: 3.

18. Kujirai T, Caramia MD, Rothwell JC, Day BL,Thompson PD, Ferbert A, Wroe S, Asselman P,Marsden CD. Corticocortical inhibition in hu-man motor cortex. J Physiol 1993; 471: 501-19.

19. Maccabee PJ, Amassian VE, Eberle LP, CraccoRQ. Magnetic coil stimulation of straight andbent amphibian and mammalian peripheralnerve in vitro: locus of excitation. J Physiol1993; 460: 201-19.

20. Marg E, Rudiak D. Phosphenes induced by magnetic stimulation over the occipital brain:description and probable site of stimulation.Optometry Vis Sci 1994; 71: 301-11.

21. Merton PA, Morton HB. Stimulation of the cerebral cortex in the intact human subject.Nature 1980; 285: 227.

22. Nagarajan SS, Durand DM,Warman EN. Effec-ts of induced electric fields on finite neuronalstructures - a simulation study. IEEE Trans Bio-med Eng 1993; 40: 1175-88.

23. Nielsen JF, Klemar B, Kiilerich H. A new high-frequency magnetic stimulator with an oil-coo-led coil. J Clin Neurophysiol 1995; 12: 460-7.

24. Pascual-Leone A, Valls-Solé J, WassermannEM, Hallett M. Responses to rapid-rate tran-scranial magnetic stimulation of the humanmotor cortex. Brain 1994; 117: 847-58.

25. Ravazzani P, Ruohonen J, Tognola G, AnfossoF, Ollikainen M, Ilmoniemi RJ, Grandori F.

Frequency-related effects in the optimizationof coils for the magnetic stimulation of the nervous system. IEEE Trans Biomed Eng 2002;49: 463-71.

26. Reilly JP. Peripheral nerve stimulation by indu-ced electric currents: exposure to time-varyingmagnetic fields. Med Biol Eng Comput 1989;27: 101-10.

27. Roth BJ, Basser PJ. A model of the stimulationof a nerve fiber by electromagnetic induction.IEEE Transactions on Biomedical Engineering1990; 37: 588-96.

28. Roth BJ, Maccabee PJ, Eberle LP, AmassianVE, Hallett M, Cadwell J, Anselmi GD, Tatari-an GT. In vitro evaluation of a 4-leaf coil designfor magnetic stimulation of peripheral nerve.Electroenceph Clin Neurophysiol 1994; 93:68-74.

29. Sakai K, Ugawa Y, Terao Y, Hanajima R, Furu-bayashi T, Kanazawa I. Preferential activationof different I wave by transcranial magnetic sti-mulation with a figure-of-eight-shaped coil.Exp Brain Res 1997; 113: 24-32.

30. Sarvas J. Basic mathematical and electro-magnetic concepts of the biomagnetic inverseproblem. Physics Med Biol 1987; 32: 11-22.

31. Schaefer DJ, Bourland JD, Nyenhuis JA. Re-view of patient safety in time-varying gradientfields. J Magn Reson Imaging 2000; 12: 20-9.

32. Thielscher A. Abschätzung zum Ort der Ner-venstimulation durch Magnetfelder – Ein Bei-trag zu den biophysikalischen Grundlagen derTranskraniellen Magnetstimulation. Disserta-tion: Universität Ulm 2002.

33. Thielscher A, Kammer T. Linking Physics withPhysiology in TMS: A spherefield model to determine the cortical stimulation site in TMS.Neuroimage 2002; 17: 1117-30.

34. Wang H, Wang X, Scheich H. LTD and LTP induced by transcranial magnetic stimulation inauditory cortex. Neuroreport 1996; 7: 521-5.

Korrespondenzadresse:Dr. med. Thomas KammerAbt. Kognitive Neurologie, Neurologische Univ.-KlinikHoppe-Seyler-Str. 3, 72076 TübingenTel 0 70 71 / 29 -80 46 9Fax 0 70 71 / 29 -52 57E-mail:[email protected]

Physikalische und physiologische Grundlagen der TMS

176/ 22

Nervenheilkunde 4/2003