Pidgin English, was ist das?

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Wenn Harri Opoku mit seiner Taube spricht, wenn er der Zweitschnellste seiner Klasse ist und immer neue Farben und Formen im Haribo-Sortiment entdeckt, dann scheint alles ganz harmlos. Aber es ist nur Harri’s Fantasie, die das Leben zwischen den Hochhäusern verwandelt. Stephen Kelman erzählt eine Geschichte voller unschuldiger Erfahrung, die einer rauen Realität alles entgegenhält, was Sprache und Lebenswille aufzubringen imstande sind. Auch Harri könnte gut einer der Jungs sein, die dort drüben an der Ecke rumlungern. Er könnte einer von ihnen werden. Er würde irgendwann mit dem Dealen anfangen oder seine Tags an die Wände der Hochhäuser sprühen. Dafür spricht einiges, auch wenn Harri erst elf Jahre alt ist. Gerade aus Ghana angekommen, lebt er mit seiner Mutter und Schwester im neunten Stock eines Londoner Sozialbaus. Harri Opoku könnte eine Figur aus der gefeierten Fernsehserie „The Wire“ sein, einer, der weiß, dass Respect und Credibility die Währung sind, mit der man sich auf der Straße durchschlägt. Aber Harri liebt Haribo, den Aufzug, obwohl er nach Pisse stinkt, die Tauben und seine modischen Turnschuhe, Unikate mit selbstgemalten Adidas-Streifen, und mit diesen flitzt er durch sein neues Leben. Doch hier in den grauen Schluchten eines abgehängten Stadtviertels stimmt nichts. Die meisten sind illegale Einwanderer, haben lausige Jobs, und häufig genug werden die Mädchen schon mit 14 schwanger. Dann wird ein Nachbarsjunge auf offener Straße erstochen, doch keinen kümmert’s. Nur Harri beginnt seine abstrusen Ermittlungen. Er versucht zu verstehen, wer gut ist, wer böse, wer verdächtig. Er macht sich die Welt um ihn herum so gut begreifbar, wie er kann, doch er spürt, dass nichts dem entspricht, was es zu sein vorgibt. Und mit jeder Zeile spürt das auch der Leser dieser großen Romanentdeckung. 2 Über das buch

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Eine Pidginsprache ist eine Kontaktsprache. Der klassische Entstehungsfall ist immer der einer Kontaktsituation, in der es keine ge - meinsame Sprache gibt und mehr als nur eine Sprache gesprochen wird, wobei noch eine der gesprochenen Sprachen einen höheren Status hat als die anderen.

Transcript of Pidgin English, was ist das?

Wenn Harri Opoku mit seiner Taube spricht,

wenn er der Zweit schnellste seiner Klasse

ist und immer neue Farben und Formen im

Haribo-Sortiment entdeckt, dann scheint

alles ganz harmlos. Aber es ist nur Harri’s

Fantasie, die das Leben zwischen den

Hochhäusern verwandelt. Stephen Kelman

erzählt eine Geschichte voller unschuldiger

Erfahrung, die einer rauen Realität alles

entgegenhält, was Sprache und Lebenswille

aufzubringen imstande sind.

Auch Harri könnte gut einer der Jungs sein,

die dort drüben an der Ecke rumlungern. Er

könnte einer von ihnen werden. Er würde

irgendwann mit dem Dealen anfangen oder

seine Tags an die Wände der Hochhäuser

sprühen. Dafür spricht einiges, auch wenn

Harri erst elf Jahre alt ist. Gerade aus Ghana

angekommen, lebt er mit seiner Mutter und

Schwester im neunten Stock eines Londoner

Sozialbaus.

Harri Opoku könnte eine Figur aus der

gefeierten Fernsehserie „The Wire“ sein,

einer, der weiß, dass Respect und Credibility

die Währung sind, mit der man sich auf

der Straße durchschlägt. Aber Harri liebt

Haribo, den Aufzug, obwohl er nach Pisse

stinkt, die Tauben und seine modischen

Turnschuhe, Unikate mit selbstgemalten

Adidas-Streifen, und mit diesen flitzt er

durch sein neues Leben.

Doch hier in den grauen Schluchten eines

abgehängten Stadtviertels stimmt nichts.

Die meisten sind illegale Einwanderer, haben

lausige Jobs, und häufig genug werden die

Mädchen schon mit 14 schwanger. Dann

wird ein Nachbarsjunge auf offener Straße

erstochen, doch keinen kümmert’s. Nur

Harri beginnt seine abstrusen Ermittlungen.

Er versucht zu verstehen, wer gut ist, wer

böse, wer verdächtig. Er macht sich die Welt

um ihn herum so gut begreifbar, wie er kann,

doch er spürt, dass nichts dem entspricht,

was es zu sein vorgibt. Und mit jeder Zeile

spürt das auch der Leser dieser großen

Romanentdeckung.

2

Über dasbuch

interview mit andrea sand,professorin für englischesprachwissenschaft mitschwerpunkt Varietätendes englischen an der uni -versität trier.

Was genau ist eine pidgin-sprache?

Andrea Sand: Eine Pidginsprache ist

eine Kontaktsprache. Der klassische

Entstehungsfall ist immer der einer

Kontaktsituation, in der es keine ge -

meinsame Sprache gibt und mehr

als nur eine Sprache gesprochen wird,

wobei noch eine der gesprochenen

Sprachen einen höheren Status hat

als die anderen. Wir müssen uns das

beim Beispiel Ghana so vorstellen:

Wir haben eine große Anzahl indi-

gener Sprachen, die nicht immer un -

tereinander verstanden werden kön -

nen, und dann kommt die Kolonial -

macht bzw. zunächst die Sklaven -

händler oder Elfenbeinhändler, die

Englisch sprechen. Und in einer der -

artigen Situation bildet sich norma-

lerweise ein Pidgin Englisch heraus.

Es wird immer vereinfacht, die Lau -

te, das Vokabular, die Grammatik;

der Sprachschatz wird massiv sim-

plifiziert. Und die Sprache, die sozial

höhergestellt ist, also mehr Prestige

besitzt, stellt dann normalerweise

den Großteil des Vokabulars.

das beschreibt ja ziemlich

genau die poetologische

situation des buches.

harri mischt all seine

erfahrungen zu einer

eigenen Welt – auch eine

seiner Fantasie. dabei

benutzt er häufig sehr

konkrete ausdrücke für

gefühle. Zum beispiel

spricht er von „rote

augen“, wenn Wut gemeint

ist?

Das sind häufig Bilder, die wir

in Europa nicht kennen und die

auch schwer zu übertragen sind. In

der Regel wurden sie direkt aus

westafrikanischen Sprachen über-

nommen, es handelt sich also um

Lehnübersetzungen. Ein bekanntes

Beispiel wäre der Ausdruck „big

eye“ für jemand, der sehr gierig ist.

Viele Körperbilder dienen zur Dar -

stellung von Gefühlen, Einstellun -

gen, Haltungen oder von Charak -

tereigenschaften.

pidgin english – ['pidʒin- pigeon english – ['pidʒən-]

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sind die vielen Wieder -

holun gen denn auch typisch

für pidgin? harri sagt

immer husch-husch.

Ja, die sind sehr typisch. Das ist

ein Wortbildungsschema, das man

in der Fachsprache Reduplikation

nennt. Das ist typisch für Pidgin und

Kreol, einfach weil man mit einem

minimalen morphologischen oder

wortbildnerischen Aufwand Em -

phase oder höhere Intensität aus-

drücken kann.

im englischen manuskript

findet man viele von die-

sen Zusammenziehungen wie

„asweh“ oder „gowayou“.

ist das ghanaisches eng -

lisch oder pidgin?

Das sind massive Kontraktionen,

also Verschleifungen. Wir haben

es hier mit Formen zu tun, in

denen die Lautung orthographisch

nachgeahmt wird. Und aufgrund

des heutigen Gebrauchs im Münd -

lichen verschleifen sich die Einzel -

wörter immer mehr. Wir kennen

das zum Beispiel aus dem briti-

schen Englisch, „going to“ wird zu

„gonna“. Das spiegelt sich dann

auch irgendwann im Schriftlichen

wider. Eine ganze Zeit wurde „going

to“ geschrieben, aber „gonna“ ge -

sagt, und mittlerweile sieht man

immer öfter „gonna“. Gowayou ist

typisch Pidgin.

und wie verhält es sich

mit chinese rice für

chinesisches essen oder

Kill-me-Quick für einen

schnaps?

Kontaktsprachen haben ja, wie

vorhin erwähnt, einen relativ be -

grenzten Wortschatz, die Wortbil -

dung findet also auf einfachem

Niveau statt. Das wenige Material,

welches der Sprache zur Verfügung

steht, wird benutzt, um immer wie-

der neue Dinge auszudrücken. Das

gilt für Chinese Rice, Kill-Me-

Quick oder zum Beispiel Tea, das

in Afri ka für alle möglichen Heiß -

getränke benutzt wird.

]; gebrochenes englisch – ]; die sprache der tauben

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