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Pierdomenico Baccalario

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Pierdomenico Baccalario

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Pierdomenico Baccalario wurde 1974 in Acqui Terme, Italien, geboren. Schon früh begeisterte er sich fürs Lesen und durch-stöberte die riesige Bibliothek seiner Fami-lie nach abenteuerlichen Geschichten. Er studierte zunächst Jura, bevor er sich dem Journalismus und dem Schreiben von Bü-chern zuwandte, die in über 18 Sprachen übersetzt wurden. Bekannt ist er auch unter dem Pseudonym »Ulysses Moore«.

Von Pierdomenico Baccalario ist bei cbj außerdem erschienen:

ulysses Moore – Die tür zur Zeit (28014)ulysses Moore – Die Kammer der Pharaonen (28015)ulysses Moore – Das Haus der Spiegel (28022)Will Moogleys Geisteragentur (13719)

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Pierdomenico Baccalario

Das Volk Von Tarkaan

Aus dem Italienischen von Ulrike Schimming

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cbjist der Kinder- und Jugendbuchverlagin der Ver lags grup pe Ran dom House

Verlagsgruppe Random House FSc-dEU-0100 das für dieses Buch verwendete FSc®-zertifizierte Papier München Super Extra liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.

1. AuflageErstmals als Coppenrath Taschenbuch bei cbj Mai 2012Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform© 2010 für die deutschsprachige Ausgabe coppenrath Verlag GmbH & co.KG, MünsterAlle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten durch cbj, München © dreamfarm, 2009die italienische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Il popolo di Tarkaan« bei Edizioni Piemme. Übersetzung: Ulrike SchimmingUmschlagillustration: Iacopo BrunoUmschlaggestaltung: Basic-Book-design, Karl Müller-Buss-dorf unter Verwendung des Originalumschlagsim · Herstellung: cZSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aiblingdruck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckISBN 978-3-570-28036-2Printed in Germany

www.cbj-ver lag.de

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… mein Weg,Weiche nicht ab; Tausende Berge, alleSchroff und nackt, entsetzlich und unbewohnt,Wenn nicht von Geistern, Und der sterbliche Mensch übersteigt sie nicht.

Alessandro Manzoni, Adelchis

Diese Geschichte ist meinen Großeltern gewidmetund unserem Haus in den Bergen:Danke, dass ihr mir gestattet habt,es mit fantastischen Wesen zu bevölkern.

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INHALT

1. Der Turm 11

2. Die Krieger 16

3. Die Krake 22

4. Der Sturm 29

5. Auf der Straße 37

6. Die Stimme 42

7. Im Zelt 52

8. Die Flucht 57

9. Der Schwur 66

10. Die Saupacker 77

11. Die Helden 84

12. Die Therme 96

13. Die Expertin 106

14. Der Gefangene 119

15. Der Chef 129

16. Der Fang 139

17. In der Falle 153

18. Der Zauber 159

19. Das Problem 170

20. Die Magie 182

21. Der Kamerad 191

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22. Auf dem Weg 197

23. Der Stein 205

24. Der Jäger 217

25. Der Schlag 224

26. Zu Hause 235

27. Die Hilfsmittel 241

28. Im Knast 254

29. Verzweiflung 260

30. Die Ehrlichen 269

31. Im Dorf 276

32. Die Eindringlinge 284

33. Die Entdeckung 287

34. Eine perfekte Welt 296

35. Die Glut 301

36. Die Wahrheit 307

37. Im Schnee 314

38. Der Atemzug 320

39. Die Stille 325

40. Das Loch 334

41. Das Buch 338

42. Nie wieder 345

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DIE PERSONEN

DIE VERSCHWUNDENEN SCHULKINDER:

Mariano, genannt Houdini, verkleidet als Harry Potter (Fehler seiner Mutter, eigentlich wollte er als ein ernst zu nehmender Magier gehen)

Paolo, der Junge mit dem Pagenschnitt, verkleidet als CowboyC, die Bohnenstange, sein bester Freund, verkleidet als IndianerMafalda, verkleidet als PrinzessinMassimo, der Sitzenbleiber, verkleidet als arabischer ScheichRaffaella, die Klassenschönheit, verkleidet als Lara CroftDer fi ese Giacomo, verkleidet als Indiana Jones

UND DANN SIND DA NOCH:

Drei Fußballer in den Trikots der NationalmannschaftDie vier Musketiere, verkleidet als die Musketiere des KönigsDer Junge mit dem gelben Helm, verkleidet als MotorradfahrerDer Junge mit dem roten Helm, verkleidet als Formel-Eins-PilotDer Junge, der als Batman verkleidet istDas Mädchen, das als Spiderman verkleidet istDie zwei Mädchen, die ständig heulen und als Ballerinas

verkleidet sind Der Junge, der als Jack Sparrow verkleidet istDas Mädchen, das auch als Jack Sparrow verkleidet istDie anderen, die als Jack Sparrows Piratengesindel verkleidet sind

DIE DORFHELDEN:

Antonello, genannt ›Nello‹, hasst das Lesen Michele, Spitzname ›Mix‹, sein Bruder, Automechaniker

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Rebecca, genannt ›Range‹, FörsterinMarky, auch als der ›Meister‹ bekannt, Klempner, hat mehr als

siebentausend Bücher gelesenStefano, Besitzer des Lokals DurchblickCinz, Sohn des SkiliftbesitzersDon Sergio, der PfarrerLeila Lolli und Frau Lolli, zwei begeisterte Fans fantastischer

GeschichtenDaniela, die Pfadfi nderleiterin

DIE EINDRINGLINGE AUS DEN BERGEN:

Urtgarten und Lut, zwei Kolosse-Krieger, wollten eigentlich Schneekraken jagen

Machan, der Chef des Krieger-ClansSingendes Herz, der hellseherische Schamane, will die Welt

erobernIspuspes der Listige, erfolgloser Dieb aus den Bergen

DIE VERANTWORTLICHE:

Apollonia J. Brennan, geboren in Rom, hat irländische Eltern, derzeit die beliebteste Fantasy-Schriftstellerin ihrer Zeit, Autorin von fünf Bestsellern der Saga vom Fallenden Stern (1. Die Flammenkralle, 2. Brazinger, 3. Die Herrin der Messer, 4. Der Dieb des verlorenen Reichs, 5. Der Schatten des Vulkans). Schreibt gerade am sechsten und letzten Band, der von den Lesern schon sehnsüchtig erwartet wird.

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DER TURM

Antonello war sich sicher: Nie im Leben würde er zu ei-ner Faschingsfeier der Pfadfi nder gehen.

Er hatte eigentlich nichts gegen Karneval (auch wenn er Verkleidungen hasste) oder gegen die Pfadfi nder (auch wenn er ihre kurzen Hosen hasste). Das Problem war die Veranstaltung, deretwegen das Faschingsfest stattfand: die Lesung einer berühmten Schriftstellerin.

Er hatte keine Lust darauf. Überhaupt keine. Warum sollte er einen ganzen Nachmittag einer langweiligen Au-torin zuhören, die von ihrem Buch redete? Er hatte die-ses Buch nicht gelesen. Und er hatte auch nicht vor, es zu tun. Er konnte sich nicht mal an den Namen der Schrift-stellerin erinnern.

Unbeweglich stand er vor dem Sarazenen-Turm und beobachtete eine magere Katze, die sich hier genauso wohlfühlte wie er. Von dieser Stelle konnte er das ganze Tal überblicken.

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Es war ein eisiger Nachmittag im Februar und es roch nach Schnee. Weit unterhalb des Turmes rasten dicht an dicht Fahrzeuge die Autobahn zur Grenze entlang und erfüllten die Luft mit einem dumpfen Rauschen. Das Ge-wirr aus Brücken und Asphaltkurven verschwand in ei-nem Tunnel, der unter den Bergen hindurchlief. Autos, Motorräder und gigantische LKWs brausten ohne Unter-lass von einem Ende zum anderen.

Antonello beobachtete die Blechlawine aufmerksam, dann ließ er den Blick zur anderen Seite der Autobahn wandern, wo die Straße in eine steinerne Schlucht führte. Tannen ragten auf den Felsen empor und die schnee-bedeckten Hänge der Berge fi elen steil ab.

Er hatte was Besseres vor. Es gab so viel zu tun! Er könnte hier den ganzen Nachmittag in Gesellschaft der Katze verbringen, wo niemand ihn suchen würde. Oder er könnte auf einen Berg steigen. Auf Forschertour ge-hen!

Das war eigentlich noch viel besser. Beim Turm hätte er sich irgendwann gelangweilt: Diese Katze sah nicht be-sonders unterhaltsam aus, auch wenn sie schon wesent-lich spannender war als die Lesung der Schriftstellerin.

Antonellos Rucksack war vollgestopft mit lauter un-nützen Schulbüchern, in denen sein Bruder gnadenlos viele Texte unterstrichen hatte. Und allein bei dem Ge-danken, bei der Veranstaltung in dem Plastikzelt im Hof hinter der Schule möglicherweise singen zu müssen, wurde ihm schlecht.

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Er hockte sich hin und lehnte sich gegen die Mauer des mittelalterlichen Turms, so als könnten ihm die alten Steine irgendeinen Rat geben. Fieberhaft dachte er über eine geeignete Ausrede nach.

Ein paar Schritte entfernt lag die Katze und schnurrte friedlich.

Er sah auf seine Überlebens-Armbanduhr, die mit Hö-henmesser und Barometer ausgestattet war. Außerdem besaß sie einen Wasserfi lter, Nadel und Faden, um Wun-den zu nähen, einen Angelhaken, eine fünf Meter lange Nylonleine, eine Minitaschenlampe, einen Kompass, ei-nen ewigen Kalender und Zeitanzeigen von New York, Paris und Schanghai.

Fünf vor drei.Am Fuß des Turmes begann ein steiler Pfad, der zur

alten Mühle hinunterführte. Wenn er sofort losginge, würde er rechtzeitig zum Begrüßungsapplaus für die be-rühmte Schriftstellerin beim Zelt ankommen – wie hieß sie doch gleich? Paola Irgendwas. Paola oder Appuleia Soundso.

»Nein!«, murmelte er und schreckte die Katze auf. »Ap-puleia ganz bestimmt nicht.«

In der Ferne sah er einen blauen Bus vorbeisausen. Am Vormittag waren drei solcher Busse vom Dorfplatz in Richtung Meer losgefahren. Und alles nur wegen der Hundertjahrfeier: Die Kinder sollten sich an Karneval mit der Lesung amüsieren, während die Erwachsenen einen Ausfl ug an den Strand machten.

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Die Gemeinde hatte das alles organisiert, um den hun-dertsten Geburtstag eines berühmten Dorfbewohners zu feiern. Oder vielleicht auch seinen hundertsten Todes-tag. Auf jeden Fall irgendetwas Hundertjähriges. Anto-nello konnte sich beim besten Willen nicht mehr an den Grund für die Feierlichkeiten erinnern. In der Schule hat-ten die Lehrer es ihnen noch erklärt – aber er hatte nur darüber nachgedacht, wann es endlich klingeln würde.

Das Schöne war, dass fast alle Erwachsenen bei dem Gemeindeausfl ug dabei waren und sie die Häuser des Dorfes den Alten, Kindern und Pfadfi ndern überließen.

Auch seine Eltern waren mitgefahren.Sie waren um vier Uhr morgens aufgestanden, hatten

gepackt und sich die roten Kappen aufgesetzt, die für alle Teilnehmer Pfl icht waren. Auf denen stand: REISEAGEN-TUR MIRAMONTI – Piazza Aldo Garambois 11 – Oulx (Turin), Italien. Dann hatten sie ihre Koffer zum Bus geschleppt und waren abgefahren.

An den Turm gelehnt musste Antonello kichern, als er an die Kappen denken musste. »Ich gehe nicht hin«, entschied er dann.

Die Glocke von der Kirche San Rocco schlug dreimal.Er verabschiedete sich von der Katze und bog in den

Pfad ein, der zur alten Mühle führte. Rasch stieg er durch den Wald ins Tal und achtete dabei auf einen festen Tritt, damit er nicht auf dem gefrorenen Boden ausrutschte. Dabei trat er in die gleichen Fußspuren, die er am Tag zu-vor hinterlassen hatte. Er hüpfte durch den Schnee, und

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als er an der Mühle ankam, lief er nicht zum Dorfplatz, sondern nahm einen zweiten Pfad, der sich am zugefro-renen Bach bis zum Friedhof schlängelte.

Noch einmal sah er den Sarazenen-Turm zwischen den Baumwipfeln emporragen und fragte sich, wer diese krie-gerischen Sarazenen wohl gewesen waren.

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DIE KRIEGER

Der Schnee fi el dicht und schwer auf die Hügel im Nor-den des Reiches. Die höchsten Gipfel der Berge von Tar-kaan verschwanden im Nichts, graue Wolken verschluck-ten sie. Die Krieger, die seit undenkbaren Zeiten dort wohnten, hatten sie die ›Berge des Feuergottes‹ getauft. Denn bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang erstrahl-ten sie rot wie glühende Lava. Für manche Reisende je-doch sah das eher aus wie Blut, sodass sie die Berge furchtsam ›Blutige Klingen‹ nannten.

In diesen Monaten waren jeder Fels und jede Zacke mit einer dicken weißen Schicht bedeckt. Nur die Hauptstadt des Reiches der Kolosse nicht, die ›Verborgene Stadt‹. Viele hatten sie gesucht, nur wenige sie je gefunden. Die Verborgene Stadt war eine grau-weiße Burg, mehr einer Felsnadel ähnlich als einer richtigen Stadt. In ihrem In-neren war es warm und gemütlich. Die Häuser waren be-

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heizt und hatten fl ießend Wasser. Ein uralter Zauber hielt den Schnee fern und verhinderte, dass der Wind durch die Straßen pfi ff oder Stürme den schma len Wassergra-ben überquerten, der um die Stadt herum gezogen war.

Zu Beginn jeden Winters stellten die Kolosse ihre Kämpfe ein, egal welche mutigen Gegner sie gerade her-ausforderten. Sie zogen sich in die Verborgene Stadt zu ihren Ehefrauen zurück, genossen die Zeit des Schnees und gaben sich erholsameren Tätigkeiten hin: Sie jag-ten, sie schliefen, sie tranken ausgiebig, sie polierten ihre Schwerter und Rüstungen, sie verglichen ihre neues-ten Narben und erzählten sich, wie sie sich diese geholt hatten. So war es immer gewesen, schon seit Urzeiten.

Doch dann hatte sich etwas verändert: Eine düstere Stille lag über den Straßen der Verborgenen Stadt. Nur noch wenige Krieger wollten noch von ihren Abenteuern berichten. Denn im Laufe der Jahre hatten die unbesieg-baren Bewohner der Berge entdeckt, dass sie dazu ver-dammt waren, langsam auszusterben. Ihre Frauen waren nicht mehr so fruchtbar und in der Verborgenen Stadt kamen immer weniger Kinder zur Welt. Immer weniger.

Schließlich wurde gar kein Kind mehr geboren.Als sie begriffen, was das bedeutete, rief Machan, der

Anführer des Krieger-Clans, eine außerordentliche Ver-sammlung ein, auf der dieses Problem besprochen wer-den sollte. Im Kriegshaus fanden sich die zwölf stärksten Kämpfer des Clans ein und nahmen in einem kreisrun-den Saal Platz, den sie erst nach einer gründlichen Rei-

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nigung in der dampfenden Therme betreten durften. Auf der nackten Haut trugen sie nur die geheiligten Waffen des Vulkan-Ordens.

»Es ist, als wären wir schon tot!«, begann Machan düs-ter, während er sich erhob und mit beiden Fäusten über dem dunklen Holztisch herumfuchtelte. Die Metallplat-ten seiner Zeremonienrüstung schepperten.

Die anderen zwölf im Saal verstummten.Sie saßen um einen großen Holztisch herum, der von

einem Blitz gespalten worden war. Die massiven Stühle waren mit Büffelleder bezogen, das merkwürdigerweise violett gefärbt war.

Ansonsten war der Saal leer und schmucklos – bis auf einige Trophäen, die an den Wänden hingen: zwölf Köpfe von Putch-Gauklern, deren Vorführungen einem der alten Clan-Chefs offensichtlich nicht gefallen hatte, und eine riesige Yalatu-Pfote mit Krallen so lang wie ein Pfl ug.

Langes Schweigen folgte Machans Ausruf; schließlich hob einer der zwölf Krieger die Hand und erkundigte sich, warum der Boss so wütend sei.

»Die Jahre vergehen und niemand ersetzt uns!«, knurrte der Chef des Clans.

»Du redest von dir, Machan!«, erwiderte ein jüngerer Krieger. Er war einer von denen, die erst vor Kurzem in die Stadt zurückgekehrt waren. »Ich bin noch jung und stark! Und ich habe unbändige Lust, die Flix in Stücke zu hauen!«

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Irgendjemand kicherte, doch der Leiter der Versamm-lung gab sich damit nicht zufrieden. »Wozu? Ohne Kin-der ist unser Ende besiegelt!«

»Das ist der Fluch von Moltrhon!«, brüllte ein großer, fetter Krieger und reckte den Arm in die Luft, als wollte er einen strafenden Blitz heraufbeschwören.

Alle – auch die, die sich im Götterkult nicht so be-sonders gut auskannten – wussten, dass Moltrhon der unberechenbare Herr des Unglücks war, der sich ei-nen Spaß daraus machte, auf gut Glück Blitze loszu-schleudern.

Da der alte Krieger nicht zu Asche zerfi el, blickte Machan ihm fest in die Augen. »Nutze deinen Arm zum Kämpfen, Fraskius! Ziehe nicht noch anderes Leid auf uns. Außerdem ist es egal, wer schuld daran ist! Nur Weiber wollen wissen, woher die Probleme stammen. Wir ver-nichten Probleme.«

Fraskius rührte sich nicht und reckte weiter grimmig den Arm in die Höhe.

»Vernichten wir das Problem!«, schrie einer.»Ja«, brummte ein anderer. »Das ist recht.«»Egal, wer schuld daran ist!«»Weibchen!«, zischte jemand Fraskius zu und löste da-

mit fast eine Schlägerei aus.»Vernichten wir sie!«»Zerstören wir die Probleme!«»Und wie?«»Stimmt! Wie eigentlich?«

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»Hört mir zu!«, donnerte Machan. »Wenn die Bergko-losse von Tarkaan von ihren Frauen keine Jungen mehr bekommen, heißt das, dass sich die Bergkolosse von Tar-kaan ihre Jungen aus einer anderen Welt holen. Wir tref-fen uns morgen zur gleichen Zeit in diesem Saal wieder. Und jeder von euch trägt seine Lösung vor.« Danach legte er seine Rüstung ab und ging.

Verblüfft starrten zwölf Krieger auf den leeren Platz. Dann redeten auf einmal alle durcheinander und jeder überlegte, was zu tun sei. Das schien kein einfaches Unterfangen zu sein, und sie hatten nur einen Tag Zeit. Manche Dinge sollte man eigentlich mit mehr Ruhe an-gehen, warf einer ein. Es wäre nicht so leicht, mal eben ein paar Kinder zu fi nden, bei der Kälte, die draußen auf sie wartete. Einige Krieger verkündeten, dass sie eine Lösung wüssten, aber die wollten sie jetzt nicht sagen, weil sie ihnen ja geklaut werden könne. Und die Übrigen beschränkten sich im besten Kolosse-Stil darauf, rechts und links mit eingeschlagenen Schädeln zu drohen.

Plötzlich sagte der kleinste und meist durchtrainierte Krieger, der etwas abseits in einer Ecke saß: »Ich geh ja-gen. Das hilft mir beim Denken.«

»Gute Idee, Lut!«, stimmte sein Tischnachbar, der wilde Urtgarten, zu, der immer darauf brannte, irgend-ein Tier aufzuspüren. Er wuchtete seinen kräftigen, brei-ten Körper von dem violetten Sessel und marschierte mit kindlicher Begeisterung los, um seine Waffen zu holen.

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»Man sieht sich, Jungs«, verabschiedete sich Lut und folgte seinem Kameraden aus dem Kriegshaus. »Ich und Urt gehen jetzt Kraken jagen.«

Die übrigen Kolosse am Tisch sahen sich zufrieden an: Auch wenn sie keine passende Lösung für das Problem bis zum nächsten Tag fänden, so gäbe es doch wenigs-tens eine hervorragende Schneekraken-Suppe.

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DIE KRAKE

Der Dorffriedhof erstrahlte im Sonnenlicht, von den Grab-steinen tropften glitzernde Eiszapfen. Antonello verließ den Mühlenpfad und lief mit erhobener Nase immer an der grauen Mauer des Gottesackers entlang. Bevor er die Ecke mit dem Haupteingang erreichte, überprüfte er, ob auch niemand dort war. Zum Glück hielt Don Sergio um diese Uhrzeit noch sein Mittagschläfchen: Das Tor war mit Kette und Vorhängeschloss verriegelt.

Antonello überquerte den engen, kiesbedeckten Platz und bog in einen zweiten Weg ein, der von Pappeln gesäumt war. Diese Bäume boten ihm einen gewissen Schutz, falls ein bekanntes Auto vorbeifahren sollte.

Hatte er etwa ein schlechtes Gewissen, weil er nicht zu der Lesung der berühmten Fantasy-Autorin gegan-gen war?

Vielleicht schon. Aber das reichte natürlich nicht aus, um seine Meinung zu ändern.

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Nach einem kurzen Fußmarsch durch den Schnee er-reichte er den Rand der Schnellstraße. Dort blieb er ste-hen und schaute sich noch einmal um. Autos waren nicht zu sehen, weder aus der einen, noch aus der anderen Richtung.

»Super …«, murmelte er. Er musste nur die Straße überqueren, das war alles. Auf der anderen Seite erkann te er schon einen schmalen Weg zwischen den Bäumen, auf dem er zum Fluss gelangen konnte – dem Ort, der jede Menge Spaß bedeutete: Das Wasser sprudelte dort durch die Felsblöcke und die Steinbrechgewächse, und Anto-nello könnte einen Damm bauen, mit trockenen Ästen ein Feuer entfachen, über das Eis schliddern, einen ge-frorenen Wasserfall hochklettern, Forellen fangen, mit Kieseln Eiszapfen abschießen und noch Tausend andere verbotene Dinge tun.

›Eins nach dem anderen‹, ermahnte er sich selbst; seine Wangen hatten sich durch die aufregende Flucht hochrot gefärbt. ›Jetzt erst mal über die Straße.‹

Rasch sah er noch einmal die Straße hinunter, sprang auf die Fahrbahn, machte zwei schnelle Schritte, über-querte mit dem dritten die weiße Mittellinie, noch zwei Schritte und da … hupte es.

Es hupte?Antonello blieb wie angewurzelt stehen. Ein Winter-

stiefel steckte bereits im Schnee, der andere stand noch auf dem Asphalt. Ein viereckiger gedrungener Schatten war, quasi aus dem Nichts, neben ihm aufgetaucht. Es

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Pierdomenico Baccalario

Das Volk von Tarkaan

Taschenbuch, Broschur, 352 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-570-28036-2

cbj

Erscheinungstermin: April 2012

Riesige Ungeheuer, tapfere Kinder und ein Ausflug in eine skurrile, fantastische Welt! Damit hat niemand gerechnet! Auf der lang geplanten Jubiläumsfeier der Pfadfinder tauchenplötzlich zwei riesige, bis an die Zähne bewaffnete Ungetüme auf, schnappen sich eine HandvollKinder und sind verschwunden, ehe sich jemand überhaupt rühren kann … Wo kommendiese Ungeheuer bloß her und warum sehen sie so aus wie die Kolosse in dem Buch derFantasieautorin Apollonia J. Brennan? Für den tapferen Antonello und seine Freunde steht fest,dass sie diese Fragen nur beantworten können, wenn sie sich an die Fersen der riesenhaftenKerle heften und die anderen retten …