Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

8
Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 1 ) H. P. MOLITORIS, Regensburg 2 ) Erwähnt man heute Pilze in medizinischem Zusammenhang, so denkt man meist entwe- der an Produzenten von Antibiotika, wie z. B. den imperfekten Pilz Penicillfum, oder an Giftpilze, wie den Grünen Knollenblätterpilz, Amanita phalloides. - Wir wollen uns je- doch hier mit der zwar verhältnismäßig klei- nen aber wichtigen Gruppe der Großpilze oder Makromyceten beschäftigen, zu denen sowohl Schlauchpilze (Askomyceten) als auch Ständerpilze (Basidiomyceten) gehö- ren. Von diesen sollen diejenigen behandelt werden, die als Heilpflanzen Bedeutung hat- ten, noch haben oder vielleicht bekommen werden. Dabei verzichten wir wegen der Fül- le des Materials bewußt auf die große Grup- pe der Antibiotika-bildenden niederen Pilze und auf die vielfach als Heilmittel eingesetz- ten Flechten, die eine Symbiose von Pilzen mit Algen darstellen. I- Pilze: Definition und Erforschung Stellen wir uns zunächst die Frage, was für Lebewesen die Pilze sind, die uns ja, bewußt oder unbewußt, in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens begegnen, sei es als Schad- oder als Nutzorganismen. Pilze sind kernhaltige (eukaryontische) Orga- nismen, deren Organisation von einfachen, undifferenzierten, mikroskopisch kleinen Einzellern bis zu großen, hoch differenzier- ten Gebilden mit weitverzweigtem Myzel und Fruchtkörpern aus Flechtgewebe (Plekten- chym) reicht. In ihrer Lebensweise nehmen sie eine Zwischenstellung zwischen dem Pflanzen- und Tierreich ein, insbesondere da sie keine photosynthetischen Pigmente be- sitzen und daher zur Energiegewinnung auf den Abbau organischen Materials tierischer °der pflanzlicher Herkunft angewiesen sind. Sie leben entweder symbiontisch mit ande- rn Lebewesen, zum Beispiel mit Algen in Form der Flechten oder mit Baumwurzeln als Mykorrhiza, oder parasitisch auf lebenden Wirten (Pflanze oder Tier), oder auch sapro- Phytisch auf totem, organischem Material. Ihre Lebenszyklen sind sehr vielgestaltig und teilweise recht kompliziert. Dies und einige der oben angeführten Eigenschaften führten dazu, daß einerseits genaue Kenntnisse über Pilze erst in jüngerer Zeit durch die Entwick- lung entsprechender mikroskopischer und biochemischer Methoden gewonnen wur- den, andererseits waren dies aber die Grün- de, weshalb Pilze seit alters das Interesse der Menschen in besonderem Maße erregten, 2 Auazug aus einem Vortrag an der Versuchsanstalt für ^teanbau der Undwirtschaftskammer Rheinland. Krefeld. ^Prof. Dr. H. P. Molftoris, Botanisches Institut der Universi- ^Kegensburg. und zwar nicht nur, weil sie als Speise- oder Giftpilze gleichermaßen geschätzt bzw. ge- fürchtet waren, sondern auch aus vielen an- deren Gründen: So beschäftigten Pilze die Phantasie unserer Vorfahren — wegen ihrer Herkunft, da sie nicht aus sichtbaren Samen entstanden, — wegen ihres schnellen Wuchses, sie schießen wie die Pilze aus dem Bo- den ...", zum Beispiel die Stinkmorchel, Phallus impudicus, deren Länge inner- halb von 2 bis 3 Stunden um 15 bis 20 cm zunehmen kann, — wegen ihrer schnellen Vergänglichkeit, — wegen der Kraft ihres wachsenden Fruchtkörpers, die selbst Steinplatten hochheben kann, — wegen der Größe des Fruchtkörpers, die bei einigen Pilzen, zum Beispiel dem Rie- senbovist, Calvatia gigantea, bis zu 150 cm Durchmesser erreichen kann, — wegen ihres Geruches („Stinkmorchel!"), — wegen ihrer auffallenden Farbe, wie bei Leccinum aurantiacum, der „Rotkappe", — wegen ihres Farbwechsels, nach dem der Hexen-Röhrling, Boletus lurldus, im Volksmund auch „Farbverkehrer" ge- nannt wird, — oder sogar wegen ihres Leuchtens im Dunkeln, das bei Armlllaria mellea, dem Hallimasch, beobachtet werden kann. Lang war jedoch der Weg von den ver- schwommenen, mythischen Vorstellungen unserer Vorfahren bis zu unseren heutigen Kenntnissen über die Pilze, ein Weg, von dem ich einige Stationen aufzeigen möchte. Zu den frühesten erhaltenen Pilzdarstellun- gen gehören das Fresko eines Giftpilzes aus einem ägyptischen Grab um 1450 v. Chr. so- wie die mittelamerikanischen „Pilz-Steine" in Menschengestalt aus dem 1. vorchristli- chen Jahrtausend [9]. Im 5. Jahrhundert v. Chr. werden Pilze mehrfach bei den grie- chischen Schriftstellern und Naturwissen- schaftlern Euripides und Hippokrates er- wähnt, u. a. auch als Heilmittel. Bei den Rö- mern waren Pilze sowohl als Leckerbissen bekannt wie auch als Giftpilze „beliebt". Ein Wandfresko in der 79 n. Chr. vom Vesuv ver- schütteten Stadt Pompeji zeigt mit großer Wahrscheinlichkeit Lactarlus deliciosus, unseren Blutreizker [1, 14]. Im ersten nach- christlichen Jahrhundert tragen Plinius und Dioscorides das Wissen ihrer Zeit in ihren Schriften zusammen. Diese werden jedoch in der Folgezeit meist immer nur abgeschrie- ben oder zitiert, und bis ins hohe Mittelalter erweiterte sich der Kenntnisstand über Pilze nur geringfügig. So wird zum Beispiel immer wieder die Ansicht Plinius* wiedergegeben, Pilze seien giftig, wenn sie am Aufenthaltsort giftiger Reptilien vorkämen, oder Pilze seien Nachkommen von Hexen und entstünden aus Blitz und Donner. Als Beispiel ist in Abb. 1 eine Seite aus dem berühmten „Kreu- terbuch" des Hieronymus Bock (1577) wie- dergegeben, einem der sogenannten „Väter der Botanik", der aber bereits neben der Wiedergabe von Beschreibungen des Plinius und des Dioscorides auch schon eigene Be- obachtungen verwertete und durch eine Rei- he von Holzschnitten ergänzte [5]. H. Bock beschrieb die Pilze folgenderma- ßen: „Alle Schwemme seind weder Kreutter noch wurtzelen, weder blumen noch samen, sonder eyttel oberflüssige feuchtigkeyt der Erden, der Bäume, der faulen höltzer und an- derer faulen dingen. Von solcher feuchtigkeit wachsen alle Tubera und Fungi. Das kan man daran warnemen, alle obgeschribene Schwemme, sonderlich die so inn den Ku- chen gebraucht werden, wachsen am mey- sten wann es Dondern und regnen will, sagt Aquinas Poeta. Darumb die alten sonderlich acht darauff gehapt, und gemeint das die Tu- bera (dieweil sie von keinem same auffkom- men) mit dem Himmel etwz Vereinigung ha- ben. Auff dise weiß redet auch Porphyrius, und spricht, der Götter Kinder heißen Fungi und Tubera, darumb das sie ohn samen und nicht wie andere Leut geboren werden." Erst M. Malphighi beschreibt in seiner „Ana- tome plantarum" (1675) die „Samen" der Pil- ze, und P. A. Micheli - in seiner „Nova plan- tarum genera" (1729) - erkennt die Bedeu- tung und weist die Funktion dieser Struktu- ren experimentell nach, die wir heute Sporen nennen. Mit C. v. Linnee, C. H. Persoon und E. Fries beginnt dann im 16. Jahrhundert die moderne Taxonomie und Systematik der Pil- ze, gefolgt von den physiologischen und bio- chemischen Untersuchungen der Gegen- wart. II. Pilze als Heilmittel in der Vergan- genheit Parallel mit dem zunehmenden Interesse an Pilzen als Nahrung, Gift, Schadorganismus oder wissenschaftlichem Versuchsobjekt ging auch ihre Verwendung als Heilmittel. Neben der Erwähnung in frühen chinesi- schen und indischen Schriften wurden Pilze im europäischen Bereich schon im 5. vor- christlichen Jahrhundert als Heilmittel ge- schätzt und bereits damals mit eigenen Na- men belegt [12,14J. Eine Auswahl von Heil- pilzen der Vergangenheit ist in Tabelle 1 mit ihren verschiedenen Namen und der Be-

Transcript of Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

Page 1: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

P i l z e a l s H e i l p f l a n z e n i n V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t u n d

Z u k u n f t 1 )

H. P. MOLITORIS, Regensburg 2 )

Erwähnt man heute Pilze in medizinischem Zusammenhang, so denkt man meist entwe­der an Produzenten von Antibiotika, wie z. B. den imperfekten Pilz Penicillfum, oder an Giftpilze, wie den Grünen Knollenblätterpilz, Amanita phalloides. - Wir wollen uns je­doch hier mit der zwar verhältnismäßig klei­nen aber wichtigen Gruppe der Großpilze oder Makromyceten beschäftigen, zu denen sowohl Schlauchpilze (Askomyceten) als auch Ständerpilze (Basidiomyceten) gehö­ren. Von diesen sollen diejenigen behandelt werden, die als Heilpflanzen Bedeutung hat­ten, noch haben oder vielleicht bekommen werden. Dabei verzichten wir wegen der Fül­le des Materials bewußt auf die große Grup­pe der Antibiotika-bildenden niederen Pilze und auf die vielfach als Heilmittel eingesetz­ten Flechten, die eine Symbiose von Pilzen mit Algen darstellen.

I- Pilze: Definition und Erforschung

Stellen wir uns zunächst die Frage, was für Lebewesen die Pilze sind, die uns ja, bewußt oder unbewußt, in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens begegnen, sei es als Schad- oder als Nutzorganismen. Pilze sind kernhaltige (eukaryontische) Orga­nismen, deren Organisation von einfachen, undifferenzierten, mikroskopisch kleinen Einzellern bis zu großen, hoch differenzier­ten Gebilden mit weitverzweigtem Myzel und Fruchtkörpern aus Flechtgewebe (Plekten-chym) reicht. In ihrer Lebensweise nehmen sie eine Zwischenstellung zwischen dem Pflanzen- und Tierreich ein, insbesondere da sie keine photosynthetischen Pigmente be­sitzen und daher zur Energiegewinnung auf den Abbau organischen Materials tierischer °der pflanzlicher Herkunft angewiesen sind. Sie leben entweder symbiontisch mit ande­r n Lebewesen, zum Beispiel mit Algen in Form der Flechten oder mit Baumwurzeln als Mykorrhiza, oder parasitisch auf lebenden Wirten (Pflanze oder Tier), oder auch sapro-Phytisch auf totem, organischem Material. Ihre Lebenszyklen sind sehr vielgestaltig und teilweise recht kompliziert. Dies und einige der oben angeführten Eigenschaften führten dazu, daß einerseits genaue Kenntnisse über Pilze erst in jüngerer Zeit durch die Entwick­lung entsprechender mikroskopischer und biochemischer Methoden gewonnen wur­den, andererseits waren dies aber die Grün­de, weshalb Pilze seit alters das Interesse der Menschen in besonderem Maße erregten,

2 Auazug aus einem Vortrag an der Versuchsanstalt für ^teanbau der Undwirtschaftskammer Rheinland. Krefeld. ^Prof. Dr. H. P. Molftoris, Botanisches Institut der Universi-^Kegensburg.

und zwar nicht nur, weil sie als Speise- oder Giftpilze gleichermaßen geschätzt bzw. ge­fürchtet waren, sondern auch aus vielen an­deren Gründen:

So beschäftigten Pilze die Phantasie unserer Vorfahren — wegen ihrer Herkunft, da sie nicht aus

sichtbaren Samen entstanden, — wegen ihres schnellen Wuchses, sie

schießen wie die Pilze aus dem Bo­den ...", zum Beispiel die Stinkmorchel, Phallus impudicus, deren Länge inner­halb von 2 bis 3 Stunden um 15 bis 20 cm zunehmen kann,

— wegen ihrer schnellen Vergänglichkeit, — wegen der Kraft ihres wachsenden

Fruchtkörpers, die selbst Steinplatten hochheben kann,

— wegen der Größe des Fruchtkörpers, die bei einigen Pilzen, zum Beispiel dem Rie­senbovist, Calvatia gigantea, bis zu 150 cm Durchmesser erreichen kann,

— wegen ihres Geruches („Stinkmorchel!"), — wegen ihrer auffallenden Farbe, wie bei

Leccinum aurantiacum, der „Rotkappe", — wegen ihres Farbwechsels, nach dem der

Hexen-Röhrling, Boletus lurldus, im Volksmund auch „Farbverkehrer" ge­nannt wird,

— oder sogar wegen ihres Leuchtens im Dunkeln, das bei Armlllaria mellea, dem Hallimasch, beobachtet werden kann.

Lang war jedoch der Weg von den ver­schwommenen, mythischen Vorstellungen unserer Vorfahren bis zu unseren heutigen Kenntnissen über die Pilze, ein Weg, von dem ich einige Stationen aufzeigen möchte. Zu den frühesten erhaltenen Pilzdarstellun­gen gehören das Fresko eines Giftpilzes aus einem ägyptischen Grab um 1450 v. Chr. so­wie die mittelamerikanischen „Pilz-Steine" in Menschengestalt aus dem 1. vorchristli­chen Jahrtausend [9]. Im 5. Jahrhundert v. Chr. werden Pilze mehrfach bei den grie­chischen Schriftstellern und Naturwissen­schaftlern Euripides und Hippokrates er­wähnt, u. a. auch als Heilmittel. Bei den Rö­mern waren Pilze sowohl als Leckerbissen bekannt wie auch als Giftpilze „beliebt". Ein Wandfresko in der 79 n. Chr. vom Vesuv ver­schütteten Stadt Pompeji zeigt mit großer Wahrscheinlichkeit Lactarlus deliciosus, unseren Blutreizker [1, 14]. Im ersten nach­christlichen Jahrhundert tragen Plinius und Dioscorides das Wissen ihrer Zeit in ihren Schriften zusammen. Diese werden jedoch in der Folgezeit meist immer nur abgeschrie­ben oder zitiert, und bis ins hohe Mittelalter erweiterte sich der Kenntnisstand über Pilze

nur geringfügig. So wird zum Beispiel immer wieder die Ansicht Plinius* wiedergegeben, Pilze seien giftig, wenn sie am Aufenthaltsort giftiger Reptilien vorkämen, oder Pilze seien Nachkommen von Hexen und entstünden aus Blitz und Donner. Als Beispiel ist in Abb. 1 eine Seite aus dem berühmten „Kreu­terbuch" des Hieronymus Bock (1577) wie­dergegeben, einem der sogenannten „Väter der Botanik", der aber bereits neben der Wiedergabe von Beschreibungen des Plinius und des Dioscorides auch schon eigene Be­obachtungen verwertete und durch eine Rei­he von Holzschnitten ergänzte [5]. H. Bock beschrieb die Pilze folgenderma­ßen: „Alle Schwemme seind weder Kreutter noch wurtzelen, weder blumen noch samen, sonder eyttel oberflüssige feuchtigkeyt der Erden, der Bäume, der faulen höltzer und an­derer faulen dingen. Von solcher feuchtigkeit wachsen alle Tubera und Fungi. Das kan man daran warnemen, alle obgeschribene Schwemme, sonderlich die so inn den Ku­chen gebraucht werden, wachsen am mey-sten wann es Dondern und regnen will, sagt Aquinas Poeta. Darumb die alten sonderlich acht darauff gehapt, und gemeint das die Tu­bera (dieweil sie von keinem same auffkom-men) mit dem Himmel etwz Vereinigung ha­ben. Auff dise weiß redet auch Porphyrius, und spricht, der Götter Kinder heißen Fungi und Tubera, darumb das sie ohn samen und nicht wie andere Leut geboren werden." Erst M. Malphighi beschreibt in seiner „Ana-tome plantarum" (1675) die „Samen" der Pil­ze, und P. A. Micheli - in seiner „Nova plan­tarum genera" (1729) - erkennt die Bedeu­tung und weist die Funktion dieser Struktu­ren experimentell nach, die wir heute Sporen nennen. Mit C. v. Linnee, C. H. Persoon und E. Fries beginnt dann im 16. Jahrhundert die moderne Taxonomie und Systematik der Pil­ze, gefolgt von den physiologischen und bio­chemischen Untersuchungen der Gegen­wart.

II. Pilze als Heilmittel in der Vergan­genheit

Parallel mit dem zunehmenden Interesse an Pilzen als Nahrung, Gift, Schadorganismus oder wissenschaftlichem Versuchsobjekt ging auch ihre Verwendung als Heilmittel. Neben der Erwähnung in frühen chinesi­schen und indischen Schriften wurden Pilze im europäischen Bereich schon im 5. vor­christlichen Jahrhundert als Heilmittel ge­schätzt und bereits damals mit eigenen Na­men belegt [12,14J. Eine Auswahl von Heil­pilzen der Vergangenheit ist in Tabelle 1 mit ihren verschiedenen Namen und der Be-

Page 2: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

fcgctV^mm 6trt> ^arcfunc; III Cflat

$><m bcn Hamern # < ® c f t n ^ m e f c M men/Jonbcrepttclx>oer^ cn^dlftcrwDanDmrMmDinsfn. 93onfo^erfcuf^igfat warfen ab

^ - r KXitberatmbtfungi. ̂ affanmanöarannjarnemen/aaeobgcfcbiibfne Ji*i»«i*Sät. <ö^mcmme/ fonber(ic$ bie fo inn ben Xufyn gehaud&t »erben / warfen am maßen E'fa"*' i**<« tcannniOonttmmbugmnrviWfa^tZquinae J>oeta. SarumboHalttiifontKrlicb »mt™* «efctbarauffgcfapttmbgemnnebaabu2ub^ ^ m m ) m t i ^ ^ e f r ( i M o c r a n i 9 t t n ^ ^ 3luffMrrtp<tßrfDfeauc%po:pJ>pnu5/

imbnieftttpicanbereicufgebojentocrbeti. Ä io f fw iDce^ t^cp capitc(t>on ©ffcmemmen gefd&Hben /ba*crft im ij VbiUh t.

<*V<miWmt>W Thc.phrtßm. 3u;u t tcn /$ f t£eMfc fc^ tmbbepctUcben©eraroa Otd*.n.jfcbä. Stiften. jnnQcrapwntcapxqwvj.fotoXamtcf). Jr*cut*L

befc$n^/tmnbtt>crben aUefampt/gftttmb bog /grof tmb fUtn/Jungüftlaeingencn* * nct. ^ ie©ncc$cnabcrbcuttenf i *au/ f ;&j^ cap. cctfwj. r

Äoc$ »erben von anbtrn &<x\bmttn SSofcei tmnb Xmanitt ge$rtfTen/bic ba inn bfrrp«#^euc^(if^fnnb.eo(c^c n<nn<tmaniüX€utfcf)J}cit>€riin$vnv&iutd>Un& barumb bat fKaufft>tn$t»m ober Siufän gern warfen. SitTSthUnnammfit Camptntonrt.

£)i<biittm Sc$»emmeb»bcngefe$e/ ntmtt man beptme T>fifftrtina/fyi((tn $. trdPffffWing/smbto 3 m Äfofe Santax ober 2Üco:fop$.c ap.;t>n].

ÄKWcrDtfnadlen ©cfcwcmmemitir}:ea^fo^rfc^frtneÄrtmartÄ5cfii!g/mddi . fm»o(im@a(cno3mamtcfctn /bfcmrtbcn finncleefcecn fingern &ctflci man £enb<l> fc$»emm/$ft latin £)\$itcUi.

2)ie ßnffteb2aum&^ttHmmnmnmU(4^bmtodlbn926tUn^ f. 35ie fecfc|tt pfiffet man (^djfdjnxffi t>rt £afcn (Wcin/ber gefialt batbt l Xcpupruft- * i ö i e f u b m b e a r t n m n c t m a n 3 t o b o b f r 3 u g | ^ ^ / •

bern im 3ugf!monae tmb fonft nimmer fiinbcn »erbot. 3nbrrc Schwemme fonic&e in ber fpetfegeb:auc$f »erben/akbiemff rotffebern

*bcrjogcn/imnb»rifrcfttfpfjflcinw M*fu*i. mc/ SRufcartj ju iafin.

SRwabcr filr ®e$»emme wtben an bat wur*efn Der 2*um»ac$fen/r)ci(Fen 2k* gn*n^/fonbcHif^br<anbcn3fpfnfiinbm»erbfn. Z>ar^tn/wa$anbtnfimmmaU T*nrnimm*»thw. Irr 95eum für © e fcwemm »acifcfe n/ Riffen 2frbojet/ tmb wann fie bün »erben/ba* man /^„ry. fie tarn 5e»er»ercf b:aite$et/nenne*manfte3gnario*/£unbrrfc$»emm. ®on|t mag einem jeben (Sri^amm/nac^fetntfart&nnbgefiaferin namen gegeben werben. 2U* bierunbenöeiflen-öuaei/iüeeuefe^ Gliben fijl Ä i e lucfen ©djwemm griffen r . -@pongiou7 bie groben riin^efccfctc pomgionof?/ bie langen iOt gitcOi. (Seuche Sef* w '

filestmnb ©ptmil i / (TarbeouV )5:una(t/ nacfybemfie an dornen ober £>if!clen »ac$* f * ' im. Ä i e Araber nennende Schwemm ©ofia tmnbjjcficfc/ (Tautar tmnb 3Uco*

fepfc. <©cn fciwn Jbofefdimamm nennrt«® wfrp;ibe^ Ub-iijjapj. Qiaarimm.

Abb. 1: Mittelalterliche Definition von Pilzen. Seite 332 aus dem „Kreutterbuch" des Hieronymus Bock. Straßburg, 1577.

Abb. 2: „Äußerliche" Verwendung von Pilzen als Heilmittel im Mittelalter. H. Bock, „Kreutterbuch". Straßburg. 1577. S. 333.

Zeichnung der Droge, beziehungsweise ihres Wirkstoffes, aufgeführt. - Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, waren mindestens die vier zuerst genannten Pilze bereits bei den Griechen und Römern mit eigenen Namen bekannt [14]. Die wichtigsten Pilze sollen im folgenden kurz besprochen werden.

Der Zunderschwamm, Fomes fomentarlus, der als Parasit auf Laubbäumen mehrjährige große Fruchtkörper bildet und in ganz Euro­pa vorkommt, wurde schon sehr frühzeitig zum Stillen von Blut („fungus chirurgorum") und zum Ausbrennen von Wunden verwandt. H. Bock berichtet darüber in seinem „Kreut­terbuch" (vgl. Abb. 2): „Eusserlich. Die Schwemme werden nicht sehr am leib außwendig genützt, außgenommen die Ho­lunderschwemm, die haben das geschrey das sie allerley hitz und geschwulst sollen löschen unnd nider trucken, zuvor inn Rosen wasser oder Wein geweycht und oberge­legt." Auch die Verwendung zahlreicher Stäub-lings-Arten von Calvatia und Lycoperdon, die zu den Bauchpilzen gehören und eben­falls weit verbreitet auf Wiesen vorkommen, geht bis in die Antike zurück. Sie wurden ähnlich wie Fomes fomentarlus eingesetzt und in den mittelalterlichen Apotheken als „fungus chirurgorum" geführt. Ihre Anwen­dung wurde bei H. Bock folgendermaßen be­schrieben (Abb. 2): „Der dürre rund Bubenfist mit seinem mael unnd staub, dienet wol den fliessenden alten schaden, die werden darvon trucken, und schicken sich zur heylung." Laricifomes officinalls, der Lärchen­sch warn m, ein mehrjähriger, auf Lärchen pa­rasitierender Pilz, war unter dem Namen „fungus laricis" wohl der am häufigsten und am vielseitigsten eingesetzte Heilpilz der Vergangenheit. H. Bock schrieb dazu (vgl. Abb. 3): „Innerlich.

Das Edel, weiß, leicht und mirbe gewächß Agaricum, ist beinahe zu allen innerliche gli-dern, so von böser feuchtigkeit belade seind nützlich und heylsam, mag auch eine jeden menschen, nach seiner stercke, alter un ver­mögen, wenig oder viel gereicht werden, inn Wein, inn Honig wasser, oder sonst, wie nachvolget, nach dem der presten ist, und der mensch erleiden kan .... Solche artzney füret auß im stulgang die urs-ach von welcher die faulen Febres auff kom­men .... Dise Pillule bekommen vast wol den bleych-farbigen Weybern, unnd denen ihr blum ver­standen ist. Auch allen Podagrischen und glidersüchtigen menschen. Weitter dienen gemelte Pillule, oder das Agaricum für sich selbst zu allen Würmen, und was der mensch für unrhat gessen oder getruncken hat, dar-zu ist nutz unnd gut das eintzig gewächß Ag­aricum "

JEufiirUc?. 3(f @c^wemmeit>erbenmc^(fc^am(eibaußwenbig genitee/außgenotfien bie .f)o(unbfrf(f}nxmm/t>k Nben ba*gefd^e? ba* fitaUrrlcp hiß t>nbgefcfetvufß fcU ^ len Wfcfcen »nnb niber trwcf cn / l&u oi inn Dicfe n »afler ober SBcin gen? epety tmb

»fargelcgt. Äcrbflrironb^öpcnffffmiefeinemmdfunnb|tou&/biencfn»oftenfluffenton al S H ( ^ t n t ^ i t a h

len fcfyibc n/bic werben baruon cruefert/tmb fd)i efen fiel? £ur hrpfung. äuege». JÖierof en 5«fgenfefcn>etfi fott man ben ®?ucf en tun SÖWcfr fieben/jftnen barfUHe/

bj fie baiton ftcrbcn/bod? t>crfuitcn/bae folebee feinem anberen v\ht $ü tlypl tr erbe-

Page 3: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

Tabelle 1 ftfokromyceten «I« Heilpflanzen In der Vergangenheit

Wissenschaftlicher und deutscher Name Volkstümlicher Name Droge (Wirkstoff)

1 Fomes fomentarius (L. ex Fr.) Kickx Echter Zunderschwamm

Blut-, Wund-, Feuerschwamm Fungus chirurgorum

2 Calvatia gigantea (Batsch) Lloyd Riesenbovist

Bubenfist, Crepidum lupi = Wolfsfurtz = Wolfsfurtz

Fungus chirurgorum

3 Laricifomes officinalis (Vill. ex Fr.) Kotl. & Pouz. Lärchenschwamm

Apotheker-. Purgierschwamm Fungus laricis (Agaricin)

4 Amanita muscaria (L. ex Fr.) Hooker Fliegenpilz

Giftblaume Agaricus muscarius (Muscarin u. a.)

5 Hirneola auricula Judae Berk. Judasohr

Oge-Schwümmli Fungus sambucinus

6 Boletus satanas Lenz Satanspilz

Kuh-Fotzn, Blutpilz (Pulvinsr.- Deriv.)

7 Elaphomyces cervinus (Pers.) Schlecht Hirsch-Trüffel

Hirsch-Brunst Fungus cervinus

8 Phallus impudicus L. ex Pers. Stinkmorchel

Gichtmorchel, Gichtschwamm (Signaturlehre)

9 Trametes suaveolens (Fr.) Fr. AnJs-Tramete

Weidenschwamm Fungus Salicis

10 Cordyceps militaris (L. ex St. Amans) Link Puppen-Kernkeule

China: „Pfl. im Sommer und Wurm im Winter"

(Cordycepin)

11 Claviceps purpurea (Fr.) Tulasne Toll-, Hunger-, Kriebel-, Gift-, Seeale cornutum Mutterkornpilz Schwarzkorn, Kindesmord (Mutterkornalkaloide)

12 Psilocybe mexicana Heim Mexikanischer Zauberpilz

Mexico: Teonanakatl (Göttlicher Pilz)

(Psilocin, Psilocybin)

13 Ustilago maydis (DC) Corda Maisbeulenbrand

(Ustilagln, Carnitin)

Griech. Name Lateinischer Name (Plinius)

1 Hippokrates Aridus fomes fungorum „mykes"

2 Theophrast Pezicae „pezis"

3 Dioscorides Agaricum „agarikon"

4 Boleti veneni diluto rubore, rancido aspectu, livido intus colore. rimosa Stria, pallido per ambitum labro.

Amanita muscaria, ein weitverbreiteter My-korrhizapilz der Waldbäume, ist als Fliegen­pilz wohl einer der bekanntesten und schön­sten Pilze überhaupt. Seine Anwendung als Heilpilz in der Vergangenheit reichte von Ge­schwüren bis Tuberkulose („Auszehrung"), v on epileptischen Zuständen bis zu klimakte­rischen Beschwerden. Wegen seiner halluzi-nogenen Eigenschaften wurde (und wird) er °ei vielen Völkern in Nordeuropa und Sibi­rien bei rituellen Handlungen verwendet, z - B. bei den Kamtschadalen und Burjäten [9, 15]. Er war so wertvoll und beliebt, daß seine •Kl Urin wieder ausgeschiedenen Wirkstoffe uber mehrere Personen weitergegeben wur­den. Nach R. G. Wasson [16] müssen wir in Lesern Pilz auch das berühmte „Sorna" der indischen Veden sehen. Ein diesem Pilz ähn­elndes, großes, baumartig verzweigtes Ge­wächs ist in einem Fresko der mittelalterli­chen Kapelle von Plaincourault in Frankreich (1291) dargestellt, wovon eine kultische Be­deutung dieses Pilzes abgeleitet wird; von anderer Seite wird jedoch darauf hingewie­sen, daß es sich hierbei lediglich um den p ' lzbaum der byzantinischen und römischen K u n s t handeln könne [16]. ^'erdings dürfte J . M. Allegro in seinem ^Uch „Der Geheimkult des heiligen Pilzes" Molden, 1971) bei der kultischen Bewertung v ° n Pilzen viel zu weit gegangen sein, wenn

er die christlichen Religionen auf einen Rauschgiftkult mit Pilzen zurückführen will.

Hirneola auricula Judae, ein auf alten Holun­derstämmen häufiger Pilz, der wegen seiner Form „Judasohr" genannt wird, ist der „fun­gus sambucinus" der alten Arzneibücher. Er wurde besonders bei Entzündungen, so der Augen, eingesetzt, was auch der volkstümli­che deutsche Name „Oge-Schwümmli" an­deutet.

Der wegen seines Geruchs und seines Aus­sehens „Stinkmorchel" genannte Bauchpilz Phallus impudicus, dessen eiförmiges Ju­gendstadium auch als „Hexenei" bekannt ist, wurde früher häufig gegen Gicht ver­schrieben, was in dem Namen „Gichtmor­chel" noch zum Ausdruck kommt. Außer­dem wurde der Pilz auch - wohl wegen sei­ner Gestalt (lateinischer Name!) - nach der Signaturlehre als Aphrodisiakum genom­men.

Lib.jMäM

Xtbtxi I m *

f!lrf»/&4(ft>4t.

QrtmmcBv

Motfis.

CCDftrm. OSiffe ob« €>rfjiv rannt«

Smter(&t?* <^36(Jbel/tt>eif*/to^

gliftern/fo tum odfer feitd&f igfeif belabl feinft/nueliefe vnb fyplfamJ mag auefc ant jeften menjefeen/ naefc feiner fteref(/alter t>rt wrmtfgen/ wenig öfter »tf gereicht wer

ten/inn^in/im^oniswaffa/ober(onß/menae^uolset/me\ tarn ocrpufuttijl/ tmoftermenfefeerieiften tan.

®icfrott togft tgfmepn(t '^ tj «um* fenmit<ffamwmifefcet QRiraoergefeitftir temperaturäRefuebeffet/berßoffetfttfeit <3d>tt>atn' $a pttuier/citrenefcf i$n bann inn gafmt3Bc in/ tfyüt j&einem jeften lotfyeiti quin(mfffhffenyna,bero/temperiert*tool fture(einanfter/faf;f ftifeCRafTamtrucfeit toerften. (reüefce aberfozmi wn^Xotulae öfter Srorfetfro* ftarauß/feaurfeen fttefettigen f&rter/onbma(\ene$iüPiUulen. *2tonftftietoetl»ir j&e ftaranfeinftfommen/ioillieft D:(auD nemen/ tmnft beo bift fimpUeia/ ein rompofirton öfter einjafamen fe^ung (Wien/ btn armen (fo bie Hpoteefen njcf>f f «tonen eneiefcen) $u gut vnb toolfarf/ mb iß ftiß vn* favamifäunQoonZgarUo. iiemttbereitenZgarieummit 3ngoer(twege§d*rt)eiit ftafofot̂ /fttatpeiffen lue?enmardfown ben frembben <fofoauinten lerßoffen emtydbi Winten/ 3Rafh;r;crftofren einsalbt aumtetv Öaffran ferftoffenein» pfeftingtfcfyKT/ 3Uoq>atut}trfioff<n ij lot

J&ifefänffßuifaUefc^^ gemache/ ftarauß mag man pitiiifa*f(etn öfter groGfbnmeren/ ftoe$ fo man jfcen bereu ten imll inn fter form tmftgrd|feafe brauchen/ auefe me^t/et wann tpeniger. @o(e$e artf nep füret auf; im ftölgang ftte wfäfy t>on toelcfeer ftte faulen fiebieo anlff tommen.

. ®emelte Piflu(eftenmtpo(ftenXeiVr/*ungm ©a^filc^ria^n/aucf) Denen foftadÄarmgnmmen^abfii/t)nriD ftenen batwafferabib fcfefagm fcfctoer wäre. j&ife PtQute betommen oaß wol ben bleoe^farbiaen OTeptarn/ tmnft ftenen )fy blüm »erftanften iß. 3uc( allen poftagrtfefeen »nftglifteifdc&ftge« meis* feiert ^irfaft.Vnengeme(ee PiUufc/tffterta^ toen/*nnftttu*ftermenf<$fiii™^ faftanftggaodri^^arietim.

^etterfoj^manfttgifl^ ßietl wiü/ ober ein bautf) gmfien gewarnte/ fter neme 3garteum eint quintf fcfcttxJr lep fto/Teii/mie^inofterfteropgemelfen

«Oftes

Abb. 3: „Innerliche" Verwendung von Pilzen als Heilmittelim Mittelalter. H. Bock, „Kreutterbuch", Strasburg, 1577. S. 333.

Page 4: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

Während die bisher genannten Pilze alle den Ständerpilzen, den Basidiomyceten angehö­ren, sind Cordyceps militaris, die Puppen-Kernkeule und die nahe verwandte Art C. si­nensis, Askomyceten. Diese Pilze parasitie­ren auf Insekten, deren Panzer sie völlig mit ihrem Myzel erfüllen, bis schließlich die Fruchtkörper nach außen durchbrechen. Schon vor Tausenden von Jahren erlangten sie in China als Heil- und Stärkungsmittel Be­rühmtheit, und zwar unter einem Namen, der übersetzt lauten würde: „Pflanze im Sommer und Wurm im Winter" [1,4,10,13].

Bereits die Heilige Hildegard von Bingen (1180), Äbtissin eines Benediktinerinnenklo­sters und erste Naturforscherin deutscher Sprache, kannte die Heilwirkung von Pilzen. So beschrieb sie in ihrem Werk „Physica" auch Elaphomyces cervinus, die Hirsch-Trüffel, einen Askomyceten, der in Mittel-und Osteuropa mit den Wurzeln von Nadel­bäumen Mykorrhizen bildet, und sie wies auf die Wirkung dieses Pilzes als Aphrodisiakum hin, die A. Lonicer 1577 in seinem Kräuter­buch mit den Worten beschreibt:

„ ... das ist Hirtzschwamm soll in den Wäl­dern auf den Samen des Hirschen wachsen und eine Natur haben, die eheliche Werke und Wollust reizen ..." (zitiert nach [4]).

Mit dem nächsten Pilz, Claviceps purpurea, dem Mutterkornpilz, ebenfalls einem Asko­myceten, haben wir unter den Makromyceten wohl den bedeutendsten Heil- und Giftpilz der Geschichte vor uns, weshalb auf ihn auch genauer eingegangen werden soll. Dieser Pilz hat einen recht komplizierten Ent­wicklungsgang. Er parasitiert auf verschie­denen Gräsern, vorzugsweise Roggen, unter Bildung einer Konidienform und später von harten, dunklen Dauermyzelien, den Sklero-tien, aus denen nach Überwinterung die Fruchtkörper hervorgehen. Erwähnt wurde dieser Pilz im deutschen Schrifttum erstmals im Kräuterbuch des A. Lonicer als „Kornzapfen", wurde von J . Tha-lius 1588 noch als abnormes Roggenkorn an­gesehen, 1591 von C. Bauhin als eigene Pflanze, „Seeale luxurium", betrachtet und 1658 von J . Bauhin erstmals abgebildet. 1764 bewies O. F. Münchhausen die bereits früher vermutete pilzliche Herkunft der schwarzen „Körner". 1853 schlieSlich wies C. Tulasne nach, daß die drei unter den Na­men Sphacelia segetum (= Konidiensta-dium, „Honigtau"), Seeale cornutum (= Dauerform, Sklerotium, „Mutterkorn") und Claviceps purpurea (Pilz mit den aus den Sklerotien entstehenden Fruchtkörpern) bekannten Pilzformen nur verschiedene Ent­wicklungsstadien ein und desselben Pilzes sind.

Die Sklerotien dieses Pilzes enthalten eine Reihe hochtoxischer Alkaloide, die beim Vermählen ungereinigten, Mutterkornhalti­gen Roggens mit dem Mehl in das Brot kom­men und zu den verheerendsten epidemiear­

tigen Vergiftungen der Geschichte führten, die nach dem englischen Ausdruck für Mut­terkorn, „Ergot of rye", „Ergotismus" ge­nannt wurden.

Zwei Formen des Ergotismus werden beob­achtet: 1. Ergotismus gangränosus: Parästhesien

(Kribbeln, daher auch „Kribbelkrank­heit") in den Gliedern, Taubheitsgefühl, brennende, unerträgliche Schmerzen (daher die Bezeichnung „heiliges Feuer, ignis sacer"), oft feuchtes, dann trocke­nes Gangrän, Abfallen der Gliedmaßen, oft der Tod.

2. Ergotismus convulsivus: Allgemeine Be­schwerden (Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel), Durst, Heißhunger, Krämpfe, Halluzinationen, Dauerkontraktionen von Gliedmaßen, oft Verblödung und oft der Tod.

Da Claviceps purpurea besonders auf Rog­gen vorkommt, der vorwiegend in Mitteleuro­pa angebaut wurde, traten die Krankheitser­scheinungen auch hier, besonders in Frank­reich, am häufigsten auf. Geschichtlich be­legte Epidemien, denen teilweise Zigtausen-de zum Opfer fielen, waren 857 n. Chr. in Xanten, 945 in Paris und in der Folgezeit im­mer häufiger, so daß 1073 ein eigener Orden, der St. Antoniter-Orden, gegründet wurde, der sich ausschließlich mit der Pflege der Opfer dieser Krankheit befaßte, wovon schließlich auch die Krankheit selbst den Na­men „St. Antonius-Feuer" erhielt. Auch in die darstellende Kunst des Mittelal­ters fand der Ergotismus Eingang, wie das Bild „Die Versuchung des Heiligen Anto­nius" aus dem Isenheimer Altar M. Grüne­walds oder einige der Werke von H. Bosch beweisen [3]. Obwohl es Hinweise gibt, daß bereits der Perser Muwaffak um 900 n. Chr. (zitiert nach [15]) die Giftnatur des Mutterkorns kannte, wies erst 1670 der französische Landarzt Thuillier auf Seeale cornutum als die Ursa­che des Ergotismus hin und stellte dazu Ver­suche an; diese Beobachtungen fanden schließlich in Werken wie C. N. Langens' „Beschreibung der Kornzapfen ..." (1717) ih­ren Niederschlag. Erst durch Tulasnes Arbei­ten und die späteren chemischen Untersu­chungen wurden allerdings die Zusammen­hängevöllig geklärt. Daß selbst heute noch rückständige land­wirtschaftliche Methoden und Unachtsam­keit zu schweren Ergotismus-Epidemien füh­ren können, zeigt der Fall von Pont St. Esprit in Frankreich im Jahre 1951, der mehrere To­desopfer forderte. Die „kleinen, schwarzen Körner" (Sklerotien) des Mutterkornpilzes haben jedoch nicht nur schädliche Wirkungen. Sehr früh bereits wurden in ihnen Heilkräfte erkannt, eine ein­drucksvolle Bestätigung des Ausspruches

des großen mittelalterlichen Arztes und Na­turforschers Paracelsus, der sagte: „Nichts ist Gift, allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift se i " (zitiert nach [17]). Nach verschiedenen Quellen soll Mutterkorn als Heilmittel bereits bei den alten Chinesen und in Griechenland (Hippokrates) bekannt gewesen sein. Im Mittelalter wurde es von „Hexen" und von „weißen Frauen" als Ab-ortivum benutzt. Im deutschen Schrifftum wurde es erstmals von P. A. Matthiolus 1565, A. Lonicer, 1582, und J . Thalius, 1588, er­wähnt, und zwar zur Anregung der Wehen und als Mittel gegen Blutungen. Ende des 17. Jahrhunderts wurde es von R. J . Camerarius in die Gynäkologie eingeführt, von dem hol­ländischen Geburtshelfer Ruthlaub 1747 sy­stematisch angewendet und fand schließlich durch die Empfehlung des amerikanischen Arztes J . Stearns („pulvis parturiens") 1820 Eingang in die Pharmakopö der USA und 1836 auch in die Englands. Wie ein Blick auf die Tab. 1 zeigt, sind die volkstümlichen Namen des Mutterkornpilzes und seiner Sklerotien ein besonders gutes Beispiel für Erscheinungsbild, Wirkung und Anwendung eines Pilzes. In ähnlicher Weise wie Claviceps purpurea wurde und wird teilweise auch heute noch, besonders in Amerika, Ustilago maydis in der Heilkunde eingesetzt, ein Basidiomycet, der auf Mais parasitiert (Maisbeulenbrand). Bei der Beschreibung des Ergotismus con­vulsivus wurde bereits von der Wirkung der Mutterkornalkaloide auf das Nervensystem gesprochen, die bis zu Halluzinationen füh­ren kann. Verantwortlich dafür sind die im Mutterkorn enthaltenen Lysergsäure-Deriva-te(Abb. 4). In diesem Zusammenhang sind wegen ihrer halluzinogenen Wirkungen Mitglieder zweier Pilzgattungen, Panaeolus und Psllocybe, zu erwähnen, die vor allem in Mittel-Amerika vorkommen. Psllocybe mexicana ist der be­kannte mexikanische Zauberpilz, der Teon-anäcatl, der „göttliche Pi lz" der Indianer. Er wurde schon sehr früh und bis in die heutige Zeit zu rituellen Handlungen und in der Volksmedizin benutzt, was durch die bereits erwähnten 3000 Jahre alten guatemalteki­schen Pilz-Steine belegt ist [9,16].

III. Pilze als Heilmittel in der Gegenwart

Mit der Besprechung von Claviceps, Ustila­go, Panaeolus und Psllocybe sind wir bei Pilzen angelangt, deren Anwendung in Heil­kunde und Volksmedizin bis in die heutige Zeit reicht. In Tab. 2 sind dazu Heilpilze und ihr wirksames Prinzip zusammengestellt, so­weit sie auch heute noch in den verschiede­nen Bereichen der Heilkunde, Schulmedizin, Volksmedizin und Homöopathie mehr oder weniger in verschiedenen Anwendungsberei­chen eingesetzt werden.

Page 5: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

-/V<C2"5 OH

^ { - r C H 2 - C H 2 - N ( ^ H 3

. II II \/S/

N H

Abb. 4: Strukturformeln halluzinogener Substanzen aus Pil­zen.

W N H

•CH '3

0 ,

0' I

.OH

H

ß |—\-CH?-CHj- N -CH?

N Ä / 2 2 J A/ H

CH?

a) LSD (Lysergsäure-Diäthylamid), ein synthetisches Derivat der Lysergsäure, einem Alkaloid des Mutterkornpilzes Cla­viceps purpurea.

b) Psilocin und c) Psilocybin aus Arten der Gattung Psllocy­be und Panaeolus.

Die Pilze in der oberen Hälfte der Tabelle werden alle - angedeutet durch (x) - nur noch selten oder nur in entlegenen Gebieten verwendet, besonders in Volksmedizin und Homöopathie.

So wird auch heute noch Amanita muscaria, der Fliegenpilz, bei einer ganzen Reihe ver­schiedenster Beschwerden eingenommen.

- Ahnliches, mit teilweise identischem An­wendungsgebiet, gilt für den Grünen Knol­lenblätterpilz, Amanita phalloides, der aller­dings wegen seiner außerordentlichen Gif­tigkeit nur mit äußerster Vorsicht eingesetzt wird. Er enthält 2 Typen von Toxinen: (i) die rasch wirkenden Phallatoxine, die das endo­plasmatische Retikulum der Leberzellen an­greifen und (ii) die langsam, aber nachhalti­ger wirkenden Amanitine, die die Zellkerne der Leberzellen schädigen und die Protein­synthese hemmen. Der Pilz wird gelegentlich noch als Droge in homöopathischen Dosen bei Störungen des Zentralnervensystems, in der Gynäkologie und bei anderen Krankhei­ten, wie Epilepsie, verwandt. - In der Sub­stanz Antamanid enthält der Pilz gleichzeitig einen weiteren interessanten Stoff, der der

Tabelle 2 Makromyceten als Hellpflanzen In der Gegenwart

Giftwirkung der Amanita-Toxine entgegen­wirkt. Das Gegengift muß jedoch, und das ist die therapeutische Schwierigkeit, gleichzei­tig mit dem Gift selbst eingenommen wer­den, um wirksam zu sein.

Die in der unteren Hälfte der Tabelle 2 aufge­führten Pilze werden auch heute noch häufi­ger angewendet. So der Lärchenschwamm Laricüomes officinalis gegen Asthma und Nachtschweiß, als Abführmittel und als Bit­terstoff in Magenbittern. Das wirksame Prin­zip ist Agaricin. Auch Fomes cinnamomeus soll noch häufiger genommen werden. Die wichtigste Heilpflanze unter diesen Pil­zen ist jedoch nach wie vor der Mutterkorn-Pilz Claviceps purpurea [4, 6, ß, 10,15]. Da­für sind seine inzwischen gereinigten, che­misch analysierten und auch medizinisch gut untersuchten Alkaloide verantwortlich, die in Tab. 3 zusammengestellt sind. Sie bilden 4 Gruppen:

(1) die wasserlösliche Ergometrin-Gruppe (2) die wasserunlösliche Ergotamin-Gruppe (3) die wasserunlösliche Ergotoxin-Gruppe (4) die Clavin-Gruppe.

Die Wirkstoffe kommen jeweils in einer links-drehenden, pharmakologisch aktiven (-in)-Form und in einer rechts-drehenden, pharmakologisch inaktiven (-inin)-Form vor, wobei die wasserlöslichen Alkaloide der Er­gometrin-Gruppe rasch aber kurzzeitig wir­ken, die wasserunlöslichen Alkaloide der an­deren beiden Gruppen langsam, dafür aber anhaltender. Der Nachteil der ursprünglich benutzten Dro­ge, also des gesamten Sklerotiums bzw. sei­ner Präparationen, lag einmal in der nach Herkunft (Getreideart, Herkunftsland) unter­schiedlichen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung und zweitens in dem ver­hältnismäßig raschen Wirkungsabfall (ca. 1 Jahr). - Heute werden daher die Alkaloide aus dem Mutterkorn extrahiert und als reine (und stabile) Substanzen zur Herstellung von Medikamenten definierter quantitativer und qualitativer Zusammensetzung und Wirkung verwendet. Dazu wird das Mutterkorn nicht mehr wie früher aus dem normalen Getreide ausgelesen, sondern der Pilz wird entweder (1) in parasitischer Kultur nach Beimpfung

gesunden Roggens im Großen angebaut und geerntet oder

o heute Pilz / Wirkungsgruppe Wirksames Prinzip Anwendungsbereich Pilz / Wirkungsgruppe Wirksames Prinzip

SM VM HO Anwendungsbereich Pilz / Wirkungsgruppe

SM VM HO

Amanita muscaria (L. ex Fr.) Hooker Muscaridin u. a. X (x) (x)

Ödeme, Diureticum, Halluzinogen Störg. d. ZNS, Gynäkol., Rheuma u. a.

Amanita phalloides (Vaill. ex Fr.) Secr. Amanitine, Phalloidine Antamanid

X

(x) (x) Störg. d. ZNS. Gynäkol., Epilepsie.

Gegengift gegen Amanita-Toxine Calvatia gigantea (Batsch.) Lloyd X

(x) (x) Anämie. Hautkrkh., Gynäkol., Katarrh

äußere Blutungen Elaphomyces cervinus (Pers.) Schlecht X (x) Aphrodisiakum (bes. Vieh) Fomes fomentarius (L. ex Fr.) Kickx X (x) äuB. Blutg., Blasenkrkh., Gynäkol. Hirneola auricula Judae Berk. X (x) als schleim. Aufguß bei Entzündungen Inonotus obliquus (Pers. per Fr.) Pilät X (x) Ost-Europa, gegen Krebs Phallus impudicus L. ex Pers. X

(x) (x) Gicht

Aphrodisiakum (Vieh)

Laricifomes officinalis (VIII. ex Fr.) Kotl. & Pouz. Agaricin X X X Asthma, Nachtschweiß, Abführmittel,

Fomes cinnamomeus Trog. Magenbitter

Fomes cinnamomeus Trog. Fomitin X X Blasen- und Darmleiden, Hämorrhoiden Claviceps purpurea (Fr.) Tulasne Mutterkorn-Alkaloide

(heute meist reine Subst.) X

X X Abort ivum

Gynäkolog., (Wehenmittel, Uterusblutg.) Kreislauf, Migräne u. a.

Ptilocybe mexicana Heim Lysergsr.- Derivate, LSD (x) Neurolog., exp. u. therap. Psychiatr.

Ptilocybe mexicana Heim Psilocin, Psilocybin X X Mittel-Amerika als Halluzinogen

Ustilago maydis (DC) Corda (x) Neurolog., exp. u. therap. Psychiatr.

Ustilago maydis (DC) Corda Ustilagin, Carnitin X X Gynäkologie, ähnl. Mutterkorn

(X) n*Jr (noch) selten eingesetzt. ° M * Schulmedizin, VM - Volksmedizin, HO - Homöopathie

Page 6: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

Tabelle 3 Die wichtigsten Mutterfcomalkalolde

Gruppe Typ des Lysergsr.-Derivats

wasser­löslich

Wirkung Alkaloid Drehung pharmakolog. Aktivität

ERGOMETRIN- Alkanolamid - + schnell, kurzdauernd, Uterus-Wirkung (ocytocische W.)

Vergiftung: Ergotismus

Ergometrin (- Ergobasin, - Ergonovin)

Ergometrinin

- . links

+, rechts

+

ERGOTAMIN- Peptld-Alkaloide langsam, langdauernd, Uterus-Wirkung, (adreno8ympathicolytischt zentral-sedativ)

Ergotamin Ergotaminin

Ergosin Ergosinin

- , links +, rechts

- , links +, rechts

+

+

ERGOTOXIN- Peptid-Alkaloide langsam, langdauernd, Uterus-Wirkung, (adreno8ympathicolytisch, zentral-sedativ)

Ergocristin Ergocristinin

Ergokryptin Ergokryptinin

Ergocornin Ergocorninin

- , links +, rechts

- . links +, rechts

- , links +, rechts

+

+

+

CLAVIN- Mindestens 12 weite wildwachsender Grä

re Mutterkorn ser, in kleiner

alkaloide (ebenfalls verwandt mit Lysergsäure) wurden isoliert, vor allem aus dem Mutterkorn Mengen auch aus dem Roggen-Mutterkorn.

(2) in saprophytischer Kultur, zum Beispiel in Flüssigkeitskultur unter definierten Be­dingungen, angezogen: dies dürfte die Methode der Zukunft sein.

Die unter Verwendung der reinen Mutter­korn-AI kaloide hergestellten Medikamente wie Bellaravil, Bellergal, Ergotren, Qynergen und Neo-Qynergen haben heute einen weiten Anwendungsbereich in der Gynäkologie (An­regung der Wehentätigkeit, Stillung nachge­burtlicher Blutungen), bei Kreislaufstörun­gen, Migräne u. a. In ähnlicher Weise, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang, wird noch Ustilago maydis mit seinen Inhaltsstoffen Ustilagin und Carnitin in der Homöopathie verwendet. Bei den ersten drei Gruppen der Mutterkorn-Alkaloide handelt es sich um Derivate der Ly­sergsäure (Abb. 4). Das als „LSD" bekannt, ja berüchtigt gewordene Halluzinogen Ly-sergsäure-Diäthylamid ist heute das am stärksten wirkende psychotrope Pharmakon („psychomimetische Droge"), das auch in der Rauschgift-Szene („acid") eine Rolle spielt. Da es schizophrenieartige Zustände erzeugen kann, lag es nahe, es bei der Erfor­schung und Behandlung von Geisteskrank­heiten einzusetzen. So wurde auch in Deutschland bereits in den 60er Jahren LSD mit Erfolg sowohl in der ex­perimentellen Neurologie wie auch therapeu­tisch in der Psychiatrie angewandt [11]. Da­bei konnte eine überraschend hohe Erfolgs­quote bei der Behandlung schwerer Neuro­sen, die der konservativen Psychoanalyse und Behandlung nicht zugängig waren, ver­zeichnet werden. Weiterhin wurden günstige Wirkungen auf die schwerwiegenden sozialen Störungen frühgeschädigter autistischer Kinder beob­achtet, die sonst therapeutisch aussichtslo­se Fälle sind [11]. - Derartige Therapien

wurden dann in den USA auch bei Alkoholis­mus, Drogenabhängigkeit, der Linderung von Schmerzzuständen u. a. versucht.

Das Auftreten von Chromosomenbrüchen in den Zellen von derartig behandelten Patien­ten scheint jedoch einer der Gründe dafür zu sein, daß in den letzten Jahren zumindest der therapeutische Einsatz der Droge beim Men­schen praktisch aufgehört hat. 3) Wie aus den Strukturformeln der in den Mut­terkorn-AI kaloiden enthaltenen Lysergsäure, des abgeleiteten LSD und der bereits er­wähnten halluzinogenen Drogen Psilocin und Psilocybin zu ersehen ist (Abb. 4) weisen diese Substanzen übereinstimmend einen Tryptamin-Rest auf. Daher erklärt sich auch die ähnliche Wirkung, aus der die ähnlichen Einsatzmöglichkeiten in der Heilkunde resul­tieren.

Wenn wir noch einmal die Tabelle der heute als Heilmittel eingesetzten Groß-Pilze über­blicken (Tab. 2), so fällt auf, daß diese alle auch bereits schon früher verwendet wur­den. Allerdings wird heute der gesamte Pilz als Droge oder als ungereinigter Extrakt nur noch selten oder nur in entlegenen Gebieten in der Volksmedizin und in der Homöopathie verwendet. Bei den Pilzen, die heute noch ei­ne Rolle als Heilmittel spielen, werden die wirksamen Substanzen vielmehr isoliert und gereinigt, so daß sie von der pharmazeuti­schen Industrie zur Herstellung von Medika­menten definierter Zusammensetzung und damit auch definierter Wirksamkeit einge­setzt werden können. Darüber hinaus bietet heute die synthetische Darstellung derarti­ger Substanzen weitere Möglichkeiten.

3h)) Persönlich« Mitteilung. Prof. Dr. Q. Späterer, Regensburg.

IV. Pilze als Heilmittel in der Zukunft

Welche Aussichten haben nun Makromyce-ten, auch künftig eine Rolle als Heilpflanzen in der Medizin zu spielen? Hier ist bereits abzusehen, daß der eben auf­gezeigte Trend von der Droge, dem Gesamt-Pilz oder seinem Extrakt zur definierten, möglicherweise sogar synthetisch herge­stellten reinen Substanz sich weiter verstär­ken wird. Die Antibiotika sind dafür das beste Beispiel. Die meisten der heute therapeutisch einge­setzten Antibiotika, wie Penicillin und ähnli­che, stammen aus imperfekten Pilzen oder werden wie Streptomycin von Bakterien oder anderen Mikroorganismen gebildet. Dabei beträgt der Prozentsatz der tatsächlich the­rapeutisch eingesetzten Antibiotika nur etwa 4 % der insgesamt gefundenen und unter­suchten Reinsubstanzen, ist also sehr ge­ring. Gründe dafür sind u. a. Wirkungsspek­trum, Stabilität, Toxizität, Preis und schließ­lich auch die Marktlage. Andererseits zwingt aber die zunehmende Resistenz vieler Krankheitserreger gegen die gebräuchlichen Antibiotika dazu, ständig weitere antibiotisch wirksame Stoffe zu su­chen. Hier scheinen die Makromyceten, ins­besondere die Basidiomyceten, gute Erfolgs­aussichten zu haben, denn sie stellten auch bisher die Hauptmenge der als Heilmittel be­nutzten Großpilze; folgende Zahlen mögen dies belegen: Nach Berdy (zitiert in [2]), stammen von den 3222 im Jahre 1974 bekannten Antibiotika nur 140, d. h. also nur etwa 5 % von Basidio­myceten. Daß dies weniger auf die mangeln­de Synthesefähigkeit dieser Pilz-Gruppe als vielmehr auf die noch ungenügende Untersu­chungsbreite zurückzuführen ist, geht z. B. aus Arbeiten von Robbins und anderen her­vor; diese Autoren (Literatur siehe [2]) stell-

Page 7: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

ten fest, daß z. B. von 1000 Basidiomyceten-Stämmen 40 % (!) eine antibiotische Aktivität aufwiesen. Bezogen auf die insgesamt etwa 30 000 bis 40 000 Basidiomyceten-Arten wä­ren dann die Aussichten, unter diesen auch solche mit therapeutisch verwendbaren Anti­biotika zu finden, sicher nicht schlecht. - In Tab. 4 u. 5 sind verschiedene Makromyceten zusammengestellt, die aufgrund bereits vor­liegender Kenntnisse von ihren antibioti­schen Aktivitäten oder anderen Wirksamkei­ten in der Zukunft für eine Anwendung in der Medizin in Frage kommen (Lit. s. bei [2, 4, 7, 10]).

1 Antibakteriell Stellvertretend für andere sei hier Hohen-buehelia atrocaerulea (syn. Pleurotus griseus) genannt. Die wirksame Sub­stanz Pleurotin ist für die antibiotische Aktivität, die auch Gram-positive Mi­kroorganismen und Tuberkulose-Erreger einschließt, verantwortlich. - Der schon früher bei Magenerkrankungen einge­setzte Birkenporling, Piptoporus betuli-nus, erwies sich ebenfalls als antibiotisch aktiv.

2 Antimykotisch Einige Pilze, wie z. B. Sparassis crispa (Krause Glucke), ein ausgezeichneter Speisepilz, wirken vor allem gegen Pilze,

was für die Therapie besonders wertvoll sein könnte. Das aus diesem Pilz isolierte Sparassol (1923) war im übrigen das erste aus einem Basidiomyceten isolierte Anti­biotikum.

3. Antibakteriell und antimykotisch In dieser Gruppe ist besonders Cyathus striatus interessant: der auch wegen sei­ner abenteuerlichen Form auffallende Gestreifte Tiegelteuerling ist nicht nur ge­gen Gram-positive und -negative Bakte­rien, sondern auch gegen Pilze wirksam.

4. Vielfach antibiotisch Clitopilus-Arten und Psathyrella, teilwei­se synonym mit Pleurotus, wirken nicht nur antibakteriell, sondern zusätzlich noch gegen Mycoplasmen, teilweise auch gegen Viren. Wirkstoff ist u. a. Pleu-romutilin, dessen Namen schon auf die Verwandtschaft dieser Pilze mit Pleuro­tus hinweist.

5. Cancerostatisch Neben Infektionskrankheiten aller Art, die wir heute langsam durch den Einsatz von Antibiotika und anderen Pharmaka zu be­herrschen hoffen, ist die Bekämpfung des Krebses noch eines der großen unge­lösten Probleme der Medizin. Auch hier

haben die jüngsten Untersuchungen Hin­weise dafür erbracht, daß Makromyce­ten, darunter vor allem wieder Basidiomy­ceten, cancerostatisch wirksame Sub­stanzen synthetisieren, die möglicherwei­se auch therapeutische Bedeutung erlan­gen können: Tab. 5.

Amanita phalloides, der schon verschie­dentlich erwähnte hochgiftige Grüne Knollenblätterpilz enthält im Ananullin ei­nen cancerostatischen Wirkstoff. - Auch die Stinkmorchel, Phallus impudicus, und die als Speisepilz geschätzte Winter­trüffel, Tuber brumale, erwiesen sich als cancerostatisch.

6. Antibiotisch und cancerostatisch Eine ganze Reihe von Pilzen wurden ge­funden, die nicht nur cancerostatische, sondern auch verschiedene antibiotische Aktivitäten in sich vereinigen, so der weit­verbreitete und als Speisepilz beliebte Wiesen-Champignon, Agaricus campe-stris, und andere Agaricus-Arten, ebenso verschiedene Arten der Bauchpilz-Gat­tungen Calvatia und Lycoperdon, die, wie oben berichtet, bereits in der mittelal­terlichen Heilkunde große Bedeutung hatten.

Tabelle 4 Makromyceten als Hellpflanzen In der Zukunft

mögliche Verwendung wegen

Pilz / Wirkungsgruppe a> Wirksamkeit gegen Wirkstoff Pilz / Wirkungsgruppe £

heut

Bakterien PI Vi Mp

Qram Tb PI Vi Mp

a) antlbakterleil Albatrellus confluens (A. u. S. per Fr.) Kotl. u. P. X + Qrifolin Clitocybe-Arten X Diatretyne 2 Heterobasidion annosum (Fr.) Bref. X Fomannosin Hohenbuehelia atrocaerulea (Fr.) Sing. X + X Pleurotin Hypholoma fasciculare (Huds. ex Fr.) Kummer (x) Fasciculol D Lactarius deliciosus Fr. X X Lactaroviolin Lepista diemii Sing. X Diatretyne 2 Leucopaxillus-Arten X X Clitocybin A, B Marasmius graminum (Lib.) Berk. (x) 6-MethyM, 4-naphthochinon Oxyporus corticola (Fr.) Ryv. X X Nemotin, Nemotinsäure Perenniporia tenuis (Schw.) Ryv. X X Nemotin, Nemotinsäure Piptoporus betulinu8 (Bull, ex Fr.) Karsten X X Polyporensäure C Punctularia strigosozonata (Schw.) Talbot X Phlebiakauranol Sterum rameale (Pers.) Fr. X Complicatic acid

b) antimykotisch Qloeophyllum sepiarium (Wulf ex Fr.) Karsten X Oospolacton Sparassis crispa Wulf ex Fr. X Sparassol

O antlbakterleil und antimykotisch Cyathus helenae Brodle X X Cyathine Cyathus striatus (Huds. ex Pers.) Willd. ex Pers. X +,- X Striatin A, B, C Marasmiellus ramealis (Bull, ex Fr.) Sing. X X X 8-Hydroxy-3-methylisocumarin Strobilurus tenacellus (Pers. ex Fr.) Sing. X X Marasminsäure Xylobolus frustulatus (Pers. ex Fr.) Karsten X + X Frustulosinol

<*) antlbiot Clitopilus-Arten X + X Pleuromutilin Psathyrella subatrata (Batsch. ex Fr.) Gill. X + X X Pleuromutilin, Drosophilin A

bedingt wirksam; Tb - gegen Tuberkulose; Pi • Pilze; Vi = Viren; Mp = Mycoplasmen

nur noch selten eingesetzt; Ba = Bakterien; Pi - Pilze; Ca - Carcinom

Page 8: Pilze als Heilpflanzen in Vergangenheit, Gegenwart und ...

Tabelle 5 Makromyceten als Hellpflanzen In der Zukunft

CD CD mögliche künftige Verwendung Pilz / Wirkungsgruppe H

C: c CD

wegen Wirksamkeit gegen Wirkstoff ~ a. Ba Pi Ca sonstige Wirksamkeit

a) canceroatatlach Amanita phalloides (Vaill. es Fr.) Secr. X (X) X Amanullin Amanita phalloides (Vaill. es Fr.) Secr. Amanitatoxin-Gegenmittel Antamanid Boletus edulis Bull es Fr. X ? Flammulina velutipes (Curt ex Fr.) Sing. X Flammulin Lentinus edodes (Berk.) Sing. X Lentinan Phallus impudicus L. ex Pers. X (X) X ? Tuber brumale Vitt. (x) X ?

b) antibiotisch und canceroetatlsch Agaricus campestris L. ex Fr. (x) (x) Agaridoxin Calvatia-Arten X (x) X X X Calvatic acid Coriolus consors (Berk.) Imaz. X X Coriolin, Diketo-C.B Lampteromyces japonicus (Kawamura) Sing. X X X Lampterol (llludin S) Lepista nebularis (Fr.) Harmaja X X Nebularin Lycoperdon-Arten X (x) X X X Calvatic acid Omphalotus illudens Bresinsky & Besl X X X llludin M,S Strobilurus tenacellus (Pers. ex Fr.) Sing. X X Strobilurin A,B

c) Psychopharmaka u. a. Coprinus atramentarius (Bull, ex Fr.) Fr. Antabus-ähnliche Wirkung Coprin Claviceps purpurea (Fr.) Tulasne X X Gynäkologie u. a. Mutterkorn-Alkaloide

exp. u. therap. Psychiatrie Lysergsr.-Deriv. (LSD) Psilocybe mexicana Heim exp. u. therap. Psychiatrie Psilocybin, Psilocin

7. Psychopharmaka u. a. Coprinus atramentarius, der im jungen Stadium sehr schmackhafte Falten-Tint-ling, ist insofern interessant, als er einen Wirkstoff, Coprin, enthält, der an sich harmlos ist. Wird jedoch nach der Pilz­mahlzeit Alkohol getrunken, so treten Kopfschmerz, Übelkeit und Erbrechen auf. Diese Reaktion auf Alkohol-Genuß kann unter Umständen einige Tage an­halten. Der Pilz wurde wegen dieser Wir­kung auch schon als „Anti-Alkoholiker-Pi lz" bezeichnet. Die Antabus-ähnliche Wirkung des Coprins kann möglicherwei­se zu einem Einsatz bei der Bekämpfung der „Zivilisations-Krankheit" Alkoholis­mus führen. Die Verwendung der Mutterkorn-Alkalo­ide aus Claviceps purpurea in verschie­denen Bereichen der Medizin, wie der Gy­näkologie, bei Kreislaufstörungen, Migrä­ne u. a., dürfte noch weiter ausgebaut werden, vor allem, wenn die Wirkstoffe durch saprophytische Kultur oder gar synthetisch gewonnen werden können. Hinzu kommt noch, daß laufend weitere Alkaloide im Roggen-Mutterkorn oder bei dem auf anderen Wirten parasitierenden Pilz gefunden werden, deren Erforschung und Einsatzmöglichkeiten bei weitem noch nicht abgeschlossen sind [6]. Auch die Einsatzmöglichkeiten der Psy­chopharmaka vom LSD- und Psilocybin-Typ werden weiter intensiv erforscht, um Zugang zu einer erfolgversprechenden

Therapie heute noch unheilbarer Nerven-und Geisteskrankheiten zu gewinnen.

In der zuletzt besprochenen Tabelle 5 fällt auf, daß von den kürzlich als cancerostatisch erkannten Pilzen eine ganze Reihe bereits früher gegen verschiedene Krankheiten ein­gesetzt wurde. Dies bestätigt ein weiteres Mal die gute Beobachtungsgabe unserer Vorfahren, die wir heute oft nur noch bei den Medizinmännern sogenannter „primitiver" Volksstämme antreten, die in der Kenntnis und Anwendung von Heilpflanzen unserer Schulmedizin häufig überlegen sind.

Fassen wir nun die Ergebnisse dieses letzten Abschnittes zusammen, so läßt sich aus den Daten ersehen, daß auch Großpilze als Heil­mittel in der Medizin durchaus eine Zukunft haben, ja möglicherweise als Produzenten medizinisch wirksamer Stoffwechselproduk­te unter definierten Bedingungen sogar grö­ßere Bedeutung als heute. Hier schließt sich nun der Kreis von der,,Dreckapotheke" des Mittelalters, einem absonderlichen Sam­melsurium verschiedener, sicher auch pilz­durchsetzter Materialien, bis hin zur heuti­gen Untersuchung von Mikro- und Makro-Pil­zen auf antibiotische und sonstige Wirksam­keiten, wobei in allen Fällen Pilze oder ihre Produkte als Heilmittel wirksam werden.

Danksagung

Für ihre Hilfe bei nomenklatorischen Fragen bin ich Herrn Prof. Dr. A. Bresinsky und Herrn Dr. I. Nuss sehr zu Dank verpflichtet.

Literatur-Auswahl [11 AINSWORTH, G. C 1976. Introduction to the history

of Mycology. Cambridge Univ. Press, Cambridge, London, New York, Melbourne.

[2] ANKE, T. 1978. Antibiotika aus Basidiomyceten. Z. Mykol.44,131 -141.

(31 BAUER, V. H. 1973. Das Antonius-Feuer in Kunst und Medizin. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg. New York.

[4] BIRKFELD. A. 1954. Pilze in der Heilkunde. Die neue Brehm-Bücherei, Heft 135. A. Ziemsen Verlag, Wit­tenberg, Lutherstadt.

[51 BOCK, H. 1577. Kreutterbuch. Josiam Rihel, Straß­burg.

[61 BOVE, F. J. 1970. The Story of Ergot. S. Karger. Ba­sel, New York.

[71 BÖTTICHER, W. 1974. Technologie der Pilzverwer­tung. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart.

[8] GESSNER, 0.1953. Die Gift- und Arzneipflanzen von Mitteleuropa. 2. Auflage. Carl Winter, Universitätsver­lag, Heidelberg.

[91 HEIM, R. 1963. Les Champignons Toxiques et Hallu-cinogenes. Editions N. Boubee & Cie, Paris.

[10J HOPPE, H. A. 1977. Drogenkunde. Band 2, Gymno­spermen, Kryptogamen, Tierische Drogen. 8. Auflage. Verlag De Guyter.

[111 JOSUTTIS. M., und H. LEUNER. 1972. Religion und die Droge. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz.

[121 MARZELL, H. 1959-1978. Wörterbuch der Deut­schen Pflanzennamen. Verlag S. Hirzel, Leipzig.

[131 RAMSBOTTOM, J. 1972. Mushrooms & Toadstools. 6. Auflage. Collins, London.

[141 ROLFE, R. T.. and F. W. ROLFE. 1925. The Romance of the Fungus World. Chapman & Hall Ltd. New York.

[15] SIMONIS, W. C 1970. Die niederen Heilpflanzen. Karl F. Haug Verlag, Heidelberg.

[161 WASSON, R. G. 1968. Sorna. Divine Mushroom of Im-mortality. Harcourt Brace Jovanovich, Inc.. New York.

[171 ZEITLMAYR, L. 1973. Knaurs Pilzbuch. Droemer Knaur.