Piraterie – Bedrohung auf See: Eine Risikoanalyse · 2007. 9. 10. · Piraten – da denkt man an...

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Piraterie – Bedrohung auf See Eine Risikoanalyse Edition Wissen

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  • Piraterie – Bedrohung auf SeeEine Risikoanalyse

    Edition Wissen

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  • Piraterie – Bedrohung auf SeeEine Risikoanalyse

    Edition Wissen

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

    Piraterie – Bedrohung auf See

    Seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts müssen Regierungen,Reedereien und auch Transportversicherer feststellen, dass die Zahl der Piraten-überfälle auf Handelsschiffe steil nach oben geht. Dabei gibt es offenbar einenklaren Zusammenhang zwischen zunehmendem Wohlstand und wachsendemWelthandel in einem Teil der Welt sowie politischer Instabilität, Kriegen und stei-gender Armut in anderen. Brennpunkte sind vor allem die Küstengewässer Süd-ostasiens, Westafrikas, Somalias, Südamerikas, der Karibik, aber auch einigerLänder des östlichen Mittelmeers.

    Seit der Entführung des Passagierschiffs Achille Lauro 1985 ist auch eine Gefahr,die der Piraterie verwandt ist, der Terrorismus auf See, in das Blickfeld der Welt-öffentlichkeit gerückt. Hier geht es in der Regel weniger darum, sich durch Raubund Mord zu bereichern, als vielmehr die Wirtschafts- und sonstigen Interessenvon Staaten zu schädigen.

    Jedes Jahr hunderte von Überfällen auf Schiffe und Geiselnahmen, hunderteverletzter, traumatisierter und getöteter Seeleute, Schäden in Milliardenhöhe unddrohende Umweltkatastrophen bei Kaperungen z. B. von Öltankern – Grund genugfür Transporterst- und -rückversicherer, sich große Sorgen zu machen und überBekämpfungs- und Verhütungsmaßnahmen nachzudenken.

    Mit dieser Publikation ihrer Edition Wissen möchte die Münchener Rück einenBeitrag leisten zur internationalen Diskussion über dieses hochaktuelle Thema.„Piraterie – Bedrohung auf See“ analysiert die Risiken durch Piraterie und Terrorauf See und macht die rechtliche Situation auf nationaler und internationalerEbene transparent. Sie zeigt versicherungsrelevante Aspekte auf und stellt Mög-lichkeiten vor, das Risiko zu minimieren.

    Das weltweite Engagement im Kampf gegen die Piraterie wächst. Mit dieserBroschüre möchten wir es tatkräftig unterstützen.

    Christian KlugeMitglied des Vorstands der Münchener Rück22. September 2006

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

    Mit aktiver Beteiligung gegen die Piraterie

    Piraterie ist ein Verbrechen, das sich häufig gegen die ausländische Besatzungeines ausländischen Schiffs mit ausländischer Ladung richtet, das zufällig innationalen Gewässern unterwegs ist. Somit liegt es nicht unbedingt im oberstenInteresse der nationalen Gesetzeshüter, gegen Piraten vorzugehen.

    Nur mit der aktiven Beteiligung der jeweiligen Regierungen und ihrer Vollzugs-organe kann es gelingen, die Piraterie wirksam zu bekämpfen. Wie bei allenStraftaten wird eine Abschreckung nur dann erzielt, wenn die Täter festgenommenund strafrechtlich verfolgt werden.

    Um den Regierungen das Problem zu verdeutlichen und eine konsequentereStrafverfolgung zu erreichen, brauchen wir Informationen über die Piraterie. Sieermöglichen einen effektiveren Einsatz der Ressourcen – Schiffe, Personal undAusrüstung – und damit ein schlagkräftigeres und wirksameres Vorgehen. In denletzten fünfzehn Jahren hat sich gezeigt, dass die Zahl der Angriffe innerhalbkürzester Zeit zurückgeht, wenn eine Regierung nachdrückliche Maßnahmengegen Piraterie ergreift.

    Auch für Reeder und Versicherer ist es wichtig, die Grenzen und Möglichkeiten imUmgang mit der Piraterie zu kennen. Ein Verbrechen, das häufig Hoheitsgrenzenüberschreitet und die Gefahr von Umweltschäden sowie das Risiko mit sich bringt,dass Besatzungsmitglieder verletzt oder getötet werden, stellt eine besondereHerausforderung dar. Das gilt insbesondere für Länder, die auf See keine effektiveStrafverfolgung betreiben.

    Handelsschiffe fahren in die verschiedensten Teile der Welt. Die Angriffe aufSchiffe in den derzeitigen Risikogebieten in Südostasien, Somalia, Bangladeschund Westafrika weisen jeweils eigene Merkmale auf, die weitgehend von den poli-tischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der betreffenden Region beeinflusstsind. Lösungsversuche müssen daher unter Beachtung internationaler Normenund Konventionen auf diese spezifischen Umstände abgestellt werden.

    Die vorliegende Veröffentlichung ist ein wichtiger Schritt hin zu diesem Ziel. Siebietet einen umfassenden Überblick über die moderne Piraterie, beschreibt dieverschiedenen Arten von Angriffen, liefert statistische Angaben und untersucht die Hochrisikogebiete. Versicherungsrelevante Aspekte werden ebenso erläutertwie die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie Maßnahmen zur Bekämpfung der Piraterie.

    Wir freuen uns sehr, bei der Neuerscheinung anlässlich des 25-jährigen Bestehensdes International Maritime Bureau mitwirken zu können.

    Ich empfehle sie allen, die nach Möglichkeiten suchen, der Piraterie entgegen-zuwirken. Selbst wenn es uns vielleicht nie gelingen wird, diese Plage völligauszurotten, können wir mithilfe sachdienlicher und aktueller Informationen dochgeeignete Strategien entwickeln, um sie auf ein erträgliches Maß einzudämmen.

    Cpt. Pottengal MukundanLeiter des International Maritime Bureau der Internationalen Handelskammer (ICC) 22. September 2006

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

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    EinleitungSeite 7

    Die Geschichte der PiraterieSeite 10

    Die Antike und dasRömische ReichSeite 10

    Die VitalienbrüderSeite 11

    16. bis 19. JahrhundertSeite 11

    Piraterie heuteSeite 14

    Formen moderner PiraterieSeite 14

    Neue TrendsSeite 15

    Zahlen und FaktenSeite 17

    Inhalt

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Inhalt

    Rechtliche SituationSeite 24

    Das völkerrechtliche Seerechtsüber-einkommen der Vereinten Nationenvon 1982 (SRÜ)Seite 24

    Übereinkommen zur Bekämpfungwiderrechtlicher Handlungen gegendie Sicherheit der Seeschifffahrt von1988 (SUA-Konvention)Seite 27

    Die nationale RechtsprechungSeite 28

    Definition der Piraterie durch das IMBSeite 30

    Konsequenzen für die AssekuranzSeite 34

    Neue Risikobewertung besonders gefährlicher GebieteSeite 34

    Chancen auf Regresszahlungen minimalSeite 34

    Betroffene VersicherungsspartenSeite 34

    Finanzielle Belastung für die VersicherungSeite 37

    Maßnahmen im Kampf gegen die PiraterieSeite 40

    Verstärkte internationale ZusammenarbeitSeite 40

    Technische EntwicklungenSeite 41

    VerhaltensrichtlinienSeite 43

    Service- und Schulungsangebot des IMBSeite 43

    RisikomanagementSeite 44

    Maßnahmen für eine sichere Zukunft auf SeeSeite 45

    AnhangSeite 48

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

    Piraten – da denkt man an säbelschwingende Schurken mitHolzbein und Augenklappe unter schwarzer Totenkopf-flagge, an den roten Korsar mit seiner tapferen Mannschaftim Kampf gegen das Böse, an schillernde Figuren ausAbenteuerbüchern und -filmen. Die haben jedoch in derlangen Geschichte der Piraterie nur kurze Nebenrollen. DieSeeräuberei ist so alt wie die Schifffahrt selbst und hat sich – wie Handel, Transport und politische Rahmenbedin-gungen – über Jahrhunderte verändert und weiterentwi-ckelt. Bis heute ist die Gefahr eines Angriffs durch Piratenfür Reedereien, Schiffsbesatzungen, Ladungseigner undSeetransportversicherer aktuell.

    Piraterie reicht vom einfachen bewaffneten Überfall überinternational organisiertes Verbrechen bis hin zu terroristi-scher Handlung. Jährlich ereignen sich weltweit hunderteVerbrechen dieser Art. Und immer noch sind Prävention,Aufklärung und Schadenregulierung schwierig. Die häu-figste Ursache dafür ist die Rechtslage, die von Land zuLand unterschiedlich ist. Ein internationaler Konsens in derVerbrechensbekämpfung entsteht nur zögerlich.

    Bei der Münchener Rück laufen nicht nur Informationenüber alle Risikofacetten der Schifffahrt zusammen. Oft sindwir als weltweit vernetzter Transportrückversicherer selbstvon den Schäden durch Piraterie betroffen. Auch wenn sieim Verhältnis zum gesamten Transportvolumen auf Seerelativ gering sind, muss der internationale Welthandel,der jährlich um ca. 8 % wächst und größtenteils über Seeabgewickelt wird, genauso gut gesichert und geschütztsein wie die zivile Luftfahrt.

    Ein Vergleich: Der Kaskowert eines neuen Airbus A 380liegt bei 250 bis 300 Mio. US$. Hinzu kommen die Perso-nenschäden und Schäden am Boden, die durch denAbsturz einer solchen Maschine entstehen können. Beieinem Containerschiff der neuesten Generation beträgt derSchiffswert ca. 150 Mio. US$, der Wert der Ladung ca.800 Mio. bis 1 Mrd. US$. Hier sind eventuelle Schadener-satzansprüche der Besatzungsmitglieder ebenso wenigberücksichtigt wie die Schäden, die ein führerloses Schiffnach einem Überfall verursachen kann.

    Die Schiffs- und Wareneigner selbst sind gegen Piraten-übergriffe meist versichert. Wesentlich schwerer fällt esden Versicherern, den entstandenen Schaden zu reduzie-ren. Rechtliche Lücken, mangelnde staatenübergreifendeKooperation und fehlender politischer Wille mancherortsersticken die Bemühungen, Piraterie zu bekämpfen undstrafrechtlich zu verfolgen, oft schon im Keim. Obwohl sich die Situation erkennbar verbessert, besteht weiterhindringend Handlungsbedarf.

    Diese Publikation gibt einen Überblick über die aktuelleGefährdung der Schifffahrt durch Piraterie und beleuchtetdie Gründe für die Schwierigkeiten, sie strafrechtlich zuverfolgen. Versicherer erhalten eine umfassende Darstel-lung der Risikosituation und einen Maßnahmenkatalog,mit dem sie moderner Piraterie vorbeugen und sie besserbekämpfen können.

    Einleitung

  • 1880: Piraten greifen ein Handelsschiff an.„Ich müsste keine Schifffahrt kennen:Krieg, Handel und Piraterie,dreieinig sind sie, nicht zu trennen.“Mephistopheles in Goethes „Faust“

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    Die Antike und das Römische Reich

    In der griechischen Mythologie galt die Piraterie wie Jagdund Fischfang als Handwerk und war eng mit dem Skla-venhandel verknüpft. Denn neben üblichen Handelswarenwaren Leibeigene eine besonders begehrte Beute. Schondamals bemühten sich Staaten, die Seehandel betrieben,ihre Schiffe vor Piratenangriffen zu schützen, und schlos-sen zum Beispiel Verträge mit Nachbarländern. Die einzigerfolgversprechende Methode war allerdings, Kriegsflot-ten einzusetzen. So auch 70 v. Chr. im alten Rom: WichtigeVersorgungsrouten des Römischen Reichs waren in derGewalt von Seeräubern. Rom stand kurz vor einer Hun-gersnot und sah die militärische Auseinandersetzung alsletzte Chance. Mit einem Aufgebot von 500 Kriegsschiffenzerstörte man über 1 700 Piratenschiffe. Die Nahrungsver-sorgung und die „Pax Maritima“ (Seefrieden) waren wie-der gesichert.

    Die Geschichte der Piraterie

    Kupferstich (1820): Julius Cäsar,obwohl von Piraten gefangen, gibtBefehle.

    Mosaik aus der griechischen Antike: Dionysos verwandelt Piraten in Delphine.

    Julius Caesar in der Gewalt von Piraten

    Julius Caesar wurde zwischen 75 und 74 v. Chr. auf einerReise von Piraten gefangen gehalten. Plutarch schrieb:„Sie verlangten 20 Talente Lösegeld von ihm, er aberlachte ihnen ins Gesicht, sie wüssten ja gar nicht, was siefür einen Fang getan, und versprach, deren fünfzig abzu-liefern.“ Caesar beauftragte seine Männer, das Lösegeldzu besorgen. Nachdem die 50 Talente übergeben waren,wurde Caesar an Land gebracht. Kaum in Freiheit,bestrafte er seine Entführer, indem er sie eigenhändig ansKreuz schlug.

    Die Geschichte der Piraterie ist so alt wie die Seefahrt selbst undfür die Schifffahrt und die Seetransportversicherer bis heute einernst zu nehmendes Risiko.

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Die Geschichte der Piraterie

    Die Vitalienbrüder

    Von 1389 bis 1392 führten Schweden und Dänemark Krieg.Mecklenburgische Adlige kämpften an der Seite derSchweden und kaperten in ihrem Auftrag Schiffe. Zu dieserZeit war Kaperei im Seekrieg ein hoheitlich legalisiertesSeebeuterecht. Zur Unterstützung heuerten die Mecklen-burger eine Gruppe Freibeuter an: die Vitalienbrüder. Auchnach Friedensschluss setzten sie ihre Raubzüge fort undwaren unter der Losung „Gottes Freund, aller Welt Feind!“allseits gefürchtete Seeräuber. Erst Jahrzehnte späterbekämpfte der Bund der Hanse sie erfolgreich. Einer derbekanntesten Führer der Vitalienbrüder war Klaus Störte-beker, der 1401 von den Hanseaten gefangen genommenund hingerichtet wurde.

    16. bis 19. Jahrhundert

    Einen weiteren Höhepunkt erlebte die Piraterie im Zeitalterder Entdecker und Eroberer. Portugal, Spanien und Eng-land dehnten ihre Herrschaftsgebiete auf fremde Konti-nente aus. Der Seehandel über die Weltmeere blühte unddie Piraten witterten fette Beute. Dabei handelten sie nichtnur im eigenen Auftrag. Die Feudalmächte legalisiertenBeutezüge, um sich ihren Anteil an den Reichtümern derNeuen Welt zu sichern und ihre eigenen Schiffe vor Über-griffen zu schützen.

    Ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Seeräubereischrieben die Barbaresken, auch Barbaren-Korsarengenannt. Sie lebten an der Berberküste Nordwestafrikasund galten als „die Geißel aller Handelsschiffe im Mittel-meer“. Sie waren staatlich autorisiert und lieferten sichvom 16. bis ins 19. Jahrhundert mit den Ländern im Mittel-meerraum einen erbitterten Seeräuberkrieg. Viele Staatenwaren der Gewalt machtlos ausgeliefert und zahltenSchutzgelder. Die Erfolgsgeschichte der Barbaresken istein Paradebeispiel dafür, wie schwierig auch heute derKampf gegen die Piraterie ist: Gegenläufige Interessen derbetroffenen Staaten verhinderten lange Zeit eine gemein-same Offensive gegen die Bedrohung aus Afrika. Erst 1830gelang den Franzosen mit der Eroberung Algiers, das Kapi-tel der Barbaresken zu beenden.

    Nachdem mit der Pariser Seerechtsdeklaration 1856 diestaatlich autorisierte Kaperei und mit der Brüsseler Gene-ral-Akte 1890 die Sklaverei endgültig abgeschafft wordenwar, verlor die Piraterie zwar ihre offizielle Legitimation,überlebte jedoch als kriminelle Erscheinung bis heute.

    Illustration: Hinrichtung Klaus Störtebekers in Hamburg.

    Klaus Störtebeker – Legende der Piraterie

    Oktober 1401. Eine Handelsflotte verlässt den HamburgerHafen – nicht mit Waren, sondern mit Waffen. Dem größ-ten Feind des Seehandels an der Nordseeküste soll dasHandwerk gelegt werden: Klaus Störtebeker. Sein Stütz-punkt ist Helgoland. Bei Flut läuft er aus, überfällt vor derElbmündung die Handelsschiffe und kehrt vor der Ebbeauf seine sichere Insel zurück. Doch an diesem Tag hat erPech. Kurz vor Helgoland stellen die Händler den Piraten.Fast einen Tag dauert der Kampf. Die Handelsflotte iststärker und Störtebeker muss sich ergeben. Noch bei sei-ner Hinrichtung kämpft der „Robin Hood der Meere“ umdas Leben seiner Männer. Er fordert, dass denjenigen dieFreiheit geschenkt wird, an denen er – ohne Kopf – vorbei-laufen kann. Nachdem er an elf Männern vorbeigelaufenwar, stellte ihm schließlich, so die Legende, der Henkerein Bein.

  • Piraten im südchinesischen Meer:Sie haben ihre Säbel gegen modernste Waffen getauscht und durchkämmen mitSchnellbooten die küstennahen Gebiete. Ihr größter Trumpf: das Überraschungs-moment.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

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    Das 21. Jahrhundert: Die Piraten haben Säbel und Kano-nen gegen modernste Waffen getauscht. Mit Schnell-booten durchkämmen sie die küstennahen Gebiete. BeiÜbergriffen zählt die Überraschung. Oft kommen sie alsKüstenwache oder Hafenpolizei getarnt an Bord. Diemodernen Piraten agieren sowohl in Häfen als auch aufoffener See. Die Bandbreite der Verbrechen reicht vom ein-fachen Diebstahl bis hin zu Schiffsraub und Mord.

    Formen moderner Piraterie

    Die International Chamber of Shipping (ICS) klassifiziertPiratenüberfälle nach drei Grundtypen:

    1. Low-Level Armed Robberies (LLAR)

    Angriff mit dem Ziel zu stehlen, meist im Schutz derDunkelheit. Die Täter stehlen vom Deck und aus demLaderaum Güter, die leicht zu entwenden sind. Zu Gewalt-handlungen kommt es nur, wenn die Besatzung versuchteinzugreifen.

    2. Medium-Level Armed Assault and Robbery (MLAAR)

    Bewaffneter Überfall, bei dem es zu Gewalt oder Drohun-gen kommt. Die Piraten gelangen meist unbemerkt aufsSchiff und zwingen die Mannschaft, Bargeld und Wert-sachen herauszugeben. Wenn möglich, werden Teile derLadung gestohlen. Ein Angriff dauert weniger als eineStunde. Der wirtschaftliche Schaden liegt zumeist zwi-schen 10 000 und 20 000 US$.

    3. Major Criminal Hijack (MCHJ)

    Gezielter Raub der gesamten Schiffsladung. Die Überfällesind sorgfältig geplant. Die Piraten kennen Ladung undStauplan des Schiffs genau. Während einige Piraten dieMannschaft unter Deck gefangen halten, schaffen anderedie Ladung von Bord. Ist die Aktion beendet, treibt dasSchiff führerlos auf dem Meer. Der Schaden liegt meist imzweistelligen Millionen-Dollar-Bereich.

    Piraterie heute

    Im Jahr 2000 wurden 469 Handelsschiffe überfallen – fünfmal so viele wie 1994. Infolge des 11. Septembers und der Tsunami-katastrophe sanken die Zahlen zwar kurzfristig, doch besteht kein Grund zur Entwarnung. Denn Kidnapping auf hoher Seenimmt ebenso wie die Terrorgefahr stetig zu.

    Indonesische Piraten bauen aus Bambus-stangen Enterhaken.

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Piraterie heute

    Die gravierendste Variante des MCHJ ist, das gesamteSchiff mitsamt der Ladung zu kapern. Organisierte Bandenarbeiten hier teilweise „auf Bestellung“. Sie setzen dieBesatzung auf hoher See aus oder töten sie und laden dieGüter um. In einem fremden Hafen wird das Schiff schließ-lich neu registriert – unter anderem Namen, andererFlagge und mit anderem Anstrich. Mit gefälschten Doku-menten belädt man die Schiffe dann mit Waren, die ihrenursprünglichen Zielhafen nie erreichen werden. Das Phä-nomen dieser sog. Phantomschiffe gibt es seit Ende der80er-Jahre vor allem im südostasiatischen Raum. Dasorganisierte Verbrechen arbeitet mit korrupten Beamtender örtlichen Behörden Hand in Hand. Ohne Bestechungwäre es kaum möglich, falsche Dokumente zu beschaffenund die Ladung zu veräußern.

    ISPS-Code (International Ships and Port Facility Security Code)

    Große Hoffnung, diese Kriminalität erfolgreich zu bekämp-fen, setzt man auf den ISPS-Code, der bei der Terrorismus-bekämpfung entstand. Bisher war es relativ einfach, mitgefälschten Schiffspapieren und Zertifikaten ein Phantom-schiff zu betreiben und unerkannt Häfen anzulaufen. Dochdie Vorschriften und Anforderungen des ISPS-Codesmachen es einem Phantomschiff extrem schwer, nicht auf-zufallen. Gefälschte ISPS-Papiere und -zertifikate an Bordallein genügen nicht, da die ISPS-Zertifizierung zusätzlichin Datenbanken wie Seasearcher oder Equasis registriertist. Grundlage für diesen Eintrag sind die Angaben der aus-stellenden Verwaltung. Er kann theoretisch nicht verändertwerden. Der ISPS-Code dürfte selbst für gut organisierteKriminelle eine Hürde sein, die kaum zu überwinden ist.

    Neue Trends

    Immer häufiger ereignen sich Überfälle auf Bargen undSchleppverbände. Diese Schiffsgespanne bieten aus Sichtder Angreifer zwei große Vorteile: Sie können raschumlackiert und äußerlich verändert werden und sie führenmeistens Waren, die man schnell umschlagen kann, etwaPalmöl oder Zucker.Eine weitere Variante der modernen Piraterie ist dieSchiffsentführung mit Lösegeldforderung. Als besondersgefährlich gilt derzeit die Küste Somalias. Im Juni 2005ging ein spektakulärer Fall durch die Medien: Räuberkaperten die MV Semlow, die mit 850 Tonnen Reis beladenwar, der für Tsunamiopfer bestimmt war. Erst Monate spä-ter konnten Schiff und Besatzung gegen Lösegeld befreitwerden. Somalia hat seit 1992 keine zentrale Regierungund kein funktionierendes Rechtssystem mehr. Deswegenwird allgemein empfohlen, die somalischen Küstenregio-nen weiträumig zu umfahren. Auch in Südostasien werdenimmer wieder Schiffe gekapert. Ebenfalls besondersgefährdet sind die Gewässer vor Indonesien, Malaysia undden Philippinen.

    Somalia – Horn von Afrika

    Im politischen Chaos Somalias bestimmen die Clans, was Recht und was Unrecht ist. Wie ein Staat im Staathaben sie ihre eigenen Gesetze, beanspruchen dieHoheitsrechte für ihre Seegebiete und teilen sich so dieKüste auf. Fünf bis sieben schwer bewaffnete Clanmit-glieder fahren in kleinen offenen Booten weit aufs Meerhinaus und suchen nach Beute. Meist kapern sie Schiffe und verlangen Lösegeld. Deshalb sollte das Seegebiet

    vor der somalischen Küste unbedingt gemieden werden.Es wird empfohlen, mindestens zweihundert SeemeilenSicherheitsabstand zu halten. Doch besteht die Hoffnung,dass sich die Situation verbessert. Mit der neuen interna-tionalen Militärpräsenz bis hin zu einer möglichen Einbin-dung der Clanführer in die Antiterrorbekämpfung könntedie Piraterie vor Somalia bald ein Ende haben.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Piraterie heute

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    Übergriffe auf Yachten

    In bestimmten Küstenregionen abseits der üblichenRouten der kommerziellen Schifffahrt überfallen Piratenauch Privatyachten. Traditionell gefährliche Gebiete sinddie Philippinen, das Chinesische Meer, die Küste Somaliasund der Golf von Aden. Doch mit der wachsenden Armutwächst auch andernorts die Bereitschaft, sich mit illegalenMitteln die Existenz zu sichern. So kam es in den letztenJahren auch an den Küsten Südamerikas, Marokkos, Mau-retaniens und Albaniens immer wieder zu Überfällen.

    Wie viele sich jährlich ereignen, ist schwer abzuschätzen.Zwar erfasst das International Maritime Bureau (IMB) inseiner Statistik auch Segel- und Motoryachten, jedochliefern andere Quellen wie das „Yacht Piracy InformationCentre for Blue Water Sailors“ weit höhere Zahlen. Exper-ten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer etwa doppelt so hoch ist wie die Zahl der gemeldeten Fälle.

    Terrorismus auf See

    In jüngerer Zeit wird die Piraterie zunehmend mit terroristi-schen Angriffen auf See in Verbindung gebracht. 80 % desWelthandels werden mit dem Schiff abgewickelt. Meistensmuss die Ladung im Laufe ihres Transports mindestenseinmal durch ein maritimes Nadelöhr wie die Straße vonMalakka oder den Suezkanal. Schon eine Teilblockade die-ser Passagen würde den Welthandel empfindlich treffenund Zusatzkosten in Milliarden-Euro-Höhe verursachen. Eswird argumentiert, dass sich Terroristen der gleichenMethoden bedienen könnten wie Piraten, ein Schiff zukapern, oder dass sie diese gar für ihre Zwecke einspannenkönnten. Die Unterscheidung zwischen Terrorakten undPiraterie ist aus rechtlicher Sicht, besonders mit Blick aufVerfolgungsrechte und mögliche strafrechtliche Sanktio-nen, relevant und wird deshalb in den Kapiteln zur rechtli-chen Situation näher erläutert. Für die Opfer spielen dieMotive der Täter letztlich keine Rolle. Und für die Versiche-rer besteht in beiden Fällen Leistungspflicht, sofern ent-sprechende Deckungen vereinbart wurden.

    Aktuelle Gefahr – Terrorismus

    Die Straße von Malakka ist 500 Seemeilen lang, an ihrerschmalsten Stelle nur neun Seemeilen breit und zum Teillediglich 30 m tief. Sie gehört zu den am meisten befahre-nen Seestraßen der Welt. Alle zehn Minuten passiert sieein Schiff, darunter viele Öltanker, die 40 % der weltweitenFördermenge transportieren. Praktisch die gesamte Erdöl-versorgung Ostasiens hängt davon ab, ob die Seestraßebefahrbar ist. Eine Blockade durch einen Terroranschlaghätte verheerende Folgen für die Weltwirtschaft.

    Terroristen nutzen gezielt aus, dass westliche Volkswirt-schaften vom Öl abhängig sind. Das zeigen Ereignisse ausjüngster Vergangenheit wie die Angriffe auf die Ölquellenin Basra. Osama bin Laden kündigte zum Beispiel nachdem Anschlag auf den französischen Tanker Limburg imOktober 2002 an, die Wirtschaftsinteressen der westlichenIndustriestaaten – insbesondere ihre Erdölzufuhr – anzu-greifen.

    Das Institut für Südostasiatische Studien (ISEAS) vertrittdie Ansicht, dass Al Quaida vorhabe, den maritimenHandel als Rückgrat der modernen globalen Wirtschaft zuunterbrechen. Käme – so das Institut – das Terrornetzwerk in den Besitz eines primitiven atomaren Sprengsatzes

    oder radioaktiver Stoffe, würde es diese in einer bedeu-tenden Hafenstadt oder Meerenge einsetzen.

    Nach Aussagen eines westlichen Geheimdienstlersbesitzt Al Quaida ein eigenes Marinehandbuch mit Eintra-gungen, auf welche Stellen am Schiff zu zielen ist, wieman Haftminen anbringt, Raketen oder Panzerfäuste auseinem fahrenden Schnellboot schießt und Gastanker inschwimmende Bomben verwandelt. Außerdem würdenTerroristen geschult, sprengstoffbepackte Schnellboote,Trawler und ähnliche Schiffe einzusetzen, um größereSchiffe oder Öl- und Gasdepots in Häfen zu zerstören. Es sei nicht auszuschließen, dass die Terroristen bei ihren Angriffen mit südostasiatischen Piraten zusammen-arbeiteten.

    Eine Blockade der Straße von Malakka nach einem Terror-anschlag würde bedeuten, dass Schiffe einen Umweg vonannähernd 1 000 Meilen machen müssten. Folglich wür-den die Frachtraten und damit auch die Rohstoffpreisesteigen. Dass 80 % des Ölbedarfs Japans durch Importeaus dem Mittleren Osten gedeckt werden, ist ein Beispieldafür, welch gravierende Auswirkungen ein solcherAnschlag auf die Weltwirtschaft hätte.

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Piraterie heute

    Zahlen und Fakten

    Wie bei den Überfällen auf Privatyachten sind auch in derkommerziellen Schifffahrt keine exakten Zahlen zu Schä-den durch Piraterie zu finden. Denn viele dieser Fälle wer-den nicht gemeldet, weil die Reeder vor einem Vertrauens-verlust ihrer Kunden Angst haben oder weil sie wissen,dass ihnen ihre Auslandsvertretungen sowieso nicht hel-fen können. Oft sind die Vertretungen weder personellnoch fachlich in der Lage, professionell Hilfe zu leisten.Auch politische Gründe können sie daran hindern, einzu-greifen bzw. die örtlichen Behörden zu mobilisieren.

    Es kam auch schon vor, dass Opfer Übergriffe meldetenund dann bei der Untersuchung in andere rechtliche Ver-wicklungen gerieten oder sogar selbst zu Tätern erklärtwurden. Die Untersuchungen können sehr langwierig sein.Der damit verbundene kostspielige Zeitverlust lässt dieReeder ebenfalls oft davor zurückschrecken, einen Über-griff mitzuteilen. Exakte Angaben über die Anzahl derÜberfälle sind daher schwierig. Das IMB Piracy ReportingCentre geht von einer Dunkelziffer von 50 % aus.

    Wenn das Opfer zum Täter wird

    Ein Containerschiff, das unter deutscher Flagge fuhr,wurde in Port Harcourt (Nigeria) überfallen. Die Piratenkamen im Schutz der Dunkelheit an Bord, als das Schiffentladen wurde. Sie brachen an Deck einen 40-Fuß-Contai-ner mit Ersatzteilen für Nutzfahrzeuge auf und entwende-ten einen großen Teil der Ladung. Als die Besatzung denÜberfall bemerkte und Alarm schlug, verschwanden dieRäuber mit ihren Booten in den nahe gelegenen Mangro-vensümpfen. Die Schiffsleitung meldete den Überfall denörtlichen Behörden. Nachdem diese die Papiere geprüfthatten, warfen sie der Schiffsleitung vor, undeklarierte,unverzollte Güter ins Land gebracht zu haben – ein Verge-hen, das mit einer hohen Geldstrafe geahndet wurde. DieAnzeige wegen des Raubs interessierte die örtlichenBehörden anscheinend gar nicht. Soweit bekannt, gingman den Hinweisen der Besatzung nicht nach, Verhaftun-gen gab es ebenfalls nicht und die entwendete Ladungblieb verschwunden.

    Schwer bewaffnetes somalischesSicherheitspersonal schützt einenHilfsgütertransport vor Übergriffenvon Piraten.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Piraterie heute

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    Anzahl der Überfälle

    1991 bis 1994 wurden ziemlich konstant rund 100 Über-fälle pro Jahr registriert. Doch dann schnellten die Zahlenin die Höhe. 2000 zählte das IMB 469 Überfälle. Sicherlichspielte dabei auch der wachsende Bekanntheitsgrad des1981 gegründeten IMB eine Rolle, der zu einer steigendenMeldefrequenz führte. Trotzdem ist der Trend eindeutig. Im Vergleich zu den Vorjahren sind die Fälle auf das fastFünffache gestiegen – vorläufiger Höhepunkt einer trau-rigen Entwicklung. Nach 2000 ging die Zahl der Angriffezeitweilig zurück, Anlass zur Entwarnung gibt es jedochnicht. Die kurzzeitige Entspannung hing höchstwahr-scheinlich mit der weltweiten amerikanischen Militär-präsenz, den Auswirkungen des Tsunamis im Dezember2004 und den verstärkten Patrouillen in der Straße vonMalakka zusammen.

    Personenschäden

    Die Zahl der Schiffsentführungen steigt stetig. 2005 wur-den so viele Geiseln genommen wie nie zuvor. 2004 warenes 243, 2005 bereits 453. Zwölf Geiseln galten bis Ende2005 noch als vermisst. Bei Körperverletzungen, Miss-handlungen und Tötungen gab es bis 2004 ebenfalls einedeutliche Zunahme: von 10 Fällen 1994 auf 103. Zwar gingdie Zahl 2005 auf 30 zurück, eine dauerhafte Trendwendelässt sich daraus allerdings nicht ableiten. Abgesehen von2005 haben Gewaltanwendungen in den letzten 10 Jahrentendenziell zugenommen.

    Crew vermisst 2,4 %

    Crew verletzt 4,7 %

    Crew misshandelt 1,2 %

    Crew bedroht 2,7 %

    Geiselnahme 89 %

    Registrierte Überfälle im Jahr 2005

    2005 gab es keineTodesfälle infolge vonPiraterie. Dafür stieg die Zahl der Geisel-nahmen dramatisch an.

    Quelle: IMB

    Quelle: IMB

    1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

    0

    100

    200

    300

    400

    500

    Überfälle und Geiselnahmen 1994 bis 2005

    Trotz einer geringerenZahl von Überfällenhaben sich Geiselnah-men 2005 im Vergleichzum Vorjahr fast ver-doppelt.

    Überfälle

    Geiselnahmen

  • 19

    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Piraterie heute

    Nach dem Tsunami – Die Piraten sind zurück

    3. März 2005: Erstmals nach der Tsunamikatastrophe am26. Dezember 2004 in Südasien haben Seeräuber ein Schiffin der Straße von Malakka überfallen. Mit Maschinen-gewehrsalven stoppten sie einen Frachter und nahmenzwei Gefangene. Dabei waren Seefahrtexperten davonausgegangen, dass der Tsunami auch die Infrastruktur derFreibeuter zerstört hatte. Im Schutz der Dunkelheit näher-ten sich die Piraten dem Frachter High Line 26. Unbemerktkamen sie in ihrem Schnellboot heran. Plötzlich eröffnetendie Angreifer das Feuer. Der Chefingenieur des Fracht-schiffs, das Kohle geladen hatte und sich auf dem Weg indie nordmalaysische Stadt Lumut befand, erlitt einen Bein-schuss. 50 Seemeilen südwestlich der malaysischen InselPenang entschieden sich die unbewaffneten Seeleuteschließlich dazu, aufzugeben und die Maschinen zu stop-pen. Wie im Handstreich enterten die Piraten den Frachter.Kapitän und Erster Offizier wurden als Geiseln von Bordgeführt, die sieben anderen Besatzungsmitglieder konnteerst Stunden später ein Schiff der Marine bergen. DieFachwelt reagierte geschockt auf den ersten Piratenangriffnach der Tsunamitragödie. „Wir hatten gehofft, dass dieFlutwelle auch die Ausrüstung der Piraten wie Boote undGewehre zerstört hat. Aber jetzt tauchen sie plötzlich wie-der auf“, so Noel Choong, Leiter des internationalen See-fahrtbüros in Kuala Lumpur. „Die Vorgehensweise ähneltder früherer Angriffe vor der Küste Sumatras. Wir glauben,dass einige Piratengangs ihre Aktivitäten wieder aufge-nommen haben.“

    Quelle: Peter O. Walter, www.esys.org

    Wirtschaftliche Schäden

    Der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Piraterie ver-ursacht wird, ist schwer zu schätzen. Die Angaben einzel-ner Beobachter liegen zu weit auseinander, um ein klaresBild abzugeben. Zudem wird in den seltensten Fällen dieDatenbasis genannt. Deshalb wollen wir uns an solchenSpekulationen nicht beteiligen und an dieser Stelle aufeigene Zahlenangaben verzichten. Der Gesamtschadendurch Piraterie ist im Verhältnis zum Gesamtwert der Ware,die auf dem Seeweg transportiert wird, auf den erstenBlick gering. Betrachtet man allerdings den Einzelfall, kön-nen die Schadensummen durchaus ein hohes wirtschaftli-ches Risiko für die Betroffenen darstellen. Zum Beispiel lag1998 der durchschnittliche Schaden pro gemeldeten Über-griff bei etwa 50 000 €. Darin sind auch die opportunisti-schen Blitzangriffe enthalten. Verschwindet die Ladungoder sogar das ganze Schiff, können Schadensummen imzwei- bis dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich entstehen.Zu den direkten Raubschäden bzw. Lösegeldzahlungenkommen noch die mittelbaren Schäden hinzu, etwa Aus-fallzeiten der Schiffe, Vertragsstrafen wegen Lieferverzug,zusätzliche Heuer, steigende Versicherungsprämien oderdie Kosten für den Kampf gegen die Piraterie. Zusätzlich bergen Piratenüberfälle das Risiko von Umwelt-katastrophen, wenn zum Beispiel ein Öltanker nach einemPiratenüberfall mit voller Fahrt sich selbst überlassen wirdund dann kollidiert oder auf Grund läuft.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Piraterie heute

    20

    Regionale Aufteilung

    80 % aller registrierten Überfälle ereignen sich in Territori-algewässern, also in Küstennähe; mehr als zwei Drittelgeschahen in den vergangenen Jahren in folgendenGefahrengebieten: in Südostasien, im Bereich des indi-schen Subkontinents, in der Region Rotes Meer/Golf vonAden sowie im Gebiet zwischen der Elfenbeinküste unddem Golf von Guinea. Die übrigen Vorfälle konzentriertensich zum größten Teil auf die Seegewässer Lateinamerikasund Ostafrikas.

    Afrika

    An der Westküste Afrikas wurden im Jahr 2005 insgesamt27 Überfälle registriert, davon 16 in Nigeria. An der ostafri-kanischen Küste sticht vor allem Somalia heraus mit 35von insgesamt 42 Übergriffen allein 2005.

    Indien und Bangladesch

    Immer mehr Übergriffe verzeichneten Indien und Bangla-desch. Nach einem sprunghaften Anstieg auf 55 Gewaltta-ten in Bangladesch und 35 in Indien im Jahr 2000 fordertedas IMB die zuständigen Behörden in Bangladesch auf zuhandeln. Es gab Zusagen, dass Küstenwache und Marineverstärkt Patrouillenfahrten durchführen würden. Trotz-dem veränderte sich die Situation kaum. 2005 ereignetensich vor Chittagong, dem größten Seehafen Bangladeschs,die weltweit meisten Angriffe innerhalb eines Hafenge-biets.

    Indonesien

    Indonesien hat mit fast einem Drittel aller Vorkommnisseunverändert die weltweit höchste Übergriffsrate.1 Haupt-ursachen sind die geografischen Gegebenheiten sowie diegespannte politische und wirtschaftliche Lage. So könnendie Piraten kleinere Bargen und Schiffe in der unübersicht-lichen Inselwelt Indonesiens verschwinden lassen und diegeraubte Ladung ohne große Gefahr vor Ort veräußern.

    SPAINPORTUGAL TURKEY

    GREECE

    KENYA

    ETHIOPIA

    ERITREA

    SUDAN

    EGYPT

    NIGER

    MAURITANIA

    MALI

    NIGERIA

    SOMALIA

    NAMIBIA

    LIBYA

    CHAD

    SOUTH AFRICA

    TANZANIA

    ANGOLA

    ANGOLA

    ALGERIA

    MADAGASCAR

    COMOROSMOZAMBIQUE

    BOTSWANA

    ZAMBIA

    GABON

    CENTRALAFRICANREPUBLIC

    TUNISIA

    MOROCCO

    UGANDA

    SWAZILAND

    LESOTHO

    MALAWI

    BURUNDI

    RWANDA

    TOGO

    BENIN

    GHANA

    COTED'IVOIRE

    LIBERIA

    SIERRA LEONE

    GUINEA

    BURKINA FASOGAMBIA

    CAPEVERDE

    CAMEROON

    SAO TOME & PRINCIPE

    ZIMBABWE

    CONGO

    DEM. REP.OF CONGO

    EQUATORIAL GUINEA

    WESTERNSAHARA

    (occupied by Morocco)

    DJIBOUTI

    SENEGAL

    GUINEA BISSAU

    Canary Islands

    JORDAN

    ISRAEL

    KUWAIT

    QATAR

    BAHRAIN

    U. A. E

    YEMEN

    SYRIA

    IRAQ

    IRAN

    SAUDI ARABIA

    1

    1

    1

    3 316

    2

    7

    1

    35

    10

    10

    Übergriffe von Piraten vor den Küsten Afrikas im Jahr 2005

    An den Küsten Afrikas gibt es in Somalia die meisten Piratenüberfälle.

    Quelle: IMB

    1 ICC-IMB, Piracy and armed robbery against ships, Jahresbericht 2005.

  • 21

    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Piraterie heute

    Straße von Malakka

    Die Straße von Malakka birgt nach wie vor ein hohesGefahrenpotenzial. Seit Indonesien und Malaysia verstärktPatrouillen der Küstenwache in die Meerenge schicken, istallerdings ein deutlicher Rückgang der Angriffe festzustel-len. Einen positiven Nebeneffekt hatte auch ein groß ange-legtes Manöver der indonesischen Marine mit gezielterLuftüberwachung, das im Juli 2005 unter dem Namen„Gurita 2005“ durchgeführt wurde. Die Anzahl der Über-fälle ging zwischen 2004 und 2005 von 38 auf 12 zurück.

    Südchina

    Wegen des immensen Bedarfs Chinas an Rohstoffen undVerbrauchsgütern war der Süden des Landes während der90er-Jahre vor allem für Phantomschiffe ein bestens geeig-netes Einsatzgebiet. Korrupte Beamte unterstützten denAbsatz der Hehlerware. Doch seitdem die Zentralregierungenergische Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfungergriffen hat, haben Phantomschiffe kaum noch eineChance.

    Gründe für die regionale Zunahme der Piraterie

    Dass die Piraterie regional zunimmt, steht immer im direk-ten Zusammenhang mit wirtschaftlichen Krisen und man-gelnden Rechts- bzw. Sicherheitssystemen. Jüngstes Bei-spiel ist Somalia. Mit der Entmachtung des Barre-RegimesAnfang der 90er-Jahre verlor der Staat die Kontrolle überseine Küstengewässer. Dadurch konnten Fischtrawleranderer Länder ungehindert in somalischen Gewässernfischen und gefährdeten damit die Existenzgrundlage derlokalen Fischer. Es kam zu gewaltsamen Auseinander-setzungen. Die einheimischen Fischer hatten gegen diegroßen ausländischen Trawler kaum eine Chance. Um ihre Existenz zu sichern, wurden sie immer öfter Piraten.Neben diesem Krieg, der noch immer andauert, gibt es denMachtkampf der Warlords, der sich nun auch auf das See-gebiet ausgeweitet hat. Die Warlords nutzen das Macht-vakuum in Somalia für private Raubzüge auf See. Bevor-zugt geht es dabei um Lösegelderpressung.

    KYRGYZSTAN

    TAJIKISTAN

    AFGHANISTAN

    PAKISTAN

    INDIA

    C H I N A

    KAZAKHSTAN

    NISTAN

    UZBEKISTAN

    MYANMAR

    THAILAND

    CAMBODIA

    NEPALBHUTAN

    VIETNAM

    SRI LANKA

    LAOS

    BANGLADESH

    MALAYSIAMALAYSIA

    BRUNEI

    SINGAPORE

    PHILIPPINES

    TAIWAN

    I N D O N

    I N D O N E S I A

    JAPAN

    MONGOLIA SOUTHKOREA

    NORTHKOREA

    EASTTIMO

    Übergriffe von Piraten vor den Küsten Asiens im Jahr 2005

    Indonesien hat nicht nur in Asien, sondern weltweitnach wie vor die höchsteÜbergriffsrate.

    Quelle: IMB

    5

    2

    2

    5

    1

    21

    12

    1

    7

    3

    10

    6

    4

    79

  • Entführt, ausgebrannt, versenkt:Aufgrund der Entführung der Achille Lauro im Jahr 1985 entsteht die SUA-Konvention, die am 10. März 1988 in Rom unterzeichnetwird. 1994 gerät das Schiff in Brand und sinktim Indischen Ozean.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

    24

    Oftmals liegt es am komplexen Fall, dass strafrechtlicheVerfolgung und Schadenregulierung schwierig sind. Wel-che Art der Piraterie liegt vor? Wo hat sie sich ereignet?Welcher Staat verfolgt den Fall? Welches Recht greift? Esgeschieht immer wieder, dass viele Unklarheiten rechts-freie Räume entstehen lassen und Piraten ungestraftdavonkommen. Vor allem die Versicherungsgesellschaftsteht dann häufig vor dem Problem, Regressansprüchedurchsetzen zu können. Deshalb hat die Versicherungs-industrie größtes Interesse daran, Piraterie zu bekämpfenund strafrechtlich zu verfolgen. Dazu muss im erstenSchritt die rechtliche Situation geklärt werden. Bei einemFall von Piraterie wird grundsätzlich zwischen Völker-,nationalem Straf- und Zivilrecht unterschieden; dazukommt, dass jede Rechtsform den Piratenübergriff andersdefiniert.

    Das völkerrechtliche Seerechtsübereinkom-men der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ)

    1958 wurde der Begriff der Piraterie in der „Genfer Kon-vention über die Hohe See“ definiert. Das SRÜ von 1982hat diese Definition übernommen. Bisher unterzeichneten157 Staaten das Abkommen, 148 ratifizierten es (Stand: 31. Januar 2005).

    Definition der Piraterie laut SRÜ

    Um die Fälle von Gewaltanwendung gegen Schiffe, Perso-nen oder Vermögenswerte an Bord dem Begriff der Pirate-rie im Sinne der Art. 101, 102 SRÜ unterordnen zu können,müssen folgende Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen:

    Die Gewalttat muss

    – von der Besatzung oder den Passagieren eines anderenSchiffs

    – illegal zu privaten Zwecken

    – und auf hoher See oder einem Ort, der keiner staatlichenHoheitsgewalt untersteht, begangen worden sein.

    Der Art. 101 SRÜ definiert den Tatbestand „Piraterie“ sehreng. Politisch motivierte Taten, etwa Terrorakte, fallen lautSRÜ nicht darunter. Unklar ist in der Definition die Bedeutung des Worts „ille-gal“. Die Gerichte der Klägerstaaten müssen entscheiden,ob die Tat völkerrechtlich oder nach nationalem Recht derKlägerstaaten als „illegal“ bezeichnet wird.

    Eingriffsrecht gegen Piraterie

    Wenn der Tatbestand der Piraterie besteht, ist zu klären, zuwelchen Maßnahmen die Staaten berechtigt sind. Diesregelt die „Schifffahrtsfreiheit als Grundsatz des See-rechts“:Im Seerecht gilt dieser Grundsatz seit langem. Danachhaben alle Staaten das Recht, Schiffe auf hoher See unterihrer Flagge fahren zu lassen. Gemäß Art. 92 SRÜ übt derFlaggenstaat außerdem die ausschließliche Hoheitsgewaltüber seine Schiffe aus. Er allein hat somit die Rechtsset-zungs- und Durchsetzungsgewalt. Dass dritte Staaten ein-wirken, ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen sindjedoch möglich:

    – Ausnahme nach Art. 110 SRÜDiese Ausnahme räumt Kriegsschiffen das Recht ein,fremde Schiffe zur Überprüfung ihres Flaggenführungs-rechts anzuhalten. Sie ist jedoch kein allgemeines Recht.Es müssen bestimmte Gründe vorliegen, zum Beispielder Verdacht der Piraterie, des Sklavenhandels oder derStaatenlosigkeit. Um das Flaggenführungsrecht desangehaltenen Schiffs zu prüfen, darf das Kriegsschiff einsog. Boarding-Team an Bord schicken. Falls nach Über-prüfung der Schiffsdokumente weiter Verdacht besteht,darf das Schiff durchsucht werden (Art. 110 Abs. 2 SRÜ).Die kommandierenden Offiziere müssen jedoch bei derAusübung dieses Rechts bedenken: Falls sich der Ver-dacht als unbegründet erweist, ist gem. Art. 110 Abs. 3SRÜ der Reederei jeder entstandene Schaden zu ersetzen.

    Rechtliche Situation

    Ein Schiff transportiert unter panamesischer Flagge eine Ladungaus Japan. Versichert ist der Transport in Deutschland, die Besatzung stammt von den Philippinen und aus den Niederlan-den. Nun wird das Schiff von indonesischen Piraten auf hoherSee geentert. Welches Recht gilt hier?

  • 25

    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Rechtliche Situation

    – Ausnahme nach Art. 105 SRÜ Nach Art. 105 S. 1 SRÜ kann jeder Staat in internationalenGewässern (= hohe See und Gewässer, die keiner staatli-chen Gewalt unterstellt sind) jederzeit gegen Piraten vor-gehen (Festnahme und Beschlagnahme). Art. 105 S. 2SRÜ bestimmt, dass die Gerichte des jeweiligen Staats,der das Schiff aufgebracht hat, über Strafen, die zu ver-hängen sind, entscheiden können und Maßnahmen fest-legen dürfen, die im Hinblick auf das Schiff oder die Ver-mögenswerte zu ergreifen sind. Entscheidend ist, dassalle Staaten das Recht haben, Maßnahmen gegen Pirateneinzuleiten, nicht nur jene, in denen sich die Gewalttatenereignen. Dadurch wird deutlich, dass Piraten unabhän-gig von der Nationalität als Feinde angesehen werdenund somit sämtliche Durchsetzungsmechanismen aufdem sog. Universalitätsprinzip beruhen. Art. 105 SRÜbesagt damit auch, dass ein Piratenschiff nicht weiter ver-folgt werden kann, sobald es nationale Gewässer erreichthat.

    Die Berechtigung zu solchen Interventionen in internatio-nalen Gewässern ist jedoch gemäß Art. 107 SRÜbeschränkt auf Kriegsschiffe oder „andere Schiffe, diedeutlich als im Staatsdienst stehend gekennzeichnet, alssolche erkennbar und hierzu befugt sind“.

    – Ausnahme „Zustimmung des Flaggenstaats“Normalerweise verletzt der unerlaubte Eingriff einesFremdstaats die Souveränität des Flaggenstaats. DieserRechtsverstoß kann jedoch aufgehoben werden, wennder betroffene Staat zustimmt. Voraussetzung: Der Tatortist die hohe See bzw. ein Ort, der keiner staatlichenHoheitsgewalt untersteht. Daraus ergibt sich allerdings,dass es keine rechtliche Grundlage gibt, außerhalb derhohen See gegen Piraterie einzuschreiten.

    Indonesische Marinesoldatenübergeben den Behörden imHafen von Jakarta mutmaßlichePiraten.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Rechtliche Situation

    26

    Art. 38 SRÜ garantiert allen Staaten das Recht, Meerengenzu passieren. Bei der Ausübung dieses Rechts müssen dieSchiffe „sich jeder Androhung oder Anwendung vonGewalt enthalten, die gegen die Souveränität, die territo-riale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeiteines Meerengenanliegerstaats gerichtet ist“ (Art. 39 Abs.1 b SRÜ). Dies bedeutet, dass ein fremdes Kriegsschiffohne die Erlaubnis des Küstenstaats keine Aktion gegenPiraten im Küstenmeer durchführen darf. Jegliche Inter-vention hängt davon ab, ob es entsprechende bi- odermultilaterale Verträge gibt.

    Strafrechtliche Verfolgung

    Auch wenn es sich bei einem Piratenübergriff nach übli-chem Rechtsverständnis um eine Straftat handelt, darf sievon der Staatengemeinschaft nicht beliebig strafrechtlichverfolgt werden.Um die Strafgerichtsbarkeit auszuüben, ist eine konkreterechtliche Grundlage notwendig. Sie könnte sich aus denArt. 100–107 SRÜ ergeben. Allerdings berechtigen sie dieStaatengemeinschaft nur, seepolizeiliche Maßnahmen zuergreifen. Zwar enthält Art. 105 SRÜ die Befugnis, die Täterzu bestrafen. Freilich steht diese nicht der Staatengemein-schaft, sondern nur dem Staat zu, „der das Schiff […] auf-gebracht hat“. Ein großer Nachteil des SRÜ ist, dass sichaus ihm keine unmittelbaren strafrechtlichen Sanktionenergeben. Art. 100 SRÜ ermächtigt die Staaten lediglich, dieerforderlichen Strafnormen zu erlassen. Somit hängt dieStrafbarkeit einer Tat allein davon ab, ob es eine entspre-chende innerstaatliche Norm gibt. Diese lückenhafteRechtslage sollte nach Meinung der Münchener RückDiskussionsthema auf internationaler Ebene sein.

    Zusammenfassung

    Die Art. 100–107 SRÜ berechtigen die Staatengemein-schaft lediglich zu seepolizeilichen Maßnahmen, nicht aberzur strafrechtlichen Verfolgung, die auf hoher See den ein-zelnen Staaten unterliegt und auf der Basis ihres nationa-len Rechts erfolgt.

    Das SRÜ allein reicht jedoch nicht aus, um ausreichendSchutz vor Piraterie zu gewährleisten. Weil der Tatbestandauf die hohe See begrenzt ist, gelten viele Fälle nicht alsPiraterie. Denn rund 80 % der Angriffe finden in Territorial-gewässern und Häfen statt. Ein weiteres Manko der See-rechtskonvention ist, dass Piraterie im Sinne des SRÜ nurvorliegt, wenn die Handlung zu „privaten Zwecken“begangen wurde. Die Eingriffsrechte des SRÜ erfassendaher nicht terroristische Handlungen, die immer mehrzunehmen.

    Hinzu kommt, dass Art. 100 SRÜ die Staaten verpflichtet,bei der Bekämpfung der Piraterie zusammenzuarbeiten.Dies bedeutet aber nicht, dass eine Verbindlichkeit für dieStaaten besteht, Normen, die Piraterie unter Strafe stellen,in ihre Rechtsordnungen aufzunehmen.

    Malaysische Polizeiboote sind inder Straße von Malakka ständigpräsent.

  • 27

    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Rechtliche Situation

    Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen dieSicherheit der Seeschifffahrt von 1988(SUA-Konvention)

    Die SUA-Konvention soll die Lücken im SRÜ schließen.Das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicherHandlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt –„Rome Convention for the Suppression of Unlawful ActsAgainst the Safety of Maritime Navigation“ – wurde am10. März 1988 in Rom unterzeichnet. Der Grund: der„Achille Lauro“-Zwischenfall 1985. Mitglieder der PLO hat-ten das italienische Schiff in Besitz und die Passagiere alsGeiseln genommen. Ein Passagier wurde dabei getötet. Zudieser Zeit wurde klar, dass die bestehenden völkerrechtli-chen Regeln nicht ausreichten. Das Übereinkommenberuht interessanterweise auf einer Initiative Österreichs,Ägyptens und Italiens, die nicht gerade zu den führendenSchifffahrtsnationen zählen. Bisher gehören 135 Staatender SUA-Konvention an (Stand 30. April 2006), darunterChina, Indien, Japan, Korea, Vietnam und Nigeria. Aller-dings fehlen wichtige Küstenstaaten wie Indonesien,Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Somalia.

    Definition der Piraterie nach SUA

    Während die ersten beiden Paragraphen der SUA-Konven-tion den Anwendungsbereich und die Definition von„Schiff“ betreffen, geht es ab Art. 3 SUA um die Definitionund den Umgang mit illegalen Handlungen gegen die See-schifffahrt. Als illegale Handlungen gelten unter anderem:unrechtmäßige Inbesitznahme von Schiffen, Anbringenvon Materialien an oder auf Schiffen, die sie zerstören oderbeschädigen können, und die Tötung von Personen anBord. Die SUA-Konvention erfasst somit – anders als dasSeerechtsübereinkommen – in erster Linie politisch moti-vierte, terroristische Akte, ist aber auch auf Piraterieanwendbar.

    Außerdem deckt sie ein wesentlich größeres geografi-sches Territorium ab als das SRÜ. Gemäß Art. 4 SUA kannsich das Schiff zum Zeitpunkt der illegalen Handlung über-all auf dem Meer aufhalten – auf hoher See, in der aus-schließlichen Wirtschaftszone, auf dem Küstenmeer – undaußerdem in Binnengewässern. Allerdings ist erforderlich,dass das Schiff zum Zeitpunkt der illegalen Handlung aufinternationaler Fahrt ist, d. h., es muss aus einem fremdenHoheitsgebiet oder von der hohen See kommen bzw. dieseGebiete gerade durchfahren oder ansteuern. Eine Geset-zeslücke entsteht, wenn sich die Schiffe nur in einemHoheitsgewässer befinden. Nationale Rechte könntendiese Lücke allerdings schließen.

    Eingriffsrecht nach SUA

    Anders als das SRÜ enthält die SUA keine generellen Be-fugnisse, gegen Piraterieangriffe vorzugehen und sie ab-zuwehren. Diese Handlungsbefugnis hat nur der Flaggen-staat (sog. Flaggenstaatprinzip) oder der Staat, in dessenKüstengewässern sich fremde Schiffe bewegen (sog.Territorialitätsprinzip) oder dessen Staatsangehörige dieTat begehen (Personalitätsprinzip). Nach Art. 9 SUAbleiben jedoch völkerrechtliche Regelungen davon un-berührt, sodass sich polizeiliche Maßnahmen fremderStaaten auf diese stützen können, wenn der Tatbestand der Piraterie im Sinne von Art. 105 SRÜ vorliegt. Deshalbergeben sich auch hieraus keine Verfolgungsrechte vonDrittstaaten in fremden Territorialgewässern.

    Strafrechtliche Verfolgung

    Die SUA liefert – anders als das SRÜ – auch eine rechtlicheGrundlage, Piraten strafrechtlich zu verfolgen. So ver-pflichtet Art. 7 Abs. 1 SUA die Vertragsparteien, Tatver-dächtige, die sich auf ihrem Gebiet aufhalten, vorläufig inGewahrsam zu nehmen oder sonstige Maßnahmen zu tref-fen, um eine Flucht zu verhindern. Das gilt so lange, bisStraf- oder Auslieferungsverfahren eingeleitet werden.Außerdem muss gemäß Art. 7 Abs. 2 SUA unverzüglicheine vorläufige Untersuchung durchgeführt werden, umden Sachverhalt festzustellen. Art. 10 SUA verpflichtet dieMitgliedsländer zur Auslieferung und Strafverfolgung. Beider konkreten Ausgestaltung und Durchführung der Straf-verfolgung gilt jedoch das jeweilige nationale Recht.Dadurch ist offen, ob die Täter angemessen bestraftwerden oder nicht.

    Zusammenfassung

    Obwohl man es nicht geschafft hat, die Lücken des SRÜganz zu schließen, ist die SUA ein weiterer Schritt auf demWeg zur Bekämpfung von Gewalt auf See. Sie zwingt dieStaaten, innerstaatliche Normen besser auszunutzen. DieParteistaaten müssen die Gerichtsbarkeit gegenüberjedem Verdächtigen ausüben oder ihn ausliefern. Leiderbedeutet das aber noch nicht, dass am Ende des Verfah-rens die Täter bestraft werden.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Rechtliche Situation

    28

    Die nationale Rechtsprechung

    Das nationale Recht hat bei der Bekämpfung der Piraterieeine wichtige ergänzende Rolle. Denn es ist die einzigegesetzliche Grundlage

    – für angegriffene Schiffe, die nur ein Hoheitsgewässerbefahren, und

    – zur strafrechtlichen Verfolgung, wenn das VölkerrechtStrafverfolgungsmaßnahmen nicht legitimiert (SRÜ)oder das Völkerrecht auf nationales Recht verweist(SUA).

    Anknüpfungspunkte für die internationale Strafverfolgung

    Da Piraterie meist ein Vorfall ist, der die nationalen Gren-zen überschreitet, ist oft nicht ganz klar, welche nationaleRechtsordnung in Betracht gezogen werden muss. Ein Bei-spiel: Ein Schiff transportiert unter panamesischer Flaggeeine Ladung aus Japan. Versichert ist der Transport inDeutschland, die Besatzung wiederum stammt von denPhilippinen und aus den Niederlanden. Nun wird das Schiff von indonesischen Piraten auf hoher See geentert.Welches Recht greift?

    Das Territorialitätsprinzip

    Um für diesen Fall das gültige nationale Recht bestimmenzu können, sucht man nach Anknüpfungspunkten im inter-nationalen Strafrecht. Der wichtigste ist das Territorialitäts-prinzip. Danach kann der Staat alle Taten, die im Inlandbegangen werden, unabhängig von der Nationalität desTäters oder des Opfers dem inländischen Strafrechtunterstellen.

    Im seerechtlichen Sinne gehören zum Inland die Binnen-,Küsten- und Archipelgewässer sowie der Festlandsockelund für wirtschaftliche Belange die ausschließliche Wirt-schaftszone (AWZ). Kollidieren verschiedene Rechtsord-nungen, ist für die territoriale Einordnung der Ort der Tat-handlung (Tatort) entscheidend und nicht der Ort desTaterfolgs (Erfolgsort).

    Das Flaggenstaatprinzip

    Nach dem Flaggenstaatprinzip fallen alle an Bord begange-nen Taten unter das Strafrecht des Staats, dessen Flaggedas Schiff führt. Damit wird der Forderung nach Sicherheitan Bord Rechnung getragen. Befindet sich ein Schiff infremden Hoheitsgewässern, tritt die Strafgerichtsbarkeitdes betreffenden Staates neben die des Flaggenstaats,wobei das Territorialitätsprinzip in der Regel Vorrang hat.

    Küstenausdehnung, Territorialgewässerund ausschließliche Wirtschaftszone(AWZ). Bei Überschneidungen in Grenz-gebieten gehören die Territorial-gewässer den benachbarten Ländernjeweils zu gleichen Teilen.

    Quelle: Münchener Rück

    Land X

    12 sm*

    6 sm

    Küstenausdehnung Territorialgewässer

    Ausschließliche Wirtschaftszone

    Hohe See

    200 sm

    Land Y

    Darstellung der internationalen Seegrenzen anhand einer fiktiven Küstenregion

    *1 Seemeile (sm) = 1,852 km

  • Das aktive Personalitätsprinzip

    Von diesem Prinzip spricht man, wenn ein Staat auch dieTaten seiner Staatsangehörigen verfolgt, die sie im Aus-land begehen. So werden alle Handlungen von Seeleutenerfasst, egal ob sie sich auf Schiffen unter fremder Flagge,auf hoher See oder in fremden Gewässern befinden. Damitwird verhindert, dass sich Täter durch Flucht in den Hei-matstaat der Strafverfolgung entziehen.

    Das passive Personalitätsprinzip

    Nach dem passiven Personalitätsprinzip werden Taten ver-folgt, die im Ausland gegen eigene Staatsangehörige ver-übt wurden. Dieses Prinzip ist seit langem umstritten, vorallem im angloamerikanischen Recht. Das deutsche Straf-recht wiederum erkennt es an. Bei Schiffskollisionen habennach derzeitiger Rechtsprechung Territorialitäts- undaktives Personalitätsprinzip Vorrang.

    Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege

    Nach dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflegeist die inländische Strafgewalt überall dort anzuwenden,wo die eigentlich zuständige ausländische Strafjustiz ausrechtlichen oder tatsächlichen Gründen daran gehindertwird, ihren Strafanspruch durchzusetzen. Das Prinzip istGrundlage vieler internationaler Abkommen zur Bekämp-fung besonders gefährlicher Straftaten. Es verhindert, dasssich Straftäter der Strafbarkeit entziehen, indem sie denStaat wechseln.

    Das Universalitätsprinzip

    Das Universalitätsprinzip, auch Weltrechtsprinzip genannt,schützt Rechtsgüter, an denen ein gemeinsames interna-tionales Interesse besteht. Es beruht auf dem originärenRecht jedes Staats, bestimmte und für alle Staaten glei-chermaßen gefährliche Straftaten zu verfolgen. DiesesPrinzip findet jedoch nur dann Anwendung, wenn keinesder vorstehenden Prinzipien einschlägig ist. Hierbei han-delt es sich meist um Rechte, die durch internationaleAbkommen oder das Völkergewohnheitsrecht anerkanntsind, zum Beispiel das SRÜ.

    Auflösung des Fallbeispiels

    Im eingangs geschilderten Fall wurde das Schiff auf hoherSee geentert. Das Territorialitätsprinzip ist daher nicht ein-schlägig, weil keine Handlung in Territorialgewässern vor-liegt. Nach dem Flaggenstaatprinzip wäre das RechtPanamas anzuwenden, da das Schiff unter panamesischerFlagge fährt. Dem Flaggenstaatprinzip geht jedoch dasaktive Personalitätsprinzip vor. Wegen der indonesischenStaatsangehörigkeit der Piraten schreibt es vor, indonesi-sches Recht anzuwenden. Die philippinische bzw. nieder-ländische Staatsangehörigkeit der Besatzung ist ohneBelang, da sie lediglich das Recht gemäß passivem Perso-nalitätsprinzip bestimmt, welches jedoch wiederum gegen-über dem aktiven nachrangig ist.

    Somit greift nach dem aktiven Personalitätsprinzip indone-sisches Recht.

    Trotz Rechtsdefinition keine Bestrafung

    Gilt nationales Strafrecht, bedeutet dies noch nicht, dassdie Tat auch bestraft wird. Das ist die größte Schwachstelleim internationalen Rechtsgeflecht bei der Pirateriebekämp-fung. Die nationalen Strafgesetze sind äußerst vielfältig.Einerseits verlangen die Strafrechtsordnungen, dass unter-schiedlichste Voraussetzungen vorliegen, damit der Tatbe-stand der Piraterie erfüllt ist; andererseits existiert er inmanchen Strafrechtsordnungen überhaupt nicht. In die-sem Fall muss dann auf Tatbestände wie Raub, Körper-verletzung oder Tötung zurückgegriffen werden. Nebendiesen materiell-rechtlichen kommen oftmals prozess-rechtliche Regelungslücken hinzu. So kann es passieren,dass selbst bei Erfüllung des Tatbestands der Täter nichtverhaftet, ausgeliefert oder einem Prozess zugeführt wer-den kann. Hintergrund dieser Defizite ist häufig mangeln-des Interesse an der Strafverfolgung. Zudem sind dieSicherheits- und Vollzugsbehörden einiger Staaten perso-nell und finanziell nicht ausreichend ausgestattet. All dieseUmstände nutzen die Täter gezielt aus, indem sie inHoheitsgebieten solcher Staaten agieren oder nach der Tatdorthin flüchten (Hit-rob-run-Taktik).

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Rechtliche Situation

    Die rechtliche Situation im Überblick

    Verfolgung

    Gerichtliche Bestrafung

    Hohe See

    SRÜ Art. 105, 107, 110

    Nationales Recht/SUA-Konvention

    Die SUA-Konventionverpflichtet die Vertragsstaatenzur gerichtlichen Strafverfolgungnach nationalem Recht.

    Nationale GewässerInternationale Fahrt

    Nationales Recht

    Nationales Recht/SUA-Konvention

    Die SUA-Konventionverpflichtet die Vertragsstaatenzur gerichtlichen Strafverfolgungnach nationalem Recht.

    Nationale GewässerNationale Fahrt

    Nationales Recht

    Nationales Recht

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Rechtliche Situation

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    Definition der Piraterie durch das IMB

    Da die Übergänge fließend sind, stellt das InternationalMaritime Bureau (IMB) „Piraterie“ und „bewaffnetenRaub“ auf eine Stufe:

    Piraterie (IMB-Definition)

    „Das Betreten eines Schiffes in der Absicht, Diebstahl oderein anderes Verbrechen zu begehen, wobei die Absichtoder Fähigkeit besteht, zur Durchsetzung dieser HandlungGewalt anzuwenden.“

    Bewaffneter Raub (IMO*-Definition)

    „Jede unrechtmäßige Gewaltanwendung, Freiheitsberau-bung oder Plünderung bzw. die Androhung einer derarti-gen Handlung (sofern es sich nicht um einen Akt der „Piraterie“ handelt), die sich gegen ein Schiff oder gegenPersonen oder Sachen an Bord eines Schiffes richtet undals Straftat der Gerichtsbarkeit eines Staates unterliegt.“

    Diese Definition verlangt nicht, dass Piraterie auf hoherSee begangen werden muss. Da das IMB die beiden Defini-tionen regelt, werden auch Tathandlungen erfasst, dienicht unter Art. 101 Seerechtsübereinkommen der VereintenNationen fallen, zum Beispiel Taten in Hoheitsgewässern.

    Mit dieser Definition verfolgt das IMB ganz pragmatischeZiele. Denn ihm geht es nicht in erster Linie um formal-juristische Definitionsfragen, sondern zu Recht darum,moderne Piraterie effektiv zu erfassen und zu bekämpfen.

    Zivilrechtliche Definition von Piraterie im Versicherungsrecht

    Nach der einschlägigen Literatur gibt es keine eigene ver-sicherungsrechtliche Definition für den Tatbestand derPiraterie. Es wird sowohl auf die Definition des IMB alsauch auf die des Seerechtsübereinkommens oder entspre-chende nationale Regelungen zurückgegriffen. Versicherungsrechtlich hat Piraterie jedoch einen geogra-fisch weiteren Anwendungsbereich als unter strafrechtli-chen Gesichtspunkten. Es genügt, dass die Tat am Meeroder auf dem Meer begangen wird. Eine territoriale odernationalstaatliche Begrenzung gibt es nicht. Folglich kannauch ein Überfall im Hafen oder in den Binnengewässernversicherungsrechtlich als Piraterie gewertet werden.Die einzigen Kriterien sind Anwendung bzw. Androhungvon Gewalt vor oder während der Tathandlung. Dabeimuss der Pirat – wie auch in der SRÜ beschrieben – ein pri-vates Motiv haben. Terroristische Gewaltakte sind dem-nach aus Sicht der Versicherer nicht als Piraterie zu sehen.

    Überfall im Hafen – Versicherer muss entschädigen

    Gerichtsurteil des Singapore High Court im Falle „Bayswater Carriers Pte Ltd vs. QBE Insurance (Inter-national) Pte. Ltd“ 2005:

    In einem indonesischen Hafen wurde ein Schlepper über-fallen und anschließend entführt. Die Versicherer verwei-gerten die Entschädigung, da Piraterie formalrechtlichnur auf hoher See und nicht im Hafengebiet möglich sei.Das Gericht entschied zugunsten des Versicherungsneh-mers: Ein Übergriff müsse nicht zwingend auf hoher Seestattfinden, um als Piraterie anerkannt zu werden. AuchÜbergriffe im Hafengebiet seien unter der Piraterie-deckung versichert. Die Küstenpolizei von Singapurpatrouilliert mit neuen Hightech-

    booten.

    * IMO (International Maritime Organization): Sonderorganisation derVereinten Nationen, zuständig für Schiffssicherheit, Sicherheit derMeere und Verhütung von Meeresverschmutzung durch Schiffe.

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Rechtliche Situation

    Schlussfolgerung und Lösungen

    Die Konventionen sind der Versuch, den goldenenMittelweg zu finden: Sie schreiben eine Universalrecht-sprechung vor, ohne dabei die einzelnen Staaten zu ver-pflichten, ihre Gesetzgebung anzupassen. Die Staatenakzeptierten dies, weil Piraterie für sie eine Bedrohung istund Piraten nicht im Auftrag eines bestimmten Staats han-deln, den man für eine Tat verantwortlich machen könnte.

    Die aktuelle Diskussion ist sicher wichtig, doch das Haupt-ziel, aktiv gegen die Piraterie vorzugehen, darf man dabeinicht aus den Augen verlieren. Denn für Opfer und Versi-cherer ist es kein Unterschied, ob eine Tat im Hoheitsge-wässer oder auf hoher See begangen wird und ob es sichdabei um einen privaten oder terroristischen Angriff han-delt. Beide brauchen im Falle eines Falles in erster Linie dieMöglichkeit der Restitution (Wiedergutmachung).

    Um Piraterie effektiver bekämpfen zu können, müssen dieAnrainerstaaten stärker zusammenarbeiten. Der betroffeneStaat kann zum Beispiel über das allgemeine Völkerrechtbei seinen Nachbarn einfordern, die Tat gemeinsam zuverfolgen.

    Leider ist es immer noch traurige Realität, dass einzelneStaaten Piraterie sowie den Verkauf erbeuteter Schiffe undLadungen dulden oder sogar selbst daran beteiligt sind.Diese Staaten müssen zur Rechenschaft gezogen werden.Außerdem können Reeder, die solche Gewässer befahren,ihr Heimatland um diplomatischen Schutz bitten. Wedervon diesem Recht noch vom Recht auf Unterstützungdurch die Anrainerstaaten wird bisher ausreichendGebrauch gemacht.

    Grundlage für den erfolgreichen Kampf gegen die Piraterieauf internationaler Ebene kann nur die staatenübergrei-fende Entwicklung eines einheitlichen Rechtsmodells sein.Dazu hat das Comité Maritime International (CMI) einerstes Konzept ausgearbeitet:

    Model International Law concerning Piracy and Acts ofMaritime Violence (2001)

    Die Verpflichtung, Piraterie staatenübergreifend zubekämpfen, erfordert, Rechtssysteme auf nationaler Ebeneanzupassen. Leider haben bis heute nur wenige Staatenihre Gesetze geändert. Deshalb hat das CMI gemeinsammit den einschlägigen Interessengruppen einen Muster-entwurf für ein staatliches Anti-Piraterie-Gesetz erarbeitenlassen. Als universell akzeptiertes Mustergesetz soll es deneinzelnen Staaten als Grundlage dienen, ihre Gesetzeanzugleichen. Das Papier enthält neben der Piraterie eineneue Verbrechensform: die maritime Gewalt. Darunter fal-len auch terroristische Übergriffe auf See. Ziel ist es, dieLücken des SRÜ zu schließen und jede Form der Gewaltauf See durch einen oder mehrere Staaten zu verfolgenund zu bestrafen. Vorschläge wie diese haben unsere volleUnterstützung. Denn gerade auf nationaler Ebene sehenwir den größten Handlungsbedarf.

    Die militärischen Führungsspitzen von Indone-sien, Singapur und Malaysia beschließen eintrilateral koordiniertes Patrouillen-Abkommenin der Straße von Malakka.

  • Lloyd’s of London, Underwriting Room:Die internationale Versicherungsindustrie reagiertauf das steigende Risiko durch Piraten mit neuenDeckungskonzepten und engagiert sich für Prävention und Verfolgung der Piratenüberfälle.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

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    Opfer und Geschädigte der Piraterie sind die Schiffsbesat-zung, die Reeder bzw. Eigentümer des Schiffs, die Waren-interessenten und die Versicherer. Für die Reeder, Schiffs-eigentümer und Wareninteressenten ist der Verlust auf denersten Blick gering, denn sie werden von den Versicherun-gen entschädigt. Häufen sich solche Ereignisse, steigenjedoch unweigerlich die Versicherungsprämien.

    Neue Risikobewertung besonders gefährlicher Gebiete

    So haben erst vor kurzem einzelne Versicherungsmärktedie verschärfte Risikosituation in einigen Problemregionenneu bewertet. Aufgrund der aktuellen Geschehnisse stufteman im Sommer 2005 auf Initiative des Londoner Marktsunter anderem die Straße von Malakka als Gebiet miterhöhtem Risikoprofil ein. Diese Risikobewertung ermög-licht den Kriegskaskoversicherern, Fahrten durch beson-ders gefährliche Gebiete von der regulären Kriegskaskode-ckung auszunehmen und nur noch gegen höhere Prämienweiterzuversichern. Um dieser Mehrbelastung entgegen-zuwirken, wandte sich die starke Lobby der betroffenenReeder an die Anrainerstaaten und forderte von ihnen, dieRisikosituation zu verbessern. Erste Erfolge zeigen sichbereits in verstärkten Patrouillen und darin, dass benach-barte Nationen intensiver kooperieren.

    Die Zahl der Anschläge ging daraufhin deutlich zurück. Imersten Halbjahr 2006 gab es nur noch 3 Übergriffe gegen-über 8 Angriffen im gleichen Zeitraum des Vorjahres. SeitAugust 2006 zählen viele Versicherer, allen voran Lloyd’s,die Straße von Malakka zwischen Malaysia und Indonesiennicht mehr zu den Gebieten mit erhöhtem Piraterie- undTerrorrisiko. Die Reeder müssen daher auch keine höherenRisikozuschläge mehr für Fahrten durch diese Regionzahlen.

    Chancen auf Regresszahlungen minimal

    Zurück zu den Opfern: Wie dargestellt, wird der Verlust derReeder und Wareninteressenten auf die Versicherer über-tragen. Um den Schaden so gering wie möglich zu halten,versuchen diese, die verschwundenen Ladungen wieder-zufinden und, soweit möglich, die Täter vor Gericht zu brin-gen. Aufgrund der oft unklaren rechtlichen Basis zur Verfol-gung der Straftaten sowie des damit verbundenen hohenKostenrisikos werden diese Versuche meist im Keimerstickt. Zudem ist es vielfach aussichtslos, auf demRegressweg Schadenersatz von rechtskräftig verurteiltenTätern zu erlangen. Die Versicherungsindustrie hat bei dergeschilderten Situation kaum eine Chance, den entstande-nen Schaden zu minimieren – und zahlt.

    Betroffene Versicherungssparten

    Bei Schäden, welche die Piraterie verursacht, sind in ersterLinie die Schiffskasko-, die Warentransport- sowie die Pro-tection-and-Indemnity-Versicherung (P&I) betroffen. UnterUmständen kann auch die Frachtausfall-/Verdienstausfall-Versicherung (Loss of Hire) für Schäden eintreten. In jüngs-ter Zeit werden den Schiffseignern spezielle Lösegeld-versicherungen (Kidnap & Ransom) angeboten.Die Deckungskonzepte verschiedener Versicherungs-märkte stimmen zwar im Grundsatz größtenteils überein,variieren aber je nach Land und Policenart stark in der Defi-nition der versicherten Gefahren und in der Ausgestaltungder Bedingungswerke. Deshalb konzentrieren wir uns beider Beschreibung der betroffenen Versicherungsspartenauf die englischen Transportbedingungen. Denn der eng-lische Transportversicherungsmarkt, speziell der Lloyd’s-Markt, hat weltweit Vorbildfunktion: Die Mehrzahl dernationalen und lokalen Bedingungen lehnen sich stark andas englische Transportversicherungsrecht an.

    Konsequenzen für die Assekuranz

    Erhöht sich die Zahl der Piratenüberfälle, steigen die Versiche-rungsprämien – vor allem bei Transportgeschäften in besondersgefährdeten Gebieten. Deshalb reagiert die Versicherungsindus-trie auf unterschiedliche Risikosituationen mit neuen Deckungs-konzepten – und engagiert sich für Prävention und Verfolgungvon Piratenüberfällen.

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Konsequenzen für die Assekuranz

    Schiffskaskoversicherung

    Mögliche Ansprüche können sich ergeben aus Totalverlustdes Schiffs durch Diebstahl oder Versenken oder ausBeschädigungen während eines Überfalls bzw. bei der Ver-folgung des gekaperten Schiffs.

    Bis 1937 war Piraterie eine der versicherten benanntenGefahren in der kombinierten Lloyd’s-Kasko-und-Waren-police (Lloyd’s SG Policy). Infolge zahlreicher entschädi-gungspflichtiger Ereignisse während des spanischen Bür-gerkriegs schloss man sie aus der Standardpolice aus undordnete sie den speziellen Versicherungsbedingungen für Kriegsgefahren zu. Seit 1983 zählt Piraterie wieder zu denregulären, unter der Standardkaskoversicherung (InstituteTime Clauses Hulls 1/10/83 versicherten Gefahren. Manversprach sich von dieser Lösung, dass Schäden, die durchPiraterie und Diebstahl verursacht werden, in einer Policegeregelt sind und es somit überflüssig wird, die beiden zuunterscheiden.

    Angesichts der hohen Zahl von Piratenangriffen in Krisen-regionen und der damit verbundenen Diskussion überstaatlich geduldete Piraterie bzw. über die mögliche Ver-bindung zwischen Piraterie und globalen Terrornetzwerkenhat das zuständige Komitee des Londoner Markts am 17. Oktober 2005 eine Reihe neuer Klauseln veröffentlicht.

    Sie besagen, dass unter anderem die Gefahren der Pirate-rie, der Beraubung und der Veruntreuung durch dieSchiffsbesatzung aus der Liste der versicherten Gefahrenin den Kaskobedingungen gestrichen werden können.Diese Gefahren werden jetzt wieder unter den speziellenKriegs- und Streikklauseln gelistet, die auch das Terroris-musrisiko umfassen. Für den Versicherer bedeutet das,dass er auch für diese Gefahren das Instrumentarium derindividuellen Risikoeinschätzung je nach Fahrtgebiet desversicherten Schiffs zurückgewinnt. Damit steht ihm dasgesamte Spektrum zur Verfügung: von der individuellenPrämienzulage bis hin zur Beschränkung oder zum gänz-lichen Ausschluss einzelner Fahrtgebiete aus der Deckungfür Kriegsgefahren.

    Die grundsätzliche Versicherbarkeit der Pirateriegefahrändert sich für die Versicherten dadurch nicht. Allerdingswechseln die Risikoträger auf einzelnen Märkten, soferndie Schiffskaskoversicherung und die Kriegs- und Streik-risikenversicherung bei unterschiedlichen Versicherernplatziert werden.

    1999 kapern Piraten die MS Alondra Rainbow. Das Schiff taucht einige Zeit später unter dem Namen Mega Rama imIndischen Ozean wieder auf, wird von der indischen Marine aufgebracht und nach Mumbai geschleppt.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Konsequenzen für die Assekuranz

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    Warentransportversicherung

    Entschädigungsansprüche gründen auf Verlust durch Rauboder Beschädigung der versicherten Ware, z. B. durchKampfhandlungen während eines Überfalls oder durchunsachgemäße Behandlung beim illegalen Umladen oderLagern.

    Bis zur Einführung der Allgefahrendeckung gemäß denInstitute Cargo Clauses (A) vom 1. Januar 1982, kurz ICC(A), glich die Situation der in der Schiffskaskoversiche-rung. Auch die Warentransportversicherung wurde auf derGrundlage der Lloyd’S SG Policy gezeichnet, sodass dieGefahr der Piraterie abwechselnd unter den regulärenTransportgefahren oder den Kriegsgefahren geführtwurde. Mit den ICC (A) kehrte man wieder zurück zur altenRegelung, nach der man Pirateriegefahren als Teil derregulären Warentransportversicherung ansah und sie ausdrücklich vom Ausschluss der Kriegsgefahren nachZiffer 6.2 ausnahm. Bei den weiteren Deckungskonzeptenauf der Basis benannter Gefahren (ICC [B] und ICC [C]) sindPiraterie und vergleichbare Beraubungsdelikte nichtmitversichert.

    Ob die englische Warentransport-Klauselkommission auf-grund der jüngsten Entwicklung bei den ICC (A) dem Bei-spiel der englischen Kriegskasko-Klauselkommission fol-gen wird, bleibt abzuwarten. Allerdings ist die Möglichkeit,das Prämienaufkommen durch eine Verlagerung derDeckung in die Kriegsversicherung stärker anhand desaktuellen Risikos der jeweiligen Transportroute zu steuern,bei der Warentransportversicherung wesentlich geringerals bei der Schiffskaskoversicherung. Die großen Jahres-policen werden fast ausnahmslos auf Jahresumsatzbasisabgerechnet, wobei die Prämie für das Kriegsrisiko teil-weise in die Umsatzrate eingerechnet oder aber über einePauschaldeklaration für einzelne geografische Transport-relationen ausgewiesen wird. Das punktuell erhöhteKriegs- bzw. Piraterierisiko bei einzelnen Transporten istfür den Versicherer damit gar nicht mehr erkennbar.

    Protection-and-Indemnity-Versicherung

    Die P&I-Versicherung ist primär eine Haftungsversiche-rung des Reeders. Insofern dient sie dazu, ungerechtfer-tigte Ansprüche Dritter abzuwehren, und leistet Zahlungenbei legitimen Forderungen. Die meisten Gesetze und See-rechtskonventionen stellen den Reeder bei Haftpflichtan-sprüchen frei, bei denen der von seinem Schiff verursachtebzw. davon ausgehende Schaden durch den Vorsatz Drit-ter, z. B. Piraten, entstanden ist. Unter Umständen kannsich der Reeder aber nicht gänzlich entlasten, etwa wenndie Schadenursache unklar ist oder ihm ein Mitverschul-den angelastet wird. Hinzu kommt die in der P&I-Deckungebenfalls enthaltene Arbeiterunfallversicherung. Sie greiftzum Beispiel, wenn ein Besatzungsmitglied bei einem Pira-tenangriff verletzt oder getötet wird und der Reeder für dieBehandlungskosten oder eine Hinterbliebenenversorgungaufkommen muss.

    Grundsätzlich sind die Kosten, für die der Reeder gesetz-lich haftet, durch die P&I-Versicherung gedeckt. Hinzukommen zum Teil die Aufwendungen für die Wieder-in-Besitznahme des überfallenen Schiffs, soweit sie nichtdurch die Schiffskaskoversicherung gedeckt sind. Auchwenn genaue Angaben hierüber schwer erhältlich sind,kann man sagen, dass ein gezahltes Lösegeld grundsätz-lich nicht als reguläre P&I-Deckung in den Versicherungs-bedingungen enthalten ist. Allerdings steht es dem Reederfrei, Ersatz für diese Aufwendungen im Rahmen der sog.Omnibus-Rule zu beantragen. Nach dieser Regelung befin-det das Direktorium des P&I-Clubs, ob im Einzelfall Ersatzgeleistet wird, zum Beispiel wenn dadurch ein möglicherAnspruch aus der Arbeiterunfallversicherung abgewendetwerden kann (z. B. bei Verletzung oder Tod eines Besat-zungsmitglieds).

    Loss-of-Hire-Versicherung (LoH)

    Solange das Schiff in der Gewalt von Piraten ist oder einwiedergefundenes, gekapertes Schiff repariert wird, erzieltdas Schiff keine Einnahmen. Ein Anspruch unter der Loss-of-Hire-Versicherung besteht bei einem entschädigungs-pflichtigen Schiffskaskoschaden oder wenn Piraterie aus-drücklich in den Katalog der ansonsten in LoH versichertenGefahren eingeschlossen ist. In der Regel ist eine verein-barte Anzahl von Ausfalltagen versichert, die mit einer fes-ten Taxe oder einer Tageshöchstentschädigung gegenNachweis des tatsächlichen Verlusts quantifiziert ist.

    Lösegeldversicherung

    Erstattet wird ein gezahltes Lösegeld bis zur Höhe der ver-sicherten Summe. Diese Versicherung wird meist für Groß-industrielle oder für das Topmanagement großer Wirt-schaftsunternehmen abgeschlossen. Eine derartigeDeckung für den Fall einer Schiffsentführung oder des Kid-nappings einzelner Besatzungsmitglieder abzuschließenist eine Gratwanderung zwischen der Deckung eines Versi-cherungsbedarfs und der Aufforderung an die Piraten zuweiterem, wenn nicht sogar verstärktem Kidnapping.

    Mit einer Lösegeldversicherung erwirbt der Reeder auf denersten Blick einen bedingungsgemäßen Entschädigungs-anspruch, um unter anderem nicht mehr abhängig zu seinvon einer Entscheidung des P&I-Direktoriums zur Bewilli-gung des Lösegeldersatzes unter der Omnibus-Rule. Rich-tig eingesetzt ist sie allerdings auch Baustein eines umfas-senden Risikomanagementprogramms. Neben einerindividuellen Risikoberatung mit konkreten Schadenverhü-tungsmaßnahmen, die speziell auf die zu versicherndenSchiffe zugeschnitten sind, sollte auch eine HotlineBestandteil des Versicherungsschutzes sein. Tritt ein Scha-den ein, berät ein speziell geschultes Krisenmanagement-personal den Reeder und übernimmt gegebenenfalls sogardie Verhandlungen mit den Kidnappern.

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Konsequenzen für die Assekuranz

    Finanzielle Belastung für die Versicherung

    Kein Artikel über Versicherungsfälle ohne statistische Zah-lenbasis – doch die Piraterie bildet hier eine Ausnahme.Aus den Statistiken des IMB kennen wir zwar die Zahl derüberfallenen Schiffe, soweit sie gemeldet wurden. Auchwissen wir die gemeldete Zahl der verletzten und getötetenSchiffsbesatzungen. Aber über die wirtschaftlichen Folgengibt es keine verlässlichen Aussagen. Niemand führtdarüber Buch. Hinzu kommt, dass schätzungsweise nur 50 % aller Schäden mitgeteilt werden. Auf der Kaskoseiteblieben die versicherten Schäden bisher glücklicherweiseüberschaubar – abgesehen von den gelegentlichen Total-verlusten an Schiffen. Die meisten Blitzüberfälle hinter-lassen Beschädigungen, deren Reparaturkosten sich oft im Selbstbehalt der Eigner bewegen. Raub oder Beschä-digung versicherter Ladung durch Piraten wird statistischin den meisten Fällen in gleicher Weise erfasst wie derSchadenaufwand für alle übrigen Beraubungsschäden zu Wasser und an Land. Piraterieschäden werden seltenseparat festgehalten. Ähnlich sieht es bei der Frachtaus-fallversicherung aus. Sofern Piraterie nicht als eigeneGefahr versichert gilt, wird der Kaskoschaden unabhängigvon der Ursache als Entschädigungsgrund erfasst. Überdie Höhe der Aufwendungen von Lösegeldversicherernbzw. P&I-Clubs im Rahmen ihrer Ausnahmeregelungengibt es aus Vertraulichkeitsgründen keine Angaben.

    Die einzige Möglichkeit, in Zukunft aussagekräftige Datenzu erhalten, ist, dass die Versicherer die Piraterieschädengesondert dokumentieren und die Zahlen jährlich in denIUMI-Statistiken (IUMI = International Union of MarineInsurers) veröffentlichen.

    Ungeachtet des historischen Schadenverlaufs ist natürlichauch ein Worst-Case-Szenario in Betracht zu ziehen. DaPiraten schon mehrfach faktisch unbemannte Schiffe involler Fahrt verlassen haben – nachdem sie die reguläreMannschaft an Bord eingesperrt hatten – besteht dieGefahr, dass ein beladenes Schiff havariert oder mit einemanderen kollidiert. Der mögliche Schaden durch die Explo-sion eines Gastankers oder die Havarie eines Öltankersgeht in die Milliarden. Zum Beispiel beliefen sich dieUmweltschäden aus den beiden bisher teuersten Tanker-unfällen der Exxon Valdez 1989 und der Prestige 2002 auf9,5 Mrd. US$ bzw. 1,2 Mrd. US$. Auch wenn die Entschädi-gungszahlungen aufgrund der haftungsrechtlichen Limitie-rungsmöglichkeiten weitaus geringer ausfielen, trafendiese beiden Ereignisse die Versicherungswirtschaftschwer. Denn das geschätzte weltweite Prämienaufkom-men bei P&I liegt derzeit bei lediglich rund 2,2 Mrd. US$pro Jahr.

    Neben der rein wirtschaftlichen Betrachtung sollte manjedoch das große Ausmaß der Verbrechen gegen dieMenschlichkeit nicht außer Acht lassen. So haben alleindie Piratenangriffe auf die vietnamesischen Boatpeople inden 80er-Jahren Tausende von Vergewaltigungsopfernsowie etliche hundert Entführte und Tote gefordert. Diejährliche Zahl Verwundeter und Ermordeter auf See unddas damit verbundene Leid sind Anlass genug, entschie-den zu handeln.

  • Boot der Royal Malaysian Customs:Die verstärkte internationale Zusammenarbeit,neue technische Entwicklungen und ein integriertes Risikomanagement helfen, dasRisiko eines Piratenüberfalls zu minimieren.Wichtigster Hebel im Kampf gegen die Piraterie:eine klare Rechtsprechung.

  • Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See

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    Verstärkte internationale Zusammenarbeit

    Nach der Zunahme von Überfällen auf Privatyachten in derKaribik und unzähligen Gewalttaten im Golf von Thailandund im Südchinesischen Meer beschäftigten sich in den80er-Jahren erstmals die Vereinten Nationen mit der wach-senden Gewalt auf See. 1981 rief die Generalversammlungdie Mitgliedsstaaten zu größeren Anstrengungen bei derBekämpfung der Piraterie und zum Schutz von Asylsu-chenden auf. Ab 1982 widmete sich der Schifffahrtsaus-schuss der UNCTAD allen Aspekten des maritimen Betrugsund der Piraterie. Der Schiffssicherheitsausschuss MSCveranlasste in der Folgezeit die IMO dazu, die Mitglieds-staaten aufzufordern, Piratenangriffe mitzuteilen, undregelmäßige Berichte über Fälle von Piraterie zu verfassen.

    Militärische Unterstützung beim Kampf gegen diePiraterie am Beispiel Somalia

    Solange sich die Überfälle vor Somalia in den Hoheits-gewässern abspielten, mischten sich die ausländischenKriegsschiffe, die in der Region stationiert waren, nicht ein.Doch seit dem ersten Piratenangriff auf ein Kreuzfahrt-schiff, die Seabourne Spirit, rund 100 Seemeilen vor derKüste und dem weiteren Vorstoß der Piraten in internatio-nale Gewässer, beteiligen sich die Mitglieder der inter-nationalen Seestreitkräfte daran, die Piraten zu verfolgen. Der Einsatz der US Navy im Januar 2006 (siehe Infobox)zeigt deutlich, dass der Kampf gegen die Piraterie nurerfolgreich sein kann, wenn die Völkergemeinschaft ihn alsgemeinsame Aufgabe versteht. Doch nicht alle Staatengehen militärisch gegen Piraterie vor. Der Bundesmarinezum Beispiel verbietet das Grundgesetz, bei kriminellenAkten einzugreifen.

    Mittwoch, 15. Februar 2006, Mombasa, Kenia (AP) – Zehnsomalische Piraten, die ein indisches Schiff entführenwollten, warfen ihre Waffen über Bord, als sich ein Kriegs-schiff der US Navy näherte. So berichtete ein Augenzeugevor dem kenianischen Gericht.

    Akbar Ali Suleiman, Kapitän der Safina Al Bisaarat, sagteaus, dass die Piraten noch weitere Waffen in einem ihrerBoote versteckt hatten. Doch die US Marines beschlag-nahmten sie und vereitelten die Schiffsentführung.

    Zwei Tage nachdem es den Hafen in Somalia verlassenhatte, wurde Suleimans Schiff von Piraten angegriffen. Eswar auf dem Weg in die Vereinigten Arabischen Emirate,nach Dubai.

    „Sie beschossen unser mit Holzkohle beladenes Schiff mit Handgranaten. Wir hatten große Angst vor einer

    Explosion“, berichtet Suleiman. „Ich konnte kein Not-signal aussenden, weil unser Generator nicht in Betriebwar.“

    Die Piraten wurden von den US Marines gefangengenommen. Das Schiff der US Navy kam am 22. Januarzufällig in die Nähe des Schiffs, nachdem sie das IMB zweiTage vorher darüber informiert hatte, dass die MS DeltaRanger, ein Frachter unter der Flagge der Bahamas, 200 Seemeilen vor der somalischen Küste von Piratenbeschossen worden war.

    Suleiman berichtet, dass er und seine Crew sich unter denKohlen versteckten, als die US-Fregatte begann, Warn-schüsse abzugeben. Eventuell haben die Piraten selbstdas Schiff gestoppt, damit die Soldaten an Bord kommenkonnten. Die US Navy übergab die Gefangenen am 29. Januar den kenianischen Behörden.

    „Die Piraten warfen ihre Waffen ins Meer“ – eine Zeugenaussage

    Maßnahmen im Kampf gegen die Piraterie

    In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Gesetze, Vor-schläge und Maßnahmenkataloge auf den Weg gebracht. Dazugehören Initiativen und Gesetze auf internationaler Ebene sowietechnische Entwicklungen und Einrichtungen, die dazu dienen,Piratenüberfällen vorzubeugen.

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    Münchener Rück, Piraterie – Bedrohung auf See Maßnahmen im Kampf gegen die Piraterie

    Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen

    Neben staatlichen Organisationen haben sich seitdemauch verschiedene nichtstaatliche Organisationen undVerbände des Themas angenommen. Besonders engagierthaben sich das IMB, die BIMCO, die P&I-Versicherer, dieInternationale Transportarbeiter-Gewerkschaft (ITF),Reedereiverbände und das CMI.

    Sicherheitsmaßnahmen auf internationaler Ebene

    Im staatenübergreifenden Kampf gegen Piraterie undTerrorismus wurden in den letzten Jahren zahlreiche Maß-nahmen ergriffen. Hier einige Beispiele:

    – Schiffe mit dem Ziel USA müssen sich seit dem 11. Sep-tember 2001 96 Stunden vor Ankunft mit Angaben zuLadung, Besatzung und Passagieren in den Zielhäfenanmelden.

    – Seit Oktober 2001 wird der Mittelmeerraum durch denNATO-Einsatz „Active Endeavour“ geschützt. Zusätzlichbieten NATO-Kriegsschiffe Geleit durch die Straße vonG