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Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 19/29 19. Wahlperiode Plenarprotokoll 29. Sitzung Donnerstag, 26. April 2018 Gemeinsame Beratung a) Zweite Lesung des Entwurfs ei- nes Gesetzes über die Feststel- lung eines 2. Nachtrages zum Haushaltsplan für das Haus- haltsjahr 2018 .............................. 2000, Gesetzentwurf der Landesregie- rung Drucksache 19/600 Bericht und Beschlussempfehlung des Finanzausschusses Drucksache 19/656 b) Verkauf der Beteiligung des Landes an der HSH Nord- bank AG - Zustimmung zur vertraglichen Ausgestaltung ...... 2000, Antrag der Landesregierung Drucksache 19/635 c) Verkauf der Beteiligungen des Landes an der HSH Nordbank AG ................................................ 2000, Bericht der Landesregierung Drucksache 19/634 Bericht und Beschlussempfehlung des Finanzausschusses Drucksache 19/661 Thomas Rother [SPD], Berichter- statter........................................ 2000, Daniel Günther, Ministerpräsident 2000, Tobias Koch [CDU]....................... 2003, Thomas Rother [SPD]................... 2006,

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Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 19/2919. Wahlperiode

Plenarprotokoll

29. Sitzung

Donnerstag, 26. April 2018

Gemeinsame Beratung

a) Zweite Lesung des Entwurfs ei-nes Gesetzes über die Feststel-lung eines 2. Nachtrages zumHaushaltsplan für das Haus-haltsjahr 2018 .............................. 2000,

Gesetzentwurf der Landesregie-rungDrucksache 19/600

Bericht und Beschlussempfehlungdes FinanzausschussesDrucksache 19/656

b) Verkauf der Beteiligung desLandes an der HSH Nord-bank AG - Zustimmung zurvertraglichen Ausgestaltung ...... 2000,

Antrag der LandesregierungDrucksache 19/635

c) Verkauf der Beteiligungen desLandes an der HSH NordbankAG ................................................ 2000,

Bericht der LandesregierungDrucksache 19/634

Bericht und Beschlussempfehlungdes FinanzausschussesDrucksache 19/661

Thomas Rother [SPD], Berichter-statter........................................ 2000,

Daniel Günther, Ministerpräsident 2000,Tobias Koch [CDU]....................... 2003,Thomas Rother [SPD]................... 2006,

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Lasse Petersdotter [BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN]................... 2009,

Christopher Vogt [FDP]................ 2011,Jörg Nobis [AfD]........................... 2014,Lars Harms [SSW]......................... 2015,

Beschluss: 1. Verabschiedung desGesetzentwurfs Drucksache 19/600

2. Annahme des AntragsDrucksache 19/635

3. Kenntnisnahme des Be-richts Drucksache 19/634.............. 2018,

Konzeption für ein landesweitesSemesterticket .................................. 2018,

Antrag der Fraktionen von CDU,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undFDPDrucksache 19/640

Lukas Kilian [CDU]...................... 2018, 2025,Kai Vogel [SPD]............................ 2020, 2026,Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS

90/DIE GRÜNEN]................... 2021, 2027,Kay Richert [FDP]......................... 2022,Volker Schnurrbusch [AfD].......... 2023,Flemming Meyer [SSW]............... 2024,Dr. Bernd Buchholz, Minister für

Wirtschaft, Verkehr, Arbeit,Technologie und Tourismus..... 2027,

Beschluss: Annahme........................... 2029,

Kräfte bündeln, Führung verein-heitlichen: „Deutsche Küstenwa-che“ schaffen .................................... 2029,

Antrag der Fraktion der AfDDrucksache 19/689

Nationale Küstenwache und zeitge-mäßes Gefahrenabwehrkonzept ..... 2029,

Alternativantrag der Fraktionen vonCDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, FDP und der Abgeordne-ten des SSWDrucksache 19/712

Jörg Nobis [AfD]........................... 2029, 2036,Tim Brockmann [CDU]................. 2030,Kathrin Wagner-Bockey [SPD]..... 2031,Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN]................................ 2033,

Jörg Hansen [FDP]........................ 2034,Lars Harms [SSW]......................... 2035,Hans-Joachim Grote, Minister für

Inneres, ländliche Räume undIntegration................................ 2036,

Beschluss: 1. Ablehnung des AntragsDrucksache 19/689

2. Annahme des AntragsDrucksache 19/712........................ 2038,

Insekten schützen, Neonicotinoideverbieten! .......................................... 2038,

Antrag der Fraktion der SPDDrucksache 19/674

Schutz von Bienen und Wildbienenverbessern - Keine Anwendungbienengefährlicher Neonicotinoidemehr im Freiland ............................. 2038,

Alternativantrag der Fraktionen vonCDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDPDrucksache 19/705

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]..... 2038, 2044,Heiner Rickers [CDU]................... 2039, 2045,Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN]................................ 2040, 2047,Dennys Bornhöft [FDP]................ 2041,Volker Schnurrbusch [AfD].......... 2042,Flemming Meyer [SSW]............... 2043,Sandra Redmann [SPD]................. 2047,Dr. Heiner Garg, Minister für So-

ziales, Gesundheit, Jugend, Fa-milie und Senioren.................... 2048,

Beschluss: 1. Ablehnung des AntragsDrucksache 19/674

2. Annahme des AntragsDrucksache 19/705........................ 2049,

Grundwasser schützen: Düngever-ordnung nachbessern und effizientumsetzen! .......................................... 2049,

Antrag der Fraktion der SPDDrucksache 19/675

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]..... 2049,Heiner Rickers [CDU]................... 2050,Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN]................................ 2052,Oliver Kumbartzky [FDP]............. 2053,

1998 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

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Volker Schnurrbusch [AfD].......... 2054,Flemming Meyer [SSW]............... 2055,Sandra Redmann [SPD]................. 2056,Dr. Heiner Garg, Minister für So-

ziales, Gesundheit, Jugend, Fa-milie und Senioren.................... 2057,

Beschluss: Überweisung an den Um-welt- und Agrarausschuss.............. 2058,

Erste Lesung des Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Schul-gesetzes .............................................. 2058,

Gesetzentwurf der Abgeordneten desSSWDrucksache 19/670

Jette Waldinger-Thiering [SSW]... 2058,Tobias Loose [CDU]..................... 2059,Kai Vogel [SPD]............................ 2060,Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN]................................ 2061,Anita Klahn [FDP]........................ 2062,Dr. Frank Brodehl [AfD]............... 2063,Karin Prien, Ministerin für Bil-

dung, Wissenschaft und Kultur 2064,

Beschluss: Überweisung an den Bil-dungsausschuss.............................. 2065,

* * * *

Regierungsbank:

D a n i e l G ü n t h e r , Ministerpräsident

M o n i k a H e i n o l d , Finanzministerin und ErsteStellvertreterin des Ministerpräsidenten

D r . H e i n e r G a r g , Minister für Soziales, Ge-sundheit, Jugend, Familie und Senioren und Zwei-ter Stellvertreter des Ministerpräsidenten

K a r i n P r i e n , Ministerin für Bildung, Wissen-schaft und Kultur

H a n s - J o a c h i m G r o t e , Minister für Inneres,ländliche Räume und Integration

D r . B e r n d B u c h h o l z , Minister für Wirtschaft,Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus

* * * *

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 1999

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Beginn: 11:02 Uhr

Präsident Klaus Schlie:

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröff-ne unsere heutige Sitzung; verspätet wegen des Be-ratungsbedarfs der SPD-Fraktion. Ich heiße Sie allerecht herzlich willkommen.

Ich darf Ihnen mitteilen, dass die Abgeordneten Pe-ter Lehnert und Marlies Fritzen erkrankt sind. PeterLehnert war es übrigens gestern schon, das istgestern nicht aufgerufen worden. Erkrankt sindebenfalls Frau Ministerin Dr. Sabine Sütterlin-Waack sowie Minister Dr. Habeck. Wir wünschenallen gute Genesung.

(Beifall)

Seitens der Landesregierung sind wegen auswärti-ger Verpflichtungen heute Nachmittag Herr Minis-terpräsident Günther, Frau Ministerin Heinold undMinister Dr. Buchholz beurlaubt. Herr Abgeordne-ter Kalinka hat nach § 47 Absatz 2 der Geschäfts-ordnung mitgeteilt, dass er an der Teilnahme an derheutigen Nachmittagssitzung verhindert ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, begrüßenSie bitte gemeinsam mit mir Schülerinnen undSchüler des Jürgen-Fuhlendorf-Gymnasiums, BadBramstedt. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ebenso begrüßen wir Vertreter des Betriebsrats derHSH Nordbank. - Herzlich willkommen im Land-tag!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2, 10 und 49 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzesüber die Feststellung eines 2. Nachtrages zumHaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2018

Gesetzentwurf der LandesregierungDrucksache 19/600

Bericht und Beschlussempfehlung des Finanz-ausschussesDrucksache 19/656

b) Verkauf der Beteiligung des Landes an derHSH Nordbank AG - Zustimmung zur ver-traglichen Ausgestaltung

Antrag der LandesregierungDrucksache 19/635

c) Verkauf der Beteiligungen des Landes an derHSH Nordbank AG

Bericht der LandesregierungDrucksache 19/634

Bericht und Beschlussempfehlung des Finanz-ausschussesDrucksache 19/661

Ich sehe, das Wort zur Begründung wird nicht ge-wünscht. Ich erteile zunächst das Wort dem Be-richterstatter des Finanzausschusses, Herrn Abge-ordneten Thomas Rother, für den Bericht zu a), b)und c).

Thomas Rother [SPD]:

Da es um a), b) und c) geht, verweise ich diesesMal auf die Vorlage. - Herzlichen Dank.

Präsident Klaus Schlie:

Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Rother. - Ichsehe keine Wortmeldungen. Ich erteile zunächst dasWort für die Landesregierung dem Herrn Minister-präsidenten Daniel Günther.

Daniel Günther, Ministerpräsident:

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren Abgeordnete! Heutestehen wir gemeinsam vor einer schweren Entschei-dung. Es sagt sich immer sehr leicht: Lieber ein En-de mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.Dieses Ende ist zwar das Bestmögliche, was wir er-reichen konnten, aber es dokumentiert eben auch:Die Abschlussrechnung für unser Land fällt sehrteuer aus.

Als die Landesregierung am 28. Februar 2018 demAbschluss eines Kaufvertrags über die Länderantei-le zustimmte, war dies ein wichtiges Etappenziel,um das Kapitel des Landesengagements für eineBank ein für alle Mal zu beenden. Vorausgegangenwar die Beihilfeentscheidung der EuropäischenKommission. Nach der sind die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg verpflichtet, die HSH Nord-bank in einem offenen, transparenten, wettbewerb-lichen und diskriminierungsfreien Verfahren zu pri-vatisieren.

Erfreulicherweise gab es für den Kauf eine Reihevon Interessenten, und das wirtschaftlich beste An-gebot hat den Zuschlag erhalten. Nach einem mehr-

2000 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

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stufigen Auswahlverfahren wurde ein Anteilskauf-vertrag zwischen der gemeinsamen Holding derLänder und mehreren unabhängigen Investoren ge-schlossen. Bei den Käufern handelt es sich um Cer-berus European Investments, J. C. Flowers, Gol-denTree Asset Management, Centaurus Capital so-wie BAWAG.

Das Vertragspaket enthält insbesondere den Ver-kauf der Anteile der Länder. Dieser Anteilskaufver-trag wird ergänzt durch einen Portfolio-Übertra-gungsvertrag und die Regelung der 2009 gegebenenSunrise-Zweitverlustgarantie. Mit dieser Garantiehaften die Länder im Umfang von 10 Milliarden €für Verluste aus den Altgeschäften der HSH Nord-bank. Näheres führt der Ihnen vorliegende Berichtaus.

Der Vertrag sieht einen Kaufpreis von rund 1 Milli-arde € vor für 94,9 % der an der HSH Nordbank ge-haltenen Aktien. Das ist der Anteil der LänderSchleswig-Holstein und Hamburg sowie des Spar-kassen- und Giroverbandes Schleswig-Holstein. Ei-ne Kaufpreisanpassung ist möglich, und zwar dann,wenn unter der Aufhebungsvereinbarung zur Sunri-se-Garantie insgesamt weniger als der volle Betragvon 10 Milliarden € gezahlt wird. Für die Länder istdas unter dem Strich gleich: Sollten die Länder beider Sunrise-Garantie weniger auszahlen müssen,sinkt der Kaufpreis entsprechend. Eine Vorausset-zung für den Kauf ist das Ende der Sunrise-Garan-tie.

Die hsh finanzfonds Anstalt verwaltet die Sunrise-Garantie. Diese Anstalt der Länder nimmt derzeiteine Bewertung der noch anzurechnenden Garantievor. Alles deutet darauf hin, dass die Garantie voll-ständig in Anspruch genommen wird. Die Länderhaben 2009 Risiken von 10 Milliarden € übernom-men. Wichtig für Schleswig-Holstein ist hierbei:Wenn die Bank fortbesteht, reduzieren sich die Ri-siken aus der Gewährträgerhaftung für Hamburg,unser Land und die schleswig-holsteinischen Spar-kassen. Ein Erfolg der Bank ist unsere Chance, dieZusagen aus der Gewährträgerhaftung nicht einlö-sen zu müssen.

Aus den Sunrise-Garantien kommen wir nicht raus,doch finanzielle Lasten aus der Gewährträgerhaf-tung werden wohl nicht an uns hängen bleiben. Siesehen, schlimmer wäre es auch noch gegangen. Lei-der ist die völlige Auflösung der Gewährträgerhaf-tung nicht möglich. Hier haben die Gewährträgersich sehr langfristig gebunden.

Der Vollzug des Kaufvertrags, das sogenannte„Closing“, erfordert die Zustimmung des Landtags

und der Bürgerschaft in Hamburg. Weitere Voraus-setzungen sind zudem die Genehmigung der Kar-tellbehörden und die Zustimmung der EuropäischenKommission und der Europäischen Bankenaufsicht.Sie alle sind eng eingebunden in den Privatisie-rungsprozess. Hinzu kommt die Bedingung, die denDeutschen Sparkassen- und Giroverband betrifft. Ermuss die Übergangszeit, in der die HSH Nordbanknach dem Verkauf im Sicherungssystem der Spar-kassen verbleiben will, um ein Jahr verlängern.

Die Landesregierung hält dies für einen überschau-baren Beitrag, reduziert doch der Verkauf die Risi-ken für die Sparkassenlandschaft signifikant. Unse-re Erwartung an den DSGV ist, dass er diesen über-schaubaren Beitrag schnellstmöglich liefert, um denVerkauf der Bank möglich zu machen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP, SSW und Birgit Herdejürgen [SPD])

Ministerin Heinold und ihr Hamburger Amtskolle-ge sind hierzu im Austausch mit dem Sparkassen-verband.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Kie-ler Standorts engagieren sich sehr für die HSHNordbank, für ihre Arbeitsplätze und für die nord-deutsche Wirtschaft. Dafür gebührt Ihnen mein Re-spekt.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Unser Land weist viele Stärken auf. Schleswig-Hol-stein ist ein guter Wirtschaftsstandort. Er bietet zu-kunftsträchtigen Branchen wie der maritimen Wirt-schaft, der Windenergie und den erneuerbarenEnergien, dem Life Science, der digitalen Wirt-schaft, dem Maschinenbau, der Logistik sowie demTourismus hervorragende Voraussetzungen. Nord-deutsche Lebensqualität und die Qualifikation undMotivation unserer Fachkräfte ergänzen die Vorzü-ge unseres Standorts, und ich wünsche mir, dass esgelingt, die neuen Besitzer von den Stärken Schles-wig-Holsteins als Standort zu überzeugen, und erstrecht von den Stärken der HSH-Beschäftigten hierin Kiel.

Gemeinsam mit Monika Heinold habe ich darüberbereits Gespräche mit dem Betriebsrat sowie mitdem Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank ge-führt. Die Landesregierung hat sich im Privatisie-rungsprozess stets für den Erhalt von Arbeitsplät-zen auch am Standort Kiel eingesetzt und die Vor-teile Kiels herausgestellt.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund SSW)

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2001

(Ministerpräsident Daniel Günther)

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Insbesondere die Nähe zur Kieler Universität undzum Institut für Weltwirtschaft mit ihren herausra-genden Leistungen in Forschung und Lehre im Be-reich der Wirtschaftswissenschaften bietet für dieBank einen direkten Zugang zu jungen und gut aus-gebildeten Fachleuten in verschiedenen Zukunfts-feldern wie zum Beispiel Operations und IT. Zu-gleich ist sie am Puls der wirtschaftswissenschaftli-chen Forschung präsent.

Der Privatisierungsprozess bietet nunmehr dieChance, einzelne Aufgabenfelder räumlich sinnvollneu zu ordnen und sich sinnvoll auf Standortvortei-le zu konzentrieren - unabhängig von bisherigenStaatsvertragsvereinbarungen.

Die ersten Signale der Bank - das darf ich Ihnen sa-gen - sind nach dem Gespräch mit dem Vorstands-vorsitzenden Stefan Ermisch durchaus positiv.Gestern hat er mir gegenüber noch einmal bestätigt,was ich heute auch im Schleswig-HolsteinischenLandtag sagen darf, dass der Erhalt von 200 bis600 Arbeitsplätzen in Kiel möglich erscheint.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt AfD)

Deswegen sage ich sehr deutlich: Wir werden dieVorteile Kiels auch als Landesregierung herausstel-len. Ich weiß, dass auch viele aus den Fraktionenheraus die ganze Zeit Gespräche führen und sichfür den Standort einsetzen. Ich sage an der Stelleauch genau das, was wir dem Parlament gegenüberimmer gesagt haben: dass wir keine Garantie habenund dass dies nicht Bestandteil von Verträgen ist.Vielmehr führen wir im Moment mit den zukünfti-gen Inhabern, mit dem Vorstandsvorsitzenden derzukünftigen Geschäftsbank Gespräche, sodass eskeine verbindlichen Zusagen sind. Aber das Signalist schon so deutlich, dass ich hier sagen darf, dassHoffnung besteht, dass der Standort in dieser Grö-ßenordnung erhalten bleibt.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, FDP, SSW und Volker Schnurr-busch [AfD])

Deswegen möchte ich an der Stelle auch dem Ma-nagement der HSH Nordbank und insbesondere denBeschäftigten für die Arbeit der vergangenen Jahrefür den erfolgreichen Verkauf danken. Dies ist jaein sensibles Thema. Aber sie haben hervorragendmitgearbeitet, und sie habe die erforderliche Re-strukturierung der Bank vorangebracht. Das ist be-eindruckend gelungen. - Ganz herzlichen Dank da-für!

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt AfD)

Für uns als politisch Handelnde ist an der Stelleauch Demut angesagt. Sicher: Die wenigsten hierim Haus standen in Verantwortung, als die folgen-reichen Entscheidungen getroffen wurden. Die Tra-gik nahm 2002/2003 ihren Lauf, als sich Schles-wig-Holstein und Hamburg von der Fusion ihrerLandesbanken einen Gewinn versprachen. Dochzur Ehrlichkeit gehört auch: Mit dem Wissen dervergangenen Jahre ist es leicht, die Entscheidungenunserer Vorgänger zu kritisieren.

Politik sollte sich auf Kernkompetenzen konzentrie-ren. Die Steuerung einer Geschäftsbank sollte zu-künftig nicht dazugehören.

(Lebhafter Beifall im ganzen Haus)

Bei aller berechtigten Kritik auch der Öffentlichkeitsage ich darüber hinaus mit Blick auf die Vertrags-verhandlungen auch ein ganz herzliches Danke-schön an unsere Finanzministerin Monika Heinoldfür das harte Streiten im Sinne der schleswig-hol-steinischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Ichbin Ihnen, Frau Finanzministerin, insbesondere fürIhre Arbeit der letzten Monate sehr dankbar.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, FDP, SSW und Dr. Frank Bro-dehl [AfD])

Genauso gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern im Finanzministerium um Peter Däu-ber und Agnes Witte und insbesondere Staatssekre-tär Philipp Nimmermann. Ich sage es einmal in die-sem Kreis hier: Ich war immer sehr froh, dass wirmit ihm einen wirklich ausgewiesenen Experten aufunserer Seite hatten, der diese schwierigsten Ver-handlungen auf Augenhöhe führen konnte, sodasssich Hamburg in den Verhandlungen an Schleswig-Holstein mit orientiert hat. Das ist ganz besondersIhr Verdienst, Herr Staatssektretär Nimmermann. -Vielen herzlichen Dank für Ihren Einsatz!

(Beifall)

Erst in der Rückschau erkennen wir die ganze Trag-weite und müssen heute den Bürgerinnen und Bür-gern die bittere Schlussrechnung präsentieren. Aberimmerhin ist es auch eine Schlussrechnung. Esschmerzt mich und gewiss alle Mitglieder des Par-laments und der Landesregierung, dass das Engage-ment des Landes für die Steuerzahlerinnen undSteuerzahler sehr teuer geworden ist. Dennoch: DerVerkauf ist für Schleswig-Holstein die wirtschaft-lichste Möglichkeit. Und wenn wir uns erinnern:Vor einem Jahr haben es viele für unmöglich gehal-

2002 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Ministerpräsident Daniel Günther)

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ten, dass überhaupt ein Kaufvertrag zustandekommt.

Da im Leben und in der Politik nichts alternativlosist, will ich auch die Alternative zur heutigen Ent-scheidung benennen. Das wäre eine sofortige Ab-wicklung. Die wäre für Schleswig-Holstein sehrviel teurer. Nach dem wahrscheinlichsten Szenariobeim Verkauf liegen die Lasten für Schleswig-Hol-stein bei rund 5,4 Milliarden €. Im Fall einer sofor-tigen Abwicklung könnten bis zu 7,5 Milliarden €auf das Land zukommen.

Im Jahr 2005 lag die Gewährträgerhaftung noch beirund 165 Milliarden €, 2009 bei rund 65 Milliar-den €. Das sind unvorstellbare Summen, über diewir hier sprechen. Heute liegt die Gewährträgerhaf-tung bei 2,2 Milliarden €. Alle Entscheidungen, diegetroffen wurden, wurden vor dem Hintergrund derGewährträgerhaftung Schleswig-Holsteins getrof-fen.

Für die Landesregierung sage ich ausdrücklich: DasErgebnis der Beteiligung an der HSH Nordbank istbitter für Schleswig-Holstein. Wir werden letztlichmindestens 5 Milliarden € zusätzliche Schulden be-wältigen müssen.

Die ersten Schulden der 2009 gegebenen Garantiekommen bereits jetzt im Haushalt an. So sieht esder Entwurf zum Nachtragshaushalt vor, der Ihnenheute ebenfalls zur Entscheidung vorliegt. Der Ent-wurf sieht vor, dass Schleswig-Holstein in diesemJahr zusätzliche Kredite in Höhe von bis zu2,95 Milliarden € aufnehmen kann. Damit steigendie Schulden des Landes auf rund 29 Milliarden €im Kernhaushalt.

In den vergangenen 15 Jahren gab es viele Ent-scheidungen zur HSH Nordbank: die Zustimmun-gen zur Fusion der Landesbanken im Jahr 2003, dasRettungspaket im Jahr 2009, die Reduzierung derSunrise-Garantie im Jahr 2011 mit der damit ein-hergehenden Eigenkapitallücke der Bank, die des-halb erforderliche Wiedererhöhung der Garantie imJahr 2013 und in der Folge den Staatsvertrag zurUmsetzung der Verständigung mit der Europäi-schen Union im Jahr 2015. Auch diese Historie istim vorliegenden Bericht dargestellt.

Nun haben wir die Chance, einen Schlussstrich zuziehen. Damit endet die Beteiligung des LandesSchleswig-Holstein an einer international tätigenGeschäftsbank.

Der Finanzausschuss hat sich bereits einstimmigdafür ausgesprochen, dem Antrag der Landesregie-rung zuzustimmen. Das freut mich. Die Landesre-

gierung ist davon überzeugt, dass dies für das Landdie beste Option ist, um mit den Altlasten der Ver-gangenheit so vermögensschonend wie möglichumzugehen.

Ich bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP, Birgit Herdejürgen [SPD] und verein-zelt AfD)

Präsident Klaus Schlie:

Ich eröffne die Aussprache. - Für die CDU-Fraktionhat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete To-bias Koch, das Wort.

Tobias Koch [CDU]:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Lassen Sie mich den letzten Akt diesesDramas mit den wenigen positiven Aspekten einlei-ten, die es dabei zu nennen gibt.

Vor zweieinhalb Jahren hätte ich es nicht für mög-lich gehalten, dass es überhaupt gelingt, einen Käu-fer für die HSH Nordbank zu finden. Schließlichgalt es, die Bank als Ganzes zu verkaufen, inklusivealler nach wie vor vorhandenen Problemkredite,und das auch noch zu einem positiven Kaufpreis.Ich glaube, niemand hätte erwartet, dass es am En-de einen regelrechten Bieterwettkampf gibt, der denKaufpreis auf 1 Milliarde € in die Höhe treibt.Schließlich gab es im Fall der WestLB nicht eineneinzigen Käufer, der auch nur einen einzigen Eurozu zahlen bereit gewesen wäre.

Es gibt aus meiner Sicht zwei wesentliche Gründedafür, dass der hinter uns liegende Verkaufsprozessderart erfolgreich verlaufen ist. Das ist zu allererstdie Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterder HSH Nordbank selbst. Diese haben mit einembeschleunigten Abbau der Altlasten sowie gleich-zeitig mit einem zeitgleichen Neugeschäft dafür ge-sorgt, dass die Bank überhaupt erst wieder attraktivfür potenzielle Käufer geworden ist.

Das ist zweitens aber auch Verdienst eines höchstprofessionell gestalteten Verkaufsprozesses selbst.An dieser Stelle will ich neben dem Namen unsererFinanzministerin insbesondere auch den Namenvon Staatssekretär Dr. Philipp Nimmermann nen-nen. Wir alle - das gilt auch für den HamburgerKollegen Scholz und Tschentscher - können unsüberaus glücklich schätzen, dass wir einen derartigversierten Verhandlungsführer auf unserer Seitehatten. - Lieber Herr Dr. Nimmermann, Sie habennicht nur fachlich fundiert komplexeste Vertragsge-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2003

(Ministerpräsident Daniel Günther)

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staltungen mit den Bietern verhandelt, sondern ausunserer Sicht haben Sie vor allem auch den Landtagbei allen anstehenden Entscheidungen immer trans-parent eingebunden und informiert. Im Namen derCDU-Fraktion unser herzliches Dankeschön dafür.

(Beifall CDU, FDP und vereinzelt SPD)

Im Ergebnis bleibt die HSH Nordbank mit einemerheblichen Teil der Arbeitsplätze erhalten. Die Be-lastungen für den Landeshaushalt fallen selbst imschlimmsten Fall um 1 Milliarde € niedriger aus alsdie 8 Milliarden €, von denen realistischerweise vorzwei Jahren auszugehen war. Es gab ja auch nam-hafte Landespolitiker, die sogar mit einem Gesamt-schaden von 20 Milliarden € und somit von jeweils10 Milliarden € für jedes Bundesland gerechnet hat-ten. Diese Befürchtungen bewahrheiteten sich jetztnicht.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wirdann aber auch am Ende der positiven Meldungenangelangt. Die jetzt höchstwahrscheinlich auf denLandeshaushalt zukommende Belastung von5,4 Milliarden € ist nämlich trotz alledem ein desa-ströses, deprimierendes Ergebnis mit folgenschwe-ren Auswirkungen.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen fünfJahren hat Schleswig-Holstein knapp 1 Milliarde €an Altschulden getilgt. Bei diesem Tempo wird esüber 30 Jahre dauern, nur um den durch die HSHNordbank entstandenen Schaden zu beseitigen.

Umso wichtiger ist jetzt, die Erarbeitung einesSchuldentilgungsplans in Angriff zu nehmen, wieihn der Landtag in seiner letzten Tagung auf Antragder Fraktionen von CDU, Grünen und FDP einstim-mig befürwortet hat.

Der Schuldenberg des Landes wird auf über30 Milliarden € anwachsen. Darüber hinaus werdendie zusätzlichen Zinsausgaben den politischenHandlungsspielraum gravierend einengen.

Dank des derzeitigen Zinsniveaus mögen es an-fänglich vielleicht „nur“ 50 Millionen bis 70 Mil-lionen € jährlich an zusätzlichen Zinsbelastungensein. Aber auch dieses Geld wäre bei Kinderbetreu-ung, Bildung und Infrastrukturausbau weitaus bes-ser aufgehoben als jetzt für die Erblasten der HSHNordbank.

(Beifall CDU, FDP und Dr. Marret Bohn[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Mit dem heute ebenfalls zu beschließenden zweitenNachtragshaushalt sorgen wir immerhin dafür, dassdie Zinsausgaben so niedrig wie möglich gehalten

werden, indem wir die Kredite nicht über die hsh fi-nanzfonds AöR, sondern direkt beim Land aufneh-men und an dieser Stelle somit von den etwas gün-stigeren Konditionen der öffentlichen Hand profi-tieren.

Aber nicht nur bei den Zinsausgaben, sondern auchbei der Verkaufsentscheidung insgesamt geht esnicht mehr um das Ob, sondern nur noch um dieHöhe der Belastungen, die auf den Landeshaushaltund damit auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzah-ler zukommt. Es gilt abzuwägen zwischen dem vonder Landesregierung befürworteten Verkauf auf dereinen Seite und auf der anderen Seite der Abwick-lung der HSH Nordbank.

Was muss man sich im Falle einer Abwicklung vorAugen führen? Man muss sich vor Augen führen,dass in diesem Fall kein einziger Arbeitsplatz erhal-ten bliebe. Man muss sich zweitens vor Augen füh-ren, dass eine Abwicklung heute nicht mehr in Ei-genverantwortung der Eigentümer erfolgen würde,wie das auch bei der WestLB der Fall war, sonderneine Abwicklung zum heutigen Zeitpunkt würdeden strengen Vorgaben des einheitlichen europäi-schen Bankenabwicklungsmechanismus unterlie-gen. Das wiederum hätte gravierende Folgen auchfür die Gläubiger der HSH Nordbank, sprich für al-le Sparkassen, Versicherungen und Pensionsfonds,die aufgrund der Regelungen mit ihren Einlagenherangezogen werden würden.

Für den Landtag kann und darf aber gleichwohl al-lein die Frage entscheidend sein, welche Lösungdie für den Landeshaushalt und damit die Steuer-zahler vermögensschonendste ist. Hier sind es zweiFaktoren, die gegen eine Abwicklung und für einenVerkauf sprechen:

Das ist zum einen natürlich der Kaufpreis, der beieiner Abwicklung logischerweise nicht erzielt wer-den würde, sodass dem Land in diesem Fall seinAnteil von 500 Millionen € am Verkaufserlös ent-gehen würde. Zum anderen ist im Falle der Ab-wicklung der dann zum Tragen kommende Restbe-trag aus der Gewährträgerhaftung inklusive Pensi-onsverpflichtungen zu nennen. Aus diesen etwasmehr als 3 Milliarden € inklusive Pensionsver-pflichtungen könnten über 600 Millionen € Belas-tungen auf Schleswig-Holstein zukommen. Zusam-mengenommen wäre das somit ein Vorteil von über1 Milliarde € für den Landeshaushalt bei einemVerkauf gegenüber einer Abwicklung.

Dies setzt immer voraus, dass ein Verkauf über-haupt zustande kommt. Das setzt auch voraus, dassder Übergang vom Einlagensicherungssystem der

2004 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Tobias Koch)

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Sparkassen auf das der Privatbanken gelingt. DerHerr Ministerpräsident hat darauf hingewiesen,dass insoweit noch eine endgültige Entscheidungaussteht. Sollte der Verkauf der HSH Nordbank andieser Stelle scheitern, wäre das ein großes Dramanicht nur für die Länder, sondern für das gesamtedeutsche Finanzsystem. Ich möchte deswegen dieErwartung äußern, dass sich die Sparkassen an die-ser Stelle ihrer Verantwortung bewusst sind.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, an den zuvor genanntenZahlen können Sie sehen, welche Bedeutung derGewährträgerhaftung für die Entscheidungsfindungimmer noch zukommt - und das 13 Jahre nach ih-rem eigentlichen Ende. Von den bis zum Jahr 2005gemachten Zusagen über gigantische 165 Milliar-den € sind heute nur noch rund 3 Milliarden € Ge-währträgerhaftung übrig. Aber selbst auf diesenkleinen Rest entfällt immer noch mehr als die Hälf-te des Vorteils, der bei einem Verkauf gegenübereiner Abwicklung entsteht.

Ich betone das deshalb so nachdrücklich, weil darannoch einmal sehr deutlich wird, weshalb im Jahr2009 beim damaligen Stand der Gewährträgerhaf-tung von 65 Milliarden € eine Rettung der HSHNordbank zwingend notwendig war. Eine Abwick-lung zum damaligen Zeitpunkt hätte Schleswig-Holstein aufgrund seines Anteils von 20 % an derGewährträgerhaftung bis zu 13 Milliarden € kostenkönnen. Die jetzt eintretende und wirklich schmerz-hafte Belastung des Landeshaushalts mit höchst-wahrscheinlich 5,4 Milliarden € ist deshalb nichtdie Folge der Rettungsmaßnahme im Jahre 2009,sondern die Folge der in den Jahren 2003 bis 2007gemachten Fehler.

Der Satz von Heide Simonis: „Wir waren damalsganz besoffen vom Erfolg“, bringt das zutreffendzum Ausdruck. Im Nachhinein, aus heutiger Per-spektive, muss man feststellen: Die Gründung derHSH Nordbank war die folgenschwerste Fehlent-scheidung, die der Landtag jemals getroffen hat.

(Beifall CDU, FDP und vereinzelt AfD)

Es war von Anfang an die falsche Weichenstellung,eine betuliche Landesbank zur internationalen Ge-schäftsbank mit zweistelligen Renditeerwartungenund Börsenplänen auszubauen. Die vermeintlichclevere Ausnutzung der Gewährträgerhaftung biszum Frühjahr 2005 hat sich anschließend als le-bensbedrohlicher Bumerang erwiesen.

Meine Damen und Herren, bei aller Deutlichkeitdieser Worte bitte ich Sie, diese gleichwohl nichtals einseitige Schuldzuweisung zu verstehen, son-dern als nüchterne Tatsachenfeststellung aus heuti-ger Perspektive heraus. Denn niemand kann ehrli-cherweise von sich behaupten, dass er bei eigenerRegierungsverantwortung die damaligen Entschei-dungen mit Sicherheit anders getroffen hätte. Dasgilt für Politiker jeglicher Couleur genauso wie füralle klugen Kommentatoren in der Öffentlichkeit.

Fehler sind zudem nicht nur bei der Gründung derHSH Nordbank, sondern zweifelsfrei auch auf dergesamten Wegstrecke gemacht worden: Ein völligunzureichendes Risikomanagement innerhalb derBank, fehlende Warnsignale von Wirtschaftsprü-fern und Bankenaufsicht sowie Kontrolldefizitedurch den Aufsichtsrat seien hier ebenso genanntwie die Entscheidung aus dem Jahr 2011 zur Redu-zierung der Garantiesumme.

Nach wie vor hat deshalb das Ergebnis des Unter-suchungsausschusses nichts an seiner Gültigkeitverloren: Es gibt nicht den einen Schuldigen für dasDesaster der HSH Nordbank, sondern es handeltsich vielmehr um einen Fall von Kollektivversagen.Umso wichtiger ist es jetzt, aus dieser Katastrophedie richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, damitsich ein derartiger Fehler niemals wiederholt.

Schleswig-Holstein muss sich auf seine Kernaufga-ben bei Bildung, Sicherheit und Infrastruktur kon-zentrieren. Unternehmerische Betätigungen mit Ge-winnerzielungsabsicht gehören definitiv nicht dazu.

(Beifall CDU, FDP und vereinzelt AfD)

Diese sollten tunlichst privaten Kapitalgebern über-lassen bleiben, damit nie wieder der Steuerzahlerfür Verluste aus solchen Geschäften in Anspruchgenommen wird.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP und vereinzelt AfD)

Das traurige Kapitel der HSH Nordbank muss unsallen eine Lehre sein. Es bleibt zu hoffen, dass esnicht so schnell in Vergessenheit gerät. - Herzli-chen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP, SSW und Birgit Herdejürgen [SPD])

Präsident Klaus Schlie:

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordne-te Thomas Rother.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2005

(Tobias Koch)

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Thomas Rother [SPD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! In der Tat: Wir begeben uns heuteauf den Weg in den Ausstieg des Ausflugs der Bun-desländer Hamburg und Schleswig-Holstein in dieWelt der internationalen Finanzmärkte mit der HSHNordbank. Das ist allerdings, Herr Ministerpräsi-dent, leider noch kein Schlussstrich. Das sogenann-te Closing-Verfahren muss noch zu einem erfolg-reichen Abschluss gebracht werden. Der Finanz-fonds Hamburg/Schleswig-Holstein und das Portfo-liomanagement zur Verwaltung und zum Abbauvon Schiffskrediten werden uns noch einige Zeit er-halten bleiben. Die finanziellen Lasten, insbesonde-re aus der Garantiegewährung des Verkaufs, wer-den uns in den kommenden Haushalten begleitenund sich negativ auf die finanzielle Handlungsfä-higkeit des Landes auswirken. Da ist es dann ganzegal, wer regiert. Da kommt immer noch etwasnach.

Dennoch ist die Entscheidung für einen Verkauf dierichtige Entscheidung. Maßgeblich dafür - einigesist angeführt worden - ist natürlich auch das Ergeb-nis der Tabelle auf Seite 12 des Berichts der Lan-desregierung. Die Entscheidung liegt also bei5,4 Milliarden oder 7,5 Milliarden €. Es ist klar,dass sich auch meine Fraktion für das kleinere derbeiden Übel entscheiden wird.

Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich beiMinisterin Monika Heinold und bei StaatssekretärPhilipp Nimmermann, an deren fachlicher Kompe-tenz meine Fraktion überhaupt keine Zweifel hat,für ihre Verhandlungsführung. Ich habe auch mitFreude gesehen, dass sogar Herr Richert, als sie ge-würdigt wurden, applaudiert hat. Wunderbar, dannhat es dort tatsächlich auch Bewegung gegeben.Das ist ja auch schon sehr schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund SSW)

Was noch versäumt wurde, ist tatsächlich der Dankan die Aufsichtsratsmitglieder, die jetzt tätig sind,und ihren Vorsitzenden Thomas Mirow. Sie habenversucht, soweit es möglich war, Schaden von denLändern fernzuhalten. Die Landesregierung selbsthat uns aus unserer Sicht bis gestern - so gut esdenn geht und soweit es zulässig ist - zuverlässigüber den Verlauf und das Ergebnis der Verhandlun-gen informiert, sodass dieses für uns nachvollzieh-bar ist.

Natürlich hätten wir uns weitere Informationen ge-wünscht, wie beispielsweise Einsichtnahme in denBusinessplan der neuen Eigentümer; denn nicht al-

lein das Land und seine Finanzen sind betroffen,sondern natürlich ebenso der Standort Kiel mit sei-nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natür-lich die Stadt Kiel mit den ausbleibenden Steuerein-nahmen. Wir waren, das ist auch der Grund für denverspäteten Beginn der Tagung, in diesem Vertrau-en - die Äußerung des Ministerpräsidenten gesternzu den Arbeitsplätzen ist durchaus eine frohe Bot-schaft, das ist gar keine Frage - erschüttert. DieseBotschaften hätten wir uns verbindlich auch frühergewünscht. Sie können sich an die Diskussionengestern erinnern, wo es immer die Vorwürfe gab, essei ja Wahlkampfzeit. Auch das ist für die StadtKiel sicherlich ein schönes Geschenk, wenn derWeihnachtsmann ein paar Monate früher kommtund solche Botschaften verkündet. Wir hätten unsgewünscht, dass diese Verbindlichkeit, die Sie ananderer Stelle an den Tag gelegt haben, dann auchschon früher in diesem Saal oder bei den Aus-schusssitzungen zum Ausdruck gekommen wäre.

(Beifall SPD - Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

Aber es geht natürlich auch um die Kundinnen undKunden der Bank - sie sind angesprochen worden,zufriedene Kunden -, und natürlich bangen immernoch große und viele kleine Anleger weiter um ihrGeld. Damit weise ich auch darauf hin, dass dieFrage des Übergangs der Haftungsgemeinschaftvom Sparkassen- in den Privatbankensektor nochnicht abschließend geklärt ist und dass sich derSparkassen- und Giroverband seiner Verantwortungbewusst werden und hier nicht noch weiter für Ver-unsicherung sorgen sollte.

Verantwortung ist ein gutes Stichwort, denn dieFrage der Verantwortung über die Entstehung derSituation, in der wir uns jetzt befinden, stellt sichnatürlich in der Öffentlichkeit und muss beantwor-tet werden - das allerdings nicht so, wie es die FDP-Fraktion getan hat, die sich frei nach Helmut Kohlauf die Gnade der späten Geburt beziehungsweiseder späten Regierungsbeteiligung beruft und die ei-gentlich schon immer alles und vor allem immerbesser wusste und von den Folgen - ich zitiere -schwarz-roten Größenwahns spricht. Daher möchteich kurz auf die Geschichte der Bank und die Her-leitung dieser Situation eingehen und auch auf gel-be Gefahren hinweisen, die bei einer Regierungsbe-teiligung der FDP drohen.

Präsident Klaus Schlie:

Herr Abgeordneter Rother, gestatten Sie, bevor Siedamit beginnen, eine Zwischenbemerkung des Ab-geordneten Vogt?

2006 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

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Thomas Rother [SPD]:

Gern.

Christopher Vogt [FDP]: Herr Kollege Ro-ther, ich möchte Ihnen noch die Gelegenheitgeben, etwas zurückhaltend an das Themaheranzugehen, über das Thema werden wirgleich noch sprechen können. Ich will nur sa-gen: 2003 bei der Gründung der Bank habenwir bereits gesagt, wir hätten auch schon imJahrzehnt davor, also ab 1993, die Bank ineine AG umgewandelt und dann veräußert.Wir hätten die HSH Nordbank nie gegründet.Zu den späteren Punkten kommen wir noch.Ich weiß nicht, ob es heute der Tag ist, andem sich ausgerechnet Ihre Fraktion da ausdem Fenster lehnen sollte.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BeifallJörg Nobis [AfD])

- In der Tat, wenn Sie meinen Wortbeitrag verfolgthaben: Ich wollte gerade auf die Herleitung einge-hen, aber natürlich auch auf die Beteiligung derFDP an einer Entscheidung, die dazu geführt hat,dass wir uns heute überhaupt über dieses Themaunterhalten. Das kommt also noch. Moment, Mo-ment, etwas Gemach.

Es fing eigentlich alles gut an im Jahr 2003: Nach-dem in den 90er-Jahren alle Landesbanken ihre Ge-schäftstätigkeit ausbauten, um die klammen Kassender Länder zu füllen, drängten Privatbanken aufWaffengleichheit im Wettbewerb. Die Vorteiledurch die Haftung der Gewährträger waren auchder Kommission der Europäischen Union schon im-mer ein Dorn im Auge. 2001 wurde der Wegfall derGewährträgerhaftung durchgesetzt und - aus heuti-ger Sicht leider - das mit einer Übergangsfrist vonvier Jahren versehen. Also gab es vier Jahre Zeit,die Bank mit günstigem Kapital vollzupumpen.

Die HSH wurde 2003 mit einer Bilanzsumme von180 Milliarden € gegründet. Die Bilanzsumme desLandes Schleswig-Holstein betrug damals 8 Milli-arden €. Das macht schon deutlich, auf welches Ri-siko man sich eingelassen hatte.

Ziel war der Börsengang der Bank, Herr Vogt hates gesagt, allerdings für die Jahre 2008, 2009, undein schrittweiser Ausstieg der Länder. Der Erfolgder Bank und hohe Ausschüttungen von 2003 bis2007 in Höhe von rund 1,3 Milliarden € machteneine Debatte über einen rascheren Börsengang - wietatsächlich von der FDP vorgeschlagen - zunichte.Außerdem erwarb der international tätige Finanzin-vestor Flowers, den wir sozusagen wieder auf dem

Zettel haben, den Anteil der WestLB - und das be-stimmt nicht, um auf Verzinsung zu verzichten,sondern er wollte natürlich auch Gewinne und einGeschäft dort machen. Renditeerwartungen von 15bis 17 % wurden vom Vorstand genannt. Die Wirt-schafts- und Sparkassenkapitäne des Nordens tum-melten sich im Aufsichtsrat. Es waren eben nichtnur Politikerinnen und Politiker an Bord. An Sach-verstand hat es dort eigentlich nicht gemangelt. Esgab auch immer positive Prüfvermerke der Wirt-schaftsprüfer und ganz ausgezeichnete Ratings.Herz, was willst du also mehr?

Aber das Kapital ist eben nicht nur ein scheuesReh, Herr Vogt. Es verliert leider auch gelegentlichden Verstand, wenn es um Rendite geht. Nachdemaufgrund der Wirtschaftskrise das Schifffahrtsge-schäft dramatisch einbrach, windige Auslandsenga-gements einstürzten, neu konstruierte risikoreicheAnlageformen ausfielen und Zweckgesellschaftenuntergingen, zeigte sich, dass sich die HSH Nord-bank ihren Branchenspitznamen einer „Silly Bank“zu Recht erworben hatte. Halteprämien für Vor-standsmitglieder, Bestechungsaffären, gefälschteBeweise über Straftaten und Steuersparmodellemachten die Silly Bank außerdem zu einer Skandal-bank. Hinzu kam ein unzureichendes Risikomana-gement. Die Bundesanstalt für Finanzdienstlei-stungsaufsicht hat das leider erst 2007 kritisiert.Parlamentarische Untersuchungsausschüsse in bei-den beteiligten Bundesländern haben sich damit be-fasst und die Vorgänge umfassend beschrieben. Al-lerdings - das haben wir heute in der Presse nachle-sen können - können sich nicht alle so gut daran er-innern, was damals beraten worden ist.

Die vorläufige Rettung der Bank vor neun Jahrenüber eine Zufuhr von Eigenkapital und die Gewäh-rung der Garantie war nach damaligen Erkenntnis-sen die günstigere Lösung. Bei der Gewährträger-haftung in Höhe von 13 Milliarden € für Schleswig-Holstein wäre eine Abwicklung zur Lotterie gewor-den. Der Bund hätte die Bank über den Rettungs-schirm des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierungnicht mit Eigenkapital gestützt und nur für eineKernbank gehaftet. Hinzu kommt bei der Länderlö-sung, dass der Eigenkapitalzufluss über die Garan-tieprämie hätte finanziert werden können, was auchgeschehen ist.

Allerdings - und das ist wiederum eine Fehlein-schätzung - ging man damals immer noch von einerErholung der Bank und davon aus, als Eigentümerspäter von möglichen Gewinnen wieder profitierenzu können. Jedoch hat sich kaum eine Prognose -

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2007

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das ist auch eine traurige Tatsache - des Bankvor-stands als tragfähig erwiesen.

Mit der Reduzierung der Garantiesumme auf 7 Mil-liarden € im Jahr 2011, um Garantiegebührenzah-lungen zu senken, näherte sich die Eigenkapitalquo-te einem kritischen Grenzwert. Die daher erforderli-che Wiedererhöhung der Garantiesumme führte zudem Verfahren, mit dessen Ergebnis wir uns heutebeschäftigen: die Weiterführung der Bank mit neu-en Eigentümern und neuem Namen und den be-kannten Lasten für das Land. Das geht aus dem Be-richt auch deutlich hervor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es hierim Landtag schon zu früheren Zeiten diskutiert: Als2011 am Kabinettstisch die Entscheidung der Bankzur Reduzierung der Garantiesumme - wieder ein-mal eine Fehlentscheidung - bekannt gegeben wur-de, saßen dort eben auch FDP-Vertreter. Herr Vogt,es hilft ja nichts.

(Christopher Vogt [FDP]: Wo saßen die?)

- FDP-Vertreter? - Am Kabinettstisch! Ja natürlich.

Der damalige Fraktionsvorsitzende der FDP betontein einer Landtagsdebatte, dass der Vorstand einerAktiengesellschaft nach deutschem Recht - da hater vollkommen recht - so etwas auch einfach tunkönne, ohne dass der Eigentümer darauf Einflussnehmen kann. Das stimmt. Da hatte er natürlich tat-sächlich recht. Er hätte es aber natürlich schon an-sprechen können, auch im Kabinett, wo Herr Ler-binger es schon berichtet hatte.

(Heiterkeit Annabell Krämer [FDP])

- Letztlich, Frau Krämer, war das auch der ent-scheidende Grund, einen neuen Vorstandsvorsitzen-den und einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden zubestellen. Unter guter Zusammenarbeit stellt mansich tatsächlich etwas anderes vor.

An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen,passt auch aus meiner Sicht besser als in jede Lan-desverfassung für uns alle eine Demutsformel.

Wir stimmen also dem Verkauf der Aktien, demAntrag der Landesregierung zu. Wir sind von denKäufern dieser Aktien alles andere als begeistert.

(Zuruf Werner Kalinka [CDU])

Deren Geschäftsgebaren und Geschäftsfelder habenmit einer Unternehmensethik, wie wir sie uns wün-schen, nichts zu tun. Dennoch muss man es leiderso sagen: Sie sind geeigneter als alle anderen Inter-essenten. Sie wären im Fall einer Abwicklung überdas Vorkaufsrecht von Herrn Flowers und als

Marktteilnehmer sowieso am Verkaufstresen gewe-sen und hätten ein noch günstigeres Geschäft ge-macht.

So schließt sich heute für uns nicht das letzte, abereines der bedeutendsten Kapitel in der Geschichteder Bank und wohl das teuerste Kapitel in der Ge-schichte des Landes. Nun sind andere Akteure - wiedie Hamburgische Bürgerschaft, die EU-Kommissi-on oder der Sparkassen- und Giroverband - am Zug.Auch diese werden gewiss die Weichen für denVerkauf der Bank stellen.

Ich bedanke mich bei allen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern der Verwaltung und in den Fraktionenfür die umfangreiche Zuarbeit zur Vorbereitungdieser Entscheidung. Ich bedanke mich auch beiden Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, diediese Beschlussempfehlung einstimmig getroffenhaben. Bei allen unterschiedlichen Auffassungen inBezug auf manchen Sachverhalt, die die Öffentlich-keit zu Recht fordert, haben sie damit ein hohesMaß an Verantwortungsbewusstsein bewiesen.

Allerdings ist es nicht zu einer gemeinsamen be-gleitenden Resolution, einer gemeinsamen politi-schen Einschätzung des Verkaufs gekommen. Dazusind zwei Gründe für meine Fraktion maßgeblichgewesen.

Zum einen gibt es eine Auffassung zur unternehme-rischen Tätigkeit des Landes, die nicht die unsereist. Wir bekennen uns zu Landesunternehmen wiedem UKSH, der GMSH oder der AKN, die einenwichtigen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge ge-währleisten und Referenzunternehmen sind; Sie set-zen Standards, sie wirken in der Öffentlichkeit vor-bildlich und stärken unsere Möglichkeiten, wirt-schaftspolitisch-regulatorisch Einfluss zu nehmen.Das wollen wir uns nicht nehmen lassen.

(Beifall SPD)

So etwas kann man tatsächlich beschreiben. Mankann sich auch durch politische Erklärungen nocheinmal in den Nuancen verständigen. Was aberüberhaupt nicht geht, ist, mit einem Interview eineGemeinsamkeit herzustellen, wie wir es heute inder „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung“ aufSeite 2 finden. Was dort von Wolfgang Kubicki,der hier ja auch mal Verantwortung getragen hat, inBezug auf die Person meines Fraktionsvorsitzendengesagt worden ist - keine Ahnung vom Bankge-schäft im Untersuchungsausschuss -, soll er tatsäch-lich mal nachweisen. Das ist nicht so. Wir habendie Protokolle und haben es nachgelesen: Es ist ein-fach eine schlichte Lüge. Eine Verbindung mit demStraftatbestand der Untreue sowie mit dem Gefäng-

2008 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Thomas Rother)

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nis herzustellen, ist nicht nur vollkommen falsch,sondern unverschämt und unerträglich. Es machtdeutlich, dass es an dieser Stelle leider keine Ge-meinsamkeit geben kann.

(Beifall SPD)

Ich appelliere an Sie, dass wir diese Gemeinschaft-lichkeit in der Sacharbeit wiederherstellen, wennwir uns tatsächlich mit den Sachthemen beschäfti-gen - beispielsweise bei dem Schuldentilgungsplan,mit dem wir uns jetzt befassen müssen, weil derSchuldenstand des Landes steigt -, weil wir sie füreine vernünftige Politik im Interesse unseres Lan-des brauchen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Präsident Klaus Schlie:

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Lasse Peters-dotter.

Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abge-ordnete! Blicken wir zurück ins Jahr 2003. Wäh-rend ich - 13 Jahre alt - gerade an der Realschulesitzenbleibe und nichts davon ahne, 15 Jahre späterin diesem Hause einmal die Rede zum Verkauf derHSH Nordbank zu halten, feiern in Hamburg 4.500ausgewählte Gäste, Bankerinnen und Banker dieFusion zweier Landesbanken. Exklusiv geladen:Bon Jovi. Was heute absurd klingt, war es auch da-mals schon.

(Beifall)

Das Kapitel HSH Nordbank ist hinlänglich disku-tiert worden. Es strotzt vor Skandalen und Fehlein-schätzungen und ist mit Arroganz und Gier ge-schrieben. Mit dem Börsengang und dem damit ein-hergehenden Ziel, durch internationale Geschäftesatte Gewinne zu erzielen, begann eine Zäsur derschleswig-holsteinischen Finanzpolitik.

Dabei darf man nicht außer Augen lassen, dass derPlan zunächst aufging. Die Bank expandierte undwarf Gewinne ab, die auch der Staat nur allzu gernabnahm. Grundlage dieser Gewinne waren aller-dings auch die immer höheren und langfristigerenSicherheiten, mit denen die Länder der Bank denRücken stärkten. Das war eine Entscheidung, diebis heute nachwirkt. Eins ist allerdings sicher: DieHSH Nordbank wird unser Land mehr kosten, alssie uns eingebracht hat.

Die Doktrin der Profitmaximierung ist ein schlech-ter politischer Ratgeber, denn jeder ökonomischeGewinn ist an ein ökonomisches Risiko gebunden.Dieses Risiko wurde in der HSH Nordbank nichtadäquat bewertet. Eine verantwortungsbewusste Ri-sikokultur war kaum erkennbar. Darüber hinauswurden viele Fehleinschätzungen getroffen. DieseErkenntnis schließt allerdings nicht nur auf einScheitern der Politik. Das Kapitel der HSH Nord-bank auf die Überschrift „Die Politiker sind nichtdie besseren Unternehmer“ zu verkürzen, wäre einFehler. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Wirt-schaftsprüfer bis zur Lehman-Brothers-Pleite derBank stets Werthaltigkeit, Kapitalmarktfähigkeitund Börsenfähigkeit bestätigt hatten. Auch einBlick in die Aufsichtsräte lohnt sich immer wieder:Da saßen nicht nur Politikerinnen und Politiker.

(Beifall CDU, SPD, FDP und SSW - WernerKalinka [CDU]: Richtig! Sehr richtig! -Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist das!)

Ebenso wurden die operativen Geschäfte nicht vonder operativen Politik geführt - auch wenn sie vonihr mitgetragen wurden.

Ja: Politik ist gescheitert - Expertinnen und Exper-ten allerdings auch, wie es viele zu dieser Zeit ta-ten. Wer sich pauschal davon freizusprechen ver-sucht, begibt sich auf dünnes Eis.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undSPD)

Die HSH Nordbank war im Übrigen nicht die einzi-ge Bank, die im Zuge der Weltfinanzkrise in ihrerExistenz bedroht und mit öffentlichen Geldern ge-rettet wurde. Ebenso wie andere Banken - öffentli-che wie private - war die HSH nicht Opfer der Fi-nanzkrise, sondern Teil der Krise.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD,vereinzelt CDU - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Soist das!)

Das muss uns dazu veranlassen, grundlegendereFragen zu stellen. Wie sehr sind die Ansprüche aneine Landesbank mit den Strukturen des internatio-nalen Kapitalmarktes zu vereinbaren? - Die großeDistanz zwischen Markt und Marktfolge wird im-mer dazu führen, dass marktunabhängige Entschei-dungen und Bewertungen nur sehr schwer zu ge-währleisten sind. Dass eine internationale Banknicht mit den Ansprüchen einer politischen Kon-trolle kompatibel ist, sollte ein Alarmsignal sein,lässt es doch durchaus Rückschlüsse auf die Demo-kratiefähigkeit des Kapitalmarktes zu.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2009

(Thomas Rother)

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(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, HansHinrich Neve [CDU] und Dr. Kai Dolgner[SPD])

Checks and Balances werden als marktfremde Me-chanismen nur politisch durchsetzbar sein. Sie wer-den in diesem Umfeld niemals aus sich selbst her-aus entstehen. Der unregulierte Kapitalmarkt giertvielmehr nach einem anarchieähnlichen Schutz-raum, um sich zu entfalten.

Auch wenn die HSH Nordbank versuchte, sich mitaller damit einhergehenden Schäbigkeit diesen an-archistischen Schutzräumen anzupassen, gelang esihr nicht, darin zu bestehen. Es ist zu bezweifeln,ob das überhaupt möglich, geschweige denn erstre-benswert ist. Das sollte das System der internatio-nal ausgerichteten Landesbanken als solches infra-ge stellen. Die Lehre aus der HSH Nordbank darfnicht nur eine landespolitische sein. Sie muss dieZusammenhänge berücksichtigen und Argumentdafür sein, dass sich der internationale Kapitalmarktnicht aus sich selbst heraus regulieren wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPDund vereinzelt CDU)

Im Sinne der Menschen und des Planeten dieseLeitplanken sinnvoll zu setzen, ist Aufgabe der Fi-nanzpolitik - nicht das Betreiben einer internationa-len Geschäftsbank. Insofern ist es gut, dass wir heu-te unseren Teil dazu beitragen werden und die Be-teiligung an der HSH Nordbank enden wird.

(Werner Kalinka [CDU]: Sehr gut!)

Selbstverständlich ist auch diese letzte Entschei-dung zwischen den Alternativen Abwicklung undPrivatisierung keine einfache. Wir haben in denvergangenen Wochen den Kaufvertrag intensivdurcharbeiten und diskutieren können. Nach allenuns zur Verfügung stehenden Informationen werdeich nach bestem Wissen und Gewissen der Privati-sierung der HSH Nordbank zustimmen. An dieserStelle komme ich - wie alle Vorredner auch - nichtumhin, mich beim Finanzministerium für die guteInformationspolitik und für die vertrauensvolle Zu-sammenarbeit im Finanzausschuss zu bedanken. -Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU,SPD, FDP und SSW)

Zwar werden wir die exakten Kosten der HSHNordbank frühestens im Jahr 2042 kennen, dennerst dann laufen die letzten Gewährträgerhaftungenaus, aber der Abwicklung steht stets im Mindestender Kaufpreis gegenüber.

Aktuell können wir von rund 5,4 Milliarden € aus-gehen, die sich in unserem Landeshaushalt nieder-schlagen und die Gestaltungsmöglichkeiten von unsund kommenden Generationen spürbar einschrän-ken werden.

Natürlich gab es in den vergangenen Wochen auchStimmen, die sich für eine Abwicklung ausgespro-chen haben. Eine These lautet, dass der Markt indiesem Sektor bereits übersättigt sei und daher derWegfall der HSH dem System guttun würde. Unge-achtet dessen, ob man dieser These inhaltlich fol-gen möchte, bin ich nicht bereit, an dieser Stelle einModellexperiment durchzuführen und dafür höhereSchäden im Landeshaushalt in Kauf zu nehmen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU,FDP und vereinzelt SPD)

Eine andere These für eine Abwicklung ist die wohlnie erschöpfende Hoffnung, dass doch noch allesbesser werden wird.

Natürlich steht die Frage im Raum, warum sich dieKäufer für etwas interessieren, was wir gern los-werden wollen. Das ist ein Logik, die nachvollzieh-bar ist, ist das doch der Gedanke, den man von je-dem Gebrauchtwagenhandel kennt. Daher möchteich kurz darauf eingehen. Die Käufer sind sicher-lich nicht das, was ich unter einem sympathischenGeschäftspartner verstehen würde. Aber sie sind einProdukt ihres Geschäfts, in dem nur die aggressiv-sten Akteure an die Spitze geschwemmt werden.Zudem geht es hier nicht um den Verkauf des Ta-felsilbers des Landes Schleswig-Holstein, sondernes geht um den Verkauf der HSH Nordbank. DieKäufer allerdings sind auf diese Geschäfte - etwamit notleidenden Krediten umzugehen - speziali-siert. Sicherlich werden sie einen Gewinn sehen,den Hamburg und Schleswig-Holstein so nicht er-reichen können oder wollen.

Auch die sogenannte geordnete Abwicklung klingtin der Theorie einfacher, als sie es in der Praxis wä-re. Abgesehen davon, dass es dafür kein wirklichesRechtsregime gibt und ein langer rechtlicher Pro-zess darüber beginnen müsste, wer nun tatsächlichfür die Gewährträgerhaftung in welcher Art haftenund geradestehen müsste, bräuchte eine geordneteAbwicklung immer neues Kapital. Und da niemandvor unseren Türen mit Koffern voller Geld stehtund sagt: „Dieses Kapital nutzt doch bitte für einegeordnete Abwicklung!“, bliebe kein anderer Weg,als dass dieses Kapital vom Land selber kommt.Genau hier widerspricht das dem wichtigstenGrundsatz, den wir mit der Privatisierung hingegen

2010 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Lasse Petersdotter)

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einhalten können: kein weiteres Risiko, kein weite-rer Euro!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU,FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Eine Abwicklung würde zudem auch heute nochdie Sparkassen im Land in ernsthafte Schwierigkei-ten bringen. Immerhin haften sie mit 18 % für dieGewährträgerhaftung, zwar nicht mehr für die zi-tierten 165 Milliarden € aus dem Jahr 2005, aberimmer noch in einer schlagenden Größe.

Niemand hätte vor wenigen Jahren für möglich ge-halten, dass ein Kaufpreis von 1 Milliarde € erreichtwerden könnte. Einen Anlass zur Jubelstimmunggibt es trotzdem nicht. Das gebührt auch der Re-spekt vor den Beschäftigten in Kiel, die in den letz-ten Jahren maßgeblich dazu beigetragen haben,dass die Bank auf einem Konsolidierungsstand ist,dass sie verkaufsfähig ist. Dafür gebührt ihnenDank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU,FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Zwar können wir zuversichtlich sein - und die Rededes Ministerpräsidenten hat das bestärkt -, dass dieStandortvorteile auch die Käufer überzeugen wer-den, nichtsdestotrotz müssen wir eingestehen, dassdie Entscheidungsbefugnis nach der Privatisierungnicht mehr beim Land, sondern ausschließlich beiden neuen Eigentümern liegen wird. Die Ar-beitsplätze zu sichern, ist trotzdem ein wichtigesAnliegen, und die Argumente stehen auf unsererSeite. Davon müssen wir weiter Gebrauch machen,das müssen wir erzählen, und wir müssen vor allenDingen auch vertreten und immer wieder betonen,wie wichtig der Standort Kiel für die gesamte Regi-on Kiel und die Unternehmen ist, die daran ange-gliedert sind, für die Holstenstraße und alles, wasdarüber hinaus besteht.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, CDU, SPD und FDP)

Die Maxime, unter der wir die Privatisierung be-trachten, ist der Schutz des Landeshaushalts. Durchdie Zustimmung in diesem Hohen Haus werden wirdiesem Ziel einen großen Schritt näherkommen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Kapi-tal - Entschuldigung, ein Freudscher Versprecher -,

(Heiterkeit)

das Kapitel der HSH Nordbank wurde mit Arro-ganz und Gier geschrieben.

(Beifall Annabell Krämer [FDP])

Der heutige Tag allerdings markiert einen Punkt inder schleswig-holsteinischen Geschichte. Und einneuer Satz wird entstehen, der ohne die Lehren ausdem Vorangegangenen banal und ignorant wäre.Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um Sätze gegen Ar-roganz und Gier und für Bescheidenheit und Ge-rechtigkeit zu schreiben. - Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, CDU, FDP, SSW und vereinzeltSPD - Zuruf: Bravo!)

Präsident Klaus Schlie:

Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Frakti-onsvorsitzende, der Abgeordnete Christopher Vogt.

Christopher Vogt [FDP]:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Man sollte mit diesem Begriff immer zu-rückhaltend sein, aber dies ist heute in der Tat einhistorischer Tag. Es ist alles andere als ein Freuden-tag. Ich denke, das empfinden wir alle hier im Ho-hen Haus so.

Wir ziehen nun allerdings für Schleswig-Holstein -hoffentlich - zumindest den parlamentarischenSchlussstrich unter das dunkle Kapitel HSH Nord-bank. Der Kollege Rother hat in dem Punkt recht,es ist noch kein Schlussstrich, aber ich denke, wenndas nichts mehr scheitern lässt, ist das ein parla-mentarischer Schlussstrich. Insofern ist das immer-hin etwas.

Wir nehmen parallel zur Verkaufsentscheidung mitdem Nachtragshaushalt knapp 3 Milliarden € zu-sätzliche Schulden auf. Und dies ist leider nur einTeil der ganz großen Rechnung, die unser Bundes-land für das gewaltige Desaster stemmen muss.Diese Altlast wird in der Tat nicht nur diesem19. Landtag, sondern auch zukünftigen Landtagenfinanzielle Spielräume nehmen, die man für deut-lich bessere Dinge hätte ausgeben können, nämlichfür die Stärkung der Bildung, für die Reparatur derInfrastruktur oder auch für zusätzliche Polizisten.Es gibt daran nichts zu beschönigen: Wir räumennun quasi gemeinsam die Trümmer weg, die unsfrühere politische Entscheidungsträger hinterlassenhaben.

Aus Sicht der FDP-Fraktion hätte es nie passierendürfen, dass sich zwei vergleichsweise kleine Bun-desländer eine international tätige Geschäftsbankhalten. Internationale Geschäftsbanken sind gene-rell keine staatliche Aufgabe oder sollten es zumin-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2011

(Lasse Petersdotter)

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dest aus unserer Sicht nicht sein. Ich glaube, auchdas ist eine wichtige Erkenntnis.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Die Risiken, die man mit der HSH Nordbank überdie Gewährträgerhaftung eingegangen ist, habenphasenweise wirklich absurde Größenordnungenangenommen. Das wurde schon gesagt. Für Ham-burg und Schleswig-Holstein war das deutlich mehrals nur eine Nummer zu groß. Im Jahr 2005 warenes schwindelerregende 165 Milliarden €. Davon istmittlerweile zum Glück nicht mehr viel übrig.

Bei den Renditeerwartungen - die auch schon ange-sprochen wurden - möchte ich darauf hinweisen: Eswar nicht nur der private Investor, der eine Minder-heitsbeteiligung an der Bank hatte, der sehr hoheRenditeerwartungen mit Blick auf den Vorstandformuliert hat, sondern es waren eben auch politi-sche Entscheidungsträger, die sehr hohe Renditeer-wartungen geäußert haben.

Als Problem kamen die sehr einseitige Fokussie-rung auf die Schiffsfinanzierung, was zu einen ge-fährlichen Klumpenrisiko geführt hat, und der Ein-stieg in das Kreditersatzgeschäft, das ebenfallsgroße Probleme mit sich gebracht hat - wie wirmittlerweile alle wissen -, hinzu.

Es gab in den letzten 15 Jahren Phasen, da mussteman doch den Eindruck gewinnen, dass sich nichtdie beiden Bundesländer eine Bank halten, sonderndass sich hier eine Bank zwei Bundesländer hält,die mit ihren rund 5 Millionen Steuerzahlern imNotfall schon für mögliche Verluste aufkommenwerden.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: So ist das!)

Deshalb hat man sich darüber wenig Gedanken ge-macht. Das gehört zur Ehrlichkeit auch dazu.

(Beifall FDP)

Wir sollten deshalb für die Zukunft unbedingt dierichtigen Schlüsse aus diesem Desaster ziehen. Ichbedaure sehr, dass es nicht gelungen ist, trotz inten-siver Gespräche, eine gemeinsame Resolution ein-zubringen und zu verabschieden. Das wäre einwichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger ge-wesen, dass man auch die richtigen Schlüsse ausdiesem Desaster zieht. Ich habe jetzt gehört, wasder Grund ist. Es ist offensichtlich kein inhaltlicherGrund, denn auch wir stehen zum UKSH, auch wirstehen zu anderen Unternehmensbeteiligungen - dakönnte man über das eine oder andere reden -, aberich glaube, das ist nicht der entscheidende Punkt.

Es gab dort offenbar noch alte Grabenkämpfe, unddas bedaure ich. Denn ich glaube, das wäre ein gu-tes Signal gewesen.

(Beifall FDP und CDU)

Wir haben schon so oft im Hohen Haus darüber de-battiert. Man könnte mit Blick auf die Bank vielüber Größenwahn, auch Gier, Realitätsverweige-rungen oder über andere Verantwortungslosigkeitensprechen. Die Fehlerkette verschiedener Landesre-gierungen, Bankvorstände und Aufsichtsräte ist inder Tat lang.

Die FDP-Fraktion - das wurde schon angesprochen- hatte im Jahr 2003 bei der Entscheidung über dieFusion der beiden Landesbanken und somit dieGründung der HSH Nordbank vor den Risiken fürden Steuerzahler gewarnt. Der Kollege Petersdotterwar damals noch auf der Schule, ich habe geradedas Abitur gemacht. Auch ich hatte damals nichtgedacht, dass ich heute an diesem Tag hier stehenwürde und auf dieses Datum zurückblicken werde.Auch schon in dem Jahrzehnt davor wollten wir diedamalige Landesbank in eine Aktiengesellschaftumwandeln und veräußern. Das haben wir mehr-fach vorgeschlagen, auch nach 2003. Ich kann michauch noch gut daran erinnern, in den Jahren danach,in denen ich landespolitisch aktiv war, was uns daentgegengehalten wurde: Privatisierungswahn undandere Dinge waren die beliebten Schlagwörter.

Im Jahr 2009, als die Finanz- und Wirtschaftskriseund damit einhergehend die Schifffahrtskrise dieBank sehr stark ins Wanken gebracht hat, hätte mananders reagieren können und auch sollen. Auch dasind wir uns mittlerweile wohl einig - zumindest,was ich gehört habe. - Der Kollege Koch schütteltden Kopf. Ich glaube, man hätte das besser machenkönnen, aber ich wollte, ehrlich gesagt, die Vergan-genheit heute relativ wenig beleuchten.

Herr Kollege Rother, nun muss ich doch noch ein-mal auf einen Punkt eingehen, wo Sie ein bisschenso getan haben, als wäre das jetzt das Hauptpro-blem oder es gäbe eine gleichmäßige Verantwor-tung - Sie halten uns das gern entgegen, auch ande-re -: die Veränderung des Garantierahmens von10 Milliarden auf 7 Milliarden € im Jahr 2011, dieverfrüht war und 2013 korrigiert wurde. Das war al-lerdings keine politische Entscheidung. Das habenSie auch gesagt. Das war eine Entscheidung derBank. Man hätte sie vielleicht politisch verhindernkönnen, aber das war eine Entscheidung der Bank.Ich glaube, das ist unstrittig.

Dieser Schritt beziehungsweise die Korrektur die-ses Schrittes hat das Beihilfeverfahren der EU-

2012 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Christopher Vogt)

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Kommission ausgelöst, das nun zu dem hoffentlicherfolgreichen Verkaufsverfahren geführt hat. Mansollte sich sehr genau vor Augen führen, ob daswirklich in die Fehlerkette gehört

(Beifall FDP)

oder ob es nicht vielleicht positiv ist, dass wir jetztzu diesem Verkauf kommen. Wie gesagt, ich hättemir eine Privatisierung viel früher gewünscht. Ichbewerte den Verkauf eigentlich eher positiv. Dassandere das anders sehen, habe ich zur Kenntnis ge-nommen.

Es geht nun erneut darum, eine schwierige politi-sche Entscheidung zur HSH Nordbank zu treffen.Es geht darum, den immensen Schaden, der aus derbeschriebenen Vergangenheit der Bank resultiert,bestmöglich zu begrenzen. Nach Wochen und Mo-naten intensiver Beratungen vor allen Dingen imFinanzausschuss werden wir heute die Privatisie-rung der HSH Nordbank beschließen. Es ist ausmeiner Sicht und der Sicht meiner Fraktion richtig -ich glaube, auch aus der Sicht anderer Fraktionen -,dass der gesamte Landtag dies tut und eben nichtnur der Finanzausschuss, wie es im Gesetz jahre-lang vorgesehen war. Das war auch unser Wunsch.Es hätte auch nicht vermittelt werden können, dassin Hamburg die Hamburger Bürgerschaft abstimmtund es hier ein Finanzausschuss tut. Es ist wichtig,dass das gesamte Parlament diese Entscheidungtrifft.

Wir haben die Unterlagen, die uns die Landesregie-rung vorgelegt hat, sehr intensiv geprüft. Wir be-danken uns auch für die Gespräche, die wir geführthaben. Wir sind auf dieser Grundlage ebenfalls zudem Schluss gekommen, dass ein Verkauf wirt-schaftlich - bei allen Schäden - besser für das Landwäre als eine Abwicklung, auch wenn es da natür-lich jeweils noch einige Unbekannte gibt. Das kannman feststellen; das geht aus den Unterlagen her-vor. Wir konnten auch nachvollziehen, dass derausgewählte Bieter - auch dazu gab es Berichter-stattungen in einigen Fachblättern - das beste Ange-bot abgegeben hat.

Ich danke der Landesregierung und insbesonderedem Finanzministerium, Frau Heinold und HerrnNimmermann, für die intensive Arbeit der vergan-genen Monate. Wir sind uns bewusst, dass das nichtimmer leicht war - um es freundlich auszudrücken.Vor zwei, drei Jahren hätte ich auch nicht gedacht,dass es gelingen könnte. Ich glaube, das geht vielenso. Wenn wir den Verkauf heute beschließen, sindallerdings auch noch einige Hürden zu nehmen.

Das muss man deutlich sagen, und darauf mussman deutlich hinweisen.

Ich appelliere deshalb an den Hamburger Senat,nun zügig der Bürgerschaft auch alle notwendigenUnterlagen vorzulegen und möglichst schnell eineEntscheidung herbeizuführen. Ich halte es nicht fürbesonders glücklich, dass die beiden Parlamente,die gemeinsam Verantwortung tragen, eine zeitli-che Differenz bei der Entscheidung haben. Das hät-te man wohl auch anders machen können. Das findeich ein bisschen unglücklich. Aber sei es drum. Daskann man schnell nachholen.

Ich appelliere noch viel mehr an den DeutschenSparkassen- und Giroverband, die notwendige Ein-lagensicherung zu verlängern, um den Verkauf derBank zu ermöglichen. Die Sparkassen sitzen hiermit im Boot, um das ganz deutlich zu sagen. Ich binauch Mitglied eines Verwaltungsrats einer kleinenSparkasse. Daran sollte der Verkauf wirklich nichtscheitern. Das mag man sich nicht vorstellen. Ichbin aber zuversichtlich, dass es gelingt.

Wir alle wissen nicht genau, was aus der Bankwird, wenn der Verkaufsprozess am Ende hoffent-lich erfolgreich abgeschlossen wird. Wir treffennun eine Entscheidung, mit der wir die Bank priva-tisieren werden. Ich hoffe, dass möglichst viele derqualifizierten Arbeitsplätze in Schleswig-Holsteinmöglichst lange erhalten bleiben. Die Beschäftigtenhätten das verdient. Sie können auch nichts für dieFehlentscheidungen der Vergangenheit. Bereits inden letzten Jahren wurden bei der HSH Nordbankganz massiv Arbeitsplätze abgebaut. Das hat auchAuswirkungen auf andere Unternehmen, auf Stand-orte. Ich werbe eindringlich für den Standort Kiel,aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auchdie Arbeitsplätze in Hamburg sind wichtig, dennviele der Beschäftigten der HSH Nordbank in Ham-burg leben in Schleswig-Holstein. Das hätte auchAuswirkungen auf Schleswig-Holstein; das sollteman deutlich sagen.

Wir sind der Überzeugung, dass wir mit Blick aufdas Landesvermögen und auch mit Blick auf dieBeschäftigten heute die richtige Entscheidung tref-fen werden. Nun sind andere am Zug. Ich hoffe,dass sich auch diese ihrer Verantwortung bewusstsind und entsprechend entscheiden werden. - Ichbedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksam-keit.

(Anhaltender Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und SSW)

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2013

(Christopher Vogt)

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Präsident Klaus Schlie:

Meine sehr geehrten Damen und Herren, begrüßenSie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schles-wig-Holsteinischen Landtags Schülerinnen undSchüler der Dänischen Schule in Süderbrarup undTeilnehmerinnen am Girls Day in den Landtags-fraktionen. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat deren Fraktions-vorsitzender, der Herr Abgeordnete Jörg Nobis.

Jörg Nobis [AfD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter HerrMinisterpräsident! Sehr geehrte Frau MinisterinHeinold! Sehr geehrte Damen und Herren! Die heu-te anstehende Entscheidung zum Verkauf der HSHNordbank ist sicherlich ein wichtiger Meilenstein,und zwar in dreierlei Hinsicht.

Erstens ist es ein wichtiger Meilenstein für dieBank selbst, der ersten bald privatisierten Landes-bank in Deutschland. Das ist durchaus eine positiveEntwicklung, denn - ganz ehrlich -: Wer hätte denn2016 bei der Entscheidung der Europäischen Kom-mission oder auch nur vor gut einem Jahr wirklichernsthaft mit positiven Kaufpreisangeboten gerech-net?

Zweitens ist es ein wichtiger Punkt für eine kurzeRückschau und für die Erinnerung an Verantwort-lichkeiten. Kein Ministerpräsident hat hier inSchleswig-Holstein je so verheerende und fast de-saströse Folgen für unser Land hinterlassen wieeinst Heide Simonis. Dazu gehört auch das kollekti-ve Versagen des HSH-Aufsichtsrats in den 2000er-Jahren. Diesem Aufsichtsrat gehörten in den rele-vanten Jahren auch Sie an, sehr geehrter HerrDr. Stegner. Ich kann es wirklich nur Selbstüber-schätzung nennen. Wenn Fachfremde eine interna-tional agierende Geschäftsbank kontrollieren wol-len, kann das nur schiefgehen. Der Spruch dazuheißt: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Als Mit-glied des HSH-Aufsichtsrats haben Sie genausoversagt wie Ihre damaligen Kollegen, aber das wis-sen Sie so gut wie jeder andere hier in diesem Haus.Nachzulesen ist dies auch in den umfangreichenBerichten zum HSH-Untersuchungsausschuss. WoSozialdemokraten mit Geld umgehen sollen, da istScheitern vorprogrammiert. Das galt früher, unddas gilt auch heute.

Zum dritten Meilenstein: Die Zustimmung heute istauch ein wichtiger Meilenstein für die Finanzen

Schleswig-Holsteins. Da fällt die Bilanz gemischtaus. Milliardenrisiken realisieren sich nun. Gewähr-te Bürgschaften finden in den kommenden Monatenund Jahren nun endgültig Niederschlag im Kern-haushalt des Landes. Buchverluste werden real.

Die Haushaltslage ist auf Dauer desolat: steigendePensionslasten, Kosten für die staatlich geduldeteEinwanderung über das Asylrecht, Liquiditätsüber-schüsse im Kernhaushalt nur dank Niedrigzinseninfolge transstaatlicher Eingriffe in die Geldpolitik.Und nun auch noch die Milliardenschulden aus demHSH-Debakel.

Das ist bedauerlich, aber so oder so unvermeidbar.Das Alternativszenario Abwicklung führt allerWahrscheinlichkeit nach zur Realisierung von Haf-tungen in fast identischer Höhe, nur dass erstensdann kein Kaufpreis fließt, der wirtschaftlich denLändern Hamburg und Schleswig-Holstein zugute-kommt, und zweitens die Inanspruchnahme aus al-ten Gewährträgerhaftungen erfolgen würde, um diewir jetzt hoffentlich zumindest teilweise im Ver-kaufsszenario herumkommen.

Meine Damen und Herren, der Landesregierungund insbesondere der Finanzministerin ist hier undheute kein Vorwurf zu machen, dass der nun vorlie-gende Kaufvertrag zu den hier ausgehandeltenKonditionen zu Milliardenschulden für das Landführt. Ganz im Gegenteil: An einem Tag wie die-sem gebietet es der Anstand und die Ehrlichkeitfestzustellen, dass auch nach unserer Auffassunghier gute Verhandlungsarbeit geleistet wurde. Dafürgilt Ihnen, Frau Ministerin Heinold, und auch Ih-nen, Herr Staatssekretär Dr. Nimmermann, aus-drücklich unser Dank.

(Beifall AfD)

Ob an der einen oder anderen Stelle noch etwasmehr drin gewesen wäre, ist eine rein hypothetischeFrage. Ich wiederhole es: Vor einem oder zwei Jah-ren hat wohl kaum jemand damit gerechnet, dasswir hier und heute überhaupt einen Kaufvertragvorgelegt bekommen und dass es sogar mehr alsnur einen Bieter mit einem ernsthaften und erwä-genswerten Angebot gibt.

Seien Sie unbesorgt, meine Damen und Herren, vielmehr Lob gibt es von uns an dieser Stelle nicht.Denn obwohl Sie für die Höhe der nun wahrschein-lich anstehenden Belastungen nicht viel können -das sind alles Altlasten, wie wir gehört haben -, soist Ihr Umgang mit der Thematik im Rahmen derHaushaltsplanung doch einigermaßen skandalös.

2014 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

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Noch bei der Vorlage des Haushaltsentwurfs 2018in der Februar-Tagung haben Sie hier den Eindruckvermittelt - oder dies zumindest versucht -, dass ei-gentlich alles in bester Ordnung sei. Da passte esdann auch ins Bild, dass Sie die eh schon übersicht-lich geplante Tilgung mit der Nachschiebeliste von186 Millionen € auf 160 Millionen € gekürzt haben.Zu diesem Zeitpunkt war schon lange klar, dass derSchuldenstand des Landes in Bälde auf über30 Milliarden € ansteigen wird.

Sie geben Geld aus, als gebe es kein Gestern undkein Morgen: für Integration illegal Eingereister,für die Arbeitsmarktintegration, für Gender-Gaga,für Gleichstellungsbeauftragte und für jede Mengeanderer links-grüner Projekte. Das wundert unsnicht bei einer Landesregierung wie der Ihren. Sieverspielen hier gleich auf mehreren Ebenen die Zu-kunft unseres Landes.

Bei der gesamten Debatte ist aber der wichtigeAspekt, dass wir hier und heute mit dem Rückenzur Wand stehen. Wir bewegen uns hier bekannt-lich ausschließlich in zwei Szenarien. Wir habengenau zwei Optionen: Verkauf oder sofortige Ab-wicklung der Bank. Der Stichtag war der 28. Febru-ar 2018.

Die Grundlage für diese Entscheidung ist eine Ent-scheidung der Europäischen Kommission aus demJahr 2016. Für uns stellt sich doch die Frage:Warum wird eine solche Entscheidung über deut-sches, schleswig-holsteinisches Steuergeld, bei dereine deutsche Landesbank verkauft wird, in Brüsselgetroffen? - Unabhängig vom Ergebnis gehörenderartige Entscheidungen aus unserer Sicht nichtnach Europa. Eine solche Aushöhlung deutscherSouveränität lehnen wir ab.

(Dennys Bornhöft [FDP]: Das ist geltendesEU-Recht!)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben uns dieEntscheidung heute nicht leicht gemacht. Die Ab-wägung der beiden noch bestehenden Optionenlässt gleichwohl eine Abwicklung als wirtschaftlicheindeutig schlechtere Variante dastehen. Für unssteht die Minimierung weiterer Risiken an vorders-ter Stelle. Das heißt natürlich auch, dass wir hoffenund davon ausgehen, dass sich die Nachfolgeinsti-tution der HSH Nordbank positiv entwickeln wird.

Wir haben wegen der Gewährträgerhaftung auf vie-le Jahre hinaus ein Interesse an einem Fortbestandder neuen Bank; Ministerpräsident Günther hat eseben auch gesagt. Dem Verkauf der Anteile desLandes stimmen wir daher ebenso zu wie - folge-richtig - der Verpflichtungsermächtigung für die

Übernahme von 2,95 Milliarden € im nächsten Jahr.Wir tun dies schweren Herzens, mit Bedacht, aberdafür determiniert und mit klarem Blick für die Be-lange unseres Landes und die ZukunftsfähigkeitSchleswig-Holsteins.

Möge die heutige Abstimmung Mahnung und War-nung zugleich für größenwahnsinnige Landespoli-tiker sein, die gern am ganz großen Rad mitdrehenwollten. Möge sie uns jeden Tag aufs Neue daranerinnern, dass die unverantwortliche Politik aus denJahren vor und nach 2003 dem Land für viele Jahreeine sehr hohe Belastung aufgebürdet hat. LassenSie uns dabei auch immer daran erinnern, dassSchleswig-Holstein um ein Haar finanziell vollendsruiniert worden wäre. Es ist nicht zuletzt eineglückliche Fügung, dass sich nicht noch viel mehrRisiken realisiert haben. Derartige Risiken dürfenwir als Politiker nie wieder eingehen. - VielenDank.

(Beifall AfD)

Präsident Klaus Schlie:

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordne-te Lars Harms das Wort.

Lars Harms [SSW]:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Entgegen der landläufigen Meinung wer-den wir heute nicht den Abschluss der HSH-Nord-bank-Rettung beschließen, sondern nur einen -wenn auch sehr großen und entscheidenden - Zwi-schenschritt. Wir werden weiter sehr viele Engage-ments unter der Kontrolle der Länder Hamburg undSchleswig-Holstein behalten und diese Engage-ments nach und nach abbauen beziehungsweiseauslaufen lassen. Auch das wird immense Kostenverursachen.

(Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW] undAnnabell Krämer [FDP])

Das heißt, wir sind noch lange nicht am Ende desProzesses angekommen, aber wir können schonvorsichtig schätzen, wie stark uns die HSH-Nord-bank-Rettung auch noch in den Folgejahren belas-ten wird.

Jeder wird natürlich aus seiner jeweiligen Sicht aufdie HSH Nordbank schauen und heute sagen, dassman es besser gewusst hätte. Wenn man ehrlich ist,kann man das so aber nicht mit aller Verbindlich-keit feststellen - zumindest nicht für den Rettungs-prozess. Dort hat es mehrfach unterschiedlicheMöglichkeiten des Handelns gegeben, aber nie-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2015

(Jörg Nobis)

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mand weiß, ob die damaligen Alternativen wirklichdie besseren Lösungen gewesen wären.

Die Zusammenlegung der beiden Landesbanken derLänder Hamburg und Schleswig-Holstein zu einereinzigen Bank wäre im Jahr 2003 die richtige Ent-scheidung gewesen - wäre es nur darum gegangen,eine Bank zu gründen, die sich ausschließlich umdie Förderung der Wirtschaft im weitesten Sinnegekümmert hätte. Mit diesem Ansatz, den andereBanken ja verfolgt haben, hätten wir niemals diegroßen Probleme bekommen. Man ist aber davonabgewichen und hat sich noch vor der Bankenkrisebilliges Geld besorgt und in Geschäfte gesteckt,von denen man eigentlich nichts verstand und - wasviel wichtiger ist - die mit dem eigentlichen Sinnder Bank völlig über Kreuz lagen.

Das war der Kardinalfehler, und den haben diejeni-gen zu verantworten, die damals im Vorstand undim Aufsichtsrat gesessen haben. Das soll die Politiknatürlich nicht entschuldigen; auch als Politik warman froh über die kurzfristig hohen Einnahmen ausdiesen Geschäften. Trotzdem waren es vor allemdie Fachleute in den eben genannten Gremien, vondenen man hätte erwarten können, dass sie dasSchiff HSH Nordbank sicher lenken; in anderenLandesbanken hat das ja auch funktioniert.

Die Finanzierung dieser Geschäfte lief vorwiegendüber das Eingehen von Verpflichtungen über dieGewährträgerhaftung. Sie lag zeitweise bei165 Milliarden € und ist erst im letzten Jahr wiederin die Einstelligkeit gesunken und hat damit ver-gleichsweise überschaubare Bahnen erreicht. EinVerkauf der Bank, beispielsweise im Jahr 2005oder 2006 - wie es ja manch einer auch damalsnoch gefordert hatte -, hätte bedeutet, dass fremdeEigentümer über die Geschäftsbank und damit auchüber unsere Haftung bestimmt hätten und wir wahr-scheinlich im Jahr 2008 beim Crash der Banken dieganz große Rechnung hätten zahlen müssen. PrivateEigentümer hätten die Bank sicherlich nicht mit ih-ren Eigenmitteln gerettet. Unsere Einschätzung ist,dass dieses Szenario doch weit mehr Geld gekostethätte.

Man hat sich nach dem Bankencrash im Jahr 2009für die Lösung entschieden, Geld nachzuschießenund für bestimmte Geschäfte quasi eine Bürgschaftzu übernehmen. Seinerzeit gab es noch die Mög-lichkeit, hier den Bund mit ins Boot zu nehmen.Nach unserer Einschätzung wäre dies schlau gewe-sen, und wir hätten möglicherweise eine bessereEntwicklung der Bank gehabt. Wir können diesaber nicht beweisen, meine Damen und Herren,weil es solche Szenarien zu diesem Zeitpunkt noch

nie gegeben hatte. Für uns stand aber damals schonfest, dass es notwendig sein wird, die Bank zu ei-nem späteren Zeitpunkt zu verkaufen. An diesenPunkt gelangen wir nun nach einigem Hin und Herin den letzten Jahren.

Wir hatten einen Untersuchungsausschuss mit einerVielzahl von Erkenntnissen. Wir hatten auch dieStrafverfolgung von Menschen, die in den infragekommenden Zeiten bei der HSH Nordbank führen-de Positionen innehatten. Wir als Land hatten aberinsbesondere die Aufgabe, die Bank in ruhigeresFahrwasser zu lenken und danach auf den Verkaufder Bank hinzuwirken. Mein Eindruck ist, dass dasuns allen mit wechselnden politischen Mehrheitengelungen ist.

Natürlich kostet uns als Land Schleswig-Holsteindie Rettung der HSH Nordbank viel Geld. Alleinder Verkaufsprozess wird am Ende mit rund5,5 Milliarden € zu Buche schlagen. Rechnet mandann noch die Kapitalnachschüsse und weitereMaßnahmen der vergangenen Jahre ein, liegt derVerlust für uns bei circa 7,5 Milliarden bis 8 Milli-arden € - jetzt schon. Hinzu käme noch der Wert-verlust der Bank. Dieser Verlust konnte aber nur soeingegrenzt werden, weil beide Bundesländer,Hamburg und Schleswig-Holstein, unter strengerAufsicht und mit hoher Professionalität die Ab-wicklung der Bank gesteuert haben.

Vergleichen kann man dies möglicherweise - jetzttatsächlich - mit dem Szenario, wenn die Bank vor2008 verkauft worden wäre: Wir hätten sicherlicheiniges bekommen, aber allein 2009 standen noch65 Milliarden € Gewährträgerhaftung zu Buche,von denen 13 Milliarden € auf das Land Schleswig-Holstein entfallen wären. Auch die Sparkassen wä-ren hier enorm geschädigt worden, was auch Aus-wirkungen auf die Wirtschaft gehabt hätte. Es gabalso damals keine andere Wahl, als das Heft selbstin die Hand zu nehmen.

(Hans-Jörn Arp [CDU] unterhält sich mitJörg Nobis [AfD] und Volker Schnurrbusch[AfD])

Präsident Klaus Schlie:

Entschuldigung, Herr Abgeordneter. - Ich habeVerständnis für die Notwendigkeit, das Geschäft zuführen.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Alles gut, Herr Prä-sident! Entschuldigung!)

2016 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Lars Harms)

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Lars Harms [SSW]:

Gut, ich mache einfach mal weiter, meine Damenund Herren. - Wir stehen also heute kurz vor demVerkauf der Bank und wie dieser gestaltet wird,kann man sehr gut in der Drucksache 19/634 nach-lesen. Wichtig ist, dass alle weiteren Maßnahmennach einem Verkauf nur zustande kommen, wenndas Grundgeschäft, über das wir heute auch be-schließen, nämlich der Verkauf der Anteile, ab-schließend erfolgt. Kommt es nicht zum Verkauf,fallen die anderen Geschäftsgrundlagen weg. Wirglauben, dass hier gut verhandelt wurde und dieHSH Nordbank in neuer Eigentümerschaft eine gu-te Chance am Markt hat.

Der Verkauf der Anteile ist die vermögenschonend-ste Variante und lässt es zu, dass wir weiterhinselbst das Steuer in der Hand halten. Darüber hin-aus sehen die Verkaufsmodalitäten vor, dass Haf-tungsrisiken minimiert beziehungsweise ausge-schlossen werden. Das bedeutet, dass wir nach demVerkauf der Anteile mit der HSH Nordbank - alsBank selbst - abschließen können und uns so „nur“noch um die Geschäfte kümmern müssen, die wirselbst in unsere Bücher übernommen haben. Damitwird das Problem übersichtlicher und überschauba-rer. Die Alternative wäre eine sofortige Abwick-lung der Bank, bei der wir nicht wüssten, wie dasGanze ausgeht. Die Wahrscheinlichkeit ist aberhoch, dass der Markt hierauf extrem sensibel re-agierte und wir so den maximalen Schaden hätten.

Auch aus diesem Grund meinen wir, dass wir heutedem Verkauf zustimmen sollten - gerade auch zueinem so frühen Zeitpunkt -, um ein positives Sig-nal in den Markt zu senden, dass das Schiff HSHNordbank nun wirklich in ruhigere Gewässer ge-lenkt wird.

Aber, meine Damen und Herren, es geht für uns ummehr. Auch das muss man ehrlich sagen. Wir habenimmer versucht, die Arbeitsplätze mit zu bedenken.Wir haben insbesondere über Frau Heinold undüber Herrn Nimmermann immer wieder versucht,auf potenzielle Käufer dahin gehend einzuwirken,daran zu denken, dass der Standort Kiel seine Vor-teile hat. Dass wir jetzt sagen können, dass hiermöglicherweise Arbeitsplätze erhalten werden kön-nen, ich bin da immer noch sehr vorsichtig, ist einepositive Meldung, denn das ist nicht Teil des Ver-trags. Das liegt in der Entscheidung der neuen Käu-fer. Wenn diese signalisieren, dass für Kiel tatsäch-lich etwas möglich ist, dann freut uns das sehr.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich jetzt bei dem Lob von Frau Heinold undHerrn Nimmermann bin, dann beruht das tatsäch-lich darauf, und ich weiß dies ebenso aus Regie-rungszeiten wie jetzt auch aus Oppositionszeiten,dass wir wirklich immer zeitnah und so umfassendwie möglich informiert worden sind. Wir konntenauch diskutieren; ich will nicht sagen über strittigeFragen, sondern über Fragen, die sich uns stellten.Wir hatten sowohl als Regierung als auch als Oppo-sition die Chance, Einfluss zu nehmen. Das ist et-was, was sich in diesem Prozess wirklich veränderthat. Ich kann das sagen, weil ich sehr lange an die-sem Prozess beteiligt war. Das war auch schon ein-mal anders, das war schon einmal ein bisschen ge-schlossener. Dafür sage ich noch einmal recht herz-lichen Dank.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, wie ich schon sagte, un-ter den bestehenden Bedingungen ist das tatsächlichdie vermögenschonendste Lösung. Eine Abwick-lung ist mit Sicherheit teurer. Die rein politischeFeststellung, die wir hier eigentlich treffen müssen,ist, dass der Markt Regeln braucht. Wir haben gera-de an diesem extremen Beispiel feststellen können,wie wichtig es ist, dass der Markt Regeln hat. Mei-ne Damen und Herren, das ist aber eine Erkenntnis,die für alle Bereiche der Wirtschaft gilt, nicht nurfür die Bankenwirtschaft.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund vereinzelt SPD)

Die zweite Feststellung, die wir als Land treffenkönnen, lautet: Das Steuern oder die Inhaberschafteiner Geschäftsbank, die international tätig ist, istnicht unbedingt eine Aufgabe des Landes. Das sol-len andere machen, das sollen andere vor allen Din-gen auch verantworten. Wir haben mit Steuerein-nahmen, Beiträgen und dem, was sonst noch an dasLand gezahlt wird, andere Aufgaben zu lösen. Dazugehören Schulen, innere Sicherheit, Kultur, Wirt-schaftsförderung und Umweltschutz. Es gibt vieleBereiche, für die wir zuständig sind, und wir habeneinen Bereich, für den wir nicht zuständig sind, unddas ist die Steuerung von Geschäftsbanken.

Einen dritten Punkt nenne ich vorausschickend,weil ich schon jetzt die Kritik am Horizont sehe:Wenn sich die Bank in Zukunft positiv entwickelt,dann bedeutet das nicht, dass wir diese in irgendei-ner Form unter Wert verkauft haben. Ich weiß ge-nau, da kommen bestimmt wieder irgendwelche Fi-guren daher und sagen: Mensch, das ist wieder Po-litik; die haben wieder alles für billiges Geld ver-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2017

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kauft. Nein: Dass wir die Bank verkaufen, ist dieVoraussetzung dafür, dass sie sich frei bewegenkann und dass sie tatsächlich in der Lage ist, sichwieder positiv entwickeln zu können. Auch dasmuss man ehrlich sagen.

(Beifall SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und FDP)

Ich glaube, deshalb ist es wichtig, diesen großenund entscheidenden Zwischenschritt zu tun; nichtnur für die Entlastung des Landes Schleswig-Hol-stein, sondern auch für die Zukunft der Arbeitsplät-ze in Kiel und in Hamburg und auch für die Zu-kunft der Bank, damit sie sich wirklich vernünftigentwickeln kann.

Meine Damen und Herren, deswegen glaube ich,dass wir froh sein können, dass die Politik dieseKrise in den letzten zehn Jahren - das sage ich ganzehrlich und auch mit ein bisschen Selbstbewusst-sein - wirklich professionell und gut abgearbeitethat. Ich finde, das ist auch ein Lob an uns alle alsPolitiker. Mir steht ein Eigenlob eigentlich nicht zu,aber ich lobe jetzt einmal alle anderen außer michselbst. Ich muss sagen: Das hat Politik verdammtprofessionell hinbekommen. Meine Damen undHerren, auch das gehört zur Wahrheit dazu. Deswe-gen finde ich es gut, und ich bin auch zuversicht-lich, dass wir alle heute dem Verkauf zustimmen. -Vielen Dank.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP, vereinzelt CDU und SPD)

Präsident Klaus Schlie:

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ichschließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung zu a), Gesetzentwurfüber die Feststellung eines 2. Nachtrags zum Haus-haltsplan für das Haushaltsjahr 2018. Der Aus-schuss empfiehlt die unveränderte Annahme desGesetzentwurfs Drucksache 19/600. Wer so be-schließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. -Danke schön. Ich sehe, das ist einstimmig so ange-nommen.

Wir kommen zur Abstimmung zu b), Antrag derLandesregierung, Drucksache 19/635. Der Aus-schuss empfiehlt, den Antrag Drucksache 19/635anzunehmen. Wer so beschließen will, den bitte ichum sein Handzeichen. - Das ist ebenfalls einstim-mig so beschlossen. - Ich danke Ihnen.

Abstimmung zu c), Bericht der Landesregierung,Drucksache 19/634. Der Ausschuss empfiehlt, denBericht Drucksache 19/634 zur Kenntnis zu neh-

men. Wer so beschließen will, den bitte ich um seinHandzeichen. - Auch das ist einstimmig so be-schlossen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren, fürdiese - wie ich finde, und ich erlaube mir die Be-merkung - sehr weitgehende und durch das ganzeHaus dokumentierte wichtige Abstimmung für dieBürgerinnen und Bürger des Landes Schleswig-Holstein.

Ich habe vorhin versehentlich schon die Teilnehme-rinnen der Landtagsfraktionen zum Girls‘ Day be-grüßt. Sie sind aber erst jetzt zu uns gekommen. -Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Hol-steinischen Landtag!

(Beifall)

Eine Bemerkung noch zur Kenntnisnahme für alle:Die Parlamentarischen Geschäftsführungen habenbeschlossen, Tagesordnungspunkt 33, Grundsteuer-Aufkommen der Gemeinden sichern, auf die Juni-Tagung zu verschieben.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 13 auf:

Konzeption für ein landesweites Semesterticket

Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDPDrucksache 19/640

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Lukas Kilian.

Lukas Kilian [CDU]:

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine Da-men und Herren! Liebe Kollegen! Vor gut einemJahr standen sich alle im Landtag vertretenen Par-teien in der heißen Wahlkampfphase gegenüber. Sieversuchten, auf den letzten Metern im Landtags-wahlkampf noch einmal den einen oder anderenBürger zu überzeugen. Alle traten an mit unter-schiedlichen Slogans. Die CDU, Sie haben es häu-fig gehört, hatte den Slogan „Anpacken statt rum-schnacken“.

(Birte Pauls [SPD]: Hatte?)

- Hat immer noch, aber auf den Wahlkampf bezo-gen „hatte“. Ja, das ist die Vergangenheitsform,weil die Situation, über die ich gerade berichte, einJahr her ist.

Die FDP trat an mit dem Slogan „Wollen reichtnicht, man muss es auch können“.

2018 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Lars Harms)

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(Vereinzelter Beifall FDP)

Die Grünen ahnten vielleicht schon etwas, denn IhrSlogan lautete „Nur mit Grün“. Was hat das jetztalles mit dem heutigen Antrag zu tun, den die Ja-maika-Koalition zur Einführung eines landesweitenSemestertickets vorgelegt hat? - Ganz einfach, dasThema landesweites Semesterticket wurde seit sehrvielen Jahren besprochen. Man könnte sagen, eswurde viel rumgeschnackt. Es gab auch viele, diewollten, aber keinen, der konnte, und irgendwieklappt das jetzt nur mit Grün, aber eben nicht nurmit Grün, sondern gemeinsam.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDP)

Und so stehen die Jamaikaner jetzt da und gebender Landesregierung einen politischen Auftrag.Gleichzeitig senden wir ein politisches Signal nachdraußen, denn ein landesweites Semesterticket kön-nen wir als Politiker in der Form gar nicht beschlie-ßen. Wir können nicht par ordre du mufti hier imLandtag sagen: Jetzt gibt es ein landesweites Seme-sterticket. Nein, wir alle wissen, im Hochschulge-setz steht, dass das eine Entscheidung der Studen-ten ist.

(Beifall Tobias von Pein [SPD])

Das kann in den letzten Jahren aber nicht der Grunddafür gewesen sein, dass es nicht eingeführt wurde.Es gab viele Runden, es gab viele Beteiligungskrei-se, es gab viele Dialogforen, aber ein Semester-ticket hat es nicht gegeben, weil, ich glaube, auchder politische Rückhalt für ein derartiges Semester-ticket zumindest nie so nach außen getragen wurde,wie es jetzt alle drei Koalitionsfraktionen machen.Alle drei Fraktionen haben dies in ihrem Wahlpro-gramm als deutliches politisches Ziel verfolgt undim Koalitionsvertrag nicht als Prüfauftrag reinge-schrieben wie die Vorgängerregierung, sondern alsklares Ziel: Wir wollen, dass unsere Studenten miteinem landesweiten Semesterticket mobil werden.

Wir sind dafür bereit, auch ordentlich Geld in dieHand zu nehmen, denn wir wissen, die Einführungeines landesweiten Semestertickets bedarf auch ei-ner Anschubfinanzierung. Dabei möchte ich ganzdeutlich sagen, dass wir auch der Auffassung sind,dass ein landesweites Semesterticket nicht funktio-niert, wenn es dauerhaft von Landeszuschüssen ab-hängig ist, denn dann ist ein solches Semesterticketmöglicherweise immer wieder Spielball der Finanz-situation des Landes.

Viel sinnvoller ist es, wenn man einen Beitrag fin-det, den die Studenten mit den Verkehrsunterneh-

men und auch gern mit Unterstützung der Politikausverhandeln, der preisgünstig ist, aber auch einleistungsstarkes Semesterticket gewährleistet. Des-wegen ist es auch unsere Intention zu sagen: DasSemesterticket, die Mobilität unserer Studenten,hört nicht an der Landesgrenze auf. Nein, wir wol-len, wenn wir ein landesweites Semesterticket un-terstützen und einführen, gern auch den HVV miteinbeziehen.

Man kann sich einmal anschauen, was eine Fahrtvon Flensburg nach Hamburg kostet und was in an-deren Bundesländern Semestertickets kosten. InSchleswig-Holstein sind wir ohne ein landesweitesSemesterticket in einer Situation, in der sich vieleStudenten Fahrten nach Hamburg überlegen müs-sen. Einfach einmal nach Hamburg zu fahren, istnicht drin; es kostet enorm viel Geld. Wenn manüber das Semesterticket mit einem Solidarsystemeinen Preis konstruieren könnte, der uns ein lei-stungsstarkes und günstiges Ticket beschert, dannwäre vielen geholfen.

Ich glaube, in Zeiten, in denen wir darüber spre-chen, dass die Abgaswerte, die Stickoxidwerte inden Innenstädten zu hoch sind, wäre es ein gutesZeichen, dass man Menschen für den öffentlichenPersonennahverkehr gewinnen möchte.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Auch die Verkehrsunternehmen sollten daher eingroßes Interesse an einem solchen Ticket haben.

Zum Semesterticket gibt es jetzt Ratschläge aus al-len Himmelsrichtungen. Es heißt, man dürfe diesnicht nur für Studenten, sondern müsse es auch fürAzubis machen, vielleicht auch noch für Schüler.Das sind alles gute Vorschläge. Ich denke, wir soll-ten auch über ein Ticket für Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer, über eine Form von Jobticket, nach-denken, das vielleicht auch für Azubis geöffnetwird. Eines dürfen wir aber nicht machen: Wir dür-fen uns in dieser Debatte nicht wieder verzetteln,und am Ende kommt gar nichts, und wir haben wie-der lange über das Semesterticket gesprochen, Tau-sende andere Varianten hinzugedacht. Nein, lassenSie uns jetzt mit dem Semesterticket den erstenSchritt gehen. Gerne dürfen weitere Schritte mit ei-nem Jobticket und Ähnlichem folgen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Ich möchte an dieser Stelle - damit komme ich auchzum Schluss - ganz herzlich der Landes-ASten-Konferenz und den Studenten in den ASten dafür

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2019

(Lukas Kilian)

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danken, dass sie in den letzten Jahren schon erheb-liche Vorarbeit geleistet haben. Sie haben ihr Ver-handlungsteam, ihre Verhandlungstruppe schonlängst aufgestellt. Sie sind bereit, und wir - dieCDU-Fraktion; ich glaube, das gilt für alle Jamai-ka-Fraktionen - sichern politische Unterstützung zu.Wir sichern zu, den Studenten in den Verhandlun-gen zur Seite zu stehen

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Nicht nur ankündigen, auch machen!

Lukas Kilian [CDU]:

- der Satz ist gleich zu Ende -, um ein landesweites,preisgünstiges, leistungsstarkes Semesterticket fürunser Land zu erreichen. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDP)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat der Abge-ordnete Kai Vogel das Wort.

Kai Vogel [SPD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Liebe Gäste! Wir haben ein Interessedaran, dass das Studium in Schleswig-Holstein at-traktiv ist. Das Semesterticket steigert diese Attrak-tivität deutlich. Deshalb haben wir mit der Küsten-koalition die aktuell laufenden Beratungen für dasSemesterticket auf den Weg gebracht.

Worin liegt die Attraktivität dieses Semestertickets?Studierende können quer durch Schleswig-Holsteinfahren, ohne auf ein eigenes Auto angewiesen zusein. Es schont die Umwelt und stärkt die Mobilität.Semesterveranstaltungen an verschiedenen Hoch-schulen können ohne zusätzliche Kosten wahrge-nommen werden. Die Praxissemester können dannohne zusätzliche Fahrtkosten durchgeführt werden.Studierende müssen nicht am Studienort leben. Siesparen die Kosten für die Anfahrt. Das stärkt denländlichen Raum. Wenn Studierende die Ost- undNordseebäder, die Hansestädte Lübeck und Ham-burg, unsere Landeshauptstadt und viele andere Or-te besuchen und kennenlernen wollen, können siedas mit dem Semesterticket. Das Semesterticketmacht Schleswig-Holstein wirklich attraktiver.

Neben den 50.000 Studierenden gibt es aber inSchleswig-Holstein ebenfalls fast exakt50.000 Auszubildende. Auch diese sollten in den

Genuss eines günstigen ÖPNV-Tickets kommen.Daher fordern wir, dass in Schleswig-Holsteinebenfalls ein Azubiticket eingeführt wird. Damitzeigen wir, dass uns die Auszubildenden und dieStudierenden gleich wichtig sind.

Es ist schön, dass die Koalition ein Projekt der Kü-stenkoalition aufgegriffen hat. Auf Wunsch der Re-gierung Albig haben vor zwei Jahren die Gesprächezwischen den Landes-ASten, der NAH.SH und denVerkehrsunternehmen mit dem Ziel begonnen, dasSemesterticket auf den Weg zu bringen. Auch wirhätten uns gewünscht, dass die Gespräche schnellerzu einem Erfolg führen. Doch gut Ding will Weilehaben. Die Beteiligten erarbeiten nun seit dieserZeit das Konzept, wie das Semesterticket umgesetztwerden kann.

Ihr Antrag ist das krasse Gegenteil einer Wertschät-zung; denn die Landes-ASten, die Verkehrsunter-nehmen und die NAH.SH erarbeiten genau diesesKonzept. Warum nun die Landesregierung eben-falls eine eigene Konzeption erarbeiten soll, er-schließt sich mir überhaupt nicht, es sei denn, Siewollen den anderen das Mandat entziehen. Da aber- das haben Sie ja eben gesagt, Herr Kollege Kilian- im Hochschulgesetz geregelt ist, dass die Studie-renden mit ihren Gremien der Beitragssatzung - einTeil davon ist das Semesterticket - zustimmen müs-sen, ist es absolut kontraproduktiv, die Verhandlun-gen nun den Studierenden wegzunehmen.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Somit sollten Sie den ersten Absatz Ihres Antragslieber streichen.

Der zweite Absatz beinhaltet die Einführung zumWintersemester 2019/20. Ob es überhaupt hilfreichist, hier eine Frist für die Studierenden zu setzen,bezweifle ich ebenfalls, es sei denn, Sie wollen dieVerhandelnden unter Druck setzen oder lösen es,wie Sie eben suggeriert haben, mit Geld. Doch eineAnschubfinanzierung würde ohnehin nicht den Stu-dierenden helfen, sondern nur eine Ausfallbürg-schaft sein und gegebenenfalls ausgebliebene Ein-nahmen der Verkehrsunternehmen kompensieren.Somit treiben alle kursierenden Summen nur dieForderungen der Verkehrsunternehmen in die Hö-he, wenn diesen bereits bekannt ist, was die Koaliti-on ihnen zu zahlen bereit wäre. Der absolut über-wiegende Teil des Semestertickets wird doch ohne-hin von den Studierenden getragen.

Wir Sozialdemokraten hofften immer auf einenBeitrag von 99 € für dieses Semesterticket. Jetzt hatder Minister in seiner Videobotschaft von späteren150 € gesprochen. Ob es den Studierenden in den

2020 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Lukas Kilian)

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Verhandlungen hilft, wenn sie wissen, dass der Bei-trag in den höheren Semestern laut Aussage desMinisters um über 50 % steigen soll, ist auszu-schließen. Der Minister sollte - so leid es mir tut -lieber vor seinen Videobotschaften nachdenken, alshinterher die eigenen Aussagen wieder zurückneh-men zu müssen. - Also auch der zweite Absatz Ih-res Antrags hilft nicht wirklich.

Der dritte Absatz des Antrags zeugt dann von abso-luter Unkenntnis. Den Wunsch, die Studierenden-ausschüsse und die Verkehrsunternehmen in dieBearbeitung für das Semesterticket einzubeziehen,ist ein Hohn. Aus dem Facebook-Post des KollegenTietze weiß ich, dass Sie sich mit Vertretern derStudierenden getroffen haben. Insofern wissen Siedoch, dass der dritte Absatz überhaupt keinen Sinnergibt, es sei denn, Sie wollen nur das bestätigen,was seit zwei Jahren stattfindet.

Zusammenfassend kann ich sagen: Das Semester-ticket ist sinnvoll, es sollte aber auch um ein Azubi-ticket erweitert werden. Ihr Antrag hingegen istnicht sinnvoll, sondern schadet eher, wie die Lan-des-ASten-Konferenz uns allen mit einem Schrei-ben in der Osterpause mitgeteilt hat.

Ich bitte Sie: Ziehen Sie diesen schlechten Antragzurück! Sonst können wir ihn nur ablehnen. - Vie-len Dank.

(Beifall SPD - Lachen CDU)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatnun der Abgeordnete Dr. Andreas Tietze das Wort.

Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Endlich geht es voran mit dem Semesterticket. Wirsind drangeblieben. Für meine Fraktion ist das einwichtiges politisches Anliegen, welches wir seitvielen Jahren verfolgen.

Ein leistungsstarkes Solidarticket, 365 Tage24 Stunden gültig, von Flensburg bis Hamburg, in-klusive des innerstädtischen Nahverkehrs in Ham-burg - für alle 53.000 Studentinnen und Studentenan unseren Hochschulen ist das, wie ich finde, eincooles Angebot.

Gestatten Sie mir, bevor ich zu unserem Antragkomme, einige kurze Bemerkungen - nicht an dasHaus, aber vielleicht über das Haus an die Studie-rendenschaft.

Tatsächlich gab es Irritationen. Kollege Vogel hatden Brief erwähnt. Ich entschuldige mich auch da-für. Aber wir haben in einem konstruktiven Ge-spräch mit der Landes-ASten-Konferenz festge-stellt, dass es im Ziel überhaupt keine Unterschiedegibt, dass wir ganz im Gegenteil an einem Strangziehen. Der Respekt gebührt es zu erwähnen, dasses letztlich die Studenten sind, die verhandeln. Aberes gehört auch dazu, dass es die Studenten sind, diees in Vollversammlungen oder Urabstimmungenbeschließen. Nicht wir beschließen es, sondern dieStudenten. Daher haben die ASten das letzte Wort.Das ist auch unstrittig. Wir können viel wollen;wenn die Studentinnen und Studenten es ablehnen,dann kommt es nicht.

Seit einigen Jahren stagnieren aber die Verhandlun-gen. Die Positionen sind festgefahren. Die Studen-ten wollen einen möglichst niedrigen Preis - daskann ich verstehen -, und die Verkehrsunternehmenfürchten hohe Einnahmeverluste. Das diskutierteDelta - das ist ja auch kein Geheimnis - liegt zwi-schen 99 € und 149 € für das Semester.

Die regionalen Tickets bleiben bestehen und wer-den nicht angefasst. Das ist auch logisch; denn siesind nicht von uns verhandelt worden, sondern vonden ASten. Aber es ist falsch, Herr Kollege Vogel,dass das Land lediglich am Spielfeldrand steht.Denn wir wissen, der ÖPNV ist kommunal, undwenn wir über die Landesverkehre, nämlich überden Schienenpersonennahverkehr, reden, wo dasLand die Verantwortung hat, dann sind wir ebennicht nur am Spielfeldrand, sondern befinden unsauf dem Spielfeld - aber eben mit Respekt undWertschätzung jenen gegenüber, die verhandeln.

Auch in anderen Bundeländern ist es durchaus üb-lich, dass regionales und landesweites Semester-ticket nebeneinander existieren. So ist es in Rhein-land-Pfalz, in Nordrhein-Westfalen. Das ist alsokeine völlig neue Erkenntnis.

Meine Damen und Herren, es ist wirklich so: Derunterschiedliche Kostenaspekt ist wichtig; denn esist ein Solidarticket. Da ist die Ausgestaltung - dashabe ich ja gerade gesagt -, das Leistungspaket,hervorragend. Wir bieten eines der besten Seme-stertickets in ganz Deutschland an. Der echte Nor-den ist mit diesem Semesterticket wirklich weitvorne.

Damit es nicht anfällig wird, haben wir uns ent-schlossen zu sagen: Wir werden das mit Landesgeldin einem Risikofonds fördern. Wir bringen die Ver-handlungen damit in Schwung.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2021

(Kai Vogel)

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Eines haben Sie gar nicht erwähnt. In diesem An-trag steht nicht „zum Sankt Nimmerleinstag“ drin;nein, wir wollen es zum Wintersemester 2019/2020einführen.

Lieber Herr Kollege Vogel, Sie haben es angespro-chen und haben es selbst in der Küstenkoalition mitHerrn Meyer erlebt: Da wurde wirklich viel ge-schnackt. Man hat aber nicht gesagt: „Wir nehmendieses Geld in die Hand.“ Das ist der Unterschied.Der Unterschied besteht darin, dass nun endlich inder Verantwortung des Landes auch hinsichtlichder Einführung etwas auf dem Tisch liegt. Das warja eine Blackbox. Niemand hat so richtig gewusst,wie das finanziert werden soll. Alle wollten nichtdarüber reden. Letztlich hat sich keiner bewegt. Daswar die Realität. Deshalb haben wir politisch ge-sagt: „Wir bringen jetzt Schwung hinein, wir brin-gen Bewegung hinein.“ Und das ist uns gelungen.

(Beifall Lukas Kilian [CDU])

Eines darf ich auch einmal in Richtung Verkehrsun-ternehmen sagen, die ich bitten möchte, sich in denanstehenden Verhandlungen aufeinander zuzube-wegen. Immerhin werden Einnahmen von bis zu15 Millionen € pro Jahr möglich, und zwar fest ein-geplante Einnahmen und nicht geschätzte Einnah-men. Studenten sind eben auch Kundinnen undKunden.

Außerdem wird die Attraktivität des SPNV erhöht.Das ist ein echter Punkt, klimaverträglich mobil zusein. Die Hochschulstandorte in Schleswig-Holsteinwerden hochattraktiv. Das ist ein wichtiger Aspektfür Wirtschaft und Gesellschaft. Wir reden hier jaauch oft über den Fachkräftemangel. Das wirdhöchst interessant für junge Akademikerinnen undAkademiker. Dieses wiederum ist wichtig für dieZukunft. Auch der Tourismus wird profitieren.Deshalb sollen die Ticketinhaber in unserem Landfahren; sie sollen die Strände entdecken, sie sollenzu Konzerten fahren können, sie sollen Freunde be-suchen können. Ja, tatsächlich: Die Jamaika-Koali-tion macht mobil bei Arbeit, Sport und Spiel. Dasist doch einmal ein echtes Highlight für den echtenNorden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDUund FDP)

Lieber Herr Kollege Vogel, natürlich können wirauch weitere Debatten über Jobtickets führen; dasfinden auch wir alles wichtig. Aber heute, lieberHerr Kollege Vogel, können wir uns endlich einmalfreuen, dass es vorangeht für die Studenten, für dasLand, für die Mobilität. Das andere wird die Jamai-

ka-Koalition Schritt für Schritt ebenfalls anpacken,statt nur rumzuschnacken.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDUund FDP)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeord-neter Kay Richert.

Kay Richert [FDP]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kollegen! „Die FDP wird sichdafür einsetzen, dass es zukünftig ein landesweitgültiges Semesterticket für die Studierenden gebenkann, um die Mobilität der Studierenden innerhalbSchleswig-Holsteins zu verbessern.“ - Das stand inunserem Wahlprogramm. In den Wahlprogrammender anderen Jamaikaner standen ähnliche Sätze. Esist doch toll, dass wir mit dem heutigen Beschluss,die Landesregierung mit der Konzeptionierung ei-nes landesweiten Semestertickets zu beauftragen,einmal mehr unsere Wahlversprechen erfüllen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Mit dem heutigen Beschluss demonstrieren wir,dass Jamaika ein verlässlicher und starker Partneran der Seite von Studierendenvertretungen undVerkehrsunternehmen ist.

Das landesweite Semesterticket für Schleswig-Hol-stein ist ein hochattraktives Angebot für alle Stu-denten, die stark vergünstigt nicht nur in ganzSchleswig-Holstein, sondern zusätzlich auch nochim kompletten HVV-Gebiet unterwegs sein kön-nen. Es erhöht die Attraktivität unseres Landes imWettbewerb um die besten Köpfe und auch die At-traktivität - das ist für das Land Schleswig-Holsteinbesonders wichtig - der außerstädtischen Räume;denn davon haben wir ziemlich viele.

Das Semesterticket unterstützt die Bemühungen,mehr Mobilität auf den ÖPNV zu verlagern, und si-chert den Verkehrsunternehmen dadurch zusätzli-che Einnahmen. Hierdurch demonstrieren wir er-neut, dass wir Themen dynamisch voranbringen,die bislang liegen geblieben sind. Die Landes-ASten und Verkehrsunternehmen stehen ja seitLangem in Verhandlungen zur Vorbereitung. Eswar übrigens nicht, wie der Herr Kollege Vogeleben sagte, die Küstenkoalition unter Herrn Albig,sondern es waren die Landes-ASten, die das Ganzein Schwung gebracht haben. Wir werden es den

2022 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Dr. Andreas Tietze)

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Vertragspartnern durch unsere Unterstützung er-möglichen, jetzt auch endlich das landesweite Se-mesterticket zu einem unglaublich attraktiven Ein-stiegspreis einzuführen.

Warum Einstiegspreis? Mit den Studierendenver-tretungen ist verabredet, dass das landesweite Se-mesterticket nach der Einführungsphase ohne Lan-desmittel auskommen soll. Warum? Der KollegeKilian hat es bereits angesprochen. Weil wir diesesattraktive Angebot dadurch einem Zugriff durch diePolitik entziehen. Sonst könnten nämlich zukünfti-ge Mehrheiten, die es mit den Studierenden viel-leicht nicht so gut meinen wie die Jamaika-Koaliti-on, die Uhr wieder zurückdrehen. Das schließen wirauf diese Weise aus.

Der Preis für das Semesterticket soll die tatsächli-chen Kosten abdecken. Wie hoch diese Kostensind, ist aber noch nicht klar. Es gibt hierzu ledig-lich eine Schätzung der Verkehrsunternehmen.Deswegen wird es nach dem ersten Jahr eine Evalu-ierung geben, um die tatsächlichen Kosten zu er-mitteln. Diese tatsächlichen Kosten sollen dann derendgültige Preis sein. Bis zu diesem Preisniveauwerden die Beiträge der Studierenden dann schritt-weise angehoben. Für die Einführungsphase wer-den wir bis zu 9 Millionen € bereitstellen.

Wenn Sie, Herr Kollege Vogel, sagen, Geld helfehier nicht, dann finde ich, Geld hilft hier schon;denn sonst könnten wir das so nicht einführen. Dieschrittweise Anhebung ist im Übrigen auch ein Zei-chen von Ehrlichkeit, von Transparenz. Das kannman gut finden oder nicht. Zeigen doch auch Sieuns mit Ihrem Abstimmungsverhalten, ob Sie Ehr-lichkeit und Transparenz gut finden oder nicht!

Sehr geehrte Damen und Herren, die Jamaika-Ko-alition ist ein modernes Bündnis, und wir machenmoderne Politik für die Menschen in Schleswig-Holstein. Wir machen Versprechungen, die wirauch einhalten. Mit diesem landesweiten Semester-ticket haben wir einen wirklich sehr großen Wurfgetan.

Nun kommen wie aus der Pistole geschossen For-derungen nach besonderen Tickets für weitere Per-sonenkreise. Am liebsten wird hier immer das Azu-biticket genannt. Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen, die Systematik ist überhaupt nichtvergleichbar. Eine solidarische Finanzierung durchdie Auszubildenden ist nicht genauso zu organisie-ren wie bei den Studierenden.

Trotzdem: Uns geht die Forderung nach einemAzubiticket noch nicht einmal weit genug. Wirwerden uns um eine Lösung kümmern, von der alle

Beschäftigten profitieren. Vielleicht kriegen wir dasja auch noch hin. Bisher haben wir ja schon sehrviel hingekriegt. Während Sie hier nörgeln, bringenwir das Land dynamisch voran. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Herr Abgeord-neter Volker Schnurrbusch.

Volker Schnurrbusch [AfD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Gäste! Auch die AfD hält einlandesweites Semesterticket für eine sinnvolleMaßnahme, mit der die Mobilität von 50.000 Stu-denten in Schleswig-Holstein gefördert und zu-gleich die Attraktivität des öffentlichen Personen-nahverkehrs gesteigert werden können.

In zahlreichen anderen Bundesländern sind Seme-stertickets bereits geübte Praxis, zum Beispiel inNiedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen,aber auch in Hamburg. Studenten der Uni Hamburgerhalten heute schon nach Zahlung ihres Semester-beitrags ein Ticket des HVV, das im gesamtenHVV-Bereich gültig ist. Dieses Ticket ist dabeiauch noch preisgünstiger als vergleichbare Zeitkar-ten für Auszubildende und Studenten. Es ist des-halb von großer Bedeutung, dass Hamburg in dieKonzeption des neuen Semestertickets für Schles-wig-Holstein einbezogen wird.

Wir begrüßen es auch, dass die Landesregierungdas Projekt mit einer Anschubfinanzierung an denStart bringen will, und gehen insofern davon aus,dass die örtlichen Verkehrsunternehmen wie auchdie Studentenvertretungen der Hochschulen dieserKonzeption folgen werden.

Wenn nun als Folge der Konzeption für ein landes-weites Semesterticket zugleich weiter gehende Er-wartungen und Forderungen geäußert werden - wirhaben es eben gehört - bis hin zu einem generellenJobticket für Arbeitnehmer, ist nach unserer Auf-fassung zunächst Zurückhaltung geboten. Schließ-lich muss sich das neue Projekt erst einmal finanzi-ell in der Praxis bewähren. Eine schrittweise Aus-weitung zunächst für Auszubildende sollte danachaber schon bald in die Planungen einbezogen wer-den. Denn warum sollten Auszubildende schlech-tergestellt werden als Studenten?

Außerdem sollte bereits in der Konzeptionsphasegeprüft werden, ob das Ticket obligatorisch für alle

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2023

(Kay Richert)

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Studenten sein soll oder als Angebot verstandenwerden soll, das diese bei Bedarf annehmen könnenoder auch nicht. Das kenne ich von meinem eige-nen Sohn. Der hat in Bremen studiert, und zwar Ju-ra, Herr Kilian. Der musste das Ticket kaufen, ob-wohl er es gar nicht braucht, weil er mit dem Fahr-rad zur Uni fährt.

Ein letzter Aspekt ist die Frage: Wie wird die Bahnreagieren? Wie wird sie die zu erwartenden Steige-rungen im Fahrgastaufkommen bewältigen? Wirdsie, wie in der Presse bereits hoffnungsvoll geäu-ßert worden ist, dieses Projekt zum Anlass nehmen,ihre Fahrpläne auszuweiten und vor allem auch ein-zuhalten? Hier wollen wir lieber nicht spekulieren;denn schon allzu oft haben die Deutsche Bahn undbesonders auch die DB Regio in Schleswig-Hol-stein die Erwartungen der Politik und vor allem derFahrgäste auf herbe Weise enttäuscht. Aber geradedeshalb halten wir es für sinnvoll, wenn der Land-tag heute die besondere Bedeutung des öffentlichenPersonennahverkehrs für Schleswig-Holstein miteiner breiten Zustimmung - das sage ich auch inRichtung SPD-Fraktion - für diesen Antrag unter-streicht. Die AfD stimmt jedenfalls dafür. - VielenDank.

(Beifall AfD)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Für die Abgeordneten des SSW hat der KollegeFlemming Meyer das Wort.

Flemming Meyer [SSW]:

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen! LiebeKollegen! Über die Saure-Gurken-Osterzeit konn-ten wir diverse Jubelmitteilungen der Regierungs-koalition lesen. Das Semesterticket kommt - für99 € durch ganz Schleswig-Holstein und Hamburg -frohlockten Grüne, FDP und CDU.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Das Ganze wurde dann unter Schlagwörter gesetzt:Denken wir neu, oder Kiel begrünen oder ange-packt und für den Kommunalwahlkampf genutzt,während alle drei Parteien verlauten ließen, sie sei-en diejenigen, die maßgeblich zum Erfolg des Vor-habens beigetragen hätten.

(Demonstrativer Beifall CDU, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Junge Union klopfte sich auf die Schulter, dennsie sei es gewesen, die die Forderung in den Koali-tionsvertrag gebracht hätte.

(Lukas Kilian [CDU]: Wahlprogramm!)

Die FDP dankte hochlobend ihrem Minister. Undvon grüner Seite hörte man, sie seien diejenigen,die schon seit Jahren für das Ticket kämpfen wür-den.

(Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

Und dann, nach und nach, stellte sich heraus, dassdiese Marketingmaschine vielleicht etwas vor-schnell in Gang gesetzt worden war und die Situati-on gar nicht so rosig ist, wie es dargestellt wurde:weil überhaupt nicht klar ist, ob das Semestertickettatsächlich so kommt, da man erst die Voten derStudierenden abwarten muss; weil die Landes-ASten-Konferenz - gelinde gesagt - überrascht re-agierte, da es ja bereits seit zweieinhalb Jahren einVerhandlungsteam von Studierenden und NAH.SHzu eben diesem Vorhaben gibt; weil die Idee nunwirklich keine neue ist, da sich schon die Küstenko-alition klar zu einem möglichen Semesterticket be-kannt hat

(Beifall Lars Harms [SSW] und Eka vonKalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zu-ruf: Wo denn?)

und weil das Ticket, wenn es denn kommt, deutlichteurer werden wird als angekündigt. Nach einemJahr steigt der Preis schon auf 119 € pro Semester.Gemessen an den Realfahrten kann es auch danachnoch weitere Kostensteigerungen geben. Das istwie bei einem sehr schlechten Handyvertrag.

Eigentlich ist es so, dass auch wir vom SSW dasVorhaben eines Semestertickets unterstützen. Wirhaben immer wieder betont, dass wir die zusätzli-chen Mehreinnahmen, die wir durch die Regionali-sierungsmittel zur Verfügung haben, anteilig in sol-che Maßnahmen stecken wollen - völlig klar. Aberzu den im Vorfeld präsentierten Konditionen fälltuns die Zustimmung zu diesem Antrag zu schwer.

Wir sind mit dem Vorstoß der Regierungskoalitioneinfach nicht zufrieden. Er reicht uns nicht. Wirwollen, dass unsere Studierenden im Norden nichtvergessen werden. Schließlich haben wir noch un-sere grenzüberscheitenden Studiengänge an derEuropa-Universität Flensburg, wo unsere Studie-renden nicht nur über Stadt-, sondern über Landes-grenzen nach Sønderborg pendeln - ein besonderesMerkmal des Grenzlandes, das - so scheint es - hierüberhaupt nicht berücksichtigt wird.

Wenn man ein Semesterticket für alle Studierendenin Schleswig-Holstein einführen will, darf maneben nicht nur an den Süden denken, sondern manmuss auch an den Norden denken.

2024 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Volker Schnurrbusch)

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(Beifall SSW)

Bildung muss umsonst sein, und der Weg dorthingehört dazu. Wir sehen den dringendsten Bedarf beiSchülerinnen und Schülern und Auszubildenden.Auszubildende müssen oftmals unter schwierigenfinanziellen Voraussetzungen zwischen ihremWohnort, ihrer Schule und der Ausbildungsstättependeln. Mit Pech kommt noch ein weiter Weg zueiner entfernten Arbeitsstelle dazu.

Es ist erst wenige Monate her, da wurden wir hierzurechtgewiesen, für die Beförderung von100 Dithmarscher Kindern zu ihrer Schule in Tön-ning könne das Land trotz gesetzlich verankerterfreier Schulwahl nicht aufkommen. Dabei könntendie Eltern eine finanzielle Entlastung wirklich gutgebrauchen.

(Beifall SSW)

Wir haben in vorherigen Gesprächen immer offengesagt, dass wir uns ein groß angelegtes Konzeptfür den gesamten Bildungsbereich wünschen. Statteiner rein studentischen Klientelpolitik wünschenwir uns Vergünstigungen nicht nur für den Weg zurUni, sondern auch für den Weg zur Schule undAusbildungsstätte. - Jo tak.

(Beifall SSW und SPD)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat derKollege Kilian aus der CDU-Fraktion.

Lukas Kilian [CDU]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Ich möchte jetzt doch noch etwas zu denRedebeiträgen der zwei Oppositionsfraktionen SPDund SSW sagen, die etwas kritischer mit uns insGericht gegangen sind und die offensichtlich auchgegen ein landesweites Semesterticket stimmenwollen. Das sollen sie machen. Das scheint in ge-wisser Weise eine Tradition zu sein.

Herr Vogel, Sie haben sich hier eben hingestelltund gesagt: Wir wollten ein landesweites Semester-ticket, wir wollten es gern für 99 €. - Da frage ichmich, wo Ihr Antrag aus der letzten Wahlperiodegewesen ist, in dem das enthalten war. Es gab ge-nau einen einzigen Antrag in der letzten Wahlperi-ode zum Semesterticket, und der ist mehr oder we-niger ein Generalaufschlag, was man im öffentli-chen Personennahverkehr machen sollte. Der istvom 20. Dezember 2016. Im Hinblick darauf, dassdie Landtagswahl 2017 im Mai stattfand, hätte man

sagen können: Kurz vor knapp noch einmal in denKoalitionsvertrag geschaut, wir hauen jetzt nocheinmal einen raus. - Da stand auch nur drin, manwolle es prüfen.

(Kay Richert [FDP]: Aus Versehen verges-sen wahrscheinlich!)

Herr Meyer, das Gleiche gilt für Sie. Sie stellensich hin und sagen: Ja, wir wollten das, und wirsind dabei. - Ich zitiere aus Ihrem Koalitionsver-trag. Darin stand:

„Im Rahmen des Schleswig-Holstein-Tarifswerden wir … neue Anreiz-Tarife, wie zumBeispiel … Semestertickets und“

- jetzt wird es spannend -

Arbeitnehmertickets … prüfen.“

Ich weiß nicht: Vielleicht haben Sie geprüft. Aberdas Ergebnis ist keinem Menschen bekannt gege-ben worden. Eingeführt wurde nichts.

(Zuruf Lars Harms [SSW])

Jetzt ist es ganz einfach, sich hier hinzustellen undzu sagen, es sei Klientelpolitik für Studenten, diedas Ticket am Ende solidarisch selbst finanzierenwollen. Da frage ich mich, wo da die Klientelpoli-tik ist. Da sollten Sie sich ganz ehrlich hinterfragen,wie Sie mit den Studenten in diesem Land umge-hen, wenn Sie da jetzt so tun, als ob das irgendeinDünkel sei, wenn sich Studenten in einer Solidarge-meinschaft ein Ticket leisten.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDP)

Im Gegensatz dazu steht im jetzigen Koalitionsver-trag: Wir streben ein landesweit gültiges Semester-ticket an. Es steht auch noch darin, dass man denHVV mit einbeziehen wolle, also eine deutlich wei-ter gehende Position.

Jetzt zu kritisieren, dass sich der eine oder andereetwas überrumpelt fühlt? - Sicher: An der Kommu-nikation kann man an dem einen oder anderenPunkt arbeiten. Das haben wir mit der Landes-ASten-Konferenz ausgeräumt. Wir haben beide ge-meinsam verabredet: Wir ziehen an einem Strang.Wir werden politische Schützenhilfe leisten. Wirsind bereit, Geld in das System zu geben, damit wirein günstiges, leistungsstarkes Ticket hinbekommenund am Ende nicht ein Redebeitrag folgt wie dervom 15. Mai 2014, in dem der Kollege Habersaathier im Landtag sagte:

„Die Frage nach einem Semesterticket hätteich am liebsten so gelöst gesehen, dass wir

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2025

(Flemming Meyer)

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ein landesweites Semesterticket haben. Daswollen aber unsere Studierenden nicht, weilfür ein landesweites Semesterticket hohe Zu-zahlungen vonseiten der Studierenden erfor-derlich sind …

Ich kann durchaus verstehen, dass KielerStudenten nicht bereit sind, mehrere HundertEuro für die Möglichkeit zu zahlen, nach -ich nehme eine Stadt aus meinem Wahlkreis- Glinde oder Brunsbüttel zu fahren.“

Wenn Sie tatsächlich über mehrere 100 € nachge-dacht haben, jetzt aber von 99 € sprechen, dann er-klärt sich natürlich, warum wir einen Antrag haben.Sie können gern dagegenstimmen. Aber das in dieKlientelpolitik-Ecke zu schieben und jetzt so zutun, als ob man hier Arbeitnehmer ausschließenmöchte? - Da sind Sie in Ihrer letzten Koalition anden eigenen Ansprüchen gescheitert.

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Herr Kollege, die Uhr!

Lukas Kilian [CDU]:

Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Wir packenan und wollen dieses Semesterticket auf den Wegbringen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDP)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitraghat der Abgeordnete Kai Vogel von der SPD-Frak-tion.

Kai Vogel [SPD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Kilian, ich habe im Gegensatzzu Ihnen zwar kein Jura studiert,

(Zuruf Lukas Kilian [CDU])

aber ich bin schon einen Moment länger dabei. In-sofern können Sie natürlich auch nicht wissen, waseventuell bereits für Gespräche in den letzten Jah-ren geführt worden sind. Das trifft auf den KollegenRichert auch zu, aber lieber Andreas Tietze, aufdich trifft es definitiv nicht zu. Du weißt genau,dass wir in der Küstenkoalition intensive Gesprächeüber das Thema Semesterticket geführt haben. Duweißt genau, dass wir auch darüber gesprochen ha-ben, dass das natürlich in irgendeiner Art und Wei-se Landesgeld kosten wird. Aber ob es bei einem

Verhandlungsstand sinnvoll ist, wo es darum geht,dass die Verkehrsunternehmen gemeinsam mit denStudierenden im Augenblick versuchen auszuhan-deln, was so ein Semesterticket kostet, und sich dieLandesregierung dann hinstellt und sagt: Ja, wir ge-ben noch so und so viel Millionen hinzu? - Genaudie gleiche Diskussion haben wir vor Jahren geführtmit deinem Kollegen Matthiessen, der auch in derÖffentlichkeit herumposaunte und wo wir gesagthaben: Das hilft überhaupt nichts.

Wenn ich - wie es hier der Kollege Richert getanhat - 9 Millionen € nenne, die die Landesregierungbereit sei, dafür bereitzustellen, warum sollten dieVerkehrsunternehmen dann auf einmal weniger als9 Millionen € fordern? - Natürlich wird dann mehrgefordert. Deswegen ist es verhandlungstaktischabsolut ungeschickt, hier in dieser Art und Weisemit Summen zu agieren.

Du warst dir aber bewusst - und die anderen Kolle-gen ebenfalls, die in der Küstenkoalition dabei ge-wesen sind -, dass es Geld gekostet hätte. Die Ver-handlungen dauern zweieinhalb Jahre.

(Zuruf CDU)

Herr Kilian, davon auszugehen, Sie seien diejeni-gen, die die Verhandlungen in Gang gebracht ha-ben: Da müssen Sie nur einmal gucken, wann SieIhren Koalitionsvertrag unterschrieben haben. Derist noch keine zweieinhalb Jahre alt. Ich muss sa-gen: Da haben Sie sehr schlecht recherchiert.

(Beifall SPD und SSW)

Ob Ihr Antrag uns auch nur einen Schritt näher zumSemesterticket bringt, wage ich zu bezweifeln. Ichsehe das so, dass es überhaupt nicht der Fall ist.Das ist der Grund, dass wir diesem Antrag nicht zu-stimmen werden.

(Zuruf Werner Kalinka [CDU])

Noch einmal: Sie wollen, dass die Landesregierungeine Konzeption auf den Weg bringt. Die Landes-ASten tun das gemeinsam mit den Verkehrsunter-nehmen und der NAH.SH. Es ist ein totaler Trittgegen das Schienbein, weil sie diese Konzeptionbereits erarbeiten. Jetzt sagen Sie: Nee, nee, dieLandesregierung wird dies tun.

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Gemeinsam!)

Das ist definitiv nicht wertschätzend.

(Zuruf Werner Kalinka [CDU])

Wir sehen ja auch immer beim Berliner Flughafenoder anderen Projekten: Ob es hilfreich ist, Fristenzu nennen und damit gegebenenfalls die Verhan-

2026 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Lukas Kilian)

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delnden, die auf einem guten Wege sind - und dasmüsste Ihnen ja mitgeteilt worden sein -, unterDruck zu setzen, ist fraglich. Die Beteiligung vonden Studierenden und Verkehrsunternehmen müs-sen Sie nicht einfordern, die verhandeln schon mit-einander. Insofern tut es mir ganz ehrlich leid: Die-ser Antrag ist totaler Magerquark, man kann auchsagen: Quatsch. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat nun derHerr Abgeordnete Dr. Tietze von der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Lieber Kollege Vogel, ich verstehediesen Beitrag, den Sie gerade geleistet haben, we-der im Ton noch in der Sache. Es ist richtig: Auchin der Küstenkoalition haben wir das Semester-ticket besprochen. Wir wussten aber immer, dassStudenten ein knappes Budget haben. Es ist schoneinmal eine Abstimmung über ein Semesterticketgescheitert, weil das, was verhandelt worden war,zu teuer war. Die 53.000 Studenten, die dort allebeteiligt werden, haben ein sehr gutes Gespür dafür,was das Semesterticket kostet.

Ich sehe es bei meinen eigenen Kindern: Studentenhaben eben nicht so viel wirtschaftliche Kraft. Siemüssen rechnen.

(Serpil Midyatli [SPD]: Geiziger Vater!)

10 € oder 20 € die Woche - das macht einen Unter-schied. Ich möchte daher an dieser Stelle einfachsagen: Das ist der Unterschied zwischen Küstenko-alition und Jamaika-Koalition. Die Küstenkoalitionhat gesagt: Wir wollen so wenig wie möglich - ambesten gar kein - Geld dazugeben. - Wir waren alsoin dem Interessenkonflikt auch Interessenpartei.Das kann man natürlich wollen.

Man kann aber auch sagen: Wenn man es erfolg-reich einführen will, verzichten wir als Land aufdiesen Interessen-Move und sagen in der BlackBox: Wir sind für einen begrenzten Zeitraum bereit,eine Anschubfinanzierung und damit eine finanziel-le Verantwortung zu übernehmen. - Das ist tatsäch-lich neu und auch von der Landes-Asten-Konferenzso gespiegelt worden. Dieser neue Aspekt hilft uns.Das hilft, in den Verhandlungen nach vorne zu

kommen und ein leistungsstarkes Ticket zu bekom-men.

Jetzt wird es tatsächlich ernst, und alle sind ernst-haft bemüht, es zum Wintersemester einzuführen.Das ist das erste Punkt.

Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt zuFlemming Meyer sagen. Lieber Flemming Meyer,natürlich muss man auch einmal schauen, wie es imBereich Flensburg-Sonderburg ist. Es ist ja ange-sprochen worden. Wir haben ganz bewusst gesagt:Wir gehen nicht an diese regionalen Tickets heran.Das aufzulösen, hieße, dass wir eine Diskussion be-kämen, die möglicherweise noch zwei bis fünf Jah-re dauert. In anderen Bundesländern gibt es interes-santerweise diesen Weg, dass man sich sowohl fürein leistungsstarkes landesweites Ticket wie für einregionales Ticket entscheiden kann. Gleichmäßig-keit ist da. Das heißt aber nicht, dass man in Zu-kunft nicht darüber nachdenken darf, im Tarifsys-tem in Schleswig-Holstein besser zu werden.

Wir sind dran, das alles einmal auf den Prüfstandzu stellen, weil wir merken: Der Schleswig-Hol-stein-Tarif ist nicht mehr zukunftsfähig. Wir erle-ben es in Steinburg und jetzt in Lübeck. Wir stellenuns dieser Aufgabe. Es ist keine leichte Aufgabe.Das geht nicht im Schnellverfahren. Man kann daseine tun, ohne das andere zu lassen. Wir macheneinen vernünftigen, klaren und pragmatischen Vor-schlag, der jetzt endlich dazu führt, dass die Stu-dentinnen und Studenten ein Semesterticket bekom-men. Reihen Sie sich ein, lieber Kai Vogel und lie-be SPD, und sagen Sie, dass Sie auch einen Anteildaran haben! Aber hören Sie auf, mit andauerndemRühren immer ein Haar in der Suppe finden zu wol-len, das es leider nicht gibt! Das wäre Größe. Dazuwürde ich Sie gerne auffordern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDUund FDP)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Ich erteile nun dem Herrn Minister für Wirtschaft,Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus,Dr. Bernd Buchholz, das Wort.

Dr. Bernd Buchholz, Minister für Wirtschaft, Ver-kehr, Arbeit, Technologie und Tourismus:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Uns eint zumindest eines. Wir alle sagen:Ein Semesterticket ist eine gute Sache, sowohl inökologischer Hinsicht - mehr Studierende sind danntatsächlich auf der Schiene unterwegs - als auch für

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2027

(Kai Vogel)

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junge Studierende in unseren Studienorten inSchleswig-Holstein, die vielleicht nicht unbedingtim Zentrum der Städte eine Wohnung finden, son-dern pendeln müssen. Das anzustreben, anzupackenund auf die Reise zu bringen, ist doch den Schweißaller Beteiligten wert.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Herr Kollege Dr. Tietze, ich verstehe vor diesemHintergrund sowohl den Duktus als auch die Artund Weise des Abgeordneten Vogel vollständig.Daraus wird der Frust deutlich,

(Beifall FDP, CDU und Dr. Andreas Tietze[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

dass es ihm nicht gelungen ist hinzubekommen,was eigentlich alle erreichen wollen. Dieser Frustspiegelt sich darin wider, dass man sagt: Men-schenskinder, wir haben ja auch verhandelt und ha-ben es angeschoben, sind aber leider nicht zum Er-folg gekommen. - Dass der Frust des Herrn Vogelsich nun dergestalt niederschlägt, dass Sie uns sa-gen, unsere Verhandlungsführung sei komisch, ist,ehrlich gesagt, von einer Seite ein Rat, den wirnicht brauchen.

(Beifall FDP, CDU und Dr. Andreas Tietze[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In der Sache geht es doch einfach um Folgendes:Die Vorgängerlandesregierung hatte auch ein Se-mesterticket einführen wollen. Sie hat sich abernicht dazu durchringen können, das zu tun, was wirjetzt tun, wenn wir sagen: Ja, wir sind auch bereit,dafür Geld in die Hand zu nehmen und ein bisschenetwas an Anschubfinanzierung zu machen. - Werdazu bereit ist, darf dann bitte schön, Herr Vogel,aber auch gegenüber den ASten und den Verkehrs-unternehmen sagen: Freunde, wir sind bereit, euchin euren Verhandlungen zu unterstützen. Wir kön-nen uns dabei ein gewisses Modell vorstellen. Ab-schließend seid ihr diejenigen, die es zu verhandelnhaben.

Das ist ja vollkommen berechtigt, und man muss esausdrücklich sagen: Ob es zum Schluss zustandekommt, hängt davon ab, ob Verkehrsunternehmenund ASten sich tatsächlich einigen.

Wir sind aber nun in der Lage, mit dem Modell, dasda quasi im Hintergrund schwebt, zu fragen: Leute,was könnte das für ein Modell sein?

Das ist so, weil wir Geld in die Hand genommenhaben und zeigen, wie es austariert sein könnte. Dasagen die ASten ja nicht: Um Gottes Willen, wir

sind ein bisschen überrascht. - Sie sagten stattdes-sen im letzten Gespräch: Menschenskinder, das istdankenswert und hilft, die stockenden Beratungenin Schwung zu bringen.

Herr Kollege Vogel, was dabei herauskommenkönnte, ist zum Schluss ein Semesterticket mit ei-nem Preis von 149 € pro Semester für die Nutzungdes gesamten Gebietes von NAH.SH und des ge-samten HVV. Das ist ein Sensationsangebot, meineDamen und Herren, das ist ein Sensationspreis!

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Die Studierenden in Hamburg zahlen einen Seme-sterbeitrag von 173 € - und zwar nur für die Nut-zung des HVV. Die Studierenden in Nordrhein-Westfalen zahlen zum Teil über 200 € Semesterbei-trag, um ein solches Ticket zu haben. Wir bieten dieChance, jetzt dazuzukommen: sowohl Hamburg alsauch Schleswig-Holstein, die ganze Region, mit ei-nem einmaligen Semesterbeitrag, der allerdings vonallen Studierenden in der Größenordnung vonwahrscheinlich rund 150 € entrichtet wird.

Wie wir dahin kommen und wie wir es anschubfi-nanzieren, werden wir sehen. Dass es ein Fehler ge-genüber den Verkehrsunternehmen sein soll, HerrVogel, zu verhandeln, sehe ich ganz und gar nicht.Die Beteiligten haben, glaube ich, gesehen, dass dieGrößenordnung, die wir hier in Form eines Risiko-ausgleichs dafür, was sich real entwickelt, anbieten,für sie eine ganz seriöse und vernünftige ist. Des-halb bin ich sehr guter Hoffnung, dass jetzt gelingt,was Sie vielleicht gewollt, aber nicht erreicht ha-ben, und dass wir hinbekommen, was als Semester-ticket für dieses Land notwendig ist.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Kollege Harms, lassen Sie mich auf das ThemaAzubi-Ticket und auf Ihre Wortwahl gegenüber denStudierenden kommen, die ich - ich sage es einmalso - so von Ihnen nicht gewohnt bin.

(Birgit Herdejürgen [SPD]: Er hat doch garnicht geredet!)

- Entschuldigung, Herr Kollege Meyer natürlich.Diese Wortwahl bin ich vom SSW nicht gewohnt.Sie haben gesagt, dass das hier eine Klientelpolitikzugunsten von Studierenden sei. Dabei ist es dochso: Alle Studierenden bezahlen über den Studien-beitrag selbstfinanzierend ein solches Ticket, aller-dings entscheiden sie in diesem Fall, dass sie dasals Solidargemeinschaft stemmen wollen. Das istder entscheidende Unterschied zu allen Formen des

2028 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

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Azubi-Tickets, die denkbar sind. Wie wollen Siedenn bei den Azubis eine entsprechende Solidarge-meinschaft der Auszubildenden des Landes herstel-len, in der alle etwas gemeinsam einzahlen? Das istder entscheidende Unterschied. Wenn Sie ein Azu-bi-Ticket in derselben Art und Weise, quasi aberohne Mitfinanzierung durch die Auszubildendenselbst, wollen, dann ist das ein Subventionslochstaatlicher Art, das wir sicherlich in dieser Größen-ordnung nicht stopfen könnten.

Wir überlegen aber auch dort. Und aus meiner Sichtist es sinnvoller, ein Jobticket zu schaffen, durchdas auch die Azubis in Schleswig-Holstein einenganz besonderen Vorteil haben, der fast in der Grö-ßenordnung liegt, wie wir das auch beim Studen-tenticket erleben werden. Eine Zwangssolidarge-meinschaft bei Azubis kann ich mir allerdings nichtvorstellen. Deshalb werden wir da andere Formendes Tarifs denken müssen. Aber auch diesen jungenAuszubildenden bemühen wir uns, etwas anbietenzu können. Denn uns ist die Feststellung wichtig,dass eine Ausbildung genauso viel wert ist wie einStudium; weil wir auch deutlich zeigen wollen,dass der Master den gleichen Stellenwert hat wieder Meister. Wir werden auch dort dieselbe Chanceermöglichen.

Ich sage Ihnen voraus, wir werden auch das noch indieser Legislaturperiode sauber auf den Weg brin-gen, Herr Kollege Vogel. - Ich danke Ihnen herz-lich.

(Anhaltender Beifall FDP, CDU und BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Vielen Dank. Der Minister hat die vereinbarte Re-dezeit um 1 Minute und 30 Sekunden überschritten.Ich kann nicht erkennen, dass Fraktionen von dieserRedezeit Gebrauch machen wollen.

Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sa-che abzustimmen. Wer dem Antrag zustimmenwill, den bitte ich um das Handzeichen. - VielenDank. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? -Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Frak-tionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP und AfD gegen die Stimmen der SPD bei Ent-haltung der Abgeordneten des SSW so angenom-men.

Ich unterbreche jetzt die Sitzung für die Mittags-pause. Wir sehen uns hier um 15 Uhr wieder.

(Unterbrechung: 13:13 bis 15:00 Uhr)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe alsersten Tagesordnungspunkt nach der Mittagspauseden Tagesordnungspunkt 29 auf:

Kräfte bündeln, Führung vereinheitlichen:„Deutsche Küstenwache“ schaffen

Antrag der Fraktion der AfDDrucksache 19/689

Nationale Küstenwache und zeitgemäßes Gefah-renabwehrkonzept

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, SPD,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abge-ordneten des SSWDrucksache 19/712

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dasist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für dieantragstellende AfD-Fraktion der Abgeordnete JörgNobis.

Jörg Nobis [AfD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Der Wunsch einer länderübergreifen-den, klar gegliederten und mit einer einheitlichenFührungsstruktur versehenen Deutschen Küstenwa-che ist durchaus schon älter und wurde von ver-schiedener Seite immer wieder mal gefordert.

Als Kapitän und Nautisch-Technischer Sachver-ständiger sage ich Ihnen: Der Vorschlag machtSinn. Natürlich ist in Deutschland immer irgendwiealles komplizierter als anderswo in der Welt, erstrecht, wenn es um Kompetenzgerangel zwischenunterschiedlichen Behörden und Bundesländerngeht. Denn welcher Staatsdiener gibt schon freiwil-lig Kompetenz und Weisungsbefugnis ab, wenndoch vielleicht sein Job daran hängt? Genau des-halb konnte man sich in den zurückliegenden Jah-ren auch nur auf einen Koordinierungsverbund eini-gen. Auch diese Zwischenlösung hatte einige Jahrebenötigt.

Es ist daher an der Zeit, diesen begonnenen Prozessweiter voranzutreiben und endlich eine richtigeDeutsche Küstenwache mit einheitlicher Führungs-struktur zu schaffen. Auf den Schiffen der Bundes-polizei steht ja zumeist „Küstenwache“ drauf, abernur, weil es draufsteht, ist noch keine Küstenwache

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2029

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

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drin. Es ist momentan, wie gesagt, ein Koordinie-rungsverbund von Bundesbehörden.

Im Maritimen Sicherheitsverbund Cuxhaven stim-men die beteiligten Behörden die Einsatzpläne derverschiedenen Fahrzeuge untereinander ab - das istschon ein großer Gewinn -, doch die einzelnenFahrzeuge unterstehen unterschiedlichen Behördenund damit auch unterschiedlichen Ministerien. Be-teiligt sind nämlich Bundespolizei, Wasser- undSchifffahrtsverwaltung des Bundes, der Zoll unddie Fischereiaufsicht durch die Bundesanstalt fürLandwirtschaft und Ernährung.

Unabhängig davon, ob das Wort „Küstenwache“auf Fahrzeuge gepinselt wurde, liegen die Wei-sungsbefugnisse weiterhin bei den entsprechendenBehörden. Es gibt keine einheitliche Küstenwachein Deutschland, die diesen Namen tatsächlich ver-dient, ja, nicht einmal ein einheitliches Erschei-nungsbild der Fahrzeuge. Die Fahrzeuge der Bun-despolizei sind blau, die des Zolls grün und die Fi-schereischutzboote sind schwarz angemalt. DiesesNebeneinander ist nicht zielführend. Das haben jasogar Sie von der Küsteneinheitsfront erkannt.

Leider ziehen Sie in Ihrem offensichtlich eilig zu-sammengeschusterten Alternativantrag daraus nichtdie entsprechenden Konsequenzen. Sie wollen dasMaritime Sicherheitszentrum in Cuxhaven weiterausbauen. Das ist schon einmal besser als nichts,aber wesentlich weniger als eigentlich nötig undweniger, als wir in unserem Antrag fordern.

Meine Damen und Herren, eine Zusammenlegungder Kompetenzen unter einem gemeinsamen Dachauf Bundesebene entspricht dem gesunden Men-schenverstand, ist sinnvoll und längst überfällig.Ich wage einmal die Vermutung: Langfristig ist ei-ne Zusammenlegung unter der Weisung des Bun-desinnenministers auch kostengünstiger, effizienterund durch eine einheitliche Führungsstruktur vorallem auch schneller in den Entscheidungsstruktu-ren. Genau darauf kommt es im Havariefall auf Seeoder bei einer drohenden Havarie auch an. Da zählt- wie an Land auch - manchmal jede Minute, umeinen möglicherweise Super-GAU auf See geradenoch vermeiden zu können. Gerade wir in Schles-wig-Holstein können und wollen uns eine schwereHavarie vor allem im Wattenmeer, aber auch in derOstsee nicht vorstellen. Es ist aber nicht eine Fragedes Ob, sondern nur des Wann. Die nächste Hava-rie kommt bestimmt.

Die Havarie der „Pallas“ vor fast 20 Jahren war si-cherlich nur ein Vorgeschmack. Niemand mag sichausdenken, was die Strandung eines Großcontainer-

schiffes auf der Elbe oder in der Nordsee anrichtenkann. Eines ist sicher: Nicht immer gehen solcheEreignisse so harmlos aus wie bei der „CSCL Indi-an Ocean“ auf der Elbe Anfang 2016 oder wie dieStrandung der „Glory Amsterdam“ im Herbst 2017vor der Insel Langeoog. Genannt sei auch die großeHavarie der „Purple Beach“ im Mai 2015, einem al-ten Frachter, auf dem ich als Sachverständigerselbst tagelang an Bord war. Hätte die „IndianOcean“ aufgrund der Biegemomente Risse in derAußenhaut beziehungsweise in den Schweröltanksbekommen, dann hätte man sich auf mehrere hun-dert Tonnen Schweröl einstellen müssen, die mitun-ter die Elbe hinunterfließen und nach kurzer Zeit imWattenmeer landen. Auf eine solche Havarie istDeutschland nicht vorbereitet, meine Damen undHerren.

Natürlich können durch eine gute Küstenwache Ha-varien nicht verhindert werden. Aber durch eineeinheitliche Führungsstruktur wird im Notfall Zeitgespart. Da kann eine Stunde mehr Zeit möglicher-weise eine noch größere Havarie verhindern. Des-wegen macht es Sinn, den begonnenen Prozess zuvollenden. Dazu dient unser Antrag. Er soll klarerAuftrag für die Landesregierung sein. Daher bean-trage ich die Überweisung in den zuständigen In-nen- und Rechtsausschuss.

Einmal mehr hat die AfD-Fraktion ein wichtigesLandesthema auf die Agenda dieses Hauses gesetzt.

(Widerspruch CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich stelle fest: AfD wirkt. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort hat der Abgeordnete Tim Brockmann fürdie CDU-Fraktion.

Tim Brockmann [CDU]:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Vielen sind die zahlreichen Schiffsunfälle,die wir in der Vergangenheit auf Nord- und Ostseehatten, noch gut präsent. Der brennende Holzfrach-ter „Pallas“, der im Oktober 1998 vor Amrum aufGrund lief, die auf der Ostsee brennende „LiscoGloria“ im Oktober 2010 oder auch der im vergan-genen Jahr havarierte Frachter ,,Glory Amsterdam“haben sich tief in die Erinnerung der Küstenbewoh-ner eingebrannt. Zum Glück haben sich nur wenigegroße Schadensfälle an unseren Küsten ereignet.

2030 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Jörg Nobis)

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Das zeigt aber auch: Hundertprozentige Sicherheitwird es nicht geben können.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass die im Falle ei-ner Havarie zuständigen Behörden gut aufgestelltsind, Kompetenzen klar verteilt sind. Gerade imAngesicht des Nationalparks Wattenmeer könnenwir uns ein Kompetenzgerangel verschiedener Be-hörden und Institutionen nicht leisten.

(Beifall CDU und AfD)

Es bedarf schneller Entscheidungen, um Schadenvon dieser einzigartigen Natur- und Tourismusregi-on abzuwenden. Gleiches gilt natürlich auch für dieOstsee und insbesondere für die viel befahrene Ka-detrinne.

Insofern wundert es auch nicht, dass sich der Land-tag bereits in der Vergangenheit immer wieder mitdem Aufbau einer nationalen Küstenwache befassthat. Der Antrag der AfD ist also nichts Neues. HerrNobis, er ist ein alter Hut. Er ist inhaltlich schwach.Sie unterstellen uns, unser Alternativantrag sei zu-sammengeschustert worden. Ich habe mir von je-mandem, der lange zur See gefahren ist, deutlichmehr erwartet. Ich sage: Ihr Antrag ist zusammen-geschustert.

In Ihrem Antrag nennen Sie verschiedene Behör-den, wohlgemerkt Bundesbehörden, die Ihrer Mei-nung nach zusammengelegt werden sollen. Explizitnennen Sie die Bundespolizei, das Havariekom-mando, den Zoll und die Fischereiaufsicht. WarumSie allerdings die Wasserstraßen- und Schifffahrts-verwaltung des Bundes, die über die großen Not-schlepper und Mehrzweckschiffe verfügt, und dieWasserschutzpolizei, die für das Küstenmeer zu-ständig ist, außen vor lassen, das erschließt sich mirnicht, zumal Sie in Ihrer Begründung auf einmalschreiben, dass Sie alle Behörden mit hoheitlichenAufgaben auf Bundesebene oder Landesebene zu-sammenziehen wollen. Dann müssen Sie das auchin Ihrem Antrag schreiben und nicht nur in der Be-gründung. Ihr Antrag ist Stückwerk. Damit werdenkeine Kräfte gebündelt und wird keine Führungvereinheitlicht.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP, vereinzelt SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, in der maritimen Sicher-heit hat sich in den vergangenen Jahren, insbeson-dere seit dem „Pallas“-Unglück, viel getan. Das Ha-variekommando nahm am 1. Januar 2003 seine Ar-beit auf. Das Maritime Sicherheitszentrum, in demdie operativen Kräfte des Bundes und der Küsten-länder gebündelt sind, folgte im Januar 2007, und

seit 2017 arbeiten die Behörden sogar in einemgroßen Raum, dem Lagezentrum, zusammen. Ichglaube, das ist eine Entwicklung, die 1998 wenigeerwartet hätten.

Natürlich muss man sich immer fragen: Sind dieStrukturen richtig? Wie können sie weiterent-wickelt werden, um schnell auf entsprechende Ge-fahrenlagen reagieren zu können? - Das machen wirmit unserem Antrag deutlich, denn wir brauchen ei-ne enge und effiziente Zusammenarbeit aller mariti-men Behörden. Dazu zählt natürlich auch unsereWasserschutzpolizei, die trotz stürmischer Zeiten,geprägt von Neuorganisation und Stellenabbau, ei-ne hervorragende Arbeit im Küstenmeer leistet.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDP)

Mit der Forderung einer einheitlichen nationalenoder, wie Sie sagen, Deutschen Küstenwache lässtsich natürlich schnell Aufmerksamkeit erhaschen,aber so einfach ist das nicht. Bund und Länder müs-sen dies auch gemeinsam wollen, und das kann ichim Moment leider nicht erkennen. Ich halte es da-her für entscheidend, dass die vorhandenen Instru-mente wie das Maritime Sicherheitszentrum zu ei-ner nationalen Küstenwache im Sinne einer inte-grierten Küstenwache, in der die zuständigen Be-hörden in einem engen Netzwerk zusammenarbei-ten, weiter gestärkt werden und es eine klare Ver-teilung der Kompetenzen für alle polizeilichen La-gen auf See gibt.

Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Alter-nativantrag; ich glaube, das ist wirklich ein Alterna-tivantrag, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,FDP und vereinzelt SPD)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat nun dieAbgeordnete Kathrin Wagner-Bockey das Wort.

Kathrin Wagner-Bockey [SPD]:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Sieht man sich den AfD-Antrag nicht sogenau an, könnte man ihm im ersten Moment viel-leicht sogar etwas abgewinnen. Ich glaube aber, al-les, was inhaltlich zu dem Antrag und der Ausfor-mulierung zu sagen ist, hat Herr Brockmann hierschon ins Gespräch gebracht.

Die Frage, die man der AfD allerdings stellen muss,ist, warum sie sich inhaltlich nicht besser damit be-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2031

(Tim Brockmann)

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schäftigt hat, warum die Sache, die seit 50 Jahrenim Gespräch ist - eine Deutsche Küstenwache -,bisher keine Umsetzung gefunden hat. Die Antwortdarauf ist meines Erachtens ganz klar, denn derTeufel liegt im Detail und sich mit Detailfragen zubeschäftigen, ist nicht so sehr Ihre Sache.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN])

Wir haben eben schon davon gehört: 1998 havarier-te die „Pallas“ und trieb auf die deutsche Nordsee-küste zu. Vor Amrum lief das Schiff auf Grund undverlor 244 t Öl. An Land stritten derweil unter-schiedlichste Behörden um Kompetenzen. Das,meine Damen und Herren, würden wir so heutenicht mehr erleben.

Unsere deutschen Küsten sind circa 1.000 km lang,und es sind viele Bundes- und Länderdienste, aberauch ehrenamtliche Organisationen zum Schutz vorGefahren und im Ernstfall zur Beseitigung vonSchadensereignissen unterwegs. Welche Farbe de-ren Boote dabei haben, meine Damen und Herren,ist in meinen Augen kein wirkliches Problem.

(Vereinzelter Beifall SPD und CDU - Hans-Jörn Arp [CDU]: Das stimmt!)

Der Untergang der „Pallas“ war eine Katastrophe,aus der die Politik überparteilich ihre Lehren gezo-gen hat und auf die sie auch praktisch reagiert hat.Es wurde bereits gesagt: 2003 wurde das Havarie-kommando mit Sitz in Cuxhaven gegründet, das beikomplexen Schadenslagen ein eigenes Lagezen-trum bildet. Von dort werden beispielsweise Exper-tenteams im Bereich der Schadstoff-, Brandbe-kämpfung und der Gefahrengutbeseitigung ebensokoordiniert wie die Versorgung von Verletzten.2017 wurde das Maritime Sicherheitszentrum,ebenfalls in Cuxhaven, eingeweiht. Dort sind nunalle Leitstellen zusammengefasst, die bei besonde-ren Einsatzlagen auf See gemeinsam und aufeinan-der abgestimmt reagieren. Das sind mehr als zehnverschiedene Dienste - ich erspare es mir jetzt, siehier aufzuzählen -, die zu einem Bündel zusammen-geführt wurden und die miteinander kooperieren.Ich bin mir sicher, dass sie das im Ernstfall auchsehr gut täten. Und ja: Man kann davon träumen,dass alle unter der Befehlsgewalt einer einzelnenBehörde stehen - wobei Sie ja die Landesorganisa-tionen wohlweislich noch außen vor gelassen ha-ben.

(Jörg Nobis [AfD]: Das stimmt doch garnicht!)

- „Stimmt nicht“ ist auch gut, denn dann stimmt jameine Argumentation wieder. - Es gibt zwei Pro-bleme, die Ihr Antrag hat und die Sie unter denTisch fallen lassen:

Wenn man Verwaltungen aus dem Bund, aus demLand und aus den Kommunen miteinander verbin-den und daraus eine Behörde machen will, ist daseine Form von Mischverwaltung, die uns verfas-sungsrechtlich verboten ist.

Ich glaube, viel entscheidender - weil es das prakti-sche Leben noch einmal ganz besonders betrifft -,ist: Es sind insbesondere die süddeutschen Länder,die sich einer solchen Lösung aus finanziellenGründen bisher verweigert haben.

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

Weil das alles bekannt ist, halten wir es für ange-messen und richtig, ein funktionierendes System,nämlich das Maritime Sicherheitszentrum, zum jet-zigen Zeitpunkt so zu belassen, wie es ist.

Meine Damen und Herren, am Dienstagabend durf-te ich als Beobachterin an einer Terrorübung derBundespolizei, der Landespolizei und vieler ande-rer Behörden in Lübeck teilnehmen.

(Jörg Nobis [AfD]: Das war aber im Bahn-hof!)

- Im Hauptbahnhof. - Beeindruckenderweise habendort über 700 Teilnehmer aus den unterschiedlich-sten Bereichen gezeigt, wie man gut zusammenar-beitet. Solche Übungen, Herr Nobis, sind durchnichts zu ersetzen. Das gilt auch und insbesonderefür das Maritime Sicherheitszentrum mit all seinenKooperationspartnern. Das sind die Dinge des All-tagslebens, auf die man sich bei so einer Problem-bewältigung tatsächlich konzentrieren sollte.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund SSW)

Denn durch diese regelmäßigen Übungen ergebensich immer wieder neue Ansatzpunkte zu Verbesse-rungen im Zusammenspiel der Institutionen. Diedaraus entstehenden Sicherheitskonzepte müssen andie sich wandelnden Sicherheitslagen angepasstwerden. Ich und meine Fraktion sind uns sicher,dass das auch passiert.

Mit dem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW, denwir hier gestellt haben, stärken wir noch einmal die-sen Ansatz. Es ist ein Antrag, der sich an den Mög-lichkeiten des realen Lebens orientiert und keineLuftschlösser baut, wie Sie von der AfD das ma-chen.

2032 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Kathrin Wagner-Bockey)

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(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und Beifall Lars Harms [SSW])

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatder Abgeordnete Bernd Voß das Wort.

Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Die Forderungen nach einer einheit-lichen nationalen Küstenwache und das Ringen umein wirksames, zeitgemäßes Gefahrenabwehrkon-zept sind überhaupt nicht neu. Wir haben unter-schiedliche Bundes- und Landesbehörden, die mitspeziellen gesetzlichen Aufgaben und speziellenFahrzeugen ihre Aufgaben erledigen. Da mag esnaheliegend sein, durch eine Umorganisation undZusammenlegung anzustreben, technische Kapazi-täten - besonders Schiffe - einzusparen. Aber einereinfachen Zusammenlegung stehen aktuell nichtnur grundgesetzliche Hürden entgegen: Auch nor-malgesetzliche Hürden stehen zwischen der weitrei-chenden Befugnis des Zolls im Alltag auf der einenSeite und der der Fischereiaufsicht oder auch denbreiten Aufgaben der Landespolizei auf der anderenSeite.

In vergleichbaren Küstenregionen weltweit ist nir-gends - vom Tonnenleger über die Fischereiauf-sicht, den Zoll, bis hin zur Wasserschutzpolizei desLandes - alles in einer Führung und möglichst aufeinem Boot zusammengefasst. Da sollten auchnicht die schnittigen, kräftigen Boote der CoastGuards im Film als Beleg dafür dienen, wie es ir-gendwie zu gehen hat. Es kann auch nicht darumgehen, diese hohen und gerechtfertigten Hürden zuüberwinden und alle erst einmal unter einer Füh-rung zusammenzufassen.

Es ist aber Ziel dieses Koalitionsvertrages, die Si-cherheitsarchitektur an der Küste durch ein zeitge-mäßes Gefahrenabwehrkonzept weiterzuentwickelnund die verschiedenen maritimen Dienststellen mitihren unterschiedlichen Aufgaben, Herausforderun-gen und Kompetenzen zusammenzuführen. Dassteht in diesem Koalitionsvertrag, das stand auch invielen vorherigen Koalitionsverträgen und Partei-programmen.

Maritime Gefährdungs- und Schadenslagen sindhäufig sehr komplex. Ohne eine enge Vernetzungund Verzahnung zwischen den unterschiedlichenzuständigen Behörden des Bundes und der Länderkann es zu Sicherheitsrisiken kommen, die einschnelles, sicheres Handeln unterbinden. Das aber

ist bei Schiffshavarien einfach erforderlich; das ha-ben vorher die Kolleginnen und Kollegen bereitssehr deutlich gesagt.

Bei Schaffung und Aufbau des Havariekommandosund später des gemeinsamen Maritimen Lagezen-trums in Cuxhaven haben in den letzten 15 Jahrendes Aufbaus wichtige Optimierungen stattgefunden,was die Sicherheitsarchitektur anbelangt. Seit 2003besteht das Havariekommando, seit 2007 unter ei-nem Dach mit dem MSZ, und seit 2017 - das mögeman sich auch vor Augen halten - ist alles in einemRaum zusammengefasst.

Auf dem bisher Geschaffenen muss einfach aufge-baut werden. Das enge Netzwerk der Partner imMSZ muss sich weiter zu einer integrierten nationa-len Küstenwache entwickeln. Dabei soll auch eineweiter zu stärkende europäische Behörde wie dieEMSA, also die Europäische Agentur für die Si-cherheit des Seeverkehrs, noch stärker in die inte-grierte Zusammenarbeit der Küstenwachen einge-bunden werden.

Vom Verwaltungs- und Rechtsrahmen einer inte-grierten Küstenwache kommen wir schnell zu denFragen einer Anpassung des Grundgesetzes. Bei derengen integrierten Zusammenarbeit des Netzwerkesunserer Küstenwache müssen föderale Prinzipien,Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Datenschutz,besonders die parlamentarische Kontrolle und -noch wichtiger - die strikte Trennung von Polizeiund Militär in der Zuständigkeit und in der Führunggewahrt bleiben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zu-ruf: So ist das!)

Wir haben die Diskussion um die zu Recht hohenHürden im Grundgesetz. Daran dürfen und werdendie kontinuierlichen Verbesserungen der Sicher-heitsarchitektur für die Sicherheit an der Küste undauf dem Meer sowie die dafür erforderlichen Inves-titionen nicht scheitern. Dazu gehört auch eine zujeder Zeit klare Kompetenzzuteilung. Wenn ich dieUnterlagen lese, stelle ich fest, wir sind auf einemsehr guten Weg. Die Sache ist klar: Der AfD-An-trag ist abzulehnen, und dem Antrag aller anderenParteien hier im Parlament ist zuzustimmen. Das istauch ein starkes Signal dafür, wohin die Diskussionüber die Organisation einer nationalen Küstenwa-che gehen kann. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver-einzelt SPD und FDP)

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2033

(Kathrin Wagner-Bockey)

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Vizepräsident Rasmus Andresen:

Vielen Dank. - Das Wort hat für die FDP-Fraktionder Abgeordnete Jörg Hansen.

Jörg Hansen [FDP]:

Hohes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren!Die Bestrebungen für eine nationale Küstenwachegibt es seit vielen Jahren, und obwohl sich schonsehr viel getan hat, ist der ganz große Durchbruchleider noch nicht gelungen. Es macht daher Sinn,sich Gedanken über einen neuen Fahrplan zu ma-chen hin zu mehr maritimer Sicherheit, und zwarhin zu mehr standardisierter, vorbereiteter Sicher-heit.

Aber mit dem vorliegenden Antrag der AfD würdenwir den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Esreicht eben nicht aus, einen Satz aus dem Koaliti-onsvertrag herauszuschreiben und etwas aus einemPositionspapier mit Copy and Paste zu übernehmen.Man muss sich schon eigene Gedanken machen undIdeen entwickeln und schauen, wie wir das machenkönnen.

Was steckt also hinter dem Ansinnen einer nationa-len Küstenwache? Ich war Leiter einer Direktions-leitstelle der Polizei und habe erfahren, wie schwerder Prozess einer effektiven Kooperation mit unter-schiedlichen Behörden und Zuständigkeiten seinkann, denn Bestehendes verändert sich nun einmalschwer in Deutschland. Aber wenn, dann ist eshöchst sinnvoll und gut.

Beispiele für ein vernetztes Zusammenwirken vonunterschiedlichen Institutionen kennen wir etwa ausdem Katastrophenschutz, wo ein Bürgermeisteroder ein Landrat die Fäden in der Hand hält, oderwie bei dem jüngsten Beispiel der Flüchtlingsthe-matik im Jahr 2015, wo die Landespolizei die Maß-nahmen koordiniert hat. Gerade dies war ein Bei-spiel dafür, wo ein solches Modell sehr gut funktio-nieren kann. Entscheidender Unterschied: Dies warzeitlich begrenzt und hieß deswegen „besondereAufbauorganisation“.

In Fällen von maritimen Unglücksfällen ist diesebenfalls gegeben. Das bedeutet insgesamt: Füreinen bestimmten Anlass wurde zeitlich begrenzteine besondere Organisationsform gewählt. Einenationale Küstenwache hingegen ist viel weitrei-chender. Sie möchte diese besondere Organisati-onsform verstetigen und dauerhaft einrichten, unddazu müssen wir uns mindestens zwei Fragen stel-len:

Erstens. Bereits jetzt gibt es Kooperationen zwi-schen Bundespolizei und Zoll. Diese umfassennicht nur gemeinsame Streifenfahrten, sondernauch gemeinsame Qualifikationen in Neustadt. DieGedanken gehen davon aus, dass aber nicht nur dieBundesbehörden, sondern auch die Landesbehördenwie die Wasserschutzpolizei unter ein Dach gelegtwerden. Das wiederum ist sicherheitspolitisch undrechtlich schwierig und wird von heute auf morgennicht durchführbar sein.

Zweitens. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dieInteressenlagen der Behörden auf See sehr viel-schichtig sind. Allein auf Bundesseite sind mitBundespolizei, Fischereischutz, Zoll, Havariekom-mando und WSV viele Akteure vertreten. Hinzukommt die Zuständigkeit von fünf Küstenländerninnerhalb der Zwölfmeilenzone. Und: Die Bundes-polizei unterstützt im Rahmen von Frontex unteranderem Griechenland im Kampf gegen die Schleu-ser. Es sind also viele Faktoren, die unter einen Hutzu bringen sind. Das macht die Verhandlungen soschwierig, das haben wir in der Vergangenheit lei-der feststellen müssen. Ein Beispiel für dieseSchwierigkeiten ist das Zusammengehen der Was-serschutzpolizeien im Nordverbund. Hier knirschtes in den Verhandlungen, und man muss abwarten,wie es dort weitergeht.

Der Weg sollte daher sein, zunächst auf Bundessei-te die vertretenen Behörden bestmöglich zu inte-grieren. Das Ergebnis des Zusammengehens dernorddeutschen Wasserschutzpolizeidirektion solltealso zunächst abgewartet werden, um dann weitereSchritte folgen zu lassen. Parallel kümmern wir unsum die Rahmenbedingungen. Zu diesem Zeitpunktist es viel sinnvoller, bestehende KooperationenSchritt für Schritt aufwachsen zu lassen, wie bereitserwähnt. Ich halte sehr viel davon, unterschiedlicheBehörden, vor allem aber Mitarbeiterinnen undMitarbeiter zusammenwachsen zu lassen und nichtauf Schlag umzusetzen.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Zu den Rahmenbedingungen gehört auch die Ord-nung des Finanzrahmens und der Personalgewin-nung für eine neue Bundesbehörde. Hierzu gestat-ten Sie mir eine Anmerkung: Ich habe immer ge-sagt, dass uns die massiven Einsparungen bei derWasserschutzpolizeidirektion Schleswig-Holsteinirgendwann vor die Füße fallen werden.

(Beifall Claus Schaffer [AfD])

Das wollen wir in der Jamaika-Koalition ändern.Damit stärken wir auch eine Säule in dieser Kon-

2034 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

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zeption. Derzeit lassen wir die Kooperation um dieZusammenarbeit aufwachsen. Im Sinne einer ler-nenden Organisation sollten wir ihr dazu die not-wendige Zeit geben.

Ich bin dankbar, dass wir uns fraktionsübergreifendüber diesen Ansatz verständigen konnten. Das Zieleiner nationalen Küstenwache werden wir dabeinicht aus den Augen verlieren. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,vereinzelt CDU und SPD)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Für die Abgeordneten des SSW hat nun der Abge-ordnete Lars Harms das Wort.

Lars Harms [SSW]:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Schleswig-Holstein ist nicht nur das Landzwischen den Meeren, sondern auch das Land mitden vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten in Be-zug auf den Schutz auf See. Diese Herausforderunghaben wir nicht nur als Schleswig-Holsteiner zu tra-gen, sondern sie gilt für die gesamte Bundesrepu-blik, schließlich geht die Sicherheit auf See alleBürger etwas an. Das sollte uns allen eigentlichnicht erst seit der „Pallas“ bewusst sein. Auch dieunterschiedlichen Zuständigkeiten betreffen in die-ser Hinsicht alle Bürger und damit alle Bundeslän-der dieser Republik.

Die Anforderungen und Wünsche in diesem Be-reich sind bei Weitem nicht neu. Bereits zu Beginnder 50er-Jahre hat beispielsweise der DeutscheBundestag intensiv über Fragen einer nationalenKüstenwache zum Schutz der deutschen Küste be-raten. Von der AfD war damals mit Sicherheit nochnicht die Rede. Das ist kein Thema, das exklusivvon der AfD gekommen ist, sondern das ist einThema, dass wir seit 50 Jahren beraten und dabeileider nicht immer so weit kommen, wie wir gerngekommen wären.

Bei diesem Thema scheinen sich die Geister zuscheiden, nicht jedoch bei uns im Norden. Es istkein Geheimnis, dass sich der Schleswig-Holsteini-sche Landtag schon vor vielen Jahren an dieserStelle fraktionsübergreifend für eine Vereinheitli-chung eingesetzt hat, und auch Kommunen undfachkundige NGOs in unserem Land unterstützenseit Jahren eine solche Forderung.

Fakt ist: Bis heute gibt es keine solche einheitlichgeführte Küstenwache. Der Durchbruch zu einereinheitlichen nationalen Organisationsstruktur ist

hingegen insbesondere durch den Widerstand eini-ger Küstenländer, aber auch der süddeutschen Län-der, die Geldabflüsse fürchten, bis heute nicht ge-lungen. Die früheren Landesregierungen - egal wel-cher Couleur - sind in der Vergangenheit bei die-sem Thema nicht gerade auf offene Ohren gesto-ßen. Ganz im Gegenteil, Vorstöße auf entsprechen-den Innenministerkonferenzen fanden schlichtwegkeine Mehrheit.

Neben den unterschiedlichen politischen Wünschenin Bezug auf die Inhalte bestehen jedoch weitereHürden. Für die einen mögen sie technischer Natursein, für die anderen geht es aber auch hier ummehr als nur Formalitäten. Tatsächlich reden wir andieser Stelle von Verfassungsänderungen und/oderStaatsverträgen. In der Politik sind beides wahrlichdie dicksten Bretter weit und breit, die man zu boh-ren hat. Es ist einfach unheimlich schwierig, alleBundesländer, auch zum Beispiel Baden-Württem-berg und Bayern, unter einen Hut zu bekommen,wenn es um ein so exklusives Thema geht. Wir sindals SSW jedoch durchaus der Auffassung, dass eineVereinheitlichung der maritimen Sicherheit es wertist, diese dicken Bretter angehen zu wollen, und dastun wir seit Jahrzehnten. Aber hier sei auch gesagt,Sie ahnen es schon, es scheiden sich bisher auchhier wieder die Geister in den einzelnen Bundeslän-dern.

Nun kann man nicht behaupten, dass in diesem Zu-sammenhang parteipolitische Spielereien stattge-funden haben, dass also die Roten nicht wollen unddie Schwarzen doch oder umgekehrt. Vielmehr wares bei den Treffen der Innenminister und -senatorenimmer so, dass dort über die Jahrzehnte hinwegwirklich alle politischen Couleurs vertreten waren.Trotzdem haben wir als Schleswig-Holsteiner keineMehrheit finden können. Wir müssen also feststel-len, dass eine Deutsche Küstenwache parteiüber-greifend bundesweit derzeit einfach von anderennicht gewollt ist. Somit ist die Deutsche Küstenwa-che vorerst auf dem Grund des Meeres versunken,und auch die neue Bundesregierung erweckt nichtden Eindruck, als dass sie hieran etwas ändern wol-le.

Man muss dazu jedoch auch sagen, dass man indieser Hinsicht schon ein gutes Stück weitergekom-men ist, wie etwa in Cuxhaven. In der Hafenstadtan der Elbmündung haben der Bund und die fünfKüstenländer ein neues Behördenzentrum geschaf-fen, welches sich Maritimes Sicherheitszentrumnennt. Dies ist ein erster Schritt, und es besteht da-bei sogar viel mehr Potenzial für noch bessere Lö-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2035

(Jörg Hansen)

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sungen, aber die müssen Schritt für Schritt erarbei-tet werden.

Meine Damen und Herren, auch wenn dies bishernoch kein politischer Durchbruch ist, müssen wirdoch feststellen, dass es ohne den Einsatz derschleswig-holsteinischen Seite und der auch dortwechselnden Landesregierungen niemals zu einersolchen Einrichtung wie in Cuxhaven gekommenwäre. Es lohnt sich also, sich in kleinen Schrittenfür das Ziel einzusetzen. Bisher haben wir das alsLandtag genau wie alle Landesregierungen getanund waren recht erfolgreich. Deshalb bedarf esauch keiner weiteren Aufforderung durch die AfD.Wir kennen das Thema, und es gibt die entspre-chenden politischen Beschlüsse.

Die AfD fordert mit ihrem Antrag, radikal zu sa-gen, wir wollten jetzt eine Deutsche Küstenwache,wo wir doch die letzten 50 Jahre hieran gescheitertsind. Dagegen ist unser gemeinsamer Antrag reali-stisch und kann tatsächlich zu einer Verbesserungder Situation in der Gefahrenabwehr auf See beitra-gen. Das ist, so denke ich, der vernünftigere Weg.

(Beifall SSW, CDU, SPD und FDP)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Zu einem Dreiminutenkurzbeitrag hat sich nun derAbgeordnete Jörg Nobis aus der AfD-Fraktion ge-meldet.

Jörg Nobis [AfD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Ich stelle fest: Es fehlt der parlamenta-rische Wille, den vor Jahren begonnenen Prozessfortzusetzen und zu vollenden. Das ist schade. Aberich verstehe auch Ihren parlamentarischen Reflex,AfD-Anträge, die in der Sache sinnvoll sind, trotz-dem abzulehnen. Wir kennen das schon.

Allerdings möchte ich an den einstimmigen, von al-len auch hier vertretenen Fraktionen gestützten Be-schluss des Kreistags Nordfriesland erinnern. HerrHarms, wenn Sie sagen, die AfD wolle Luftschlös-ser bauen, dann sagen Sie das auch Ihren Kollegenin Nordfriesland. Dort haben alle zugestimmt. Auchder SSW hat zugestimmt.

Herr Hansen, Sie haben eben gesagt - ich darf Sie jazitieren -: Das Ziel einer nationalen Küstenwachewerden wir nicht aus den Augen verlieren. Das istdoch genau der Punkt. Das heißt, der Ansatz einereinheitlichen Führungsstruktur für die Küstenwacheist richtig. Nur muss der Prozess jetzt weitergegan-gen werden. Dazu dient unser Antrag. Deshalb bitte

ich noch einmal um Überweisung, damit wir dasThema sachorientiert im Ausschuss beraten kön-nen. - Vielen Dank.

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Herr Nobis, gestatten Sie eine Zwischenfrage bezie-hungsweise Abschlussfrage des Herrn KollegenHarms?

Jörg Nobis [AfD]:

Selbstverständlich. - Gerne, Herr Harms.

Lars Harms [SSW]: Es ist keine Frage, son-dern ein Hinweis. In Nordfriesland hat manüber einzelne Wahlperioden hinweg wechsel-weise immer pro Deutsche Küstenwache ge-stimmt. Das hat der Schleswig-HolsteinischeLandtag allerdings auch getan. Ich bin jetzt18 Jahre hier. Ich glaube, ich habe inzwi-schen vier- oder fünfmal „resolutioniert“,dass wir die Deutsche Küstenwache habenwollen. Das ist Common Sense in diesemHohen Hause. Aber wir wollen auch einmalaufhören zu „resolutionieren“ und in konkre-ten Schritten weiterkommen. Dafür ist unserAntrag besser. - Das ist der tiefere Sinn.

- Habe ich noch ein bisschen Zeit? Die Uhr ist aufnull. - Ich habe noch Zeit.

Auch wir wollen weiterkommen. Es kann nichtsein, dass wir in zehn Jahren immer noch diskutie-ren. Das muss doch langsam einmal zu einem Endegebracht werden. Es ist ja alles ganz schön, aber derdeutsche Weg ist wieder langsam. Ich habe vonKompetenzgerangel und Schwierigkeiten gespro-chen. Jedes Schiff untersteht einem anderen Minis-terium. Das muss doch einmal zusammengeführtwerden. Das muss doch in Deutschland möglichsein. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Aus dem Parlament liegen keine weiteren Wortmel-dungen vor. Ich erteile nun dem Minister für Inne-res, ländliche Räume und Integration, Hans-Joa-chim Grote, das Wort.

Hans-Joachim Grote, Minister für Inneres, ländli-che Räume und Integration:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren!

(Unruhe)

2036 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Lars Harms)

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Vizepräsident Rasmus Andresen:

Herr Minister, warten Sie bitte kurz. - Sehr geehrteKolleginnen und Kollegen, ich habe dem Innen-minister des Landes Schleswig-Holstein das Worterteilt und würde mich sehr freuen, wenn man ihmjetzt die Möglichkeit geben könnte, seinen Wortbei-trag ohne Geräuschpegel vorzutragen.

Hans-Joachim Grote, Minister für Inneres, ländli-che Räume und Integration:

Vielen Dank, Herr Präsident. - Die größtmöglicheSicherheit auf Nord- und Ostsee sowohl im Küsten-meer als auch in der Ausschließlichen Wirtschafts-zone und auf hoher See erfordert ein schnelles undvor allen Dingen ein wirksames Management füralle maritimen Gefahrenlagen. Ein Baustein dazuist die maritime Sicherheit insgesamt.

Mit dem Maritimen Sicherheitszentrum in Cuxha-ven besteht seit 2007 eben dieser gemeinsame Ver-bund aller maritimen Sicherheitsbehörden unter ei-nem Dach, übrigens seit 2017 sogar in einemRaum. Ich will nicht alle Einrichtungen aufzählen.Wir haben sie vorhin wiederholt genannt bekom-men.

Für die sicherheitspolitischen Herausforderungenauf See bis hin zu möglichen Bedrohungslagendurch den internationalen Terrorismus sind wir aufnationaler Ebene mit einem optimierten Behörden-netzwerk sehr gut gewappnet.

(Beifall CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Meine Damen und Herren, diese Organisation un-terliegt inzwischen einem kontinuierlichen standar-disierten Optimierungsprozess. Jeder Einsatz wirdnachbereitet, Übungen werden abgehalten und Ab-laufprozesse werden kritisch hinterfragt. Eine aktu-elle Evaluierung der Bundespartner im MaritimenSicherheitszentrum hat jüngst ausgeführt - Sie ge-statten mir folgendes Zitat -:

„Die Organisation der Küstenwache inDeutschland als Netzwerk wird auch europa-weit mit hohem Interesse wahrgenommen.

Die EU-Kommission sieht darin ein gelunge-nes Beispiel integrativer Meerespolitik undverwirklichter Subsidiarität und hebt das Ma-ritime Sicherheitszentrum als Vorbild für dieKoordinierung verschiedenster Küstenwach-aktivitäten hervor.“

(Beifall CDU)

Bereits jetzt werden Instrumente entwickelt und er-probt, um europaweite Überwachung der Schiff-fahrt und des Meeresgebietes und einen intensiver-en Datenaustausch zusammenzubringen. Auch daswird in den folgenden Jahren zur Fortentwicklungder maritimen Sicherheitsarchitektur an unserer Kü-ste beitragen.

Meine Damen und Herren, die Kompetenzvertei-lung im maritimen Bereich unterscheidet sich nichtgrundsätzlich von der Aufgabenwahrnehmung anLand. Die Erhaltung und Sicherheit der Fahrwasserebenso wie die Betriebssicherheit von Schiffen, dieFischereiaufsicht, Zoll, Aufgaben der Grenz- undder allgemeinen Polizei bis hin zu einer verantwort-lichen polizeilichen Bewältigung einer Schiffskape-rung und Geiselnahme mit terroristischem Hinter-grund kann heute keine Organisation mehr alleinebewältigen. Wir sind in ein europäisches Netzwerkeingebunden und sollten diesen Weg konsequentfortsetzen.

Natürlich ist es die Aufgabe der Landesregierung,weiter nach Optimierungsbeiträgen zu schauen. ImRahmen der Nord-Innenministerkonferenz stimmenderzeit die Wasserschutzpolizeien der Küstenländerihre Kooperationsmöglichkeiten weiter ab.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versi-chern: Die Landesregierung sorgt weiterhin für diemaritime Sicherheit aller Bewohnerinnen und Be-wohner an der schleswig-holsteinischen Küste.Auch ohne zukünftige Gefahren zu kennen, kannich Ihnen versichern: Wir arbeiten konsequent dar-an, unsere Zusammenarbeit angemessen und gutweiterzuentwickeln. Dabei haben wir auch dieKompetenzverteilung im Blick. Die bestehendeAufgabe kann nicht nur von einer Behörde, sondernnur von den verschiedensten Organisationen ge-meinsam gelöst werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, SSW und Dr. Kai Dolgner[SPD])

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmel-dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache19/689 sowie den Alternativantrag Drucksache19/712 dem Innen- und Rechtsausschuss zu über-weisen. Wer so beschließen will, den bitte ich umdas Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Dies ist ge-gen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stim-men aller anderen Abgeordneten abgelehnt.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2037

Page 42: Plenarprotokoll - landtag.ltsh.de · Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 19/29 19. Wahlperiode Plenarprotokoll 29. Sitzung Donnerstag, 26. April 2018 Gemeinsame Beratung

Wir kommen nun zur Abstimmung in der Sache.Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktion derAfD, Drucksache 19/689, abstimmen. Wer diesemAntrag zustimmen will, den bitte ich um das Hand-zeichen. - Die Gegenprobe! - Dieser Antrag ist ge-gen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stim-men aller anderen Abgeordneten abgelehnt.

Ich lasse jetzt über den Alternativantrag der Frak-tionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, Druck-sache 19/712, abstimmen. Wer diesem Antrag zu-stimmen will, den bitte ich jetzt um das Handzei-chen. - Dieser Antrag ist einstimmig beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Insekten schützen, Neonicotinoide verbieten!

Antrag der Fraktion der SPDDrucksache 19/674

Schutz von Bienen und Wildbienen verbessern -Keine Anwendung bienengefährlicher Neonicoti-noide mehr im Freiland

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN und FDPDrucksache 19/705

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dasist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Fürdie SPD-Fraktion hat die Abgeordnete KirstenEickhoff-Weber das Wort.

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]:

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen, sehr geehrteHerren! Schon seit Jahren warnen Imker, Umwelt-schützer und Wissenschaftler eindringlich vor denfür Insekten hochgiftigen Neonicotinoiden. Bereits2013 und 2015 haben wir hier im Landtag über die-se Wirkstoffe in Insektiziden beraten. Sie sind be-reits in winzigen Dosen für Bienen und andere In-sekten hochgiftig; sie werden vom Wind, Pollen,Staub, Bodenpartikeln und Wassertropfen verteilt.Die Folgen sind katastrophal.

Die Bienen werden in ihrem Orientierungs-, Kom-munikations- und Lernvermögen erheblich geschä-digt. Negative Auswirkungen für Bruterfolg undSammelleistung und die Schwächung des Immun-systems mit nachfolgenden Krankheiten und Parasi-tenbefall sind die Folge. Wir alle lesen es immerwieder in den Zeitungen. Die Insekten fallen alsonicht alle sofort tot um; der größte Teil geht wahr-

scheinlich jämmerlich ein, ohne dass der Einflussder Neonicotinoide direkt sichtbar wird. Seit demverheerenden Bienensterben 2008 wird über dieseStoffgruppe diskutiert.

Die EU-Risikobewertungsbehörde EFSA hat seit2013 in mehreren Stellungnahmen festgestellt, dassdie Risikobewertung für diese Wirkstoffe offen-sichtlich nicht umfassend, nicht ausreichend war.Insbesondere die Gefährdung von Honig- undWildbienen, auch anderer Insekten und die Auswir-kungen auf die Vogelwelt wurden lange unter-schätzt.

Auf EU-Ebene wurde daher im Dezember 2013 dieBeschränkung für die drei infrage stehenden Wirk-stoffe beschlossen. Eine Überarbeitung der Emp-fehlung erfolgte 2016 und führte 2017 zu dem Vor-schlag der EU-Kommission, ein komplettes Frei-landverbot auszusprechen. Denn obwohl es bereitsTeilverbote für diese Mittel gibt, sinkt die Mengeder ausgebrachten Neonicotinoide in Europa nicht.

Vor dem Hintergrund der alarmierenden Berichteüber das große Insektensterben ist das mehr als be-sorgniserregend. Überall hören wir Forderungennach Strategie, nach Planung, nach Forschung; dasist alles richtig. Aber gegen das große Sterben beiden Kleinen müssen wir jetzt handeln.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering[SSW])

Ein Rückgang von 75 % an Biomasse bei Flugin-sekten in den letzten 20 Jahren, wie die Daten-sammlung des Entomologischen Vereins Krefeldergab, muss zu Konsequenzen führen. Der Umwelt-ausschuss des EU-Parlaments hat deutlich gemacht,dass die Einschätzung der EFSA geteilt wird, undhat ein Verbot der kritischen Neonicotinoide imFreiland ausgesprochen. Die Generaldirektion hatfür morgen die Abstimmung über das Verbot vonNeonicotinoiden bekanntgegeben.

Daher begrüßen wir die Ankündigung der Bundes-ministerin für Landwirtschaft und Ernährung vom20. April 2018 im Deutschen Bundestag. Sie hat er-klärt, dass sie in Abstimmung mit der Bundesum-weltministerin gegen diese weitere Nutzung stim-men wird, also für ein Verbot in der Freilandhal-tung. Das ist das Zeichen aus Deutschland.

Das ist alles gut, kann aber nur ein erster Schrittsein. Wir fordern aufgrund der neuen Erkenntnisseeine Ausdehnung des Verbots auf weitere Anwen-dungsbereiche bis hin auf die gesamte Stoffklasseder Neonicotinoide. Denn es gibt Neonicotinoide,die weiterhin erlaubt sein werden, die aber nicht

2038 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Vizepräsident Rasmus Andresen)

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weniger gefährlich sind. Wir müssen uns entschie-den für eine deutliche Minimierung des Pestizidein-satzes in der Landwirtschaft einsetzen. Wir brau-chen Forschung und Innovation, wir brauchen neueWege im Pflanzenschutz, Innovation und Verant-wortung für die Neuausrichtung hin zu einer nach-haltigen Landwirtschaft, die ökologisch verträglich,sozial gerecht und ökonomisch rentabel ist.

(Beifall SPD)

Wir reden schon viel zu lange, wir müssen jetzthandeln. Wenn es zehn Jahre dauert, bis drei Wirk-stoffe verboten werden, dann wird mir angesichtsdes dramatischen Insektensterbens angst und bange.

Wir fordern die Landesregierung auf, im Land aktivzu werden und sich im Bund und auf EU-Ebene da-für einzusetzen.

Hier möchte ich ein Plakat aus dem laufendenKommunalwahlkampf zitieren: ,,Summ Summ stattBlaBla“.

(Beifall SPD)

Mit dieser Idee sollten wir auch den Alternativan-trag im Ausschuss weiter behandeln. Der Appell anden Bund hat sich ein Stück weit überlebt, weil sichder Bund fünf Tage vor Ihrer Antragstellung bereitsentschieden hat. Die Reform der Zulassungsverfah-ren auf EU-Ebene läuft. Damit ist der von Ihnen inIhrem Aspekt genannte Antrag bereits in Arbeit.Das Thema Forschung ist sicherlich eine großeHerausforderung, gerade mit Blick auf die CAU.

Also, meine Damen und Herren Kollegen, ich freuemich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. -Danke.

(Beifall SPD, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN] und Eka von Kalben[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeord-neter Heiner Rickers.

Heiner Rickers [CDU]:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrte Kollegin Eickhoff-Weber! Schön, dass Sie an-erkannt haben, dass unsere neue Landwirtschafts-ministerin, Frau Klöckner, auf EU-Ebene ebenfallsnicht für eine weitere Zulassung der genanntenNeonicotinoide im Freilandanbau stimmen wird.Da sie dies tut, sind wir natürlich nicht nur ihrerMeinung, sondern auch überzeugt von diesem Han-

deln, weil es neue wissenschaftliche Erkenntnissegibt, durch die tatsächlich nachgewiesen wird, dassdiese von Ihnen genannten Neonicotinoide auch alsbienengefährlich einzustufen sind. Oberste Maximeist und war und wird für die CDU auch bleiben, derWissenschaft nicht nur Gehör zu schenken, sondernam Ende wissenschaftliche Ergebnisse anzuerken-nen und politisch umzusetzen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDP)

Ich will einleitend für alle daran erinnern, dass essich bei diesen Neonicotinoiden in der Anwendung,die hier gemeint ist, darum handelt, dass sie als Bei-ze, also als Inkrustierung eines Saatkorns unter dieErde gelegt wird und nicht, wie Sie fälschlicherwei-se beschrieben haben, auch durch Verwehungen zueinem direkten Kontakt mit Insekten oder insbeson-dere Bienen führen können. Denn die von Ihnen ge-nannten Neonicotinoide werden heute nur noch zurAussaat von Zuckerrüben und Kartoffeln zugelas-sen.

Insbesondere Imidacloprid wurde in den 90er-Jah-ren - auch das ist ein Neonicotinoid - als der Fort-schritt im Pflanzenbau schlechthin gefeiert, was denAnbau von Zuckerrüben angeht, weil genau die Be-handlung des Saatkornes und nicht der Pflanze un-ter der Erde dazu geführt hat, dass die Belastungdieses Insektizids für die dann betroffenen Bienenmöglichst gering zu halten war.

Das heißt in der praktischen Konsequenz: Könntenwir morgen diese Neonicotinoide nicht mit einerAlternative versehen, müsste der Landwirt zurPflanzenschutzgiftspritze greifen und die Pflanzenbei Bedarf vielleicht auch mit Insektiziden oberhalbder Erde so behandeln, dass die Schädlinge, diedann bekämpft werden sollen, tatsächlich einge-dämmt werden. Das kann es nicht sein. Deswegenmüssen wir daran arbeiten, dass wir Alternativenfür die Landwirtschaft gemeinsam mit den Betrof-fenen nicht nur erarbeiten, sondern auch zur Verfü-gung stellen.

(Beifall Oliver Kumbartzky [FDP])

- Danke. - Wir müssen darauf hinauskommen, dasswir diese ganze Sache am Ende wirklich mit Au-genmaß wissenschaftlich behandeln.

Nach wie vor ist natürlich auch immer das Prinzipder Nachhaltigkeit Bestandteil christlich-demokrati-scher Politik gewesen. Insoweit will ich Ihnen garnicht widersprechen. Zu dieser Nachhaltigkeit ge-hört natürlich insbesondere auch der Schutz der In-sekten.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2039

(Kirsten Eickhoff-Weber)

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Einer der vielen Gründe, die wir hier mehrfach dis-kutiert haben, kann natürlich sein, dass die jetztnoch zugelassenen Insektizide, die Neonicotinoide,die das Saatgut unter der Erde schützen sollen, zueinem Insektenrückgang geführt haben. Das ist un-bestritten. Genau aus diesem Grunde sollten wirauch auf das Urteil der EFSA hören.

Jetzt wiederhole ich mich: Wir haben es in den letz-ten Jahren und glücklicherweise auch bei Glyphosatso gehalten: Wenn die Wissenschaft und die dafürzuständigen Behörden, nämlich die EFSA und dasBundesinstitut für Risikobewertung, sagen, dass seibienengefährlich, dann stufen wir es politisch auchals bienengefährlich ein und meinen, das gehörtvom Markt genommen. Sollte es eben nicht bienen-gefährlich sein oder sollte es wie Glyphosat vondiesen Behörde als nicht krebserregend eingestuftwerden, also auch nicht bienengefährlich sein, dannsollte es auch in Zukunft noch Anwendung in derLandwirtschaft finden.

Wir sind uns inhaltlich also ziemlich einig und bit-ten darum, unseren Alternativantrag im Ausschusszu beraten. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN hat der Abgeordnete Bernd Voß.

Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Am Freitag dieser Woche findet inBrüssel im ständigen Ausschuss für Pflanze, Tier,Lebensmittel und Futtermittel die bereits einmalvertagte Abstimmung über die drei besonders um-strittenen Insektengifte aus der Gruppe der Neonicsstatt. Wie zu hören ist, hat sich die Bundesregie-rung in dieser Frage endlich zu einer klaren Hal-tung durchringen können und wird dem Verbot derFreilandanwendung zustimmen. Einerseits bin ichfroh darüber, andererseits muss ich sagen: Es wirdauch langsam Zeit. - Der Hinweis auf die Schäd-lichkeit dieser drei Gifte - ich will sie gar nicht aus-sprechen - -

(Heiterkeit und Beifall)

Diese drei Wirkstoffe sind schädlich für Honigbie-nen, Wildbienen und andere Insekten, und es gibtdiese Kritik bereits seit über zehn Jahren. Statt denHinweisen konsequent nachzugehen, wurde langeZeit verharmlost. Dann wurde schließlich im De-zember 2013 auf Basis einer Studie die Gefährlich-

keit dieser Stoffe aufgezeigt und EU-weite Anwen-dungsbeschränkungen erlassen. Dann wurde ge-prüft und nochmals geprüft. Es gab viele, die eseinfach nicht wahrhaben wollten. Die Abhängigkeitvon diesen Wirkstoffen - Heiner Rickers hat das be-reits gesagt - war bei verschiedenen Anbauverfah-ren einfach sehr groß. Als die EFSA, die Europäi-sche Behörde für Lebensmittelsicherheit, die für dieRisikobewertung von Pflanzenschutzmitteln zustän-dig ist, Ende Februar mit einer Meta-Studie die frü-heren Befunde bestätigte, dämmerte es vielen: DerKopf muss aus dem Sand heraus.

Das Verbot, wenn es denn kommt, wovon ich ziem-lich überzeugt bin, ist ein wichtiger Schritt auf demWeg zu einer bienen- und insektenfreundlicherenLandwirtschaft. Ich will gar nicht allein den volks-wirtschaftlichen Wert von einigen 100 Milliarden €Bestäubungsleistungen weltweit anführen. Ich willgar nicht - das ist bereits mehrfach gesagt wordenund unstrittig - die massive Abnahme von Insektenund die ganzen Nährstoffkreisläufe anführen, diedaran hängen.

Aber zurück zum vorliegenden SPD-Antrag: Wirbegrüßen den Vorstoß der SPD und hätten auch denSPD-Antrag unterstützen können, obwohl es auchim Bundestag so ist, dass die Regierungskoalitionden Antrag der Grünen zu diesem Thema letzteWoche abgelehnt hat. Nicht, dass wir uns so verhal-ten würden, um Gottes Willen, aber unser Antragist weitergehend. Der Grund ist, dass die langjähri-gen Vorgänge um diese drei Stoffe nur die Spitzedes Eisbergs sind. Es gibt weitere Stoffe aus derGruppe der Neonics, die dringend stärker in denBlick genommen werden müssten. In den letztenJahren hat es bereits infolge der oben erwähntenAnwendungsbeschränkungen eine Umstellung aufdiese Schadstoffe gegeben.

Meine Sorge ist, dass sich in einigen Monaten oderJahren belegen lässt, dass diese ebenso schädlichsind, und wir wieder vor einem Verbot stehen. Daseine ist die Umweltbelastung, die bleibt, und eswird versäumt - ich glaube, das ist das viel größereProblem -, zügig Alternativen in Sorte, Fruchtfolgeund Anbauverfahren zu entwickeln.

Fortschritt sieht anders aus. Das zeigt auch Frank-reich. Frankreich hat bereits den Ausstieg aus allenNeonics für 2020 beschlossen. Das liegt nicht alleinan Macron, dem das geschuldet wäre.

Es muss sich auch etwas bei den Zulassungsverfah-ren tun. Das ist der zweite Teil unseres Antrags.Bisher erfolgte die Bewertung meist anhand vonStudien, die die Antragsteller, also die Hersteller

2040 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Heiner Rickers)

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der Mittel, für die Zulassung vorlegten. Sie sind dieAuftraggeber der Forschungsaufträge. Durch dieseAbhängigkeit vom Auftraggeber ist die Existenzvon unabhängiger Sicherheits- und Risikoforschungim Bereich Pflanzenschutz und Toxikologie gefähr-det. Das wissen wir auch aus Kiel, wenn Institutefür Toxikologie - bundesweit einmalig - verschwin-den.

Die EU hat bereits in der Pflanzenschutzrichtlinieaus dem Jahr 2009 die Möglichkeit eröffnet - es istnur eine Richtlinie -, dass die nationalen Genehmi-gungsbehörden, also auch die deutschen, selbstnicht nur anhand der Gutachten bewerten, die ihnenvorgelegt werden, sondern auch Gutachten in Auf-trag geben, die dann von den Herstellern bezahltwerden. Aber Auftraggeber ist die Behörde. Jetztendlich hat die EU in einer Verordnung - das istnoch nicht durch - auf den Weg gebracht, dass eige-ne Gutachten durch die nationalen Zulassungsbe-hörden eingefordert werden. Was lehrt uns das? -Gut, dass wir eine starke EU haben, die manchmalgegen alle Widerstände europaweit und weltweit ei-ne sinnvolle, wirksame Umweltpolitik durchsetzt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undOle-Christopher Plambeck [CDU])

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordne-te Dennys Bornhöft.

Dennys Bornhöft [FDP]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ein Bienenvolk ist ein faszinieren-des Meisterwerk an Organisations- und Pro-zessstrukturen. Damit dieses System funktioniert,muss sich jede einzelne Arbeiterbiene auf ihrenOrientierungssinn verlassen können. Dieser ist je-doch sehr empfindlich und wird gerade von ausge-brachten Insektiziden wie den Neonicotinoiden -ein Begriff, durch den man bei jedem Scrabble undjedem Galgenraten auf jeden Fall der Held ist - er-heblich gestört. Dies bedeutet nicht nur für die Bie-ne selbst und ihr Volk einen potenziell erheblichenSchaden, sondern kann auch Auswirkungen auf diegesamte Umwelt und natürlich auch auf die Ernäh-rung haben. Ohne Bienen und andere Bestäuberhätten wir weltweit enorme Einbußen bei Getreide,Obst, Gemüse und folgerichtig Auswirkungen aufdie gesamte Nahrungskette.

Die Wirkstoffe der Neonics führen bei Insekten zuKrämpfen und zum Tod. Die Biene, die diese auf-genommen hat, wird in ihrem Orientierungssinn ge-

stört. Das wirkt sich dann nicht nur auf das Indivi-duum, sondern auf den gesamten Bienenstock aus -bis hin zu möglichem Absterben des gesamten Bie-nenvolkes. Darunter leidet dann auch die Artenviel-falt. Der vielfältige Einsatz ist für diese Bienen fa-tal. Wir haben gerade festgestellt, dass sie haupt-sächlich noch in der Beize eingesetzt werden. Esgab aber auch die Anwendung als Granulat oderauch für die Behandlung von Blättern, sodass sichdas dann breiter in der Pflanze verteilt hat und sichim Endeffekt dann auch in den Blüten und im Nek-tar wiedergefunden hat.

Die Anzahl der Bienenvölker, sowohl der domesti-zierten Honigbiene als auch der mehreren hundertWildbienenarten, geht seit Jahren zurück. DieseEntwicklung ist bedrohlich, auch im Hinblick aufdie Landwirtschaft. Eine Untersuchung der Bestäu-bungsleistung von Bienen im volkswirtschaftlichenSinne ergibt - das kann man tatsächlich berechnen,was die da für uns alle leisten -: Allein in Deutsch-land sind das fast 2 Milliarden €. Auch wenn bisherletztinstanzlich noch kein finaler kausaler Zusam-menhang zwischen Einsatz von Neonics und demBienensterben festgestellt wurde, werden diese zu-mindest als stark beeinträchtigender Faktor be-nannt. Da Bienen in unserer Umwelt ein so wesent-licher Faktor und ein so wesentliches Element sind,ist der Einsatz von Insektiziden, die ihnen nach-weislich schaden, streng zu regulieren beziehungs-weise in dem Fall auch zu verbieten.

(Beifall FDP und Eka von Kalben [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies ist gerade bei der Verwendung der von derEFSA untersuchten Neonics der Fall, weshalb wirdas Ansinnen des Freilandverbots hier unterstützen.Ebenfalls unterstützen wir, dass sich sowohl dieneue Bundesumweltministerin als auch die Bundes-landwirtschaftsministerin auf EU-Ebene für dasNichteinsetzen und das Freilandverbot einsetzen.Es gibt morgen dazu eine Abstimmung. Deshalbempfehle ich, heute darüber zu befinden, denn ichglaube, das jetzt in den Ausschuss zu überweisen,würde dazu führen, dass wir feststellen, dass es sichaufgrund realpolitischer Entwicklungen und derRealität überholt hat. Deshalb bitte ich darum, dasswir heute darüber befinden. Die Anträge sind nichtmegaweit voneinander entfernt. Insofern hoffe ichauf eine breite Zustimmung im Hohen Haus.

Was machen wir dann aber stattdessen? Es gibt jaeinen Grund, aus dem es bisher eingesetzt wird.Wenn wir den Landwirten etwas nehmen, muss esprinzipiell Alternativen geben. Es wird Sache derAgrarforschung sein, alternative Lösungen voran-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2041

(Bernd Voß)

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zubringen, um die Pflanzen vor den eigentlichenParasiten zu schützen. Es muss mehr darauf geach-tet werden, dass, wenn man Schädlinge tötet, diesselektiver geschieht, und somit Nutztiere, zu denenBienen definitiv gehören, davon nicht beeinträch-tigt werden.

Da bietet auch die Gentechnik Möglichkeiten, mitder Nutzpflanzen von vornherein so ausgestattetwerden können

(Zuruf: Oha!)

- ja, oha! -, dass sie schädlingsresistenter sind undwir somit im Nachgang gar keine Insektizide mehrausbringen müssen.

Auch der Problematik, dass Schädlinge hier und dagegen Insektizide resistent werden, kann so begeg-net werden. Die Chancen sollten wir zumindest er-forschen und prüfen und als Politik nicht per se vonvornherein verteufeln. Ich denke, das wäre derfalsche Weg.

(Beifall Oliver Kumbartzky [FDP] und Anet-te Röttger [CDU] - Zuruf)

- Genau. - Deswegen muss der Schritt in der For-schung sein, auf der einen Seite unsere Landwirtevor Ernteausfällen zu schützen und auf der anderenSeite Honig- und Wildbienen und andere Bestäubernicht zu bedrohen.

Wenn diesem Verbot zugestimmt wird, wird abernicht allein das schon dafür sorgen, dass das Insek-tensterben, das hier schon adressiert wurde, auto-matisch sofort beendet wird. Es gibt andere Rah-menbedingungen, die den Bienen ebenfalls scha-den. Das ist zum Beispiel der Wegfall von Grünflä-chen, das sind Monokulturen, und das sind leiderauch zu reinliche Gärten und Landschaften.

Totholz, Unkraut und Wildwuchs kann man gerneauf seinem Grundstück belassen. Das spart Garten-arbeit. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bekomme im-mer ein bisschen Ärger von meinen Nachbarn, weiles bei uns hier und da etwas wild aussieht. Aber mitFaulsein kann man hier und da auch ganz praktischetwas für die Umwelt tun. Für heute plädiere ichdafür: Lasst uns darüber befinden: Nichts wie wegmit Neonics. - Vielen Dank für die Aufmerksam-keit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsident Rasmus Andresen:

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Herr Abge-ordnete Volker Schnurrbusch.

Volker Schnurrbusch [AfD]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Gäste! Der Verbotsantrag fürGlyphosat ist im Umweltausschuss noch nicht zuEnde diskutiert, da legt die SPD schon den nächstenVerbotsantrag vor. Diesmal soll es um Neonicoti-noide gehen, die die SPD vom Acker holen will -und zwar komplett. Ich verwende in der Folge derEinfachheit halber den Begriff Neonics. Dieser Be-griff ist, wie ich mir habe sagen lassen, auch in derFachwelt gängig.

Wer alles verbieten will, so scheint es, der hat gera-de einmal den Oberbegriff beziehungsweise dieStoffgruppenbezeichnung verstanden. Entscheidendist jedoch, zwischen nützlich und schädlich zu un-terscheiden. Das gilt insbesondere für die Chemie,und ich habe das schon als junger Werkstudent ge-lernt. Bei dem Herbizid Glyphosat konnte mannoch nachvollziehen, dass die SPD das Pestizid to-tal verbieten will, weil es als Totalherbizid sämtli-ches Unkraut tötet. Neonics sind aber keine Breit-band-Totalpestizide, sondern vor allem für gewisseSchädlingsarten tödlich.

Es ist also in einer solchen Diskussion wichtig, zudifferenzieren. Neonics enthalten eine dem Nikotinähnliche Molekülstruktur. Das bedeutet aber nicht,dass sie auch dieselben Eigenschaften haben. Er-setzt man in einem solchen Molekül nur ein einzi-ges Wasserstoffatom, kommt am Ende ein Stoff mitgänzlich anderen Eigenschaften heraus. Ich finde eswirklich schade, dass wir hier in diesem HohenHaus keine Schautafeln verwenden dürfen, dannwürde es anschaulicher werden.

In der Chemie gilt es zu differenzieren. Was Che-mielaboranten ab der ersten Stunde lernen, solltenwir Politiker tunlichst beachten. Ein Absolutverbotvon Neonics wäre rein politisch begründet. Sach-lich-fachlich hieße es jedoch, das Kind mit dem Ba-de auszuschütten. Wer alle Neonics über einenKamm schert, wird auch behaupten, dass Nikotinund Crystal Meth chemisch verwandt sind. Ist diechemische Summenformel der beiden Stoffe fastidentisch, sind es ihre Eigenschaften durchausnicht, wie man sich vorstellen kann.

Wenn wir heute von Neonics sprechen, gehört es zueiner sauberen Differenzierung, die Guten und dieSchlechten zu unterscheiden. Laut der Europäi-schen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA -sie wurde hier gerade schon erwähnt - sind vor al-lem drei Neonics ein Risiko für Bienen - nur drei:nämlich Clothianidin, Thiamethoxam und Imi-dacloprid. So sind sie auch im Alternativantrag von

2042 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Dennys Bornhöft)

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Jamaika genannt worden. Aufgrund ihres Gefahren-potentials unterliegen sie bereits EU-weiten Be-schränkungen. Auch in den USA wurden mit dem„Saving America‘s Pollinators Act“ vor fünf Jahrenvier Neonics verboten - wohlgemerkt nur vier.

Auch in den Mitgliedstaaten der Europäischen Uni-on besteht durchaus je nach Land und Pflanzenarteine differenzierte Verbotssituation. Zum Beispielbeschloss das französische Parlament vor rund zweiJahren ein Verbot von Neonics - aber wieder mitder Möglichkeit bestimmter Ausnahmeregelungen.Ausnahmen ergeben immer dann Sinn, wenn dasRisiko verkraftbar und der Nutzen hoch ist.

Der vorliegende Antrag der SPD ist aus unsererSicht ein Showantrag aufgrund der bevorstehendenEntscheidung auf EU-Ebene. Der Jamaika-Antragnimmt hingegen die notwendige Differenzierungvor und fordert ein Freilandverbot für bienenge-fährliche Neonics. Welche das sind, habe ich ge-nannt.

Außerdem wird im Alternativantrag die Landesre-gierung gebeten, sich für die Forschung nach alter-nativen Pflanzenschutzmitteln und -methoden ein-zusetzen. Auch das können wir nur unterstützen,möchten aber auch darauf hinweisen, dass sich In-dustrie und forschende Wissenschaft schon seit Jah-ren genau darum bemühen.

Ein Beispiel ist Acetamiprid - um einmal etwasNeues zu nennen. Auch dabei handelt es sich näm-lich um ein Neonicotinoid, aber eben nicht um einBöses. Es erhielt seine EU-Zulassung bis zum28. Februar 2033 und soll für Bienen unbedenklichsein - auch so etwas existiert also.

Unter Berücksichtigung einer ausgewogenen Risi-ko-Nutzen-Betrachtung kann die AfD die Aufrecht-erhaltung eines gut finanzierten Forschungsumfel-des in diesem Bereich nur unterstützen. Lassen Sieuns nicht nur unseren Landwirten vertrauen, son-dern zur Abwechslung auch einmal unserer Indus-trie, die auch im eigenen Interesse immer auf derSuche nach neuen Wegen im Pflanzenschutz ist.Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss undunterstützen die Überweisung des Alternativantra-ges.

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat derHerr Abgeordnete Flemming Meyer.

Flemming Meyer [SSW]:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! 585 Arten Wildbienen gibt es nochin Deutschland. Die Bestände sind in den letztenJahren stark zurückgegangen und sind, wie wir wis-sen, durch menschliches Einwirken weiter bedroht.Die Hälfte der Arten steht mittlerweile auf der Ro-ten Liste der gefährdeten Tierarten Deutschlands.Über die vielen Jahre, in denen wir uns hier imLandtag über das Insektensterben unterhalten ha-ben, haben wir immer wieder betont, dass die Ursa-chen vielfältig sind und dass wir dringend handelnmüssen.

Der Verlust von Nahrungsflächen insgesamt ist einProblem, aber auch der Einsatz von Pestiziden, derBefall durch Milben, andere Parasiten sowie Krank-heiten. Als wir hier vor drei Jahren über dieses The-ma diskutiert haben, habe ich darauf hingewiesen,dass Insektizide nicht nur für Bienen extrem schäd-lich sind, sondern auch für Motten und Schmetter-linge. Das Problem mit diesen Pflanzenschutzmit-teln ist, dass sie nicht zwischen Pflanzenschädlin-gen und erwünschten Insekten unterscheiden.Selbst insektenfressende Vögel sind von den nega-tiven Wirkungen dieser Stoffe betroffen. Es handeltsich bei den drei Pflanzenschutzmitteln, über diewir jetzt sprechen um Mittel, die die EuropäischeBehörde für Lebensmittelsicherheit als definitiveGefahr für Wild- und Honigbienen bewertet. Des-wegen ist die Entscheidung klar: Sie gehören ver-boten.

Das Beruhigende ist, dass die Bundeslandwirt-schaftsministerin wiederholt kundgetan hat, dass siesich mit der Bundesumweltministerin einig sei unddem geplanten Freilandverbot für die drei bienen-schädlichen Insektizide, um die es jetzt geht, zu-stimmen werde. Das ist gut so. Es kann aber nur einerster Schritt sein. In Gewächshäusern nämlichkönnen sie weiterhin benutzt werden. Ob Gewächs-häuser wirklich geschlossene Systeme sind, aus de-nen nichts herausdringt, lässt sich bezweifeln.

Wir werden uns auch darüber unterhalten müssen,wie wir mit Nachfolgestoffen mit gleicher Wirkungumgehen. Allgemein müssen wir uns um bessereNahrungsangebote und Nistmöglichkeiten sorgen.Die intensive Landwirtschaft mit ihren Monokultur-flächen und der Verlust von wilden Blühpflanzenführt dazu, dass Nahrungsflächen für die Bienenverloren gehen. Auf diesen Flächen wächst - dankGlyphosat und anderen Pestiziden - wirklich auchkeine andere Pflanze mehr.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2043

(Volker Schnurrbusch)

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Also ist das Verbot dieser drei Mittel kein Allheil-mittel, es wird nicht ausreichen. Unsere Agrarland-schaft wird immer einseitiger und intensiver ge-nutzt. Bienen haben aber vielfältige Ansprüche anihre Nahrung und ihre Nistplätze.

Es geht also zum einen darum, was die Landwirt-schaft tun kann und wie wir sie darin unterstützenkönnen. Von dem Bestäubungsdefizit, vor dem wirstehen, ist eben auch die Landwirtschaft betroffen.Rund 80 % aller Nutzpflanzen werden von Bienenbestäubt. Zum anderen geht es darum, was wir alsPrivatpersonen tun können, um dem Insektenster-ben entgegenzuwirken. Unsere Bürgerinnen undBürger machen sich selbst große Sorgen. Umwelt-stiftungen bieten da zahlreiche Tipps zur Gestal-tung natürlicher Gärten, zum Bau von Insektenho-tels oder zur Balkonbepflanzung an. Wir freuen unsauch, dass das Programm ,,Schleswig-Holsteinblüht auf" so gut angenommen worden ist.

Das Thema Naturerhalt nehmen wir beim SSWwirklich sehr ernst. Unser Zugang ist dabei immer,die Menschen vor Ort mitzunehmen. Wir suchennach umsetzbaren Lösungen mit allen Beteiligtenund führen unsere Veranstaltungen zu dem Themadeshalb immer unter Teilnahme aller Betroffenerdurch: aus Landwirtschaft, Industrie und Umwelt-verbänden sowie natürlich mit Bürgerinnen undBürgern. ,,Værn om dit slesvigske miljø", also,,Schütze deine schleswigsche Umwelt": Das warschon in den 70er-Jahren unser Motto. Das giltauch noch heute. - Jo tak.

(Beifall SSW und SPD)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat die Frau Abge-ordnete Eickhoff-Weber.

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]:

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das istschon eine besondere Situation. Bernd Voß von denGrünen steht hier und sagt: Neonicotinoide verbie-ten! Er lobt Frankreich für den Ausstieg aus allenNeonics. Die FDP steht hier und sagt: Nix wie wegmit Neonics - auch keine Differenzierung: die Neo-nics weg!

(Beifall Lars Harms [SSW]

Zwei von drei Partnern wollen aus den Neonicsaussteigen.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN])

Irgendwie reicht euch das nicht, um diesen Schrittwirklich zu tun und es zu fordern.

Heiner Rickers von der CDU sagt: Wir handelnerst, wenn die Wissenschaft entschieden hat. - Dasist ja klasse. Für die drei Neonicotinoide, die jetztverboten werden sollen, haben wir zehn Jahre ge-braucht. In 20 Jahren sind bei den Insekten 75 %der Biomasse verschwunden. Jetzt können wir malein bisschen Dreisatz machen und überlegen, wennwir in diesem Tempo weiter handeln und agieren,wann gar keine Insekten mehr da sind. Dieses Tem-po geht so nicht, meine Herren!

(Beifall SPD und SSW)

Und dann wollen wir doch auch noch einmal aufdie Bemerkung Showantrag eingehen: Ich habe denVerdacht, das hat etwas damit zu tun, dass Sie dasganze Thema komplett nicht verstanden haben.Aber ist ja egal.

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfra-ge des Herrn Abgeordneten Bornhöft?

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]:

Ja, gern.

Dennys Bornhöft [FDP]: Sehr geehrte Kol-legin Eickhoff-Weber, da Sie hier gerade denDreisatz aufgemacht haben: Machen Siedann auch volkswirtschaftlich ceteris pari-bus, und es gibt nur die Neonicotinoide undnichts anderes, was die Bienenvölker dieletzten 20 Jahren beeinträchtigt hat?

- Das hat doch niemand gesagt, Herr Bornhöft. Hö-ren Sie doch einfach einmal zu.

(Dennys Bornhöft [FDP]: Ich habe Ihnen ge-rade zugehört!)

- Nein, das habe ich so nicht gesagt. Wenn Sie sichmit der Thematik eingehend befasst haben, dannwerden Sie gesehen haben, dass die Neonicotinoideeine ganz besondere Art der Wirkweise haben. Siehaben es selbst beschrieben, dass die Bienen davonein bisschen „döschig“ werden und alles das, wasein Bienenvolk, einen Bienenstaat ausmacht, dannnicht mehr funktioniert. Sie haben das selbst be-schrieben. Außerdem haben die Neonicotinoidenoch einen ganz anderen miesen Effekt, sie machennämlich süchtig - selbst diese kleinen Insekten. Dasheißt, es gibt auch noch einen Trend, dass sie im-mer wieder dahin fliegen, wo es Neonicotinoidegibt.

2044 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Flemming Meyer)

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Wir haben also mit dieser Wirkstoffklasse - das be-trifft alle Neonicotinoide - eine ganz besondere Be-drohung für die Insekten. Das ist nichts, was ichmir jetzt gerade ausgedacht hätte, sondern das istnachzulesen, wenn Sie die EFSA-Studien, die briti-schen, die kanadischen und amerikanischen Studienlesen. Überall kommt die Wissenschaft zu dem Er-gebnis, dass die Gefährlichkeit und Bedrohungdurch Neonics mit kaum anderen Mitteln zu ver-gleichen ist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ge-nau über diese Gruppe sprechen - und nicht nurüber drei Stoffe, an denen man zehn Jahre herum-geforscht hat, sondern über die gesamte Gruppe derNeonicotinoide.

(Dennys Bornhöft [FDP]: Gut, dann stelleich fest, dass Sie meine Frage konkret nichtbeantwortet haben! Danke! - VereinzelterBeifall SPD und SSW)

Wenn wir dann Ihren Alternativantrag noch einmalgenau angucken, stellen wir fest: Am 25. April,fünf Tage nach der Bundestagsdebatte, in der sichdie Regierung erklärt hat, beantragen Sie einen Ap-pell an die Bundesregierung, dass die sich am27. April 2018 enthalten soll. - Mein Gott, fünf Ta-ge zu spät!

Dann kommt das große Thema Forschung. LieberBernd Voß, wir haben 2013 und 2015 über diesesThema diskutiert, und wir haben jedes Mal gefor-dert: Es muss geforscht werden! Wir haben eineReform des Zulassungsverfahrens gefordert. Des-halb sind wir beide wahrscheinlich gleichermaßenfroh, dass die EU seit Februar einen Sonderaus-schuss eingerichtet hat, der sich genau mit diesemThema befasst. Aber das ist doch alles nichts Neu-es.

Dann hören wir jetzt auch noch, dass dieser Alter-nativantrag weitergehender sei als der von der SPD,in dem wir fordern, endlich den Schritt zu tun: wegmit Neonics, und zwar vollständig! - Das muss mirbitte noch einmal jemand erklären. Dafür wäre ichganz dankbar.

(Beifall SPD und SSW)

Ganz ehrlich - zu den Themen forschen und ent-wickeln und alternative Methoden -: Die Agrarche-mie unterstützt intensiv, mit Lobbyismus und vielGeld die Klagen in Europa gegen die Verbote. Aberdie Kraft, wirklich zu sagen: „Wir gehen mit aufdem Weg hin zur Nachhaltigkeit, wir entwickeln al-ternative Methoden“, die entwickelt die europäi-sche und deutsche Agrarchemie nicht. Auch an die-sem Punkt müssen wir darüber nachdenken, ob wirwirklich weiter der zahnlose Tiger sein wollen.

Deshalb bleibe ich dabei: Es ist richtig, wenn wiruns jetzt dazu bekennen, dass der Ausstieg aus denNeonics kommen muss, und zwar aus allen. Dennsonst müssen wir über Bienensterben gar nichtmehr reden. So viele Insektenhotels können wir garnicht aufhängen, damit wir unser Insektensterbenaufhalten können.

(Beifall SPD und SSW)

Also, ich bleibe dabei: Ich bitte - gerade wenn mansich noch einmal den Proporz beim Antrag an-schaut - um Zustimmung zu unserem Antrag. BeiIhrem Antrag werden wir uns enthalten, weil er nurDinge enthält, die irgendwie alle schon besprochen,beschlossen und entschieden sind. - Danke.

(Beifall SPD und SSW)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat HerrAbgeordneter Rickers.

Heiner Rickers [CDU]:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen!Sehr geehrte Frau Eickhoff-Weber, wir waren aufBundesebene doch schon einmal weiter. Wir warenuns doch schon einig - das habe ich versucht, hierauch darzustellen -, dass die Abstimmung morgenmit der neuen Landwirtschaftsministerin Klöcknergenau so ausfallen wird, wie Sie das fordern.

Wo ist aber der Unterschied in unserer Argumenta-tion? - Sie wollen ein Komplettverbot, ohne zuvorzu untersuchen - Herr Schnurrbusch hat das jadargestellt -, ob es nicht auch Neonicotinoide gebenkönnte, die nicht bienengefährlich sind.

(Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Genau!)

Das Zweite, vielleicht haben Sie das auch nichtverstehen wollen, ist: Es gibt durchaus Unterschie-de in der Anwendung. Wenn man das im Freilandmacht und oberirdisch, wenn man es bei Pflanzenim Saatgut einsetzt, bei denen die Pflanze letztend-lich blüht und von Bienen angeflogen wird, ist dasein himmelweiter Unterschied im Vergleich zurAnwendung bei einer Zuckerrübe, die vor der Erntegar nicht zur Blüte kommt. Sie wird deshalb vonInsekten auch so gut wie gar nicht angeflogen. Wis-senschaftlich gesehen ist das wirklich ein himmel-weiter Unterschied.

Deshalb ist es einfach zu schnell gesprungen, allesin Bausch und Bogen zu verbieten, ohne Alternati-ven vorzuweisen. Die haben Sie eben gerade nichtaufgewiesen. Die gibt es weder in der Wissenschaft

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2045

(Kirsten Eickhoff-Weber)

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- vielleicht hat die auch geschlafen, das will ich garnicht sagen - noch in der Industrie oder auch im Be-rufsstand. Wenn wir alles in Bausch und Bogenverbieten, haben wir morgen ein Riesenproblem.

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra-ge der Frau Abgeordneten Eickhoff-Weber?

Heiner Rickers [CDU]:

Natürlich, sehr gern.

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: VerehrterKollege Rickers, wenn wir über die Neonico-tinoide sprechen und sagen, wir wollen einVerbot dieser Wirkstoffklasse, dann ist daskein Antrag für morgen. Morgen wird so inEuropa entschieden, wie es jetzt auf den Weggebracht worden ist. Aber wir wollen damitein Zeichen setzen, dass das nicht reicht, dasswir grundsätzlich ein Verbot der Neonicoti-noide anstreben. Ich denke, wir beide sinduns einig, dass erst dann, wenn Zeichen ausder Politik kommen, der ganze Apparat vonWissenschaft, Forschung und Entwicklunganfängt zu laufen. Solange Politik sich nichtäußert, solange Politik keine Zeichen setzt,solange wird nichts passieren.

(Beifall SPD und SSW)

- Ich antworte gern. Die Zeichen sind ja gesetzt.Das sehen Sie an der Abstimmung, die morgen er-folgen wird, und an der heutigen Aussage, dass diedrei genannten Neonicotinoide dann tatsächlich inder Zulassung auch nicht verlängert werden.

(Sandra Redmann [SPD]: Dann brauchen Siegar nichts beantragen, dann ist es ja bereitsso! Was soll das dann?)

- Ja, aber das muss doch trotzdem diskutiert wer-den. Es ist doch auch richtig, dass das hier disku-tiert wird. Aber dass Sie alles verbieten wollen,macht für morgen keinen Sinn. Es mag ja sein, dassdas in 15 Jahren Sinn macht oder in fünf Jahren,wenn es Alternativen gibt. Das wiederum haben Sieaber in keinem Satz erwähnt. Sie hätten auch sagenkönnen: Wir sind für ein Verbot, wenn wir dannwirklich auch realistisch einsetzbare Alternativenfür die genannten Produkte haben. Das tun Sie abermit keiner Silbe. Sie sagen: Alles verbieten unddann einmal gucken, wie sich das System ent-wickelt. Das kann es ja nun wirklich nicht sein.

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwi-schenfrage?

Heiner Rickers [CDU]:

Ja, natürlich.

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Wir sinddoch beide lange genug im Geschäft. Dasssich irgendjemand freiwillig auf den Wegmacht und Alternativen entwickelt, ohneGrund Geld in die Erforschung neuer Projek-te investiert, ist doch utopisch. Ist Ihnen ir-gendein Fall bekannt, wo die Agrarchemiegesagt hat: „Huch, jetzt haben wir hier ir-gendetwas Besseres, ihr könnt das Giftigerevom Markt nehmen!“, ohne dass es politi-schen oder fachlichen Druck gegeben hat?

- Ja, natürlich sind mir da Beispiele bekannt. Dennam Ende zählt immer die wissenschaftliche Bewer-tung der von mir genannten Behörden auf EU- undBundesebene. Da zählen nun einmal die EFSA unddas BfR, also das Bundesinstitut für Risikobewer-tung.

Nehmen Sie einmal die Entscheidung zu Glypho-sat: Am Ende war die Entscheidung, sich nach denAussagen der Behörden zu richten, genau die richti-ge, nämlich Einschränkung für den Privatanwender,Einschränkung auf öffentlichen Flächen, Einschrän-kung bei nicht Sachkundigen, aber ansonsten eineZulassung für die Landwirtschaft. Das war keinereine politische Entscheidung, sondern das war einepolitische Entscheidung, die wissenschaftlich fun-diert abgesichert worden ist. - Alles in Ordnung.

(Beifall CDU und Anita Klahn [FDP] - ZurufHans-Jörn Arp [CDU])

Ich glaube, ich habe alles gesagt. Denken Sie nocheinmal darüber nach: Neonicotinoide nur in derBeize, nur bei Pflanzen, die nicht zur Blüte kom-men. Auch dann wären alternative Stoffgruppen beiNeonicotinoiden nach wie vor eine Alternative zudenjenigen, die hoffentlich dann morgen auch ver-boten werden. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP - ZurufSandra Redmann [SPD])

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat derAbgeordnete Bernd Voß.

2046 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Heiner Rickers)

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Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Zur Frage der Alternativen mussman einmal Folgendes sagen - das mag die CDUvielleicht gar nicht so gern hören -: Jetzt, da wirweltweit drei große Saatgut- und Pflanzenschutz-konzerne haben, beherrschen diese zwei Drittel desweltweiten Saatgutmarkts und über 60 % des welt-weiten Pflanzenschutzmarkts. Eine große deutscheFirma, die mit dem Buchstaben B anfängt, ist beiden Neonics auch ganz vornan. Es geht da um nichtgerade kleine Millionenbeträge. Die Zusammen-hänge sind uns klar, und uns ist auch klar, wieschwierig es ist, den entsprechenden Druck auszuü-ben. Wir haben zum Glück noch viele Mittelständ-ler, die unterwegs sind, andere Sorten zu züchten.Das ist das eine.

Das andere, warum wir zu diesem Antrag sagen,dass wir heute einen Beschluss haben wollen, istganz klar: Wir haben jetzt endlich die Situation -morgen scheint es zu klappen - und hoffen, dass daauch auf EU-Ebene keine und keiner mehr wackeltund die Bundesregierung zustimmt. Sie hat ver-dammt oft - auch mit der SPD in der Großen Koali-tion - bei all diesen Abstimmungen nicht mitge-spielt. Von daher lauten die ganz klare Botschaftund die ganz klare Aussage, nicht in den Ausschusszu überweisen, sondern sich darauf zu konzentrie-ren, über dieses Freilandverbot abzustimmen.

Das Nächste ist - da haben Sie ja recht, Frau Eick-hoff-Weber -: Wir haben immer wieder gefordert,dass endlich nicht mehr nur - das muss man sichimmer wieder reinziehen - anhand von Gutachtenbewertet wird, die von den Antragstellern, also vonden großen Unternehmen, den Chemiekonzernen,in Auftrag gegeben werden, sondern anhand vonGutachten, die die Genehmigungsbehörden in Auf-trag gegeben haben. Seit 2009 ist das, wie ich vor-hin schon gesagt habe, möglich. Jetzt ist die Ver-ordnung endlich auf dem Weg, und es bestehen gu-te Chancen, dass sie in den nächsten Monaten kom-men wird. Von daher ermöglicht auch dieser zweitePunkt ein klares Signal in Richtung EU und Bun-desregierung, dass das nicht ins Stolpern kommendarf und umgesetzt werden muss.

Jetzt noch mal zu den Neonicotinoiden: An denverschiedenen Beiträgen von Ihnen und von HerrnBornhöft sind die systemische Wirkung und dieProbleme, die damit auftauchen, sehr deutlich ge-worden. Aber: Die haben eine ganze Reihe vonMitteln mehr - die man vielleicht auch noch garnicht richtig aussprechen kann -, die, wie die Neo-nicotinoide, höchst problematisch sind und auch ge-

nauer angeguckt werden müssen. Wir haben dazulandespolitisch - auch im Koalitionsvertrag - etwasgeschrieben.

Ich plädiere dafür, dass wir Ihren Punkt - Ihren An-trag - mit in den Ausschuss hineinnehmen und dagenauer gucken, welche Neonics wir in Schleswig-Holstein im Einsatz haben, um bei dem Thema ein-fach weiterzukommen. Das führt weiter, als wennwir uns hier lange zerlegen.

Ich bitte wirklich darum: Stimmen Sie unserem An-trag zu, auch im Sinne klarer Botschaften an IhreBundesregierung, bis morgen nicht mehr zuwackeln - da ist ja schon oft über Nacht gewackeltworden - und eben wirklich durchzusetzen, dass wirendlich unabhängige Gutachten haben. - VielenDank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undDennys Bornhöft [FDP])

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Abgeordne-te Redmann das Wort.

Sandra Redmann [SPD]:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir hatten Ihnen das Angebot gemacht, beiden An-trägen zuzustimmen. Das wäre eine der Möglich-keiten gewesen. Das ist abgelehnt worden.

Nach dem, wie Herr Voß es eben erläutert hat, seheich mich doch noch einmal genötigt, etwas dazu zusagen. Sie stellen sich hier hin, nachdem wir - FrauEickhoff-Weber hat das ja ausgeführt - einen An-trag gestellt haben, gucken sich den Antrag an undsagen: „Na ja, so können wir das nicht mitmachen.Das kriegen wir zu dritt nicht hin,“ - das ist ja inOrdnung -, „dann formulieren wir mal einen ande-ren Antrag“. Und was ist das für ein Antrag? - Ge-nau der, der sowieso beschlossen wird.

Sich hinzustellen und zu sagen: „Na, hoffentlichwackelt die Bundesregierung jetzt nicht“, und: „Esist ja toll, dass wir jetzt noch mal einen Antrag stel-len, um der Bundesregierung zu sagen, dass sie dasmachen soll, was sie sowieso gerade beschließenwill“, ist doch wohl ein Witz. Ich kann mir nichtvorstellen, dass, weil Sie als Koalition jetzt diesenAntrag formuliert haben, dieser dazu beiträgt, dassdie Bundesregierung etwas macht, was sie sowiesovorhatte.

Wo ist denn da das Weitergehende? Das kann ichnicht nachvollziehen. Sie wollen etwas Weiterge-

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2047

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hendes. Uns wird ja immer gesagt, wir sollen dieBundesregierung sozusagen ein Stückchen treiben.- Ja, liebe Grüne, jetzt treiben wir die Bundesregie-rung - und jetzt treiben wir Sie hier.

Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann bekommenSie genau das, was Sie von uns einfordern: nichtimmer nur reden, sondern machen.

(Beifall SPD und Lars Harms [SSW])

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort für die Landesregierung hat der Ministerfür Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Se-nioren, Dr. Heiner Garg.

Dr. Heiner Garg, Minister für Soziales, Gesund-heit, Jugend, Familie und Senioren:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Es ist mir eine große Freude, mich für dieLandesregierung auch zu diesem Thema äußern zukönnen. Wir haben in diesem Landtag über denRückgang der Artenvielfalt mehrfach in mehrerenLegislaturperioden bereits ausführlich diskutiert.Das, was wir alle seit Längerem irgendwie gefühlthaben, ist im Frühjahr nicht nur publiziert, sondernauch wissenschaftlich nachgewiesen worden. Inden vergangenen 27 Jahren ist es tatsächlich inDeutschland zu einem ganz dramatischen Insekten-sterben gekommen. Im Vergleich zu den 80er-Jah-ren ist heute nur noch etwa ein Viertel der Anzahlder Insekten unterwegs. Davon betroffen sind bei-spielweise alle Arten von Wildbienen, Wespen,Schmetterlingen, Fliegen, Käfern und im Übrigenim Zuge der Nahrungskette auch Singvögel undweitere Tierarten.

Das Insektensterben hat ganz drastische Auswir-kungen auf die in der Nahrungskette beteiligtenTiere, aber natürlich auch auf viele Pflanzenarten,die für ihre Fortpflanzung unbedingt auf Insektenals Bestäuber angewiesen sind. Gemeint sind hiernicht nur Wildkräuter jeglicher Art, sondern auchviele Kulturpflanzen im Obstanbau oder im Acke-ranbau, beispielsweise der Raps. Dass es immerweniger Insekten zur Bestäubung gibt, ist auch fürdie Landwirtschaft - ich glaube, der KollegeRickers hat es unter anderem sehr deutlich gesagt -ein ganz gravierendes Problem. Der ökonomischeBeitrag der Insekten wird von Wissenschaftlern undImkern als äußerst hoch eingestuft.

Das Bundesministerium für Ernährung und Land-wirtschaft beziffert die volkswirtschaftliche Leis-tung in Deutschland auf bis zu 2 Milliarden € jähr-

lich. Es ist also allerhöchste Zeit, mehr als dringlichund geboten, dass wir gemeinsam etwas gegen dasInsektensterben unternehmen.

Die Ursachen für das Insektensterben sind sicher-lich vielfältig. Die heutige Aussprache zeigt deut-lich, dass man sich zumindest in einer Sache einigist, liebe Kollegin Redmann. Eine der Hauptursa-chen für den Insektenschwund liegt in dem massi-ven Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft,insbesondere von Insektiziden mit Wirkstoffen derGruppe der Neonicotinoide. Gemäß der Angabe derBundesregierung lag die Absatzmenge für dieStoffgruppe der Neonicotinoide im Jahr 2016 bei173 t. Diese Insektizide sind Nervengifte und beiInsekten bereits in ganz geringen Dosierungenhochwirksam. Werden sie während der Blüte derKulturpflanzen eingesetzt, sind sie für blütenbesu-chende Insekten eine direkte Gefahr. Das hat dasdurch den neonicotinoiden Wirkstoff Clothianidinverursachende Bienensterben im Jahr 2008 sehreinprägsam gezeigt. - Ich habe jedenfalls versucht,diese Stoffgruppe zu benennen, Herr Voß.

(Beifall FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

- Freuen Sie sich nicht zu früh. Es kommen nochmehr. - Die daraufhin erfolgten Einsatzbeschrän-kungen für die drei für Bienen als gefährlich einge-stuften neonicotinoiden Wirkstoffe Clothianidin,Imidacloprid und Thiamethoxam

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

sind bei Weitem nicht ausreichend. Aber auch dieals nicht bienengefährlich eingestuften Neonicoti-noide sind grundsätzlich problematisch. So wurdenim Juni 2016 in Brandenburg Acetamiprid-Rück-stände in einer größeren Partie Raps-Honig nachge-wiesen.

Daher ist für die Landesregierung eines vollkom-men klar: Neonicotinoide müssen aus der Freiland-anwendung verschwinden. Dafür setzen wir unsweiter mit allem Nachdruck ein.

Für die aktuelle Agrarministerkonferenz ist Schles-wig-Holstein Mitantragsteller für einen Beschluss-vorschlag, in dem die Bundesregierung gebetenwird, aufgrund des unersetzlichen ökologischenund auch ökonomischen Wertes von Honigbienenund vielen anderen Bestäubungsinsekten im Sinnedes Vorsorgeprinzips und aufgrund des hohen un-mittelbaren Risikos für die biologische Vielfalt, dieUmwelt und die landwirtschaftliche Ertragssicher-heit Maßnahmen zu deren Schutz zu ergreifen, ins-

2048 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Sandra Redmann)

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besondere durch ein Verbot von neonicotinoidhalti-gen Pflanzenschutzmitteln mit den WirkstoffenClothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam - soähnlich jedenfalls.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch vonseiten der EU wird jetzt endlich ein ent-sprechendes Verbot für diese Wirkstoffe angestrebt,nachdem die europäische Behörde für Lebensmit-telsicherheit - also die bereits viel zitierte EFSA -im Februar 2018 nochmals bekräftigt hat, dass Frei-landanwendungen von Pflanzenschutzmitteln inden drei genannten Wirkstoffen ein Risiko fürWild- und Honigbienen darstellen. Die Bundesre-gierung will sich nach Aussagen aus dem Agrar-und Umweltressort dieser Haltung anschließen.

Es ziehen hier also alle an einem Strang. Frau Kol-legin Redmann - das kann ich auch nicht mehr sa-gen -, also liebe Sandra Redmann, Sie sehen, dieLandesregierung macht nicht nur Blabla, sondernhandelt ganz konkret. Ich finde im Übrigen - bei al-lem Engagement und allen Wünschen, die vielleichtdarüber hinausgehen -: Das, was hier heute hoffent-lich eine große Mehrheit findet, ist ein wichtigerSchritt, auf den wir mit Sicherheit viel zu lange ge-wartet haben.

Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Geduld und fürdie Nachsicht, dass ich mich zumindest bei diesenchemischen Stoffgruppen nicht ganz zu Hause be-finde. Meine Welt sind die pharmazeutischen Wirk-stoffe und nicht die Insektizide. - Herzlichen Dankfür Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und SSW)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Der Minister hat seine Redezeit nur unwesentlichüberschritten. - Weitere Wortmeldungen liegennicht vor. Ich schließe hiermit die Beratungen undbitte um etwas Unterstützung: Ist es richtig so:Über den SPD-Antrag wird in der Sache abge-stimmt, und für den Alternativantrag ist Ausschuss-überweisung beantragt?

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Beide Anträge in derSache!)

- Über beide Anträge soll in der Sache abgestimmtwerden? - Gut, dann machen wir das so.

Wir stimmen zunächst über den SPD-Antrag ab. Esist beantragt worden, den Antrag Drucksache 19/674 in der Sache abzustimmen. Wer dem zustim-men will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Ge-

genprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist derAntrag mit den Stimmen der SPD und des SSW ge-gen die Stimmen der regierungstragenden Fraktio-nen und der AfD-Fraktion abgelehnt.

Ich lasse nun über den Alternativantrag der Fraktio-nen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undder FDP, Drucksache 19/705, abstimmen. Wer zu-stimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. -Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist derAntrag mit den Stimmen der Fraktionen vonBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, CDU und AfDbei Enthaltung der Stimmen der SPD-Fraktion undder Abgeordneten des SSW angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Grundwasser schützen: Düngeverordnung nach-bessern und effizient umsetzen!

Antrag der Fraktion der SPDDrucksache 19/675

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dasist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. DasWort für die SPD-Fraktion hat Frau AbgeordneteKirstin Eickhoff-Weber.

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]:

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehr-te Herren! Auf einer Fachtagung im Vorfeld desWeltwassertages 2018 in Kiel stellte Minister Ha-beck fest: Es wird schlichtweg zu viel gedüngt, dashat dramatische Folgen für unser Grundwasser. -Das ist so, dem muss man leider zustimmen. Auchnach jahrelangen Diskussionen, nach vielen Run-den Tischen und Fördermaßnahmen ist es nicht ge-lungen, hier wirklich einen Schritt weiterzukom-men.

In einem Interview mit den „Kieler Nachrichten“am 28. März 2018 stellte der Kieler AgrarprofessorFriedhelm Taube, den meisten hier als Schattenum-weltminister von Daniel Günther bekannt, die Er-gebnisse von Berechnungen seines Instituts zumGülleaufkommen in Schleswig-Holstein dar. Dem-nach fallen in unserem Land jährlich 27 Millionen tGülle an, 9 Millionen t mehr als bisher angenom-men. Taube erklärt diese Differenz damit, dass dasStatistikamt Nord gezwungen ist, aufgrund vonHochrechnungen Daten zu erheben.

Das Institut der CAU hat eine andere Berechnungs-grundlage, die bestechend einfach ist: Wie vieleTiere gibt es, und was kommt da hinten raus?

(Vereinzelter Beifall SPD)

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2049

(Minister Dr. Heiner Garg)

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Für mich ist erschreckend, dass so viele sich überdiese hohen Zahlen und diese Diskrepanz gewun-dert haben. Wie soll denn da Grundwasserschutzgelingen, wenn wir noch nicht einmal ahnen, dassdie gesamte Güllemenge um ein Drittel höher ist alsangenommen?

In bestimmten Regionen des Landes ist die Vieh-dichte zu hoch. Wir plädieren für eine flächenge-bundene Tierhaltung. Auch über die Großviehein-heiten pro Hektar müssen wir reden, aber aktuellsind die Tiere erst einmal da, und wir müssen jetztin Verantwortung für Natur, Umwelt und denSchutz unseres Trinkwassers handeln.

Seit 1996 besteht die Düngeverordnung, aber auchdie Novellierung im letzten Jahr - das war ein lan-ger und zäher Prozess - hat daraus kein scharfesSchwert gemacht. Im März 2017 hat der Bundesratdie Düngeverordnung beschlossen. In einer Presse-erklärung des Ministeriums stellt Minister Habeckfest: Endlich ist der erste Schritt gemacht. Für wirk-samen Gewässerschutz kann das aber erst der An-fang sein.

Nun muss man doch die Frage stellen: Welche In-itiativen hat der Minister bisher gestartet, um dievon ihm konstatierten Mängel der Bundesverord-nung zu heilen? Vor allem muss mit Blick auf denvorliegenden Entwurf für eine Landesdüngeverord-nung die Frage gestellt werden, warum die Landes-regierung hier nur die Minimalvorgaben der bun-desweit gültigen Düngeverordnung umsetzen will.Warum agiert das Ministerium hier so mutlos?

(Beifall SPD)

Nachhaltige Landwirtschaft erfordert Mut zu Ver-änderungen. Wir fordern Sie auf: Setzen Sie sichnoch einmal dran, und nutzen Sie die Möglichkei-ten, die das Düngemittelgesetz Ihnen gibt, um wirk-lich etwas für den Schutz des schleswig-holsteini-schen Trinkwassers zu tun.

Professor Taube geht davon aus, dass sich 30 % derLandwirte in Schleswig-Holstein nicht an die Re-geln halten; entweder fahrlässig oder vorsätzlich.Die Kontrollbehörden müssen hier effizienter nachVerstößen schauen. Eine Überwachung der gesetz-lichen Regelungen ist auch im Sinne der Landwirt-schaft, denn wir müssen dafür sorgen, dass die Bau-ern, die sich an die Regeln halten, Anerkennung fürihre verantwortungsvolle Arbeit erfahren.

(Beifall SPD)

Diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten unddamit ernsten Schaden anrichten, müssen zur Ver-antwortung gezogen werden, und auch dafür hat

das Ministerium mit den nachgeordneten Behördenzu sorgen.

Mindestens ebenso wichtig wie das Ordnungsrechtsind ein ausreichendes, angemessenes Beratungsan-gebot und beste Bedingungen bei Aus-, Weiter- undFortbildung. Auch die Förderung von Wissenschaftund Forschung ist ein wichtiger Baustein. Es istauch wichtig, dass die Düngegesetzgebung und dieLandesdüngeverordnung nicht zu einem Bürokra-tiemonster werden, das die Betriebe in die Kniezwingt. Wir brauchen praktikable Verfahren. Hiereröffnet die Digitalisierung auch für die Landwirt-schaft neue Perspektiven. Die Lösungen müssen sogestaltet werden, dass auch kleinere Betriebe gutdavon haben.

Wir wollen eine Neuausrichtung der Landwirtschafthin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft: ökolo-gisch verträglich, sozial gerecht und ökonomischrentabel. Dafür müssen wir etwas tun und nicht nurreden. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unse-rem Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeord-neter Heiner Rickers.

Heiner Rickers [CDU]:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Geschätzte Kollegen! Die Düngemittelge-setzgebung wurde im Jahr 2017 verabschiedet, undsie ist im Juni 2017 offiziell in Kraft getreten. Siehat noch gar nicht gewirkt und ist in Schleswig-Holstein in der Praxis noch gar nicht umgesetzt,und wir bekommen hier von der SPD so einen An-trag, der nicht nur inhaltlich dünn ist, sondern beidem die Antragsteller nicht wissen, was heute tat-sächlich in der Praxis läuft.

(Beifall CDU und FDP - Zuruf Kirsten Eick-hoff-Weber [SPD])

- Ja, Sie haben den Tag des Wassers im KielerSchloss angesprochen, Frau Eickhoff-Weber, undSie haben versucht, den Agrarwissenschaftler Tau-be zu zitieren. Richtig ist, dass er gesagt hat: In derVergangenheit hat ein Drittel der Landwirte so ge-handelt. Aber nach neuester Vorgabe des jetzt grei-fenden Gesetzes wird es das zukünftig nicht mehrgeben. Ich habe versucht, das zu verbessern. Ich ge-be es zu, leider hat er dies nicht berichtigt. Ich haltedas nicht für richtig, und ich werde Ihnen jetzt er-klären, warum es aus meiner Sicht zwei ganz ent-

2050 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Kirsten Eickhoff-Weber)

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scheidende Veränderungen in der Düngemittelge-setzgebung gibt, die auch in Schleswig-Holsteingreifen und am Ende dazu führen werden, dassnicht nur das Grundwasser, sondern auch das Ober-flächenwasser wesentlich besser geschützt und zu-künftig auch von besserer Qualität sein werden.

Erstens. Es gibt nicht, wie Sie sagten, nur Minimal-vorgaben, die in Schleswig-Holstein umgesetztwerden, sondern es wird eine Höchstmenge bei derAusbringung von organischen Düngemitteln proHektar und Jahr gesetzlich vorgeschrieben, und die-se Ausbringung wird tatsächlich nicht nur in derBerechnung, sondern auch in der Bilanzierung undin der Praxis kontrolliert. Das heißt: Das, was manals stickstoffhaltigen Dünger auf die Oberflächeaufbringt, wird zukünftig begrenzt über alle Stoffe,die dazugehören, Frau Eickhoff-Weber. Dazu ge-hört unter anderem Gärsubstrat von Biogasanlagen,das vorher nicht in die Berechnung einbezogen war,dazu gehört zum Beispiel Knochenmehl, dazu ge-hören aber auch Komposte, also Humus, den mansonst immer on top aufbringen konnte. Dazu gehörtnatürlich auch Klärschlamm. All das führt zu einerBegrenzung auf 170 kg an ausgebrachtem organi-schem Stickstoff pro Hektar und Jahr in Deutsch-land. Das ist die absolute Obergrenze, und das wirdWirkung zeigen. - Es klatscht keiner, das ist schade.

(Beifall CDU)

Der zweite entscheidende Grund, warum ich dieseDüngegesetzgebung für zielführend im Gewässer-schutz halte, ist, dass wir zukünftig alle in der Pra-xis verpflichtet sind, eine Düngeplanung, eineSchlagkartei, scharf zu erstellen, um tatsächlich zuwissen, was die Pflanze benötigt und was an Dün-gung zu veranschlagen ist. Einbezogen sind hierwiederum die Gülle, das Gärgassubstrat, der Kom-post, die Knochenmehle und tatsächlich auch derKlärschlamm. Neben dieser Berechnung der Dün-geplanung wird am Ende des Jahres, wenn die Ern-te eingefahren wurde, eine Bilanzierung stattfindenmüssen. Das ganze Verfahren ist am Ende auchnoch cross-compliance-relevant. Das heißt für diePraxis, dass es am Ende zu starken Beschneidungender Transferzahlungen aus der EU führen kann,wenn die Papiere nicht wirklich rechtssicher über-prüfbar vorliegen. Das wird in der Praxis keinLandwirt wagen.

Insofern ist nicht nur meine Hoffnung berechtigt,sondern ich gehe ganz fest davon aus, dass diesebeiden von mir genannten Forderungen des Dünge-gesetzes auch in der Praxis umgesetzt werden.

(Beifall CDU und FDP)

Wir sind uns alle einig: Es gibt Probleme im Be-reich der Nährstoffe, vornehmlich auf dem Mittel-rücken, wo viel Vieh gehalten wird und wo manauch noch Biogasanlagen betreibt. Die Nährstoffeaus den Biogasanlagen sind in der Vergangenheitnicht in die Düngebilanzierung eingerechnet gewe-sen. Das wird nun mit scharfem Schwert verändert.In Schleswig-Holstein werden nicht nur die Mini-malvorgaben erfüllt, sondern es wird für die soge-nannten §-13-Gebiete auch noch nachgeschärftwerden. Das sind die Grundwasser führenden Ge-biete besonders auf dem Mittelrücken. Hierbei gehtes um Nitratbelastungen. Diese werden durch Maß-nahmen, die sich im Moment in der Abstimmungbefinden, begrenzt.

Auch insoweit sind wir dem Minister dankbar da-für, dass wir gemeinsam mit den betroffenen Land-wirten am Ende Lösungen finden werden. Wir wer-den das Beratungsnetz noch einmal ausbauen. Wirwerden über die Gewässerschutzberatung, die esauch jetzt schon gibt, die Landwirte an die Handnehmen, und wir werden gemeinsam einen Wegfinden, um das Allgemeingut Wasser günstig, sau-ber und ohne Aufbereitung jedem zur Verfügung zustellen, jetzt und in Zukunft. Das ist CDU-Politik.Wasser muss sauber bleiben, und das werden wirhinbekommen. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie zum Abschlussnoch eine Frage?

Heiner Rickers [CDU]:

Sehr gern.

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Die Dün-geverordnung des Bundes sieht einen Kata-log von 14 Maßnahmen vor, aus dem sich je-des Bundesland mindestens drei aussuchenmuss. Sie als CDU halten es also für denGrundwasserschutz in Schleswig-Holsteinfür ausreichend, dass die Landesregierung le-diglich drei der 14 möglichen Maßnahmenergreift?

(Oliver Kumbartzky [FDP]: Solange es diedrei richtigen sind!)

- Ja. Sie wissen, dass dieses Verfahren in der Ver-bändeanhörung gewesen ist. Von den vorgegebenen13 Möglichkeiten, das Düngemittelgesetz noch ein-mal zu verschärfen, werden drei ausgesucht. Das istdie Minimalvorgabe. Da gebe ich Ihnen recht. Aber

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2051

(Heiner Rickers)

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die großen Hebel setzen vorher an. Das habe ichversucht, in den beiden Punkten, die ich genannthabe, zu beschreiben. Ob Sie drei, vier oder fünfMaßnahmen wählen, wird am Ende den Kohl nichtfettmachen. Diese drei sind entscheidend und sindin Schleswig-Holstein nach der Anhörung auch sogewählt, dass sie in der Praxis umsetzbar bleiben.Das ist genau der richtige Weg.

(Beifall CDU und FDP - Wortmeldung Kir-sten Eickhoff-Weber [SPD])

- Das können wir beschleunigen. Ich nehme eineFrage noch sehr gern entgegen.

Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Mit Ihrenersten Ausführungen und dem scharfenSchwert war dann offensichtlich die Dünge-verordnung gemeint, die Minister Habeck alsdringend nachbesserungsbedürftig beschrie-ben hat. Ist das richtig?

- Ich kann mich nicht daran erinnern, wann Sie ihnwie zitiert haben.

(Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Im März2017!)

- Im März 2017. Ich habe erwähnt, dass das Gesetzab Juli 2017 gilt. Der 17. März 2017 war vorher.Dazwischen ist im politischen Raum noch viel dis-kutiert und sind dann hoffentlich auch die von Ih-nen geforderten Nachbesserungen umgesetzt wor-den.

(Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Im Märzwar die Bundesratsbefassung, und danach istnicht mehr diskutiert worden! - Okay, dan-ke!)

- Danke.

(Beifall CDU und FDP)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeord-nete Bernd Voß das Wort.

Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Bund hat im letzten Jahr endlich,nach jahrelangem Hinauszögern und wiederholtenApellen und Mahnungen sämtlicher Experten, beimDüngerecht nachgebessert.

Die wissenschaftlichen Beiräte der Bundesregie-rung hatten bereits im August 2013 eine Stellung-nahme vorgelegt. Trotzdem hat es noch fast vier

Jahre gedauert, und das Ergebnis entspricht in vie-len Punkten nicht den wissenschaftlichen Empfeh-lungen. Böse Zungen behaupten, es sei überhauptnur deswegen etwas geschehen, weil die EU im Ok-tober 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren wegender Nichteinhaltung der Nitratrichtlinie angestrengthat. Dieses Verfahren ist im Übrigen noch nicht ab-geschlossen.

Das neue Düngerecht mit der neuen Düngeverord-nung, dem Düngegesetz, der Anlagenverordnungund einigem mehr stellt tatsächlich eine Verbesse-rung dar. Das ist völlig unstrittig. Ob dies aber aus-reicht, darf bezweifelt werden. Das wird die Zu-kunft zeigen. Möglicherweise fällt auch die neueRegelung durch den EU-TÜV.

Wir Grüne haben nach der Verabschiedung gesagt:Nach der Reform ist vor der Reform, trotz der Ver-besserungen. Aufgrund der vielen Einzelfall- undSonderregelungen, die auf Druck der Bundesregie-rung und des Verbandes aufgenommen wurden, istdie Verordnung unnötig kompliziert und bürokra-tisch geworden. Im Grunde hat man versucht, jederSituation entgegenzukommen.

Die wirksame Stoffstrombilanz, die Hoftorbilanz,soll zunächst nur für einen ganz kleinen Teil derBetriebe gelten. Sie ist logischer, exakter und be-kannt. Die Betriebe haben ähnliche Verfahren be-reits in der Vergangenheit sehr erfolgreich ange-wandt. Für die Betriebe bedeuten verschleppte,halbherzige Reformen einen erhöhten Anpassungs-druck. Daher sind letztlich nicht nur der Gewässer-und der Umweltschutz, sondern auch die Betriebedie Leidtragenden dieser bisherigen Halbherzigkei-ten und Unterlassungen.

Das Ansinnen des SPD-Antrags, die Landesregie-rung solle auf eine Änderung des Bundesrechts hin-wirken, finde ich absurd. Erstens gilt dieses Rechtjetzt nun einmal und muss im Land umgesetzt wer-den. Eine Überprüfung der Wirksamkeit kann logi-scherweise erst nach einer gewissen Zeit der An-wendung sinnvoll sein. Zweitens ist der SPD be-kannt, dass Schleswig-Holstein im Bundesrat aufeinige Änderungen gedrungen hat, sich aber damitnicht durchsetzen konnte beziehungsweise derBund die Empfehlungen der Länder in Teilenschlicht ignoriert hat. Drittens ist mir nicht bekannt,dass seitens der SPD auf Bundesebene eine solcheForderung nach Nachbesserung zum jetzigen Zeit-punkt erhoben würde. Ich habe im Koalitionsver-trag der Großen Koalition „herumgeschnüffelt“ -vergeblich.

2052 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Heiner Rickers)

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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, viel-leicht sollten Sie einmal Ihren Einfluss in der Bun-despartei in dieser Sache geltend machen und dieGenossinnen und Genossen in Berlin um Vorlageeines entsprechenden Antrages im Bundestag bit-ten. Sie könnten dabei mit unserer Unterstützungrechnen.

Im Ziel eines bestmöglichen Schutzes unseresGrundwassers sind wir uns wohl völlig einig. Sehrviele der Grundwasserkörper hier in Schleswig-Holstein haben jetzt schon einen zu hohen Nitrat-wert. Wir wissen, dass gerade die Wasserversorgerdie schärfsten Kritiker der Politik sind, die hier inden letzten Jahren und Jahrzehnten gemacht wurde.

Selbstverständlich muss und wird die Landesregie-rung die Düngeverordnung konsequent umsetzen.Dieser Antrag ist nach vielen Beispielen, die es be-reits gegeben hat, ein weiteres Beispiel für den Stil:Die Opposition verlangt von der Regierung, was sieohnehin macht, nur um den Eindruck zu erwecken:Wir machen denen jetzt einmal Beine. Ich finde,das ist billige Rhetorik.

Sie kennen unseren Koalitionsvertrag, in dem wirganz klar gesagt haben, dass wir die Kontrollenkonsequent ausdehnen werden, um die düngerecht-lichen Vorschriften durchzusetzen, dass wir ent-sprechende Schulungen und Fortbildungsprogram-me durchführen werden. Wenn Sie sich einbisschen im Land umschauen - ich erinnere an dengestrigen Abend bei den Geflügelzüchtern -, dannwissen Sie, dass das alles intensiv läuft.

Ich schlage vor, dass wir uns im Ausschuss detail-liert mit der Frage befassen, wie hier im Land dieDüngeverordnung umgesetzt wird, damit auch dieOpposition davon überzeugt werden kann, dass wiruns bereits mitten in der Umsetzung befinden. Viel-leicht erreichen wir dann einen gemeinsamen Be-schluss und vielleicht können wir dann auch Punktebenennen, bei denen wir gemeinsam sagen, es mussnachgebessert werden.

Ich bitte darum, den Antrag in den Ausschuss zuüberweisen, und bin gespannt auf die weiteren Be-ratungen, die wir dort haben werden. - VielenDank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDUund FDP)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Für die FDP-Fraktion erteile ich dem AbgeordnetenOliver Kumbartzky das Wort.

Oliver Kumbartzky [FDP]:

Sehr verehrte, liebe Frau Präsidentin! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Manch einer erinnertsich vielleicht noch dunkel an den Chemieunter-richt in der Schulzeit und an das berühmte Haber-Bosch-Verfahren. Wir haben diesem Verfahren vielzu verdanken. Seit der Erfindung des synthetischenDüngers konnte die Landwirtschaft enorm an Pro-duktivität zulegen. Auf weniger Fläche kann durchZugabe von Nährstoffen mehr wachsen. Es ist un-denkbar, die heutige Weltbevölkerung ohne denEinsatz von Düngemitteln zu ernähren.

(Beifall FDP und CDU)

Allerdings müssen wir auch feststellen, dass ein un-sachgemäßer Düngereinsatz, besonders durch Wirt-schaftsdünger aus der Tierhaltung, ein Problem dar-stellt. Wenn Nährstoffe nicht von den Pflanzen auf-genommen werden können, sondern in die Gewäs-ser ausgewaschen werden, ist das schlecht für dieGewässer und gut für niemanden. Wir müssen dasÖkosystem der Gewässer bewahren und Eutrophie-rung verhindern. Denn wir wollen auch weiterhinFische in unseren Gewässern haben und nicht bloßAlgen.

(Beifall FDP)

Deswegen muss der Düngemitteleinsatz reguliertund reduziert werden. Wir sollten den Düngemitte-leinsatz allerdings nicht unmöglich machen. Es wä-re ein großer Verlust, wenn wir wertvollen Wirt-schaftsdünger, der in den Mastbetrieben entsteht,wie toxischen Abfall behandeln müssten. Die Dün-geverordnung versucht insoweit einen Kompromisszwischen der Notwendigkeit, zu düngen, und demSchutz der Gewässer.

Wir als Freie Demokraten - das ist kein Geheimnis- waren immer skeptisch, ob das anvisierte Ziel mitder vorliegenden Verordnung tatsächlich erreichtwird. Wir haben uns immer für ein praktikables undbewegliches Düngerecht eingesetzt. Ziel sollte esimmer sein, die Verwendung von Wirtschaftsdün-ger in den Regionen zu begünstigen, die bisher aufMineraldünger angewiesen waren. Wenn es mög-lich würde, den unter hohem Energieaufwand er-zeugten synthetischen Mineraldünger durch organi-schen Wirtschaftsdünger aus den Mastviehbetrie-ben zu ersetzen, hätten wir ein Szenario, in demeben alle gewinnen. Damit das möglich werdenkann, müssen aber manche bürokratischen Hürdenfallen.

Das ist aber nur eine Kritik aus dem Katalog derjetzt vom Bund beschlossenen Düngeverordnung.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2053

(Bernd Voß)

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Es wird sich zeigen, ob die Düngeverordnung undalle von ihr abgeleiteten und begleitenden Verord-nungen tatsächlich den selbstgesteckten Zielen ge-recht werden. Aber man muss einer solchen Ver-ordnung, die, wie hier schon erwähnt worden ist,erst relativ frisch in Kraft ist, auch ein bisschen Zeitlassen, damit sie umgesetzt wird; erst dann kannevaluiert werden, wie es dazu gekommen ist.

Wir Freie Demokraten sahen vieles skeptisch, aberwir sind auch dafür, abzuwarten, wie die neuenVorschriften, beispielsweise zur neuen Stoffstrom-bilanzierung, in den einzelnen Betrieben umgesetztwerden können. Wir sind nicht dafür, in diesemAugenblick bei der Düngeverordnung nachzusteu-ern und neue Steuerimpulse zu setzen; das verunsi-chert nur alle Beteiligten. Wir werden deswegenabwarten müssen, was geändert werden muss. Aberdafür wird noch etwas Zeit ins Land gehen. Erfah-rungen müssen gesammelt werden, und eine Evalu-ierung ist - wie gesagt - sinnvoll.

Deswegen sollten wir - anders als es die SPD-Land-tagsfraktion will - den landwirtschaftlichen Betrie-ben Zeit lassen, um sich in die neue Verordnungund die neuen Vorschriften einzuarbeiten.

(Beifall FDP und Hans-Jörn Arp [CDU])

Im Übrigen wird auf Landesebene schon vieles ge-macht. Minister Garg wird dazu sicherlich noch et-was sagen. Aber auch ich kann Ihnen schon sagen,dass Sie sich nicht einbilden sollten, dass Sie unshier irgendwie treiben würden. Nein, wir sind aufeinem sehr guten Weg. Wir haben vereinbart, dassdie Einhaltung der düngerechtlichen Vorschriftenwirksam kontrolliert werden soll. Dazu soll derVollzugsbereich personell gestärkt und effizient ge-staltet werden, um die neuen Anforderungen, diesich aus der Novelle des Düngerechts ergeben, an-gemessen zu erfüllen. Es sollen zudem entsprechen-de Schulungen und Fortbildungsprogramme ange-boten werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Natürlich sindwir für den Schutz der Gewässer. Natürlich wollenwir zunächst abwarten, wo es Verbesserungsbedarfbei der Düngeverordnung gibt, aber noch nicht jetztund holterdiepolter mit der heißen Nadel.

Wir befürworten ebenfalls eine Überweisung desAntrags in den Ausschuss und freuen uns dort aufdie weiteren Diskussionen. - Vielen Dank für dieAufmerksamkeit.

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Für die AfD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Vol-ker Schnurrbusch das Wort.

Volker Schnurrbusch [AfD]:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Verbliebene Gäste! Der vorliegendeAntrag fordert, Grundwasser zu schützen. Werkönnte dem widersprechen? Das ist ein wichtigesZiel, dem auch wir uns als Heimatpartei verpflich-tet fühlen.

Aber ich gebe zu, wir hatten ein wenig Schwierig-keiten, den eigentlichen Kern dieses Antrags zuentdecken. Darin ist etwas nebulös von Möglichkei-ten die Rede, die durch die Bundesverordnung er-öffnet werden. Es wird aber nicht gesagt, welcheMöglichkeiten das sind und welche Maßnahmenumgesetzt werden: drei, vier, fünf oder alle aus demKatalog. Das hätte der Diskussion vielleicht nochetwas mehr gedient.

Die Verordnung befindet sich, wie wir gehört ha-ben, noch in der Umsetzung. Von daher meinenwir, dass dieser Antrag zur falschen Zeit gestelltworden ist.

Vielleicht ist es aber auch so, dass der Kern diesesAntrags darin liegt, dass die SPD-Fraktion die zu-ständigen Behörden in der Personal- und Sachaus-stattung in die Lage versetzen möchte, das schonheute gültige Recht durch die erforderlichen Kon-trollen umzusetzen, wie es in dem Antrag heißt.Auf dem Papier hört sich das gut an, doch in derPraxis bedeutet das erst einmal wieder mehr Büro-kratie und Kontrolle.

Wir meinen, bevor es soweit ist, müsste erst einmaldie Praxis zeigen, wo noch Nachbesserungsbedarfbesteht. Wir sollten zunächst von einem Grundver-trauen in die Landwirte ausgehen und sie nicht un-ter einen Generalverdacht stellen.

Es kann auch nicht nur darum gehen, die im Antraggeforderte Reduzierung der landwirtschaftlichenNährstoffeinträge in Gewässer zu betreiben. In derTat muss die Reduzierung der landwirtschaftlichenNährstoffeinträge verbessert werden. Vor allemaber muss es darum gehen, jegliche Nährstoffein-träge in Gewässer zu reduzieren und dies nicht al-lein den Landwirten anzulasten; denn diese sind janicht nur auf eine umfassende Düngeplanung ange-wiesen, sondern müssen diese Planung auch an au-ßergewöhnliche Ereignisse anpassen, wie zum Bei-spiel an ein langes und nasses Frühjahr.

2054 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Oliver Kumbartzky)

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Auch für die Zuteilung von Prämien und Direktzah-lungen müssen sich Landwirte schon einer Cost-Compliance-Überprüfung stellen. Festgehalten wer-den hier Dinge wie der Flächenbeitrag, das Arznei-mittelbuch, die Düngeplanung und förderungswür-dige Bewirtschaftung. Mir scheint, dass diese Kon-trollen erst einmal ausreichen.

Natürlich dürfen die Landwirte nicht aus ihrer Ver-antwortung entlassen werden. Wir sollten aber ge-meinsam mit ihnen nach Mitteln und Wegen su-chen, der Gewässerbelastung Herr zu werden.

Eine gute Möglichkeit wäre aus unserer Sicht zumBeispiel, entlang nitratbelasteter Gewässer schnellwachsende Weichhölzer, wie Weidenbäume, anzu-pflanzen, die Nitratüberhänge aus dem Gewässerabsorbieren. So wären wir auf der Immissionsseitetätig und hätten zugleich etwas Gutes für die Land-schaft getan.

Auf der Emissionsseite müssen wir an die Lager-problematik denken. Der Gülle-GAU im letztenWinter hat gezeigt, dass in Schleswig-Holstein zugeringe Lagerkapazitäten vorgehalten werden, umdas tatsächliche Düngeaufkommen abzufedern. Daswar auch Thema beim bereits erwähnten Tag desWassers im letzten Monat. Der Gülle-Notstand imNovember 2017 kam zu früh. Wären die Lagerka-pazitäten ausreichend groß gewesen, hätte die ange-fallene Gülle zwischen September 2017 und weitins Jahr 2018 gelagert werden können. ProfessorTaube von der Universität Kiel - der wurde auchschon erwähnt - rechnete aus, dass die Lager nurfür viereinhalb Monate reichten. Sie hätten aberüber sechs Monate vorhalten sollen. Eine Verlänge-rung der Lagerfrist ist also notwendig, und sie wirdja wohl auch kommen.

Meine Damen und Herren, um auf den Kern desAntrags zurückzukommen, den wir vermuten - ichkann es nicht genau sagen, was ich schon ausge-führt habe -: Wir meinen, wir sollten die Verord-nung wirken lassen, und wir meinen, wir solltennicht mit neuen Kontrollen drohen, sondern dieLandwirte erst einmal im Rahmen ihrer Eigenver-antwortung für den Gewässerschutz sorgen lassen.Das ist die Aufgabe einer Landespolitik, die sichfür einen unserer wichtigsten Berufszweige, dieLandwirtschaft, auch wirklich einsetzt.

Wir halten den Antrag der SPD für überflüssig undlehnen ihn daher ab. - Danke.

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, begrüßenSie bitte mit mir auf unserer Besuchertribüne FrauShun Kirishima aus Japan und Herrn Oleg Gera-schenko aus der Ukraine. - Herzlich willkommenim Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich HerrnAbgeordneten Flemming Meyer das Wort.

Flemming Meyer [SSW]:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen,liebe Kollegen! Die Düngeverordnung gilt bundes-weit seit Juni 2017. Die mit der Änderung einherge-henden Verschärfungen sind das Ergebnis einesschwierigen politischen Kompromisses. Damit setztDeutschland nunmehr die EU-Nitratrichtlinie um.Das ist auch gut so, denn über Jahrzehnte ist es derLandwirtschaft in Deutschland nicht gelungen, dieStickstoffüberschüsse ausreichend zu reduzieren.

Es war seinerzeit klar, dass etwas geschehen mus-ste, denn die bisherigen Regelungen waren nichtausreichend, um Gewässer und andere Ökosystemevor Nährstoffeinträgen und Belastungen zu schüt-zen. Vorliegende Messdaten haben seit Langem aufdie Probleme hingewiesen, die mit dem Stickstoff-überschuss und der Auswaschung einhergehen. Dersich daran entzündete Streit zwischen Landwirt-schaft, Politik, Umweltverbänden und Wasserwer-kern um eine schärfere Düngeverordnung lief be-reits seit Jahren. Zudem wurde ein EU-Vertragsver-letzungsverfahren eröffnet, und damit wurde vonaußen Druck gemacht, damit hier endlich etwas ge-ändert werden konnte.

Mir liegt daran, dass wir uns die Historie zur aktu-ellen Düngeverordnung nochmal vor Augen führen,denn die Historie zeigt, dass die Novellierung eineunabdingbare Notwendigkeit war. Trotzdem warsie auch eine politisch schwierige Geburt.

Für uns als SSW war immer wichtig, dass eine Ver-schärfung an verschiedenen Punkten ansetzenmuss, um das Grund- und Oberflächenwasser bes-ser zu schützen. Die Überschüsse müssen reduziertwerden. Dafür müssen wir die Stickstoffabgabe be-grenzen. Aber auch die technischen Voraussetzun-gen zur Ausbringung und Einarbeitung sind zu ver-bessern.

Ich sehe aber auch, dass die Landwirtschaft durchdie Düngeverordnung vor großen Herausforderun-gen steht, bei denen wir sie nicht allein im Regenstehen lassen dürfen. Nichtsdestotrotz sehe ich uns

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2055

(Volker Schnurrbusch)

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mit der aktuellen Düngeverordnung auf einem rich-tigen Weg, um die Ziele zu erreichen. Ob es dannausreicht, kann man anzweifeln. Hierfür brauchenaber aussagekräftige Zahlen. Das ist klar.

So sehe ich auch den ersten Absatz im SPD-Antrag.Ohne eine Evaluierung der Maßnahmen können wirkeine Rückschlüsse ziehen. Das sollten wir alsovoranstellen, bevor wir über eine weitere Verschär-fung reden. Nachbesserungen dürfen auf keinenFall außer Acht gelassen werden, aber lasst uns ersteinmal sehen, wo wir mit dem landen, was wir jetzthaben.

(Beifall Heiner Rickers [CDU] und OliverKumbartzky [FDP])

Wie gesagt, wir brauchen Untersuchungen, um ent-sprechende Rückschlüsse ziehen zu können. Diesmuss dann auch über einen längeren Zeitraum ge-schehen. Nur so bekommen wir verlässliche Zah-len, die uns dann auch wirklich weiterbringen. Dassage ich auch und gerade vor dem Hintergrund derProblematik, vor der die Landwirte in den letztenMonaten in Bezug auf die Ausbringung der Güllegestanden haben. Hier könnte ich mir durchaus vor-stellen, dass aktuelle Zahlen diesbezüglich nichtwirklich aussagekräftig sind.

Bevor wir also Nachbesserungen fordern, solltenwir uns im Ausschuss näher mit dem Thema befas-sen. Wir müssen uns dort fragen: Haben wir derzeitbelastbare Zahlen, die Rückschlüsse zulassen, obdie Düngeverordnung in ihrer jetzigen Form unzu-reichend ist, um den Gewässerschutz zu gewähr-leisten oder ob es an fehlenden Kontrollen oder feh-lenden Kontrollmöglichkeiten liegt. Wenn wir aberbelastbare Aussagen über die Effizienz der Dünge-verordnung haben wollen, geht das natürlich nur,wenn das Land die dafür notwendigen Personal-und Sachausstattungen vorhält. Auch diesen Teildes SPD-Antrags kann ich voll und ganz unterstüt-zen. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat Frau Abgeord-nete Sandra Redmann.

Sandra Redmann [SPD]:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nur um mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass wirjetzt erst den Antrag gestellt hätten: Bereits Ende2016 haben wir einen Antrag zur Düngeverordnung

vorgelegt. Auch da haben wir das diskutiert. Es istalso nichts Neues, was wir hier vorstellen. Es mussauch niemand vor Überraschung vom Stuhl fallen.

Warum bringen wir ausgerechnet jetzt diesenPunkt? - Das kann ich Ihnen sagen: weil es eineFachveranstaltung des Landes Schleswig-Holsteingab, zu der im Übrigen der Minister eingeladen hat.Wenn Fachveranstaltungen des Ministers und derzuständigen Leute, die da referieren, so uninteres-sant für Sie sind, dass man daraus nichts lernt, istdas in Ordnung. Für uns war es anders, wir habenVorträge gehört, die uns durchaus mit dem einenoder anderen Aspekt zum Nachdenken gebracht ha-ben. Wir haben neue Zahlen von der CAU gehörtund einen Vortrag von Herrn Taube, den ich so indieser Form - das muss ich gestehen - noch nie ge-hört habe. Der hat nämlich davor gewarnt, was hierin der nächsten Zeit nicht nur auf Bundesebene,sondern in Schleswig-Holstein passieren wird.

Dann kommt dazu - von Ihnen überhaupt gar nichterwähnt, es wird verschwiegen, als spielte das ir-gendwie gar keine Rolle -, dass Minister Habeckjetzt den Entwurf einer Landesdüngeverordnungpräsentiert, die sich in der Anhörung befindet undzu der es auch schon öffentliche Stellungnahmengibt - im Übrigen fast alle sehr, sehr kritisch. Dar-auf beziehen wir uns und stellen einen Antrag. Wirhaben gar kein Problem damit, das mit Ihnen ge-meinsam im Ausschuss zu diskutieren. Wir stelleneinen Antrag, um die Punkte noch einmal herauszu-greifen, von denen wir meinen, dass sie nicht aus-reichen. Ich verstehe also die Aufregung ehrlich ge-sagt gar nicht.

(Zurufe Hans-Jörn Arp [CDU] und OliverKumbartzky [FDP])

- Das ist ja schön.

Mich ärgert dann aber, lieber Herr Voß - ich wolltenicht den Vornamen nutzen -, dass man sich hierhinstellt und bei jedem Antrag, den die SPD-Land-tagsfraktion stellt, die Große Koalition erwähnt.Noch - so dachte ich eigentlich - sind wir hier imSchleswig-Holsteinischen Landtag, und noch ist esunsere Aufgabe als Landtagsfraktionen, Anträge zuformulieren und zu stellen, die uns hier betreffen.Das ist unser Job, den machen wir hier. Was wirdann auf Bundesebene kritisieren oder nicht kriti-sieren, daraus kann man uns - so glaube ich - kei-nen Vorwurf machen.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Uns auch nicht!)

Wir haben mit diesem Antrag gerade gezeigt, dasswir auch der Großen Koalition sagen: Das reicht

2056 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Flemming Meyer)

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nicht aus, was ihr da auf den Weg gebracht habt.Sich dann aber hinzustellen, das zu kritisieren unddann in eigener Verantwortung eine Landesdünge-verordnung zu präsentieren, die noch schlechter istals das, was die Große Koalition abliefert - da mussich ehrlich sagen, dass ich mich dafür schämenwürde.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Das Wort für die Landesregierung hat der Ministerfür Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Se-nioren, Dr. Heiner Garg.

Dr. Heiner Garg, Minister für Soziales, Gesund-heit, Jugend, Familie und Senioren:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Frau Kollegin Redmann, vielleichtvorweg: Nun bin ich nicht Agrar- und Umweltex-perte und auch nicht Agrar- und Umweltminister,aber wir wissen alle: Wenn ein Verordnungsent-wurf in die Verbändeanhörung geht, dann ist dasein erster Entwurf. Dazu gibt es Stellungnahmen.Dann wird darüber beraten. Jetzt schon den Stabüber eine Verordnung zu brechen, die noch nichteinmal im parlamentarischen Verfahren ist bezie-hungsweise die noch nicht einmal diskutiert wurde- das kann man so machen, aber das muss mannicht so machen. Jetzt schauen wir erst einmal, wasganz am Ende dabei herauskommt. Ich finde, daswäre ein faires Angebot.

(Beifall FDP und CDU)

Wir sind uns vermutlich fraktionsübergreifend dar-in einig, dass der Schutz des Grundwassers, ausdem bekanntermaßen zu 100 % unser Trinkwassergewonnen wird, von elementarer Bedeutung ist.Dass wir regional unterschiedlich und insbesondereauf der Geest ein Problem mit Nitrateinträgen indas Grundwasser haben, ist ebenso bekannt. So sind23 von insgesamt 55 Grundwasserkörpern im Landwegen zu hoher Nitratbelastung in einem schlech-ten chemischen Zustand.

Eine ganz wesentliche Ursache für die Gewässerbe-lastung ist in der landwirtschaftlichen Bodennut-zung und der vielerorts zu hohen Düngung zu su-chen. Ausweislich der im Nährstoffbericht der Uni-versität Kiel aufgeführten Fakten haben wir keinErkenntnis-, sondern ein massives Umsetzungspro-blem. Im letzten Jahr wurde unter dem Druck desVertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH na-hezu das gesamte Düngerecht, im Konkreten das

Düngegesetz, die Düngeverordnung, die Anlagen-verordnung und die Stoffstrombilanzverordnungüberarbeitet beziehungsweise neu konzipiert. Obdie darin getroffenen Maßnahmen ausreichen, darfbezweifelt werden.

Da das Düngerecht aber zum großen Teil Bundes-recht ist, hat der Bundesrat nach Verabschiedungdes benannten Düngepakets in einer Entschließungam 24. November 2017 die Bundesregierung gebe-ten, die ursprünglich nur für die Stoffstrombilanz-verordnung vorgesehene Evaluierung auch auf dieanderen düngerechtlichen Regelungen auszudehnenund bis zum Dezember 2021 die gewonnenen Er-kenntnisse vorzulegen. Die Landesregierung hättesich einen früheren Termin gewünscht, der waraber nicht umsetzbar. Eine Beschleunigung ist jetztallenfalls noch zu erwarten, wenn der EuGH in sei-nem für die erste Jahreshälfte 2018 anvisierten Ur-teil gegen Deutschland entscheidet und im Lichtedieser Erkenntnisse eine nochmalige zeitnahe Ver-schärfung der düngerechtlichen Regelungen kom-men müsste.

Die Bedeutung eines nachhaltigen und ressour-ceneffizienten Umgangs mit Nährstoffen im land-wirtschaftlichen Betrieb und auf seinen Flächen istunumgänglich und muss dabei die Marschroutesein. Die neuen gesetzlichen Regelungen bringenfür die Landwirte, aber auch für den Vollzug um-fangreiche neue Aufgaben mit sich und bedeuteneinen bürokratischen Mehraufwand. Bei der Bewäl-tigung dieser Aufgabe wird uns hoffentlich die Di-gitalisierung weiterhelfen. Bleibt zu hoffen, dassdiesem bürokratischen Aufwand auch deutliche Er-folge im Bereich des Gewässerschutzes gegen-überstehen und nicht nur Papiertiger produziertwerden.

Aber auch die Länder haben ihre Hausaufgaben zumachen. So steht, Frau Kollegin Redmann, die Um-setzung der in § 13 der Düngeverordnung den Län-dern übertragene Ausweisung der sogenannten ge-fährdeten Gebiete für Stickstoff und Phosphat eben-so auf der Agenda wie die Umsetzung der in diesenGebieten notwendigen zusätzlichen und über dieallgemeinen Anforderungen der Düngeverordnunghinausgehenden Maßnahmen. Schleswig-Holsteinhat als erstes Bundesland eine solche Landesver-ordnung entworfen. Die Verbändeanhörung ist ab-geschlossen. Nun wird das zuständige Ministeriumdie Stellungnahmen der Landwirtschaft und Um-weltverbände auswerten, und wir werden nach jet-zigem Stand im Juni dieses Jahres die Verordnungim Kabinett beschließen.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2057

(Sandra Redmann)

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Natürlich gehören zu einer Umsetzung auch die fi-nanzielle und die personelle Ausstattung der Voll-zugs- und Beratungseinrichtungen. Den Beratungs-bereich haben wir im Rahmen der Umsetzung derWasserrahmenrichtlinie und der zusätzlichen Ge-wässerschutzberatung in den sensiblen Gebieten inden letzten Jahren ganz erheblich aufgestockt undwerden dieses für die P-Gebiete nochmals tun.

Bezüglich der Vollzugsaufgaben hat sich die Jamai-ka-Koalition darauf verständigt, das Personal zuverstärken. Hier laufen die Vorbereitungen. DieStellenausschreibungen für die ersten neuen Kräftesind bereits in der Vorbereitung. - Ich bedankemich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Der Herr Minister hat die vorgesehene Redezeit un-terschritten -

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN - Zurufe)

um 1 Minute. Weitere Wortmeldungen liegen nichtvor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag, Drucksache19/675, dem Umwelt- und Agrarausschuss zu über-weisen. Wer so beschließen will, den bitte ich umdas Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Dann ist der Antrag mit den Stimmen von SPD,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und derCDU gegen die Stimmen der Fraktion der AfD an-genommen worden.

(Zuruf: Überwiesen!)

- In den Ausschuss überwiesen, Entschuldigung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Schulgesetzes

Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSWDrucksache 19/670

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dasist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatungund erteile der Frau Abgeordneten, Jette Waldin-ger-Thiering, vom SSW das Wort.

Jette Waldinger-Thiering [SSW]:

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Alle Kinder haben das

Recht auf gute Bildung und auf ein selbstbestimm-tes Leben. Ich denke, hier sind wir uns grundsätz-lich einig: Bildung ist der Schlüssel, wenn es darumgeht, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.Ein regulärer Abschluss ist sehr oft der Schlüssel zueinem wirklich würdevollen Leben. Nicht zuletztdeshalb ist das Recht auf Bildung in unserer Lan-desverfassung verankert. Ich sehe es als unsere kla-re Pflicht an, sicherzustellen, dass alle Kinder undJugendlichen im Land zu diesem Recht auf Bildungkommen - ohne Wenn und Aber und ohne Ausnah-men. Deshalb haben wir die vorliegende Auswei-tung der Schulpflicht über eine Änderung desSchulgesetzes eingebracht.

Die besondere Situation von Kindern und Jugendli-chen, die in Erziehungshilfeeinrichtungen leben, hatvermutlich alle Anwesenden beschäftigt. Sie war janicht nur hier im Plenum, sondern auch im Untersu-chungsausschuss zu den Friesenhof-Heimen oderam Runden Tisch „Heimerziehung“ Thema. Ausguten Gründen ging es hier um mehr als um dieFrage nach dem Zugang zu Bildung. Doch beschäf-tigt mich und meine Partei seit Längerem, wie wirdie Situation von Heimkindern verbessern können -ganz konkret durch gute Bildung oder einen gelun-genen Übergang in eine Ausbildung.

Es gibt so einige Baustellen im Bereich der Heim-erziehung, aber auch mit Blick auf die Beschulungist klar, dass längst nicht alles reibungslos läuft.Zwar ist es ungemein schwierig - -

(Die Mikrofonanlage fällt kurz aus - Zurufe)

- Halt, die Uhr anhalten!

(Heiterkeit)

Es ist zwar ungemein schwierig, an genaue Zahlenzu kommen, aber laut Kinderschutzbund und einerReihe anderer Experten werden zumindest nicht al-le Kinder und Jugendliche aus Heimen beschult.Bei uns sind rund 3.000 junge Menschen aus ande-ren Bundesländern untergebracht. Höchstens 5 %von ihnen kommen nach Schätzungen nicht zu ih-rem vollen Recht auf Bildung - und zwar deshalb,weil unser Schulgesetz für sie nur eine Kann-Be-stimmung vorsieht. Auch wenn sie hier schon Jahreleben, können sie eine öffentliche Schule besuchen,können aber auch anderweitig beschult werden. Dafür sie keine Schulpflicht besteht, werden sie auchnicht gezählt. Verschiedene Landesregierungen mö-gen also den subjektiven Eindruck haben, dass regevon dieser Kann-Regelung Gebrauch gemacht wer-de. Genauer weiß oder wusste es allerdings keiner.

2058 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Minister Dr. Heiner Garg)

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Unabhängig von der Zahl der betroffenen Kinderund Jugendlichen hat die Gesetzeslage jedenfallsfolgende praktische Auswirkung: Einige Schulennehmen diese sogenannten auswärtigen Kinder undJugendlichen nach einer Einzelfallprüfung in denRegelunterricht auf. Andere nehmen sie auf, be-schulen aber auf einer Minimalbasis oder erwartenim Übrigen eine Beschulung im Heim. Wieder an-dere nehmen generell keine Heimkinder auf, ob-wohl diese in ihrem Bezirk leben. Die Heimleitungmuss also versuchen, den Beweis dafür zu erbrin-gen, dass ein Kind problemlos genug ist, um frei-willig von der Schule aufgenommen zu werden.

Ehrlich gesagt sind solche Zustände nicht nur ausbildungs- und sozialpolitischer Sicht inakzeptabel.Wir meinen, dass das Land hier dringend Klarheitschaffen muss. Zum einen mag eine heiminterneBeschulung zwar nicht per se schlecht sein, in vie-len Fällen aber führt sie eben nicht zu einem ver-gleichbaren Abschluss. Zum anderen ist die Frageder Regelbeschulung auch eine Frage der Teilhabeam gesellschaftlichen Leben. Der Zugang zur öf-fentlichen Schule bedeutet auch gesellschaftlichenAnschluss. Diese Form der Teilhabe sollten sichKinder und Jugendliche aus Heimen nicht auchnoch erkämpfen müssen, sie haben es häufigschwer genug.

Ich wiederhole mich gern und weise ausdrücklichdarauf hin: Alle Menschen in unserem Land habenein Recht auf Bildung. Kein Kind und kein Jugend-licher darf daher vom Besuch einer öffentlichenSchule ausgeschlossen werden.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

In Einzelfällen mag es natürlich Gründe geben, diegegen einen regulären Schulbesuch sprechen.Grundsätzlich aber müssen alle im schulpflichtigenAlter, die bei uns leben, schulpflichtig sein. Hier-durch hätten wirklich alle Menschen im weiterenBildungs- und Lebensverlauf annähernd gleicheChancen, und das muss in unserem Interesse sein. -Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, würde ichIhnen gern ein paar Hintergrundinformationen zuunserem Besuch auf der Tribüne geben. Herr ShunKirishima aus Japan ist Journalist und hat in undüber Fukushima und die Folgen berichtet und gear-

beitet. Herr Oleg Geraschenko war Liqudator inTschernobyl. Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stif-tung Schleswig-Holstein sind beide aus Anlass desReaktorunfalls in Tschernobyl vor 32 Jahren hier.

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erteile ich nun dem HerrnAbgeordneten Tobias Loose das Wort.

Tobias Loose [CDU]:

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehr-te Damen und Herren! Wir freuen uns über den Be-such aus fernen Ländern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst einmal möch-te ich mich beim SSW für das Engagement für dieSchulpflicht in Schleswig-Holstein herzlich bedan-ken. Jette Waldinger-Thiering hat es eben schon ge-sagt: Wir sind uns alle einig, dass Bildung derSchlüssel für gesellschaftliche Teilhabe und einselbstbestimmtes Leben ist.

Ich muss selbst sagen, dass ich mich in Vorberei-tung auf die Rede mit dem Thema Schulpflicht et-was beschäftigt habe. Schulpflicht ist in der Tat ei-ne deutsche Erfindung, die es schon viele Jahrhun-derte gibt und die auf das 16. Jahrhundert zurück-geht. In Deutschland ist sie seit 1919 vereinheit-licht. Wir haben in Deutschland eine echte Schul-pflicht. Das ist keine Selbstverständlichkeit, in an-deren Ländern gibt es eine Unterrichts- oder Bil-dungspflicht. Das ist am Ende in der Qualität schonein Unterschied.

Aber zurück zum Gesetzentwurf des SSW. Wir ha-ben meines Wissens ungefähr 800 Kinder und Ju-gendliche in Schleswig-Holstein, die von dieserFrage betroffen sind. Sie kommen nicht aus Schles-wig-Holstein, leben aber als Heimkinder in Schles-wig-Holstein. Wir haben in der Tat hier im Schles-wig-Holsteinischen Landtag dieses Thema nichtzum ersten Mal diskutiert. Ich habe Kleine Anfra-gen von Anita Klahn und Heike Franzen gefunden.Insbesondere hat auch der Runde Tisch „Heimer-ziehung“ sich sehr intensiv mit diesem Thema aus-einandergesetzt.

Ein Ergebnis dieses Runden Tisches ist ein Erlass,auf den ich hier insbesondere hinweisen möchte:„Schulische Integration von Kindern und Jugendli-chen in Erziehungshilfeeinrichtungen“. - Es ist einsehr junger Erlass, der aus den Aktivitäten der Vor-gängerregierung und des Vorgängerparlaments her-vorgeht. Hier heißt es:

„Es gehört zu den Pflichten des Trägers einerEinrichtung, in der Hilfe zur Erziehung

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2059

(Jette Waldinger-Thiering)

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durchgeführt wird, den Schulbesuch der beiihm aufgenommenen Kinder und Jugendli-chen sicherzustellen.“

Ich finde es schon sehr wichtig, hier zu erwähnen,dass wir eine Rechtssituation haben, bei der ein Er-lass gerade für diese hier angesprochenen Kinderklarstellt, dass eine Beschulung sicherzustellen ist.Ich finde daher nicht, dass eine Regelungslückebesteht und wir zwingend eine Änderung im Schul-gesetz brauchen.

Es gibt ein viel entscheidenderes Thema bei derKlientel, über die wir sprechen. Es ist nämlich ei-gentlich nicht die Frage der Schulpflicht, die wirhier diskutieren sollten, sondern bei den Betroffe-nen ist die Frage der Beschulbarkeit viel wichtiger.Das ist aus meiner Sicht auch der entscheidendeAnsatz. Ich hatte ja schon eine Kleine Anfrage an-gesprochen. Die Abgeordnete Heike Franzen hattegenau diese Thematik aufgeschlüsselt und als Ant-wort vom damaligen Bildungsministerium bekom-men:

„Wenn diese jungen Menschen noch nichtam Unterricht teilnehmen, so geschieht diesregelmäßig im Rahmen einer Übergangspha-se, innerhalb derer sie auf den Schulbesuchvorbereitet werden. Die betroffenen Kinderund Jugendlichen haben oft massive Störun-gen im emotional-sozialen Bereich, sind Op-fer von Gewalt geworden oder haben Alko-hol- und Drogenprobleme.“

Ich will das so deutlich ansprechen, dass die Pro-bleme, über die wir reden, für die Betroffenen exi-stentieller Natur sind. Deshalb ist die Schulpflichtvielleicht gar nicht das, was für uns im Mittelpunktstehen sollte. Das heißt nicht, dass diese Kindernicht auch zur Schule gehen sollen. Ich hatte jadargestellt, dass ein Erlass das entsprechend regelt.Man muss aber überlegen, ob das am Ende für denBetroffenen eine sinnvolle Maßnahme ist.

Wir werden das Thema ja im Bildungsausschussnoch einmal aufgreifen. Das ist das Schöne an Ge-setzentwürfen, dass wir uns damit dann intensiverbeschäftigen. Aktuell - ich habe es dargelegt - kannich nicht erkennen, dass das Schulgesetz am Ende,wenn wir es so ändern, dann bei dieser Problematikwirklich hilft. Ich finde, man hat nach einem langenDiskussionsprozess über diesen Erlass - der ist et-was länger; wer es mag, kann sich damit auch in-tensiver befassen - deutlich gemacht, dass man sichum diese Kinder intensiv kümmern möchte. In die-sem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive Dis-

kussion im Schulausschuss und danke an dieserStelle für die Aufmerksamkeit. - Danke.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Wir haben einen weiteren Gast auf der Tribüne,Herrn Kay Gottschalk, Mitglied der AfD-Fraktionim Bundestag.

(Beifall AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordne-ten Kai Vogel das Wort.

Kai Vogel [SPD]:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Werte Gäste! Der Vorschlag, dender SSW heute mit seinem Gesetzentwurf vorlegt,ist nicht neu, aber richtig.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut! - Anita Klahn[FDP]: Ja!)

Bereits bei der Vorbereitung der großen Schulge-setznovelle von 2014 hatte die LAG der freienWohlfahrtsverbände angeregt, die Formulierung in§ 20 Absatz 1 Satz 2, wonach gilt: ,,Andere Kinderund Jugendliche, die in einem Heim, einer Famili-enpflegestelle, einem Internat oder einem Kranken-haus untergebracht sind, können öffentlicheSchulen im Lande besuchen“", dahin gehend zu än-dern, dass aus der Kann-Vorschrift eine Muss-Vor-schrift wird.

Das hört sich zunächst einmal nachvollziehbar an,weil sicher unstrittig ist, dass es keine Gruppen vonKindern geben darf, für die die Schulpflicht nichtgilt. Ebenso darf es keine Regelungslücken geben,die dazu führen, dass ein rein theoretischer An-spruch auf Beschulung nicht umgesetzt werdenkann.

Ich entsinne mich noch genau, dass wir uns bei denBeratungen der Bildungspolitiker der damaligenKüstenkoalition die Entscheidung nicht leicht ge-macht haben, der Anregung der LAG nicht zu fol-gen. Auch die Befassung mit den Sachverhalten umden Friesenhof führte uns erneut zu diesem Thema.Das Bildungsministerium hat uns damals überzeu-gend dargelegt - so fand ich -, dass eine entspre-chende Änderung des Schulgesetzes zum einen nurden finanziellen Interessen der Bundesländer die-nen würde, aus denen die fraglichen Heimkinderkommen, zugleich aber Probleme aufwerfen wür-den, weil eine erste Beschulung im Heim selbernicht mehr möglich wäre.

2060 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Tobias Loose)

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Das Bildungsministerium hat im Oktober 2017einen Erlass herausgegeben, der einiges an Rechts-sicherheit schafft, indem er den Anspruch des Kin-des auf Unterricht in den Mittelpunkt stellt. DerSchulbesuch soll die Regel, die Vorbereitung aufden Schulbesuch innerhalb der Erziehungshilfeein-richtung soll die Ausnahme sein. Die Frage ist nun,ob weiterer Regelungsbedarf auf der gesetzlichenEbene besteht, wie es der Kinderschutzbund vor ei-nigen Tagen gefordert hat. Diese Frage kann ichheute noch nicht beantworten. Es ist aus unsererSicht deshalb unerlässlich, dass wir im Ausschussüber die Folgen einer solchen Gesetzesänderungberaten.

Dazu sollte uns das Bildungsministerium einenmöglichst genauen Überblick über folgende Fragengeben: Wie viele Kinder und Jugendliche ausSchleswig-Holstein und aus anderen Bundesländernleben in Heimen, in Internaten, in Krankenhäusernoder in Familienpflegestellen in unserem Land? Inwelcher Form wird ihr Anspruch auf Schulunter-richt umgesetzt? Darüber hinaus müsste das Minis-terium darlegen, ob die 2013 erhobenen Bedenkenheute nach wie vor gültig sind.

Wir müssen uns natürlich mit der Frage auseinan-dersetzen, wie wahrscheinlich es ist, dass andereBundesländer in verstärktem Maße ihre schwieri-gen Minderjährigen in Institutionen nach Schles-wig-Holstein abschieben und unser Land mit denKosten dann alleinlassen. Sollte dies in größeremUmfang zu erwarten sein, muss geprüft werden, obeine Verwaltungsvereinbarung im Sinne eines Gast-schulabkommens zwischen den beteiligten Bundes-ländern die Ressourcenfrage im Sinne eines gerech-ten Ausgleiches klären kann.

Der Antrag des SSW wirft aus unserer Sicht vieleFragen auf, die wir dringend klären sollten. Ich bit-te darum - was bei einem Gesetzentwurf ja ohnehinselbstverständlich ist -, dass wir ihn zur Beratungund zur Anhörung dem Bildungsausschuss über-weisen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich derAbgeordneten Ines Strehlau das Wort.

Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Gesetzeslage ist von meinen Vorrednerinnenund Vorrednern ausführlich dargestellt worden. Das

Recht auf Bildung ist ein hohes Gut. Es steht zuRecht in unserer Landesverfassung. Dazu gehörtnatürlich auch der Schulbesuch - auch für Kinderund Jugendliche, die unabhängig von ihren Famili-en wohnen. Da sind wir uns mit dem SSW einig.

Die Situation dieser Kinder und Jugendlichen istnicht einfach. Bis ein Kind aus einer Familie her-ausgenommen wird, muss ganz schön viel Belas-tendes vorgefallen sein. Und das will erst einmalverkraftet werden. Außerdem gibt es Problemati-ken, zum Beispiel Alkohol- oder Drogenprobleme,die bewältigt werden müssen. Da kann es einigeZeit dauern, bis diese Menschen wieder in der Lagesind, sich auf das Lernen in einer Schulklasse ein-zulassen. Deshalb gibt es aus meiner Sicht Situatio-nen, in denen die Schülerinnen und Schüler ersteinmal in der Jugendeinrichtung ,,anderweitigenSchulunterricht“ - wie es heißt - oder eine ,,beson-dere pädagogische Förderung“ bekommen, die eineWiedereingliederung in die Schule möglich ma-chen. Das muss aber die Ausnahme sein, und das istes auch - jedenfalls soweit ich die Papierlage sehe.

An den Schulen sind diese Schülerinnen und Schü-ler mit zumeist vielen negativen Lebenserfahrungenvielfach eine große Herausforderung für die Lehr-kräfte. Deshalb gab es leider auch Ablehnungendurch Schulen, weil sie sagen, dass sie mit der re-gulären Ausstattung mit Lehrkräften, Schulsozialar-beit und zum Teil Schulassistenz diesen Kindernund Jugendlichen nicht gerecht werden können.Deshalb ist es richtig, bei der Ausgestaltung desBildungsbonus, der ja ab 2019 kommt, die Schulenmit vielen Kindern und Jugendlichen aus Heimenoder Familienpflegestellen einzubeziehen, damit al-le Schulen so unterstützt werden, dass auch dieseKinder individuell gefördert und unterstützt werdenkönnen.

Der Fall Friesenhof hat gezeigt, dass die Situationdort schrecklich war. Das Heim war nicht in derLage, die schulische Begleitung adäquat zu leisten.Deshalb war es richtig, dass der Umgang mit demSchulbesuch von jungen Menschen in Erziehungs-hilfeeinrichtungen mit Wohnsitz außerhalb Schles-wig-Holsteins und natürlich auch innerhalb Schles-wig-Holsteins durch einen Erlass des Bildungsmini-steriums im Oktober 2017 standardisiert wurde.Das war richtig, weil dort klare Verfahrensweisenfestgelegt werden. Da wird klargestellt, dass Vor-aussetzung zur Erteilung der Betriebserlaubnis ei-ner Erziehungshilfeeinrichtung die Vorlage einesKonzeptes ist, wie anderweitiger Unterricht oder ei-ne besondere pädagogische Förderung stattfindensollen. Wichtig ist auch, dass im Erlass noch einmal

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2061

(Kai Vogel)

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klargestellt wird, dass Kinder und Jugendlichegrundsätzlich einen Anspruch auf den Besuch eineröffentlichen Schule haben. Eine Schule muss siegrundsätzlich aufnehmen, wenn sie Kapazitäten hat.Bei Ablehnung muss das Schulamt einen anderenSchulplatz nachweisen.

Der Regelfall ist nach dem Erlass der umgehendeBesuch einer Schule. Das finden wir richtig, auchweil die Integration in die Gemeinde und in dieSchulgemeinschaft vor Ort immens wichtig für einepositive persönliche Entwicklung ist. So sieht esauch der Kinderschutzbund.

Die Gesetzeslage und der Erlass scheinen für michgute Rahmenbedingungen für die Beschulung undFörderung von Heimkindern zu sein. Schulbesuchist der Regelfall, anderweitiger Schulbesuch dieAusnahme und zeitlich begrenzt. Wir sollten aberden Gesetzentwurf im Ausschuss ausführlich bera-ten und uns aus der Praxis berichten lassen, auchdarüber, ob sich die Situation durch den Erlass2017 verändert hat.

Wichtig ist, die Kinder und Jugendlichen in denMittelpunkt zu stellen und für sie die möglichst op-timale Lösung zu finden. Deshalb freue ich michauf die Beratung im Ausschuss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDUund FDP)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete AnitaKlahn das Wort.

Anita Klahn [FDP]:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Auch wir finden den Gesetzentwurfdes SSW sehr gut, denn die Idee dahinter ist ja rich-tig.

(Beifall SSW)

Alle Kinder in Schleswig-Holstein, die hier leben,sollen zur Schule gehen können. Ich will an dieserStelle nicht lange darüber sprechen, wie wichtig dieprofunde Schulausbildung für den Berufsweg, dieeigene Selbstständigkeit ist. Da sind wir uns hier ei-nig, wie ich vernommen habe.

Das Thema Beschulung von Heimkindern war be-reits in der letzten Wahlperiode auch in meinerFraktion Thema, untermauert durch die Erkenntnis-se aus dem PUA „Friesenhof“ sowie des RundenTisches „Heimerziehung“. Auch durch die Tatsa-che, dass in Schleswig-Holstein relativ viele Ein-

richtungen für Kinder und Jugendliche sind und wirviele Mutter-Kind-Kur-Einrichtungen haben, ist dasThema von großer Bedeutung.

Tobias Loose hat es schon erwähnt: Ich habe 2012im Bildungsministerium nachgefragt, wie die Be-schulung für diese Gruppen sichergestellt wird undob alle Kinder, die schulpflichtig sind, in Schles-wig-Holstein aber nicht gemeldet und in Heimenuntergebracht sind, Unterricht bekommen. DasMinisterium sagte damals, das sei in der Regel derFall. Es gebe aber auch Absprachen zwischen Er-ziehungseinrichtungen und der zuständigen Schul-aufsichtsbehörde, um in Ausnahmefällen eineheiminterne Beschulung oder Fördermaßnahme zurWiedereingliederung in die Schule zu ermöglichen.

Nur in besonderen Fällen, hieß es, würden Kinderund Jugendliche, die ihren Wohnsitz woanders ha-ben, nicht unterrichtet. Uns ist klar, dass geradeKinder und Jugendliche, die in der stationärenHeimunterbringung sind, eine ganz eigene Ent-wicklungsbiografie haben und nicht in jedem Fallunmittelbar in eine Regelbeschulung können, wennsie hier nach Schleswig-Holstein kommen. Oftmalsliegen Schulverweigerungsproblematiken vor, de-ren Ursachen geklärt werden müssen. Einige Bildersind hier schon gezeichnet worden. Im Fall derMutter-Kind-Kur-Einrichtungen sind es oftmals nurkurze Zeitfenster, bei denen man aus der Sicht desKindes entscheiden muss, ob es nicht doch sinnvollist, dass das Kind in der internen Einrichtung derMutter-Kind-Kur-Einrichtung beschult wird undden bestmöglichen Lernerfolg erzielt, um bei Rück-kehr in die Heimatstadt direkt anschließen zu kön-nen.

Als Ergebnis des Runden Tisches - das ist hier ge-sagt worden - gab es dann den Erlass vom 20. Ok-tober 2017, mit dem gleiche Verfahrensstandardszur Beschulung jedes Kinds und jedes Jugendlichenin Erziehungshilfeeinrichtungen geschaffen wur-den. In dem Erlass wird auf den Anspruch zum Be-such einer öffentlichen Schule hingewiesen. Es gibtalso die ausdrückliche Pflicht des Trägers der Ein-richtung, einen Schulbesuch sicherzustellen - fürKinder aus Schleswig-Holstein genauso wie fürKinder aus anderen Bundesländern. Schulen müs-sen ein Heimkind aufnehmen, wenn ein freier Platzvorhanden ist.

In diesem Erlass wird ebenfalls deutlich, dass derHeimträger dafür Sorge zu tragen hat, dass Kinderund Jugendliche, die eben noch nicht reif für denSchulbesuch sind, die Förderung bekommen, dienötig ist, damit sie möglichst schnell am Regelun-terricht teilnehmen können.

2062 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Ines Strehlau)

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Eine andere Abfrage hat im Übrigen ergeben, dassin Schleswig-Holstein 433 Kinder und Jugendlicheleben, die schulpflichtig sind und genau solchensonderpädagogischen Förderbedarf haben. Wirsprechen also von nicht wenigen Jugendlichen undKindern, sondern, wie ich finde, einer ziemlichprägnanten Zahl. Das macht deutlich, vor welchenHerausforderungen wir im Bereich der sonderpäd-agogischen Förderung in Schleswig-Holstein ste-hen. Die Einigung der Jamaika-Koalition, in dennächsten Jahren 490 neue Stellen für Sonderpäd-agogen zu schaffen, war daher dringend geboten.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Die Rechtslage erscheint eindeutig. SchulpflichtigeHeimkinder, die keinen Wohnsitz in Schleswig-Holstein haben, sollen den Buchstaben der Gesetzeund Erlasse folgend eine Schulausbildung bekom-men oder zumindest eine Förderung, die sie dazubefähigt. Da die Schulen in der Praxis aus verschie-densten Gründen sehr unterschiedlich damit umge-hen, befürworte ich die weitere Diskussion im Bil-dungsausschuss, auch die Diskussion über die Fra-ge, ob wir eine Schulgesetzänderung auf den Wegbringen sollen. Wir müssen auch einmal in andereBundesländer schauen, die ganz andere Regelungenhaben. Wir müssen auch schauen, welche Auswir-kungen das auf den Haushalt hat, ob die Landeskin-derklausel noch zeitgemäß ist und in diesen Kon-text passt. Das alles sind Fragen, die wir vielleichtauch im Rahmen einer Anhörung stellen sollten.

Zu Kai Vogel muss ich sagen, bei dem Hinweis aufein Gastschulabkommen habe ich nur gelacht undgedacht: Das hätten Sie doch in Angriff nehmenkönnen. Wir haben darüber gesprochen. - VielenDank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und SSW)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Für die Fraktion der AfD erteile ich dem Abgeord-neten Dr. Frank Brodehl das Wort.

Dr. Frank Brodehl [AfD]:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! InSchleswig-Holstein leben etwa 6.500 Kinder undJugendliche in stationären Erziehungshilfeeinrich-tungen. Nur die Hälfte dieser Kinder und Jugendli-chen hat den Hauptwohnsitz in unserem Bundes-

land. Der SSW spricht an, wie es um die Schul-pflicht dieser Kinder bestellt ist.

Dazu ein Blick in die Praxis. Natürlich haben auchKinder und Jugendliche in stationären Jugendhilfe-einrichtungen ohne melderechtliche Hauptwohnungin Schleswig-Holstein grundsätzlich einen An-spruch auf den Besuch in einer öffentlichen Schule.Der betreffende Erlass aus dem Oktober 2017 wur-de schon genannt. Was noch nicht ausdrücklich ge-sagt worden ist, ist, dass im Einzelfall die Schullei-tung nach eigenem Ermessen über die Aufnahmedieser Kinder und Jugendlichen entscheidet. DerGrund dafür ist, dass einige Schüler durch ihre Vor-geschichte derart belastet sind, dass es tatsächlichsein kann, dass ein sofortiger Schulbesuch nichtsinnvoll ist.

Über wen sprechen wir hier eigentlich genau? Überwas sprechen wir? Absentismus, innerer Rückzug,Aggression - natürlich als Folgen von oft jahrelangfehlenden Bindungen, Misshandlungen, Miss-brauch, fehlender Alltagsstruktur. Für manche Kin-der hat sich das so ausgewirkt, dass sie in einem re-gulären Schulsystem tatsächlich temporär unbe-schulbar sind.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

Für diese jungen Menschen ist es in dieser Situationunbedingt notwendig, dass sie zunächst einmalemotional und sozial stabilisiert werden, bevor sieeine öffentliche Schule besuchen.

Es gibt in Schleswig-Holstein eine ganze Reihe gu-ter Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen undSchulen. Im Mittelpunkt steht dabei immer das zubeschulende Kind aus der Jugendhilfeeinrichtung.Mit einer stufenweisen Integration, wie sie bereitsetwa seit 2010 durch die Schulämter Schleswig-Flensburg und Dithmarschen praktiziert wird, wirdauf die Schulbefähigung und Eingliederung dieserJugendlichen hingearbeitet. MulitprofessionaleTeams, Fallkonferenzen legen hier einen Fall zurIntegration fest. Die Erziehungseinrichtung, dieSchulleitung, die Schulleitung der Regelschule undeine zusätzliche Beratungslehrkraft des zuständigenFörderzentrums entscheiden über die Eingliederungin das Schulsystem. Nach § 43 des Jugendförde-rungsgesetzes definiert diese Fallkonferenz dieGründe, die eine Beschulung aktuell möglich odereben nicht möglich machen. Kann der jungeMensch etwa aus erzieherischen Gründen weder ei-ne öffentliche noch eine genehmigte Ersatzschulebesuchen, dann ist die Jugendhilfeeinrichtung ge-fordert.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2063

(Anita Klahn)

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Hier gibt es bereits einige nachahmenswerte Best-Practice-Beispiele, an denen wir uns orientierenkönnen. Ich nehme ein Beispiel von mehreren. DieJugendhilfeeinrichtung St. Nicolaiheim Sundsackerbietet für Kinder und Jugendliche, die aus den un-terschiedlichsten Gründen temporär nicht im Regel-schulbereich beschulbar sind oder einen Regel-schulbesuch verweigern, ein Zusatzangebot. Dasnennt sich schulische Integration. Durch die geziel-te Unterstützung und Förderung wird in enger Zu-sammenarbeit mit der Schule, im Förderzentrumund im Elternhaus eine Wiedereingliederung odereine Ersteingliederung dieser Kinder in die öffentli-che Schule erreicht. Die schulische Förderung er-folgt dabei aus pädagogischer Sicht mit einem her-vorragenden Stellenschlüssel. Das sieht in der Pra-xis so aus, dass wir eine Gruppe von sechs Schülernmit einer Dreiviertellehrerstelle und einer zusätzli-chen vollen sozialpädagogischen Stelle haben. Die-ses Modell ist erfolgreich. Es zeigt zugleich, wiewichtig diese kleine Lerngruppe und dieser gutePersonalschlüssel sind.

Meine Damen und Herren, es gibt also bereits gülti-ge und erfolgreiche Verfahrensweisen für die Ein-gliederung von Kindern und Jugendlichen aus die-sen Einrichtungen in unsere öffentlichen Schulen,und zwar unabhängig davon, wo diese jungen Men-schen mit Hauptwohnsitz gemeldet sind. Ich denke,dass wir im Bildungsausschuss genau darüber bera-ten und uns an der Frage orientieren können:Warum arbeiten diese Best-Practice-Beispiele soerfolgreich und warum nicht? Dann wird sich auchklären, ob man das Gesetz insgesamt noch einmaländern muss oder nicht. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Für die Landesregierung hat das Wort die Ministe-rin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, KarinPrien.

Karin Prien, Ministerin für Bildung, Wissenschaftund Kultur:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Be-reits nach jetziger Rechtslage ist sichergestellt, dassjedes beschulbare Kind in Schleswig-Holstein in ei-ne öffentliche Schule aufgenommen wird. Damitwerden die in Artikel 10 Absatz 3 Satz 2 derSchleswig-Holsteinischen Landesverfassung garan-tierten Rechte aller in Schleswig-Holstein lebendenKinder - Sie kennen das - auf gewaltfreie Erzie-hung, soziale Sicherheit und die Förderung ihrer

Entwicklung und vor allem auch das Recht auf Bil-dung gewährleistet.

Es ist von verschiedenen Vorrednern angesprochenworden, in Schleswig-Holstein gibt es zahlreicheErziehungshilfeeinrichtungen, insbesondere in denKreisen Schleswig-Flensburg, Nordfriesland, Dith-marschen und Rendsburg-Eckernförde, in denenauch viele Jugendliche leben, die in Schleswig-Hol-stein nicht ihre melderechtliche Hauptwohnung ha-ben. Diese jungen Menschen sind gemäß § 20 Ab-satz 1 Satz 2 des Schulgesetzes in Schleswig-Hol-stein zwar nicht schulpflichtig, das ist herausgear-beitet worden, aber sie haben grundsätzlich einenRechtsanspruch auf den Besuch einer öffentlichenSchule.

Zu dieser Thematik haben Sie alle in den vergange-nen Jahren zu Recht kontroverse Diskussionen ge-führt. Es hat den erwähnten Runden Tisch zurHeimerziehung und den Untersuchungsausschusszum Friesenhof gegeben. Deshalb war es mir - des-halb war es der Jamaika-Regierung - wichtig, zumAbschluss dieser Debatte eine Rechtslage zu schaf-fen, die genau diese Unsicherheit, die vorher ent-standen war, beseitigt. Wir haben deshalb im Okto-ber 2017 den erwähnten Erlass zur schulischen In-tegration von Kindern und Jugendlichen in Erzie-hungshilfeeinrichtungen erlassen und veröffent-licht.

Der Jamaika-Regierung war es wichtig, dass mitdiesem Erlass alle in einer Erziehungshilfeeinrich-tung untergebrachten Kinder und Jugendlichen inder Regel umgehend in einer öffentlichen Schuleoder einer Ersatzschule beschult werden. Eine et-waige Unklarheit der Rechtslage vorher haben wirdamit beseitigt.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und FDP)

Nun geht es natürlich aber auch darum, die Umset-zung sicherzustellen. Es ist von Einzelnen erwähntworden, dass es bei den Schulämtern unterschiedli-che Praktiken gibt. Deshalb haben wir in diesen Er-lass auch Mechanismen aufgenommen, um die Um-setzung sicherzustellen. Es gibt eine unverzüglicheAnzeigepflicht der Erziehungshilfeeinrichtung überdie Aufnahme eines Kindes oder eines Jugendli-chen im schulpflichtigen Alter. Unsere Schulämterwissen also, wenn Kinder zu uns ins Land kommen,dass in einem weiteren Verfahren in enger Abstim-mung insbesondere mit der zuständigen Schulauf-sichtsbehörde und mit dem Förderzentrum die Klä-rung der weiteren Beschulung des Kindes oder desJugendlichen erfolgt. Über die Aufnahme in die

2064 Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018

(Dr. Frank Brodehl)

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Schule entscheidet die Schulleitung nach pflichtge-mäßem Ermessen. Ich kann Ihnen als Juristin abersagen: Dieses Ermessen ist in den Fällen auf nullreduziert, in denen das Kind erstens beschulbar istund die Schule zweitens einen Platz hat.

Eine Ausnahme für die unverzügliche Beschulungdes Kindes oder des Jugendlichen besteht nur dann,wenn zu dem entsprechenden Zeitpunkt keine Be-schulbarkeit besteht. Dann aber besteht die Ver-pflichtung, eine passende Übergangsmaßnahme, dieausdrücklich auf den Schulbesuch vorbereitet, vor-zunehmen. Es liegt also dann beim Träger der Ein-richtung, im Einvernehmen, das betone ich, mit derzuständigen Schulaufsichtsbehörde dafür zu sorgen,dass diese Kinder und Jugendlichen einen ander-weitigen Schulunterricht erhalten und nach § 43 Ju-gendförderungsgesetz eine besondere pädagogischeFörderung erhalten, die sie wiederum auf den regu-lären Schulbesuch vorbereitet.

Die Träger von Erziehungshilfeeinrichtungen sindin der Pflicht, eine Konzeption über die Umsetzungdieser Vorgabe vorzulegen, und wir kontrollierendies auch. Sonst bekommen Sie keine Betriebser-laubnis. Auch das ist natürlich eine Konsequenz ausden Erfahrungen mit dem Friesenhof.

Eine andere, zum Beispiel eine einrichtungsinterneVorbereitung auf den Schulbesuch kann ausdrück-lich nur noch vorübergehend sein. Dies gewährleis-tet der Erlass durch ein transparentes, einheitlichesVerfahren unter Einbeziehung aller relevanten Ak-teure. Entscheidend ist also in Schleswig-Holsteinnicht die Frage nach dem melderechtlichen Haupt-wohnsitz, sondern ausschließlich die Frage, ob dasKind oder der Jugendliche beschulbar ist. Die Be-schulbarkeit ist, anders als die Frage des Haupt-wohnsitzes, ein Kriterium, das im Interesse allerSchülerinnen und Schüler an unseren Schulen einesachgerechte Entscheidung ermöglicht.

Heimkinder mit Hauptwohnung in anderen Bundes-ländern bleiben also nicht unbeschult, sondern wer-den entweder - und zwar im Regelfall - unmittelbar

in eine Schule aufgenommen oder ansonsten zielge-richtet auf eine Wiedereingliederung in die öffentli-che Schule vorbereitet. Mit welchen großen He-rausforderungen das verbunden ist, ist hier darge-stellt worden.

Aus meiner Sicht besteht kein Anlass für eine Än-derung der Rechtslage. Ich denke, wir würden gutdaran tun, diese neue Erlasslage, die erst seit eini-gen Monaten in Kraft ist, erst einmal auf ihre Um-setzung hin zu überprüfen. Ich glaube, für Aktionis-mus gibt es da im Moment keine Veranlassung. DasZiel des Gesetzentwurfs ist selbstverständlich rich-tig, und ich finde es auch gut, wenn dieses wichtigeThema in den Ausschussberatungen noch einmalnäher beleuchtet wird. Dennoch ist nach Auffas-sung des Ministeriums eine Änderung der Rechtsla-ge im Augenblick nicht erforderlich. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund FDP)

Vizepräsidentin Annabell Krämer:

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ichschließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Druck-sache 19/670 an den Bildungsausschuss zu über-weisen. Wer so beschließen will, den bitte ich umsein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthal-tungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterbrechedie Tagung und schließe die heutige Sitzung bismorgen 9 Uhr. Wir setzen die Tagung morgen frühum 9 Uhr fort. Ich wünsche Ihnen einen schönenFeierabend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:47 Uhr

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 29. Sitzung - Donnerstag, 26. April 2018 2065

(Ministerin Karin Prien)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenografischer Dienst