Pluspunkte 1/2016
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Economy & Finance
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Transcript of Pluspunkte 1/2016
Liebe Leserinnen und Leser,
Markenzeichen der Chemie
sind die konstruktive
Sozialpartnerschaft und
flexible Tarifverträge.
Gemeinsam wurde hier viel
erreicht, zum Beispiel bei
Demografie oder Nach-
wuchssicherung. Es konnten
für beide Seiten gute Lösungen ge-
funden werden. Diesen Weg gilt es
auch in Zukunft fortzusetzen, etwa im
Hinblick auf die Digitalisierung und die
Entwicklung zur Industrie 4.0. Moderne
Tarifverträge müssen dabei stets die
Leistungsfähigkeit und die wirtschaft-
liche Perspektive unserer Branche
berücksichtigen. Dies gilt insbesondere
auch für Entgelterhöhungen.
Die aktuelle Tarifrunde findet in einem
für unsere Branche wirtschaftlich
schwierigen und unsicheren Umfeld
statt. Wir erwarten kaum mehr als
Stagnation. Daher dürfen bei der Lohn-
frage keine falschen Erwartungen
geweckt werden.
Ihr
Dirk Meyer
und das Team der HessenChemie
5 Prozent mehr Entgelt fordert die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Ener-gie (IG BCE) in der hessischen Chemie-Tarifrunde 2016. Die Arbeitgeber weisen dies mit Blick auf die wirtschaftliche Lage der Chemie zurück: Die Branche erwartet in diesem Jahr erneut kaum mehr als Stagnation bei Produktion und Umsatz. Zu-dem sind die Lohnkosten zuletzt deutlich stärker gestiegen als die Produktivität.
Am 30. Mai beginnen die regionalen Chemie-Tarifrunden. Auftakt machen in die-
sem Jahr der Arbeitgeberverband HessenChemie und die IG BCE Hessen-Thürin-
gen. Die Forderung von 5 Prozent begründet die Gewerkschaft mit der allgemein
guten Konjunktur in Deutschland und einer aus ihrer Sicht zunehmenden welt-
wirtschaftlichen Dynamik zum Jahresende. Die Arbeitgeber verweisen jedoch auf
die konkreten Zahlen für die Branche. Die amtliche Statistik verzeichnet für die
chemisch-pharmazeutische Industrie in Hessen im Jahr 2015 nur ein leichtes Pro-
duktionsplus von 1,5 Prozent. Speziell der klassischen Chemie gelang es erst nach
acht Jahren, das Vorkrisenniveau wieder zu erreichen.
Nicht die Zeit für große Sprünge
Fortsetzung auf Seite 2
Der hessische Verhandlungsführer Christoph Obladen leitet die regionale Verhandlungsrunde am 30. Mai 2016 in Bad Soden
SONDERAUSGABE: CHEMIE-TARIFRUNDE
Nr. 1 / 2016 Der Newsletter der HessenChemie
Pluspunkte
EDITORIAL
IN DIESER AUSGABE
Interview: Wettbewerbsfähigkeit des Standorts sichern Seite 2
Kaum mehr als Stagnation Seite 3
„Ausbildung vor Übernahme“ hat sich bewährt Seite 4
Laut Christoph Obladen, Verhandlungs-
führer der Chemie-Arbeitgeber in Hessen,
befi ndet man sich noch längst nicht in
einer Wachstumsphase, sondern in der
Stagnation.
Insbesondere die Verkaufspreise für Pro-
dukte der chemisch-pharmazeutischen
Industrie in Hessen gaben im vergange-
nen Jahr um durchschnittlich 2,4 Prozent
nach. Auch die Umsätze sind bereits seit
drei Jahren nicht gewachsen; 2015 san-
ken sie sogar um 1,3 Prozent. Im laufen-
den Jahr erwartet die Branche kaum
mehr als eine Seitwärtsbewegung. Eine
Lohnerhöhung von 5 Prozent lässt sich
somit aus Sicht des Arbeitgeberverbands
wirtschaftlich nicht begründen. Es sei
wichtig, in dieser Situation keine falschen
Erwartungen zu wecken, so Obladen.
Angesichts der außerordentlich niedri-
gen Infl ation führen selbst moderate
Lohnerhöhungen zu einem spürbaren
Reallohnzuwachs bei den Beschäftig-
ten. Zudem können die Tarifl öhne seit
2010 ein Plus von 15 Prozent verzeich-
nen. Die Produktivität liegt hingegen
im selben Zeitraum mit 4 Prozent im
Minus. „Dies ist auf Dauer eine unge-
sunde Entwicklung, unter der unsere
internationale Wettbewerbsfähigkeit
leidet“, betont Obladen.
Der Beschäftigungsaufbau in der Bran-
che wurde trotz geringen Wachstums
weiter fortgesetzt: 2015 stieg die Mit-
arbeiterzahl leicht um 1 Prozent. Die
Arbeitgeber gehen aber davon aus,
dass damit ein Scheitelpunkt erreicht
sein könnte. „5 Prozent Lohnsteigerun-
gen wären in dieser Situation eine zu
hohe Belastung für die Unternehmen“,
warnt der Verhandlungsführer und
stellt klar: „Es ist nicht die Zeit für große
Sprünge.“
Fortsetzung von Seite 1
Drei Fragen an Dirk Meyer
1 Wie sehen Sie die Ausgangslage für die diesjährige Chemie-Tarifrunde? Der Ausblick für unsere exportorientierte Branche ist
angesichts der schwachen Dynamik im globalen Chemie-
geschäft nur verhalten. Dies bestätigen auch die Ergebnis-
se unserer Konjunkturumfrage. Eine nachhaltige Belebung
der Geschäftsentwicklung ist nicht in Sicht. In dieser
Situation müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit des
Chemie-Standorts sichern. Das bedeutet, dass wir die
wirtschaftlichen Realitäten aller Mitgliedsunternehmen in
den Blick nehmen müssen und uns nicht nur an den
2
Quelle: Statistisches Bundesamt; Chemdata
Lohnstückkosten und ProduktivitätChemie/Pharma (20+21) Bund; Index 2010 = 100; saisonbereinigte Quartalswerte
Kosten und Produktivität sind aus den Fugen geraten
Lohnstückkosten
Arbeitsproduktivität
80
85
90
95
100
105
110
115
120
125
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Phase 1:Erhalt der Wettbewerbs-
fähigkeit
Phase 2:Krise
Phase 3:Verlust der Wettbewerbfähigkeit
Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer der HessenChemie
Wettbewerbsfähigkeitdes Standorts sichern
Leuchttürmen orientieren dürfen. Der Chemie-Flächentarif
muss für alle bezahlbar bleiben.
2 Geben niedriger Ölpreis und schwacher Eurokurs denn keinen Rückenwind für die Chemie-Konjunktur?Beide Sondereff ekte unterstützen, sie haben aber nicht den
erhoff ten Rückenwind beschert. Es gibt Bereiche, die von
niedrigen Ölpreisen profi tieren. Preisnachlässe müssen aber
meist an die Kunden weitergegeben werden. Das ist an den
stetig sinkenden Erzeugerpreisen ablesbar. Dort, wo
Gewinne entstehen, sind dies zumeist temporäre Eff ekte,
die keine Basis für dauerhaft wirkende Erhöhungen von
Tarifentgelten sein können. Vordergründig nutzt auch ein
niedriger Eurokurs bei den Exporten, genauer betrachtet
sind die Eff ekte aber nicht groß, weil die Branche zu einem
großen Prozentsatz in den Euroraum exportiert, wo
Wechselkurseff ekte keine Rolle spielen.
3 „Neben Dividendenerhöhungen muss es auch eine kräftige Erhöhung der Tarifentgelte geben“ – folgen Sie dieser Argumentation der Gewerkschaft?Die Beschäftigten werden fair am wirtschaftlichen Erfolg
beteiligt. Seit 2010 sind die Tarifl öhne um 15 Prozent
gestiegen, die Verbraucherpreise nur um 7 Prozent. Der
Vergleich mit Dividenden ist in mehrfacher Hinsicht
falsch. Diese werden immer für das vergangene Ge-
schäftsjahr gezahlt, Lohnsteigerungen für die Zukunft
verhandelt. Dividenden werden einmalig gewährt und
schwanken im Zeitablauf, Lohnerhöhungen wirken
dauerhaft. Dividenden stammen zumeist aus weltweit
erwirtschafteten Gewinnen. Der Verteilungsspielraum für
Löhne kann sich nur nach dem Erfolg in Deutschland
richten. Und schließlich: Dividenden werden von einzel-
nen Unternehmen bezahlt – in diesen Unternehmen gibt
es dann häufi g auch betriebliche Erfolgsbeteiligungen
für die Mitarbeiter.
Die Dynamik im Chemiegeschäft bleibt schwach. Die deut-sche Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr zwar um 1,7 Pro-zent, die erhoff te Belebung für die Industrie blieb jedoch weitgehend aus.
Schwacher Euro, historisch niedrige Zinsen und billiges Öl:
Diese Sondereinfl üsse stützen aktuell die konsumgetriebene
Wirtschaftslage in Deutschland. Damit steht das Wirtschafts-
wachstum auf einem sandigen Fundament, denn die positiven
Eff ekte lassen sich nicht beliebig wiederholen.
In der Industrie haben die günstigen Rahmenbedingungen
kaum zu Wachstum geführt. Folglich kann auch die Chemie
nicht profi tieren. Als Vorleistungsgüterindustrie mit starker
Exportorientierung ist sie vor allem auf die Nachfrage aus der
Industrie und dem Ausland angewiesen. Im Verarbeitenden
Gewerbe, dem Haupt-Abnehmermarkt der chemischen Indus-
trie, stieg die Produktion 2015 gerade einmal um 0,5 Prozent.
Die Nachfrage aus dem Ausland bleibt schwach, die interna-
tionale Konjunktur risikobehaftet.
Die führenden deutschen Ökonomen beurteilen die Konjunktur-
aussichten wegen der inzwischen deutlich schwächeren Welt-
wirtschaft skeptischer als noch vor einem halben Jahr. In
ihrem Frühjahrsgutachten haben die Wirtschaftsforschungs-
institute ihre Prognosen nochmals gesenkt. Sie rechnen bis ins
kommende Jahr hinein sowohl in Deutschland als auch welt-
weit mit einem nur mäßigen Konjunkturtempo. Hinzu kommt:
Ein Preisanstieg für chemische Produkte ist derzeit nicht in
Sicht. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Ölpreisverfalls
sind Industriekunden nicht bereit, höhere Preise zu zahlen.
„Insgesamt wäre angesichts der Sondereff ekte eine deutlich
posi tivere Entwicklung in der Industrie zu erwarten gewesen –
auch in unserer Branche“, sagt Dr. Sarah Saeidy-Nory, Ge-
schäftsführerin Tarif- und Arbeitsmarktpolitik der HessenChemie.
„Ein selbsttragender Aufschwung, von dem auch die Industrie
profi tiert, ist ausgeblieben und auch für das laufende Jahr
nicht absehbar.“ Gemeinsames Ziel von Arbeitnehmern und
Arbeitgebern müsse daher eine nachhaltige Stärkung der Wett-
bewerbsfähigkeit sein: „Wer Arbeitsplätze sichern will, braucht
wettbewerbsfähige Unternehmen.“
3
Kaum mehr als Stagnation
Wachstum 2015: Die Chemie hat nicht profi tiert! 2016: Keine Besserung in Sicht
Selbsttragender Industrieaufschwung?
fi ndet nicht statt
Internationale Nachfrage?
lahmt
Wirtschaftswachstum?
vor allem konsumgetrieben
Günstige Rahmenbedingungen?
verpuff en
WWW.HESSENCHEMIE.DE
IMPRESSUM
V.i.S.d.P.: Jürgen Funk Redaktion: Dr. Ute Heinemann (Sprache + Text, Frankfurt)Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer HessenChemieJürgen Funk, Geschäftsführer Verbandskommu-ni kation und politische Öff entlichkeitsarbeitDr. Sarah Saeidy-Nory, Geschäftsführerin Tarif- und ArbeitsmarktpolitikLayout: Q GmbH, WiesbadenGrafi ken: HessenChemieFotos: Ivgenia KnoblochKontakt: Jürgen FunkArbeitgeberverband Chemie und verwandte Indus-trien für das Land Hessen e.V. (HessenChemie)Murnaustraße 12, 65189 WiesbadenTelefon 0611 7106-49, Mobil 0162 [email protected]
Die Zahl der Ausbildungsplätze und die Übernahmequote in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Hessen befi nden sich auf hohem Niveau. Die Arbeitgeber werden sich hier weiter stark engagieren. Die Herausforderun-gen auf dem Ausbildungsmarkt wach-sen jedoch.
Die Chemie-Unternehmen investieren in
die Nachwuchssicherung und legen
einen Schwerpunkt auf die naturwissen-
schaftlich-technischen Ausbildungsbe-
rufe. Mit 1.536 Ausbildungsplätzen im
Jahr 2015 hat die Branche in Hessen die
Vorgaben des Tarifvertrags „Zukunft
durch Ausbildung und Berufseinstieg“
abermals erfüllt. Abgeschlossen wurde
der Vertrag 2003, seitdem lag das hessi-
sche Ausbildungsangebot stets über
dem vereinbarten Soll. 92 Prozent der
Absolventen wurden 2015 von ihren Aus-
bildungsunternehmen übernommen –
eine Steigerung um 5 Prozentpunkte ge-
genüber 2014. Davon erhielten 55,3 Pro-
zent einen unbefristeten Vertrag, 2013
hatte die Zahl bei 32 Prozent gelegen.
„Hier zeigt sich, dass die Chemie-Formel
für Ausbildung und Übernahme aufgeht
– auch ohne feste Quote“, sagt Jürgen
Funk, der für Bildung zuständige Ge-
schäftsführer der HessenChemie. „Indem
wir am Grundsatz ‚Ausbildung vor Über-
nahme‘ und der Eigenverantwortung der
Unternehmen festhalten, schaff en wir für
viele Jugendliche eine Perspektive.“ Ein
Zwang zur Übernahme würde nach Auf-
fassung der Arbeitgeber zu einer Redu-
zierung der Ausbildungsstellen führen
und die Chancen für schwächere Jugend-
liche senken.
Bundesweit bot die Chemie-Branche im
vergangenen Jahr 9.209 Ausbildungs-
plätze an und lag damit knapp über dem
Soll von 9.200. Bei der Weiterentwick-
lung des Tarifvertrags muss nach Über-
zeugung der HessenChemie beachtet
werden, dass die Zahl der Schulabsol-
venten im Vergleich zu 2003 deutlich
zurückgegangen ist und weiter zurück-
gehen wird.
„Ausbildung vor Übernahme“ hat sich bewährt
Neue Herausforderungen für die Ausbildung
… mehr Studierende …
Weniger Schulabgänger … … mehr
kostenintensiveMINT-Ausbildung …
… verstärkteInvestitionen
in Nachwuchs-marketing …
Übersicht zur Chemie-Tarifrunde 2016
Regionalrunden vom 30. Mai bis 7. Juni 2016
1. Hessen Montag, 30. Mai 2016
2. Rheinland-Pfalz Dienstag, 31. Mai 2016
3. Nordrhein Mittwoch, 1. Juni 2016
4. ChemieNord Donnerstag, 2. Juni 2016
5. Baden-Württemberg Donnerstag, 2. Juni 2016
6. Bayern Freitag, 3. Juni 2016
7. Nordost Freitag, 3. Juni 2016
8. Westfalen Freitag, 3. Juni 2016
9. Saarland Dienstag, 7. Juni 2016
Bundesrunden
1. Bundesrunde Dienstag, 14. Juni 2016
2. Bundesrunde Mittwoch, 22. Juni/Donnerstag, 23. Juni 2016
Der Ausbildungsmarkt hat sich deutlich verändert