Pöggeler-Phil u Nazis

download Pöggeler-Phil u Nazis

of 34

Transcript of Pöggeler-Phil u Nazis

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    1/34

    39 Jahresfeier

    am

    31 Mai 1989

    OTTO PGG L R

    Philosophie und Nationalsozialismus

    am

    Beispiel Heideggers

    Westdeutscher

    Verlag

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    2/34

    39.

    Jahresfeier

    am, 31. Mai 1989

    CIP-Titelaulnabme der Deutschen Bibliothek

    Pllggder, Otto:

    Philosophie und Nationalsozialismus-am Beispiel Heideggers: am 31. Mai 19891

    Otto

    Pggeler.- Opladen: Westdt.

    Ver .,

    1990

    Jahresleier Rheiniseb-Westilillscbe Akademie der Wissenschaften; 39)

    Vortrige Rbeiniscb-Westfiilisehe Akademie der

    W'ISS

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    3/34

    Inhalt

    Prsident Professor Dr. Ing. Friedrich

    Eichhorn

    Aachen

    Begrungsansprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

    Professor

    Dr.

    phil.

    Otto

    Pggeler

    Bochum

    Philosophie und Nationalsozialismus am Beispiel Heideggers

    13

    1

    Auseinandersetzungen

    um

    Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    14

    2

    Der Weltbrgerkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    17

    3

    Geist und Ungeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

    4

    Auschwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    33

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    4/34

    Begrungsansprache

    von

    Friedrich Eichhorn

    Aachen

    Ein herzlicher Willkommensgru gilt Ihnen allen die

    Sie

    unserer Einladung

    zur

    Jahresfeier 1989 gefolgt sind

    um

    Anteil zu nehmen am Leben

    und

    Wirken der

    Rheinisch-Westflischen Akademie

    d er

    Wissenschaften in unserem Lande.

    Erlauben Sie mir aus der Vielzahl der Gste die uns heute mit ihrer Anwesen

    heit beehren

    nur

    wenige stellvertretend namentlich zu nennen deren Verbunden

    heit

    mit

    uns einer besonderen Erwhnung bedarf.

    Wir freuen uns stets ber das Interesse das uns die Damen und

    Herren

    Abgeord

    nete des Landtags

    und

    die Vertreter der Landesregierung entgegenbringen. Des

    halb begre ich mit besonderer Freude den Prsidenten des Landtags

    Herrn

    Denzer

    sowie den Fraktionsvorsitzenden der

    CDU

    im Landtag HerrnDr

    W

    orms.

    Als Vertreter der Landesregierung begre ich Herrn StaatssekretrDr

    onow

    aus

    dem Ministerium fr Wissenschaft und Forschung. Die Forschungsfrderungsor

    ganisationen sind vertreten durch den Generalsekretr des Stifterverbandes fr die

    Deutsche Wissenschaft

    Herrn

    Dr Niemeyer sowie durch Frau

    a s k e ~

    die Vorsit

    zende des Kuratoriums der Gerda Henkel-Stiftung. Ferner begre ich die Herren

    Rektoren

    und

    anzler

    der Universitten

    und

    Hochschulen unseres Landes die in

    besonderer Weise mit uns verbunden sind. Die Jungius-Gesellschaft in Harnburg

    ist durch ihren Prsidenten Herrn Professor Seifert vertreten. m Schlu aber

    nicht minder herzlich begre ich die

    Herren

    Prsidenten und ihre Vertreter unse

    rer Schwesterakademien. Besonders freut es uns den Vizeprsidenten der Leopol

    dina in Halle der ltesten Wissenschaftsakademie Deutschlands

    Herrn

    Professor

    Parthier unter

    unseren Gsten zu zhlen der heute seine

    Urkunde

    als korrespon

    dierendes Mitglied unserer Akademie erhalten wird.

    In

    alter Verbundenheit

    begre ich den derzeitigen Vorsitzenden der Konferenz der 5 Wissenschafts

    akademien der Bundesrepublik Deutschland den Prsidenten der Heidelberger

    Akademie der Wissenschaften Herrn Professor Schettler sowie den Prsidenten

    der Mainzer Akademie Herrn Professor Thews. Die Gttinger Akademie wird

    durch Professor Schieffer und die Bayerische Akademie der Wissenschaften in

    Mnchen durch Professor

    Strunk

    vertreten.

    Wir

    danken schlielich den Damen und Herren der Geschftsstelle fr die Vor

    bereitung unserer Jahresfeier sowie den Vertreterinnen

    und

    Vertretern der Medien

    r

    ihr Interesse an einer objektiven Berichterstattung.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    5/34

    8

    Begrungsansprache

    Den Damen und Herren, die unserer Jahresfeier heute den festlichen Rahmen

    geben, dem Ensemble der Camerata Kln gilt unser besonderer Dank.

    Im Rckblick auf das vergangene Jahr gedenkt die Rheinisch-Westflische

    Akademie der Wissenschaften ihrer Toten:

    Wir trauern in der Klasse fr Geisteswissensschatten

    um

    unser Mitglied Profes

    sor Dr. phil.

    Andreas

    Hillgruber den Professor fr Mittlere

    und

    NeuereGeschichte

    der Universitt zu Kln, der am 8 Mai dieses Jahres verstorben ist.

    Aus der Klasse fr Natur-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften ist am

    6

    Oktober

    1988 verstorben: Maximilian

    Steiner

    emeritierter ordentlicher Profes

    sor der Pharmazeutischen Biologie der Universitt Bonn.

    Ihre Persnlichkeit

    und ihr

    wissenschaftliches Wirken wurden

    und

    werden

    durch Nachrufe in Klassensitzungen gewrdigt und

    in

    den Jahrbchern festgehal

    ten. Wir verneigen uns vor ihnen und wollen ihr Gedchtnis in Ehren halten.

    Im Hinblick auf die begrenzte Zahl von Mitgliedern sowie die expansive Ent

    wicklung neuer Wissensgebiete und die knftigen vermehrten Aufgaben, die auf

    die Akademie zukommen, ist

    es

    besonders wichtig, da sich die Klassen schnell

    wieder ergnzen und verjngen. Durch Zuwahl von zwei ordentlichen Mitglie

    dern und einem korrespondierenden Mitglied hat die Klasse fr Geisteswissen

    schaften nunmehr 68 ordentliche und 23 korrespondierende Mitglieder, whrend

    die Klasse fr Natur-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften nach Zuwahl von

    zwei ordentlichen und zwei korrespondierenden Mitgliedern nunmehr 74 ordent

    liche und 19 korrespondierende Mitglieder zhlt.

    m

    einzelnen wurden

    in

    die Klasse fr Geisteswissenschaften gewhlt:

    Herr Professor

    Dr

    phil. ]oachim

    Bumke

    Kln, fr

    das

    Fachgebiet Germanisti

    sche Medivistik

    sowie

    Herr

    Professor

    Dr

    phil.

    Christian Lehmann

    Bielefeld, fr das Fachgebiet

    Allgemeine Sprachwissenschaft ,

    zu ordentlichen Mitgliedern und

    Herr Professor Dr. phil. Rudolf Morsey Speyer, Staatspreistrger 1988 des

    LandesNRW,

    zum korrespondierenden Mitglied.

    In der Klasse fr Natur-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften wurden zu

    ordentlichen Mitgliedern gewhlt:

    Herr Professor Dr. rer. nat. DieterHans

    Eh

    halt Jlich, fr

    das

    Fachgebiet Che

    mie der Atmosphre und

    Herr Professor Dr rer. nat., Dr sc. techn. h. c. BernhardKorte fr das Fachgebiet

    Operations Research .

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    6/34

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    7/34

    10

    Begrungsansprache

    stoffexperimente in Raumlaboratorien unter Schwerelosigkeit ergnzt. Bei dieser

    Gelegenheit sprach der Prsident eine erneute Einladung fr den Ausschu fr

    Wissenschaft

    und

    Forschung des Landtags aus demnchst wiederum eine Sitzung

    im Haus der Wissenschaften abzuhalten.

    Besonders erfreut sind wir ber die von der Ministerin fr Wissenschaft und F

    or

    schung uns angetragene Mglichkeit der Verleihung

    eines

    Preises der Landesregie

    rung durch die Akademie fr die Verminderung von Tierversuchen.

    Noch

    in die

    semJahrwollen wir

    in einer ffentlichen Sonderveranstaltungpreiswrdige Arbei

    ten die durch eine Akademie-}ury aus vierzehn Bewerbungen ausgewhlt werden

    honorieren.

    ber

    den Fortschritt der elfLangzeit-Akademie-Forschungsvorhaben die

    von

    der

    Konferenz der Akademien koordiniert

    und

    gemeinsam von Bund

    und

    Land gefr

    dert sowie

    von

    Fachkommissionen der Akademie betreut und wissenschaftlich

    begleitet werden wird im

    nunmehr

    erschienenen Jahrbuch berichtet. Ich will

    daher hier

    im

    Einzelnen nicht darauf eingehen. n diesemJahrist als einziges

    Neu

    vorhaben unserer Akademie unser seit 1982 anstehendes Forschungsprogramm

    ber radioastronomische Beobachtungen der Milchstrae angemeldet.

    Wir

    dan

    ken hierbei insbesondere Landtag und Landesregierung da sie uns in unserem

    Anliegen neben den geisteswissenschaftlichen Vorhaben auch naturwissenschaft

    lichen

    zur

    Frderung zu verhelfen so tatkrftig untersttzt haben.

    er

    gesetzliche Auftrag der Akademie die Landesregierung bei der Forschungs

    frderung zu beraten ist derzeit in einer noch nicht abgeschlossenen Phase der

    Neuordnung begriffen. Staatskanzlei

    und

    das Ministerium fr Wissenschaft und

    Forschung sind dazu im Gesprch mit dem Prsidium der Akademie. Dabei

    knnen

    zwei Aufgaben unterschieden werden:

    1

    die fachliche Begutachtung von Einzelforschungsantrgen

    und

    2 die Beratung der Landesregierung bei forschungspolitischen Fragestellungen.

    Nachdem die Einzelforschungsfrderung durch die Landesregierung nicht mehr

    in der alten

    Form

    fortgesetzt werden soll mssen neue Wege beschritten werden

    um einen gezielten

    und

    mglichst wirkungsvollen Einsatz der begrenzten ffent

    liehen Mittel zu gewhrleisten.

    Vor

    einemJahrhabe ich auch an dieser Stelle die Vernderung bedauert weil mit

    dieser speziellen F rdermanahme unseres Landes bislang ein wesentlicher Beitrag

    zur

    Strkung der Hochschulforschung und

    zur

    Heranbildung eines befhigten

    Wissenschaftlernachwuchses geleistet wurde. Diese Zielsetzung ist jedoch heute

    und

    in absehbarer Zukunft mehr denn je von Bedeutung wenn die Quellen aus

    denen wir heute schpfen morgen nicht versiegen sollen. Dies gilt in besonderem

    Mae fr unser Land Nordrhein-Westfalen mit seiner dichten Hochschulland

    schaft und seinen groen Studentenzahlen die bundesweit entgegen frheren

    Erwartungen nach einer Prognose der KMK vom April dieses Jahres bis in die

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    8/34

    Begrungsansprache

    2.

    Hlfte der Neunziger Jahre noch auf 1 4 bis 1 5 Millionen Studenten ansteigen

    werden. Selbst ber das Jahr 2000 hinaus wird noch mit weit mehr als 1 Million

    Studenten gerechnet. Die Steigerung ist beachtlich, wenn man das 1976 beschlos

    sene Ausbauziel von 850 000 Studenten betrachtet, das derzeit noch nicht er

    reicht ist.

    So

    notwendig daher auch Sofortmanahmen zur Bewltigung der Studenten

    strme auch sein mgen, so darf bei der vorgrundigen Bewltigung des Mengenpro

    blems der

    Qualittsaspekt

    in der Ausbildung nicht auer acht gelassen werden, der

    nur

    durch eine forschungsgesttzte Lehre verwirklicht werden kann. Dazu bedarf

    es

    aber der

    ualifizierung der knftigen Hochschullehrer

    die nicht von heute auf

    morgen erfolgen kann. Hochschulpolitik und damit personelle Forschungspolitik

    braucht einen langen Atem. Schnelle Kurskorrekturen stren die empfindlichen

    Hochschulstrukturen, auch wenn sie gut gemeint sind. Ein zu rascher Ausbau geht

    auf Kosten der Qualitt. Andererseits knnen harte Reduktionsschnitte bei wieder

    ansteigendem Bedarf nur sehr langsam wieder korrigiert werden. Daher mu

    rechtzeitig Vorsorge getroffen werden, damit der zunehmende Ersatzbedarf an

    qualifizierten Hochschullehrern und an Forschern im nchsten Jahrzehnt befrie

    digt werden kann. Bund und Lnder geben viel Geld aus, um in den Forschungsin

    stituten der Max-Planck-Gesellschaft, den Groforschungseinrichtungen und in

    den Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft sicher notwendige Projektforschung

    zu betreiben und

    z.

    B.

    in den Sonderforschungsbereichen der

    DFG

    institutionelle

    Schwerpunkte auf wichtigen Gebieten zu setzen. Dies kann auf Dauer nur erfolg

    reich sein, wenn gengend hochqualifizierte

    und

    wissenschaftlich motivierte

    Nachwuchskrfte verfgbar sind. Diese knnen jedoch nur aus den Universitten

    stammen und mssen bereits whrend ihres Studiums Anreize zur Befriedigung

    wissenschaftlicher Neugierde und

    zur

    Schulung wissenschaftlicher Methodik

    erfahren haben.

    Nun ist diese Erkenntnis nicht neu. Vieles wird auch von staatlichen Stellen und

    durch private Initiativen hierfr bereits getan. Stipendienprogramme fr die Post

    doktorandenphase zwischen Promotion

    und

    endgltiger Berufsentscheidung

    gehren ebenso dazu wie das vor einem

    Jahr

    angelaufene Gerhard-Hess-Pro

    gramm der DFG das mit Mitteln des Stifterverbandes fr die Deutsche Wissen

    schaft finanziert wird.

    Diese Manahmen werden jedoch nicht ausreichen, um den knftigen Gesamt

    bedarf der Forschungsinstitutionen in den Hochschulen, den hochschulfreien

    Forschungssttten sowie in der Wirtschaft zu decken. Dies gilt besonders fr

    den Hochschullehrernachwuchs, der zu Beginn der siebziger Jahre ein schnelles

    Wachstum erfahren hat und in der Folgezeit viele Jahre die Berufsaussichten der

    Nachwuchsgeneration an den Hochschulen versperrt hat, wenn dieser in groer

    Zahl aus Altersgrnden n den 90er Jahren in den Ruhestand tritt.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    9/34

    2

    Begrungsansprache

    Daher appellieren

    wir

    auch an unsere Landesregierung die personei

    setzungen fr die

    rhaltung

    er ualitt unserer Forschung

    -

    sowohl der Grund

    lagenforschung wie der anwendungsbezogenen Forschung durch ein forschungs

    freundliches Klimasowie durch die gezielte

    und

    rechtzeitige Frderung des wissen

    schaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen zu schaffen. Die Rheinisch-West

    flische Akademie der Wissenschaften bietet sich an mit ihrem unabhngigen

    kritischenUrteil

    und

    mit dem breitgefcherten Sachverstand ihrer Mitglieder hier

    bei beratend und beurteilend mitzuwirken.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    10/34

    Philosophie und Nationalsozialismus

    -

    am

    Beispiel

    Heideggers

    von tto Pggeler Bochum

    Es kann kein Zweifel sein, da die Deutschen heute einen neuen Bezug zu ihrer

    Geschichte finden mssen. Vierzig Jahre sind

    es

    her, seit nach der schrecklichen

    Katastrophe ein Teil von ihnen sich n der Bundesrepublik das Grundgesetz gab,

    ein anderer Teil in der Deutschen Demokratischen Republik andere Wege gehen

    mute. Die Frage, wohin diese Anfnge fhren, bleibt zurckgebunden an die

    Notwendigkeit, auch die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft als Teil der

    eigenen Geschichte zu sehen. In diesen zwlf Jahren wurde in einer groen Perver

    sion der Versuch ad absurdum gefhrt, fr die Deutschen doch noch so etwas wie

    ein quivalent zu den westeuropischen Nationalstaaten und Imperien zu finden.

    Hatte dieser Versuch berhaupt einen Sinn in Mitteleuropa, wo so viele Vlker

    vermischt zusammenwohnten?

    Wie zerstrerisch sich nationalistische Tendenzen hier auswirken konnten,

    zeigte schon der Sturz des bernationalen Habsburger Reiches im Ersten Weh

    krieg. Nach der Demtigung von

    1918

    und der letztlich gescheiterten Revolution,

    nach der Zerstrung der berlieferten gesellschaftlichen Strukturen durch die

    Inflation von 1923, nach dem Herberdringen der Weltwirtschaftskrise seit

    1929/30 konnte der Nationalsozialismus Ressentiment und Furcht mobilisieren:

    Frankreich hatte nach

    1870

    zum Beispiel in der Dreyfus-Affre- seine Ressenti

    ments schlielich doch berwunden; den Deutschen gelang das nicht. So konnte

    die nationale Einigung und Selbstbehauptung verknpft werden mit dem Kampf

    um die Weltherrschaft, die im kontinentalen Bereich,

    ja

    auf einer agrarischen,

    sogar wehrbuerlichen Grundlage errichtet werden sollte. So obsolete Ideologien

    wie die eugenisch-rassischen wurden umgesetzt in schrecklichste Vernichtungs

    aktionen. Die Folgen dieser wahnwitzigen Abenteuer und Verbrechen waren epo

    chal und sind unumkehrbar: nicht nur die Westverschiebung Polens und der

    Verlust alter deutscher Siedlungsgebiete im Osten, die Entmischung der Vlker in

    Mitteleuropa, sondern auch der Sturz Europas

    als

    der Mitte der Welt.

    Die Flgelmchte Amerika und Ruland etabliert auf groen Gebieten mit

    ungeheuren Ressourcen, aber

    von

    ganz unterschiedlichen Anstzen aus teilten

    Europa in ihre Einfluzonen auf.

    Der

    Krieg hatte zuletzt noch mit dem Einsatz der

    Atombombe den Abschied von den frheren Formen der Machtausbung

    und

    der

    kriegerischen Auseinandersetzungen gebracht. Die Etablierung der neuen Super-

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    11/34

    Otto

    Pggeler

    mchteverhinderte nicht die Emanzipation des einmal kolonialisierten Sdens der

    Welt vom Norden. Inzwischen kamen neue Verschiebungen in der Aufteilung des

    Erdballs in Gang.

    Wenn die Deutschen einen neuen Bezug zur Geschichte gewinnen wollen, dann

    knnen sie nicht mehr den alten Perspektiven folgen. In dieser Situation der

    Umorientierung und Unsicherheit kann jeder Schritt explosive und ungezgelte

    Auseinandersetzungen hervorrufen. Das ist denn auch geschehen im sogenannten

    Historiker-Streit,

    und es

    geschieht jetzt in der weltweiten Auseinandersetzungum

    die Frage, wieweit Heidegger (wohl der wirkungsmchtigste Philosoph unseres

    Jahrhunderts ) mit seinem Philosophieren an seine einstigeOption fr den Natio

    nalsozialismus gebunden ist.

    1. Auseinandersetzungen um Heidegger

    Zweifellos haben heute die Menschen der verschiedensten Lnder Probleme mit

    ihrer Geschichte: die Englnder ebenso wie die Japaner, die Nordamerikaner als

    Weltmacht wider Willen ebenso wie die Vlker der Sowjet-Union, die osteuropi

    schen Lnder ebenso wie die islamischen. Die Deutschen tragen an einer Last die

    ihnen auch Rechte nimmt, die anderen eingerumt sind. Brachten nicht schon

    Plne, national ausgerichtete Museen in Berlin

    und

    Bonn aufzubauen, Gefahren?

    An solcher Furcht entzndete sich der sogenannte Historiker-Streit, der sich dann

    aber mehr an Zeitungsartikeln und Klappentexten orientierte als an der histo

    rischen Arbeit, wie sie in lebenslangen Bemhungen als Leistung einer ganzen

    Generation aufgebaut worden war.

    Der

    Streit war die Explosion ideologischer

    Spannungen und der Kampf um "kulturelle Hegemonie".

    1

    So mute er mit der

    Rcksichtslosigkeit in der Verdchtigung und der Schroftbeit der Polemik eine

    allzu deutsche Angelegenheit werden. Trotzdem fand er ein weltweites Interesse,

    wenn auch

    mehr

    ein politisch motiviertes als zunftmig historisches. Der derzei

    tige Streit

    um

    die Verwicklung Heideggers in den Nationalsozialismus mag auch

    durch philosophische Gruppenkmpfe (vor allem in Paris) motiviert sein. Da

    Heidegger aber schon seit Sartres Einsatz auf links umgetauft worden ist, versagen

    ihm

    gegenber die berlieferten ideologischen Einteilungen. Auch erscheint der

    1

    Vgl.

    lm nuel Geis: Die Habermas Kontroverse.

    Ein

    deutscher Streit.

    Berlin 1988. S.

    23

    wird H.-U.

    Wehlers Formulierung vom "Kampf

    um

    kulturelle Hegemonie" zitiert; vgl. auch

    z. B. S. 33: Die

    Habermas-Kontroverse hat eine Art Flurschaden angerichtet, der nun durch eine Art Schadensbe

    grenzung zu minimieren ist: sachliche Begrenzung der Thematik, Unterscheidung zwischen Subjekti

    vem und Objektivem, Wissenschaft und Politik, Politik und Ideologie, Konstruktivem

    und

    Destruk

    tivem, Absicht und Wirkung, Gesagtem und Unterstelltem, Realem und Fiktivem. Zuerst ist der

    Schutt beiseite zu rumen, den die Habermas-Eroption ber die geistig-politische Landschaft der

    Republik ausgebreitet hat, ehe eine Chance besteht, an die wirklichen Sachfragen heranzukommen."

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    12/34

    Philosophie

    und

    N arionalsozialismus - arn Beispiel Heideggers

    15

    Streit den deutschen Philosophen und Historikern eher antiquiert

    und

    allzu ober

    flchlich, whrend man sich in Frankreich oder

    in

    Amerika direkt von den Folgen

    eines Denkens in den Bahnen Heideggers bedroht sehen kann. Damit wird sicht

    bar, da Heideggers Denken in unterschiedlicher Weise gewirkt hat, anders zum

    Beispiel in Deutschland als in Frankreich.

    Im deutschen Bereich suchte man die Anste, die Heidegger auf philoso

    phischem oder theologischem Felde gab, freizuhalten von seinen politischen Verir

    rungen. So gut wie alle Schler Heideggers gaben ihre ntwort auf diese Verir

    rungen dadurch, da sie zusammen

    mit

    der Bergstrsser-Schule

    in

    der Politologie

    eine Rehabilitierung der praktischen Philosophie versuchten

    und

    dabei Heideggers

    Hinweise auf die Bedeutung der Aristotelischen Ethik aufnahmen.

    2

    Dieser Neoari

    stotelismus versucht heute, etwa mit

    Hans]

    onas, berhaupt das Problem der Ver

    antwortung in der technologischen Welt neu zu stellen. In Frankreich mhten sich

    nach dem Kriege gerade die ehemaligen Widerstandskmpfer sowie jene, die aus

    den Gefangenen- und Konzentrationslagern heimkehrten, um Heidegger. In den

    letzten zwanzig Jahren wurde Heidegger dann zusammen mit Nietzsche

    als

    radi

    kaler Kritiker des europischen Vernunftglaubens aktualisiert.

    3

    Eine ebenso intensive wie kontinuierliche Wirkung erreichte Heidegger in

    Japan. Hier gab es auch unter den Philosophen

    in

    Kyoto durchaus gegenstzliche

    Tendenzen; doch die anklagende Abrechnung mit jenen, die mit der Kriegspartei

    sympathisiert hatten, wurde ohne die lauten europischen Kontroversen durchge

    fhrt. Erstaunlich ist jetzt das Interesse r Heidegger

    in

    China. Dort diente nach

    der Kulturrevolution der Bezug auf Hegel dazu, einen Anschlu an die groen

    nichtmarxistischen Traditionen zu finden. Wenn jetzt die bersetzung von

    HeideggersSein und Zeit in mehreren Zehntausend Exemplaren verbreitet wird, so

    hat der Betreuer der bersetzung auch den Sinn dieses Unternehmens klargestellt:

    Selbstverstndlich folgt China Marx; die Marxschen Thesen sollen aber nicht graue

    Theorie des

    19

    Jahrhunderts bleiben, sondern zu Impulsen der Gegenwart

    werden.

    Sie

    mssen also vermittelt werden mit den eigenen Traditionen; damit

    2

    Vgl AlexanderSchwan: Politische Philosophie im enken

    Heideggers.

    Opladen

    1965,

    zweite erweiterte

    Auflage

    1988.

    Schwan sagt S

    94

    f richtig, Heideggers Stellungnahme von

    1933

    sei als eindeutige Beja

    hungvor

    allem der neugeschaffenen Staatsstruktur, nmlich

    des Fhrerprinzips

    in Einheit mit dem vl

    kischen Gefolgschaftsgedanken

    zu

    verstehen. Seine

    Vorbehalte

    begannen genau dort ,

    wo

    die Philo

    sophie Heideggers mit dem

    totalitren Anspruch

    der nationalsozialistischen Ideologie konfrontiert

    wurde.

    In

    diesem Moment mute sich zeigen, da Heidegger kein nationalsozialistischer Philosoph

    istund war

    Die Frage ist kontrovers diskutiert worden, inwieweit die moderne Technik ber eine

    mehr

    traditionelle Bestimmung des Politischen hinausfhren msse. Vgl.

    Otto Pggeler: Philosr:rphie

    und Politik

    bei

    Heidegger.

    Zweite erweiterte Auflage Freiburg/Mnchen

    1974.

    S

    212ff, 155H;

    Alex:

    ander Schwan: Wahrheit Pluralitt Freiheit.

    Harnburg

    1976. S 96H.

    J

    Zu

    der Weise, einen neu gesehenen Nietzsche gegen Heidegger auszuspielen, vgl. z.

    B

    Ernst

    Beb/er:

    Derrida-Nietzsche Nietzsche-Derrida. Paderborn

    1988.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    13/34

    16

    Otto

    Pggeler

    aber zum Beispiel die taoistische Tradition wieder vergegenwrtigt werden kann,

    braucht man die Kraft des Heideggerschen Denkens, Traditionen aufzubrechen

    und neu

    zur

    Entscheidung zu stellen.

    4

    n

    Amerika standen die politischen Bedenken

    und

    die herrschende analytische

    Philosophie den Versuchen entgegen, Heideggers neue Anstze geltend zu

    machen. Ende der sechtiger Jahre vollzog sich jedoch ein Umschwung. Die Verei

    nigten Staaten hatten neue Probleme zu errtern: Sie waren ein Staat geworden, ja

    eine Weltmacht; sie hatten die Stdteprobleme, die Frage nach der Bedeutung von

    Religion

    und

    Kunst in einer technologisch geprgten Zivilisation. Konnte nicht die

    kontinentaleuropische philosophische Tradition Hilfe leisten? Von den Huma

    nities und den Divinity Schools

    her

    drangen Hegel und Heidegger in die philoso

    phischen Seminare ein, vermittelt

    und

    radikalisiert durch die zeitgenssische fran

    zsische Philosophie. Einer jener, die ausdiesen Vernderungen die Konsequenzen

    zogen, Richard Rorty, versucht jetzt, d s neue Philosophieren wieder einzufgen

    in jene Komplementaritt, durch welche die Struktur der westlichen Gesellschaf

    ten

    geprgt ist: Einerseits mssen die Spekulationen

    und

    philosophischen Radika

    lismen als private Ansichten der Toleranz berlassen bleiben, andererseits geht

    es um sozialrelevante Erkenntnisse, die ein Minimum von Gemeinsamkeit ab

    sichern.5 Mu aber die Philosophie eine solche Komplementaritt nicht zuerst

    einmal rechtfertigen, ehe

    sie

    sich darin einfgen lassen kann? Ein Politologe wie

    Allan Bloom, der die Erneuerung der klassischen politischen Philosophie durch

    Leo Strauss mit einer Demokratietheorie verbindet, mu denn auch diese Ent

    wicklungen kritisch sehen. In seinem Bestseller The Closing

    ofthe American

    Mind

    ist Heidegger mit Max Weber und Nietzsche derjenige, der aus der Reihe der

    Besiegten heraus den Geist der Sieger untergrub, nmlich dieAusrichtungauf allge

    meine Menschenrechte unterminierte zugunsten der historistischen und partikula

    ristischen Herausstellung und Rechtfertigung der Tendenzen, Vorstellungen und

    Privilegien bestimmter Gruppen. An der Spitze dieser allzu deutschen

    Denker

    soll

    Rousseau stehen - aSwiss", ein Schweizer

    6

    Hier

    verliert sich die Konfrontation

    mit dem unruhigen angeblich "deutschen" Denken im Nebulosen; zugleich

    werden dieFronten verwirrt, denn Nietzsche stellte sich Rousseau entgegen.Doch

    diese Verwirrung der alten Fronten der Kulturkritik erscheint Bloom als ein

    4

    So

    W

    ei

    Hsiong im September

    1987

    in einem Vortrag auf

    dem

    Kongre der Allgemeinen Gesellschaft

    fr Philosophie

    in

    Deutschland.

    Vgl

    auch

    die

    Publikation der Tagung der Humboldt-Stiftung Zur

    philosophischen Aktualitt

    Heideggen

    vom Frhjahr

    1989 in

    Vorbereitung).

    5

    Vgl

    auer den neueren uerungen und Publikationen Rortys schon

    RichardRorty:Der Vorrang der

    Demokratie vor

    der

    Philosophie

    In:

    Zerstrung

    des

    moralischen

    Selbstbewutseins: Chance

    oder Gefahr

    dung?

    Praktische

    Philosophie

    in Deutschland nachdem Nationauozialismus

    Herausgegeben vom Forum

    fr Philosophie Bad Homburg. Frankfurt a

    M

    1988 S 273

    ff

    6

    Vgl Allan Bloom:

    he

    Closing oftheAmerican Mind

    Nev

    York 1987 S 52

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    14/34

    Philosophie und Nationalsozialismus-

    am

    Beispiel Heideggers

    17

    Faktum; er zieht eine Linie von Heideggers Rektoratsrede aus dem Jahr

    1933

    zu

    den Vorgngen an den Universitten um 1968.

    Nun kann

    man kaum bestreiten

    da Amerika in den letzten fnfundzwanzig Jahren strkere Vernderungen

    durchgemacht hat als vorher in den zweihundert Jahren seit der Revolution. Doch

    kann man ideologische Einflsse verantwortlich machen fr soziale

    und

    politische

    Umstrukturierungen? Jedenfalls schwingt der Schrecken ber die Mglichkeit

    Heideggers Option fr den Nationalsozialismus knne in manigfachen Verklei

    dungen als Gift in unserer heutigen Welt weiterwirken durch die weltweiten Aus

    einandersetzungen um Heidegger die deshalb auch zu Glaubenskmpfen werden.

    Um so wichtiger ist

    es fr

    die Deutschen zu erfahren

    und

    realistisch zu sehen was

    in den dreiiger Jahren in ihrem Lande geschah.

    2

    er

    Weltbrgerkrieg

    Im Frhjahr 1945 wurden die Tore der Konzentrations-

    und

    Vernichtungslager

    geffnet die Deutschen von den Besatzungsmchten zwangsweise dahin gefhrt

    oder wenigstens mit den entsprechenden Bildern und Berichten konfrontiert. a

    aber wollte niemand

    es

    mehr gewesen sein der diese Dinge

    zu

    verantworten hatte.

    In der Tat konnten die meisten sagen da sie so etwas niemals gewollt

    hatten-

    auch wohl die meisten jener die

    1933

    und noch Jahre danach fr

    Hitler

    optiert

    hatten. asJahr 1933 wurde 1945 im Lichte der schrecklichen Folgen gesehen; so

    aber konnte das Offene Diffuse und Illusionre das sich mit dem angeblichen Auf

    bruch von 1933 verknpft hatte nicht mehr wirklichkeitsgetreu wahrgenommen

    werden. Was geschehen war mute retuschiert und verdrngt werden. Schwer zu

    verstehen blieb da ein Dichter wie Gottfried Benn sich auf die Seite der Revolu

    tion gestellt hatte da auch ein Knstler wie N olde der bald verfemt wurde zuerst

    keine Abneigung zeigte. Als der Nationalsozialismus die Jubilen feierte muten

    Philologen und Historiker sich kompromittieren.

    er

    Soziologe

    Hans

    Freyer

    hatte vom revolutionren Konservativismus aus r den Aufbruch optiert ehe er

    in den dsteren Jahren um 1945 in seiner Weltgeschichte Europas die geschicht

    liche Selbstbesinnung Hegels und Diltheys fortsetzte. Die unterschiedlichen

    Optionen

    der fhrenden Theologen hatten sich mit Kirchenkmpfen verbunden.

    Die Lose fr die Naturwissenschaftler

    und

    Techniker schienen anders zu fallen.

    W ernher von Braun konnte aus dem Dienst Hitlers zum Helden des Weltraum

    flugs in Amerika aufsteigen; Rationalitt schien vor politischem berschwang zu

    bewahren. In Wirklichkeit mag symptomatisch sein

    da

    die Gleichschaltung der

    damaligen Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht durch einen Historiker oder

    Juristen erfolgte sondern durch Johannes Stark der als Nobelpreistrger und Alt

    parteigenosse fr eine deutsche Physik kmpfte. Sein Nachfolger der Chemiker

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    15/34

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    16/34

    Philosophie und Nationalsozialismus am Beispiel Heideggers 19

    Binder, an dem Larenz sich orientierte, hat in bewuten Entscheidungen seinen

    Weg vom Neukantianismus zur Staatsraison und dann zum Nationalsozialismus

    vollzogen, in klarer Auseinandersetzung mit anderen Positionen (wie sie zum Bei-

    spiel von Croce oder Meinecke formuliert wurden), zwischen den

    Fronten

    von

    Liberalismus, Demokratismus und Aufklrung auf der einen Seite, Anarchismus,

    Marxismus und Kommunismus auf der anderen. Wenn Binder und Larenz Hegels

    konkreten Begriff bemhten, interpretierten sie wissend Hegel

    um und

    sttzten

    sich auf

    das

    worber Hege I seinen Spott ausgegossen hatte: auf denNationalismus,

    ja

    auf vlkische Zusammenhnge und den Rckgriff auf das Germanische .

    Die Philosophie ist weniger mit gesellschaftlichen Institutionen verflochten und

    so auch beweglicher. Achtet man darauf, was in den fnfziger Jahren in Deutsch

    land an Philosophie gelehrt wurde, dann ist der Anteil der Emigranten und Wider

    stndler wenigstens so gro wie der Anteil jener, die sich anpaten. Beide Anteile

    sind unauflslich miteinander verflochten wie die Lehren von Husserl, Heidegger,

    Sartre

    und

    Levinas. Diesechziger Jahre brachten sowieso eine Neuorientierung aus

    internationalen Zusammenhngen. Ausnahmsweise war auch von Philosophen

    wirklicher Widerstand im Lande selbst geleistet worden so in Mnchen von Kurt

    Huber im Zusammenhang mit den studentischen Aktionen. Unbezweifelbar aber

    bleibt, da eine groe Reihe von Philosophen eindeutig fr den Nationalsozia

    lismus optierte.

    So

    ging Alfred Baeumler, noch heute mit seinen frhen Arbeiten

    einer der bedeutendsten Kantinterpreten, mit Bachofen und Nietzsche seinenWeg

    in den Dienst Alfred Rosenbergs.

    Hermann

    Schwarz konnte (vom abgelegenen

    Greifswald aus, aber auch untersttzt von kirchlichen Zirkeln) seine Bemhungen

    um

    Meister Eckhart in den Nationalsozialismus einbringen. Hans Heyse suchte

    eine genuin nationalsozialistische Philosophie mit Platon und existentiellen Moti

    ven zu entfalten.

    8

    Erich Rothacker fuhr

    1933

    nach Berlin in der Hoffnung, seine

    Bemhungen

    um

    den Geist der Historischen Schule in greren Forschungszu

    sammenhngen entfalten zu knnen; etwas frustriert mute er nach Bonn zurck-

    ganzen Hllenspuk inspiriert, so mu in aller Gerechtigkeit gesagt werden, da, was immer diese

    verzweifelten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts begangen oder unterlassen haben, sie auf die

    totalen Herrschaftsapparate niemals

    und

    nirgendwo irgendeinen Einflu hatten. Hchstens spielten

    sie eine nicht sehr wesentliche Rolle bei den anfangs erfolgreichen Versuchen der Bewegungen, die

    nicht totalitre Auenwelt zum Ernstnehmen ihrer Ideologien zu veranlassen.

    Wo

    immer die Bewe

    gungen an die Macht kamen, habensie diese Gruppe

    von

    Sympathisierenden zuerst abgeschttelt, und

    dieser Reinigungsproze war stets beendet, bevor die totalitren Regierungen zu ihren wirklich typi

    schen Verbrechen im groen Ausma schritten

    1

    Vgl. die Hinweise auf diese drei Philosophen bei Ernst Nolte:

    Philosophie un

    Nationalsozialismus In:

    Heidegger

    un

    die

    praktische

    Philosophie

    Hrsg.

    von

    Annemarie Gethmann-Siefert

    und

    Otto

    Pggeler.

    Frankfurr a.M. 1988. S. 338

    ff. Zum

    folgenden vgl. zu Rothacker

    Heinrich

    Ltzeler: Persnlichkeiten

    Freiburg 1978.

    S.

    33ff, vor allem

    S.

    49ff. Zu Faust vgl. Hermann Glockner:

    Heide/herger

    Bilderbuch

    Bonn 1969. S. 240ff.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    17/34

    20

    Otto

    Pggeler

    kehren, da man ihn auf ein Gebiet wie die Volkshochschulen hatte abschieben wol

    len. Die alten Zeitschriften wurden

    von

    neuen Redakteuren pernommen {wie der

    Logos

    unter dem Titel einer Zeitschrift fr deutsche

    Kulturphilosophie

    von

    Hermann

    Glockner), doch damit wurde auch das alte Niveau zerstrt. Eine unglckliche

    Gestalt wie August Faust konnte nach den Knechtsdiensten

    unter

    Rickert das Bres

    lauer Seminar bernehmen, um beim Kriegsende durch Selbstmord zu enden.

    Arnold Gehlen steht dafr, da der Bezug zum Nationalsozialismus eine blei

    bende Bedeutung nicht ausschlo. Gehlen hatte sich phnomenologisch und exi

    stentialistisch auf den "wirklichen" Geist bezogen und dann (von so unterschied

    lichen Assistenten wie Gotthard

    Gnther und Helmut

    Schelsky untersttzt) eine

    idealistische Theorie der Willensfreiheit auszuarbeiten begonnen. In den Sommern

    1933

    und 1934 versuchte er eine Philosophie des Nationalsozialismus auszuar

    beiten. (Die groe Studie wurde spter bis auf sieben zufllig erhaltene Seiten ver

    nichtet.) Doch 1936 sah Gehlen ein, da der verfemte Jude Max Scheler der Philo

    sophie noch einmal eine relevante Fragestellung gegeben hatte: die Integration der

    einzelwissenschaftlichen Arbeit in eine zusammenfassende Anthropologie aus den

    Erfahrungen einer groen geschichtlichen bergangszeit.

    9

    Die sarkastische Spt

    schrift Moral und Hypermoral von 1969 sieht in Hitler einen Jnger Nietzsches:

    Wie Nietzsche, so sei auch Hitler

    von einem welthistorischen Stifterwahn nicht

    losgekommen. Doch bleibt Gehlen bei der obsoleten berzeugung, da es fr

    Nationen

    oberhalb der Selbsterhaltung kein Gebot gebe.

    Da

    auch Heidegger

    seine philosophischen Erfolge hatte, konnte Gehlen sich nur daraus erklren, da

    Heidegger nie (wie Gehlen selbst) die christlich-religisen Traditionen radikal

    abschttelte, sich vielmehr schlielich durch einen Dichter wie Hlderlin fhren

    lie und so den ambivalenten Tendenzen der Zeit entgegenkam.

    Heidegger hat nach dem Ersten Weltkrieg in seinen Vorlesungen sofort Speng

    lers Rede vom Untergang des Abendlandes aufgenommen. Heidegger selbst wollte

    Geschichte aber nicht in einer berschau auf pseudogeschichtliche Gesetze

    zurckbringen, sondern sie zuerst einmal als offene Situation erfahren

    und

    in

    bezugbringen

    zur

    Einmaligkeit des Augenblicks, der fr die christliche Tradition

    leitend gewesen war

    10

    So

    ist Sein und Zeitvon 1927 auf den Einzelnen ausgerichtet,

    der sich der Alltglichkeit entreit. berraschenderweise wird dieser Einzelne, der

    9

    Zu GehJens vernichteter Schrift

    Die

    Philosophie

    des Nationalsozialismus

    vgl.

    Amold

    Gehlen:

    Philo

    sophische

    Schriften

    II (Gesamtausgabe. Band 2 . Hrsg. von L. Samson. Frankfurt a. M. 1980. S. 414ff.

    ber Nietzsche

    und

    den Nationalsozialismus vgl. mold Gehlen: Moral

    und HypermoraL 5.

    Auf .

    Wiesbaden 1986.

    S.

    119.

    Zu

    Scheler

    und

    Heidegger vgl.

    mold

    Gehlen: Philosophische

    Anthropologie

    und Handlungslehre

    (Gesamtausgabe. Band 4).

    S.

    247ff, 203ff.

    10

    Vgl. vor allem

    MartinHeidegger:

    Ontologie

    Hermeneutik der

    Faktizitt .

    Frankfurt a.M. 1988.

    S. 56f.-

    Zum

    folgenden vgl.

    Martin Heidegger: Sein und Zeit. 7.

    Auf . Tbingen 1853.

    S.

    384.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    18/34

    Philosophie

    und

    Nationalsozialismus - am Beispiel Heideggers

    21

    auf sein jeweiliges Schicksal verwiesen wird, in einer Nebenbemerkung noch

    bezogen auf

    das

    Geschick,

    das

    einer Generation Einheit gibt und ein Volk aufbaut.

    Der Verweis auf

    die

    Weise, wie Dilthey den Generationsbegriff eingefhrt hatte,

    schliet ein, da sich

    die

    um 1770 Geborenen erstmals in Tbingen oder Jena

    als

    Generation erfuhren, da

    diese

    Erfahrung dann in weiteren Schben radikalisiert

    wurde. Vom Volk wird in der Tradition Herdersund Hegels gesprochen oder

    gem der Redeweise von der Kunst der Vlker. Da der Einzelne, der schon

    durch seinen Beruf eine Rolle in einem greren Ganzen bernimmt, auf ber

    greifende Einheiten bezogen werden mu, ist einsichtig; wie dieses geschieht,

    bleibt in Sein und Zeit aber ohne jede weitere Analyse. Der Bezug der Philosophie

    zur Theologie spielt eine wichtige Rolle; Worte wie ,Jurisprudenz oder Staats

    philosophie kommen in diesem Werk gar nicht erst vor.

    Heidegger selbst hat nachtrglich seine politische Orientierung vor

    1933

    durch

    den Namen Friedrich Naumanns bezeichnet;

    das

    Problem einer politischen Ord

    nung fr Mitteleuropa und

    das

    soziale Engagement waren also

    das

    Entschei

    dende.l1 Gleich

    die

    erste Vorlesung nach dem Ersten Weltkrieg hatte in einer

    Nebenbemerkung gesagt: Es ist

    das

    Wort gefallen vom Gegensatz der englisch

    amerikanischen und deutschen Weltanschauung. Max Scheler zum Beispiel hatte

    dem Ressentiment-Begriff Nietzsches

    die

    antichristliche Ausrichtung genommen

    und so dem Bourgeois Ressentiment gegen alles zugeschrieben,

    was

    gewachsen war

    und Rang hatte.l

    2

    In seinen Beitrgen zu den berchtigten Ideen von

    1914

    glaubte Scheler, der nie England oder Amerika besucht hatte, zeigen zu knnen,

    da gerade

    diese

    Lnder dem Bourgeois-Geist folgten. Doch noch im Kriege selbst,

    wenigstens seit

    1916,

    sah Scheler, da Europasich durch den Nationalismus und

    Imperialismus selbst zerstrte. Die grauenhafteste Vision war fr ihn ein Europa,

    das

    von Ruland und Amerika aus erdrckt wurde, und

    so

    forderte Scheler einen

    spezifisch kontinentaleuropischen Solidarismus zur berwindung der ge-

    schichtlichen Krise.

    Heidegger folgte dem Neuansatz der phnomenologischen Philosophie im

    strengen Sinne Busserls, und so mute er jede vorschnelle Vermischung der Philo

    sophie mit Politik und Religion ablehnen. Umgekehrt versagte er sich philosophi

    schen Einsichten nicht schon deshalb, weil ihr

    Autor

    etwa im politischen Bereich

    bestimmten persnlichen berzeugungen folgte. Da nicht nur Scheler oder

    Simmel in Deutschland, sondern auch Bergson und Claudel in Frankreich im

    11

    Vgl. Heideggers Spiegel-Interview, in:

    Antwort Martin Heidegger im Gesprch

    Hrsg.

    von G.

    Neske

    und Emil Kettering. Pfullingen 1988.

    S 84 Zum

    folgenden vgl.

    Martin

    Heidegger:

    Zur Bestimmung

    der

    Philosophie

    Frankfurt

    a

    M.

    1987

    S

    7

    12

    Vgl.

    Max Scheler: Die Gesammelten

    Schriften Bern 1954ff. Band 3

    und 4.

    Da die Selbstdiskreditie

    rung der Philosophie in der Zeit desNationalsozialismusltere Wurzeln hat, ist frh gezeigt worden,

    vgl.

    Hermann

    Lbbe:

    Politische Philosophie in Deutschland

    Basel-Stuttgart 1963.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    19/34

    22

    Otto

    Pggeler

    Ersten Weltkrieg die angebliche nationale Sache sich zueigen gemacht hatten,

    betonte Heidegger in seiner Vorlesung vom Winter 1919/20, Bergsons bahnbre

    chende Zeitanalysen drfe man sich nicht durch Bergsons Nationalismus verstel

    len lassen. Als Heidegger jedoch 1927

    d s

    Fragment

    Sein und Zeit

    verffentlicht

    hatte, machte er sich die Impulse der Sptphilosophie Schelers zueigen: Mute die

    Frage nach der Stellung des Menschen im Kosmos nicht zu metaphysischen Per

    spektiven fhren? Mute die Philosophie

    nicht-

    wie Scheler

    das

    versucht hatte

    auf die konkrete Situation reagieren?

    Nicht

    von ungefhr wollte Heidegger den

    Nachla seines neuen Freundes Scheler nach dessen Tode mit Hilfe des Nietzsche

    Archivs herausge ben.

    13

    Im

    Krisenwinter 1929/30 verwies Heidegger in seiner Vor

    lesung auf die vielen

    Nte

    der Zeit, denen

    man

    in kirchlichen

    und

    politischen V er

    bnden und Gruppierungen zu begegnen suchte. Heidegger aber forderte, diese

    vielen

    Nte

    auf die eine grundlegende

    Not

    der Zeit zurckzufhren. Zwar werde

    dabei dem

    N

    ormalmenschen und Biedermann schwarz vor den Augen, so da

    er sich um so krampfhafter an seine Gtzen klammere. Gerade deshalb mten

    wir, so sagte Heidegger, erst wieder rufen nach dem, der unserem Dasein einen

    Schrecken einzujagen vermag. Denn wie steht es mit unserem Dasein, wenn ein

    solches Ereignis wie der Weltkrieg im wesentlichen spurlos an uns vorberge

    gangen ist?

    Was war nach Heideggers Auffassung im Ersten Weltkrieg geschehen? Heideg

    ger selbst war aus gesundheitlichen Grnden erst spt

    zum

    Militrdienst einbe

    rufen

    worden-

    zur Postberwachung, erst zuletzt zur Wetterbeobachtung (aller

    dings im Rahmen

    des

    Gaskrieges) in der Marneschlacht. Heidegger hat nie ein

    Frontkmpfererlebnis artikuliert; wenn er 1933 auch Hrte forderte, dann

    waren das fremde und aufgesetzte Tne. Die erste Nietzsche-Vorlesung vom

    Winter 1936/37 fhrt auf eine andere Spur; sie sagt im Rckblick, Nietzsche habe

    sein Dasein im Kampfum die Frage aufgerieben, wie

    es

    berhaupt noch eine Bereit

    schaft des Menschen fr einen

    Gott

    oder fr

    Gtter

    geben knne, und das, wh

    rend man in den gleichzeitigen Grnderjahren sehr bierfrhlich im Spruch ,Gott ,

    Freiheit

    und

    Vaterland' den lieben

    Gott

    fr alle mglichen Dinge bemhte .

    Diese Leere

    und

    Verlogenheit , so fhrt Heidegger dann fort, aber erreichte erst

    ihr wahres Ausma,

    als

    zwischen den Jahren 1914

    und

    1918 das ,christliche'

    Abendland bei Freund und Feind fr seine Unternehmungen denselben lieben

    Gott

    fr sich in Anspruch nahm.

    14

    Heideggers Kriegserfahrung lt sich also

    kaum von den Kriegsschriften Ernst Jngers her erlutern; sie lt sich viel eher

    u

    Martin

    HeiJ.egger:

    Nietzsches metAphysische Grundstellung im abendlndischen

    Denken.

    Hrsg. von

    Marion Heinz. Frankfurt

    a

    M. 1986.

    S

    252

    ff -Zum

    folgenden

    vgl

    Martin

    HeU:kgger:

    Die Grund-

    begriffe

    der Metaphysik. Frankfurt a.M.

    1983

    S 255f.

    14

    V l)..MartinHeidegger: Nietzsche:

    Der

    WillezurMachtalsKunst Frankfurta.M.1985. 5.191. hnliche

    uerungen ber den Weltkrieg und die Weltkriege finden sich auch sonst bei Heidegger.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    20/34

    Philosophie und Nationalsozialismus - am

    Beispiel

    Heideggers 23

    vergleichen mit den Konsequenzen, die der modernistische franzsische Theologe

    Loisy aus den Anrufungen Gottes durch die Kriegsparteien gezogen hat. Wenn

    Heidegger in der Vorlesungvom Winter 1929/30 die Spur zu fassen sucht, die der

    Erste W eltk.rieg hinterlassen habe, bezieht

    er

    sich denn auch auf Nietzsches radi

    kale Infragestellung

    des

    berlieferten Gottesglaubens.

    Nietzsches Gedanken sollen die Signatur der Zeit aufhellen; so wird auch die

    Unruhe, mit der Max Scheler in seinen letzten Lebensjahren nach dem Verhltnis

    von Geist und Leben gefragt hat, zusammen mit verwandten Gedanken von

    Spengler, Klages und Leopold Ziegler zurckgefhrt auf Nietzsches Forderung,

    das Apollinische (also die

    Form

    oder das Sein) aus dem Dionysischen (dem Erleiden

    des Werdens im Leben und in der Geschichte) zu gewinnen. a

    das

    Ressentiment

    gegen alles Groe und gegen jede Rangordnung

    das

    Zusammenspiel

    des

    Diony

    sischen und

    des

    Apollinischen zu stren scheint, sucht Heidegger es genauer zu

    bestimmen:

    Er

    gibt ihm die volle Schrfe zurck, die

    es

    bei Nietzsche hatte, und

    stellt so auch Nietzsches Alternative Dionysos oder der Gekreuzigte neu zur

    Errterung.

    15

    Seit der Publikation der nachgelassenen Aufzeichnungen von Nietz

    sches Freund Franz Overbeck ber Christentum

    und

    Kultur hat Heidegger immer

    wieder - gerade auch in den Diskussionen

    mit

    den Marburger Theologen - auf

    Overbecks Infragestellung der Theologie verwiesen: Stellt sich die christliche

    Eschatologie nicht aus der konkreten Wirklichkeit der Zeit heraus, und das auch

    dann, wenn sie den Einzelnen darauf verweist, jeweils im Augenblick einen letzten

    Sinn zu finden?

    a

    Rudolf Bultmann in dieser Weise (im Rckgriff auf

    Sein

    und

    Zeit

    das Anliegen der christlichen Botschaft neu zu formulieren sucht, bricht das

    Gesprch zwischen ihm und Heidegger nicht

    nur

    wegen Heideggers bersiedlung

    nach Freiburg ab.

    Fr den jungen Nietzsche war geschichtliche Gre nur dort mglich, wo ein

    Volk noch eine gemeinsame, von Mythen umgrenzte Welt hatte.

    Von

    der abend

    lndischen Vernunft sagte Nietzsche 1881/82, da

    ihr

    Gott tot sei; zugleich hielt

    er

    fest, da der Kampf um die Weltherrschaft im Namen philosophischer Lehren

    (nmlich letzter Entscheidungen ber das Leben) gefhrt werde.

    So konnte Nietz

    sche bis in die phantastischen Proklamationen seiner ersten Wahnsinnszeit hinein

    den philosophischen Weltbrgerkrieg fordern: dort

    das

    Christentum, das in die

    Netze des hellenistischen Sklavenaufstandes zugunsten der Gleichheit geraten war

    und

    in den Skuralisierungen des Liberalismus wie des Sozialismus fortlebte, hier

    die Ausrichtung des Lebens auf seine Tiefe

    und

    damit auf Rang

    und

    Unterschied.

    Nach 1930 ist Heidegger r sechs oder sieben Jahre diesen Gedankengngen

    Nietzsches gefolgt. Aus Heideggers Nietzsche-Vorlesung vom Winter 1936/37

    sind gerade jene Passagen bezeichnend, die von Heidegger selbst

    1961

    bei der

    ts Vgl. artin Heidegger: Die Grundbegriffe derMetaphysik s.

    Anm.

    13). S. S. 107ff.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    21/34

    24

    Otto

    Pggeler

    Edition stillschweigend eliminiert wurden. In der schon zitierten Passage wird

    Stefan Georges These zurckgewiesen, Nietzsche habe sich schlielich in die

    Weglosigkeit eisiger Felsen

    und

    zu den Horsten grauser Vgel verstiegen. Dem

    gegenber sagt Heidegger: Nietzsche war auer Hlderlin der einzige glubige

    Mensch, der

    im

    19. Jahrhundert lebte. n einer Bemerkung, die nur im mnd

    lichen Vortraghinzugefgt wurde, hlt Heidegger fest, er habemit vollem Bewut

    sein Nietzsches Wort vom Tode Gottes in seine Rektoratsrede von 1933 aufge

    nommen. Diese Bemerkung erluterte die folgenden Stze des Vortragsmanu

    skripts: Europa will sich immer noch an die ,Demokratie' klammern und will

    nicht sehen lernen, da diese sein geschichtlicher Todwrde. Denn die Demokra

    tie ist, wie Nietzsche klar sah,

    nur

    eine

    Abart

    des Nihilismus, d.h. der Entwertung

    der obersten Werte, derart, da sie eben

    nur

    noch ,Werte' und keine gestaltgeben

    den Krfte

    mehr

    sind.

    Dann

    wird

    Nietzsche zitiert: , Die Heraufkunft des

    Pbels',

    ,der

    soziale i s c h m a s c h ~ ,die gleichen Menschen', ,bedeutet noch einmal

    die Heraufkunft der

    alten Werte'. Wenn

    Heidegger auch festhlt, fr Nietzsche sei

    das Christentum ebenso nihilistisch wie der Bolschewismus

    und

    damit ebenso wie

    der bloe Sozialismus, dann zeigt sich, da er den Weltbrgerkrieg Nietzsches

    aktualisiert, nmlich unter den Bedingungen denkt, wie

    sie

    das Jahr 1917 geschaf

    fen hat.

    16

    Natrlich folgt Heidegger Nietzsche nicht in allen konkreten Einzelhei

    ten; ganz fern liegt

    es

    ihm, mit Nietzsche z.

    B.

    selbst die jdischen Bankiers (die

    noch von Unterschieden wissen) frdie beanspruchte internationale Herrenklasse

    gewinnen zu wollen (also eine Gruppe, die bei einer sozialistischen Revolution

    als

    erste eliminiert wrde). Heidegger will vielmehr mit Hlderlin aus den einfachen

    menschlichen Verhltnissen heraus neue Erfahrungen machen, und so sagt denn

    auch die erste Vorlesung ber Hlderlin

    vom

    Winter 1934/35, Hlderlin habe die

    Situation bessererfat als Nietzsche, der tief in die Fragwrdigkeitendes 19.Jahr

    hunderts verstrickt geblieben sei.

    Konnte Heidegger

    von

    der Zeitdiagnose Nietzsches aus Anstze auch fr kon

    krete politische Optionen finden? Aus den ~ r i c h t e n ber Heideggers politische

    Option nach

    1930

    sei

    nur

    einer angefhrt, die Tagebuchnotiz von Hermann

    Mrchen (dem einstigen Macburger Doktoranden Heideggers) ber einen Besuch

    bei der Familie Heidegger auf deren

    Htte jn

    Todtnauberg zu Silvester 1931/32:

    Von Philosophie war freilich nicht die Rede, sondern

    vor

    allem vom National

    sozialismus. Die einst

    so

    liberale Anhngerio Gertrud Bumers ist Nationalsozia-

    16

    Vgl.

    Manin

    Heidegger:

    Nietzsche:

    er Wille

    zur

    Macht

    als Kunst

    s. Anm. 14).

    S.

    192f,

    31.

    Zum

    folgenden vgl.

    Martin Heidegger:

    Hiderlins

    Hymnen

    Germanien

    und DerRhein .

    Frankfurt a.M.

    1980.

    S.

    294.

    Da Heideggers zeittypische Hlderlinrezeption Hlderlin nicht gerecht wird,

    habe

    ich

    z zeigen versucht

    in

    der Einleitung

    zu

    dem Sammdband jenseits tles tlealismus. Hiderlins

    letzte

    Homburger]ahre. Hrsg. von ChristophJamme und Otto

    Pggeler.

    Bonn 1986,

    vgl.

    vor

    allem

    S. 27ff,

    41ff.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    22/34

    Philosophie und Nationalsozialismus- am Beispiel

    Heideggers 25

    Iistin geworden, und ihr Mann folgte ihr. Ich htte es nicht gedacht. Doch es ist

    eigentlich nicht zu verwundern. Verstehen tut er nicht viel von Politik. Und so lt

    ihn wohl wesentlich sein Abscheu vor aller mittelmigen Halbheit von der Partei

    etwas erhoffen, die etwas Entschiedenes zu

    tun

    und damit vor allem dem Kommu

    nismus wirksam entgegenzutreten verspricht. Demokratischer Idealismus und

    Brningsche Gewissenhaftigkeit knnten, wo es einmal so weit gekommen sei,

    nichts mehr schaffen.

    So

    msse heute eine Diktatur, die vor Boxheimer Mitteln

    nicht zurckschrecke, gutgeheien werden. (In den Boxheimer Dokumenten

    stand auch der Plan, bestimmte Personen nach der Machtbernahme durch die

    Nationalsozialisten auszuschalten.)

    Nur

    durch eine solche Diktatur sei die

    schlimmere kommunistische, die alle individuelle Persnlichkeits-Kultur und

    damit alle Kultur im abendlndischen Sinne berhaupt vernichte, zu vermeiden.

    Mit politischen Einzelfragen beschftigt

    er

    sich wohl kaum. Wer hier oben wohnt,

    der hat

    fralldas

    andere Mastbe.

    17

    Heidegger sah sich nach 1930 also im Weltbrgerkrieg. Die Gegenpartei rekla

    mierte die Wissenschaft, ja die Philosophie fr sich: Lenin hatte Hegels Logik

    studiert; Philosophen wie Georg Lukacs waren gewonnen worden. Es ist schwer

    zu erklren, wie Lukacs sich 1918 gegen die gerade noch formulierte berzeugung

    dem Kommunismus zur Verfgung stellen konnte. Wollte er im Sinne von Dosto

    jewskischen Gedanken selbst die Snde auf sich nehmen, um die Geschichte

    vorwrts zu bringen? Bald leitete er ohne Skrupel auch ein Erschieungskom

    mando;

    er

    verdammte die Gedanken seines bedeutendsten Werkes, versenkte in

    Moskau gefhrliche Bcher nachts im Flu. Spter bekmpfte er mit einem reak

    tionren Hegelianismus die Kunst der Zeit, und ein so dogmatisches Buch wie das

    ber die Zerstrung der Vernunft sollte der Philosophie die richtige Parteilinie

    geben. Erst spt setzten sich Zweifel an dieser Option, dieser Selbstpreisgabe des

    Denkens, durch.

    18

    -Dem Nationalsozialismus blieb gar nicht die Zeit, Philoso

    phen langfristig mit ihrer Arbeit fr sich zu gewinnen; vielleicht fehlte seinem

    Aktionismus schon der Wille dazu. Nicht einmal von Gentile wird man ohne

    Vorbehalte sagen knnen, sein aktionistischer Idealismus bringe den Faschismus,

    nmlich auch dessen lebensphilosophische Motive, voll zur Geltung. Blieb Nietz

    sche der einzige schpferische Philosoph, den Mussolini und Hitler fr sich rekla-

    17

    Herrmann Mrchen hatseine Tagebuchnotizen mitgeteilt in derSendungDerZauberervon

    Mekirch

    -

    Martin ~ des Westdeutschen Fernsehens vom

    23.

    1.1989 Regie Ulrich Boehm, Rdiger

    Safranski).

    18

    Vgl.

    z. B.

    Karo[ Sauerland: Vom spten zum

    jungen

    LukJcs und

    Bloch

    In Schweizer Monatshefte

    68

    Quni 1988).

    S.

    513-522.-Es wirdrichtig

    sein,

    da Heidegger entgegen der Unterstellungvon

    L.

    Gold

    mann)

    Gesch;hte

    und

    Klassenbewutsein

    von

    Lukacs

    nicht

    gelesen

    hat; durch

    die

    enge

    Freundschaft

    mit Wilhelm Szilasi und dessen Frau war er sicherlich genau ber

    den

    Weg von

    Lukacs

    und die

    Budapester Geschehnisse unterrichtet.

    Vgl.

    dazu Hugo tt in: Philosophie

    un

    Poesie (Festschrift

    0. Pggeler). Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert. Stuttgart

    1988.

    Band 2. S. 51ff.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    23/34

    26

    Otto Pggeler

    mieren konnten? Als Heidegger im Nietzsche-Archiv die Betreuung der Edition

    von Nietzsches Nachla bernommen hatte, mute er auch auf diesem Felde seine

    Erfahrungen machen: Als die nationalsozialistischen Dienststellen das Imprimatur

    verlangten

    und

    damit zu verstehen gaben, da sie Nietzsche nicht unzensiert her

    ausgeben wollten, trat er schlielich aus der Nietzsche-Kommission aus.I

    9

    Ohne

    Zweifel haben Philosophen fr den Nationalsozialismus optiert;

    ob

    man sagen

    darf,

    da der Nationalsozialismus seine Philosophie gehabt habe, kann erst ent

    schieden werden, wenn wir prfen, wie eine Option wie die Heideggersche sich

    weiter ausgestaltete.

    3 Geist und Ungeist

    Der

    Nationalsozialismus hat

    1933

    in krzester Zeit aus einer nationalen Koali

    tion heraus seine totalitre Herrschaft etabliert. Die Parteien wurden aufgelst

    oder

    zur

    Selbstauflsung gezwungen, die Gewerkschaften durch eine Treuhnder

    schaft ber die Auseinandersetzungen im Arbeitsbereich und durch Ersatzorgani

    sationen abgeschafft. Heidegger gehrte zweifellos zu denen, die der Auffassung

    waren, da

    nur

    umgestoen wrde, was lngst dabei war zu fallen.

    Er

    hat selbst fest

    gehalten, da er damals von den zweiunddreiig Parteien keine politische Initiative

    mehr erwartete.

    20

    Wenn

    er

    als

    Rektor die Arbeitslosen in die Universitt holte

    und

    von der gemeinsamen Arbeit mit dem Spaten in der Hand ein neues Gemein

    schaftsbewutsein erwartete, folgte

    er

    sozialen und nostalgischen Motiven, die

    auch auerhalb des Nationalsozialismus genhrt worden waren.

    Da er

    mit Nietz

    sche glaubte, nur das Schaffen der groen Schaffenden knne dem Leben Tiefe und

    Rang geben, konnte er einen

    Fhrer

    akzeptieren, der in der Zeit der

    Not

    und der

    Ausnahmesituation das schpferische Risiko auf sich nahm.

    Der

    Fhrer aber sollte

    fr

    das

    Volk handeln. Als der Fhrergedanke

    mit

    der Volksabstimmung vom

    12. November

    1933

    plebiszitr wurde, untersttzte Heidegger diesen Schritt mit

    anderen berhmten Professoren wie Wilhelm Pinder, Sauerbruch, Emanuel

    Hirsch am Vorabend in Leipzig unter einem Wald von Hakenkreuzfahnen.

    War

    der Austritt aus der Organisation

    des

    Vlkerbundes nicht die Konsequenz aus

    9

    Vgl.

    Martin

    Heidegger:

    Niet:zsches

    metaphysi sme Grundstellung im abendLindischen

    enken

    s. Anm.

    13).

    S.

    253f.

    Vgl. auch Anmerkung 28.

    2

    V gl. d s Spiegel-Interview in Anrwort s. Anm.

    11).

    S.

    84.

    Die im folgenden genannten Dokumente

    sind noch nicht in einer historisch-kritischen Sammlung zusammengefaSt worden. Sie

    wurden

    1962

    von Guido Sehneeberger tendenzis mit anderen nazistischen Dokumenten zusammengestellt; so

    hatte die Kritik leichtes Spiel. Vgl. dazu den Bericht von Beda Aliem4:nn: Martin Heidegger und

    die

    Politik.

    In: Heidegger

    Perspektiven zur Deutung seines Werks Hrsg. von

    0

    Pggeler. Zweite Aufl.

    Knigsteintrs.

    1984.

    S.

    246ff.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    24/34

    Philosophie und Nationalsozialismus -

    am

    Beispiel Heideggers

    27

    Hitlers Friedensrede vom Mai, die mit genialer (oder diabolischer ) Verfhrungs

    kraft das gescheiterte Wilsonsche Programm der Selbstbestimmung der Vlker zu

    bernehmen schien? Seinen Studenten konnte Heidegger sagen:

    Nicht

    Lehrstze

    und

    ,Ideen' seien die Regeln eures Seins.

    Der Fhrer

    selbst und allein

    ist

    die heutige

    und zuknftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz." Natrlich passen sich diese

    Formulierungen ein in das, was dieNationalsozialistendamals brauchten. Verstan

    den wurden sie aber auch damals schon in dem Sinne, da Heidegger vom Kanzler

    einer nationalen Koalition erwartete, er werde sich ber seine Partei erheben:

    Nicht Lehrstze, nmlich nicht das Parteiprogramm, nicht Ideen, nmlich nicht

    die propagierte Weltanschauung, sondern die schpferische Konfrontation mit der

    einmaligen Situation sollte magebend sein.

    21

    So hat Heidegger sich denn auch mit

    den Gedanken seiner Rektoratsrede der Umwandlung der Universitten in gesell

    schaftlich eingebundene Fachhochschulen widersetzt.

    Er

    hat sich in seinen Vorle

    sungen sarkastisch gegen die Rassenlehre Rosenbergs und seiner Anhnger ausge

    sprochen.

    Als die Freiburger Universitt im April

    1933

    ihren gerade gewhlten Rektor

    nicht halten konnte, suchte sie in ihrem berhmten Professor, dem Philosophen,

    so etwas wie einen Rettungsanker und whlte ihn schlielich ohne eigentlichen

    Widerspruch zum Rektor. Heidegger war ohne jede Kenntnis in Verwaltungs

    dingen; doch mit der Universittsreform hatte er sich philosophisch immer schon

    befat: 1919

    und

    1929 hatte

    er

    gem der alten philosophischen Aufgabenstellung

    ber die Methode des akademischen Studiums gelesen und die Isolierung der

    einzelnen Fcher im Spezialistentum wenigstens durch das gemeinsame Fragen

    aufbrechen wollen. In seiner Rektoratsrede trat er der Universitt mit dem

    Anspruch eines Fhrers gegenber, der schpferische Lsungen vorschlug. Es war

    nicht mehr die Rede davon, da der

    Rektor nur

    der Erste unter Gleichen sei,

    gebunden an die alten Regeln der Selbstverwaltung. Vielmehr setzte der Rektor auf

    die studentische Jugend, die mehrheitlich lngst auf der Linie der Revolution lag.

    Heideggers weitere Universittsreden lieen keinen Zweifel daran, da die ver

    altete Hochschullehrerschaft durch eine neue ersetzt werden sollte. Das Ordina

    rienwesen sollte abgeschafft, doch gerade so die Qualitt von Forschung und Lehre

    gehalten,

    ja

    gesteigert werden.

    Da Heidegger renommierte jdische Kollegen an der Universitt zu halten

    suchte, aber sich auch durchaus selber

    in

    die geforderte Suberung der Universitt

    einschaltete, hat der Historiker

    Hugo

    Ott nachgewiesen. Doch wei

    Hugo

    Ott

    21

    So

    hat

    Heideggers

    damaliger Schler Walter Brcker

    meines

    Erachtens zutreffend interpretiert;

    vgl.

    dazu meinen Aufsatz

    Heideggers

    politisches Selbstverstndnis in:

    HeUlegger

    und

    die

    praktische

    Philo

    sophie

    s.

    Anm. 8).

    S. 32

    und

    58f.

    -Zum folgenden

    vgl. Martin

    Heidegger:

    ie Selbstbehauptung

    r kr

    deutschen Universitt I Das Rektorat 1933/34. Frankfurt a. M.

    1983.

    Vgl.

    ferner Martin Heidegger:

    Hlderlins Hymnen Germanien und

    Der

    Rhein (s.

    Anm.16).

    S.

    26ff.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    25/34

    28

    Otto Pggeler

    keine ntwort auf die Frage, wie Heidegger dazu kommen konnte, einen Kollegen

    wie den spteren Nobelpreistrger fr Chemie Staudinger zu denunzieren.

    22

    Die

    ntwort hat aber Max Mller in seinen Erinnerungen an die damaligen Gescheh

    nisse schon gegeben: Staudinger, ein unglaublich gtiger Mensch , sei in seinen

    politischen berzeugungen von niemandem auer Heidegger ernst genommen

    worden;

    er

    sei zuerst seiner ersten (pazifistisch gesinnten) Frau gefolgt, dann aber

    seiner anders optierenden zweiten Frau.

    Hugo Ott

    prgt uns ein, da Heidegger

    seine Zustimmung zur nationalsozialistischen Bewegung als eine zweite Taufe, als

    Abschwrung und als Loslsung von den Gtzen erfahren habe. So wurde Heideg

    ger konsterniert dadurch, da Staudinger sich pltzlich, wie Heidegger schrieb, als

    hundertzehnprozentiger Freund der nationalen Bewegung darstellte. Solche

    schwankenden Gestalten konnten fr Heidegger auf den Weg in das nun anbre

    chende Gottesreich keine Vorbilder der Jugend sein. Im konkreten Verfahren

    gegen Staudinger revidierte Heidegger dann freilich bald den ersten Radikalismus.

    Als Baden den Universitten eine Fhrerverfassung gab, lag dieses Vorpreschen

    ganz auf Heideggers Linie - wer immer die juristischen Aufgaben erledigt hatte.

    Doch ging es Heidegger nicht nur um seine eigene Universitt oder die badischen

    Universitten, sondern um die Universitten des Reiches berhaupt. Ein erneuter

    Ruf nach Berlin geriet offenbar in den Zusammenhang mit Plnen zur Grndung

    einer zentralen preuischen, dann deutschen Dozentenakademie: Jeder Habili

    tierte

    oder

    sich Habilitierende sollte nationalsozialistisch geschult werden. Wie

    ernst Heideggers Kandidatur hier war, zeigt der sofort eintreffende Widerspruch

    des Psychologen Jaensch und des Pdagogen Krieck, die sich als die eigentlichen

    Nationalsozialisten wuten und

    Heideggers Gedankenwelt als jdisch

    und

    schi

    zophren ablehnten.

    3

    Doch noch nach dem Rcktritt als Rektor, im August 1934,

    22

    VgL Hugo

    Ott: Manin

    Heidegger. Unterwegs

    zu seiner

    Biographie.

    Frankfurt/New York

    1988. S.

    201ff,

    zum folgenden auch S.197. Vgl. zum folgenden ferner MaxMller, in:Antwort s. Anm.11).

    S.

    205f.

    23

    Vgl. Hugo Ott:Martin Heidegger s. Anm.

    22). S. 244,

    zum folgenden

    S.

    245. Victor

    Farias

    hat erstmals

    auf

    diese

    Dokumente hingewiesen

    in

    seinem

    Buch Heidegger

    et

    le nazisme.

    Paris

    1987.

    Schon

    die fran

    zsische bersetzung versetzt Heideggers Texte in eine fremde Welt, z. B. wenn die Rcksichts

    losigkeit , die Heidegger fr das Existieren fordert, mit brutalite

    wiedergegeben

    wird (S.

    159).

    Jede

    Anerkennung, die aufgenommen werde, so meinte schon

    Rill, .e in

    einem Brief vom

    16.10.1907

    ber

    die spte Anerkennung Cezannes,

    sei

    eben doch nur halbgut und nicht rcksichtslos genug .

    Das

    Wort ,,rcksichtslos ist in einem positiven Sinn dann von Theologen wie Karl Barth, Gogarten und

    Bultmann durchgesetzt worden. Die deutsche Fassung des

    ~ h e s

    von Farias {Heidegger

    und der

    Nationalsozialismus. Frankfurt a.M. 1989) bringt

    einige

    Korrekturen. Doch zeigt

    auch

    sie, der jeder

    philosophische Gedanke und jede durchgreifende politische Analyse fehlt, wie man im ideologischen

    Medienstreit mit der Historie umgehen kann.

    Das

    Milieu, in

    das

    Heidegger

    1889 in

    Mekirch hinein

    geboren wurde, wird durch folgende Bemerkung charakterisiert: ,,Der Erwhnung

    bedarf,

    da am

    2l.Januar

    1349,

    whrend der Pest-Epidemie,

    in

    Mekirch smtliche Judenaufgrund der Anschuldi

    gung verbrannt wurden, die Brunnen vergiftet zu haben. (S.

    50)

    Abraham a Saneta Clara, bei Me.

    kirch geboren undspter Predigeram Hof des deutschen Kaisers in Wien, hatte sich gegen die Trken

    gewandt (als diese die Stadt zu erobern suchten), auch zeittypische Ausfalle

    gegen

    die Juden

    vorge-

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    26/34

    Philosophie und Nationalsozialismus-am

    Beispiel Heideggers

    29

    sandte Heidegger ein Gutachten zur Organisation der Dozentenakademie nach

    Berlin. Wie konnte er dort einsatzbereites Wissen um die knftige Universitt als

    erzieherischer Lebensgemeinschaft aus geschlossener Weltanschauung fordern, da

    er die Philosophie immer der Weltanschauung entgegensetzte und auch im Som

    mersemester 1933 in seiner Vorlesung die Philosophie auf das Fragen verpflichtete,

    so auf das Zurckholen ihres Anfangs

    und

    die Auseinandersetzung mit Hegel als

    dem groen Ende der metaphysischen Tradition?

    Im Juli 1933 sprach Heidegger (wie Baeumler) auf einer Schulungstagung des

    Amtes fr Wissenschaft der Deutschen Studentenschaft in Berlin. Nietzscheani

    sche Perspektiven tauchen auf, wenn man - laut Bericht der NS-Zeitschrift er

    tudent

    - forderte, der Student der neuen Hochschule sollte fest verankert sein

    durch die Verbundenheit mit einer aus unserem Geiste kommenden Wissen

    schaft: einer Wissenschaft, die wieder

    zur

    Lebenswirklichkeit der

    atur und

    der

    Geschichte erwacht ist aus dem Zauberschlafe eines wirklichkeitsfernen, feucht-

    bracht; das

    alles

    gilt

    als

    bse Vorprgungfr Heidegger (der sichz.B. 1936 gegenber Lwith offenbar

    fr einen Anschlu sterreichs aussprach): Antisemitismus und

    die

    Xenophobie von Abraham a

    Saneta Clara sind unbersehbar. Ihm zufolge war sterreich ein Teil Deutschlands. (S.

    68)

    Farias

    belegt wider Willen, da Heideggersichnieauf antisemitische uerungen Abrahams bezog. Richtig

    ist jedoch, da Heidegger als junger Theologiestudent dem antimodernistischen Katholizismus

    zuneigte (also eher dem Gralbund als der Zeitschrift Hochland ). Wenn Heidegger dabei in

    seinen Aufstzen Georg Brandes den Heine Dnemarks nannte, dann gab er den Vergleichs-

    gesichtspunkt

    genau an:

    nicht

    die

    jdische Herkunft, sondern

    die

    freidenkerischen Bestrebungen,

    die

    in

    Jacobsen und Nietzsche kulminierten (S.

    86 f). Am

    Schlu des Buches kommt sogar der

    "Stamm-

    baum wieder in Sicht: Hatte Heidegger nicht gemeinsame Vorfahren mit Abraham? Jedenfalls

    konnte ein Freund

    Heideggers nach eigenem Bericht

    abends

    ein Bild von Abraham in einem Schau-

    fenster mit einem

    Bild

    von Heideggers Bruder verwechseln (S.

    378).

    Heidegger sprach 1964 bei einem

    Mekircher Schultreffen ber Abraham und zitierte

    dabei auch, wie

    Abraham

    ein

    Sprichwort

    auf-

    nahm in seinem

    Satz,

    der Friede sei so weit weg vom

    Krieg

    wie

    Sachsenhausen

    von Frankfurt

    (d.

    h.

    da Frieden und

    Krieg

    schnell ineinander umschlagen knnen). n der franzsischen Version seines

    Buches verwechselte Parias noch

    die

    Frankfurter Vorstadt

    mit dem gleichnamigen

    Konzentrations

    lager

    bei

    Berlin. Nach der deutschen Version lt wenigstens das Unbewute gegen alle innere

    Zensur Heidegger auf die

    beiden

    Ortsnamen anspielen, weil

    Sachsenhausen

    und Auschwitz nichts

    zu tun haben sollen

    mit

    Frankfurt,

    wo damals

    der Auschwitzproze stattfand

    (S.

    379).

    Mit der

    Methode oder Unmethode solchen lnterpretierens kann man

    alles Mgliche

    unterstellen, kaum

    aber gegen Goebbels kmpfen. Geistesgeschichtlich scheint der prfaschistische Heroismus von

    Sein

    und

    Zeit

    gesichert, da nach

    diesem

    Buch das Dasein in der Wiederholung seinen Helden

    whlt

    (S.

    112).

    Parias wei offenbar nicht, da hier Kierkegaards Wiederholung kombiniert wird

    mit Nietzsche und mit einer Redeweise, die Goethe in derIphigenie gebraucht. Dort sagt Pylades dem

    Orest: ,,Ein jeglicher mu seinen Helden whlen . Doch hat es keinen Sinn, weiter Beispiele zu

    hufen. Jrgen Habermas

    hat

    dem Buch ein Vorwort mitgegeben. Er betont, da der neue Anfang

    von

    Sein

    und

    Zeit

    den wohl tiefsten Einschnitt

    in

    der deutschen Philosophie

    seit

    Hege "

    bilde

    und

    nicht durch

    die

    politischen Verirrungen seines

    Verfassers

    diskreditiert werden knne. Habermas

    korrigiert Farias, indem er Heideggers neuen Ansatz im Winter 1929/30 heraushebt, aber auch die

    Abwendung vom nationalsozialistischen Totalitarismus

    etwa 1939/41.

    Umgekehrt wird Farias

    gegenber Habermas darin

    Recht haben, da

    Heidegger nicht ein Universittsmandarin war, sondern

    auf

    die revolutionre (d.

    h. damals

    nationalistische und nationalsozialistische) studentische Jugend

    setzte.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    27/34

    30

    Otto

    Pggeler

    losen Ideologismus aller Schattierungen, dem sie durch den Einbruch des Christen

    tums in das deutsche Geistesleben verfiel und die sich wieder befreit hat aus der

    Gefangenschaft positivistischer Tatsachenkrmerei . Neben den W ehrlagern, die

    von der

    Studenten-SA betreut wurden, gab

    es

    folglich Wissenschaftslager

    mit

    aus

    gewhlten Dozenten

    und

    Studenten- so

    im

    Herbst 1933 in Todtnauberg.

    Im

    Fu

    marsch wurde die weite Strecke von Freiburg nach dort zurckgelegt: SA- oder

    SS-Dienstanzug, eventuell Stahlhelmuniform mit Armbinde . Doch schon bei

    diesem ersten Lager gab es Auseinandersetzungen, auch einen Fhrer-Gefolg

    schafts-Konflikt zwischen Heidegger und einem seiner engsten Anhnger, dem

    jungen Historiker Rudolf Stadelmann. Die Probe des Lagers hat wahrscheinlich

    keiner bestanden , so schrieb Stadelmann am 16. Oktober 1933 an Heidegger:

    Aber jeder hat das groe Bewutsein mitgenommen, da die Revolution noch

    nicht zu Ende ist. Undda das Ziel

    der

    Revolution der SA-Student ist. Damit

    traf

    Stadelmann Heideggers damalige berzeugung:

    da

    die Revolution erst begonnen

    habe

    und

    und da sie wesentlich von der Universitt ausgehen msse.

    4

    So mute

    der Plan einer zentralen Dozentenakademie fr Heidegger wichtig sein. Heideggers

    erneute Berufung nach Berlin war vielleicht nicht ohne Zusammenhang mit der

    Absicht, Heidegger auch in der Dozentenakademie eine wichtige Stellung zu geben.

    Wir knnen

    aber nicht sagen, da

    wir

    die (nur so schwer noch vorstellbaren)

    Vorgnge von 1933/34 im einzelnen zu durchschauen vermchten; dazu fehlt

    noch das ntige Hintergrundwissen. So hat die zeitgeschichtliche Forschung, die

    auf anderen Feldern sehr intensiv arbeitete, die Geschichte des Plans der Dozenten

    akademie und der Fortsetzung des Geplanten in einzelnen Dozentenlagern nicht

    aufgehellt. Der erste Grund dafr liegt sicherlich darin, da die Materialien aus dem

    Zentralen Staatsarchiv Dienststelle Merseburg nur schwer zugnglich sind. Dabei

    hat das Schicksal dieses Plans wohl symptomatische Bedeutung: Zuerst, 1933/34,

    der Versuch, alle Universittsdozenten und Habilitanden an einer gemeinsamen

    Akademie politisch zu schulen, sie mit Sport, Kampfspielen und anderen sog.

    Kameradschaftserlebnissen auch persnlich umzuformen; dann das Scheitern des

    Plans, die

    Fortfhrung

    des Geplanten in dezentralisierten Einzellagern. Als

    Hitler

    schlielich den Krieg beschlo, wurden die Wissenschaftler, die man ja brauchen

    wrde, von der politischen berprfung weitgehend freigestellt. So konnten

    die einzelnen Universitten wieder relativ selbstndig

    und

    unterschiedlich ver

    fahren.2s

    4

    Zum einzelnen vgl. ugo Ott: Martin eidegger s. Anm. 22).

    S.

    214ff, 221, 19ff, 231.

    20

    Hans-Georg Gadamer berichtet,

    da

    er im Herbst

    1936

    freiwillig (und offenbar mit dem Gefhl einer

    Befreiung aus wachsender Isolation) an einem solchen Lager , Dozentenakademie genannt, in

    Weichselmnde bei Danzig teilgenommen habe. n dem Leiter (dem steirischen Grafen Gleispach,

    einem damals vielfach auftretenden Strafrechtler

    und

    Kriminalisten) habe er einen toleranten und

    diskreten, aber einflureichen Freund gewonnen. Die Entscheidung fr den Krieg habe dann den

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    28/34

    Philosophie

    und

    Nationalsozialismus-am Beispiel Heideggers 31

    Unklarheiten bleiben auch bei den Anfngen von Heideggers Engagement.

    Sicher ist, da Heidegger schon vor der Wahl zum Rektor in einer kulturpoliti

    schen Arbeitsgemeinschaft deutscher Hochschullehrer zugunsten der national

    politischen Erziehung einerfhrenden Ausleseschicht gearbeitet hat.

    Es

    war dann

    der Graezist Wolfgang Schadewaldt, der Heidegger als Rektor ins Spiel brachte.

    Weder kann man diese Gruppe auf Nationalsozialismus festlegen noch Heidegger

    von der nationalsozialistischen Fraktion abtrennen. Bestrkt fhlte Heidegger sich

    durchJaspers, dem er offenbar im Mrz 1933 ber die Aktivitten von Baeumler

    und Krieck berichtet hatte, der selber an Universittsreformplnen arbeitete und

    davon enttuscht war, da der Rektor Heidegger ihn ungengend bercksichtigte.

    Noch

    im Sptsommer 1933 besttigte Jaspers Heidegger brieflich diese Verbunden

    heit: Heideggers Rektoratsrede sei mit ihrer Glaubwrdigkeit das bisher einzige

    Dokument eines gegenwrtigen akademischen Willens , das bleiben werde. Mute

    Heidegger aber auf seinem Weg zum Rektorat nicht schon dadurch aufgehalten

    werden, da die jdischen Kollegen nicht mehr mitwhlen durften? Auch auf

    diesem Feld hat Heidegger seine Anpassungen vorgenommen. Wenn er seine Rek

    toratsrede jedoch auch einem jdischen Kollegen wie Richard Kroner schickte,

    dann wird deutlich, da er mit vielen anderen die antisemitischen Zge der Revolu

    tion fr etwas Vorbergehendes

    und

    Einzudmmendes hielt. Wenige mochten

    damals hellsichtig fr

    das

    Kommende sein;

    fr

    die meisten blieb

    die

    Situation ver

    worren

    und

    offen. Wie sonst htte

    Theodor

    Wiesengrund Adorno noch im Juni

    1934

    in der Zeitschrift Die

    Musik

    in der Vertonung eines Gedichtszyklus von

    Baidur von Schirach denkbar strkste Wirkungen des von Goebbels ausgerufe

    nen romantischen Realismus sehen knnen?

    26

    Universitten eine Schonzeit eingerumt (die Wissenschaftler, die nun bentigt wurden, wurden

    von

    politischen berprfungen weitgehend freigestellt). So habe er bald den Professorentitel und die

    Berufung nach Leipzig bekommen knnen. Im ganzen darf man wohl sagen-

    und

    das gilt sicher fr

    alle deutschen Universitten gleichmig -, da die Provinzialitt

    und

    Kleinbrgerlichkeit der

    Partei-Ideologie und ihrer Vertreter nicht imstande gewesen ist, die akademische Welt auf die Dauer

    zu

    durchdringen. Die Nazis waren wohl imstande, sie

    zu

    verachten, aber

    das

    hie am Ende doch, sie

    unterschtzen. Philosophische Lebrjahre. Frankfurt

    a.

    M.

    1977.

    S. 56f, 117) Max Mller dagegen

    wurdetrotz

    erfolgreicher Habili tation und Teilnahme am Dozentenlager aus der Dozentur entfernt,

    da er ber den Wirkungsraum der Universitt hinausging- fr den

    Groen

    Herder politische Artikel

    geschrieben hatte und in der katholischen studentischen Jugend ttig war. Heidegger strich in seinem

    sonst durchaus positiven Gutachten nicht den Satz ber Mllers negative Einstellung zu dem damali

    gen Staat (was der Prorektor Maunz fr ntig gehalten hatte): Als Katholik mten

    Sie

    wissen, da

    man die Wahrhei t sagen

    mu

    (Vgl. Antwort

    s.

    Anm. 11, S. 206f}. Heidegger selbst hielt fest:

    Meine inzwischen im Druck erschienene Rektoratsrede wurde zu einem beliebten Zielgegenstand

    der Polemik in den Dozentenlagern. (Bezeugt durch

    H.

    G. Gadamer, Gerh. Krger, W. Brcker.)

    Die

    Selbstbehauptung derdeutschen

    Universitt/

    Das

    Rektorat 1933/34 S. Anm. 21, S. 40f)

    6

    Zum

    einzelnen vgl. meinen Aufsatz

    Den

    Fhrer

    fhren?

    Heidegger

    und kein

    Ende.

    In

    Philosophische

    Rundschau

    32

    (1985). S. 26ff; vor allem S. 28 und 44. Zur kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft vgl.

    V.

    Parias: Heidegger

    und der Nationalsozialimus (s. Anm. 23 ).

    S.

    214 ff; ber Schadewaldts Vorsto vgl.

    Hugo

    Ott: Martin Heidegger s.

    Anm.

    22). S. 140.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    29/34

    32

    Otto Pggeler

    Man wird Heideggers damalige Radikalismen und Unsicherheiten nicht richtig

    sehen knnen,

    wenn

    man nicht bercksichtigt, da Heidegger auch

    mit

    seinen

    philosophischen und religisen Tendenzen in eine Krise geraten war. Als Karl

    Jaspers im lebhaften Publizieren wieder einmal eine Verffendichung an Heideg

    ger geschickt hatte, schrieb dieser ihm am

    1.

    Juli 1935, er selbst habe die abgebro

    chene philosophische Arbeit erst in einem "mhsamen Tasten" wieder aufnehmen

    knnen. Um so

    mehr

    habe

    ihn

    der Gru von Jaspers gefreut, denn die Einsamkeit

    sei "nahezu vollkommen". Mit der paulinischen Rede vom Pfahl im Fleisch sagte

    Heidegger, zwei Pfhle seien ihm

    zum

    berwinden geblieben: "die Auseinander

    setzung mit dem Glauben der Herkunft und das Milingen des Rektorats". In die

    sem Sommer sprach Heidegger in seiner Vorlesung Einfhrung in die

    Metaphysik

    davon, da Europa

    und

    vor allem Mitteleuropa in der Zange liege zwischen

    Amerika

    und

    Ruland.

    Doch

    der Kommunismus in Ruland, der Nationalsozia

    lismus in Deutschland, dazu der Amerikanismus waren fr Heidegger letztlich das

    selbe: die Verflschung des Geistes zur Intelligenz. Hegel hatte noch mit der Tradi

    tion

    im intelligere und in der Intelligenz die eigentliche Geistigkeit gesehen, und so

    konnte

    er

    mit den preuischen Reformern Preuen als den Staat ansprechen, der

    auf Intelligenz gebaut sei. Inzwischen hatte Max Scheler in seinen anthropologi

    schen ForschungenWolfgang Khlers Intelligenzprfungen an Affen referiert und

    die Intelligenz als die Fhigkeit gefat, auch mit neuen Situationen technisch fertig

    zu werden. Etwas angeblich

    Vorgegebenes

    die Klasse des Klassenkampfes, die

    obsolete Rasse, aber auch das gesellschaftlich zu beherrschende Gegebene des Posi

    tivismus wird in der Verflschung des Geistes zur Intelligenz nur noch einer tech

    nischen Organisation unterworfen, whrend die eigentlich politischen oder religi

    sen Fragen gar nicht

    mehr

    aufkommen. Doch

    war

    Heidegger 1935 immer noch

    der Auffassung, eigentlich habe der Nationalsozialismus jenen Aufbruch bringen

    mssen, den Heidegger selbst 1933 ertrumt hatte.2'

    27

    Vgl. Martin Heidegger: Einfhrung in die Metaphysik.

    Tbingen

    1953. S.

    28ff, 34ff;

    Hegels

    Rechts-

    philosophie

    im

    Zusammenhang

    der

    europischen Verfassungsgeschichte.

    Hrsg. von H

    .Ch.

    Lucas

    und

    0 Pggeler.

    Stuttgart

    1986,

    vor allem S.

    349;

    Max

    Sehe/er:

    Spte Schriften (Gesammelte Werke Band

    9).

    Bern

    1976. S.

    31.Jacques

    errida

    zitiert nur Matthew Arnold, der nach

    1866

    das geschichtliche Ver

    bindungsglied zwischen Hegels und Scheler-Heideggers Intelligenzbegriff herausstellte und einen

    Preuen sprechen lie: "'Liberalism and despotism ', cried thePrussian; ,Iet

    us

    go beyond these forms

    and words. What uniteS and separates people now is

    Geist .

    There you will find that in Berlin we

    oppose

    eist intelligence

    as you or the French might say - to Ungeist ..."

    Vom

    Geist.

    Heidegger

    und

    die Frage. Frankfurt a.M. 1988.

    5.144).

    Derrida spricht Heidegger

    zu

    Unrecht

    jene

    teleologische

    Metaphysik zu S.

    67),

    die Heidegger

    als

    Sehelees "Grundirrtum" ablehnte

    vgl.

    Die

    Grundbegriffe

    der

    Metaphysik

    s.

    Anm. 13, S. 283). Eine metaphysische Sehnsucht nach der Identitt - wenigstens der

    geschichtlichen Identitt

    eines Volkes

    oder

    des

    "Geistes" soll Heidegger

    zu

    seiner zeitweiligen

    Option von

    1933

    verfhrt haben. Zum mindesten um

    1928

    hat

    Heidegger

    jedoch

    die

    ,.metaphysische

    Ontik"

    als

    sachlich ntige Disziplin der Philosophie genommen. Da die heute ntige "Fernethik"

    nicht ohne eine teleologische Metaphysik mglich sei (der Mensch soll sein, auch in Zukunft sein

    knnen), hat

    Hans

    ]onas

    zu

    zeigen versucht: Das

    Prinzip

    Verantwortung; Frankfurt a.M.

    1979.

  • 8/10/2019 Pggeler-Phil u Nazis

    30/34

    Philosophie und Nat ionalsozial ismus-am Beispiel Heideggers

    33

    Diese lllusion ging verloren,

    als

    es nur noch um die Kriegsvorbereitung, die

    Organisation des Kampfes um dieWeltherrschaftging-also um Zielsetzungen, die

    von dem Philosophen nie geteilt worden waren. ls 1942 der Biochemiker und

    Nobelpreistrger Richard Kuhn auch den Goethepreis der Stadt Frankfurt bekam,

    hielt Heidegger in einer Aufzeichnung fest, da

    nun

    mit dem Segen Goethes die

    knstliche Schwngerungsfhrung

    und

    damit die geplante Bereitstellung des Men

    schenmaterials mit der lngst praktizierten Schrifttumsfhrung zusammengehen

    knne. Die Fhrer, die angeblichen bermenschen, zeichneten sich durch den

    Instinkt aus, der das Untermenschentum zu organisieren vermge.

    28

    Andere Texte

    aus diesen Jahren zeigen, da Heidegger von den politischen Vorstellungen, die ihn

    1933leiteten, z:um Beispiel von dem kruden Antiamerikanismus, nicht abgekom

    men war. Wre jedoch eine Aufzeichnung wie die genannte damals an

    das

    Licht

    oder in das Dunkel des Tages getreten, so htte sie Heidegger Kopf

    und

    Kragen

    kosten knnen. Diese Totalitarismuskritik aber prgte das Bild von Heidegger, als

    er Aufzeichnungen wie die genannte 1954 unter dem Titel einer berwindung

    der Metaphysik publizierte. Damit ist auch klargestellt, da es ein Bndnis

    zw