politikorange "Schnittstellen"

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SCHNITTSTELLEN FRÜHLING 2011 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUM 8. JUGENDMEDIENWORKSHOP IM DEUTSCHEN BUNDESTAG VOM 20. - 25. MÄRZ 2011

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Magazin zum 8. Jugendmedienworkshop im Deutschen Bundestag vom 20.-25. Mai 2011 in Berlin.

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SCHnittStellen

frühling 2011 Unabhängiges magazin zUm 8. jUgendmedienworkshop im deUtschen bUndestag vom 20. - 25. märz 2011

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kontrolle per Mausklick …s.04

Die neue alte ForM Der Beteiligung: Die strasse …s.06

Das politiscH scHÖne …s.07

pFlicHtDeMokratie – sollen wir uns zu alleM eine Meinung BilDen? …s.08

Desinteressierte JugenD? …s.08

e-DeMocracy Beteiligung via internet …s.09

DraHtseilakt in Der HauptstaDt …s.10

HalBzeit BeiM testspiel …s.12

sensation uM JeDen preis …s.12

loHnen personen? …s.13

seitenwecHsler …s.16

inhalt

FOtO: MarCO HerzOg

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alles nur sHow? …s.17

coucHDeMo …s.18

iMpressuM …s.19

13 Millionen stiMMlose …s.20

transparenz per app …s.22

piratensenDer aus DeM BunDestag? …s.23

„oHne glück geHt’s nicHt!“ …s.24

so naH unD DocH so Fern …s.25

loBBywooD - „acHtung: gewal-tenteilung Die FünFte!“ …s.26

zwiscHen sacHverstanD unD HalBwissen …s.27

Der weg Der nacHricHt – voM kaBinett ins woHnziMMer …s.28

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editOrial

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„Transparenz ist in unserer repräsentativen Politik das A und O“, sagt Brigitte Zypries, Bundestagsabge-ordnete der SPD und ehemalige Bundesjustizministerin. Transparenz sei ein Grundmerkmal einer funktionieren-den und soliden Demokratie. Doch wie wird diese Durch-sichtigkeit in der deutschen Politik verwirklicht? De facto ist es für die momentan 621 Abgeordneten des Deutschen Bundestages unmöglich, sich mit jedem Bürger zu tref-fen, um ihm Rede und Antwort zu stehen. Wie transpa-rent ist unsere Politik eigentlich? Wie kann man als Wäh-ler so viel wie irgend möglich über einen Abgeordneten seiner Wahl erfahren, ohne ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen?

Varianten der inFOrMatiOnSgewinnung

Eine Möglichkeit besteht darin, sich des üppigen Medienangebots in Deutschland zu bedienen und aus ihm seine Informationen zu beziehen. Doch was, wenn man etwas über einen Politiker erfahren möchte, der nicht wie Angela Merkel (CDU) annähernd jeden Tag in einem Beitrag einer Zeitung erwähnt wird? Die andere Möglichkeit, etwas über einen Abgeordneten zu erfah-ren, ist näher als man denkt. Sie ist praktisch nur einen Mausklick entfernt: das Internet. In den Weiten der Bits und Bytes findet man mehrere Webseiten, die sich dar-auf spezialisiert haben, die Politik etwas transparenter zu machen. Dort kann man erfahren, wie viel ein Politiker im Monat verdient, von wem er finanziert wird oder wel-che Posten er in der Wirtschaft hat.

eine neue FOrM der POlitikkOntrOlle?

Im Netz findet man die Hamburger Internetseite abgeordnetenwatch.de, auf der man allerlei über einen Abgeordneten seiner Wahl erfahren kann – zum Beispiel, was er zuletzt gesagt und wofür er im Bundestag ge-stimmt hat. Auf dieser Webseite ist unter anderem doku-mentiert, dass Außenminister Guido Westerwelle (FDP) mehr als 7.000 Euro im Monat verdient und Brigitte Zypries für eine Verlängerung des Afghanistaneinsatzes gestimmt hat. „Man müsste diese Seite erfinden, wenn sie noch nicht erfunden wäre“, sagt Burkhardt Müller-Sönsken, medienpolitischer Sprecher der FDP. Zahlreiche Parlamentarier nutzen indes dieses Internetportal auch, um Fragen der Bürger zu beantworten und mit ihnen zu kommunizieren. „Jeder, der mir aus dem Wahlkreis schreibt, hat bisher eine Antwort bekommen“, sagt der Abgeordnete Ulrich Lange (CSU) und ergänzt: „Aber wer sich ernsthaft in diesen Portalen mit seinem Abgeord-neten auseinandersetzen will, muss genauso offen das Gespräch und die Diskussion suchen, wie man es von uns erwartet.“ Es gibt allerdings auch Abgeordnete, die

sich der Plattform entziehen. Beispielsweise beantwortet Stefanie Vogelsang (CDU), Abgeordnete des Wahlkreises Neukölln, auf ihrem Profil keine einzige Frage eines Bür-gers, sondern verweist auf die Kontaktdaten ihres Ab-geordnetenbüros. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzt das Forum nicht. Von 467 gestellten Fragen hat sie keine beantwortet.

deutSCHeS anti-kOrruPtiOnSgeSetz? FeHlanzeige.

Zusätzlich gibt es die Webseite lobbycontrol.de, die sich speziell mit Korruptionsaffären und Lobbyismus auseinandersetzt. Hinter der Seite steht der gemeinnüt-zige Verein LobbyControl e.V., der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU auf-klären will. „Lobbycontrol.de ist das Sprachrohr eines Vereins, der Recherchen und Kampagnen bündelt, um Transparenz in der deutschen Lobbyismuslandschaft zu schaffen“, sagt Mitarbeiter Peter Vollmer. Bei den Recher-chen durch die Grauzonen der Politik weist der Verein immer wieder Erfolge auf. So konnte man der Deutschen Bahn (DB) im Jahr 2009 beispielsweise nachweisen, dass sie die Öffentlichkeit gezielt manipulierte, um die um-strittene Privatisierung durchzusetzen. Für 1,5 Millionen Euro hatte der Konzern eine verdeckte Meinungsmache bei der Lobby-Agentur EPPA GmbH in Auftrag gegeben. Die Enthüllung schlug hohe Wellen in den Medien und die DB entließ noch am selben Tag ihren Generalbevoll-mächtigten für Marketing und Kommunikation.

Dass derartige Instanzen im Netz existieren, sei laut Befürwortern gerade deswegen essenziell für die Demokratie, weil es in Deutschland kein Anti-Korrupti-onsgesetz als solches gibt. Warum nicht? „Weil die CDU und andere Abgeordnete da nicht mitmachen“, erklärt Brigitte Zypries. „Ich habe in meiner Zeit als Justizmi-nisterin einen Gesetzentwurf eingebracht, der nur einen Teil betraf. Bis jetzt haben die Abgeordneten das aber boykottiert.“

Der Wutbürger hat es gezeigt: Wir Deutschen sind lan-ge nicht so politikverdrossen, wie gemeinhin angenom-men wird. Für die Durchsetzung der eigenen Interessen sind viele von uns wieder auf die Straße gegangen – sei es gegen die Atomkraft oder Stuttgart 21.

Aber warum war das nötig? Eine Antwort lautet, dass die Politik uns Bürger nicht mehr ausreichend mitnimmt. Es fehlt an Transparenz, Nähe zu den Entscheidungs-prozessen und Mitbestimmung. Die Schnittstellen zwi-schen Politik, Medien und Bürgern sind beschädigt. Aber die Fehlerquellen sind nicht nur in der Politik zu suchen. Auch die Medien tragen eine Mitschuld. Un-ter dem Quotendruck agieren sie immer schneller und oberflächlicher, sie neigen dazu, Politik zu boulevardi-sieren und mitunter fehlt die kategorische Distanz zur Politik, wie der Fall Steffen Seibert zeigt.

Andererseits sind es grundsätzliche Verbindungsfehler zwischen Politik und Bürger, die seit langem existieren, aber jetzt verstärkt hervortreten. So mangelt es beispiel-weise an Möglichkeiten der direkten Demokratie, wie dem Volksentscheid. Für 13 Millionen Deutsche würde es allerdings schon ausreichen, wenn sie überhaupt an Bundestagswahlen teilnehmen dürften. Aufgrund ihres jungen Alters sind sie aber zu stimmlosen Bürgern de-gradiert.

Die Probleme unserer Demokratie sind grundsätzlich. Die Schnittstellen zu reparieren - wie es Heiner Geißler mit seinem Schlichtungsverfahren versucht hat - wird nicht ausreichen. Stattdessen müssen neue Schnittstel-len gefunden werden.

Wir Bürger geben hier die Antwort vor. Längst setzt die junge Generation auf das Internet. Via Facebook und Twitter organisiert sie Protestaktionen und überführt Mi-nister des Plagiats. Das Web dient zum Meinungsaus-tausch, aber auch zur Kontrolle der Politik und natürlich zur Teilhabe. Das Drücken des „Gefällt mir“-Buttons ist da nur der Anfang. Länder wie Estland machen längst eindrucksvoll vor, wie E-Demokratie funktionieren kann. Aber auch in Städten wie Köln gibt es mit dem Bürger-haushalt spannende Projekte der Teilhabe via Internet. Ob diese neuen Schnittstellen taugen und was ihr sonst über die aktuellen Verbindungsfehler wissen müsst, er-fahrt ihr in dieser Ausgabe. Gutes Lesen!

Sophie Hubbe und Falk Steinborn

kontrolle per Mausklick Für viele Bürger ist Das politiscHe Berlin nicHt transparent. sie wissen nicHt, wie iHre aBgeorDneten zu verscHieDenen tHeMen steHen unD wie sie aBstiMMen. DurcH Das internet BekoMMen Die Bürger eine neue kontrollinstanz. aBer sie Müssen sie zu nutzen wissen. wenn sie es Denn zu nutzen wissen. VON AMADEUS ULrIcH UND FLOrIAN STEIDLE

Florian Steidle (17) aus Gundelfingen und Amadeus Ulrich (19) aus Darmstadt.

Mit uns an der Macht gäb‘s Kuchen an allen Tagen!

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Bürger

FOtO: MarCO HerzOg

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„bequem“ „sehr unsicher“

Jörg BüHMann, 29 JaHre,

Student der MedieninFOrMatik

„Gefällt mir nicht, weil es meines wissens

nach nicht leGal ist, über das internet zu

wählen. das bundesverfassunGsGericht

hat ein urteil Gefällt, in dem es um wahl-

computer Geht. diese sind nicht zulässiG!

diese Gründe treffen auch auf die wahl im

internet zu.“

„nicht zulässiG“

anne SPieSS, 23 JaHre,

MedizinStudentin

„Gefällt mir nicht, weil viele alte leute

nicht richtiG wissen, wie man mit dem

internet umGeht. ausserdem ist es sehr

unsicher. letzten endes zählt für mich der

akt des wählens, ich möchte aktiv sein,

also zur wahl Gehen.“

alexander HaBBe, 27 JaHre,

SPOrttHeraPeut

„eine bundestaGswahl über das inter-

net würde mir Gefallen, weil ich bequem

von zu hause aus wählen könnte. meine

stimmabGabe lieGt dann quasi nur einen

mausklick entfernt. der weG zu meinem

wahllokal fällt weG.“

FrucHtFleiscH 22. septeMBer 2013, Die BunDestagswaHl FinDet erstMals online statt.

Baumbesetzungen, Bahnhofsbelagerungen, Sitz-blockaden: In Stuttgart erlebt eine scheinbar verloren-gegangene Demonstrationskultur eine Renaissance. Nach den großen Protestwellen der 68er ist die Demo als Beteiligungsform wieder in allen Medien präsent. „Der Protest ist heute gefühlt mehr, aber auch nur gefühlt“, sagt Stern-Redakteur Lutz Kinkel. Es gäbe zwar viele Demonstrationen, doch nicht so viele wie es durch die Medien erscheine.

Der Soziologe Dr. Eckhardt Priller vom Wissen-schaftszentrum Berlin für Sozialforschung erforscht die Gründe für die wieder auflebende Demonstrationskul-tur. Den derzeitigen Anstieg führt er unter anderem auf die Wirtschaftskrise zurück. Viele Menschen mussten in Kurzarbeit gehen oder seien sogar arbeitslos geworden – eine existenzgefährdende Situation. Dies führe zu einer größeren Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Dadurch seien viele Menschen schneller bereit, ihren Unmut auf der Straße zum Ausdruck zu bringen.

„niCHt FunktiOnierende BundeSregierung“

Andererseits macht Priller die derzeitige politische Situation in Deutschland für die auflebenden Proteste verantwortlich. Eine „nicht funktionierende Bundesre-gierung“, die anscheinend nichts gegen die Probleme der Bevölkerung unternehme und sich nur streite, enttäusche die Menschen. Die Folge ist: Sie verlieren ihr Vertrauen

in die Politiker. Die Menschen haben das Gefühl, dass ihr Kreuz auf dem Wahlzettel nicht mehr ausreicht. Sie gehen auf die Straße, um den Politikern zu zeigen, dass die derzeitige Situation für sie nicht mehr vertretbar ist.

„Spiegel“-Journalist Christoph Hickmann sieht vor allem persönliche Betroffenheit als Auslöser für die Stutt-gart 21-Proteste. „Wenn der persönliche Lebensbereich der Bürger betroffen ist, werden sie aktiv.“ Speziell bei Stuttgart 21 kommt hinzu, dass die Bevölkerung unzu-reichend informiert war, was die Transparenz und Glaub-würdigkeit des Vorhabens infrage gestellt hat. Der Bürger fühlt sich betrogen und hintergangen. Dadurch sinkt sein Vertrauen in die Politik so sehr, dass die Leute auf die Straße gehen, um auf diesen Missstand hinzuweisen.

der auFStand deS wutBürgerS

Die Medien berichteten intensiv über diese De-monstrationen - vom „SPIEGEL“ über „BILD“ bis „Ta-gesschau“. Und auch über das Internet war Stuttgart 21 via Facebook und Co. ständig präsent. Dort wurden De-monstrationen organisiert und heftig diskutiert.

Die Medien haben daraufhin den Begriff „Wutbür-ger“ kreiert, der als Wort des Jahres 2010 gekürt wurde. Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse ist allerdings der Meinung, dass der Wutbürger nicht wirklich existiert: „Das ist eine journalistische Erfin-dung. Das sind Bürger, die ihre demokratischen Rechte in

Anspruch nehmen, die also Demokratie ernst nehmen.“ Für ihn handelt es sich schlicht um Menschen, die sich aktiv einbringen wollen. Damit sie dazu noch stärker die Chancen haben, spricht sich Thierse dafür aus, dass „die sogenannten plebiszitären Elemente, also Volksinitiative, Volksbefragung, Volksentscheid, ins Grundgesetz einge-tragen werden sollten“.

So lange diese Beteiligungsmöglichkeiten nicht vor-handen sind, machen viele Bürger von ihrem Demonst-rationsrecht Gebrauch. Die aktuelle Politik und die un-mittelbare Betroffenheit sind die wesentlichen Auslöser. Allerdings erscheinen die gegenwärtigen Protestbewe-gungen durch die Medien viel größer und einflussreicher, als sie es in Wirklichkeit sind.

Die neue alte ForM Der Beteiligung: Die strasse stuttgart 21 unD Die anti-atoMkraFt-DeMonstrationen HaBen gezeigt: Die leute geHen wieDer auF Die strasse. waruM geraDe Jetzt? Die wieDerentDeckung einer partizipationsForM oDer ein MeDienHype? VON KATHErINA THOMAS UND HANNES WEISS

Katherina Thomas (16) aus Ludwigshafen und Hannes Weiß (16) aus Würzburg.

Wir würden kostenloses, schnelles und effizientes Internet für alle einführen, wenn wir die oberste Ent-scheidungskraft hätten.

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Der Mann, der uns entgegenkommt, sieht nicht aus wie aus einem Modekatalog. Philipp Ruch ist groß und besitzt den typischen Gang von Menschen, die immer zu ihren Gesprächspartnern hinabsehen müssen: Seine Schultern sind leicht nach vorne geneigt, hängen ein we-nig. Dennoch ist er schön. Er besitzt politische Schön-heit. Aber was ist das überhaupt? „Politische Schönheit ist moralische Schönheit“, erklärt Ruch. Er hat das „Zen-trum für politische Schönheit gegründet“. Das Ziel ist es, Menschen durch Kunstaktionen und Poesie – also das Schöne – für die politische Teilhabe zu begeistern. Man-che Menschen würden das Zentrum und Ruch als visio-när bezeichnen, andere als radikal.

Was werden die kommenden Generationen wohl von uns denken? Was wird über uns in ihren Geschichts-büchern stehen? Das sind die Fragen, die einen festen Platz in seiner Gedankenwelt haben. „Unsere Generation wird ganz ganz schlecht abschneiden“, stellt er fest. Des-halb will Ruch die Bürger aufrütteln und antreiben.

„wir wären eineM Hitler HilFlOS auSgelieFert.“

Im Fokus des Zentrums steht das Thema Genozid. Denn Ruch und seine Kollegen halten den Völkermord für das wichtigste Problem unserer Zeit. „Es ist einfach ein Thema, das Deutschland überhaupt nicht interessiert im Moment, obwohl wir die Täter des Holocaust sind.“

Überall hört man, dergleichen werde sich nicht wieder-holen, weil wir so viel aus unserer Geschichte gelernt hätten. Ruch ist da anderer Meinung: „Wir wären einem Hitler hilflos ausgeliefert.“

Mit kunStaktiOnen Für die gute SaCHe

Tatsächlich kommt es weltweit immer wieder zu

Völkermorden. Philipp Ruch hält es für die Pflicht des Menschen, jeden Tag vor solchen Massenmorden zu war-nen und auf sie hinzuweisen. Dennoch thematisieren die großen Schlagzeilen nicht Genozide, sondern Ereignisse aus unserem Umfeld. „Die wichtigsten Themen im letz-ten Jahr waren Kachelmann, Stuttgart 21 und Google Street View“, kritisiert Ruch.

Das Zentrum für politische Schönheit will auf Wichtigeres aufmerksam machen. Die Aktionen dazu sind groß, sie schocken. Vor dem Brandenburger Tor ließ es 16.744 Schuhe aufschütten, von denen jedes Paar für einen in Srebrenica ermordeten Menschen stand. In die-ser Stadt wurden 1995 insgesamt 8.372 bosnische Mus-lime trotz der Anwesenheit von UN-Soldaten ermordet. Darauf will das Zentrum hinweisen. Dabei setzt es nicht auf klassische PR-Strategien sondern auf Theaterprojekte und Kunstaktionen. Sie sollen das Medieninteresse auf den Völkermord lenken und ihn so ins Bewusstsein der Menschen rücken.

„Wir sind eine Art Menschenrechtler neuen Typs“, sagt Philipp Ruch stolz. Doch er ist nicht nur kreativ, sondern auch radikal. Wenn Ruch von Menschenrech-ten spricht, dann merkt man ihm die Begeisterung für sein Thema an. Er würde für die Bekämpfung von Völ-kermorden auch Gesetze brechen und tatsächlich wurde der Künstler bereits wegen einer Aktion verhaftet. Wenn er sagt, dass die Mitglieder der RAF richtig gehandelt hätten, bis sie angefangen haben, Menschenrechte zu verletzen, ist das nicht unbedenklich. Man merkt, dass er auch ein Radikaler ist. Denn so ehrenwert die Ziele seines Zentrums auch sein mögen: Wer Gesetze bricht, handelt illegal. Wenn das einmal legitimiert wird, dann steht dieser Weg fortan allen offen.

käFer SCHützen, MenSCHen zertreten

Hinter diesem Problem steht auch die Frage: Wie weit darf politische Beteiligung gehen und wann wird sie moralisch unvertretbar? Ruchs Position ist dazu klar: Wer politisch schön handelt, der handelt in jedem Fall auch moralisch gut. Das bedeutet seiner Meinung nach, auch in der Politik ethisch richtig zu handeln. „Wir alle könnten staatstragend sein“, sagt er und weist sogleich auf die Fähigkeiten jedes Einzelnen hin. Jeder kann über Völkermorde aufklären und neue Pfade der Menschlich-keit aufzeigen.

„Sogar Tiere und die Mutter Natur werden in Deutschland besser geschützt, als die Menschenrechte.“ Für jede bedrohte Käferart gibt es eine Rettungskommis-sion, ein Genozidbeauftragter in der Bundesregierung fehlt dagegen. Dabei sind Umwelt und andere Themen nicht so in unserer Verfassung verankert, wie die Men-schenrechte. Gerade für diese müsste man sich folglich einsetzen - auch über nationale Grenzen hinweg.

Aber letztlich ist es schwer, diese Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Das stellen auch Ruch und sei-ne Kollegen immer wieder bei ihren Aktionen fest. Ein Grund dafür könnte sein: Die Menschen wollen nicht wahrhaben, wie viel Mitschuld die westliche Welt am Tod hunderttausender Menschen in Srebrenica, dem Kongo oder ganz aktuell in Libyen trägt. „Da wird hohe Technologie, die wir auch noch geliefert haben, einge-setzt, um Zivilisten zu töten“, erklärt Philipp Ruch. Wü-tend wirkt er dabei, der Visionär und politisch Schöne.

Das politiscH scHÖne MenscHenrecHte zu scHützen, ist nicHt einFacH. es Mit kunst zu tun, ist vielleicHt nocH proBleMatiscHer. aBer genau Das versucHt Das zentruM Für politiscHe scHÖnHeit. in seineM Fokus steHt Der vÖlkerMorD. uM auF iHn auFMerksaM zu MacHen, ist es aucH Bereit, gesetze zu BrecHen. VON ALINA ScHöPPAcH UND LAUrA OrLIK

FOtO: nada dzuBur / zentruM Für POlitiSCHe SCHönHeit

künStleriSCHeS MaHnMal: ein Berg auS SCHuHen SOll an den VölkerMOrd VOn SreBreniCa erinnern.

Laura Orlik (17) aus Nürtin-gen und Alina Schöppach (16) aus Norderstedt. Hätten wir das Sagen im Kanzleramt, würden wir den bisherigen Friseur feuern und Udo Walz einstellen.

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Sympathie und Charisma von Politikern dürfen die Stimme des Volkes nicht beeinflussen. Ebenso reicht es nicht aus, sich grob mit Parteiprogrammen auseinanderzu-setzen oder nur deren Ideologien zu kennen. Um wirklich mitbestimmen zu können, muss man sich auskennen. Aber wieso nehmen wir das wachsende Informationsangebot nicht wahr, um uns eine fundierte Meinung zu bilden?

„weil eS SCHwierig iSt, den üBerBliCk zu BeHalten.“

Dies stellt die Pressereferentin des Bundestages Eva Haacke fest, wenn sie ihren Pressespiegel erstellt. Sie beob-achtet, dass das Netz rastlos wachse. Außerdem birgt das Internet als Medium weitere Probleme: Es stiehlt den Kon-sumenten die Aufmerksamkeit durch vielfältige Layouts, Werbeanzeigen und Hyperlinks. Der Autor Nicholas Carr kommt deshalb in seinem Buch „Wer bin ich, wenn ich online bin?“ zu der Erkenntnis: „Wenn wir online gehen, begeben wir uns in eine Umgebung, die oberflächliches Le-sen, hastiges und zerstreutes Denken und flüchtiges Lernen fördert.“

Außerdem ist problematisch: Aufgrund des Leistungs-druckes müssen wir immer mehr Energie in unseren Be-

ruf und unsere Qualifikationen investieren. Dadurch fehlt uns Zeit, um uns umfassend zu informieren. Eckardt Priller vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung stellt deshalb fest: „Der Konkurrenzkampf führt selbstverständ-lich zu einem Mehr an Arbeit und Stress.“

daS HalBwiSSen BeHindert die deMOkratie

Der Bürger darf also fragen, wie er über Atomdebat-ten, Stammzellenforschung und Euro-Krise gleichzeitig und ausreichend informiert sein soll. Aber die Gegenfra-ge lautet: Was bedeutet es für unsere Politik, wenn das Volk keine stichfeste Meinung hat oder nur über Halb-wissen verfügt? Dann nämlich stimmen wir für oder ge-gen Beschlüsse, die wir nicht einschätzen können. Mal ehrlich: Welche Waagschale sollte Eurer Meinung nach schweben – die der Freizeit oder doch eher die der poli-tischen Freiheit?

Also bildet euch fundierte Meinungen, denn sie sind die Grundlage unserer Demokratie! Nur Reflexion, eigenständige und vor allem differenzierte Auseinan-dersetzung mit Medien und Informationen ermöglichen dies.

Nur wer ausreichend informiert ist, kann sich gu-ten Gewissens an der Politik beteiligen. Ausschließlich so darf und soll gemeinsam mit den Entscheidungsträgern nach Verbesserungen gesucht werden. Nehmt die gewal-tigen Informationsmöglichkeiten wahr – und bleibt dabei kritisch, hinterfragt sie! „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ fordert Kant schon vor über 200 Jahren – und ist damit heute noch aktuell.

pFlicHtDeMokratie – sollen wir uns zu alleM eine Meinung BilDen?Die DeMokratie BraucHt unsere Meinung. Die nÖtigen Fakten lieFert Der JournalisMus. aBer Die MeDien treten iM üBerMass auF unD werDen iHrer auFkläreriscHen rolle nicHt gerecHt: inForMationsFlut vs. MeinungsBilDung. ein koMMentar. VON KEVIN TArUN UND LISBETH SEIFErT

30 Prozent. So viele Menschen aus allen Generatio-nen haben bei der letzten Bundestagswahl nicht gewählt. Damit hat die Wahlbeteiligung einen neuen Tiefststand erreicht. Ob die Menschen nun aus Desinteresse oder Ablehnung nicht gewählt haben, unterm Strich erweckt es den Eindruck einer wachsenden Politikverdrossenheit.

Allerdings muss sich die Abneigung nicht gleich auf die komplette Politik beziehen sondern kann auch eine Verdrossenheit gegen einzelne Parteien sein. Partei-verdrossenheit kann zum Beispiel durch Unwissen oder Enttäuschung hervorgerufen werden oder durch den Ge-danken, dass alle Parteien das Gleiche wollen bzw. keine Partei wirklich den eigenen Vorstellungen entspricht.

POlitik iSt niCHt unBedingt Sexy

Hinzu kommt dass Politik auch interessant vermit-telt werden sollte. Vor allem das Fernsehen hat als Leit-medium eine wichtige Rolle. Professor Hans Kleinsteuber äußert dazu: „Im Privatfernsehen herrschen Sensation, Klatsch und Tratsch“, „die Welt der Politik“ hingegen lebe „von Fakten, Zahlen und nüchternen Sachverhalten“. Für die Mehrzahl der jugendlichen Zuschauer ist das nicht be-sonders sexy. Sie schauen eher Privatfernsehen.

FeHlen die wiCHtigen tHeMen?

Eine wesentliche Rolle für das politische Desinter-esse spielt auch die Lebenssituation vieler Jugendlicher. Wichtige Themen der Bundespolitik, etwa Rentenrefor-men oder die Vereinfachung der Mehrwertsteuer, erschei-nen nicht relevant. Professor Doktor Manfred Wilke für Politologie erklärt, dass für die Jugend, durch die Globa-lisierung, die nationale Politik keine Rolle mehr spielt, da die „durch die Globalisierung erschaffene Welt andere Bezüge schafft“. Die Jugend wolle sich schnell bewegen und nicht warten. Außerdem sei sie mit viel Anderem beschäftigt. „Die politische Situation ist ihnen in dieser Phase nicht so nah“, sagt der Politologe weiter.

Aber trotzdem oder gerade durch die Globalisie-rung kursieren Themen wie Lybien, Atomkraft und Stuttgart 21, die auch die Jugend angehen – und sie auch tatsächlich beschäftigen. Das zeigt das Jugend-magazin BRAVO. Neben Stars, Storys und Dr. Sommer findet man dort mittlerweile auch Poster, die sich ge-gen die Atomkraft richten. „Unsere Leser sind die Ge-neration, die mit den Folgen unserer heutigen politi-schen Entscheidung Pro oder Contra Atomkraft leben müssen“, erklärt der Chefredakteur Philipp Jessen.

Der Reaktorunfall im Kraftwerk Fukushima sorge bei Jugendlichen für Verunsicherung und Betroffenheit, wie viele Briefe und E-Mails an die „Bravo“-Redaktion zeigen. „Mit dem Poster sprechen wir unseren Lesern aus dem Herzen“, sagt Jessen.

Damit zeigt sich also, dass Politikverdrossenheit nicht pauschal auf alle Jugendlichen zutrifft. Es muss differenziert werden, warum Jugendliche sich manchmal weniger für Politik interessieren, als es in anderen Alters-gruppen der Fall ist.

Desinteressierte JugenD? politik unD JugenD passen in Den kÖpFen vieler MenscHen nicHt zusaMMen. Das iMage Der null-Bock-generation Hält sicH Hartnäckig. DaBei ist politikverDrossenHeit ein proBleM aller altersgruppen unD Die JugenD gar nicHt so Desinteressiert wie geMeinHin angenoMMen. VON MArcO FELDMANN

Kevin Tarun (20) aus Berlin und Lisbeth Seifert (18) aus Rostock.

Als Chefs des Bundestages würden wir jede Plenarsit-zung mit Chuck-Norris-Wit-zen beginnen lassen.

Marco Feldmann (16) aus Wilhelmshaven.

Hätte ich die Macht in Deutschland, wären gepimpte Bobbycars legal!

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Seit drei Jahren können die Kölner im „Bürgerhaushalt“ über die Verteilung von Finanzen mitbestimmen. Unter dem Motto „Deine Stadt – Dein Geld“ entscheiden sie per Maus-klick auf www.buergerhaushalt.stadt-koeln.de, wofür Geld ausgegeben und gespart werden soll. Dazu können die Bürger Ideen einbringen und mit anderen diskutieren.

2008/2009 verteilten die Kölner auf diese Weise über 8,2 Millionen Euro. Der Bürgerhaushalt verschafft ihnen da-mit mehr direkte Demokratie. Er lässt sie in einen stärkeren Meinungsaustausch treten und damit Verantwortung für die lokale Politik übernehmen.

der BürgerHauSHalt in köln

e-DeMocracy Beteiligung via internet elektroniscHe DeMokratie ist Die politiscHe teilHaBe üBer Das worlD wiDe weB: sie reicHt voM BürgerHausHalt Bis zuM uMstrittenen i-voting. VON jAN LASSEN UND jErEMy ScHEIBE

Eine riesige Kissenschlacht vor dem Kölner Dom, 10.355 bestellte Burger in einer Berliner Fastfood-Filiale oder eine scheinbar spontane Tanzperformance zu Michael Jacksons Hit „Beat it“ – Flashmobs sind ein Teil der Popkultur. Oft steht dabei der Spaß am Event im Vordergrund. Aber auch Akti-onen mit politischem Hintergrund werden immer beliebter. Bei diesen oft über das Internet organisierten Protestaktionen spricht man dann vom sogenannten „Smart Mob“.

2001 wurde beispielsweise der korrupte philippinische Präsident Joseph Estrada aus dem Amt gejagt. Vorausgegan-gen war ein „Smart Mob“, bei dem hunderttausende von Bür-gern – mittels Internet und SMS – über Nacht eine gewaltige Anti-Estrada-Demonstration organisiert hatten.

SMart MOB durCH daS internet

Was viele Deutsche für ausgeschlossen halten, findet in Estland bereits seit sechs Jahren regelmäßig statt – politische Wahlen im Internet. 2005 startete die dortige Regierung erste Versuche auf kommunaler Ebene. Dabei soll die elektronische Wahl den traditionellen Gang zum Wahllokal unterstützen - nicht aber ersetzen.

Die ersten Parlamentswahlen, bei denen auch online ge-wählt werden konnte, fanden 2007 statt. Die Resonanz war zunächst gering: lediglich 30.000 Estländer wählten auf elek-tronischem Weg. Das sind gerade einmal drei Prozent aller Wahlberechtigten. Aber die Online-Stimmabgabe gewann schnell an Vertrauen. Bereits eine Wahl später, 2011, nutzten mehr als 14 Prozent der Estländer das Internet zu Stimmen-abgabe. Das sind fünfmal so viele wie zuvor. Eine Identifika-tionskarte, ein Kartenlesegerät oder registriertes Handy, zwei Passwörter und ein Besuch der offziellen Internetseite sind für die Onlinewahl nötig. Die Idee dahinter: Jeder soll be-quem von zu Hause oder dem Büro aus wählen können. Die Frage, ob eine Wahl auf Basis des World Wide Webs geheim und sicher sein kann, ist eine andere.

i-VOting in eStland

Das Internet wird in unserem Leben immer wichtiger. Trifft es auf die Demokratie, so spricht man von E-Democracy. Sie birgt neue Möglichkeiten der Beteiligung und kann von den Menschen ohne große Hürden genutzt werden.

„Das Internet ist das schnellste, informativste, aber auch feindlichste Medium“, meint Jens Koeppen, Bundestagsab-geordneter der CDU und Fachmann für Internet und digita-le Gesellschaft. Vergleichbar mit einem Brandbeschleuniger brauche es nur einen kleinen Funken, um ein Feuerinferno politischer Teilhabe zu entfachen. Jüngstes Beispiel ist der Fall Guttenberg.

Um politische Beteiligung über das Internet zu organi-sieren, hat die Piratenpartei die Diskussions- und Abstim-mungssoftware „LiquidFeedback“ entwickelt. Christopher Lauer, Geschäftsführer der Piratenpartei, beschreibt sie als ein „nützliches Werkzeug zur schnellen Findung einer politischen Meinung.“ Den traditionellen Gang zur Wahlurne kann sie al-lerdings nicht ersetzen. Aber dieses Ziel würde LiquidFeed-back auch gar nicht haben.

elektrOniSCHe deMOkratie

FOtO: MarC Seele

Jan Lassen (20) aus Halver im Sauerland.

Als Bundeskanzler würde ich den Parlamentarieren grund-sätzlich schicke Krawatten verordnen.

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Marmorfliesen, Holzwände und ein verglastes Dach. Im ARD-Hauptstadtstudio spiegelt sich das Son-nenlicht in den Fenstern der Konferenzräume. Durchbro-chen wird dieses Stillleben nur durch zwei Frauen, die in schwarzen Ledersesseln sitzen. Sie plaudern über die Erkältungswelle, die im Regierungsviertel umgeht. Sil-ke Engel ist Hauptstadtkorrespondentin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und führt gleich ein Interview mit der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Noch beschränkt sie sich auf lockeren Small-Talk, sie will ihr die Zunge lockern. Die Taktik geht auf und so kommt Engels eine halbe Stunde später zufrieden aus der Aufnahme. Das Geheimnis des Hauptstadtjour-nalismus besteht darin, Vertrauen zu den politischen Akteuren aufzubauen. Gleichzeitig muss der Berichter-statter eine gewisse Distanz wahren, um seinen Beruf im Sinne eines investigativen Kontrollorgans auszuführen.

In der Praxis gestaltet sich das nicht immer einfach. Politiker und Journalisten treffen sich abends auch mal auf ein Bier. Sie diskutieren nicht nur die Neuregelung mautrechtlicher Vorschriften für Bundesfernstraßen, son-dern tauschen vertrauliche Einschätzungen zum Politik-betrieb aus oder ziehen über den politischen Gegner her. Derartige Aussagen dürfen den anwesenden Personen-kreis unter keinen Umständen verlassen. Vor lauter Ex-klusivberichten vergessen die Journalisten gelegentlich ihren Berufsethos. Eine hohe Auflage durch die Publika-tion von Interna scheint zuweilen wichtiger zu sein, als Anstand und Gewissen. Kerstin Lohse, Hauptstadtkorre-spondentin des RBB, berichtet, Redakteure des „Spiegel“ hätten schon mehrmals vertrauliche Informationen in ihrem Magazin platziert. Daraufhin durften die Journa-listen der Zeitschrift für einige Wochen nicht mehr an Hintergrundgesprächen teilnehmen. In der kurzlebigen

Welt der Politik war das jedoch schnell wieder vergessen. „Am ‚Spiegel‘ kommt eben keiner vorbei“, sagt Lohse im Blick auf die Mechanismen des Hauptstadtjournalismus.

„StändigeS SPiel auS näHe und diStanz“

Je öfter sich Journalist und Politiker treffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Journalist be-fangen wird. Schließlich darf er keine freundschaftliche Beziehung zu den Entscheidungsträgern der Bundespo-litik aufbauen. Er muss die Distanz wahren und einen schmalen Grad zwischen Unabhängigkeit und Networ-king beschreiten. Christoph Hickmann beobachtet als Redakteur des „Spiegel“ die SPD in ihrem politischen Alltag. Ob im Bus auf Wahlkampftour oder auf Dienstrei-se, er ist immer nah an den Spitzenpolitikern. Hickmann spricht aus Erfahrung, wenn er feststellt: „Es ist ein stän-diges Spiel aus Nähe und Distanz.“ Mit der Zeit rücke der Journalist dichter an das politische Geschehen und seine Akteure heran und laufe damit Gefahr, die kritische Distanz zu verlieren. Von sich behauptet Hickmann, den Spagat zu meistern. Er arbeite auf jeden Fall unabhän-gig und neutral. „Allerdings darf die kritische Einstellung nicht zur Attitüde werden.“

Nicht jeder Hauptstadtjournalist ist dauerhaft in der Lage, den nötigen Abstand zum Politiker aufrechtzuer-halten. Durch den Wechsel des Ressorts kann er sich ei-nem neuen Themengebiet mit neuer Distanz zuwenden.

gegenSeitige BeeinFluSSung

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Mitglied der SPD-Frak-tion im Bundestag und ehemalige Bundesentwicklungs-ministerin, sieht das Problem, dass sich manche Journa-

listen und Politiker gegenseitig beeinflussen wollen. „Bei Karl-Theodor zu Guttenberg und der ‚BILD‘-Zeitung hat man den Versuch gesehen, sich wechselseitig zu funkti-onalisieren.“ Im Kosmos des Regierungsviertels entsteht eine Zweckgemeinschaft, die den Geltungswunsch von Politikern und Medienmachern befriedigen soll. Es ist ein Geben und Nehmen. Um sich das Wohlwollen der Zeitungen zu sichern, streuen Abgeordnete gezielt Infor-mationen. So soll laut Kerstin Lohse Ministerin Kristina Schröder die „BILD“ als Erstes über ihre Schwanger-schaft informiert haben. Als Gegenleistung werde Schrö-der in der Zeitung positiv dargestellt. Außerdem hoffen Spitzenpolitiker, Aufmerksamkeit und Sympathien über Boulevardartikel zu erlangen. Die Hauptstadtmedien wiederum profitieren von hohen Auflagen.

Erfolgsdruck macht es beiden Seiten schwer, ein ausgeglichenes Verhältnis zu behalten. Durch zu viel Nähe läuft der Journalist Gefahr, als Berichterstatter un-glaubwürdig zu werden. Jeden Tag stellt er sich damit einer großen Aufgabe: den Drahtseilakt Hauptstadtjour-nalismus zu bewältigen.

DraHtseilakt in Der HauptstaDt Die HauptstaDtJournalisten BescHäFtigen sicH JeDen tag Mit politikern. sie sinD auF Der JagD nacH inForMationen unD storys aus DeM parlaMentsviertel. DaBei entsteHt eine näHe zu Den aBgeorDneten unD Ministern, Die iHre JournalistiscHe unaBHängigkeit geFäHrDen kann. VON MAxIMILIAN rADKE UND SADAF MALEK ASGHAr

Sadaf Malek Asghar (19) aus Hamburg und Maximilian Radke (17) aus Wiesbaden.

Wären wir an der Macht, dann ließen wir den den Reichstag verhüllen und ihn von Bürgern bunt besprayen.

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MeDien

FOtO: tHOMaS köHler / PHOtOtHek.net

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Blattschneiderameisen legen in ihrem Bau ganze Pilzgärten an, von denen sie sich ernähren. Ohne den Pilz verhungern die Ameisen und ohne die Ameise kann sich der Pilz nicht vermehren. Die Biologie definiert dieses Zusammenleben als „obligatorische Symbiose“ – eine Zweckgemeinschaft, die für beide Partner lebens-notwendig ist.

Das Verhältnis von Medien und Politik ist damit

durchaus vergleichbar: Beide Komponenten existieren in Abhängigkeit zueinander und sollen sich gegenseitig kontrollieren. Als symbiotisch kann diese Wechselbe-ziehung jedoch kaum bezeichnet werden. Die gesell-schaftstypische Ellbogenmentalität lässt solidarisches Teamwork zwischen den Gewalten kaum zu. „Geben und Nehmen“ wird durch die Devise „Ich nehme mir so viel, wie ich kann und gebe möglichst wenig ab“ ersetzt. Beiderseitiges Schmarotzertum ist der wohl passendere Begriff.

Guter Publicity gilt das höchste Interesse – der Po-litiker möchte seine Beliebtheit sichern; Medien zielen

darauf ab, möglichst viele Menschen zu beeinflussen und hohe Verkaufszahlen zu erzielen. Ersterer neigt da-bei zum gezielten Verschweigen von Details und gibt an die Medien nur weiter, was den Bürger unter Garantie interessiert. Auf der anderen Seite schießen sich einige Journalisten häufig aus Sensationsmangel auf bestimmte Politiker ein und ziehen sie durch den Kakao. Vorgehens-weisen, die sich immer wieder als öffentlichkeitswirk-sam erweisen.

Glücklicherweise ist das oben angeführte Bild keinesfalls zu pauschalisieren. Aber wer ist angesichts dieser Situation noch in der Lage, Wahrheit und Lüge voneinander zu unterscheiden? Es besteht die Gefahr, dass bedeutende Themen im journalistischen Sensati-onsdschungel untergehen. Verschweigt der Politiker zu-dem die Wahrheit, entsteht im Endeffekt ein inhaltsloser Artikel ohne Quintessenz.

Resümee: Wirklich Relevantes erreicht den Bürger auf lange Sicht oftmals nicht. Blattschneiderameise und Pilz arbeiten ausschließlich füreinander. Bei der Zusam-

menarbeit von Politik und Medien ist es jedoch kompli-zierter. Das Ziel des Miteinanders muss eine aufgeklärte, informierte und partizipierende Gesellschaft sein. Die Ameise und der Pilz dürfen hierbei nicht als Vorbild die-nen. Anstatt für sich, müssen Politiker und Journalisten nämlich für die Bevölkerung arbeiten.

sensation uM JeDen preis oHne Den anDeren kÖnnen sie nicHt, MiteinanDer nocH weniger. wie politik unD MeDien sicH gegenseitig aus-Brennen. EIN KOMMENTAr VON ANNEMArIE FrEINIK

„Das Internet ist das freiheitlichste und effizientes-te Informations- und Kommunikationsforum der Welt und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei“, heißt es in einer Erklärung des Bun-destags.

Mit dieser Erkenntnis rief der Bundestag im März 2010 die neue Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft ins Leben. Bis zum kommenden Jahr soll sie Handlungsempfehlungen erstellen, damit der Bundestag „die Demokratie updaten“ kann, wie es Konstantin von Notz, Komissions-Mitglied von Bündnis 90/DIE GRÜ-NEN, fordert.

Von Anfang an war es den 17 Abgeordneten und 17 Sachverständigen wichtig, die Bevölkerung zu betei-ligen. Fast alle Sitzungen sind öffentlich, es gibt einen Livestream, einen Blog und ein Forum. Das hat es so vor-her bei keiner Enquete-Kommission gegeben.

Seit ein paar Wochen ist die Plattform Adhocracy online. „Jeder Bürger ist eingeladen, als `18. Sachver-ständiger´ sein Wissen und seine Vorstellungen über gute Internetnutzung einzubringen“, heißt es auf der Seite. Dort kann sich jeder anmelden, vorschlagen, be-

werten, kommentieren und sogar abstimmen. Jeder hat die Möglichkeit, sich direkt an der Kommissionsarbeit zu beteiligen. Der 18. Sachverständige soll für die gesamte Bevölkerung stehen. Er besteht aber nur aus etwa 1.000 Aktiven und die sind Internetinsider. Repräsentativ ist das nicht. Ist es fair, einer so kleinen Interessengruppe gezieltes Gehör zu schenken? Die Antwort bleibt offen.

der CHaOS COMPuter CluB alS FinanCier

Für den BundeStag?

Der Weg zur Kommission war langwierig. Dem Äl-testenrat des Bundestages war Adhocracy zu kostspielig und die Installation zu zeitaufwendig. Deshalb lehnte er den Vorschlag ab. Daraufhin bot die Hackervereinigung „Chaos Computer Club“ an, das System zu bezahlen. Der Bundestag allerdings kann sich nicht von einem Hacker-club dieses Prestigeprojekt finanzieren lassen. Als Kom-promiss stellt der Verein Liquid Democracy dem Bundes-tag die Technik nun kostenlos zur Verfügung.

Höchstwahrscheinlich wird die Kommission emp-fehlen, einen Internetausschuss einzurichten, damit das Thema auch in Zukunft den Bundestag beschäftigt. „Wir wissen noch nicht genau, wo die Reise hingeht“ sagt

Konstantin von Notz. In ferner Zukunft könnte das Par-lament Adhocracy auch in anderen Bereichen zur Bür-gerbeteiligung anwenden. Doch hier sehen sich die Ab-geordneten in ihrer Funktion gefährdet. Vor der „Abkehr von repräsentativer Demokratie“ fürchtet sich Gerold Reichenbach von der SPD.

In etwas über einem Jahr hat die Enquete-Kommis-sion ihre Arbeit beendet. Welchen Weg die E-Demokratie dann in der Bundesrepublik einschlägt, wird sich erst noch zeigen.

HalBzeit BeiM testspiel Die enquete- koMMission BescHäFtigt sicH seit eineM JaHr Mit DeM experiMent Der e-DeMokratie in DeutscHlanD. eine zwiscHenBilanz zeigt, Dass sie DaBei nicHt alle Bürger erreicHt. VON ANNE KrATzEr UND VErONIKA VöLLINGEr

Annemarie Freinik (17) aus Heilbronn.

Ich möchte erst gar nicht Kanzlerin werden.

Anne Kratzer (20) aus Regensburg und Veronika Völlinger (19) aus Dillenburg.

Wir wünschen uns mehr Mu-sik im Bundestag und würden das Bildungsminsterium ein-mal so richtig umkrempeln.

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FOtO: deutSCHer BundeStag / MarC-SteFFen unger

Reichstagsgebäude – Ostausgang: Ein Bundestags-abgeordneter ist auf dem Weg vom Plenarsaal zu einem Interview. Begleitet wird er von zahlreichen Journalisten, Kameramännern und Mitarbeitern. Im Schatten dieser hektischen Masse macht sich ein unscheinbarer Kollege auf den Weg in sein Büro. Seine Arbeit wartet jenseits des Trubels.

Mit der Personalisierung politisch brisanter The-men bedienen die Medien die Vorlieben ihres Publikums. Dabei verschwinden die Inhalte hinter den Gesichtern der Politpromis. „Menschen interessieren sich für Men-schen“, stellt „Spiegel“-Redakteur Christoph Hickmann nüchtern fest. Nicht alle sind dabei jedoch gleicherma-ßen interessant.

Richard Pitterle, Finanzexperte der Bundestagsfrak-tion DIE.LINKE, wird beispielsweise kaum erkannt. „Die Tatsache, dass alle Fraktionskollegen Sprecher für irgend-was werden wollen, habe ich erst gar nicht verstanden“. Diese aber sind Kontaktpersonen und werden von den Medien gesucht. Wenn Pitterle eigene Schwerpunkte in die Medien bringen will, ist er auf seinen finanzpoliti-schen Sprecher oder einen Allrounder wie Gregor Gysi angewiesen.

POltik iSt eine ware auF deM Markt der auFMerkSaMkeit

Der politische Soziologe Friedbert Rüb von der Humboldt-Universität Berlin unterscheidet zwischen

Sachpolitikern und der Sphäre der politischen Kommu-nikation und Manipulation. Hierfür wird ein bestimmter Politikertypus gebraucht, der sich gern in der Öffentlich-keit präsentiert. Er biete die Ware Politik auf dem Markt der Aufmerksamkeit an, sagt Rüb. Nur ein sehr kleiner Teil der insgesamt 621 Abgeordneten sind regelmäßig in den Medien präsent. Besonders im Fernsehen stehen Gesichter und Namen im Vordergrund. „Wenn der Zu-schauer einschaltet und nicht mindestens ein bekanntes Gesicht sieht, schaltet er weg“, meint Michael Rötzscher, Redakteur beim SWR-Talk „2+ Leif“. Er wählt die Talk-gäste nach größtmöglicher Kontroverse aus. Erst wenn in der Sendung die Fetzen fliegen, schaltet das Publikum zahlreich ein. In Erinnerung bleiben nicht die Argumen-te, sondern die Kontrahenten.

tauSCHe inHalt gegen PerSOn

In den USA spielt das Fernsehen eine weit größe-re Rolle. Hier zählt bei vielen Wahlen inzwischen nur noch der Wiedererkennungswert der Kandidaten. Pro-fessor Oskar Niedermayer, Wahlforscher an der Freien Universität Berlin, spricht von „Personalisierung zweiten Grades“. Die Kampagnen stellen die Kandidaten in den Mittelpunkt und nicht die Inhalte. Neu ist das auch in Deutschland nicht. Besonders die Person des Kanzler-kandidaten steht schon seit Konrad Adenauer und Willy Brandt im Vordergrund. Qualitativ neu sei der intensi-ve Fokus auf Personen eigentlich nur bei den kleineren Parteien, so Niedermayer. Das beweisen die Wahlplakate:

1990 warben die Grünen mit Sonnenblumen und heute mit Gesichtern. Aber auch die Medien setzen auf Perso-nalisierung, um Absatz und Quote zu erhöhen. Nieder-mayers Forschungen ergeben jedoch, dass die Wähler sich davon kaum beeinflussen lassen. Bei besonders charis-matischen Kandidaten dominiere zwar die Person, dieser Effekt wirke aber nur kurzfristig. „Wählt den, weil der so schön ist, weil der so sympathisch ist – das ist bei uns gar nicht möglich“, sagt Niedermayer. Wähler entschei-den nur zu geringen Prozentsätzen nach Personen, hat er durch Studien herausgefunden. Bei der kurzfristigen Par-teibindung sind eher die Inhalte ausschlaggebend.

„Personalisierung ist ein theoretisch interessant ge-strickter Mythos“, meint auch Aiko Wagner vom Wissen-schaftszentrum Berlin für Sozialforschung, aber: „Partei-en sind deutlich wichtiger als Kandidaten“. Lautsprecher allein können keine Wahl gewinnen.

loHnen personen? politik Muss Die MenscHen erreicHen. Da-zu setzen Die parteien auF einzelne spitzenpolitiker. sie steHen wie kein anDerer Für Die inHalte unD sinD Die zugpFerDe Bei stiMMenFang unD pr. VON BErND FIEDLEr UND cOrNELIUS WITT

wenige unter Vielen: VOn den inSgeSaMt 621 BundeStagSaBgeOrdneten iSt nur ein BruCHteil wirkliCH Bekannt.

Cornelius Witt (19) aus Rheinhausen und Bernd Fiedler (20) aus Berlin.

Wären wir die Chefs von Deutschland, würden wir das ARD-Hauptstadtstudio zu ei-ner Jugendpresse-Einrichtung umbauen.

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orDnung Muss sein.FaceBook:verFolgt iHr iMMer, was proMinente unD eure FreunDe online treiBen? seHt iHr aucH iMMer auF Den ersten Blick, von weM welcHer Beitrag staMMt? Hier eine kleine üBung: orDnet Die FaceBook statusMelDungen Den politikern zu.

MeMoryalter: 4-99 JaHrezeit: Bis zu 4 Minutenspieler: 1-3 spieleranleitung: viele BilDer, viele einDrücke, eine geMeinsaMkeit. FinDet sie Heraus. enDe. aus!

FOtO: FliCkr.COM/gruenenrw

( ) ( )

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(1) „...besuchte gestern die traditionellen Heringsessen

in Igstadt sowie Nordenstadt und freute sich nach ihren

Grußworten auf die leckeren Heringe nach Hausfrauenart.“

(2) “Ich lese soeben, Horst Seehofer hat in Passau verkün-

det, er sei bereit, mich in Bayern aufzunehmen. Und das

verstehen die unter revolutionärer Integrationspolitik.“

(3) „Ecke Oranienburger: kriege gerade Küsse zugeworfen.

Tolle Stadt! ;-)“

(D)

(E)

3. ( )

5. ( )

LöSUNG: FAcEBOOK // GUIDO WESTErWELLE (2) // rENATE KüNAST (3) // KrISTINA ScHröDEr (1) MEMOry // A (5.) // B (3.) // c (4.) // D (1.) // E (2.)

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(A)

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Journalisten sollen unabhängig sein. Sie machen keine PR für ein Unternehmen sondern vertreten die In-teressen der Allgemeinheit. Ob Schülerzeitung oder Lo-kalredaktion – überall bekommen junge Schreiberlinge diese Faustregel eingetrichtert. Sie sollen kritisch sein, hinterfragen und sich nichts auf die Nase binden lassen. Erst recht nicht dürfen Journalisten mit den Objekten ihrer Berichterstattung anbandeln. Hier gilt: gucken er-laubt, flirten verboten!

Fragwürdige liaiSOn

Soweit die Theorie. Die Realität sieht anders aus.

Vielschichtiger und vernetzter. Es kommt immer wieder vor, dass ein hochrangiger Journalist Regierungs- oder Pressesprecher wird. Paradebeispiel für so einen Seiten-wechsel ist Steffen Seibert. Seit August 2010 vermittelt Seibert mit seinem stilsicheren Auftreten, wofür die Bun-deskanzlerin kämpft: Kompetenz und Glaubwürdigkeit.

Abenteuerlustig ist Seibert allemal. Schließlich verließ er die ZDF-Yacht und erstürmte den Berliner Re-gierungsdampfer. Hier muss er selbst rudern, darf nicht vom vorgegebenen Kurs abweichen. Frachtgut Bundes-regierung ohne Imageschaden ans rettende Ufer bringen – so ähnlich muss sich seine Stellenbeschreibung lesen.

einer VOn Vielen

Der neue Mann an Merkels Seite ist nicht der ers-te Journalist, der die Seiten wechselt. Béla Anda, von 2002 bis 2005 Sprecher der rot-grünen Regierung, kam von der „BILD“-Zeitung. Auf ihn folgte Ulrich Wilhelm, der die Große Koalition gegenüber den Medien vertrat. Er arbeitete bis dato als freier Journalist für Hörfunk- und Fernsehsendungen beim „Bayerischen Rundfunk“. Von der Hauptstadtredaktion ins Bundespresseamt – schein-bar kein Problem.

weCHSel OHne gewiSSenSBiSSe

„Man sollte nur Sprecher einer Regierung sein wol-len, mit deren Politik man sich in den großen Zügen und vielen Einzelheiten identifizieren kann. Und das ist bei mir so. Wenn es mal ein Detail gibt, was nicht stimmt, dann kann ich damit gut leben“, sagt Steffen Seibert und erklärt somit, wie der Wechsel funktionieren kann – ohne das eigene Gewissen zu belasten.

Doch was macht Seibert, wenn die Regierung wech-selt? Béla Anda ist immer noch Pressesprecher – jetzt für den Finanzberatungskonzern AWD. Bei Ulrich Wil-helm hat die Rückkehr zum Journalismus geklappt. Er ist seit Februar 2011 Intendant beim Bayerischen Rund-funk, einem der größten Öffentlich-Rechtlichen Sender in Deutschland.

die JOurnaliStiSCHe glauBwürdigkeit SCHwindet

Aus journalistischer Sicht sind solche doppelten Seitenwechsel besonders kritisch. Denn sie stellen das berufliche Selbstverständnis in Frage. Oliver Neuroth, Redakteur im ARD-Hauptstadtstudio, hält einen erneu-ten Branchenwechsel Seiberts deshalb für fraglich: „Er könnte nicht mehr als Journalist arbeiten. Rückwirkend auf seine vorherige Arbeit wäre Seibert extrem unglaub-würdig.“

Eva Haacke, Pressereferentin des Deutschen Bun-destages, durchlebte einen ähnlichen Wandel. Sie volon-tierte bei der „Allgemeinen Zeitung“, schrieb dann unter anderem für „BILD“, „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“. Von 2001 bis 2007 war Haacke in Berlin Parlamentskor-respondentin für die „Wirtschaftswoche“. Heute füttert sie Bundestagspräsident Norbert Lammert mit Informati-onen rund um das mediale Zeitgeschehen. Die Erfahrun-gen, die sie bei der „BILD am Sonntag“ sammelte, sind

hier von großem Vorteil. „Damals war es das erklärte Ziel, Zitate herauszufiltern, die dann über die Agenturen laufen. Dadurch habe ich jetzt eine explizitere Vorstel-lung, was die `Kollegen´ wollen und lasse mich nicht so leicht über den Tisch ziehen. Denn aus einer harmlosen Geschichte kann schnell etwas ganz Übles werden.“

aneinander gekettet

Es geht nicht miteinander, aber irgendwie auch nicht ohne: Das Verhältnis von Pressesprechern und Journalisten ist kein einfaches. Pressesprecher agieren als Interessenvertreter, während Journalisten unvorein-genommen berichten sollen. Zielgruppe des Pressespre-chers sind aber gerade die Medienvertreter und so kreu-zen sich die Wege. Pressesprecher kommunizieren mit den Massenmedien und versuchen ein positives Image ihres Arbeitgebers zu vermitteln. Presseamtsneulinge kommen oft aus dem Journalismus. Recherchieren, tex-ten und informieren gehören gleichermaßen zur Arbeit von Journalisten und Pressesprechern. Oder wie Eva Haacke meint: „Es herrscht ein gegenseitiges Grundver-ständnis.“

seitenwecHsler voM Journalisten zuM regierungssprecHer: steFFen seiBert MoDerierte einst Die zDF-nacHricHten, nun spricHt er Für Die BunDes- regierung. Das stiess auF HeFtige kritik von Journalisten. allerDings ist so ein BrancHen-wecHsel nicHt ungewÖHnlicH. VON MANUEL LöFFLEr UND ANNE jULIANE WIrTH

FOtO: JeSCO denzel / BPa

FOtO: riCO rOSSiVal / zdF

FOtO: Bernd küHler

BäuMCHen weCHSel diCH: SteFFen SeiBert tauSCHte Seinen arBeitSPlatz üBerraSCHend VOM zdF zur BundeSregierung.

Manuel Löffler (20) aus Schwäbisch Hall und Anne Juliane Wirth (19) aus Dresden.

Wir würden durchsetzen, dass sich jeder Abgeordnete mit einem knalligen Graffiti im Paul-Löbe-Haus verewigt.

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Der Moderator sitzt zwischen seinen beiden Kontra-henten. Der Countdown läuft: drei-zwei-eins-Showtime! Mit einem Mal löst sich die angespannte Atmosphäre im Studio. Vorspann, Applaus, Begrüßung. SWR-Mode-rator Thomas Leif führt in das Thema seiner Sendung „2+Leif“ ein. Knapp 30 Minuten haben die Kontrahen-ten Herrmann Gröhe (CDU) und Thomas Oppermann (SPD) Zeit, um ihren Standpunkt zum Thema Atomkraft zu verdeutlichen.

Leif wünscht sich für seine Sendung Spitzenpoli-tiker, die möglichst polarisierend agieren. „Vor der Sen-dung haben sich beide Kontrahenten als Freunde be-grüßt. Da habe ich schon einen Horror gehabt.“ Beruhigt kann der TV-Moderator nach der Aufzeichnung feststel-len, dass sich die Politiker während der Sendung nicht geschont haben. Die Debatte verläuft hitzig. Keine 30 Se-kunden nach Ende der Aufzeichnung stoßen Oppermann und Gröhe wieder lächelnd miteinander an. Ist also doch alles nur Show? Wie echt sind Fernsehdebatten wirklich, wenn von den Talkgästen vor allem Schauspieltalent auf Abruf erwartet wird?

HauPtSaCHe gute SCHauSPieler

Freundschaftsverhältnisse bleiben dem Fernsehzu-schauer verborgen. In der Politik gebe es mehr Freund-schaften auf der operativen Ebene, als Journalisten ver-muten, weiß Leif, der nicht nur Moderator sondern auch Politikwissenschaftler ist. Wenn politische Gegner vor der Kamera zu Freunden werden, dann sinkt das Kon-fliktpotenzial der Sendung. Das wirkt sich negativ auf die Quote aus.

Dr. Bernhard Weßels vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung meint, dass Politiker in der Öffentlichkeit nicht ihre Persönlichkeit vertreten sollen. Stattdessen solle ihr politischer Kurs im Vordergrund ste-

hen. „Das ist durchaus eine bestimmte Art des Schau-spiels - eine Rolle, die man vorträgt.“

wann wird eS endliCH Hitzig?

So richtig in Fahrt kommt die Debatte erst im Laufe der Sendung, wenn die Kontrahenten ihre Trümpfe ge-geneinander ausspielen. Alles geplant? Hermann Gröhe findet: „Eigentlich entsteht die spritzige Debatte durch das, was man vorher nicht planen kann, nämlich Rede und Gegenrede.“ Damit die Debatte nicht eintönig wird, will Moderator Leif seine Gäste „von Sprechzetteln und eingeübten Formeln befreien. Sie sollen sagen, was sie wirklich denken und auf den Punkt kommen.“ (SWR.de) Da nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, sprengen zu viele Details den Zeitraum und sind deshalb nicht ge-wünscht, so sehr sich die Gäste auch darum bemühen.

unterHaltung Statt auFklärung

Fernsehdebatten dienen Kritikern zufolge vor allem der Unterhaltung und nicht der Aufklärung. Für den Zu-schauer wird es dann unterhaltsam, wenn sich die Kon-trahenten auf persönlicher Ebene angreifen. Dennoch stellt Leif klar: „Uns geht es um die Sache, nicht um die Show.“

„ZDF login“-Moderator Wolf-Christian Ulrich hält

nichts von der Unterscheidung zwischen Informations-vermittlung und Unterhaltung. „Das hat beides mitein-ander zu tun. Es geht darum, unterhaltsam eine gute, informative Sendung zu machen.“ „ZDF login“ basiert auf Beteiligung. Wer möchte, kann sich via Internet in die Fernsehdebatte einbringen, z.B. über ein Gästebuch oder vor der Webcam aufgezeichnete Fragen. Vier The-menexperten, darunter meist ein bekannter Politiker, be-antworten Fragen und stellen sich den Kommentaren aus dem Internet und der Studiogäste.

eMOtiOnalität durCH kaMeraS

Die Kameras und die Interaktion mit dem Zuschau-er stellen die Gäste unter Druck. Das kann dazu führen, dass sie sich anders verhalten. Moderator Ulrich sieht das positiv. „Man sieht plötzlich den Menschen emoti-onal reagieren und hinter seiner Fassade hervortreten.“ Andererseits kann Emotionalität die Talkgäste auch dazu bringen, dass sie ihren Aussagen ungewollt zu viel Nach-druck verleihen. Das kann ihr Image beim Publikum ver-zerren.

FernSeHen alleine reiCHt niCHt

Der Fernsehzuschauer sieht die Sendungen zwar aus einer viel eingeschränkteren Perspektive als der Stu-diogast, jedoch werden ihm in beiden Sendungen die Inhalte wahrheitsgetreu präsentiert. Weder in „2+Leif“ noch bei „ZDF login“ werden Versprecher korrigiert oder Schimpfwörter zensiert. Um die Sendung kritisch beur-teilen zu können, informiert man sich am besten vor der Sendung. Denn in jeder Fernsehdebatte geht es auch um Unterhaltung. Ein politisches Meinungsbild sollte daher nicht allein auf Grundlage von Fernsehdebatten entste-hen.

alles nur sHow? FernseHDeBatten sollen zu aktuellen tHeMen aus verscHieDenen perspektiven auFklären. aBer es geHt uM MeHr als Die pure inForMation. Für viele FernseHzuscHauer sinD FernseHsHows vor alleM unterHaltenD. VON jOHANNES KEMMErLING UND DArIO MOrAzAN

FOtO: JOHanneS keMMerling

POlitiSCHe talkSHOwS alS SCHauSPiel: wie autHentiSCH Sind die aBgeOrdneten VOr der kaMera?

Dario Morazán (19) aus Bonn und Johannes Kemmerling (16) aus Nehden.

Wenn wir an der Macht sind, steigt der „FC Bundestag“ mit uns in die 1. Liga ein.

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FrucHtFleiscH 22. septeMBer 2013, Die BunDestagswaHl FinDet erstMals online statt.

„manipulierbar“

Carina gärtner, 27 JaHre,

Studiert JOurnaliSMuS

„Gefällt mir nicht, da es viel zu unsicher

und bestimmt manipulierbar ist. wenn ich

zum wahllokal Gehe, muss ich mich erst

aufraffen. zeitGleich setzte ich mich

bereits bewusst mit meiner stimmabGabe

auseinander und diese Gerät nicht zu ne-

bensächlichkeit.“

„Grundsätzlich“

MiCHael BröCker, 33 JaHre,

leiter ParlaMentSredaktiOn der

rHeiniSCHen POSt

„Gefällt mir, weil ich die neuen beteili-

GunGsmöGlichkeiten durch das internet

Grundsätzlich Gut finde. eine bundestaGs-

wahl ausschliesslich über das world wide

web halte ich rechtlich und technisch

allerdinGs für ausGeschlossen.“

„ausGeschlossen“

CHriStOPH HiCkMann, 31 JaHre,

redakteur BeiM SPiegel

„Gefällt mir nicht, weil ich Glaube, dass

noch viel zu viele teile der bevölkerunG

ausGeschlossen sind und sich nicht

damit beschäftiGen. eine all umfassende

partizipation ist also einfach noch nicht

Gewährleistet.“

Blau und Weiß strahlt der Computerbildschirm durch das Zimmer. Timo sitzt auf der Couch und arbeitet sich durch die weltbewegenden Kurznachrichten seiner Freunde: „Bin Arbeiten“ und „Mach mir grad einen Kaf-fee“ reihen sich hier aneinander. Timo kommentiert und klickt weiter. Dann stoppt er kurz und liest „Wir wollen Guttenberg zurück!“. „Ach ja, gefällt mir“, gähnt Timo und stellt die Musik an.

So wie Timo klicken sich regelmäßig über 500 Millionen User weltweit durch die Internet-Community Facebook. Das soziale Netzwerk vereinigt das, was Ju-gendliche anspricht: Kommunikationswege für Freunde, Interessengruppen rund um Musik, Film und Hobby.

Per kliCk zuM guten gewiSSen

Indem junge Leute den „Gefällt Mir“-Button drü-cken, stellen sie per Mausklick ihre Interessen zusam-men. Die Box „Empfohlene Seiten“ zeigt Timo, dass einigen Freunden die Aktion „Atomkraft, Nein danke“ gefällt. Er überfliegt den Inhalt und bestätigt mit „Gefällt mir“. Timo hat das Gefühl, die Welt ein bisschen besser gemacht zu haben. Am nächsten Tag, auf dem Weg in die Schule, trifft er auf eine Anti-Atomkraft-Demo. „Ich habe mich ja schon engagiert!“, denkt Timo. Als er keinen von seinen Freunden entdecken kann, geht er weiter. Genau wie Timo setzen Jugendliche ihre Online-Interessen in der realen Welt selten um.

„Man muss zwischen Fans und wirklich Aktiven unterscheiden“, so der Hamburger Soziologe Jan-Hinrik Schmidt. „Die Hemmschwelle, online ein Thema zu un-terstützen, ist viel niedriger.“ Den Anstoß zur richtigen

Partizipation finden die Jugendlichen jedoch meist in der Familie und im Freundeskreis, seltener im Web.

zwiSCHen realer und digitaler welt

Das zeigt auch der Rücktritts von Ex-Verteidigungs-minister Karl-Theodor zu Guttenberg infolge seiner Plagi-atsaffäre. Im Internet, insbesondere bei Facebook, unter-stützen viele User die Pro-Guttenberg-Seiten. Innerhalb weniger Tage hatten sie mehr als eine halbe Million Fans. Zu den Demonstrationen Anfang März erschienen dage-gen nur wenige Hunderte. Ein Grund für dieses Phäno-men: Viele User drücken den „Gefällt mir“-Button, ohne sich ernsthaft Gedanken zu machen.

Aber auch wenn ein Thema nicht aktiv umgesetzt wird, hätten Meinungen, die sich online herauskristalli-sieren, eine Aussagekraft, findet Soziologe Schmidt. Er erklärt: „Jugendliche unterscheiden nicht mehr zwischen realer und digitaler Welt. Sie sehen Facebook nicht als virtuelle, abgetrennte Reality.“

FaCeBOOk wird unterSCHätzt

Die Meinungen von Medienexperten zu Facebook und Partizipation im Internet gehen dabei weit ausein-ander. Der „Spiegel“-Journalist Christopher Hickmann erklärt dazu, dass die Bewegungen auf Facebook für ihn und sein Magazin keine Bedeutung hätten. Das Urteil von Christoph Bautz fällt anders aus. Er ist Geschäftsfüh-rers von Campact, ein Verein für politische Kampagnen im Internet. „Neben der weiter sehr wichtigen Mobili-sierung zu Aktionen via E-Mail wird Facebook immer bedeutender. Bei vielen Jugendlichen ist Facebook sogar

das einzige Medium, um sie mit politischen Aktionen zu erreichen“, stellt er fest.

Aber damit die Meinung der Facebook-Gemeinde überall ernst genommen werden kann, muss hinter dem „Gefällt mir“-Klicken eine Überzeugung stecken. Anstatt sich in verschiedene Themen einzulesen, ist es einfacher, ein Projekt kontinuierlich und mit Herzblut zu unterstüt-zen. Man ist immer informiert und lernt auch für seine Meinung einzustehen. Ein verantwortungsbewussterer Umgang mit dem „Gefällt mir“-Button könnte Facebook zu einer echten Chance für unsere Generation machen.

In der Schule setzt Timo sich zu seinen Freunden. „Hey, du hast bei Facebook ‚Atomkraft, nein danke‘ an-geklickt. Kommst du heute mit zur Demo?“. „Äh nein, wieso? Ich habe Besseres zu tun.“ - „Die schalten die Meiler nicht ab, nur weil du ‚Gefällt mir‘ gedrückt hast! Du musst mit auf die Straße gehen, sonst hören die Po-litiker nie auf uns!“ Timo überlegt: „Meine Stimme bei Facebook ist vielleicht ein guter Anfang, aber eine Demo hat mehr Kraft“. Und so sagt Timo zu.

coucHDeMo sicH Bei Frostigen teMperaturen an BaHngleisen anketten war gestern. Heute verlagert sicH Der protest ins internet - auF FaceBook per „geFällt Mir“- Button. VON ANITA ScHEDLEr UND ANNIKA KOENIG

Anita Schedler (20) aus Augs-burg und Annika Koenig (20) aus Dortmund.

Wir würden als Kanzlerinnen Luftballons verteilen und gu-ten Modegeschmack subven-tionieren.

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FriSCH, FruCHtig, SelBStgePreSSt - [email protected] iMPreSSuM

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FOtO: JOnaS FiSCHer

Als Veranstaltungszeitung, Magazin, Onlinedienst und Radioprogramm erreicht das Mediennetzwerk po-litikorange seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fort-schritt, Kongresse, Partei- und Jugendmedientage – po-litikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Autoren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchtigen, an-deren Perspektive.

POlitikOrange – daS MultiMediuM

politikorange wurde 2002 als Veranstaltungsma-gazin ins Leben gerufen. Seit den Politiktagen gehören Kongresse, Festivals und Jugendmedienevents zum Print und Online-Programm. 2004 erschienen die ers-ten Themenmagazine: staeffi* und ortschritt*. Wäh-rend der Jugendmedientage 2005 in Hamburg wurden erstmals Infos rund um die Veranstaltung live im Radio ausgestrahlt und eine 60-minütige Sendung produziert.

wie kOMM’ iCH da ran?

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veran-staltungen, über die Landesverbände der Jugendpresse Deutschland und als Beilagen in Tageszeitungen verteilt. Radiosendungen strahlen wir mit wechselnden Sende-partnern aus. Auf www.politikorange.de berichten wir live von Kongressen und Großveranstaltungen. Dort ste-hen bereits über 50 politikorange-Ausgaben und unsere Radiosendungen im Archiv zum Download bereit.

waruM eigentliCH POlitikOrange?

In einer Gesellschaft, in der oft über das fehlende Engagement von Jugendlichen diskutiert wird, begeis-tern wir für eigenständiges Denken und Handeln. poli-tikorange informiert über das Engagement anderer und motiviert zur Eigeninitiative. Und politikorange selbst ist Engagement – denn politikorange ist frisch, fruchtig und selbstgepresst.

wer MaCHt POlitikOrange?

Junge Journalisten – sie recherchieren, berich-ten und kommentieren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, dem stehen hier alle Türen offen. Genauso willkommen sind begeisterte Knipser und kreative Köpfe fürs Layout. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Ständig wechselnde Redaktionsteams sor-gen dafür, dass politikorange immer frisch und fruchtig bleibt. Viele erfahrene Jungjournalisten der Jugendpres-se stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Wer heiß auf schreiben, fotografieren, mitschnei-den ist, findet Infos zum Mitmachen und zu aktuel-len Veranstaltungen unter www.politikorange.de oder schreibt einfach an [email protected]. Die frischesten Mitmachmöglichkeiten landen dann direkt in Deinem Postfach.

Diese Ausgabe von politikorange entstand in der zeit vom 20. bis 25. März 2011 beim jugendmedienworkshop im Deutschen Bundestag. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge spiegeln nicht zwingend die Meinung der re-daktion oder der Veranstalter wider.

Herausgeber: jugendpresse Deutschland e.V.

redaktion: politikorange – Netzwerk Demokratie offensi-ve, c/o jugendpresse Deutschland e.V., Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin, www.jugendpresse.de

chefredaktion (V.i.S.d.P.): Sophie Hubbe, Falk Steinborn

redaktionsleitung: jenny Buchwald, rafael Dernbach, Ekaterina Karabasheva

redaktion: Svenja Ahrens, Sadaf Malek Asghar, Flori-an Diekmann, ruth Herberg, Marco Feldmann, Bernd Fiedler, Annemarie Freinik, Sophie Freitag, Lisa Fritsche, Kieran Geiß, Laura Ilg, Philipp jung, johannes Kemmer-ling, Tanja Koch, Annika Koenig, Anne Kratzer, jan Las-sen, Manuel Löffler, Florian Müller, Wiebke Nordenberg, Laura Orlik, Maximilian radke, Dario Morazan, Franzis-ka rentzsch, Laura Diaz rudilla, jeremy Scheibe, Alina Schöppach, Lisbeth Seifert, jonathan Selbach, Philipp Spörlein, Florian Steidle, Kevin Tarun, Katharina Thomas, Amadeus Ulrich, Veronika Völlinger, cornelius Witt, Han-nes Weiß, Anne Wirth, Erica zingher

Bildredaktion: Maria Buchholz, Marco Herzog (www.blen-de2komma2.de), jonas Fischer (www.jonas-fischer.com)

Layout: Marc Seele ([email protected], www.seele-vk.de)

Koordination: Elisabeth Hartung ([email protected]), Florian Hirsch ([email protected])

Druck: Lr Medienverlag und Druckerei GmbHAuflage: 15.000

Ein besonderer Dank gilt den Partnern: dem Deutschen Bundestag, insbesondere Andrea Arolt und reinhild Schornack und der Bundeszentrale für politische Bil-dung, insbesondere Lothar Kopp, sowie dem Team der jugendpresse Deutschland. Außerdem danken wir dem Technikmuseum Berlin und photothek.net für die freund-liche Unterstützung.

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In zahlreichen Bundesländern sorgte die Einfüh-rung des Turboabiturs für großes Aufsehen. Politiker, meist höheren Alters, beschlossen diese tiefgreifende Veränderung im Schulsystem. Kann es sich die deutsche Demokratie in Zeiten akut niedriger Wahlbeteiligung leis-ten, die wirklich Betroffenen von Entscheidungen zu ent-binden? „In Deutschland glaubt man seit dem II. Welt-krieg, dass die Demokratie auf den Bäumen wächst“, sagt Norbert Pauschmanns, Mitarbeiter der Bundestags-verwaltung. „Demokratie muss aber immer wieder neu gepflanzt werden.“

knOSPen der deMOkratie

Für Lina Brüssel von der LandesschülerInnenvertre-tung Rheinland-Pfalz ist die Abschaffung der Wahlalters-grenze ein erster Schritt zu mehr politischer Beteiligung. Kinder und Jugendliche sind die Knospen der Demokra-tie. „Unsere Position zum Wahlalter Null begründen wir damit, dass man nicht ab 16 bzw. 18 Jahren auf ein-mal Ahnung davon hat, wie die Gesellschaft auszuse-hen hat.“ Jungen Menschen bereits früh das Wahlrecht einzuräumen, wecke zudem ihr politisches Interesse. Ist die Bereitschaft zu partizipieren erst einmal da, eröffnen sich unterschiedlichste Möglichkeiten politischer Teilha-be. Hier allerdings stößt man schon auf den nächsten Knackpunkt.

„Die Jugendlichen sollten wirklich merken, dass sie etwas beitragen können“, so Eckhard Priller, Leiter der Projektgruppe „Zivilengagement” am Wissenschaftszen-trum Berlin für Sozialforschung. Doch kann ein Bürger ohne Wahlrecht etwas bewirken?

Eine wichtige Facette jungen Engagements sind Projekte wie das „European Youth Parliament“ (EYP). Dieses führt Jugendliche zwischen 16 und 22 Jahren

über Planspiele an Europapolitik heran. Jonathan Engel vom deutschen Jugendparlament spricht von einer ein-maligen Erfahrung für die Teilnehmer. In erster Linie geht es um deren Meinungs- und Persönlichkeitsbildung. Auf jedem Kongress wird zudem eine Resolution verabschie-det. Alle Themen sind von den Jugendlichen unabhängig erarbeitet. Sie diskutieren alles, was sie bewegt: Schule, Integration, Wahlalter, Umweltschutz und vieles mehr. Im Anschluss wird die Resolution an das zuständige Par-lament übergeben. Wirklich etwas verändern können die Teilnehmer nicht. Ein weiteres Manko des EYP ist die Altersbegrenzung. Kinder unter 16 Jahren bleiben au-ßen vor. „Wir arbeiten auf Englisch, also braucht man Sprachfähigkeit“, erklärt Jonathan.

Ein zweiter Weg, sich politisch einzubringen, sind die SchülerInnenvertretungen der Länder. Altersgrenzen nach unten gibt es hier keine. Schülerinnen und Schü-ler können sich direkt an der Entwicklung ihrer Schule beteiligen und ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen – allerdings nicht auf Bundesebene sondern lediglich vor der eigenen Haustür. Bei schwerwiegenden Themen, etwa dem Schulsystem, Wehrpflicht oder Integration, ha-ben sie keine Stimme. Was nach einfacher Partizipation klingt, gestaltet sich in der Realität schwierig. „Die Grün-dung einer Schülervertretung scheitert häufig an man-gelndem Einsatz der Schulleitung“, so Nikolai Hahn von der LandesschülerInnenvertretung Rheinland-Pfalz.

JugendParteien laden zur indirekten MitBeStiMMung ein

Wer auf der Suche nach guten Strukturen ist, für den empfiehlt es sich, in eine Jugendorganisation der verschiedenen Parteien einzutreten. Die GRÜNE JUGEND beispielsweise ermöglicht es, ähnlich wie ihre Mutterpar-tei, sich von Stadt- bis Bundesebene einzubringen. Sie verfügt über eigenständige Mitgliederversammlungen,

auf denen eigene Positionen beschlossen und Funktio-näre gewählt werden. „Wir treffen uns wöchentlich mit 30 bis 40 Interessierten, Mitgliedern und Referenten, um über ein bestimmtes Thema zu sprechen“, sagt Patrick Luzina, organisatorischer Geschäftsführer der GRÜNEN JUGEND Berlin. Die Jugendorganisationen vertreten die Meinung der Mitglieder überregional, haben aber auf Entscheidungen der Bundesparteien nur geringen Ein-fluss.

„daS wiCHtigSte iSt, daSS Man waS MaCHt!“

(JOnatHan engel, eyP)

Jugendliche haben viele Möglichkeiten, sich einzu-bringen. Das geht auch oftmals unabhängig vom Alter. Es ist aber zu unterscheiden zwischen echter und schein-barer Mitbestimmung. Wenn man sich als Jugendlicher engagiert, kann man sehr viel Zeit und Arbeit in eine Organisation stecken. Aber Schülervertretungen, Jugend-parteien und andere Organisationen können die Wahl-berechtigung nicht ersetzen. Eine wirkliche Stimme wie sie die Erwachsenen haben, kann Minderjährigen durch keine Organisation der Welt gegeben werden.

13 Millionen stiMMlose DeMokratie ist Die HerrscHaFt Des volkes. in DeutscHlanD HaBen etwa 13.000.000 kinDer unD JugenDlicHe kein waHlrecHt. trotzDeM wirD üBer tHeMen entscHieDen, Die iHr leBen MassgeBlicH BeeinFlussen. VON TANjA KOcH UND PHILIPP jUNG

Philipp Jung (18) aus Bad Kreuznach und Tanja Koch (17) aus Grünstadt.

Wir würden die Legalisierung der Utilisation von Synony-men zur Konfusion des Demos implementieren. Denn irgend-wie macht das doch Spaß!

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parlaMent

FOtO: JOnaS FiSCHer

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Sechs Uhr morgens, Berlin: die Hauptstadt erwacht langsam. In der Pressestelle des Deutschen Bundestags ist es noch ruhig. Erst in zwei Stunden wird es hektisch. Klingelnde Telefone, volle E-Mail-Postfächer und Berge von Akten: Diese stressige Arbeit teilen sich vier Presse-referenten, die die Anfragen aller Medienvertreter beant-worten und sie mit Informationen versorgen.

SerViCe Für JOurnaliSten

„Im Jahr geben wir über 550 Pressemitteilungen raus. Ein großer Teil kommt direkt von den Ausschüs-sen“, sagt Eva Haacke, Referentin in der Pressestelle. Oft geben sie und ihre Kollegen jedoch nur Termine be-kannt. Auf wie viel Resonanz diese stoßen, ist für die Mitarbeiter nicht von Bedeutung. „Wir messen nicht die Abdruckquoten wie ein Unternehmen, das möglichst oft seinen Namen lesen will. Wir sind keine PR-Abteilung sondern eine Pressestelle.“ Es gehe vielmehr darum, Transparenz zu schaffen.

Die Hauptaufgabe der Referenten besteht darin, An-fragen der Medienvertreter zu beantworten. Vor einigen Wochen beispielsweise fiel im gesamten Bundestag der Strom aus. Sofort gingen im Büro zahlreiche Anfragen ein, die beantwortet werden mussten.

„Wir waren anfangs nur zu zweit und mussten alle Journalisten informieren!“ beschreibt die Referentin den hektischen Moment. Grundsätzlich versucht die Presse-stelle „alle Anfragen nach bestem Gewissen zu beant-worten“, so Frau Haacke. Dabei muss sie aber bestimmte Grenzen einhalten: Informationen, die zum Beispiel die Persönlichkeitsrechte eines Abgeordneten verletzen, wer-den nicht herausgegeben.

Die Pressestelle kümmert sich aber nicht nur um deutsche Medienvertreter, sondern auch um ausländi-sche Journalisten. Deren Anfragen kommen vor allem bei internationalen Themen und Staatsbesuchen. Gerade bei größeren Ereignissen müssen Haacke und ihre Kollegen auch logistische Aufgaben erledigen. Dazu gehören die Organisation von Pressekonferenzen inklusive Sitzord-nung oder Getränkeangebot. Mitunter kann das zu einer Herausforderung werden, etwa bei der Bundestagswahl, bei der 1.500 Medienvertreter betreut werden müssen.

iMMer in alarMBereitSCHaFt

Stündlich kontrollieren die Referenten die neusten Agenturmeldungen, um bei Bedarf direkt einschreiten zu können. Somit können sie bei Gerüchten sofort Stellung beziehen und bei falschen Meldungen „um eine Richtig-stellung bitten“, so Haacke. Sogar am Wochenende ist mindestens ein Pressereferent 24 Stunden für die Medi-envertreter erreichbar. Wichtig ist darüber hinaus, dass der Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und seine Stellvertreter gut informiert sind. Deshalb erstellt morgens ein Mitarbeiter eine Übersicht mit den wichtigs-ten Informationen und einem Pressespiegel.

PreSSearBeit Via neue Medien

Um nicht nur die Politiker sondern auch Bürger und Journalisten optimal zu informieren, verfügt der Bundes-tag sogar über ein eigenes Studio für das hauseigene Par-lamentsfernsehen, in dem Diskussionsrunden mit Abge-ordneten aller Fraktionen stattfinden. „Für die Bürger ist es interessant zu sehen, wie die Politiker zu verschiede-nen Themen stehen“, erzählt Haacke. Das Studio sei „ein Ansatz, den Bürger an der Politik teilhaben zu lassen“.

Gesendet wird das Parlamentsfernsehen nicht nur per Satellit und Kabel, sondern auch per Livestream im Web. Überhaupt ist das Internet immer wichtiger für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages. Sein Online-Ange-bot ist entsprechend umfangreich: Es reicht von Plenar-protokollen und Parlamentsterminen über ein Medienar-chiv bis hin zu Informationen zu den Abgeordneten.

Im Internet eine so große Präsenz zu zeigen, ist laut Haacke „Teil einer Entwicklung, die gar nicht aufzuhal-ten ist.“ So ist es kein Wunder, dass mittlerweile auch der Bundestag über eine eigene App verfügt. Der kosten-lose Service liefert laufend aktualisierte Informationen über Themen, Abgeordnete und Ausschüsse des Deut-schen Bundestags. „Es bringt nichts, über alte, gemüt-liche Zeiten zu schwadronieren. Auf die Veränderungen muss man auch in der Kommunikation des Parlaments reagieren.“

VerSuCH der uMgeStaltung

Im politischen Leben ist die Rolle der Pressestelle eher gering, da sie keine Fraktionsarbeit und keine in-haltliche politische Arbeit betreibt, sondern die Arbeit des Bundestags darstellt. Da die Informationen für die Hauptstadtjournalisten weniger relevant sind, nutzen sie den Service nicht so oft, wie Joachim Riecker von der „Märkischen Allgemeinen“ erzählt: „Eigentlich wenden wir uns nur an die Pressestelle, um Tagesordnungspunk-te und Plenarprotokolle einzusehen, und bei allem, was den Bundestagspräsidenten betrifft.“

Um den Journalisten in Zeiten digitaler Weiterent-wicklung trotzdem beste Informationen bieten zu kön-nen, „ist ein gewisser Anpassungsprozess erforderlich“, sagt Haacke, „Es läuft eben nicht per Hauspost und Brief-tauben.“

Neben den traditionellen Wegen der Information öffnet sich das Referat also auch neuen Möglichkeiten für den Kontakt mit den Medienvertretern, zum Beispiel mit der oben genannten App. Ob das der richtige Weg zu mehr Transparenz in der Gesellschaft ist, wird man in den nächsten Jahren erkennen.

transparenz per app Der DeutscHe BunDestag: ein DscHungel aus sitzungen, Diskussionen unD akten. wer als Journalist Dort Den üBerBlick BeHalten will, Hat es nicHt leicHt. Die Hauseigene pressestelle versucHt, transparenz zu scHaFFen. sie setzt DaBei auF neue MeDien. VON rUTH HErBErG UND jONATHAN SELBAcH

wie in ard und zdF: der BundeStag PrOduziert talkSHOwS Für daS HauSeigene ParlaMentSFerneHen.

FOtO: deutSCHer BundeStag / lieSa JOHannSSen / PHOtOtHek.net

Ruth Herberg (18) aus Beckingen und Jonathan Selbach (17) aus Hückesweg.

Wenn wir Bundeskanzler wä-ren, gäbe es jeden Donnerstag nach der Plenarsitzung eine Schaumparty in der Reich-tagskuppel.

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Wann haben Sie das letzte Mal Parlamentsfernsehen ge-schaut, Herr Thierse?Nicht jeder kann bei allen Bundestagsdebatten im Ple-num anwesend sein, weil man nicht immer Zeit dafür hat. Bei der Arbeit im Büro läuft der Parlamentskanal, um über die Geschehnisse im Bundestag informiert zu sein. Es ist ein wichtiges Mittel der innerparlamentari-schen Kommunikation.

Könnten Sie dazu nicht auch andere Informationsquellen wie zum Beispiel Phoenix nutzen? Dort werden ja auch bestimmte Debatten übertragen. Sie sagen schon richtig, auf Phoenix werden nur ganz bestimmte Debatten übertragen. Wir finden dort viel zu wenige. Im Grundgesetz Artikel 42 steht: Das Parlament verhandelt öffentlich. Wenn ARD, ZDF und Phoenix nicht dazu bereit sind, ausreichend Öffentlichkeit herzu-stellen, dann muss der Bundestag darüber nachdenken, wie er selbst mehr Öffentlichkeit herstellt. Diesem Zweck dient der Kanal.

Inwiefern erfüllen Reportagen, Talk-Runden und ein Kin-derformat den Zweck der Informierung über die öffentli-chen Debatten des Bundestages?Die Übertragung aus dem Bundestag dient ohne Zweifel auch dem Zweck, gelegentlich Hintergrundinformatio-nen über die Themen, die verhandelt worden sind, zu geben. Grenzwertig sind sicher die Kindersendungen. Dass unser Bundestagsfernsehen es aber auch als eine seiner Aufgaben versteht, den spröden Parlamentarismus für Kinder verständlich zu machen, sollte man nicht übel nehmen. Im Gegenteil, wenn andere nicht ausreichend für politische Bildung sorgen, muss das Parlament es eben selber tun.

Dieses bundesweit ausgestrahlte Programm ist aber sehr breit gefächert. Das ist im Prinzip ein Merkmal eines Rundfunkangebotes.Das stimmt so nicht. Das Angebot ist nicht breit gefä-chert. Der größte Teil dessen, was über diesen Parla-mentskanal läuft, sind Übertragungen aus dem Plenum und den Ausschüssen. Nur ein ganz kleiner Teil sind re-daktionell bearbeitete Beiträge. Das ist ein Bereich, über den wir aber durchaus weiter diskutieren müssen. Auf welcher Rechtsgrundlage basiert das Angebot? Wir ver-stehen die Arbeit dieses Parlamentskanals aber dennoch als Öffentlichkeitsarbeit und nicht als Rundfunk.

Könnte man das Parlamentsfernsehen nicht als direkte Konkurrenz für Fernsehsender wie Phoenix und ARD ansehen?Wir werden das nur soweit betreiben, wie ARD, ZDF und Phoenix Parlamentsberichterstattung nicht ausreichend gewährleisten. Parlamentsdebatten kommen in ARD und ZDF so gut wie gar nicht mehr vor. Was der Bundestag als wichtig erachtet, muss der Ereignissender Phoenix aber noch lange nicht als solches ansehen. Wenn die öffentlich Rechtlichen wieder mehr über das Parlament berichten, wird vermutlich auch der Kanal eine geringere Bedeutung erfahren.

Wie viel Öffentlichkeit wird durch diesen Sender herge-stellt? Er hat ja wahrscheinlich Quoten, die außerhalb des messbaren Bereichs sind.Das ist nicht der Punkt. Es muss erst einmal die Möglich-keit bestehen. Nicht wenige Bürger interessieren sich für die Arbeit im Bundestag.

Was heißt nicht so wenige?Das weiß ich nicht. Das ist ganz unterschiedlich. Neulich haben ARD oder ZDF eine aktuelle Stunde zum Thema „Guttenberg“ übertragen. Das war ein richtiger Quoten-renner, populärer als die eigentümlichen Ausscheide zu Lena.

Auf der Internetseite des Parlamentsfernsehens ist zu le-sen, dass ein informatives und unterhaltendes Programm angeboten wird. Inwiefern muss dieses Format eine un-terhaltende Funktion erfüllen?Sofern Politik unterhalten kann, das ist nicht immer der Fall, dann darf sie das auch. Es ist ja keine Strafveran-staltung. Ich sage ausdrücklich, wir betrachten es als Öffentlichkeitsarbeit. Über die Grenzbereiche zum Rund-funk kann man diskutieren. Die Frage ist, in welchem Umfang die Rundfunkanstalten diese Aufgabe in Zukunft übernehmen können.

Gibt es Alternativen, die sich nicht in so einer „rechtli-chen Grauzone“ befinden, wie das Parlamentsfernsehen?Welche?

Das frage ich Sie!Nein, ich weiß es nicht, ob es eine andere sinnvolle Mög-lichkeit gibt. Ich sehe nur, dass in vielen anderen parla-mentarischen Demokratien weniger Aufregung um das Parlamentsfernsehen gemacht wird. Als ich Bundestags-

präsident war, wurde ich immer erstaunt gefragt: Was? Das hat der Deutsche Bundestag noch nicht? Wir haben das schon lange!

Wo sehen Sie das Parlamentsfernsehen in 5 Jahren?Ich bin kein Prophet.

Das Parlamentsfernsehen wurde 1990 eingeführt, da-mit abwesende Bundestagsabgeordnete die Debatten im Plenarsaal live verfolgen können. Seitdem hat sich das Programm verändert – hinzu kamen Reportagen, Talkshows und eine Kinderserie. Die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) übte Anfang des Jahres Kritik an dem Angebot. Das Parlamentsfernsehen sei in der jetzigen Form ein Rundfunkangebot. Dieses müsse laut Rundfunkstaats-vertrag inhaltlich staatsfern sein. Deshalb bewege sich das Programm in einer rechtlichen Grauzone.

piratensenDer aus DeM BunDestag? Das parlaMentsFernseHen Des BunDestags ist in Die kritik geraten. oHne eine ausstraHlungslizenz senDet Der kanal plenarDeBatten, talksHows unD sogar eine kinDersenDung. BunDestagsvizepräsiDent wolFgang tHierse verteiDigt Das angeBot als notwenDig. VON LISA FrITScHE UND jErEMy ScHEIBE

wOlFgang tHierSe: „SOFern POlitik unterHalten kann, darF Sie daS auCH.“

FOtO: JOnaS FiSCHer

Lisa Fritsche (18) aus Dresden und Jeremy Scheibe (18) aus Lübbenau.

Als Bundeskanzler würden wir den Plenarsaal zur kra-wattenfreien Zone erklären.

inFOrMatiOn

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Berlin, 6.55 Uhr. Ruhe im Parlamentsviertel. Keine Autos. Kaum Menschen. Nadine Schön ist an diesem Morgen die Erste, die auf der Anwesenheitsliste der Abge-ordneten im Gebäude des Bundestags „Unter den Linden 71“ unterschreibt. Früh dran war die 27-Jährige bisher oft in ihrem Leben. Mit 16 tritt sie in die Junge Union ein, mit 21 sitzt sie als Abgeordnete im Saarländischen Landtag. 2009 kandidiert sie erstmals für den Deutschen Bundestag, und zwar erfolgreich. Mit über 40 Prozent der Erststimmen wird sie Abgeordnete für den Wahlkreis St. Wendel, der bis dahin über Jahrzehnte von der SPD do-miniert wurde.

Das alles klingt nach einer zielstrebig verfolgten Berufspolitikerkarriere. Aber Nadine Schön gibt sich zu-rückhaltend: „Eine politische Karriere kann man nicht planen.“ Es seien glückliche Zufälle gewesen, dass sie heute im Bundestag sitzt. Eigentlich träumte die ausgebil-dete Juristin von einer Karriere als Journalistin, machte ein Praktikum bei Sat.1 und schrieb für die Rhein-Neckar-Zeitung. Aber dann machte sie ihr Hobby Politik zum Be-ruf.

Der Alltag als Berufspolitikerin ist zeit- und arbeits-intensiv. Die junge Abgeordnete ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Für einen Neuling, wie sie selbst sagt, sei dies eine ungewöhnliche Ehre. Der

Ausschuss ist einer der prestigeträchtigeren, dem ein Abge-ordneter angehören kann. Aber es ist nicht der einzige, in dem Schön sitzt. Im Ausschuss für Familie, Senioren, Frau-en und Jugend bringt sie sich mit dem Schwerpunkt Ver-einbarkeit von Familie und Beruf ein. Gerade für sie selbst sei dies auch eine Herausforderung. Auf etwa 70 Stunden Arbeit pro Woche kommt Schön. Das bedürfe viel Organi-sationstalent, denn als Abgeordnete muss sie den Spagat zwischen Hauptstadt und Heimat schaffen, zwischen Be-ruf und Privatleben. Ehe und Familie sind ihr wichtig: „Wir wollen Kinder und es wäre auch ein schlechtes Zeichen, wenn ich meine Anliegen selbst nicht umsetzen könnte.“

„die erSte rede war ein HöHePunkt“

Das Berliner Büro ist spartanisch eingerichtet. Viele persönliche Gegenstände kann man auf den ersten Blick nicht finden. Eine schwarze Couch. Ein schwarzer Schreib-tisch. Dunkles Mobiliar vor hellen Wänden. Einzig eine Collage von Wahlhelfern aus dem Wahlkreis und ein Fami-lienfoto auf dem Schreibtisch lassen Facetten der privaten Nadine Schön erkennen. Dennoch hat man den Eindruck, sie fühlt sich in ihrem Hauptstadtbüro und dem politischen Berlin wohl. Mit viel Enthusiasmus erzählt sie von ihrer ersten Rede im Plenum, der Bundesversammlung und dem parteiübergreifenden Zusammenhalt unter jungen Abge-ordneten.

Mit ihren Freunden spricht die 27-Jährige selten über Politik. „Für meine alte Clique bin ich die gleiche Nadine wie vor der politischen Laufbahn. Wir haben andere Themen.“ Oft fehle jedoch die nötige Zeit, um alte Kontakte zu pflegen. Auch das regelmäßige Training im Fitnessstudio musste sie aufgeben. Aber Sport sei ihr trotzdem wichtig - ab und zu Laufen gehen, könne man als ihr Hobby bezeichnen.

auS deM HörSaal in die POlitik

Respekt bekam die junge Abgeordnete im Parla-ment von Anfang an. „Es heißt nicht ‚setz dich mal in die letzte Reihe und sei leise‘, sondern man bekommt sofort seine Aufgaben. Wenn man die dann gut erledigt, bekommt man sofort Anerkennung.“ Ihr Alter sieht die 27-Jährige nicht als Hindernis für ihre Arbeit, eher als Bereicherung. Natürlich sei es ein Argument gegen sehr junge Mandatsträger, dass sie oft nicht in einem richtigen Arbeitsverhältnis standen, sondern direkt von der Uni ins Parlament kommen. Vom Hörsaal in den Plenarsaal – dieses Manko könnte der Saarländerin ewig anhaften. Aber: „Das Parlament sollte wenigstens ansatzweise ein Spiegelbild der Gesellschaft sein.“ Man brauche junge Abgeordnete, die die Interessen ihrer Generation vertre-ten. Vor allem in der Hochschul- und Familienpolitik sei dies elementar, sagt Schön.

Berlin, 8.00 Uhr. Langsam füllen sich die Straßen im Regierungsviertel. Nadine Schön sitzt seit einer Stun-de in ihrem Abgeordnetenbüro. Die Bilanz der ersten Stunde: Sechs SMS und ein Anruf – offenbar aus der Hei-mat, dies verrät der Dialekt, in den die Abgeordnete ver-fällt. Schön sei es wichtig, den Wahlkreis stets über ihre Arbeit zu informieren. Das Internet helfe ihr dabei. Via Twitter vermeldet sie kurz nach unserem Treffen: „Der Tag hat um 7 mit einem Interview begonnen. Teilnehmer des Jugendmedienworkshops des Bundestags schreiben ein Portrait über mich.“

Der Arbeitstag, der bei Sonnenaufgang begonnen hatte, wird erst spät nach Sonnenuntergang enden: Kurz nach Null Uhr twittert sie das letzte Mal.

„oHne glück geHt’s nicHt!“ naDine scHÖn ist Mit 27 JaHren Die Jüngste aBgeorDnete Der cDu iM BunDestag. iHr erFolgsgeHeiMnis: sie ist ein workaHolic unD eine käMpFernatur, Die aM lieBsten Die „Foo FigHters“ HÖrt. VON PHILIPP SPörLEIN UND KIErAN GEISS

POlitiSCHe karriere iM SCHnelldurCHlauF: nadine SCHön iSt die JüngSte BundeStagSaBgeOrdnete der Cdu.

FOtO: JOnaS FiSCHer

Philipp Spörlein (19) aus Bamberg und Kieran Geiß (16) aus Frankfurt a. M.

Wir würden „das alles und noch viel mehr“ machen, wenn wir „Könige von Deutschland“ wären.

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FrucHtFleiscH 22. septeMBer 2013, Die BunDestagswaHl FinDet erstMals online statt.

„höhere beteiliGunG“ „mehr menschen“

Petra CrOne, 60 JaHre,

aBgeOrdnete deS deutSCHen

BundeStageS (SPd)

„Gefällt mir, weil bestimmt mehr men-

schen an der bundestaGswahl teilnehmen

würden. das klassische wahllokal müsste

dennoch Geöffnet bleiben, damit auch

menschen ohne internetzuGanG wählen

Gehen können.“

SilVia MaSSenBerg, 47 JaHre,

reFerentin iM auFtrag deS BeSuCHerdienS-

teS deS deutSCHen BundeStageS

„Gefällt mir, weil ich mir dadurch eine

höhere wahlbeteiliGunG erhoffe. ich wün-

sche mir aber trotzdem, dass die wahllo-

kale Geöffnet sind“

„ältere menschen“

JOHanneS VOgel, 28 JaHre,

aBgeOrdneter deS deutSCHen

BundeStagS FdP

„Gefällt mir nicht, da sich Gerade viele

ältere menschen nicht mit dem internet

auskennen – trotzdem zählt auch ihre

stimme bei der bundestaGswahl. ansonsten

bin ich von den möGlichkeiten der neuen

medien total beGeistert.“

Auf einer belebten Einkaufsstraße in Südberlin leuchten von weitem drei rote Buchstaben: CDU. Von den umliegenden Mietskasernen blättert die Farbe ab. Das Wahlkreisbüro von der Bundestagsabgeordneten Stefanie Vogelsang aus Berlin verblasst neben Imbissbu-de, Discounter und Kino. Mitten im Stadtteil Neukölln sitzen in einem kleinen, länglichen Raum drei Herren. Einer von ihnen ist Timo Lübeck, persönlicher Referent von Stefanie Vogelsang. In seinem feinen Anzug wirkt er deplatziert in dem Stadtteil Neukölln. Der ist vor al-lem für seine Migrationsprobleme aus den Medien be-kannt.

die tür SteHt den Bürgern OFFen

Mit ihren Anliegen können die Bürger immer ins Wahlkreisbüro kommen, auch wenn die Bundestagsab-geordnete nicht anwesend ist. „Die Mitarbeiter haben das Ohr am Bürger, sie schauen, wo der Schuh drückt und leiten die Probleme an Frau Vogelsang weiter“, erklärt Lübeck. Tagtäglich wird die Bundestagsabge-ordnete über Briefings, Tickerdienste und Telefonate informiert. Für die Kommunikation aus dem Wahlkreis-büro ist Friedrich Sütterlin zuständig. Er ist es auch, der die Bürger in Neukölln empfängt. Die Anliegen der Bewohner sind unterschiedlichster Natur: „Ältere Leute schauen vorbei, um einen Gesprächspartner zu haben; Hundehalter machen sich stark für eine Grünfläche und

Erwerbslose suchen Hilfe bei bürokratischen Proble-men“, sagt der Mitarbeiter.

Doch wie schafft die Abgeordnete den Spagat zwi-schen den Alltagsproblemen der Neuköllner und ihrem Mandat? „Frau Vogelsang veranstaltet mindestens zwei Bürgersprechstunden im Monat, außerdem überwiegen die Termine im Wahlkreis deutlich“, erläutert Lübeck. Insgesamt mischen sich unter Fraktionssitzungen und elegante Abendessen lokale Termine, wie die Preisaus-zeichnung des Kleintierzüchtervereins für den „Golde-nen Rammler“ oder die Besuchsreihe von Berliner For-schungseinrichtungen.

Trotz der Nähe zwischen beiden Büros besteht eine Distanz zum Wahlkreis, denn Vogelsang arbeitet haupt-sächlich im Bundestagsbüro. Dabei verspricht ein Flyer von der Abgeordneten, der im Wahlkreisbüro ausliegt: „Meine Arbeit findet nicht nur im Parlament, sondern vor allem vor Ort in Neukölln statt.“

die näHe zuM ParlaMent VerPFliCHtet

Dieses Versprechen einzuhalten ist jedoch nicht im-mer einfach. Denn oft ist die Arbeit im Bundestagsbüro sehr umfangreich und droht die Aufgaben im Wahlkreis-büro zu verdrängen. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob die kurze Distanz zwischen den beiden Büros die Ab-

geordnete wirklich erleichtert. Denn wenn am Freitag die Abgeordneten aus der Ferne meist schon den Heimweg in den Wahlkreis antreten, muss Vogelsang bei wichtigen Terminen im Bundestag anwesend sein. Räumliche Nähe zum Parlamentsviertel verpflichtet. Ähnlich ist es wäh-rend der sitzungsfreien Wochen. Während andere sich auf ihren Wahlkreis fernab der Hauptstadt konzentrieren können, muss Stefanie Vogelsang ihre Aufmerksamkeit teilen: Zwischen Neukölln und Bundespolitik, zwischen neuen Mülleimern auf dem Spielplatz und einer besseren Gesundheitsreform für die Republik.

so naH unD DocH so Fern 17 kiloMeter, 24 Minuten unD 16 u-BaHnstationen später - steFanie vogelsang (cDu) Hat es nicHt weit zwiscHen iHreM neukÖllner waHlkreis unD DeM BunDestagsBüro. Die räuMlicHe näHe soll Den kontakt zuM Bürger verstärken unD Die koMMunikation verBessern. aBer Die realität kann aucH anDers ausseHen. VON LAUrA DIAz rUDILLA UND LAUrA ILG

Laura Ilg (17) aus Dettingen und Laura Diaz Rudilla (20) aus Essen.

Babys dürften nicht mehr den Vornamen Laura bekom-men, wenn wir an der Macht wären. Bei Verstoß: Steuerer-höhung für die Eltern!

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An einem Dienstagmittag im März hört man in der Lobby des Bundestages eine Stecknadel auf den Boden fallen. Niemand führt Gespräche. Durch die gläserne Au-ßenfassade scheint lediglich die Berliner Sonne in den großen Korridor des Reichstages, der mit glänzenden Le-dersofas möbliert ist. Lobbyisten agieren aber schon seit langem nicht mehr ausschließlich hier.

Mit ihren grünen Ausweisen haben sie zu allen Räumlichkeiten des Bundestages Zutritt – von der Lobby, über die Fraktionsebene, bis hin zu den Büros der Abge-ordneten. Als Interessensvertreter haben sie darauf einen Anspruch, genau wie auf Teilhabe in den verschiedenen Gremien und Ausschüssen der Bundestagsfraktionen, die nur teilweise öffentlich sind.

daS PrOBleM deS iMageS

Nach vielen Debatten über den Einfluss der Energie-konzerne und den Atomausstieg oder die einflussreiche deutsche Waffen- und Rüstungsindustrie haben die Lob-byisten ein negatives Image. Aber hört man sich in den Reihen der Bundestagsabgeordneten um, so vernimmt man als Tenor folgendes: Jeder, der politische Interes-sen besitzt, ist ein Lobbyist - egal ob er Gewerkschaften, Industrieverbände oder Menschenrechts- und Umwelt-schutzorganisationen vertritt. Man hört aus allen politi-

schen Richtungen, dass der Lobbyismus an sich legitim und hilfreich ist. Wobei sich nicht sagen lässt, wie legitim diese Legitimität wirklich ist. Geht es um Lobbyismus, stolpert man oftmals über das Wort „Transparenz“.

MeHr alS SPenden und üBerweiSungen

Wenn es um Wahlkampffinanzierungen oder gro-ße Spendensummen geht, dann ist Transparenz durch nackte Zahlen erkennbar – die Medien greifen sie auf und bringen sie den Bürgern nahe. Allerdings endet diese große Transparenz genau hier.

Lobbyismus ist für den Bürger selbst eine „schwie-rige Angelegenheit“, so Bernhard Weßels, wissenschaft-licher Angestellter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Lobbyisten gehören zur Politik dazu, wie die Butter aufs Brot – das macht Pluralismus aus.

SO durCHSiCHtig wie eine MilCHglaSSCHeiBe

Von der Beeinflussung bei kleinen Bürogesprä-chen oder gemeinsamen Treffen bekommt man nichts mit. Einfluss kann durch überzeugende Argumente oder Sachverstand oder durch Versprechen – wie zum Beispiel eines Jobangebots nach dem Rückzug aus der Politik wie beim ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder

– erzeugt werden. Somit kann nach einer Gesetzesent-scheidung nie genau klargestellt werden, inwiefern eine Lobby nur beratend oder gar maßgeblich entscheidend auf das Gesetz eingewirkt hat. Die große Transparenz erscheint doch eher wie ein Blick durch eine Milchglas-scheibe. Wünschenswert wäre ein Gesetz, das Korrupti-on verhindert – ein solches gibt es in Deutschland zurzeit noch nicht. Ebenso fehlt eine Verpflichtung für die Ab-geordneten, genaue Angaben über ihre Nebeneinkünfte zu machen.

FernaB VOn gut und BöSe

Eines ist klar: Lobbyisten tragen zur Meinungsbil-dung bei, versuchen durch engen Kontakt zu den Ab-geordneten und Parteien die deutsche Politik zu ihren Gunsten zu verändern. Vor allem im Bereich der Wis-senschaft und Technik ist man bei manchen Fragen auf Sachverständige angewiesen, um die Problemlage besser überblicken und analysieren zu können. Das Fundament des Lobbyismus ist fern von gut und böse – die Gren-zen verlaufen fließend. Der Bundestagsabgeordnete Jo-hannes Vogel (FDP) beschreibt die Gradwanderung so: „Lobbyismus ist dann schlecht, wenn der Einfluss über die Kraft eines guten Arguments hinaus geht“.

ein zweiSCHneidiger BegriFF

Befürworter des Lobbyismus denken an die Aktua-lität der Interessen. Aufgrund der vierjährigen Wahlperi-ode können neue Entwicklungen in vielen Lebensberei-chen nicht berücksichtigt werden. Der Lobbyismus dient als eine demokratische Erweiterung. Im Gegensatz dazu stehen die Gegner, die ein Verbot von Lobbyismus for-dern. Für sie verkörpern Lobbyisten geheime Strippen-zieher, die demokratische Grundsätze verletzen. Denn das von den Wählern legitimierte Parlament soll allein und unabhängig entscheiden.

Lobbyismus ist einerseits eine Möglichkeit der plu-ralistischen Demokratie, die Ideen und Nöte bis hin zu den Mandatsträgern zu bringen. Andererseits lädt er aber auch zur Korruption ein. Letztlich liegt die Entscheidung in der Hand des Einzelnen – das ist, was Demokratie ausmacht.

loBBywooD – „acHtung: gewaltenteilung Die FünFte!“ Das BilD Der loBByisten ist kliscHeeBeHaFtet – wir Denken oFt an HeiMlicHe MacHtHaBer, käuFer Der poli-tik oDer scHMierige sportwagenBesitzer. aBer loBByisMus kann aucH sinnvoll unD nützlicH sein - eine graDwanDerung. VON ErIcA zINGHEr UND FLOrIAN DIEKMANN

FOtO: Maria BuCHOlz

gut und BöSe: lOBByiSMuS BetreiBen niCHt nur die energiekOnzerne SOndern auCH uMweltOrganiSatiOnen.

Erica Zingher (17) aus Würz-burg und Florian Diekmann (18) aus Brilon.

Unsere erste Amtshandlung als Bundeskanzler wäre die Einführung einer Kleider-Mottowoche im Bundestag. Mottowoche 1: Lady Gaga

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FOtO: JOnaS FiSCHer

Mittwochabend in der ARD. Verschmitzt richtet sich Moderator Frank Plasberg in seiner Sendung „Hart aber Fair” mit einer Schätzfrage an seine Gäste: “Um wie viel Euro ist die Staatsverschuldung gestiegen, während wir hier saßen?” Silvana Koch-Mehrin (FDP) gibt die erste Antwort. Sie tippt mit 6.000 Euro um das 3.000-Fache zu niedrig und erntet abschätziges Gelächter. Solche Falsch-aussagen lassen Zweifel an der Sachkompetenz unserer Politiker aufkommen. Denn wie sollen Volksvertreter, die nicht einmal Grundsätzliches wissen und einschätzen können, dazu in der Lage sein, die Geschicke eines ge-samten Staates zu lenken?

Politiker bekommen ihre Informationen in Häpp-chen. Dafür zuständig sind meist parlamentarische Mitarbeiter. So kümmert sich die Presseabteilung des Deutschen Bundestages auch darum, dass dessen Prä-sident Norbert Lammert (CDU) morgens alle wichtigen Informationen gebündelt auf seinem Handy abrufen kann. Wie Eva Haacke, Pressereferentin des Deutschen Bundestages, berichtet, wird Lammert auch stets auf den neuesten Stand gebracht, bevor er vor Journalisten in die Öffentlichkeit tritt.

Unterdessen recherchieren wissenschaftliche Bera-ter Hintergrundwissen und kürzen es auf das Wichtigste zusammen. „Die wissenschaftlichen Mitarbeiter müssen sich das Wissen zunächst anlesen. Das erfordert sehr viel Zeit”, berichtet Politikwissenschaftler Professor Chris-toph Stefes von der Universität Colorado Denver. Zusätz-lich lassen sich die Abgeordneten von Interessenvertre-tern aus Wirtschaft, Verbänden und Gesellschaft beraten.

eS giBt niCHt nur die eine waHrHeit

Halbwissen erklärt sich durch die abzudeckende Themenvielfalt. Um journalistische Fragen beantworten zu können, winden sich die Abgeordneten mit rhetori-schen Kniffen um diese herum oder bewegen sich lieber mit dürftigen Aussagen aufs Glatteis.

Außerdem werden Fakten durch unterschiedliche Ideologie anders interpretiert. Das wurde beispielsweise hinter der angeblichen Unwissenheit der Familienminis-terin Kristina Schröder (CDU) vermutet, als sie sich kri-tisch über die Idee der Frauenbewegung äußerte. Mögli-cherweise versuchte sie dabei, dem konservativen Profil ihrer Partei gerecht zu werden. Stefes weist deshalb dar-aufhin: „Wenn es nur die eine Wahrheit gäbe, bräuchten wir keine Politik mehr”.

naCH BeSteM wiSSen und gewiSSen

Unsere Volksvertreter müssen sich nicht mit allem auskennen. Niemand kann eine tiefere Sachkenntnis in allen Fachbereichen voraussetzen. Dennoch scheint es unverständlich, wenn durch oberflächliches Wissen im jeweiligen Themenkomplex falsche Aussagen getroffen werden.

Eine Mitschuld daran tragen auch die immer schneller reagierenden Medien. „Die Zeit, die Abgeord-neten bleibt, um sich über Aktuelles nicht nur oberfläch-lich zu informieren, wird immer kürzer”, sagt Stefes. Vor allem durch das Internet verbreiten sich relevante Neuig-

keiten rasant: Politiker müssen immer direkt und aktuell informiert sein. Kurze Vorbereitungszeiten erschweren es ihnen, sich zu allem kompetent äußern zu können. Das wird aber von Journalisten erwartet. Unter dem Druck, in den Medien vorkommen zu müssen, werden die Abge-ordneten verleitet, zu allem eine Meinung zu haben, statt sich zur Unwissenheit zu bekennen.

Der allwissende Politiker ist und bleibt eine Illu-sion. Ohne eine Spezialisierung ist Demokratie in der globalisierten und schnellen Welt des 21. Jahrhunderts nicht zu bewerkstelligen - dabei ist es verständlich, dass Politiker nicht in allen Feldern mit Sachkenntnis glänzen können. Unbedachte Äußerungen jedoch sind unnötig und zudem nicht nachvollziehbar. Ein Verweis auf die entsprechenden Fachpolitiker wäre oftmals wohl die bes-sere Lösung, statt mit oberflächlichem Wissen vor die Öffentlichkeit zu treten.

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Ich weiß nur, was wir wissen – ob ich alles weiß, was wir wissen, weiß ich auch nicht – aber, ich weiß natürlich: Niemand von uns weiß etwas, was er nicht weiß.

- Wolfgang Schäuble -

Franziska Rentzsch (20) aus Detmold und Florian Müller (18) aus Kalenborn.

Möchten ihrem Programm nicht zu sehr vorgreifen. Aber Couchsurfing hätte gute Chan-cen darauf, ein Volkssport zu werden.

Page 28: politikorange "Schnittstellen"

Der weg Der nacHricHt – voM kaBinett ins woHnziMMer in Der BunDespressekonFerenz (Bpk) treFFen vertreter Der regierung unD kritiscHe Journalisten auFeinanDer. Das ergeBnis: Hitzige FragestunDen. VON SVENjA AHrENS UND WIEBKE NOrDENBErG

regierung, Bundeskanzlerin, Ministerien: Das Bundespresseamt gibt die Informationen nach Wichtig-keit und Aktualität an die öffentlich-keit heraus. In den jährlich über 800 Pressemitteilungen der Bundesregie-rung sind die Themen weit gefächert. Sie reichen von geplanten Geset-zesvorhaben bis zu Einschätzungen aktueller weltpolitischer Ereignisse.

Der regierungssprecher und 14 Ministeriensprecher: Der derzei-tige regierungssprecher ist Steffen Seibert, der vorher als Nachrichten-moderator beim zDF tätig war. Es ist nicht unüblich, dass regierungsspre-cher vor- und nachher als journalisten arbeiten. Allerdings stellt das ihre journalistische Glaubwürdigkeit in Frage.

900 Journalisten sind die Haus-herren: „Die Bundespressekonferenz ist eine eingeschworene Gemein-schaft“, sagt Eva Haacke, Pressere-ferentin des Deutschen Bundestages. Denn die BPK wird von den jour-nalisten als Verein organisiert. Das bedeutet: Die Politiker und Presse-sprecher sind lediglich Gast bei der BPK, zu der die journalisten montags, mittwochs und freitags einladen.

während der Bundespressekon-ferenz (Bpk): Einer der Vorsitzen-den eröffnet die Konferenz. Nach den Erklärungen der Ministeriensprecher können die journalisten Fragen stellen. Die meisten von ihnen treffen sich nach der Konferenz außerdem noch mit regierungsvertretern, um exklusive Informationen für die eigene Story zu entlocken.

standleitungen in die redakti-onen: Im Saal der BPK sind viele Mikrofone verteilt, damit Fragesteller gut zu verstehen sind. Außerdem münden ihre Signale in Standleitun-gen zu Ministerien, Parteizentralen und natürlich den Hauptstadtbüros der Medien. Von dort kann die BPK per Knopfdruck mitgehört und mitge-schnitten werden.

Berichterstattung:Die Bilder und Inhalte der Bundes-pressekonferenz kommen abends beispielsweise mit der „Tagesschau“, „heute“ und „rTL Aktuell“ nach Hause ins Wohnzimmer. rund 15 Millionen zuschauer verfolgen abends allein die-se drei Nachrichtensendungen.

Die Bundespressekonferenz wurde im Herbst 1949 von Hauptstadtjour-nalisten ins Leben gerufen. Als eingetragener Verein ist die BPK nicht von staatlichen Institutionen abhängig sondern finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge. jeder journalist, der Mitglied ist, hat ein Fragerecht und darf Kritik äußern. Dies führt häufig zu Spannungen und leiden-schaftlichen Diskussionen. Manche Politiker meiden daher die Bundes-pressekonferenz und halten lieber eigene Pressekonferenzen ab. Denn in der Bundespressekonferenz geben die journalisten klar den Ton an.

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FOtO: Maria BuCHHOlz

ca. 900 Journal isten Bundeskanzler in Regierungssprecher BPK Eröffnung Standlei tung in die Redakt ion Berichterstat tung

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ca. 900 Journal isten Bundeskanzler in Regierungssprecher BPK Eröffnung Standlei tung in die Redakt ion Berichterstat tung

ca. 900 JournalistenBundeskanzlerinRegierungssprecherBPK EröffnungStandleitung in die RedaktionBerichterstattung

Svenja Ahrens (17) aus Suhlingen und Wiebke Nor-denberg (19) aus Hannover.

Wir würden Steffen Seibert zu-rück zum ZDF schicken, denn als Nachrichtensprecher wirkte er viel souveräner und smarter, als in seinem neuen Job.