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Veröffentlichungsreihe der Abteilung Öffentlichkeit und soziale Bewegungen des Forschungsschwerpunktes Sozialer Wandel, Institutionen und Vermktlungsprozesse des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung FS III 96-101 Politische Unternehmer, Netzwerke und Bewegungserfolg: Die "Einzelmitglieder" der NSDAP, 1925-30 Helmut Anheier und Thomas Ohlemacher Helmut Anheier Rutgers University New Brunswick, NJ 08903 & Institute for Policy Studies The Johns Hopkins University Baltimore, MD 21218 Thomas Ohlemacher Kriminologisches Forschungs- institut Niedersachsen 30161 Hannover Berlin, Mai 1996 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, D-10785 Berlin, Telefon: (030) 25 49 1-0

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Veröffentlichungsreihe der Abteilung Öffentlichkeit und soziale Bewegungen des

Forschungsschwerpunktes Sozialer Wandel, Institutionen und Vermktlungsprozesse des

Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung

FS III 96-101

Politische Unternehmer, Netzwerke und Bewegungserfolg:

Die "Einzelmitglieder" der NSDAP, 1925-30

Helmut Anheier und Thomas Ohlemacher

Helmut AnheierRutgers UniversityNew Brunswick, NJ 08903&Institute for Policy Studies The Johns Hopkins University Baltimore, MD 21218

Thomas Ohlemacher Kriminologisches Forschungs­institut Niedersachsen 30161 Hannover

Berlin, Mai 1996

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, D-10785 Berlin,

Telefon: (030) 25 49 1-0

Zitierweise:Anheier, Helmut,Ohlemacher, Thomas, 1996:Politische Unternehmer, Netzwerke und Bewegungserfolg: Die "Einzelmitglieder" der NSDAP, 1925-30.Discussion Paper FS III 96-101.Wissenschaftszentrum Berlin.

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Zusammenfassung

Der Aufsatz bezieht sich auf eine zentrale These der neueren Soziologie sozialer Bewegungen, wonach politischen Unternehmern gerade in der Aufbauphase von Bewegungen eine her­ausgehobene Rolle zukommt. Untersucht werden dabei sowohl die Bedeutung als auch die so­zialen Merkmale von NS-Bewegungsuntemehmem in der Wiedergründungsphase der Partei zwischen 1925 und 1930. Auf der Basis eines von den Autoren zusammengetragenen Daten­satzes aus den Beständen des Berlin Document Centers wird eine zentrale Gruppe von ca. 650 "Einzelmitgliedem" (Mitglieder in Gemeinden ohne Ortsverein) in ihrer Beteiligung an der Gründung von NSDAP-Ortsgruppen analysiert. Die Ergebnisse untermauern die Bedeutung von politischen Unternehmern für den Erfolg sozialer Bewegungen: es zeigt sich, daß es einer relativ kleinen Gruppe der Einzelmitglieder gelang, in den Jahren 1925 bis 1928 einen wesentlichen Beitrag zur Gründung von Ortsgruppen zu leisten; mit Hilfe logistischer Regressionsanalysen zeigt sich weiter, daß solche Einzelmitglieder, die eine hohe Eingebundenheit in organisatori­sche und personelle Netzwerke des völkisch-nationalen Milieus aufweisen, mit einer besonders hohen Wahrscheinlichkeit an einer Ortsgruppengründung beteiligt waren.

Abstract

This study examines a central thesis of the sociology of social movements, which highlights the role of political entrepreneurs in the early movement development. Specifically, we look at the impact and characteristics o f movement entrepreneurs in the National Socialist Party of Germany between 1925 and 1930, i.e. during the party's initial reorganization period. The analysis is based on data collected from the holdings of the Berlin Document Center, and includes information on a group of some 650 single members who joined the Nazi party in towns with no party organizations in place. Results point to the importance of these movement entrepreneurs for the local establishment of the party during reorganization: the involvement of this relatively small group of single members contributed significantly to the formation of local party chapters between 1925 and 1928. Second, logistic regression analysis shows that members with high degress of embeddedness in organizational and personal networks among the nationalist milieu are those with the highest probability to establish local party chapters.

Helmut Anheier ist Professor für Soziologie an der Rutgers University, New Brunswick (USA) und zugleich Senior Research Scientist und Project Director am Institute of Policy Studies der Johns Hopkins University in Baltimore. Er ist Herausgeber der Zeitschrift VOLUNTAS und war mehrmals als Gastwissenschaftler am WZB tätig.

Thomas Ohlemacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, Hannover. Er ist zudem Lehrbeauftragter am Institut für So­ziologie der Universität Hamburg. Von 1988 bis 1993 war er Mitglied der Abteilung "Öffent­lichkeit und soziale Bewegung" des WZB.

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Politische Unternehmer, Netzwerke und Bewegungserfolg: Die '’Einzelmitglieder” der NSDAP, 1925-30

Helmut Anheier und Thomas Ohlemacher

1. Einführung1

Der Nationalsozialismus kann als eine der "erfolgreichsten" sozialen und politischen Bewe­gungen des 20. Jahrhunderts angesehen werden: obwohl die nationalsozialistische Bewegung anfänglich durchaus eine Randerscheinung im politischen Leben der Weimarer Republik dar­stellte, schaffte es die im Februar 1925 wiedergegründete NSDAP, innerhalb von etwas mehr als fünf Jahren zu einem wichtigen politischen Faktor heranzuwachsen und in drei weiteren Jahren - letztlich mit dem Erlaß des Ermächtigungsgesetzes - alle wesentlichen politischen Machtzentren entscheidend zu besetzen.

Wie war der phänomenale Erfolg des Nationalsozialismus möglich? Dies ist in der Tat wohl eine der zentralen Fragen der historischen und sozialwissenschaftlichen Forschung zum Nationalso­zialismus. Uns interessiert dabei vornehmlich weder der ideengeschichtliche Hintergrund und die übergreifende Makroperspektive, noch die engere wahlsoziologische Betrachtung, sondern vor allem die organisatorische Ausbreitung und Institutionalisierung des Nationalsozialismus auf der lokalen Ebene. Ausgehend von der Soziologie sozialer Bewegungen, nähern wir uns die­sem Prozeß aus der spezifischen Perspektive bestimmter Parteiaktivisten, der sogenannten Bewe­gungsunternehmer. Analog zu der in der neueren Literatur zur Entwicklung des Nationalsozia­lismus vertretenen These, nach der sich die NSDAP zunehmend als "Volkspartei des Protests" konstituieren konnte (Falter 1991; Fischer 1995; Mühlberger 1991, 1995), wollen wir empirisch nahelegen, daß es einer zahlenmäßig relativ kleinen Gruppe von Bewegungsuntemehmem ge­lang, einen wichtigen Teil des organisatorischen Unterbaus mitzuschaffen, auf dem sich die NSDAP zuerst allmählich, später fast sprunghaft ausbreiten und dabei immer weitere ge­sellschaftliche Bereiche in sich aufnehmen konnte. Durch die Mithilfe dieser Bewegungsunter­nehmer konnte sich die Partei frühzeitig als eine schichtenmäßig breit angelegte, jedoch kulturell und organisatorisch im lokalen völkischen und nationalen Milieu eingebundene politische Be­wegung institutionalisieren. Natürlich soll hier nicht behauptet werden, daß die Aktivitäten von Bewegungsuntemehmem den Schlüssel zum Erfolg der NSDAP darstellten. Unsere Untersu­

Wir bedanken uns für die Unterstützung unserer Forschungsarbeiten durch das Berlin Document Center, insbesondere durch den ehemaligen Direktor, Dr. David Marwell, und den heutigen Leiter der Bundesarchiv- Außenstelle Zehlendorf, Dr. Dieter Krüger, sowie durch die BDC-Mitarbeiter Frau Wolf Herrn Semmerau und Herrn Fehlauer. Unser Dank gebührt auch Professor Friedhehn Neidhardt, Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin, der die Untersuchung betreute und in vieler Hinsicht erst anregte und ermöglichte. Frau Prinzessin zu Lö­wenstein stand dem Projekt mit hoher verwaltungs- und finanzpraktischer Expertise zu Seite. Die wertvolle Mitar­beit von Herrn Dipl.-Soz. Wolfgang Vortkamp bei der Datenerhebung und Datenaufbereitung trug wesentlich zu unserem Vorhaben bei. Beiden sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Die Projektarbeiten wurden durch Mittel der Fritz Thyssen Stiftung, des Wissenschaftszentrums Berlin und der Rutgers University, New Brunswick, geför­dert.

chung soll jedoch aufzeigen, daß sie wesentlich dazu beitragen, die organistorischen Vorausset­zungen zu schaffen, auf dem sich spätere Erfolge im Mitglieder- und Wählerzuspruch leichter vollziehen konnten.

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2. Soziale Einbettung und Bewegungsunternehmer

In der neueren Literatur zur Entwicklung der NSDAP finden sich wichtige Elin weise, die beson­ders auf die wahlsoziologischen Ursachen ihres Erfolgs schließen lassen (Falter 1991; Fischer 1995). Generell ist die Forschung in den letzten Jahren zunehmend von allumfassenden und monokausalen Erklärungsmustem abgerückt, und neuere Arbeiten weisen im Anschluß an Linz (1976, 1978) und Hamilton (1982) mehr und mehr auf die komplexe und voraussetzungsvolle Kausalitätsstruktur hin, die dem Erfolg des Nationalismus zugrunde gelegen haben könnte. In s- besondere die grundlegenden Arbeiten von Falter (1991: 364-74) zeigen auf, daß weder der schichtentheoretische Versuch von Lipset (1960), wonach der erste Erfolg der NSDAP primär vom Wahlverhalten des selbständigen Mittelstandes hervorgebracht wurde, noch der auf der Radikalisierung der unpolitischen Wählerschichten beruhende Ansatz von Bendix (1952), der in der Mobilisierung der Nicht- und Jungwähler den entscheidenden Erfolgsfaktor sieht, noch die Theorie des politischen Konfessionalismus von Burnham (1972), wonach der bürgerlich-prote­stantische Block der NSDAP entscheidend Wähler zuführte, allein den Durchbruch des Natio­nalsozialismus erklären kann.

Obwohl alle drei Ansätze durchaus Teilaspekte des Wahlerfolges erklären können, wurde die NSDAP weder von der Mittelschicht oder den Unpolitischen noch durch konfessionelle Struk­turen allein getragen (Fischer 1995). Vielmehr handelte es sich bei der NSDAP nach Falter (1991) um eine Volkspartei, die von komplexen Wähler- und Mitgliederbewegungen gespeist wurde. Als wesentliche Indikatoren für das Abschneiden der NSDAP erweisen sich dabei ver­schiedene regionale und lokale Milieus, d.h. politische Traditionen, Verbände, Vereine und an­dere soziale, kulturelle und kirchliche Institutionen, die - mit den jeweiligen schicht-, massen- und konfessionsspezifischen Faktoren zusammenwirkend - den Erfolg des Nationalsozialismus erleichterten, erschwerten oder gar bis nach 1933 hinauszögerten (Falter 199T. 355-363; Hamil­ton 1982; Linz 1976). Solche Milieus entstehen durch die Koinzidenz mehrerer struktureller Faktoren, wie wirtschaftliche und soziale Lage, Religion und Kultur, und werden von formalen Institutionen und einem Netzwerk informeller Beziehungen getragen (Lepsius 1966).

Mit dem Hinweis der neueren Forschung zum Nationalsozialismus auf die wichtige Rolle, die lokale Milieus, Institutionen und Netzwerke in der Ausbreitung der Partei spielten, deuten sich theoretische und empirische Verbindungen zur Soziologie sozialer Bewegungen an. Schon Linz (1976; 1978) wies daraufhin, daß die Gründe für den Erfolg des Nationalsozialismus nicht allein in der Parteienlandschaft oder im Wählerverhalten zu suchen sind, sondern gerade im politischen Vorfeld zu finden wären; und Hamilton (1982) wie Falter (1991: 374-5) plädieren gleicherma­ßen für eine stärkere Einbeziehung von sozial-strukturellen und kulturellen Faktoren, die über die engere politische Soziologie der NSDAP hinausgehen.

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Wichtige empirische Hinweise, die für eine Einbeziehung der Soziologie sozialer Bewegungen in die Analyse der Erfolgsbedingungen des Nationalsozialismus sprechen, lassen sich gerade in der Wiederaufbauphase der NSDAP in den späten 20er Jahren finden. Zusammengenommen deuten drei Aspekte auf den Beitrag lokaler Bewegungsunternehmer zur spezifischen Entwicklung der Partei:

Erstens zeigt sich, daß im Vergleich zum lange ausbleibenden Wahlerfolg die organisatorische Entwicklung der Partei schon recht weit fortgeschritten war. Dabei handelte es sich nicht nur um Neugründungen von Ortsgruppen oder spezielle Gliederungen wie SA, SS und Hitlerjugend, sondern auch um die Überführung von völkischen Verbänden und politischen Vereinigungen, die entweder offen oder als Tamorganisationen die Verbotszeit zwischen 1923 und 1925 über­standen und nun oft geschlossen der NSDAP beitraten. Bereits 1928 gelang es der Partei, aus bestehenden und neugegründeten Organisationselementen eine tief gestaffelte und weitgehend umfassende Organisationsstruktur aufzubauen, die bereits vor den Wahlerfolgen der Partei in viele Bereiche des politischen Alltags hineinzuwirken begann (Horn 1972; Lingg 1939; Maser 1973).

Etwas überspitzt könnte man sagen, daß die NSDAP vor 1930 eine Mitgliederorganisation ohne größeren Wählerzuspruch darstellte: Mit etwa 100.000 Parteimitgliedern in etwa 1.400 Orts­gruppen erzielte die Partei bei den Reichstagswahlen im Mai 1928 gerade 2,6% oder 1 Million der abgegebenen gültigen Stimmen. Das Verhältnis zwischen Mitgliederzahl und Wählerzahl änderte sich mit den Septemberwahlen von 1930 grundlegend: mit einer um ein Drittel auf 129.000 angewachsenen Mitgliederstärke erzielte die Partei überraschend 7,9 Millionen (18,3%) der abgegebenen gültigen Stimmen. Somit wandelte sich die NSDAP, zur zweitstärksten Partei aufstiegen, von einer Mitgliederorganisation zunehmend zu einer Volkspartei, die zu einem be­trächtlichen Anteil über das engere völkische Wählerpotenial hinaus zunehmend Stimmen für sich gewinnen konnte. Für die hier zu untersuchende Rolle der Bewegungsuntemehmer ist es wichtig festzuhalten, daß die Wahlerfolge der NSDAP generell nach ihrem breit angelegten or­ganisatorischen Aufbau erfolgten, d.h. nach ihrer letzlich erfolgreichen Etablierung auf örtlicher und regionaler Ebene.2

Zweitens zeigt sich, daß zwischen der Reichspräsidentenwahl von 1925 (der sogenannten "Hindenburgwahl") und den Ergebnissen der Reichstagswahlen in der Zeit von 1930 bis 1933 ein sehr ausgeprägter Zusammenhang besteht (r = 0,82, berechnet mittels einer ökologischen Re­

2 Dabei soll nicht behauptet werden, daß die organisatorische Entwicklung der NSDAP konfliktlos und rational-bürokratisch gestaltet werden konnte. Horn (1972: 12f) weist ausdrücklich daraufhin, daß sich die Partei als Organisation trotz ihres im Sinne des Führerprinzips scheinbar hoch formalisierten und hierarchischen Aufbaus in der Phase zwischen 1925 und 1933 auf der regionalen und lokalen Ebene vielschichtiger und komplexer zeigte als dies von der Münchener Zentrale gewünscht wurde. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Reichsschatzmeister Schwarz vom 13. September 1935 zur Parteiorganisation in der “Kampfzeit” und die Schwierigkeiten der Parteifüh­rung, die einzelnen Gliederungen organistorisch zu fassen und auf München hin auszurichten (“Das Finanz- und Ferwaltungswesen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei”, NS 1/1115) sowie die zahlreichen Rund­schreiben und Erlasse der Partei zum Mitgliedschafts- und Verwaltungswesen (NS 1/6 Heft 2; NS 1/511; NS 1/1117 Bd. 2; NS 22). Wie wir weiter unter darstellen, ergaben sich aus der wachsenden, jedoch regional weiterhin unter­schiedlichen und differenzierten Organisationsstruktur der Partei weitaus bessere Möglichkeiten für das Wirken lokaler Bewegungsuntemehmer als dies nach 1933 der Fall war.

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gression; Falter 1991: 360-3). Mit anderen Worten, zwei Drittel (67,2%) der Varianz im Anteil der NSDAP-Wählerstimmen bei den Ergebnissen der Reichstagswahlen zwischen 1930 und 1933 können mit der Variable "Hindenburgwahl" erklärt werden. In Wahlkreisen, in denen H in - denburg ein "überdurchschnittliches Wahlergebnis erzielen konnte, gleich ob in katholischen oder evangelischen, eher städtischen oder ländlichen Kreisen, Arbeiter- oder Mittelstandsgebie­ten, fielen zwischen 1930 und 1933 die NSDAP-Ergebnisse deutlich besser aus als in der 'Hin- denburg-Diaspora' " (Falter 1991: 360). Die Hindenburgwahl stellte nach der bewegten Grün­dungsperiode der Weimarer Republik (1918-1921) und dem Abflauen der Freikorpsbewegung die erste erfolgreiche Sammlung von völkischen und anderen republikfeindlichen Kräften dar. Die politischen Vorgänge um die Präsidentenwahl brachten einen Institutionalisierungsschub in Richtung auf eine - von der Theorie sozialer Bewegungen so bezeichnete - movement industry oder Bewegungsbranche (McAdam et al 1988: 718). Wir können annehmen, daß sich sowohl die weitere institutioneile Etablierung als auch der organisatorische Aufbau der Partei in völkischen, anti-republikanischen Milieus leichter vollziehen konnte als in anderen Bereichen.

Ein dritter Hinweis ergibt sich ebenfalls aus den wahlsoziologischen Arbeiten Falters (1991: 350-7). Es zeigt sich, daß nationalsozialistische Hochburgen, d.h. Wahlkreise, in denen die NSDAP vor 1930 überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen konnte, die "stärksten Prädiktoren der nationalsozialistischen Wahlerfolge überhaupt" (Falter 1991: 355, 439) für die Reichstags­wahlen zwischen 1930 und 1933 darstellen. Für die Septemberwahl von 1930, entfallen auf die Variable "NSDAP-Hochburg" alleine etwa 38% der erklärten Varianz im NSDAP-Anteil der abgegebenen Stimmen und 28% der erklärten Varianz im Wählerzuwachs der NSDAP. Mit an­deren Worten: Während der Durchbruchsphase der NSDAP wuchs ihr Stimmenanteil dort am stärksten, wo sie auf der lokalen Ebene präsent war und sich zumindest in Ansätzen früh als ein emstzunehmender politischer Faktor darstellen konnte. Dies bedeutet, daß ihre weit gespannte, oft überdimensional und fragil wirkende Organisationsstruktur der Partei letztlich zum Vorteil gereichte.

2.1. Sozial-strukturelle und kulturelle Vermittlung

Der enge Zusammenhang, der sich zwischen lokal-politischem Milieu, Organisationsentwick­lung und Wahlerfolg vermuten läßt (Lepsius 1978), erscheint daher im Licht der bisherigen For­schungsergebnisse durchaus plausibel (Falter 1991; Fischer 1995). Wie aber kann sich die ange­nommene Entwicklungslinie für die nationalsozialistische Bewegung, die mit den drei Kompo­nenten "Milieu —> Organisation Wahlerfolg" vereinfachend beschrieben werden kann, voll­zogen haben? Erfolgreicher Protest, so lautet ein wesentlicher Befund der neueren Bewe­gungsforschung, ist ein voraussetzungsvoller Prozeß (McAdam et al 1988; Neidhardt und Rucht 1993). Soziale Bewegungen brauchen zum Erfolg sowohl eine kognitiv-kulturell als auch eine sozial-strukturell herzustellende Vermittlung, die Protestanliegen kommunizierbar und ver­ständlich machen.

Kognitiv-kulturell müssen die Anliegen der Bewegung ohne wesentliche Brüche und fundamen­tale Widersprüche in Interpretationsmuster und Sinnbilder der Mitglieder bzw. der potentiellen Anhänger integrierbar sein. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der Prozeß des ''framings" (Goffman 1974; Snow et al 1986), der oft routinemäßigen Verwendung interpretativer Schemata

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fur das Erkennen, Einordnen und Bewerten sozialer und politischer Tatsachen. Diese Schemata oder frames erlauben somit die Verknüpfung einer breiten Palette von Erfahrungen, E reig n issen und Themen zu einem mehr oder weniger kohärenten und sinnvollen kognitiven Gebäude.

Die Ideologie des Nationalsozialismus bot sich nicht nur als wirksames Interpretationsschema für die wirklichen und vermeintlichen Schwächen und Stärken der Weimarer Republik an; viel­mehr lag ihr wirklicher Vorteil in der Art und Weise, wie sie es ermöglichte, verwandte und ähnlich gelagerte Schemata nationaler, völkischer, anti-semitischer, anti-modernistischer, anti­kommunistischer und anti-republikanischer Provenienz in Einklang zu bringen. Als eklektische Ideologie (Linz 1978), im 25-Punkte-Programm der Partei und in Hitlers Mein Kampf in groben Zügen festgehalten, durchaus unterschiedlichste Elemente verschiedener Weltbilder und politi­scher Positionen in sich aufnehmend, konnte die nationalsozialistische Bewegung leicht die Rolle des ideologischen master frame anbieten. Derartige master frames erlauben die Einord­nung verschiedener, oft widersprüchlicher Interpretationsschemata in ein als sinnvoll zu empfin­dendes "Überschema" (Snow und Benford 1992). Der "Anti-Charakter" der NSDAP machte die Integration verwandter Ansichten, aber auch unterschiedlicher, ja geradezu gegensätzlicher Weltbilder und Programme leichter möglich - leichter zumindest, als dies für andere, auf ideolo­gische Prägnanz und Klarheit bedachte Parteien oder Bewegungen der Fall gewesen wäre.3

Der immense ideologische Vorteil, welcher der NSDAP qua nationalsozialistischer Ideologie als master frame der rechten und völkischen Bewegung erwuchs, wird auf der lokalen Ebene gerade in der Anfangszeit bedeutsam - als die Partei kaum oder nur schwach in das politische Gefüge der Gesamtgesellschaft eingeordnet war. Koshar (1987) und Noakes (1971) heben hervor, daß es der Partei vielerorts gelungen sei, sich als "überparteiliche Bewegung" anzubieten, die über dem "Parteiengezänk" stehe und damit die lokale Sphäre vor der anonymen Macht der Parteien schütze. Die These der Attraktivät einer überparteilichen Bewegung wird u.a. von Kater (1985) vertreten, wenn er im Hinblick auf den schichtenübergreifenden Erfolg der NSDAP bei jugend­lichen Randgruppen schreibt: "So streifte sich Hitler das Gewand eines Apostels der Jugend über, eines klassenlosen zumal, der den Strauchelnden jeder gesellschaftlichen Schicht entgegen­zukommen schien." (1985: 240) Ähnlich argumentiert Madden: "Through an instinctive grasp of the many diverse social and economic currents present in postwar Germany, Hitler was able to forge a movement that transcended traditional party affiliations, class lines, and age barriers, and to unite persons from diverse social backgrounds into an effective and fanatical protest move­ment." (1982: 52). Diese Beobachtung stimmt mit dem Selbstbild und der Selbstdarstellung der Partei überein: die NSDAP sah sich primär als Sammlungsbewegung - und damit weder als Par­tei im herkömmlichen Sinne, noch als Kaderorganisation (Childers 1983).

Sozial-strukturell erleichtert es den Erfolg sozialer Bewegungen, wenn sie sich auf gegebenen institutionellen und organisatorischen Bahnen entwickeln können (Neidhardt und Rucht 1993).

3 Man denke hier etwa an die ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der SPD, der USPD oder der KPD. Obwohl die NSDAP gerade in ihrer Wiederaufbauphase nach 1925 von ideologischen Spannungen gekenn­zeichnet war, so z.B. während der Auseinandersetzung zwischen der Münchener Parteiführung und der Arbeitsge­meinschaft der nord- und westdeutschen Gaue der NSDAP um die sogenannte “Fürstenabfindung” (Kühnl 1966: 20-42; Hüttenberger 1969: 26ff), verstand es Hitler in solchen Situationen geschickt, Spaltungstendenzen entgegen­zuwirken (Kühnl 1966: 43ff). Der eklektische Charakter der nationalsozialistischen Ideologie erlaubte es ihm, pragmatisch vorzugehen, ohne auf die Kohärenz der politischen Lehre Rücksicht nehmen zu müssen (Horn 1972).

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Für den Nationalsozialismus waren diese in der komplexen, oft konflikthaften Organisa­tionsstruktur der völkischen Bewegung zu verorten. Der völkisch-nationale Bereich umfaßte ein sehr breites Spektrum höchst unterschiedlicher Gruppen, von kleineren politischen Parteien und vaterländischen Vereinen, Interessenverbänden und Jugendorganisationen bis hin zu soldati­schen und paramilitärischen Verbänden, deren organisatorische Entwicklung oft auf die Frei­korps und Einwohnerwehren der ersten Nachkriegsjahre zurückgefuhrt werden kann. Gerade die Weigerung Hitlers, mit anderen völkisch-nationalen Gruppierungen formal zusammenzuarbei­ten, sondern auf einer Strategie der Vereinnahmung und Infiltration zu beharren, bestärkte die zunehmend zentrale organisatorische und politische Position der NSDAP im rechtsextremen La­ger.

Während der “Verbotszeit” zwischen November 1923 und Februar 1925 fanden viele Mitglieder der Alt-NSDAP in weiter bestehenden völkischen Verbänden Zuflucht oder schufen Tamorgani- sationen, um so die nationalsozialistische Bewegung nicht als Partei sondern als Mitgliederver­band fortzufuhren - so z.B. in der Großdeutschen Volksgemeinschaft, im Völkischen Block, der Reichsflagge oder im Frontbann. Somit konnten institutioneilen Elemente des Nationalsozialis­mus, die vor dem November 1923 geschaffen worden waren, und bereits den Anfang einer brei­ter gespannten organisatorischen Infrastruktur bildeten (Douglas 1969), erhalten werden. Sowohl diese als auch die neugeschaffenen Organisationen nahmen eine Stellvertreterfunktion für die Partei an und bildeten bei der Neugründung im Februar 1925 wichtige organisatorische Grund­pfeiler für den Wiederaufbau4 Andere, der NSDAP nahestehende Verbände, wurden ebenfalls Ende 1923 verboten - und auch diese formten Tarnorganisationen. So wurde beispielsweise der Bund Oberland als Deutscher Schützen- und Wanderbund weitergefuhrt. Manche andere Ver­bände hingegen wie der Bund Bayern und Reich zerfielen langsam aufgrund länger bestehender organisatorischer Schwächen. Ihre Mitglieder wurden von der Reichsflagge, dem Vaterländi­schen Verein Münchens oder dem Bayerischen Heimat- und Königsbund aufgenommen, wobei viele später in die NSDAP oder den Stahlhelm überwechselten. Es ist wichtig festzuhalten, daß das Verbot der NSDAP und ihr verwandter rechtsradikaler Verbände zu einer Umstrukturierung aber kaum zu einem generellen Schwächung des republikfeindlichen, völkischen Lagers führte. Durch die Umstrukturierung des rechten Lagers war es möglich, der nationalsozialistischen Be­wegung in zentralen Teilen eine personelle und organisatorische Kontinuität zu verleihen, die der Wiedergründung der NSDAP wichtige Vorteile verschaffte. Wie wir sehen werden, wurde diese Kontinuität durch die Aktivitäten lokaler Bewegungsuntemehmer auch dadurch herge­stellt, indem sie “alte” Organisationen wiedergründeten.5

Wie kann man sich den Prozeß der sozial-strukturellen Vermittlung vorstellen? Neben dem oben kurz dargestellten strategischen Gebrauch verschiedenster nationalsozialistischer Statthalter- und Tamorganisationen, die ab Februar 1925 wieder zusammengeführt wurden, fand die Vermittlung

4 Siehe dazu die Beschreibung der Wiedergründung der NSDAP in München in Vollnhals (1993: 158). So trat z.B. die von Julius Streicher und Hermann Esser geführte Großdeutsche Volksgemeinschaft geschlossen in die NSDAP über.

5 Wir bedanken uns bei Herrn Dipl. Soz. Wolfgang Vortkamp für den Hinweis auf die Tradierung völ­kischer und nationalistischer Organisationen durch Einzelmitglieder.

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insbesondere durch Rekrutierung neuer Mitglieder auf der lokalen Ebene statt.6 Von besonderer Bedeutung für die Mobilisierung neuer Mitglieder war offensichtlich die Konversion von Mei- nungsfuhrem lokaler Organisationen. Zofka (1986: 60) berichtet mit Blick auf die Bevölkerung eines bayerischen Landkreises, daß es der NS-Bewegung trotz der Reserviertheit der bäuerlichen Bevölkerung gegenüber dem radikalen Image der Partei gelang, sogenannte grassroot opinion leaders in den bäuerlichen Genossenschaften für sich zu gewinnen. Die Honoratioren hingegen, zu fest im bäuerlich-katholischen Milieu verankert, hielten Abstand zur Partei und wurden in der Regel nicht zu Mitgliedern. Nach Zofka (1986) war es die gezielte Rekrutierung und Mobili­sierung lokaler Meinungsfuhrer, welche die organisatorische Entwicklung der Partei mit kenn­zeichnete und spätere Wahlerfolge möglich machte. Koshar (1987) kommt in seiner Lokalstudie zum Erfolg der Marburger NSDAP zwischen 1923 und 1933 zu tendenziell ähnlichen Ergebnis­sen, betont jedoch die zentrale Position vieler NSDAP-Mitglieder innerhalb des örtlichen Ver­einswesens, wodurch die Partei direkten und indirekten Zugang zu fast allen gesellschaftlichen Bereichen erlangte.

2.2. Bewegungsunternehmer

Die notwendige kognitiv-kulturelle und sozial-strukturelle Vermittlung und Vermittelbarkeit sozialer Bewegungen stellt jedoch nur einen Teil der Voraussetzungen für ihren Erfolg dar. Von zentraler Bedeutung ist die Rolle der Aktivisten oder Bewegungsunternehmer, die ihr Vorhaben geschickt in lokale Gegebenheiten umsetzen, an öffentliche Themen-Konjunkturen anpassen und andere in ihre Zielvorstellungen miteinbeziehen (Schmitt 1990; Mueller 1992: 8-11; McCarthy und Zald 1987). Die Organisationen der sozialen Bewegungen, die social movement organiza­tions, sind dabei von entscheidender Bedeutung: Sie verbinden vorher-existierende politische und unpolitische Gruppen (Gerhards und Rucht 1992), fungieren oft milieu-überschreitend (Lespius 1966) und stellen selbst jedoch oft recht fluide Gebilde dar (Cattacin und Passy 1993). Wir verstehen unter Bewegungsuntemehmem Aktivisten, die einen Teil ihrer zeitlichen und materiellen Ressourcen auf die Durchsetzung einer politischen Idee, im besonderen Maße jedoch auf die Etablierung und weitere Institutionalisierung einer politischen Bewegung verwenden (Schmitt 1990: 49; McAdam et al 1988: 716-7). Bewegungsuntemehmer erweisen sich gerade in den Anfangsphasen sozialer Bewegungen als wesentliche Leistungsträger auf der lokalen Ebene, verlieren jedoch im weiteren Verlauf der Bewegungsentwicklung oft an Bedeutung in dem Ma­ße, wie es gelingt, die Bewegung auf überregionaler Ebene als Organisation zu institutionalisie­ren (McAdam et al 1988). Diese Bewegungsuntemehmer sind dabei weder notwendigerweise Innovatoren im politischen oder institutionellen Sinn, noch müssen sie charismatische Persön­lichkeiten oder Mitglieder lokaler Eliten sein.

Die komplexe Organisationsstruktur des völkisch-nationalen und verwandter Milieus als move­ment industry bot den Bewegungsuntemehmem des Nationalsozialismus ein weitgespanntes Feld. Eingebunden in die kognitiven und sozialen Strukturen der lokalen Gesellschaft, ergaben sich ihnen strukturell vorgegebene Möglichkeiten {opportunity structures') zur Mobilisierung von Protest in die institutionellen Bahnen der NSDAP. In der Tat erschloßen sich für Aktivisten

6 Siehe zur Mitgliederrekrutierung insbesondere lokale Studien zur Entwicklung der Partei, z.B. Grill 1983; Pridham 1973; Zofka 1986;Noakes 1971; Koshar 1987.

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innerhalb der nationalsozialistischen Institutionen schon früh weite Betätigungsfelder: neben der eigentlichen Partei waren solche Möglichkeiten insbesondere in der Parteipropaganda als Partei­redner, in der SA und SS und in den Parteisonderorganisationen zu suchen, so z.B. in dem im Februar 1926 gegründeten Nationalsozialistischen Studentenbund, der Hitlerjugend, dem Kampfbund Deutsche Kultur oder in den parteinahen berufsständischen Vereinigungen.

Vier kurze Beispiele sollen dazu dienen, den unternehmerischen Charakter der lokalen polit- schen Akteure herauszustellen, und auch aufzeigen, welch zentrale Bedeutung solchen Akti­visten für die Etablierung der Partei auf örtlicher Ebene zugekommen sein könnte.

Im ersten Fall handelt es sich um den Rechtskandidaten (Jurastudenten) A., der am 1.1.1928 der NSDAP im Gau Hamburg im Alter von 23 Jahren beitrat. Im Gegensatz zu anderen Aktivisten, hat er, wohl aufgrund seines noch recht jungen Alters, keine länger zurückreichende politische Vergangenheit innerhalb des völkisch-nationalistischen Lagers. Dennoch wirkte er sehr aktiv an der organisatorischen Etablierung des Nationalsozialismus in Hamburg mit. Zu seinen Aktivi­täten während der "Kampfzeit" stellt die Kreisleitung St. Pauli am 28. November 1933 folgende Bescheinigung aus:7

"Pg. [Parteigenosse] A. hat die Ortsgruppe Hamburg-Finkenwärder sowie den Stützpunkt Preuss.-Finken- wärder als auch die Ortsgruppe Altenwärder und die Finkenwärder S.A. gegründet. Außerdem hat er sich schriftstellerisch im nationalsozialistischen Sinne in den Finkenwärder Nachrichten, im Altonaer Tageblatt und im Fischerboten betätigt. Wegen seiner politischen Tätigkeiten haben ihm seine Eltern vom August 32 bis August 33 den Wechsel entzogen und [so] mußte sich A. seinen Unterhalt notdürftig als Ver­sicherungsagent, Prozeßagent und Schriftsteller erwerben. Während der Wahlkämpfe 1932, woran A. ak­tiven Anteil nahm, vernachlässigte er sein Studium. Gleichzeitig muß bemerkt werden, daß A. der politi­sche Leiter und der 1. S.A. Führer in den Orten Hamburg-Finkenwärder, Preußisch-Finkenwärder und Altenwerder gewesen ist (...)."

Im zweiten Fall handelt es sich um den Chemiker Dr. B., der Anfang 1926 in die kleine bayeri­schen Stadt Burghausen umzog und dort der NSDAP beitrat. Dr. B. war bereits Mitglied der Alt- NSDAP und beteiligte sich im November 1923 am Marsch auf die Feldherrenhalle. Dr. B. war Mitglied des Bundes Oberland, der aus dem Freikorps Oberland und dem rechtsradikalen Kampfbund Thule hervorging. Der Bund Oberland arbeitete eng mit der SA zusammen, und im September 1923 gründete man mit der NSDAP den Deutschen Kampfbund, an dessen Spitze Hitler stand. Am Hitler-Putsch waren Verbände des Bundes Oberland beteiligt, dessen Mit­glieder sich nach der “Verbotszeit” entweder dem Stahlhelm oder der NSADP zuwandten. Dr. B. verdeutlicht die Rolle des politisch erfahrenen Bewegungsuntemehmers, durch den die sich neu formierende Partei gleichzeitig Kontinuität wahren und neues Terrain gewinnen konnte. In den Akten des Obersten Parteigerichts findet sich ein Bericht eines NSDAP-Mitglieds, aus dem die zentrale Rolle von Dr. B. bei der Etablierung der Partei in Burghausen hervorgeht:

7 Falls nicht anders angegeben, beruhen alle Zitate auf Quellen der NSDAP-Personalakten des früheren Berlin Document Center, welches 1994 in den Besitz des Bundesarchivs übergegangen ist. Nach den Auflagen der ehemaligen United States Mission Berlin, die uns 1991 den Zugang zu dem im BDC aufbewahrten Akten- und Quellenmaterial ermöglichte, dürfen keine Namensangaben verwendet werden, die auf die Identität der betreffenden Person schließen lassen. Verwendete Namenskürzel sind daher fiktiv. Die benutzten Zitate sind den Akten der NSDAP-Einzelmitglieder entnommen (Erläuterungen im Abschnitt 2.3).

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"Am 3. März 1926 trat ich in die Partei ein als kaum 20-Jähriger und glaube deshalb, die Entwicklungen in Burghausen zu kennen. Wir waren damals 7 Mann und wir teilten uns gern die Arbeit. Im April 1926 kam Pg. Dr. B. nach Burghausen und wir hatten das Glück, daß wir einen guten Kämpfer nach Burghau­sen bekamen. Pg. Dr. B. kämpfte mit in vorderster Reihe und wir konnten bald darauf eine Ortsgruppe gründen. (...) Es ist auch noch zu sagen, daß wir, sehr jung an Jahren, natürlich wegen der sog[enannten] politischen Unreife in allen Gassen und öffentlichen Betrieben immer wieder dem Hohn und Spott ausge­setzt waren. Ganz besonders unser beispielgebender Kämpfer Dr. B.. Denn er war der Kopfund Hauptträ­ger der Burghausener Nationalsozialisten (...). So kam das Jahr 1928 und wir waren für den Reichtags­kampf gerüstet. Es wurde eine Plakatierung in Burghausen und Umgebung durchgeftihrt, Sprechabende und Versammlungen abgehalten. Die Mittel für diesen Kampf mußten die Parteigenossen aufbringen, ganz besonders ist zu erwähnen Dr. B. (...). Nur durch die mustergültige Organisation unter Leitung von Dr. B. konnte jeder Volksgenosse in Burghausen und Umgebung erfaßt werden."

Dr. B. wurde Ortsgruppenleiter der NSDAP sowie Sturmfuhrer der SA und SS. Die Stellung­nahme zu Dr. B. schließt mit dem Fazit:

"Zusammenfassend kann man sagen, wenn Burghausen Pg. Dr. B. nicht gehabt hätte, wäre ein solches Arbeiten für die Bewegung nicht möglich gewesen, denn er sprach in öffentlichen Versammlungen zur Diskussion, wo oft eine bedrohliche Lage daraus wurde, opferte Geld in beträchtlicher Höhe, um die rro- pagandierung der Idee Adolf Hitlers durchzuführen (...)"

Der dritte Fall verdeutlicht, daß durchaus nicht alle Bemühungen der NS- Bewegungsuntemehmer zum Erfolg führten. Hier handelt es sich um den Fall des 22-jährigen Alfons H. aus Überlingen am Bodensee, der im Dezember 1930 folgenden Brief an die Gaulei­tung Baden richtet:

“Eine Ortsgruppe zu gründen, ist bei jedem Versuch fehlgeschlagen, niemand wollte sich zu dieser um- stürzlerischen Partei offen bekennen. Unterm 6. Oktober setzte ich mich mit der Gauleitung Karlsruhe und Bezirksleiter Panther, Konstanz, in Verbindung, daß ich es übernehmen werde, in einer internen Ver­sammlung die Gründung zu ermöglichen. Mit aller Mühe konnte ich zur Einzeichnung 12 Leute, meistens Bürgersöhne, bewegen. Als Sohn einer katholischen Bürgerfamilie, Nachfolger eines alten Zentrumsan- hängers (mein Vater war früher Gemeinderat dieser Partei), war es mir bis dato unmöglich, meine neue Einstellung zu verfechten.”8

Während es im letztgenannten Beispiel der Partei nicht gelang, sich im bürgerlichen Milieu zu etablieren, zeigt der vierte Fall auf, daß Bewegungsuntemehmem gerade durch Milieuüber­schreitung und gezielte Rekrutierung von Mitgliedern Vorteile zufielen:

In Zusammenfassung der gefundenen Unterlagen: Der 1986 geborene Kaufmann Karl A. wohnte im Jahre 1922 einer Rede Hennann Essers in Zwickau bei und war kurz darauf anläßlich eines Tumerfestes bei ei­ner Redeveranstaltung Hitlers im Münchener Mathäserbräu anwesend. Seither war er ein überzeugter, en­gagierter Nationalsozialist. Im Dezember 1926 nach Singen umgezogen, arbeitet er als Prokurist in einem größeren Betrieb (Aluminiumwerk) und wirkt dort politisch auf die Belegschaft, insbesondere die Arbei­terschaft, ein, die dem Nationalsozialismus distanziert gegenüberstand. Beim Youngplan-Begehren im Jahre 1928 entstammen 12 der 16 Unterzeichner in Singen dem engeren politischen, beruflichen und per­sönlichen “Beziehungsnetz” von Herrn A. Trotz der immensen Anstrengungen und ungeachtet der erheb­lichen finanziellen Mittel, die er für die Partei einsetzt (für die Jahren 1930/31 liegen Spendenquittungen in Höhe von 227 Reichsmark vor9), kann er erst im Oktober 1929 den Stützpunkt Singen ins Leben rufen,

9

Siehe Bundesarchiv NS 22, 1044 (Reichsorganisationsleiter der NSDAP).

Diese Summe beinhaltet nicht die monatlichen Mitgliedsbeiträge an die Partei, die mit weiteren 12

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der anfänglich noch der Ortsgruppe Gailingen unterstellt bleibt, sich jedoch in den 30er Jahren zur größten und angeblich bestgeführten Parteieinrichtung im Kreis Konstanz entwickelt. Nach den Landtags- und Gemeindewahlen 1930 zog er als einziger NSDAP-Abgeordneter in den Stadtrat ein und wurde Vorsit­zender des Ortsgerichts Singen.

Der an diesen vier Fällen exemplarisch dargestellte Teilaspekt der sozio-kulturellen und organi­satorischen Vermittlung des Nationalsozialismus durch Bewegungsuntemehmer und Aktivisten soll in dieser Untersuchung systematisch beleuchtet werden. Inhaltlich wollen wir einem Tei­laspekt der Frage nachgehen, wie es der nationalsozialistischen Bewegung gelingen konnte, sich in einem Maße im Reich personell und institutionell zu verankern, wie es zu dieser Zeit weit über ihre wahlpolitische Bedeutung hinausging. Uns interessiert dabei die Ausbreitung in den oben angesprochenen "Beziehungsbahnen der Gesellschaft", und wir nähern uns diesem Prozeß aus der spezifischen Perspektive der Bewegungsuntemehmer. Analog zu der vornehmlich auf die Wähler der NSDAP bezogenen These, wonach die NSDAP sich als "Volkspartei des Pro­tests" konstituieren konnte (Falter 1991), wollen wir nachweisen, daß es sich hierbei schon früh­zeitig um eine recht heterogene, jedoch kulturell und organisatorisch im lokalen völkischen und nationalen Milieu eingebundene Bewegung handelte, die allmählich immer weiter diffundierte und weitere gesellschaftliche Bereiche für sich erschließen konnte (vgl. auch Mühlberger 1991; Fischer 1995).

2.3. Zentrale Fragestellungen und Datenmaterial

Empirischer Ansatzpunkt für die hier vorzustellende Untersuchung ist ein von uns aus den Be­ständen des ehemaligen Berlin Document Center (BDC) zusammengetragener Datensatz. Heute in Besitz des Bundesarchivs, beherbergt das BDC weitgehend die NSDAP-Personalakten und ähnliche Dokumente, die von den U.S.-amerikanischen Truppen bei ihrem Vormarsch im Deut­schen Reich gefunden und beschlagnahmt wurden. Es befinden sich darunter eine fast komplette Mitgliederkartei der NSDAP, Mitgliedsunterlagen von SA und SS, Akten des Rasse- und Sied­lungshauptamtes, der Reichskulturkammer, des NS-Lehrerbundes, des Obersten Parteigerichts sowie Briefe und andere Unterlagen aus der Korrespondenz des Braunen Hauses usw. (siehe Browder 1972; Kater 1977).

Der engere empirische Zugang zu den Bewegungsuntemehmem basiert auf einem 26-bändigen Verzeichnis der Münchener NSDAP-Mitglieder, das vom Schriftführer der NSDAP, Franz- Xaver Schwarz 1925 angelegt und bis Anfang 1930 geführt wurde. Die Bände, nach Stadtbezir­ken geordnet, enthalten handschriftliche Eintragungen zu Name, Adresse, Alter, Beruf, Ein- und Austrittsdaten sowie Angaben zu den gezahlten Beiträgen und Spenden der Mitglieder (siehe Anheier und Neidhardt 1993). Unter den 26 Bänden befindet sich ein gesonderter Band, der über das Münchener Stadtgebiet hinausweist und knapp 650 sogenannte "Einzelmitglieder" enthält. Dieser Band diente als Ausgangspunkt unserer Untersuchungen.

Reichsmark zu Buche schlagen würden. Insgesamt führte A. 1930 der Partei Gelder zu, die etwa einem damaligen Monatslohn des tariflichen Endgehalts für Angestellte (höchste Altersstufe) entsprachen (berechnet auf Grundlage von Angaben in Petzinaetal 1978: 100, 102).

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Einzelmitglieder waren solche Mitglieder der NSDAP, die in Gemeinden des Reichs (und auch des Auslandes) lebten, in denen bislang noch keine Ortsgruppen und andere übergeordnete Or­ganisationsstrukturen wie Gaue oder Bezirkseinrichtungen gegründet bzw. vorhanden waren.10 Diese Einzelmitglieder wurden zentral von der Münchener Parteizentrale und zunehmend von den einzelnen Gauorganisationen betreut und verwaltet. Wurde nun eine Ortsgruppe in der Wohngemeinde gegründet, wurde eine Mitgliederverwaltung auf Gauebene eingerichtet oder verzog das Mitglied in einen Ort mit einer Ortsgruppe, so wurde es zur Verwaltung an den zu­ständigen Gau und die Ortsgruppe überwiesen. Im Ausland lebende Parteimitglieder wurden ebenfalls - bis zum späteren Aufbau der NSDAP-Auslandsorganisationen - als Einzelmitglieder geführt.

Kam es zur Gründung einer Gzzz/organsation, so ergingen von Reichsschatzmeister Schwarz fol­gende Formschreiben an die innerhalb des Gaubereichs wohnenden Einzelmitglieder - so z.B. mit Schreiben vom 1.6.1928 an Einzelmitglied B., Dienstknecht aus Tengling in Oberbayem (NS 1/406):

“Mit Wirkung vom 1. Juni 1928 ab wurde der Gau Oberbayem und Schwaben gebildet. Als Gauleiter ist von Herrn Hitler Pg. Fritz Reinhardt, Herrsching am Ammersee, bestimmt worden. Vom oben genannten Zeitpunkte ab gehören Sie als Einzelmitglied zu diesem neugebildetem Gau und haben deshalb die Beiträ­ge vom Monat Juni ab nicht mehr an die Reichs- sondern an die Gauleitung zu zahlen.”

Die Überweisung des Einzelmitglieds von der Gauebene an eine Ortsgruppe sollte ggf. durch die Gauleitung erfolgen, wobei die Reichsleitung von diesem Vorgang in Kenntnis gesetzt werden sollte. War dies der Fall, so findet sich in den Unterlagen des Reichsschatzmeisters bzw. im Ein­zelmitgliederverzeichnis ein entsprechender Vermerk.

Verzog ein Mitglied in einen Ort ohne Ortsgruppe, so wurde es in die Einzelmitgliederkartei aufgenommen. Dies war z.B. bei Josef B., Maler aus Mühldorf am Inn der Fall. Reichsschatz­meister Schwarz richtete folgendes Schreiben an ihn (NS 1/406):

“Nach Mitteilung der Ortsgruppe Pfaffenberg haben Sie Ihren Wohnsitz in Mühldorf. So lange in Ihrem jetzigen Aufenthaltsorte eine Ortsgruppe der NSDAP nicht besteht, sind die Mitgliedsbeiträge im Voraus bei der Hauptgeschäftstelle in München, Schellingstr. 50 oder auf unser Postscheckkonto Nr. 23 3 19 unter Angabe des Namens und der Wohnung, sowie der Mitglieds-Nummer einzuzahlen. Wohnungsänderungen wollen umgehend der Haupgeschäftsstelle schriftlich bekanntgegeben werden.”

Aufgrund der Quellenlage (siehe NS 1/6; NS 1 /406; NS 1/1117; NS 22, Bände 1-34; Sammlung Schumacher 206; 373) ist anzunehmen, daß einzelne Gaue Einzelmitglieder führten, ohne dies in jedem Fall unbedingt mit der Reichsleitung abgesprochen zu haben oder diese gar davon in Kenntnis zu setzen. Die verwaltungsmäßige Kapazität der Gaue war in den Jahren 1925-28 von Ausnahmen abgesehen meist schwach ausgeprägt und ihre organisatorisch-strukturelle Entwick­lung sowohl intern als auch extern erst im Aufbau befindlich (Hom 1972). In dieser Zeit bildeten

10 Die Kategorie “Einzelmitglied” ist durchaus keine Besonderheit der NSDAP, sondern findet sich bei vielen politischen Parteien. Bei etablierten Parteien werden Einzelmitglieder oft als Restkategorie verstanden, bei sich neu formierenden politischen Gruppierungen haben sie, wie wir weiter unten aufzeigen, hingegen eine andere Bedeutung: Sie deuten auf einen wichtigen Teil des potentiellen Aktions- und Expansionsraums hin, der für die Bewegung erschloßen werden kann.

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sich in den einzelnen Gauen durchaus eigenständige politische und organisatorische Strukturen heraus, die von den Vorstellungen Hitlers und der Parteizentrale in München zum Teil erheblich abwichen (Hüttenberger 1969: 9-26). Insbesondere hatte die Münchener Parteizentrale in den Anfangsjahren stark mit dem Problem der "Schwarzmitgliedschaft" zu kämpfen (NS 1/6 Heft 2; NS 1 /2280).11 12 Aus diesen Gründen wurden Erlasse und Richtlinien des Reichsschatzmeisters zur Mitgliederverwaltung auf Gauebene oft nicht oder nur teilweise befolgt. Erst nach 1930 um­faßten die Gaue das Reich flächendeckend und die verwaltungstechnische Kommunikation zwi­schen Reichs- und Gauleitung über Mitgliedsangelegenheiten wurde auf Gauebene bürokrati­scher - und weniger von administrativem Dilletantismus als von politischen Kalkülen beeinflußt.

Die im Münchener Mitgliederverzeichnis aufgeführten knapp 650 Einzelmitglieder stellen somit wahrscheinlich nicht die Gesamtheit der in der Wiederaufbauphase in der NSDAP existierenden Einzelmitglieder dar. Aufgrund der Quellenlage kann der Anteil der von Reichsschatzmeister Schwarz geführten Einzelmitgliedem an ihrer Gesamtzahl innerhalb der gesamten NSDAP nicht geschätzt werden. Wir können aber zum einen davon ausgehen, daß mit den im Münchener Verzeichnis aufgeführten Einzelmitgliedem jene ausgewiesen sind, die aus dem organistorisch und verwaltungstechnisch besser erfassten Einzugsbereich der Reichsleitung der NSDAP stam­men. Dies war insbesondere im süddeutschen Raum der Fall, wo die Partei vor 1923 ihren Schwerpunkt hatte, und die Bildung separater Gauverwaltungen von der Reichsleitung bis nach 1928 herausgezögert wurde. Zusätzlich muß in Betracht gezogen werden, daß auch bei der Reichsleitung in München Einzelmitglieder geführt wurden, die gemäß der Parteiorganisation und Mitgliederverwaltung eigentlich bei den betreffenden Gauen angesiedelt hätten sein müssen. Offensichtlich handelte es sich hierbei um eine bewußte Entscheidung der Münchener Parteizentrale, bestimmte Einzelmitglieder nicht von dem jeweiligen Gau verwaltet zu wissen,

11 Für die "Schwarzflihrung" von Mitgliedern - einschließlich von Einzelmitgliedem - bei Ortsvereinen und auf Gauebene gab es verschiedene Gründe: Zum einen lagen sie im Bestreben einiger Gauleiter in Franken, Thüringen und Hannover nach einer dezentralen Mitgliederverwaltung, was dem Alleinführungsanspruch von Hit­ler und der Münchener Parteizentrale entgegenwirken sollte (Hom 1972: 233). Zum anderen waren die Ortsgruppen und Gaue angehalten, pro Mitglied und Monat 30 Pfennig an die Reichsleitung und 25 Pfennig an den Gau zu überweisen - nur die restlichen 25 Pfennig verblieben bei der Ortsgruppe. Für arbeitslose Mitglieder wurde ein re­duzierter Beitrag von 55 Pfennig eingeräumt, allerdings unter Wegfall des Anteils für die Ortsgruppe (Rundschreiben an sämtliche Gauleitungen vom 10.9.1928, NS 1/511; früher: Sammlung Schuhmacher 183). Durch diese Art der Beitragsaufteilung bestand für Ortsgruppen und Gaue geradezu ein wirtschaftlicher Anreiz, neue Mitglieder schwarz zu fuhren, bzw. bestehende Mitglieder abzumelden und schwarz Weiterzufuhren (NS 1/6, Heft 2). Für die Gaue trafen wirtschaftliches Kalkül oft mit politischen Überlegungen nach mehr Eigenständigkeit zu­sammen, und so gingen manche Gauverwaltungen dazu über, eigene Mitgliedsbücher auszustellen und separate Mitgliedslisten zu fuhren, so z.B. der Gau Westfalen (NS 1/511). Die Schwarzflihrung von Mitglieder beschäftigte die Partei noch bis nach 1935, als mit Revisionslisten die Mitgliederbestände zwischen Reichsleitung, Gauleitung und Ortsgruppen abgeglichen winden (NS 1/2280). Reichsschatzmeister Schwarz wies in einem Vortrag vom 13.9.1935 auf das beträchtliche Ausmaß der Schwarzführung von Mitgliedern hin und sprach von etwa 200.000 solchen Fällen, die im Jahr 1933 der Reichsleitung zwecks Umwandlung in reguläre Mitgliedschaft Vorlagen (NS 1/1115). Bezogen auf eine Mitgliedsstärke von 1,4 Millionen vor der Machtergreifung bedeutet dies, daß das Ver­hältnis zwischen regulär und schwarz geführten Mitgliedern etwa 7 zu 1 betrug.

12 Es ist wahrscheinlich, daß einige Einzelmitglieder auf Ortsgruppen- und Gauebene schwarz geführt wurden. Nähmen wir die gleiche Relation wie für Mitglieder insgesamt an (siehe Fußnote 11), so ergäben sich erst einmal etwa 740 Einzelmitgliedem, wenn man den Münchener Bestand als Grundlage nimmt. Nicht darin enthalten sind jedoch die auf den jeweiligen Gauebenen offiziell geführten Einzelmitglieder, deren Zahl aufgrund der Quel­lenlage nicht rekonstruiert werden kann.

15

sondern direkten Zugang zu ihnen zu haben. Dies stimmt mit den strategischen Überlegungen Hitlers überein, den Einflußbereich der Gaue zu minimieren und der Reichsleitung möglichst hohe Flexibilität und direkten Zugang auf die lokale Ebene zu ermöglichen (Horn 1972).13 Wie weiter unten berichtet werden wird, finden sich zum Teil bis Mitte 1928 in dem Münchener Einzelmitgliederverzeichnis der Parteileitung Mitglieder u.a. aus den Gauen Württemberg- Hohenzollem, Thüringen, Ostpreußen, Sachsen und Franken, obwohl diese Gaue schon kurz nach der Wiedergründung 1925 ins Leben gerufen wurden.

Letztlich gab es auch Fälle von Mitgliedern, die auf besonderen Wunsch weder bei ihrer jeweiligen Ortsgruppe, noch auf Gczwebene, sondern nur bei der Reichsleitung selbst als Mitglied geführt werden wollten - vielleicht da mit diesem Status unter Mitgliedern und Sympathisanten ein besonderes Prestige verbunden wurde. Diesem Wunsch wurde von der Reichsleitung jedoch höchst selten entsprochen.14 Unter den Münchener Einzelmitgliedem konnte nur ein einziger derartiger Fall belegt werden - und zwar der des Kölner Industriellen Dr. Kirdorf, der auf eigenem Wunsch Hitler mitteilte, daß er als Einzelmitglied der Partei wirksamer zuarbeiten könnte als auf der lokalen Ebene. Dies, obwohl im Kölner Raum bereits NSDAP-Gliederungen bestanden, denen Dr. Kirdorf aufgrund der Partei-Richtlinien eigentlich hätte zugeteilt werden müssen.

So zeigt sich, daß die im Münchener Verzeichnis erfaßten Einzelmitglieder zwar nicht alle, aber wahrscheinlich eine wichtige Teilgruppe der NSDAP-Einzelmitglieder umfassen. Es liegt nun die Vermutung nahe, daß es sich bei den knapp 650 Einzelmitgliedem, die in der Münchener Mitgliederdatei zwischen 1925 und 1930 als solche geführt wurden, zumindest in Teilen um jene Bewegungsuntemehmer handeln könnte, welche, vermittelt durch lokale Milieus und Bezüge, die Partei meist auf lokaler Ebene zu etablieren halfen - und somit zur organisatorischen Aus­breitung und Verankerung der NSDAP beitrugen. Sie zählen, so ließe sich vermuten, zu den frü­hen Aktivisten, die für das kulturelle framing und die organisatorische Etablierung und Verknüp­fung der Bewegung auf lokaler Ebene notwendig und wichtig waren. Für andere Einzelmitglie­der, die nicht im Bestand der Münchener Zentrale erfaßt wurden, könnten wir plausiblerweise ähnliches annehmen, obwohl wir diese These mit den vorhandenen Quellen nicht untersuchen konnten.

Ausgehend von diesen Überlegungen nähern wir uns der empirischen Ebene mit Hilfe von drei Fragenkomplexen:

1. Welchen Beitrag haben Einzelmitglieder zur Entwicklung der NSDAP geleistet? Insbesondere: Inwieweit können sie mit der Gründung von Ortsgruppen in Ver-

Am 26.2.1926 betonte Hitler im Völkischen Beobachter: “Die beste Organisation ist nicht die, die zwi­schen der Leitung und den einzelnen Mitgliedern den größten Mittler-Apparat einschaltet, sondern diejenige, die diese Verbindung in kürzester Weise herstellt (...)”.

14 So heißt es noch 1932 in einer Dienstanweisung: “Anträgen von Neuaufzunehmenden, als Einzelmit­glieder bei der Reichsleitung geführt zu werden, kann nicht entsprochen werden. Die Anmeldescheine sind durch die Ortsgruppen- und Stützpunktleiter unter Beifügung der Aufnahmegebühren an die zuständige Gauleitung (...) einzusenden, die sie der Reichsleitung gesammelt mit den Aufnahmegebühren vorlegt. Die Einsendung von Auf­nahmescheinen direkt an die Reichsleitung ist untersagt. ” (Reichsleitung der NSDAP 1932: 5f..)

1 < I V

bindung gebracht werden?15

2. Wer waren die Einzelmitglieder und wie unterschieden sie sich von anderen Parteimitgliedern und der übrigen Bevölkerung? Läßt sich ein typisches soziales Profil der Einzelmitglieder feststellen?

3. Was unterscheidet Ortsgruppengründer von anderen Einzelmitgliedern? Welches sind die sozialen Merkmale der Einzelmitglieder, die als erfolgreiche Aktivisten angesehen werden können und Ortsgruppen auf lokaler Ebene gegründet haben?

3. Zur Soziologie der NSDAP-Einzelmitglieder

Die Einzelmitgliederkladde, die zwischen 1925 und Anfang 1930 in der Münchener Parteizen­trale geführt wurde, enthält 652 Namen, wobei zwölf Personen vom Schriftführer der Partei zweimal aufgelistet wurden.16 Die Zahl der Einzelmitglieder war natürlich keine konstante Grö­ße, und sie war gerade in den ersten Jahren wesentlichen Schwankungen unterworfen. Abbil­dung 1 gibt die Entwicklung des Bestands der Einzelmitglieder seit Anfang 1925 bis Ende 1930 auf monatlicher Basis wieder. Dabei zeigt sich, daß die Zahl der Einzelmitglieder mit der Wie­dergründung im Februar 1925 sprunghaft anstieg. Im Jahr 1927 erreichte die Zahl der Einzel- mitglieder mit etwas über 400 ihren Höchststand, um in den folgenden Jahren auf ungefähr 200 zu fallen. Durchschnittlich wurden zwischen 1925 und 1930 im Halbjahresschnitt 266 Einzel­mitglieder geführt, wobei sich die durchschnittliche Bestandsveränderung halbjährlich auf 19 oder 7% der mittleren Mitgliederzahl belief. 1930 wurden die verbliebenen Einzelmitglieder entweder an die Reichsleitung, die einzelnen Gaue oder die Ausländsabteilung der NSDAP überwiesen.

In der ersten Jahreshälfte von 1925 traten 151 Einzelmitglieder in die Partei ein, gefolgt von weiteren 186 bis zur Jahreswende 1926 (vgl. Tabelle l) .17 Danach fallt die Zahl der Eintritte bis

Der einfacheren Lesbarkeit willen und falls nicht anders ersichtlich, bezieht sich der Ausdruck “Einzelmitglieder” im folgenden auf die im Münchener Mitgliederverzeichnis als solche aufgefuhrten Mitglieder und nicht auf die Einzelmitglieder insgesamt.

Bei diesen 12 Personen handelt es sich um Einzelmitglieder, die der Partei in einer Gemeinde ohne Ortsgruppe beigetreten sind, dann austraten, um zu einem späteren Zeitpunkt der Partei andernorts wieder als Ein­zehnitglied beizutreten. Obwohl es sich also genau genommen um 640 Personen handelt, beruhen die folgenden Analysen auf der Zahl der 652 Mitgliedsfälle, da angenommen werden kann, daß eine erneute Aufnahme als Ein- zelmitglied an einem anderen Ort durchaus mit generell veränderten Lebensumständen wie Heirat oder Berufs­wechsel Zusammenhängen kann. Mit anderen Worten: obwohl wir von Einzelmitgliedem sprechen, handelt es sich strenggenommen um Einzelmitglieds/rz/fe. Die Überschneidung zwischen beiden Erhebungseinheiten beträgt jedoch 98,2%, und sie sind demnach praktisch identisch. Einzelmitglieder, die am selben Ort in die Partei ein-, aus- und wieder eintraten, wurden nur einmal in die Kladde aufgenommen und werden demgemäß auch als Einzelfall behan­delt.

17 In Tabelle 1 werden Eintritte (652 Fälle) und Wiedereintritte (105 Fälle) zusammengefaßt. In gleicher Weise sind Austritte (144 Fälle) und Wiederaustritte (9 Fälle) bzw. Ausschlüsse (181 Fälle) behandelt worden.

17

auf 10 im ersten Halbjahr 1929 und bewegt sich danach halbjährlich um die 20 oder durch­schnittlich etwa fünf pro Monat. Gleichzeitig werden andere Mitgliederveränderungen wichti­ger: die Zahl der Austritte bzw. Ausschlüsse steigt zuerst stark an, schwankt aber nach 1926 be­trächtlich, was mit dem jeweiligen politischen Erfolg der Partei in Verbindung gebracht werden kann. So verlassen im zweiten Halbjahr 1928, im Schatten der verlorenen Reichtagswahlen, 85 Einzelmitglieder die Partei, was einem Schwund von 21% des Einzelmitgliederbestandes von 394 gleichkommt. Der Mitgliederschwund durch Austritte wurde aber selbst in dieser für die NSDAP kritischen Periode durch 40 Neuzugänge gelindert.

Abbildung 1:

Monatsperioden seit Januar 1925

Eintritte und Austritte/-schlüsse waren nicht die einzigen Größen, die sich auf den Mitglieder­stand auswirkten. So gab gab es Zugänge, die über Anweisungen der Gaue und Ortsgruppen er­folgten. Dies war der Fall, wenn ein Parteimitglied in einen Ort ohne Ortsgruppe umzog; Anwei­sungen erfolgten aber auch, wenn eine Ortsgruppe infolge interner Streitigkeiten oder anderer Schwierigkeiten aufgelöst wurde. Die Zahl der Anweisungen von Gauen und Ortsgruppen ist an­fänglich niedrig und bewegt sich bis Ende 1927 zwischen 30 und 35 (vgl. Tabelle 1). Hier dürfte es sich sowohl meist um Ortswechsel gehandelt haben, während die relativ hohen Anweisungen Ende 1927 weniger auf die hohe Mobilität der Einzelmitglieder denn auf Querelen innerhalb be­stimmter Ortsgruppen zurückzuführen sein könnten. So wurde zum Beispiel die oben schon er­wähnte Ortsgruppe Burghausen in Bayern infolge interner Auseinandersetzungen für kurze Zeit aufgelöst, alle verbliebenen Mitglieder wurden an die Parteizentrale in München überwiesen und dort als Einzelmitglieder geführt - bis sich kurz danach eine neue Ortsgruppe bilden konnte.

Überweisungen an Gaue und Ortsgruppen sind von besonderem Interesse, da diese in der Regel erfolgten, wenn es in der jeweiligen Gemeinde des Einzelmitglieds zur Gründung einer Gauor­ganisation bzw. Ortsgruppe gekommen war. Überweisungen lagen auch vor, wenn Einzelmit­glieder in Orte wechselten, in denen lokale Parteiorganisationen bereits vorhanden waren. Zog

18

z.B. ein Einzelmitglied nach Berlin, Nürnberg oder München, d.h. in Orte, in denen örtliche Parteiorganisationen früh vorhanden waren, so wurde es an die jeweilige Ortsgruppe über­wiesen. Insgesamt kamen Überweisungen an Ortsgruppen anfänglich kaum vor. Die Zahl erhöh­te sich aber bis Mitte 1926 erst auf 22, dann auf 35 und fluktuierte danach relativ stark, wobei sich sowohl Einbrüche als auch Höhepunkte zeigten (vgl. Tabelle l) .18 Anfang 1927 lagen nur 6 Überweisungen vor, innerhalb der folgenden 18 Monate jedoch über 50. Danach fallt die Zahl der Überweisungen stark ab, was zum größten Teil mit der verbesserten Organisation der Partei auf der Gauebene zusammenhängt, die zunehmend die Betreuung der Einzelmitglieder - also auch deren Überweisung - übernahm.

Tabelle 1: Die Entwicklung des Einzelmitgliederbestands der NSDAP, 1925-1930

Halbjahre

ZUGÄNGE ABGÄNGE

Austritte/ Überweisungen ges./ -schlösse davon an Ortsgruppen

BESTAND

Zunahme/ Mitglieder-Eintritte Anweisung von Gau / OG Abnahme zahl

19251. 151 0 1 5 /0 145 1451925II. 186 4 7 56/22 127 27219261. 105 32 23 67/35 47 3191926 II. 75 32 68 47/16 -8 31119271. 63 35 30 13/6 55 3661927II. 49 72 31 62/23 28 39419281. 40 20 85 95/21 -120 2741928II. 11 8 31 25/9 -37 2371929 1. 10 0 25 13/2 -28 2091929 II. 19 0 14 2/1 3 2121930 1. 28 0 18 0 /0 10 2221930II. 20 0 11 0 /0 9 231

Gesamt 757 203 344 385/135 (*) Mittel: 19 Mittel: 266

(*): Nur für 135 der insgesamt 185 Überweisungen an Ortsgruppen lag das genaue Datum der Überweisung vor.

Insgesamt läßt sich feststellen, daß über die Hälfte (58.4%) aller Eintritte bis Ende des ersten Halbjahres 1926 erfolgte, demnach in weniger als 16 Monaten nach der Wiedergründung der Partei im Februar 1925. Dies bedeutet, daß die Kategorie der Einzelmitglieder in der ersten Wie­deraufbauphase der NSDAP zumindest quantitativ am bedeutendsten war. Aus Tabelle 1 läßt sich auch ersehen, daß eine hohe Zahl an Anweisungen von den Gauen und Ortsgruppen (bedingt durch Umzüge von Mitgliedern oder Auflösungen von Ortsgruppen) wesentlich ein Merkmal des zweiten und dritten Jahres nach der Wiedergründung darstellte. Auf die beiden

18 Obwohl es sich bei den insgesamt 385 Überweisungen in 185 Fällen um Überweisungen an Ortsgruppen handelte, konnten diese nur in 135 Fällen exakt datiert werden. Überweisungen an Gaue erfolgten jeweils am Quar­talsende en gros und sind daher besser erfasst. Die Überweisungen gingen an 136 verschiedene Ortsgruppen, wenn man von fünf im Ausland liegenden Gruppen absieht.

1 9

Jahre 1926 und 1927 entfallen 84% aller Anweisungen. Wie bereits oben angedeutet, erfolgen Überweisungen an Parteiorganisationen (bedingt durch Gau- und Ortsgruppengründungen) in zwei Schüben: etwa 47% aller Fälle werden zwischen Juli 1925 und Dezember 1926 über­wiesen, weitere 41% in den 12 Monaten von Juli 1927 bis Juni 1928.

Die halbjährliche Verteilung der Austritte bzw. Ausschlüsse ist hingegen von ausgeprägten Schwankungen gekennzeichnet, obwohl sich auch hier zwei ausgesprochene Austrittsperioden feststellen lassen: einmal im zweiten Halbjahr 1926, als 21% der zu dieser Zeit geführten Ein­zelmitglieder die Partei verlassen, und abermals im ersten Halbjahr 1928 mit einem Schwund von 22%. Während es sich 1926 bei zwei Drittel der Abgänge um Parteiausschlüsse, wahr­scheinlich im Zusammenhang mit der sogenannten Fürstenabfindung handelt, die zu parteiinter­nen Auseinandersetzungen und Spaltungstendenzen zwischen der NSDAP in Bayern und Nord­deutschland (Arbeitsgemeinschaft Nordwestdeutscher Gauleiter) führte, fällt der Anteil der Austritte im Zuge der für die Partei enttäuschenden Reichtagswahlen von Mai 1928 mit 41% et­was höher aus. Für beide Perioden gilt somit, daß mehrheitlich die Partei für die Reduktion im Mitgliederbestand durch Ausschluß selbst verantwortlich war, was darauf schließen läßt, daß es sich hier auch um "Säuberungsaktionen" innerhalb der NSDAP handelte.

3.1. Bedeutung der Einzelmitglieder für die Entwicklung der NSDAP

Ein wesentlicher Beitrag, den Einzelmitglieder für die organisatorische Entwicklung und Aus­breitung der NSDAP leisten konnten, lag in der Gründung von Ortsgruppen. In dem vorhande­nen Datenmaterial fanden sich für 45 (6,9%) der Einzelmitglieder explizite Hinweise darauf, daß sie eine Ortsgruppe gründeten bzw. maßgeblich daran beteiligt waren (vgl. Tabelle 2).19 Der Anteil der Ortsgruppengründer unter den Einzelmitgliedem steigt auf 7,5%, wenn wir im Aus­land lebende Mitglieder außer acht lassen. Drei Beispiele sollen die “Datenlage” für explizit vorliegende Hinweise zur Ortsgruppengründung verdeutlichen und den biographischen Hinter­grund der Einzelmitglieder illustrieren:

Im ersten Fall handelt es sich um ein langjährigen Aktivisten Alfred D. aus dem völkisch­nationalistischen Lager, der schon bald nach Wiedergründung der NSDAP seine Karriere als Initiator und Teilnehmer an politischen Aktionen fortsetzen kann:

Alfred D., am 11.11. 1894 geboren und als Architekt tätig, tritt am 05.05.1925 der NSDAP bei und wurde zunächst bei der Ortsgruppe Garching im Gau Bayern als Mitglied geführt. Von Garching wurde er am 31.12.1925 in die Einzelmitgliederkartei überwiesen und mit dem Wohnort Fürth bei Nürnberg als Einzelmitglied aufgenommen. Mit Datum 26.08.1927 wird D. an den Gau Niederbayem-Oberpfalz überwiesen, da er offensichtlich nach Auerbach /Opf. verzogen ist. In der Tat war er bereits 1926 nach

19 Das BDC hat sich freundlicherweise bereit erklärt, zu den Einzelmitgliedem eine Vollerhebung in seinen Beständen durchzuführen. Diese Erhebungen sind sehr aufwendig und umfassen alle Datenbestände des BDC. So erhielten wir im Laufe eines Jahres - in monatlichen Bündeln - die jeweils zu den angefragten Personen vorhan­denen Akten. Der Umfang variierte von kleinen Bündeln, bestehend lediglich aus den Mitgliedskarten, bis hin zu umfangreichen Sammlungen von Gerichts- und Korrespondenzunterlagen zu einzelnen Personen. Die Unterlagen wurden von Projektmitarbeitem gesichtet und anhand eines Codebogens in einen SPSS-File übertragen.

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Auerbach umgesiedelt und versuchte dort - veranlaßt von Gauleiter Wagner - eine Ortsgruppe zu gründen, was aber mißlang. Laut Zentralkarteikarte wurde D. am 01.01.1930 aus der NSDAP ausgeschlossen, kurz darauf, zum 01.01.1931 jedoch wieder zugelassen. In einem parteiinternen Verfahren um die Verleihung des NSDAP-Ehrenzeichen gibt er im Jahre 1934 an, wegen Beitragsrückstand ausgeschlossen worden zu sein und längere Zeit im Ausland gelebt zu haben.

Zu seinem politischen Werdegang ist folgendes zu ergänzen: D. meldet sich im 1. Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger, wird zum Kampfflieger ausgebildet, 1918 abgeschossen und schwer verwundet. Nach dem Krieg arbeitet er als Fluglehrer in Bamberg. Im Jahre 1919 erfolgt der Eintritt in die Deutsche Arbei­ter Partei, er fliegt Einsätze gegen die Regierung Eisner. Ein Jahr später wird er Zugführer im Freikorps Oberland und nimmt an Aktionen im Ruhrgebiet teil. 1921 hilft er die Waffen der aufgelösten Einwoh­nerwehren in Sicherheit zu bringen und verschiebt sie nach Oberschlesien. Dort ist er an den Kämpfen um die Erstürmung des Annaberges beteiligt. 1923 nimmt er am Marsch auf die Feldhermhalle als Ange­höriger der 11. Kompanie des Freikorps Oberlands teil. Zuvor hatte er die Waffen für die 11. Kompanie besorgt. Von 1923 bis 1925 war er Mitglied der Großdeutschen Volksgemeinschaft (GVG) in Hart bei Garching, wo er zusammen mit anderen Aktivisten eine Ortsgruppe der GVG gründete. Nach seinem Wiedereintritt in die NSDAP bringt er "seine Männer" aus der Formation Oberland in die Partei und den Saalschutz mit ein.

Nach der fehlgeschlagenen Ortsgruppengründung in Auerbach zieht er 1928 nach Lauf und wird dort 1929 Mitbegründer der Ortsgruppe. Von 1928 bis 1932 ist er dort SA-Sturmbannführer und stellvertretender Ortsgruppenleiter. Die SA-Männer in Lauf hat er eigenen Angaben zufolge zu 80% selbst geworben. 1934 erhält D. das Ehrenzeichen der Partei, das aber bereits wenige Monate später von Reichsschatzmeister Schwarz wieder eingefordert wird. Im selben Jahr 1934 wird D., nun zum SA-Standartenführer aufgestiegen, in Stettin im Zusammenhang mit der Rhöm-Affäre verhaftet, da er angeblich enge Beziehungen zu den erschossenenen Heydbreck, Spretti und Schulz unterhalten haben soll. Seine Familie interveniert vielfach und weist daraufhin, daß “die ganze Familie D. ohne Ausnahme in den Jahren 1919- 1933 wegen ihrer vaterländischen-nationalsozialistischen Gesinnung ständig bekämpft und verfolgt worden ist". Wegen gleichgeschlechtlicher Veranlagung und Verleitung zum Meineid wird D. zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, aus der Partei ausgeschlossen und auch nach mehrmaligen Gnadengesuchen nicht wieder aufgenommen.

Der zweite Fall handelt von einem Einzelmitglied, das mit nicht ganz 22 Jahren in die Partei eintrat, und nach einer kurzen “Wanderphase” in einer fränkischen Landgemeinde eine Orts­gruppe gründet, ohne seine Aktivitäten jedoch in eine längerfristige Karriere umwandeln zu können:

Wilhelm H. wurde 1903 geboren und trat am 05.08.1925 in die NSDAP ein, war zunächst wohnhaft in Nürnberg und wurde dort bei der Ortsgruppe geführt. In den folgenden 18 Monaten wechselte er wiederholt innerhalb Frankens seinen Wohnort und wurde ab Mai 1926 als Einzelmitglied geführt. In dieser Zeit arbeitete er als Versicherungsagent, Provisionsvertreter und Landarbeiter. 1927 läßt er sich in Wilzhofen bei Weilheim/Obb. nieder und wird am 20.03.1928 an die Ortsgruppe Weilheim überwiesen. Sein Mitgliedsbuch, ausgestellt am 16.07.1928, ist von ihm selbst als Ortsgruppenführer von Weilheim unterzeichnet.

In einem Schreiben an die SA aus dem Jahre 1940 gibt H. an, daß er 1929 Ortsgruppenleiter in Wilzhofen bei Weilheim wurde und die Ortsgruppe, bestehend aus 15 Mann, fast ganz aus den Reihen der SA rekrutiert zu haben. Er führt dabei zwei Parteigenossen als Zeugen an. 1927 wurde H. als SA-Mann in eine Rednerschule aufgenommen und hat in der Folgezeit zahlreiche Reden im fränkischen Raum gehalten. In Rosenheim wurde er wegen verbotenen Uniformtragens gesucht, auch während eines kurzen Gefängnisaufenthalts hielt er am “Braunhemd” fest. Nach 1928 war er für viereinhalb Jahre erwerbslos und verdiente sich als Gelegenheitsarbeiter ein mageres Auskommen, welches durch öffentliche Fürsorgezahlungen aufgebessert wurde. Eine Parteikarriere machte H. nicht: Am 25.11.1937 wird er in die Wamkartei der NSDAP eingetragen, da er 1932 eine Vorstrafe von sieben Monaten Gefängnis wegen

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eines Sittlichkeitsverbrechen erhalten hatte. Ein Parteiausschluß findet wegen Geringfügigkeit bzw. Mitschuld der Anklägerin nicht statt. Am Ende seiner Parteilaufbahn war er als Kreis-Abteilungsleiter in einem Kreis in Ostbayem tätig.

Der dritte Fall belegt neben der oft jahrelangen politischen Arbeit der Einzelmitglieder für die nationalsozialistische Bewegung zugleich die Datierungsschwierigkeiten, mit denen Ortsgrup­pengründungen behaftet sind. Die Ortsgruppengründungen fanden oft ohne direkte Einflußnah­me der Münchener Zentrale statt, die aufgrund ihrer organisatorischen Schwäche ihre strengen Verordnungen zur Mitglieder- und Ortsgruppenverwaltung oft gar nicht durchsetzen konnte:

Der Bauingenieur Max Z. wurde 1876 geboren und trat der NSDAP am 05.05.1926 bei. Er wird ab 22.07.1927 als Einzelmitglied mit der Bemerkung "früher Og. Donauwörth" geführt, und laut Beitrags- Register im Juni 1928 dann an den Gau Oberbayem-Schwaben überwiesen. In seinem Lebenslauf, 1938 für die Reichskulturkammer verfaßt, schreibt er: "Schon im Jahre 1923 wandte ich mich zur Staatsidee Hitlers und war seitdem mehr oder minder der Prediger dieser Lehre und oft jahrelang der einzige offene Bekenner in dieser Stadt. Eine festgefügte Ortsgruppe brachte ich in diesem Zentrum der Volkspartei und des Demokratentums aller Färbungen erst im Sommer 1930 zu stände (...)."

In seiner "Chronik über die Entwicklung der National-Sozialismus in Donauwörth", die Z. unter Beihilfe eines anderen Parteigenossen im Jahre 1933 schreibt, datiert er die erste nationalsozialistische Aktion bis in das Jahr 1921 zurück. In dieser Zeit war Z. Mitarbeiter der "Süddeutschen Müllerzeitung", zuständig für technische Fragen und Unterhaltung, schrieb außerdem häufig für das Donauwörther Tagesblatt und gelegentlich auch für den Völkischen Beobachter. Im Jahre 1923 hatte der Bahninspektor D. als erster eine Hakenkreuzfahne in Donauwörth gezeigt. Am 04.04.1924 wird ein Völkischer Block durch Z. und andere gegründet. Bei den Landtagswahlen vom 06.04.1924 gab es erste Erfolge. Der Zug anläßlich des Regimentsfestes im September 1924 wurde von Oberleutnant A. vom Frontkriegerbund angeführt, gefolgt von Z. und der lokalen Führung des Völkischen Blocks. Am “Deutschen Tag” am 22.07.1924 in Günzburg nahm die Gruppe mit zwanzig Mann teil. Zu einer Veranstaltung in Augsburg, auf der General Ludendorff sprach, reiste Z. mit sechs anderen Nationalsozialisten aus Donauwörth an. Z. leitete auch die 1924 gegründete völkische Junggruppe, in der auch sein Sohn Mitglied war. 1924 lernte Z. den Münchener Aktivisten Heines kennen, wurde in die Thulegesellschaft eingeführt und hatte auch Kontakte zur Gruppe Rossbach.

Nach der Entlassung Hitlers aus der Haft ist Z. Ende Januar in München und hat Kontakt mit Esser und Hitler. Im März 1925 hielt Z. eine Versammlung in Donauwörth ab, zu der zwanzig Personen erschienen. Er verlas das Statut der NSDAP und glaubte, damit erste Schritte zur Gründung einer Ortsgruppe getan zu haben. Ein Protokoll wurde jedoch nicht angefertigt, fast alle Beteiligten zogen sich bald wieder zurück, nicht bereit die fälligen Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Ende April 1925 fuhr Z. dann nach München, um die verbliebenen Mitglieder bei der Reichsleitung anzumelden, aber nur er erhielt 1927 das Mitgliedsbuch. In Z's eigenen Worten: "Es geht somit zusammmenfassend hervor, daß von 1925, also der Zeit der Neugründung bis 1930, das sind 5 1/2 Jahre im Grunde nur und alleine Z. [sic!] sich um Erhaltung des Nationalsozialismus in Donauwörth tätlich bekümmerte und allen Hass, Spott und Boykott der Gegner auf sich vereinigte.” 1930 gab es einen erneuten Versuch, eine Ortsgruppe zu gründen. Nach einem Monat hatte sich alles wieder aufgelöst und Z. ging erneut daran, eine Ortsgruppe zu gründen und die Führung zu übernehmen - was ihm im Laufe des Jahres gelang. Er tritt jedoch kurz darauf aufgrund interner Querelen aus der Partei aus. Nach seinem Wiedereintritt wird er 1934 politischer Leiter in Donauwörth.

In weiteren 137 (21%) der vorliegenden Fälle liegen zwar keine direkten Hinweise vor, es läßt sich aufgrund des Quellenmaterials indirekt mit einem hohen Grad an Plausibilität vermuten, daß die Mitarbeit an einer Ortsgruppengründung erfolgte. Dies ist ist dann typischerweise der

Bei den zwei Ortsgruppengründungen von Einzelmitgliedem im Ausland handelt es sich um einen U.S.- amerikanischen Fall und eine österreichische Gemeinde. Die betreffenden Einzelmitglieder wurden jedoch nicht an

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Fall, wenn in der Kladde ein handschriftlicher Hinweis der Art "Zum [Datum] an Ortsgruppe [Heimatort] überwiesen" angebracht ist (somit kein Umzug vorliegt, sondern die Gründung der Ortsgruppe die Überweisung verursachte) sowie aus dem weiteren Aktenmaterial eine zentrale Rolle auf der lokalen Parteiebene ersichtlich wurde. Es kann somit angenommen werden, daß die betreffende Person wahrscheinlich an der Gründung beteiligt war. Über den Anlaß und die Intensität ihrer Aktivität (führend, aufgefordert, passiv) kann jedoch wenig ausgesagt werden. Aus diesem Grund verzichten wir bei den späteren Analysen auf die Gruppe der implizit, d.h. indirekt identifizierten Gründer (vgl. 3.4). Als Beispiele für implizite Hinweise können die Fälle der Mitglieder Hans R. und Karl S. dienen:

Der 1902 geborene Kutscher und Milchhändler Hans R. aus Selbitz in Oberbayem trat am 22.9.1925 der NSDAP in seinem Heimatort bei und wurde Mitglied der dortigen Ortsgruppe. Laut Gaukarteikarte zieht R. am 2.6.1928 von Selbitz nach Wölbattendorf bei Hof und wird fortan in München als Einzelmitglied geführt, am 1.10.1928 aber an die Ortsgruppe Wölbattendorf, Gau Oberfranken, überwiesen. Wir können davon ausgehen, das R. an der Gründung der Ortsgruppe wahrscheinlich beteiligt war, da in diesem Ort vor seinem Zuzug weder eine Ortsgruppe bestand, noch andere Parteimitglieder der Münchener Hauptgeschäftsstelle bekannt waren.

Der Bäcker Karl S. aus Kinding in Bayern, 1902 geboren, tritt am 1.8.1927 in die NSDAP und die SA ein. Er wird als Einzelmitglied geführt, und Zentralkarteikarte am 1.10.1928 zur Ortsgruppe Kin- ding/Mittelfranken überwiesen. Eine Beteiligung an der Gründung der Ortsgruppe Kindling durch S. kann als wahrscheinlich angesehen werden, da diese nach Ablauf seiner einjährigen Mitgliedanwärterschaft er­folgte und S. sich durch einen hohen Grad von Aktivismus für die Partei engagierte: er wurde SA- Scharführer und SA-Truppführer, stieg zum Ortsgruppenamts- und Organisationsleiter auf. Ein Beitrag, den S. für die Gründung der Ortsgruppe tatsächlich geleistet haben könnte, wird dadurch noch wahr­scheinlicher, daß ein weiteres in Kindling wohnendes Einzelmitglied bereits Anfang 1928 - also vor der Gründung der Ortsgruppe - aus der Liste gestrichen wurde.

Während somit etwas mehr als ein Viertel (27,9%) der Einzelmitglieder mit der Etablierung der Partei auf lokaler Ebene durch die Gründung von Ortsgruppen explizit oder implizit in Ver­bindung gebracht werden, konnten bei 351 oder 53,8% der Einzelmitglieder solche Aktivitäten aufgrund der im BDC vorhandenen Quellen nicht nachgewiesen werden (vgl. Tabelle 2). Für weitere 118 Mitglieder (18,2%) waren in den Beständen des BDC keine weiteren Quellen vor­handen, die eine Überprüfung möglicher Ortsgruppen-Gründungsaktivitäten erlaubt hätten; eskann angenommen werden, daß diese Personen fast ausschließlich nicht zu den Gründern von

21Ortsgruppen zu zählen sind.

Bezogen auf die gesamte Mitgliederzahl der NSDAP hatten die Einzelmitglieder einen ver­schwindend geringen Anteil. Knapp ein Jahr nach ihrer Wiedergründung umfaßte die NSDAP 27.117 Mitglieder; eine Zahl, die sich 1926 auf 49.523, 1927 auf 72.590, 1928 auf 108.717 und bis zur Septemberwahl 1930 auf etwa 130.000 erhöhte (Schäfer 1957: 11). Zu keinem Zeitpunkt zwischen 1925 und 1930 stellten die Einzelmitglieder mehr als 1% der Mitglieder: jeweils auf den monatlichen Höchststand des Einzelmitgliederbestandes bezogen, betrug ihr Anteil an der

die Ortsgruppen überwiesen, sondern verblieben bei der zentralen Mitgliederverwaltung der Partei in München.

21 Inwieweit das Fehlen der Akten zu den wenigen prominenten Nationalsozialisten im Einzelmitglieder­verzeichnis - z.B. durch bewußte Vernichtung während der letzten Kriegsmonate mit Blick auf die anstehenden Prozesse - unseren Datensatz beeinträchtigt, dies kann nicht abschließend beurteilt werden.

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Gesamtmitgliedschaft der NSDAP 1925 zunächst genau 1%, 1926 dann 0,7%, 1927 nur noch 0,5% und fiel bis 1930 weiter auf 0,2% ab (vgl. Tabelle 3).

Tabelle 2: Einzelmitglieder und Ortsgruppengründungen

Beteiligung an Ortsgruppengründung

Wohnhaft in Insgesamt

Deutschland Ausland

% % %explizit 7,5 0,0 6,9

implizit 22,6 3,8 21,0

nicht zutreffend 51,8 77,4 53,9

keine Angaben 18,1 18,8 18,2

Insgesamt(100)598

(100)53

(100)651

Der geringe Anteil der Einzelmitglieder am gesamten Mitgliederaufkommen der NSDAP sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese kleine Gruppe einen sowohl absolut, als auch relativ gesehen hohen Beitrag zur Entwicklung der Partei auf lokaler Ebene leistete - insbeson­dere durch das Gründen von Ortsgruppen. Nach der Partei-Statistik (NSDAP 1935: 175) be­standen Ende 1925 in Deutschland 607 Ortsgruppen (einschließlich Stützpunkte). Bis zum Jahr 1928 erhöhte sich diese Zahl auf 1.378, und 1930 hatte die Partei 4.964 Ortsgruppen.22 Wie aus Tabelle 3 ersichtlich ist, wurden im Zeitraum zwischen Ende 1925 und Ende 1928 demnach mindestens 771 Ortsgruppen gegründet. Wie weiter oben dargestellt wurde, ist dies auch die Pe­riode, in der Einzelmitglieder verstärkt mit der Bildung von Ortsgruppen aktiv waren bzw. an diese überwiesen wurden. Obwohl ein direkter und präziser Vergleich mit Datierungsproblemen behaftet ist, die mit der gegebenen Quellenlage nicht gelöst werden können, so ergibt sich den­noch ein eindrucksvolles Bild (vgl. Tabelle 3). Die Datierungsprobleme beziehen sich weitge­hend auf fehlende Angaben über Ortsgruppenauflösungen und -Zusammenschlüsse, die in der Partei-Statistik von 1935 nicht enthalten sind.

Insbesondere muß in in diesem Zusammenhang zwischen der Selbstdefinition der Einzelmit­glieder über Ortsgruppengründungen und der offiziellen Parteiposition unterschieden werden. Die Anerkennung von Ortsgruppen erfolgte durch die Münchener Parteizentrale, die sich auch vorbehielt, ganze Ortsgruppen aufzulösen und ggf. unter anderer Führung neu zu konstituieren. Gerade in der ersten Wiedergründungsphase hatte die Reichsleitung oft kaum die notwendigen Informationen und administrativen Möglichkeiten, um in die vielfältigen lokalen Vorgänge di-

Zum Vergleich: Drei Jahre nach der Machtübernahme, im Jahr 1935, hatte die NSDAP 21.283 Orts­gruppen und Stützpunkte mit fast 2,5 Millionen Mitgliedern (NSDAP-Partei-Statistik 1935).

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rigierend eingreifen zu können. So zeigen die Korrespondenz der Münchener Parteizentrale so­wie die zahlreichen Richtlinien, die zwischen 1925 und 1930 erlassen wurden, das Bemühen von Hitler und Schwarz, eine einheitliche, zentralistische Parteiorganisation zu etablieren (Sammlung Schumacher 373; NS 1/342) - ein Unterfangen, das aber gerade in der Wiedergrün­dungsphase kaum erfolgreich war. So schreibt Horn zur Organisation der NSDAP nach 1925: “Der scheinbaren begrifflichen Klarheit ihrer Führungs- und Organisationsprinzipien widerspra­chen die zum Teil chaotisch anmutenden organisatorischen Strukturen und die zahlreichen par­teiinternen Konflikte, die aber der Wirklichkeit des Parteiaufbaus das Gepräge gaben. (...) Von einer straffen Leitung der politischen Organisation konnte erst ab 1928 gespochen werden.” (1972: 12f, 286)

Dies bedeutet, daß die offiziell proklamierten “Anweisungen zur Ortsgruppengründung”, welche als wichtigste Voraussetzungen für die Anerkennung von Ortsgruppen “Führungsfähigkeit der Leitenden” sowie ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung Vorgaben (Sammlung Schumacher 373), in der erwartenden Stringenz kaum durchgehalten konnten werden. Die Partei war noch zu sehr Bewegung und zu wenig bürokratische Organisation. Selbst die Gauleiter hat­ten weder die Gelegenheit noch die Mittel, die Verhältnisse in jeder einzelnen Ortsgruppe zu überprüfen (Horn 1972: 280). Dies bedeutet jedoch auch, daß sich auf der lokalen Ebene Frei­räume für Bewegungsuntemehmer auftaten, die für die Zwecke der Bewegung genutzt werden konnten. Aus dem relativ chaotischen Wiederanfang der NSDAP läßt sich auch das rasche An­wachsen von Ortsgruppen verstehen - obgleich dies von der Parteiführung in dieser Art und

23Weise gar nicht gewollt war.'

Insgesamt dürfen die im nächsten Absatz wiedergegebenen Ergebnisse nicht in dem Sinne ver­standen werden, daß die Einzelmitglieder einen genau bestimmbaren Beitrag zur Gründung aller Ortsgruppen in den späten 20er Jahren geleistet hätten. Vielmehr sind die Ergebnisse so zu in­terpretieren, daß Einzelmitgliedergründungen einen nicht unerheblichen Prozentsatz der im Zeit­raum 1925 bis 1928 gegründeten Ortsgruppen ausmachen, da spätere Ortsgruppenauflösungen, -Zusammenschlüsse und -Wiedergründungen nicht erfaßt werden können.

Wir können jedoch versuchen, die Frage nach der Bedeutung der Gründungsaktivitäten von Ein- zelmitgliedem für die organisatorische Entwicklung der NSDAP in ihrer Wiederaufbauphase zwischen 1925 und 1928 ein wenig genauer einzuschätzen. Wie oben gezeigt wurde (vgl. Tabel­le 1), fanden Überweisungen an Ortsgruppen fast ausschließlich zwischen dem zweiten Halbjahr 1925 und Ende 1928 statt.23 24 Es zeigt sich, daß die Gründungsaktivitäten dieser Einzelmitglieder 23,2% der zwischen Ende 1925 und Ende 1928 zusätzlich neu geschaffenen 771 Ortsgruppen entsprechen (vgl. Tabelle 3). Bezogen auf die Zahl der 1.378 im Jahre 1928 bestehenden Orts­

23 Vgl. dazu eine Aussage Hitlers im Völkischen Beobachter vom 4.2.1922, die auch für die Wiedergrün­dungsphase der NSDAP Geltung hatte (Sammlung Schumacher 373): “Man sagt die Zentralisation sei ein Übel, weitestgehend Dezentralisierung sei das einzig Mögliche. Nein. Nur eine Leitung vermag eine Bewegung stoßkräf­tig zu erhalten. Wirtschaftlich sollen die Ortsgruppen selbständig sein, politisch müßen sie der jeweiligen Leitung vertrauen. 35 straffe Ortsgruppen sind mehr wert als 300 Grüppchen, wo jeder mal mitmacht, dann wieder nicht.”

24 Wie oben angedeutet, können Ortsgruppengründungen der Einzelmitglieder in vielen Fällen nicht eindeu­tig datiert werden. Es kann aber angenommen werden, daß ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Da­tum der Ortsgruppengründung und der Überweisung des Einzelmitglieds von der Münchener Parteizentrale an die neu gegründete Ortgruppe besteht.

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gruppen ergibt sich immer noch ein Anteil von ca. 13%. Mit anderen Worten, obwohl sie nach 1925 deutlich weniger als 1 Prozent der Mitglieder dar stellten, trugen Einzelmitglieder in aus­geprägter Weise zur Etablierung der Partei bei, indem ihre Gründungsaktivitäten etwa einem Viertel aller Ortsgruppengründungen zwischen 1925 und 1928 entsprachen - ein wichtiges Indiz

für die oben vertretene These, daß es sich hier wahrscheinlich um Bewegungsunternehmer han­delte, die für die lokale Einbettung und Ausbreitung der NSDAP von großer Bedeutung waren.

Tabelle 3: Mitglieder, Einzelmitglieder und Ortsgruppen der NSDAP, 1925-1930

1925 1928 1930

Mitglieder 27.117 108.717 130.000

Einzelmitglieder 272 209 231

Einzelmitglieder in % der Gesamtmit- 1,00 0,19 0,18gliedschaft

Ortsgruppen 607 1.378 4.964

Neue Ortsgruppen (netto) 771 3.586

Ortsgruppengründungen durch/ mit 179 3Einzelmitglieder/n

Einzelmitgliedergründungen in % 23,22 0,1aller neuen Ortsgruppen (netto)

Einzelmitgliedergründungen in % aller 3,45 12,99 3,67Ortsgruppen

Aus Tabelle 3 geht auch hervor, daß die Bedeutung der Einzelmitglieder für die Dynamik der Ortsgruppengründungen nach 1928 deutlich geringer ausfiel: während bis Ende 1928 Einzel- mitglieder bei Ortsgruppengründungen eine zentrale Rolle für den Aufbau der Partei spielen, sinkt ihr relativer Anteil an Ortsgruppengründungen für die Zeit bis 1930 auf unter ein Prozent. Daraus lassen sich zwei Schlußfolgerungen ableiten. Einerseits spiegelt der Rückgang die wach­sende Rolle regionaler Parteistrukturen - so z.B. der Gaue - bei der Mitgliederorganisation wider, so daß der Beitrag der Münchener Einzelmitglieder für die weitere Etablierung der Partei relativ zu der von Einzelmitgliedem auf der Gauebene an Bedeutung verliert (siehe 2.3.) Andererseits stehen die Ergebnisse in Tabelle 3 in Einklang mit Erkenntnissen der Bewegungsforschung, wo­nach politischen Unternehmern gerade in der Aufbauphase von Bewegungen eine zentrale Rolle zukommt, sie dann im Zuge der Institutionalisierung jedoch sukzessive zu Gunsten formal­organisatorischer Elemente an Bedeutung verlieren. Die Einzelmitglieder der NSDAP trugen demnach zur Transformation der nationalsozialistischen Bewegung in eine relativ zum Wäh­lerzuspruch weitgespannte Parteiorganisation bei.

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Die Bedeutung der Einzelmitglieder als Bewegungsuntemehmer für die Entwicklung der Partei wird noch deutlicher, wenn wir aus dem Blickwinkel der reinen Parteiverwaltung zwei Typen unterscheiden. Einerseits handelt es sich um wahre Einzelmitglieder, d.h. solche, die der Partei in einer Gemeinde beitraten, in denen noch keine NSDAP-Organisationen vorhanden waren. Andererseits finden sich Mitglieder, die entweder aufgrund administrativer Akte (wie die Auflö­sung von Ortsgruppen), geographischer Mobiliät oder anderen Faktoren zu Einzelmitgliedem wurden. Aus Tabelle 4 wird deutlich, daß zwei Drittel aller Einzelmitglieder der Partei auch als solche beitraten - ein Anteil, der in den Jahren 1926 und 1927 etwas geringer ausfiel; in einer Zeit, in welcher der Anteil der Anweisungen aus den Gauen und Ortsgruppen zunahm, während sich die Zahl der Neumitglieder relativ zur gesamten Bestandsveränderung verringerte.

Tabelle 4: "Wahre" und "administrative"Einzelmitgiieder nach Kohorte, in Prozent

Kohorte Einzelmitglieder N *Wahre Administrative

1925 72,6 27,4 3361926 59,2 40,8 1791927 68,0 32,0 100

1928-9 81,8 18,2 33

Insgesamt 68,3 31,7 648

* 4 Mitglieder mit fehlenden Angaben

Tabelle 5: Einzelmitgiieder und Ortsgruppengründer

Ortsgruppen- Einzelmitgiieder Ngründer

JaNein

Wahre%

31,969,2

Administrative%

19,380,8

182470

100 100N 445 207 652

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Tabelle 5 zeigt, daß der Anteil von Ortsgruppengründem unter den "wahren" Einzelmitgliedem wesentlich höher liegt: fast jeder Dritte (32%) ist mit der Gründung einer Ortsgruppe in Verbin­dung zu bringen, im Vergleich zu jedem Fünften (19%) unter den "administrativen" Einzelmit­gliedem. Mit anderen Worten: die Gründungsaktivitäten der 142 "wahren" Einzelmitglieder be­laufen sich auf 18,4% aller zwischen Ende 1925 und Ende 1928 neu geschaffenen Ortsgruppen, oder auf jede zehnte (10,3%) aller 1928 bestehenden Ortsgruppen und Stützpunkte. Es zeigt sich somit, daß die Etablierung der NSDAP zwischen 1925 und 1928, dh. in der sogenannten frühen "Kampfzeit" und vor ihrem Wahldurchbruch auf nationaler und regionaler Ebene wesentlich von einer relativ kleinen Gruppe von Bewegungsunternehmern mitgetragen wurde. Mit Bezug auf die obigen Beschreibungen von Einzelmitgliedem, so zum Beispiel Dr. B.'s Beitrag zum Aufbau der Burghausener Ortsgruppe oder D.'s Aktivitäten in der Franken, läßt sich annehmen, daß es ohne die Aktivitäten dieser Gruppe der NSDAP zumindest schwerer gefallen wäre, sich als breit gefaßte Bewegung zu etablieren.

3.2. Räumliche Verteilung der Einzelmitglieder

Die geographische Verteilung der "wahren" Einzelmitglieder, die der Partei 1925 beitraten, ist in der Karte in Abbildung 2 wiedergegeben, während Abbildung 3 die entsprechende Karte für die Verteilung der 1926-1930 beigetretenen Einzelmitglieder enthält. Es zeichnet sich dabei eine relative Konzentration der Einzelmitglieder im bayerischen Raum ab - und dort insbesondere im Umkreis der Stadt München. Dieses Bild entspricht einerseits durchaus der bis Ende der zwan­ziger Jahre andauernden Vormachtstellung der Münchener NSDAP, die sich besonders im Mün­chener Umland, in anderen Teilen Bayerns und in schwäbischen Gemeinden etablieren konnte. Dies wird durch die fast radiale Anordnung der Einzelmitglieder innerhalb des südbayerischen Raums verdeutlicht. Andererseits spiegelt die räumliche Verteilung und insbesondere die Kon­zentration auf den bayerischen Raum die administrative Gliederung der Partei wider. Gauver­waltungen, die frühzeitig eingerichtet wurden, wie z.B. in Baden oder Thüringen, weisen kaum Einzelmitglieder auf, da diese - von besonderen Fällen abgesehen - auf Gauebene geführt wur­den. Die bayerischen Gaue hingegen wurden erst nach 1928 als relativ selbständige Organisatio­nen aus der zentralen Münchener Mitgliederverwaltung herausgelöst.

Abbildung 2 zeigt eine Verdichtung in der räumlichen Verteilung der Einzelmitglieder in Oberbayem und Franken, d.h. Gebieten, in denen die NSDAP bereits bis 1923 aktiv vertreten war, und in denen sich zahlreiche völkische Verbände und nationalsozialistische Tamorganisa- tionen in der Verbotszeit gehalten hatten (Pridham 1973). Darüberhinaus ist insbesondere bei der 1925-Kohorte eine breite Streuung außerhalb Bayerns zu erkennen, mit leichten Verdichtungen in Halle-Merseburg, Sachsen und der Schwäbischen Alb sowie in Westpreußen im Bereich Scheidemühl - obwohl hier teilweise früh Gauorganisationen bestanden. Diese Einzelmitglieder scheinen aus besonderen Gründen, die aus den vorhandenen Quellen nicht hervorgehen, nicht auf der Gauebene, sondern bei der Reichsleitung direkt geführt worden zu sein. Wir können aber

Die Verteilung der Einzelmitglieder dient der Illustration. Die geographischen Lagen der Ortschaften sind in den jeweiligen Karten nur approximativ wiedergegeben. Im Ausland lebenden Einzelmitglieder sind von der Dar­stellung in Abbildung 2-4 ausgenommen.

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annehmen, daß sie ein politisches Kalkül der Münchener Zentrale widerspiegeln, Mitglieder auch an den Ortsgruppen und Gauen vorbei, direkt bei der Reichsleitung anzusiedeln; eine Praxis, die nach 1928 mit der Einrichtung der Ortsgruppe “Reichsleitung” institutionaliert wurde, in der alle Funktionäre der Partei in München - und nicht mehr auf lokaler oder regionaler Ebene - verwaltet wurden.

Tabelle 6: Entfernungen der Einzelmitgliederorte von München, nach Kohorte

Angaben in Kilometer

Streuungsmaß FälleMittlere Entfernung

Kohorte ArithmetischesMittel

Median Standard­abweichung

Inter-Quartil-Spanne

1925 262 156 251 344 322

1926 156 105 176 117 165

1927-9 126 78 150 103 108

Die relative Konzentration der Einzelmitglieder in und um Gebiete, in denen es der Partei bereits gelungen war, lokale Organisationsstrukturen aufzubauen - im Gegensatz zu Gebieten ohne nen­nenswerte NSDAP-Präsenz - hat zwischen 1925 und 1929 eher zu- als abgenommen. Dies wird in Tabelle 6 deutlich, welche für die jeweiligen Kohorten die Verteilung der geographischen Entfernung des Heimatortes von München angibt.26 Für die 1925 beigetretenen Einzelmitglieder ergibt sich dabei sowohl eine größere Entfernung von München als auch eine breitere Streuung in der Kilometerdistanz als dies für nachfolgende Kohorten der Fall ist: 1925 betrug die durch­schnittliche Entfernung 262 km, 1926 hingegen 156 km und 1927-29 nur noch 126 km. Gleich­zeitig nimmt die Streuung der Entfernungen ab: während sich der Medianwert im Jahre 1925 auf 156 km beläuft und die Inter-Quartil-Spanne 344 km beträgt, schrumpfen diese Entfemungswer- te für die folgenden Kohorten beträchtlich (siehe Tabelle 6). Mit anderen Worten: während 1925 das durchschnittliche Einzelmitglied mit einer Distanz von etwas über 250 km bei Hin- und Rückfahrt fast eine halbe Tagesreise von München entfernt war, so war es in den folgenden Jah­ren zumindest für das Gros der Einzelmitglieder möglich - falls dies nötig war - zwischen ihrem Heimatort und der Parteizentrale in München zu pendeln: bereits 1926 lebte die Hälfte gerade um die 100 km von München entfernt, und 75% in einem Radius von etwas mehr als 200 km.

Bei den angegebenen Werten handelt es sich Luftlinienentfemungen, die als euklidische Distanzen auf der Basis geographischer Ortslagen (Längen- und Breitengrade) errechnet wurden. Im Ausland liegende Orte wurden von diesen Berechnungen ausgeschlossen.

29

Abbildung 2: Geographische Verteilung der "wahren" Einzelmitglieder, beigetreten im Jahr 1925

Rut

gers

Car

togr

aphy

199

5

Breslau

• ONE MEMBER ||* FIVE MEMBERS |

100kilometers

Rutgers Cartography 1995

>CTCTCLC□<£2w

Geographische Verteilung der "w

ahren" Einzelmitglieder,

beigetreten 1926-1930

31

Abbildung 4: Geographische Verteilung der Ortsgruppengründungen durch "wahre" Einzelmitglieder, beigetreten im Jahr 1925

Rut

gers

Car

togr

aphy

199

5

32

Abbildung 4 gibt die Ortsgruppengründungen der 1925er Kohorte wieder. Dabei zeigt sich, daß diese vornehmlich in Bayern erfolgten - mit einer sehr breiten Streuung in den übrigen Gebieten. Aus der geographischen Darstellung ergeben sich wichtige Anhaltspunkte, wenn bedacht wird, daß 1925 etwa 17% (104) aller bestehenden NSDAP-Ortsgruppen in Bayern zu finden waren (NSDAP-Parteistatistik 1935: 175-6). Dies bedeutet auf die regional-räumliche Ebene bezogen, daß Einzelmitglieder relativ häufiger in solchen Gebieten auftraten und Ortsgruppen (mit-) gründen konnten, die in der Nähe von bereits bestehenden NSDAP-Stützpunkten lagen. Dies ist aufgrund der geschichtlichen Entwicklung der NSDAP insbesondere in Bayern um München, aber auch in Franken um Bamberg, Nürnberg und Würzburg der Fall gewesen; in diesen Gebie­ten finden sich auch tatsächlich Häufungen in Ortsgruppengründungen durch Einzelmitglieder. Wie weiter oben beschrieben (2.3.) läßt die Datenlage die Überprüfung dieser These für andere Gebiete leider nicht zu.

Die Münchener Einzelmitglieder waren demnach räumlich nicht sonderlich isoliert, noch ten­denziell von der institutionellen Welt des Nationalsozialismus durch übergroße Entfernungen abgeschnitten - im Gegenteil: es zeigt sich, daß sie sich eher in mittelbarer Nähe zu bestehenden NS-Organisationen befanden. Daher kann angenommen werden, daß Einzelmitglieder durchaus effektiv in regionale Netze der NS-Bewegung und des national-völkischen Lagers eingebunden sein konnten, was eine Etablierung der Partei auf lokaler Ebene durchaus erleichtert haben dürf­te. Die Ausbreitung der NSDAP über die Einzelmitglieder erfolgte somit vornehmlich durch das "Füllen von Zwischenräumen" unter bestehenden Ortsgruppen - und erst in zweiter Linie durch das "Gewinnen neuen Terrains" weitab von Parteistützpunkten und -hochburgen, wie dies von den Karten in Abbildungen 2 - 4 graphisch verdeutlicht wird.

3.3. Wer waren die Einzelmitglieder?

Von den 652 Einzelmitgliedem waren 70 oder 10,7% Frauen, 53 oder 8,1% lebten bei Parteiein­tritt im Ausland. Das jüngste Mitglied war gerade 16, das älteste 82 Jahre alt. Das Durch­schnittsalter der Einzelmitglieder zum Zeitpunkt des Parteieintritts lag bei 32 Jahren. Die Hälfte der Einzelmitglieder war 28 Jahre oder jünger. Aus der Altersverteilung ergibt sich, daß jedes zweite Einzelmitglied sich im jungen Erwachsenenalter zwischen 23 und 38 befand, und nur 10% älter als 50 Jahre waren. Es handelte sich bei den Einzelmitgliedem somit vornehmlich um die Generation, welche nach 1890 geboren war, deren Jugend damit wesentlich durch den 1 .Weltkrieg und die nachfolgenden Jahre des Umbruchs und der Instabilität geprägt war.

Von wenigen Fällen abgesehen, waren Einzelmitglieder weder allgemein bekannte Persönlich­keiten noch in hervorgehobener Position tätige Zeitgenossen. Der Fall des - bereits erwähnten - rheinischen Industriellen und Geheimrats Dr. Emil Kirdorf, der nach einem persönlichen Treffen mit Hitler der Partei von August 1927 bis Oktober 1928 als Einzelmitglied beitrat und somit er­ste Kontakte zu führenden Wirtschaftskreisen ermöglichte (Deuterlein 1982: 285-6), stellt dabei eine Ausnahme dar. Weitaus typischer scheinen Fälle zu sein, in denen Einzelmitglieder über Jahre hinweg auf lokaler Ebene an der Etablierung der Partei arbeiten, ohne dies generell in hö­here soziale Mobilität umsetzen zu können. Obwohl wir oben schon einige Einzelmitglieder

T.T.

kennengelemt haben, ist es nützlich, sich die breite Palette von Einzelschicksalen vor Augen zu fuhren, die vom Unspektakulären zum Tragischen und vom Idealistischen zum Karrieristischen reicht.

Die in Solln lebende und in München geborene Hermine G. stellt den eher passiven, unspektakulären Typ des Einzelmitglieds dar. Als Kriegerwitwe trat sie schon im November 1919 nach einem zufälligen Zu­sammentreffen mit Hitler der Partei bei, sie tat dies wiederum am 4. April 1925 kurz nach der Wiedergrün­dung der Partei. In den kommenden Jahren unterstützte sie die Gründung der Ortsgruppe Solln und grün­dete die NS-Frauenschaft in Solln und umliegenden Orten.

Zu den eher tragisch-idealistischen Fällen gehört die Lebensgeschichte des Trierers Egon L., der nach ei­ner abgebrochenen Offizierslaufbahn (1889-1896) in Köln als Kaufmann im Buchgewerbe tätig war. Nach Teilnahme am ersten Weltkrieg als Oberleutnant und Kompanieführer an der Westfront, trat er nach 1921 der NSDAP bei und avancierte zum Gauleiter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes für das Rheinland, wurde aber von der englischen Militärverwaltung in Köln aufgrund seiner politischen Aktivitä­ten zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und anschließend ausgewiesen. Nach Pasing bei München um­gezogen, arbeitete er als Abteilungsleiter in einem Münchener Verlag, wurde aber durch den Konkurs des Verlags im Jahre 1925 arbeitslos, arbeite dann als freischaffender Schriftsteller für die nationale und völki­sche Presse, verarmte aber zusehends. Bereits kurz nach seinem Eintreffen wurde ihm von der Münchener Parteileitung die Ortsgruppe Pasing an vertraut, die er während der Verbotszeit unter verschiedenen Tam- organisationen im Völkischen Block und auch als Trambahngesellschaft Pasing oder Siebener-Ausschuß weiterführte, um sie nach Wiedergründung der Partei Anfang 1925 wieder in die NSDAP einzugliedem. Parteikarriere machte Egon L. trotz seines persönlichen und finanziellen Engagements jedoch nicht. Er lebte später von öffentlichen Fürsorgezahlungen und fand erst nach der Machtergreifung eine Teilzeitarbeit in der Reichspropaganda-Abteilung der Partei.

Der Fall des gelernten Metzgers Max. K. aus Oberschleißheim erscheint für das Kam'eremuster unter den Einzehnitgliedem typisch. Der Partei als Einzelmitglied im Würzburger Raum im August 1926 beigetre­ten, zog er ein Jahr später nach München um, trat 1928 der dortigen SS bei, war am Aufbau der Ortsgrup­pe Gem-Neuhaus beteiligt und fand als Angestellter der Partei (Fahrer) bald ein Auskommen. Nach der Machtübernahme stieg Max K. zum SS-Obersturmführer und politischen Leiter innerhalb des Reichs­bundes der Deutschen Beamten auf und wurde mit hohen NS-Auszeichnungen (Totenkopffing, Julleuch- ter, etc.) geehrt. Er starb im Alter von 67 Jahren im Mai 1944.

Es stellt sich nun die Frage, ob (und gegebenfalls wie) sich das soziale Profil der Einzelmitglie­der von der Bevölkerung insgesamt unterscheidet. Dabei können die Daten der Berufs- und Er­werbstätigenzählung von 1925 (Statistisches Reichsamt 1927) herangezogen und mit den An­gaben der Einzelmitglieder in Verbindung gebracht werden. Tabelle 7 zeigt die Branchen­verteilung der Einzelmitglieder und der Bevölkerung insgesamt, letztere definiert als die Summe der Beschäftigten oder Selbständigen und deren Angehöriger. Aus der Verteilung in Tabelle 7 lassen sich zwei wesentliche Ergebnisse ableiten:

Erstens ist festzuhalten, daß sich Einzelmitglieder aus allen erfaßten Wirtschaftsbranchen rekru­tierten; in 16 der 26 Wirtschaftszweige weicht der relative Anteil der Einzelmitglieder nicht mehr als 2%-Punkte vom relativen Anteil für die Gesamtbevölkerung ab. Dies bedeutet, daß das berufliche Profil der Einzelmitglieder in knapp zwei Drittel der Wirtschaftszweige annähernd mit dem der Bevölkerung identisch ist. Die NSDAP der Einzelmitglieder war demnach keine Ni­schenpartei bestimmter Standes- und Berufsgruppen.

Zweitens geht aus Tabelle 7 die relative Unterrepräsentierung des land- und forstwirtschaftlichen Sektors unter den Einzehnitgliedem hervor, welche mit einer Mittelschichtlastigkeit einhergeht.

34

Mit nur 8% aller Einzelmitglieder - im Vergleich zu 22,4% für die Gesamtbevölkerung - kamen relativ wenige aus dem rein bäuerlichen Bereich. Hingegen ist der Anteil aus dem Handelsge­werbe besonders hoch: jedes vierte Einzelmitglied kommt aus dieser Branche, verglichen mit jedem zwölften für die Gesamtbevölkerung.

Tabelle 7: Branchenverteilung der Einzelmitglieder im Vergleichzur Erwerbsstatistik, 1925

Einzelmitgliederinsgesamt

Berufszugehörige

Branche N % % N

Erwerbslos 71 11,99 9,07 5.662.444Landwirtschaft 48 8,11 22,42 13.994.133Forstwirtschaft, Fischerei 8 1,35 0,61 379.123Industrieproduktion 47 7,94 1,77 1.104.523Bergbau 5 0,84 3,79 2.367.932Steine und Erden 4 0,68 2,35 1.464.750Eisen- und Metallgewinnung 15 2,53 5,09 3.178.157Maschinenbau 9 1,52 4,17 2.601.690Elektroindustrie 4 0,68 1,57 979.291Chemische Industrie 3 0,51 1,22 760.822Textilindustrie 3 0,51 2,96 1.849.912Papier- und Druckindustrie 5 0,84 1,54 958.594Holz- und Schnittstoffgewerbe 8 1,35 3,02 1.884.336Nahrungs- und Genussmittel 17 2,87 3,77 2.350.944Bekleidungsgewerbe 14 2,36 3,88 2.418.491Baugewerbe 25 4,22 6,19 3.861.839Handelsgewerbe 149 25,17 8,29 5.172.689Versicherungswesen 3 0,51 0,36 221.889Verkehrswesen 27 4,56 6,67 4.162.546Gastronomie 12 2,03 1,61 1.004.817Verwaltung und Wehrmacht 31 5,24 2,82 1.762.148Kirche und Bildungseinrichtungen 24 4,05 1,49 931.579RechtswJInteressenvertr. 1 0,17 0,32 198.424Kunst und Kultur, Journalismus 14 2,36 0,42 263.138Gesundheitswesen und Wohlfahrt 37 6,25 1,55 964.705Häusliche Dienste 8 1,35 3,06 1.910.257

Insgesamt 592 100 100 62.409.173

Tabelle 8 faßt die Gliederung der Betriebszugehörigkeit nach größeren Wirtschaftsbereichen zu­sammen. Hier wird der unterdurchschnittliche Anteil der Landwirtschaft, aber auch von Indu­strie & Handwerk deutlich. Zugleich geht aus Tabelle 8 die Überrepräsentanz der Bereiche Han­del, Verkehr & Dienstleistungen, Verwaltung, Militär & freie Berufe sowie des Gesundheitswe­sens hervor. Daraus läßt sich die Vermutung ableiten, daß sich Einzelmitglieder tendenziell zu einem geringeren Anteil aus der Unterschicht als aus dem Mittelstand rekrutierten. Diese Ver-

3 5

mutung wird durch Tabelle 9 bestätigt: nur jedes vierte Einzelmitglied war Arbeiter, wohingegen nach der Berufszählung von 1925 jeder zweite Mann und jede dritte Frau zum Arbeiterstand zu rechnen waren. Dementsprechend finden wir einen weitaus höheren Anteil an Selbständigen, Beamten und Angestellten. Der hohe Anteil der Selbständigen beruht weitgehend auf der großen Zahl an Kaufleuten und Gewerbetreibenden unter den Einzelmitgliedem und darf nicht allge­mein mit der Präsenz von Besitzern von mittelständischen Betrieben oder Großunternehmern gleichgesetzt werden.

Tabelle 8: Gliederung nach Wirtschaftszweigen 1925, in Prozent

Ohne Beruf

Einzelmitglieder

%

12,0

Erwerbstätige

%

Berufszugehörige

%

9,1

Landwirtschaft, Forste, Fischerei 9,5 30,5 23,0

Industrie und Handwerk 26,8 41,4 41,3

Handel, Verkehr, Dienstleistungen 32,1 16,5 16,9

Verwaltung, Wehrmacht, freie Berufe 11,9 4,7 5,1

Gesundheitswesen 6,3 1,8 1,5

Häusliche Dienste 1,4 5,1 3,1

Insgesamt 100 100 100Fallzahl/ Grundgesamtheit 592 32.009.300 62.410.619

ohne spezifische Berufsangabe = 23 Nennungen oder 4,5% aller Einzelmitgliederganz ohne Angaben zu Beruf-- 37 Nennungen oder 5,6% aller Einzelmitglieder

Hinter den relativ unpräzisen Etiketten "Selbständige", "Beamte und Angestellte" oder "Handelsgewerbe" versteckt sich allerdings ein breites Spektrum eigentlicher Lebensumstände, die vom mittellosen Handlungsreisenden bis zum Abteilungsleiter eines Großbetriebes, vom Bahnschafftier bis zum Ministerialdirektor reichen kann. Die Ergebnisse lassen jedoch einen wichtigen Schluß zu: bei aller Unschärfe der verwendeten Berufs- und Schichtkategorien scheint unter den Einzelmitgliedern eine tendenzielle Mittelschichtdominanz Vorgelegen zu ha­ben, die gleichzeitig eher städtischen oder kleinstädtischen denn ländlichen Charakter aufweist (vgl. Kater 1971; 1983; Fischer 1995; Mühlberger 1991, 1995).

3 6

Tabelle 9: Stellung im Beruf nach Geschlecht, in Prozent

Einzelmitglieder Erwerbstätige

Insgesamt Männer Frauen Insgesamt Männer Frauen

Stellung im Beruf % % % % % %

Selbständige 29,9 32,7 5,8 17,3 21,7 9,6

Beamte und Angestellt. 33,0 35,0 17,3 16,5 18,7 12,5

Arbeiter 20,4 22,3 4,3 45,1 53,2 30,5

Mithelf. Familienang. 1,1 0,2 8,7 17,0 6,3 36,0

Hausangestellte 11,2 8,0 37,8 4,1 0,1 11,4

Ohne Angaben 4,4 1,8 26,1

Insgesamt 100 100 100 100 100 100

Fallzahl 642 573 69 32.009.300 20.531.28811.478.012

3.4. Gründer und Nicht-Gründer

Wir haben gesehen, daß die Einzelmitglieder sich vornehmlich aus der städtischen und klein­städtischen Mittelschicht rekrutierten. Was bedeutete dies jedoch für den jeweiligen Erfolg der Einzelmitglieder bei der Gründung neuer Ortsgruppen? Welche Faktoren sind mit erfolgreichen Ortsgruppengründungen in Verbindung zu bringen, und welche wirkten begünstigend auf die lokale Ausbreitung der Partei? Zunächst soll die zentrale Ausgangsthese in Erinnerung gerufen werden, wonach der Erfolg des Nationalsozialismus durch die sozio-kulturelle und organisatori­sche Einbettung und die darauf basierende Vermittlungstätigkeit von Bewegungsunternehmem begünstigt wurde. Wie jedoch gelang es der "Volkspartei des Protests", sich schon frühzeitig als breit angelegte, in lokale völkische und nationalistische Milieus eingebundene Bewegung zu konstituieren und gleichzeitig weiter in andere gesellschaftliche Bereiche zu diffundieren? Über welche "Wege" und über welche "Beziehungsbahnen der Gesellschaft" erfolgte die Ausbreitung des Nationalsozialismus durch die Einzelmitglieder?

37

Die Entwicklung kann - so eine mögliche These - durch schichtbezogene Aspekte bestimmt worden sein, wobei es vornehmlich Einzelmitgliedem bestimmter Schichten und Berufsgruppen gelang, Ortsgruppen zu gründen. Wie oben angedeutet, wird in der Literatur zur Entstehung des Nationalsozialismus häufig auf die breite Schichtenbasis der NSDAP-Wähler und Mit- gliederschaft hingewiesen (Falter 1991; Mühlberger 1991; Fischer 1995). Einerseits kann an­genommen werden, daß es Mitgliedern der Oberschicht und der oberen Mittelschicht aufgrund besserer ökonomischer Ressourcen und eines weiten Kontaktnetzwerkes eher als Arbeitern oder Hausbediensteten gelingen konnte, eine Ortsgruppe zu gründen. Andererseits umschreibt die Schichtzugehörigkeit jedoch nur einen Teil der möglichen Ressourcen, die aus dem Berufsleben erwachsen. Die Art des Berufes selbst - und dies zumindest teilweise unabhängig vom damit verbundenen sozialen Status - kann eine wichtige Quelle der politischen Kontaktaufhahme sein: bestimmte Berufsgruppen, wie z.B. Ärzte, Einzelhandelskaufleute, Handwerker oder Schalterbe­amte, erlauben eine höhere Kontaktaufhahme mit der allgemeinen Bevölkerung als Berufe, die in relativer Isolation und ohne Publikumsverkehr ausgeübt werden, wie dies z.B. bei manchen industriellen Berufen, Verwaltungspositionen oder auch in der Landwirtschaft der Fall sein kann. Durch die zahlreichen Kontakte mit der Bevölkerung entstehen aus bestimmten Berufen publikumswirksame Positionen, die wiederum als potentielle Multiplikatoren für die Mit­gliederwerbung gesehen und benutzt werden können. Es läßt sich somit vermuten, daß erfolgrei­che Einzelmitglieder eher solche Multiplikatorpositionen innehatten als jene, die nicht mit der

29Gründung einer Ortsgruppe in Verbindung gebracht werden können.

Eine zweite mögliche Bahn, über die sich Ortsgruppengründungen vollzogen haben könnten, läßt sich aus der Bewegungsforschung ableiten. Wie weiter oben beschrieben, wird dabei insbe­sondere auf die kulturelle und sozial-organisatorische Einbettung der Bewegungsunternehmer Bezug genommen (Neidhardt und Rucht 1993; Schmitt 1990). Wir können dabei annehmen, daß es Einzelmitgliedem mit einem hohen Grad an sozialer Einbettung eher gelingen konnte, die Partei organisatorisch zu etablieren - im Vergleich zu solchen, die dies ohne einen solchen Rückhalt versuchen mußten. Dabei werden drei Arten sozialer Eingebundenheit unterschieden:

erstens, die Frage der Mitgliedschaft in der Alt-NSDAP vor November 1923 und ver­gleichbaren Vorläuferparteien als Indikator für politische Eingebundenheit',

Eine in der Literatur zur Entstehung des Nationalsozialismus als zentral angesehene Einflußgröße, die Religionszugehörigkeit (Burnham 1972; Falter 1991; Hamilton 1982; Linz 1976), kann aufgrund fehlender Anga­ben im Quellenmaterial für die Einzelmitglieder nicht systematisch überprüft werden.

28 Soziale Schichtzugehörigkeit wurde dabei als als ordinale Skala in Anlehnung an das von Mühlberger (1991) für die Weimarer Zeit entwickelte Schichtenmodell gemessen.

29 Gemäß dieser Überlegungen wurden die für die Einzelmitglieder vorhandenen Berufsangaben in eine binäre Variable "Kontakthäufigkeit" überführt, die dann den Wert "1" annimmt, wenn es sich um einen publi­kumswirksamen Beruf mit hoher Kontaktdichte handelt. In allen anderen Fällen sowie bei Nichterwerbstätigen be­trägt der Wert der Variable "0".

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zweitens, die Anzahl der im Quellenmaterial erwähnten Mitgliedschaften in rechts­nationalen und völkischen Verbänden und Vereinigungen als Maßstab für organisato­rische Eingebundenheit',

drittens, die Anzahl der im Quellenmaterial erwähnten signifikanten NS-Persönlich- keiten, zu denen Einzelmitglieder Verbindung hatten - dies als Indikator für die perso- nen-bezogene Einbettung in ein Netzwerk führender Parteimitglieder.

Schließlich werden Kontrollvariablen mit in die Berechnungen eingeführt, um mögliche Alters­und Kohorteneffekte zu erfassen - wobei keine geschlechtsspezifischen Differenzierungen vor­genommen werden müssen, da nur in einem der 652 Fälle ein weibliches Einzelmitglied mit ei­ner Ortsgruppengründung aufgrund der vorliegenden Quellenlage in Verbindung gebracht wer­den konnte. Dies war bei der oben kurz vorgestellten Hermine G. der Fall. Aus diesem Gund wurde "Geschlecht" nicht als Kontrollvariable mit in die Analyse aufgenommen, da schon vorab festhalten werden kann, daß die Gründung von Ortsgruppen mit großer Wahrscheinlichkeit fast ausschließlich auf dem Konto männlicher Einzelmitglieder zu verbuchen war.

Die in Tabelle 10 und 11 dargestellten Regressionsmodelle gehen der Fragen nach, welche der zwei Haupteinflußbahnen - soziale Stellung und Beruf einerseits und soziale Eingebundenheit andererseits - ein größeres Gewicht bei der Bestimmung der Wahrscheinlichkeit von Orts­gruppengründungen durch Einzelmitglieder aufweisen. Dabei beschränken wir uns aus Gründen der höheren Datenzuverlässigkeit auf jene Einzelmitglieder, die aufgrund der Quellenlage ex­plizit mit Ortsgruppengründungen in Verbindung gebracht werden können (vgl. oben). Über alle Einzelmitglieder hinweg bestand eine knapp 10%-ige Chance (9,2%), daß sie eine Ortsgruppe gründeten. Welchen Schwankungen unterliegt diese Wahrscheinlichkeit, wenn die Einfluß­größen sozialer Status, berufliche Kontakthäufigkeit und Formen der sozialen Eingebundenheit variieren? Die logistische Regression in Tabelle 10 beleuchtet diese Frage, wobei die jeweils für bestimmte Einflußfaktoren (Ausprägungen der unabhängigen Variablen) dargestellten Wahr­scheinlichkeiten für den Mittelwert aller anderen Variablen dargestellt werden.

30 Aus zwei Gründen liegt die Wahrscheinlichkeit von 9,2% für eine Ortsgruppengründung, welche den Regres­sionsgleichungen als Grundlage dient, etwas höher als die weiter oben vorgestellte Zahl von 6,9%. Erstens wurden im Ausland lebende Einzelmitglieder nicht mit in die Regressionsanalysen aufgenommen, und zweitens mußten einige Fälle aufgrund fehlender Angaben von den Berechnungen ausgeschlossen werden. Aus beiden Gründen er­gibt sich eine geringere Grundgesamtheit und dementsprechend ein höherer Prozentsatz an Ortsgruppengründem.

31 Da es sich bei der abhängigen Variable um ein binäres Ereignis und nicht um eine intervall-skalierte, stetige Verteilung handelt, wurde eine logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Die Regressionskoeffizienten (Logits oder log-likelihood ratios) wurden in einem zweiten Schritt in Wahrscheinlichkeiten transformiert. Für eine gegebe­ne Anzahl unabhängiger Variablen ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, daß die abhängige Variable als Ereignis vor­liegt und somit den Wert "1" annimmt, aus folgender Gleichung:

p=l/l+e'xß,wobei der Exponent

xß = (a + X 1ß 1+X 2ß2+...+Xnßn)den Vektor der unabhängigen Variablen mit den jeweiligen geschätzten Logit-Koeffizienten darstellt. Die somit erlangten Wahrscheinlichkeiten werden konventionellerweise als Prozentzahlen ausgedrückt (Hanushek und Jack­son 1977: 187).

39

Tabelle 10: Wahrscheinlichkeit der Ortsgruppengründung, in Prozent

Variable Mittelwerte Sample-Statistiken

Wahrscheinlichkeit 7,7 9.2Insgesamt

Soziale SchichtUnterschicht (1) 13,9 Mittel:

Untere Mittelschicht (4) 10,9 8,2Mittelschicht (8) 7,9 Std.Abw:

Obere Mittelschicht (12) 5,6 3,7Oberschicht (16) 3,9

Hohe Kontakthäufigkeit Prozente:Ja 12,4 39,2

Nein 5,6 60,8

Politische Eingebundenheit Prozente:

Mitglied vor Nov. 1923 8,1 14,3Kein Mitglied 7,6 85,7

Organisatorische EingebundenheitMitglied der Alt-NSDAP 4,5 Mittel:

eine Mitgliedschaft 10,2 0,6zwei Mitgliedschaften 21,3 Std.Abw;drei Mitgliedschaften 39,2 0,7vier Mitgliedschaften 60,6

Personelle Eingebundenheit

keine Namensnennungen 6,0 Mittel:eine Namensnennung 10,7 0,4

zwei Namensnennungen 18,6 Std.Abw:drei Namensnennungen 30,2 1,1

vier Namesnennungen 45,1

Alter bei Parteieintritt20 Jahre 5,2 Mittel:30 Jahre 7,5 31,140 Jahre 9,7 Std.Abw:50 Jahre 11,4 11,360 Jahre 13,5

Kohorte Prozente:Parteieintritt 1925 8,8 54,4Parteieintritt 1926 7,4 27,5

Parteieintritt 1927- 1930 5,5 18,1

4 0

Drei wesentliche Schlüsse lassen sich aus den Ergebnissen der in Tabelle 10 dargestellten Re- gressionsanalyse ablesen : Zum einen zeigen die dargestellten Wahrscheinlichkeiten ein­drucksvoll, daß der Schichtzugehörigkeit der Einzelmitglieder im Vergleich zu ih rer organi- satorischen und personellen Eingebundenheit ein deutlich geringeres Gewicht zukommt. So hatten Einzelmitglieder mit hoher organisatorischer Eingebundenheit in rechtsradikalen und völkischen Verbänden eine 39-prozentige (bei drei Mitgliedschaften) bzw. eine 61-prozentige Chance (bei vier Mitgliedschaften), eine Ortsgruppe zu gründen. Für personelle Kontakte zu füh­renden Nationalsozialisten auf nationaler und regionaler Ebene ergibt sich eine Wahr­scheinlichkeit von 30% für drei Namensnennungen und von 45% bei vier Namensnennungen. Die Gründung von Ortsgruppen wurde somit in weitaus höherem Maße durch die Einbettung der Einzelmitglieder in ein Netzwerk organisatorischer und personeller Art begünstigt, als durch Schicht- bzw. berufsbedingte Einflüsse.

Organisatorische Eingebundenheit ist dabei die Variable mit der höchsten Vorhersagekraft. Über inter-organisatorische (und damit auch inter-personale) Netzwerke konnten Expertise, finanzielle Mittel und andere Formen der Unterstützung einfließen und auf der lokalen Ebene eingebracht werden, um somit die notwendige Mobilisierung von Ressourcen und potentiellen Mitgliedern zu erleichtern. Bei den Organisationen handelt es sich um ein sehr breites Spektrum völkischer, nationalistischer, politischer und quasi-militärischer Vereinigungen und Verbände, wobei die Großdeutsche Volksgemeinschaft, der Völkische Block, der Bund Oberland, der Deutsche Schutz- und Trutzbund, die Einwohnerwehr, die Reichskriegsflagge, der Stahlhelm und ver­schiedene Freikorps (Epp, Oberland) zu den häufig genannten zählen. Da zwischen diesen Or­ganisationen zahlreiche Überlappungen institutioneller und personeller Art bestanden, hatten Einzelmitglieder mit hoher organisatorischer Eingebundenheit potentiell Zugang zu einer großen Bandbreite des anti-republikanischen und anti-demokratischen Verbändewesens der Weimarer Republik. Durch diese institutionelle Integration konnte es für Einzelmitglieder möglich werden, die lokale Ebene mit regionalen und nationalen Organisationsstrukturen zu verbinden. Darüber- hinaus erleicherte es die eklektische Ideologie der NSDAP als master frame, die zahlreichen Konfliktlinien im völkisch-nationalen Lager zu überspielen. Das organisatorische Netzwerk der völkisch-nationalistischen Bewegung brachte der sich neu konstituierenden NSDAP trotz aller Mängel und Widersprüche in ihrem Aufbau (vgl. 3.1., Horn 1972) die notwendige Kontinuität. In diesem Sinne wurde ein wesentlicher Teil des organisatorischen Fundaments, auf dem sich der Nationalsozialismus aufbauen sollte, von den Organisationen der frühen 20er Jahre gelegt, die nun in tradierter Form in die NSDAP einfloßen.

Das zweite zentrale Ergebnis, das sich aus Tabelle 10 ableiten läßt, betrifft den Einfluß sozialer Schichtfaktoren auf die Wahrscheinlichkeit der Ortsgruppengründung. Oben wurde bereits fest­gehalten (vgl. Tabelle 9), daß es sich bei den Einzelmitgliedem vornehmlich um ein Mittel­standsphänomen handelte und erst in zweiter Linie um Repräsentanten der Unterschicht. Aus Tabelle 10 ergibt sich nun, daß Einzelmitglieder aus der Mittel- und Oberschicht, obwohl zahl-

Lesebeispiel: Für die Ausprägung "Unterschicht" der unabhängigen Variable "Soziale Schicht" ist in Tabel­le 10 eine Prozentzahl von 13,9 angegeben. Dies bedeutet, daß die Wahrscheinlichkeit, eine Ortsgruppe zu gründen, für ein Einzelmitglied aus der Unterschicht knapp 14% betrug, wobei alle anderen Variablen am Mittelwert konstant gehalten werden.

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reicher vertreten als jene aus der Unterschicht, mit einer geringeren individuellen Wahrschein­lichkeit Ortsgruppen gründeten. In der Tat zeigt sich, daß die Wahrscheinlichkeit für Angehörige der Oberschicht mit 4% fast um die Hälfte unter der gesamten Wahrscheinlichkeit (7,7%) liegt und nur etwa ein Drittel der Wahrscheinlichkeit für Einzelmitglieder aus der Unterschicht (13,9 %) beträgt.

Die geringere Bedeutung der Mittel- und Oberschichtzugehörigkeit für Ortsgruppengründungen auf der individuellen Ebene ist in Tabelle 11 dargestellt.33 Für Angehörige der oberen Mittel­schicht, typischerweise höhere Beamte, Freiberufler, Ärzte oder leitende Angestellte, gelten ge­nerell geringere Wahrscheinlichkeiten. Obere Mittelschichtangehörige mit hoher organisatori­scher Eingebundenheit (vier Mitgliedschaften) in das national-völkische Verbandswesen liegen mit einer Wahrscheinlichkeit von 52,1% acht Prozentpunkte unter dem Populationsmittel von 60,6% für Personen vergleichbarer Eingebundenheit (vgl. Tabelle 10). Ähnliches läßt sich auch für die Variable "personelle Eingebundenheit" feststellen. Diese Ergebnisse deuten einerseits darauf hin, daß offensichtlich andere als schichtspezifische Einflüsse für die Gründungswahr­scheinlichkeit einer NSDAP-Ortsgruppe wichtig waren. Das höhere soziale und kulturelle Kapi­tal der Mittel- und Oberschicht, abgesehen von rein ökonomischen Gesichtspunkten, war für die lokale Etablierung der NSDAP durch Einzelmitglieder scheinbar weniger wirkungsvoll als Aspekte, die sich mit Einflußfaktoren aus der Unterschicht (z.B. bei Verkäufern, ungelernten und angelernten Arbeitern, Landarbeitern) und unteren Mittelschicht (z.B. einfache Dienstlei­stungsberufe, Facharbeiter, Arbeiter) in Verbindung bringen lassen.

Andererseits läßt sich die genaue Art dieser Einflußfaktoren mit dem vorhandenen Quellenma­terial nur in groben Umrissen erfassen: ein Anhaltspunkt ergibt sich, wenn bestimmte Wirt­schaftszweige gesondert betrachtet werden. Für Einzelmitglieder aus dem Agrarsektor läßt sich generell eine unterdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit für Ortsgruppengründungen feststellen, während diese im Industriebereich höher ausfällt. So hatten Landarbeiter eine 11 %-Chance, eine Ortsgruppe zu gründen, Fabrikarbeiter hingegen eine 16,3-prozentige. Die Werte beispielsweise für Verkaufspersonal liegen mit 13,9% dazwischen. Wenn ausschließlich Berufe mit hoher Kontaktgelegenheit in die Berechnungen aufgenommen werden, erhöht sich die Wahrschein­lichkeit der Ortsgruppengründung für Industriearbeiter auf 18%. Dies deutet auf Faktoren im unmittelbaren Arbeitsbereich der Einzelmitglieder aus der industriellen Unterschicht hin, höchstwahrscheinlich auf die Möglichkeit auf betrieblicher Ebene oder über nachbarschaftliche Zusammenhänge für die Partei politisch zu werben.

Trotz der schichtspezifischen Unterschiede in der Wahrscheinlichkeit von Ortsgruppengründun­gen sollte hervorgehoben werden, daß absolut betrachtet aufgrund ihres höheren Anteils an den Einzelmitgliedem mehr Ortsgruppen von Mittelschichtangehörigen gegründet wurden als von Angehörigen der Unterschicht. Desweiteren werden Schichtfaktoren vom dominanten Einfluß überschattet, der von der organisatorischen und personalen Eingebundenheit der Einzelmitglie­der ausgeht. Dies wird abermals in Tabelle 11 deutlich. Hier werden die Wahrscheinlichkeiten

Hierbei werden die Werte für die Ausprägung "Obere Mittelschicht" in den Exponentenvektor der Logit- Gleichung eingesetzt und alle anderen Variablen am Mittelwert konstant gehalten. Dadurch läßt sich der Einfluß der spezifischen Merkmalsausprägungen erkennen (siehe auch weitere, in Tabelle 11 dargestellte Merkmalskombina­tionen, die weiter unten besprochen werden).

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Tabelle 11: Wahrscheinlichkeit der Ortsgruppengründung nach Einzelmitgiie-dermerkmalen

Variable

Wahrscheinlichkeit Insge­samt

ObereMittelschicht

%

5,6

Hohe Kontakt­häufigkeit

%

12,4

Keine Einge­bundenheit

%

3,5

Mittlere Einge­bundenheit

%

43,7

Hohe Einge­bundenheit

%

94,1

Soziale SchichtUnterschicht (1) 21,6 6,5 60,0 96,8

Untere Mittelschicht (4) 17,3 5,0 53,3 95,9Mittelschicht (8) 12,7 3,5 44,2 94,2

Obere Mittelschicht (12) 5,6 9,2 2,5 35,5 91,8Oberschicht (16) 6,5 1,7 27,7 88,7

Hohe KontakthäufigkeitJa 9,2 12,4 5,7 56,9 96,4

Nein 4,0 2,5 35,5 91,8

Politische Eingebundenheit

Mitglied der Alt-NSDAP 5,9 13,0 43,7 94,1Kein Mitglied 5,5 12,4 3,5

Organisatorische Eingebundenheitkeine 3,3 7,5 3,5

eine Mitgliedschaft 7,4 16,2zwei Mitgliedschaften 16,1 31,5 43,7drei Mitgliedschaften 31,4 52,3 86,9vier Mitgliedschaften 52,1 72,3 94,1

Personelle Eingebundenheit

keine Namensnennungen 4,3 9,8 3,5eine Namensnennung 7,9 17,0 6,4

zwei Namensnennungen 13,9 28,0 11,4 43,7drei Namensnennungen 23,5 42,4 19,6 89,3

vier Namesnennungen 36,8 58,3 31,6 94,1

Alter bei Parteieintritt20 Jahre 3,8 8,6 2,3 34,0 91,330 Jahre 5,4 12,1 3,3 42,8 93,940 Jahre 7,0 15,4 4,4 49,8 95,350 Jahre 8,4 18,0 5,2 54,5 96,160 Jahre 9,9 20,9 6,2 59,1 96,7

KohorteParteieintritt 1925 6,4 14,1 4,0 47,3 94,8Parteieintritt 1926 5,3 11,9 3,3 42,5 93,8

Parteieintritt 1927 - 1930 4,0 9,1 2,4 35,2 91,7

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der Ortsgruppengründung jeweils für keine, mittlere und hohe Eingebundenheit in politische, organisatorische und personale Netzwerke dargestellt, wobei andere Variablen (soziale Schicht, Kontakthäufigkeit, Alter und Kohorte) jeweils Mittelwerte annehmen. Eindeutig steigt die Wahrscheinlichkeit der Ortsgruppengründung für alle sozialen Schichten, Altersgruppen und Kohorten stark an, wenn sich die Eingebundenheit der Einzelmitglieder erhöht. Bei Angehörigen der Unterschicht und mittleren Unterschicht steigt sie von 5-6,5% bei fehlender Eingebundenheit auf über 95% bei hoher Eingebundenheit. Für Angehörige der oberen Mittelschicht steigen die Wahrscheinlichkeiten von 2,5% auf knapp 92%. Generell fallt die mittlere Wahrscheinlichkeit bei fehlender Eingebundenheit auf 3,5% und steigt für hohe Eingebundenheit auf über 90%, un­abhängig von allen anderen Einflußfaktoren. Mit anderen Worten, jeweils weitgehend unab­hängig von anderen Einflußfaktoren, war bei fehlender Eingebundenheit der Einzelmitglieder eine Ortsgruppengründung höchst unwahrscheinlich, bei hoher Eingebundenheit hingegen äus- serst wahrscheinlich.

Das dritte Ergebnis der logistischen Regression bezieht sich auf den Einfluß der Kontroll­variablen Alter und (Eintritts-)Kohorte. Es zeigt sich, daß die Wahrscheinlichkeit der Orts­gruppengründung für die unter 30-Jährigen unterdurchschnittlich ausfiel, für ältere Einzel­mitglieder hingegen überdurchschnittlich. Gleichzeitig fällt die Wahrscheinlichkeit für die 1925er Kohorte etwas höher aus als für die in den nachfolgenden Jahren eingetretenen Einzel­mitglieder. Für ein 50-jähriges Einzelmitglied der 1925-Kohorte lag die Gründungs­wahrscheinlichkeit bei 13%, für einen 20-Jährigen, der im Jahre 1927 als Einzelmitglied der Partei beitrat, jedoch nur bei 3,7%. Ältere Jahrgänge, die früh der Partei als Einzelmitglied der Partei beitraten, hatten demnach eine höhere Erfolgsquote, unabhängig vom Einfluß anderer Variablen.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die organisatorische und personelle Eingebundenheit der Einzelmitglieder entscheidenden Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit von Ortsgruppen­gründungen hatte. Obwohl sich Schicht-, alters-, und kohortenspezifische Einwirkungen feststel­len lassen, werden diese eindeutig von den Netzwerkeinflüssen übertroffen.

4. Diskussion und Fazit

Die vorangegangene Analyse der Einzelmitglieder der NSDAP möchte zu einem besseren Ver­ständnis der lokalen Ausbreitung und institutionellen Vermittlung des Nationalsozialismus in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre beitragen. Natürlich ist in Aktivitäten der Einzelmitglie­der nicht der Schlüssel für den Erfolg der NSDAP zu finden. Die Untersuchung hat jedoch ge­zeigt, daß sie dazu beitrugen, einen wichtigen Teil des organisatorischen Unterbaus zu schaffen, auf dem sich spätere Erfolge im Mitglieder- und Wählerzuspruch leichter vollziehen konnten. Die hier vorgestellten Daten deuten daraufhin, daß es einer zahlenmäßig relativ kleinen Gruppe von Nationalsozialisten, die meist eng in den völkisch-nationalen Bereich eingebunden war, ge­

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lang, in der Wiederaufbauphase der NSDAP einen beträchtlichen Teil der neu zu schaffenden Ortsgruppen (mit) zu gründen und somit die institutionelle Verankerung der Partei auf lokaler Ebene -wesentlich voranzutreiben. Unsere Ergebnisse untermauern daher eine zentrale E insicht der Bewegungssoziologie, die auf die Rolle von lokalen Vermittlern, Aktivisten, d.h. auf die so­genannten politischen Unternehmer für den Erfolg sozialer Bewegungen hingewiesen hat. Ab­schließend sollen die wichtigsten Ergebnisse diskutiert, zusammenfaßt und auf ihre Implikatio­nen für die sozialwissenschaftliche Forschung hinwiesen werden.

Methodisch läßt sich ein wenden, daß wir mit unserer Entscheidung, in Teilen der Untersuchung auch implizit identifizierte Gründer zu berücksichtigen, Gefahr laufen, passiv an Ortsgrup­pengründungen beteiligte Personen mit zu erfassen. Dies könnte nun dazu fuhren, in der Aktivi­tät marginale, aber sozial durchaus durchschnittliche Personen in ihrer Bedeutung für die Grün­dungen überzubewerten - und damit wiederum die soziale Reichweite der NSDAP in der zwei­ten Hälfte der zwanziger Jahre als zu weitreichend einzuschätzen. Wir sehen dieses Risiko und haben daher in zentralen Punkten nur explizite Gründer in die Analyse mit einbezogen. Deswei­teren zeigen Validitätsuntersuchungen der Gründer-Kategorien, daß sich die Sozialprofile von expliziten und impliziten Gründern unter den Einzelmitgliedem im Sinne der in diesem Beitrag vorgestellten Analysen sehr ähneln - während sich beide signifikant von denen der Nicht- Gründer unterscheiden. Diese quantitative Validierung soll natürlich nicht über die qualitativen Beschränkungen hinwegtäuschen, die sich aus Quellen- und Datenlage ergeben.

Die Bedeutung der Einzelmitglieder war - so unser Ergebnis - für die neugegründete Partei in ihrer Anfangszeit am größten, und in gewisser Hinsicht handelt es sich bei den Einzelmit­gliedem um eine Kategorie, die in dem Ausmaß an Relevanz verlor, in dem es der Partei gelang, sich flächenmäßig zu etablieren. Die Einzelmitglieder halfen dabei der Partei, neues Terrain zu erschließen und in Gemeinden Fuß zu fassen, die bisher nicht in der Parteiorganisation vorhan­den waren - und schafften sich damit als Mitgliederkategorie gleichsam selbst ab. Die Erschlie­ßung neuer NS-Stützpunkte fand dabei typischerweise weniger in großer Distanz zu bzw. geo­graphischer Isolation von bereits bestehenden Parteieinrichtungen und -Organisationen statt. Vielmehr zeigt sich eine ausgesprochene Tendenz, "Zwischenräume", die innerhalb lokaler Par­teiorganisationen und -gliederungen bestanden, zu füllen - eine Tendenz, die sich ab 1926 sogar verstärkte.

Die relative geographische Nähe der Einzel mitglieder zu bestehenden Einrichtungen der Partei deutet auf die zentrale Rolle, welche organisatorischen und persönlichen Netzwerken bei der Institutionalisierung der Partei zukam. Die organisatorische Einbettung der Einzelmitglieder in das institutioneile Gefüge der national-völkischen Vereins- und Verbandslandschaft sowie die persönliche Vernetzung mit der regionalen und nationalen Parteiführung trug wesentlich zu ihrer Effektivität bei der lokalen Verankerung der NSDAP bei. Es war somit die relative Nähe zu und nicht die Isolation von der nationalsozialistischen Bewegung, welche die Institutionalisierung der Partei durch Einzelmitglieder förderte. Verbindungen zwischen nationalistischen und völki­schen Organisationen und die oft scheinbare Trivialität bestehender persönlicher Freundschaften und Bekanntschaften unter NSDAP-Mitgliedem und NS-Sympathisanten bildeten das Funda­ment, auf dem das immer größer werdende Gebäude der Partei gebaut wurde. Die Einzelmit­glieder waren somit in einigen Teilen des Landes die Vorhut einer Bewegung, die sich mit ihrer Hilfe über bereits bestehende Bahnen ausbreiten und die sich auf örtlicher Ebene, zumindest für

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die anfängliche institutioneile Verankerung, auf vorbereitete organisatorische und personelle Netzwerkstrukturen stützen konnte.

Für die Soziologie sozialer Bewegungen lassen sich aus dieser Untersuchung drei wesentliche Schlußfolgerungen ziehen: Erstens wird die Bedeutung von "Bewegungsuntemehmem" für die Ausbreitung und Institutionalisierung sozialer Bewegungen eindrucksvoll unterstrichen. Obwohl die kognitiv-kulturelle und sozial-strukturelle Vermittlung durch die Einzelmitglieder aufgrund der Quellenlage nur annäherungsweise an Fallbeispielen beschrieben werden konnte, können wir anhand der Ergebnisse durchaus annehmen, daß es die Bewegungsunternehmer waren, die auf der lokalen Ebene die notwendige "Vermittelbarkeit" des Nationalsozialismus durch organisato­risches und kulturelles framing aktiv vorangetrieben haben.

Zweitens zeigt sich weiterhin, daß Bewegungsunternehmer nicht aus einem sozialen Vakuum entstehen, sondern weitgehend von bereits existierenden Organisationen und sozialen Netzwer­ken getragen werden. Einzelmitglieder, die Ortsgruppen ins Leben rufen konnten, waren Teil eines komplexen organisatorischen und personellen Netzwerkes, welches weite Teile der anti- republikanischen und anti-demokratischen Kräfte umfaßte. Das nationalistisch-völkische Lager erleichterte die Organisation der NSDAP auf lokaler Ebene, indem auf tradierte Strukturen auf­gebaut und zurückgegriffen werden konnte. Als generelle Akteure des anti-demokratischen, re­publikfeindlichen Protests, als Repräsentanten einer illoyalen und im politischen Kalkül außer­parlamentarischen Opposition waren die Einzelmitglieder eingebettet in die kognitiven und so­zialen Strukturen des nationalistisch-völkischen Milieus. Somit boten sich ihnen günstige Strukturen (opportunity structures) zur Mobilisierung von Protest in die institutioneilen Bahnen der NSDAP. Diese Chance, auf der lokalen Ebene Protestpotential zu entwickeln und auszu­schöpfen, war gerade aufgrund der organisatorischen Schwäche der Parteileitung in München in der Anfangsphase nach der Wiedergründung am größten. Die Bewegungsuntemehmer der NSDAP waren tätig in dem Raum, der sich zwischen dem organisatorisch-personalen Netzwerk der nationalistisch-völkischen Bewegung, d.h. dem “Hindenburg-Milieu”, und dem zentralen Machtanspruch der Reichsleitung in München auftat. Dieser Spielraum für Bewegungsunter­nehmer wurde kleiner in dem Maße, wie es der Parteispitze - insbesondere nach 1928 - gelang, ihren Machtanspruch auch administrativ durchzusetzen, und somit das Hindenburg-Milieu für die Belange der Bewegung umzuformen und zu integrieren.

Der Erfolg einer sozialen Bewegung wird daher - so könnte man schlußfolgern - wesentlich da­von mitbestimmt, ob es gelingt, die Organisationsstruktur verwandter Bewegungen, für die ei­genen Belange vorteilhaft einzubinden. Um Begriffe der Organisationssoziologie aufzugreifen, entstehen damit einerseits für das Wachstumspotential der Bewegung wichtige economies o f scale, indem das Mitgliederreservoir nicht nur erweitert, sondern auch besser erreicht und gün­stiger erschlossen werden kann. Andererseits entstehen durch Verknüpfungen mit den Strukturen anderer Bewegungen und Bewegungsorganisationen economies o f scope, die es erlauben, neue und durchaus unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche für die Zwecke der Bewegung zu ge­winnen und ihr zuzuführen. Die starke Eingebundenheit der Einzelmitglieder in das organisato­rische und personale Geflecht des "rechten Lagers" der Weimarer Zeit und die generelle institu­tionelle Schwäche der demokratischen Parteien und Verbände, einschließlich der republikani­schen Zivilgesellschaft, deuten auf die immensen Vorteile hin, die der Partei im Sinne der eco­nomies o f scale und scope in den späten 20er und frühen 30er Jahren erwuchsen.

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Drittens bleibt hervorzuheben, daß die frühe organisatorische Ausbreitung und Konsolidierung der NSDAP für den weiteren Kurs der Partei von großer Bedeutung war. Bereits zwei Jahre später, im September 1930, nachdem die Gründungsarbeit der Einzelmitglieder weitgehend ab­geschlossen war, erhielt die Partei fast 8 Millionen Wählerstimmen und war in der Lage, Tau­sende von neuen Mitgliedern organisatorisch zu führen. Die organisatorische Kapazität und tiefe räumliche Gliederung der NSDAP war nicht das Werk einer anonymen Masse, sondern stellt das Resultat einer relativ kleinen Gruppe von Aktivisten dar. Für die Bewegungsforschung erscheint es daher wichtig, auch auf die oft immensen Auswirkungen scheinbar unbedeutender lokaler Ereignisse auf die Makroebene zu achten bzw. hinzuweisen. Massenbewegungen - und zu einer solchen ist der Nationalsozialismus nach 1930 herangewachsen - bedürfen eines orga­nisatorischen Unterhaus. Dieser wurde zeitig angelegt von einer kleinen Gruppe von Aktivisten - deren Anzahl sich in der Tat unbedeutend im Verhältnis zur letztendlich mobilisierten Masse ausnimmt.

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Quellen

Bundesarchiv Koblenz

NS 1/2 NS 1/6 NS 1/7 NS 1/342 NS 1/406

NS 1/511 NS 1/1115

NS 1/1117

NS 1/ 2280 NS 22 NS 22/1044

1928-1944 MitgliedswesenÜber MitgliedswesenBeitragswesen, PersonalangelegenheitenSchriftwechsel, Reichsleitung der NSDAP 1926Mitgliederfluktuation 1927-1929;Korrespondenz Reichsschatzmeister Schwarz mit einzelnen Mitgliedern Rundschreiben zu Mitgliedsbeiträgen 1926 - 1933 Reichsschatzmeister der NSDAP; Aufbau und Zuständigkeit der Dienst­stelle 1931 - 1945Bedingungen für Aufnahme in die NSDAP, Austritt, Entlassungen, Ausschluß 1926 - 1944Schwarzfuhrung von Volksgenossen als Mitglied der Partei Reichsorganisationsleiter der NSDAP Schriftwechsel Reichsleitung und Gauleitungen

Sammlung Schumacher 206 NSDAP, München Oberbayem, SchwabenSammlung Schumacher 373 Reichsleitung der NSDAP, Rundschreiben 1925 - 1932

Ehemaliges Berlin Document Center (Bundesarchiv Potsdam, Außenstelle Zehlendorf)

Münchener Mitgliederverzeichnis 1925 - 1930NSDAP MasterfileResearch fliesAkten der ReichskulturkammerParteikorrespondenzAkten des Rasse- und SiedlungshauptamtesAkten des Obersten ParteigerichtsSA-MitgliedsaktenSS-Mitgliedsakten.SN Officer filesAkten anderer Sonderorganisationen

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