Politischer Humanismus und europäische Renaissance · Francesco Petrarca: 04.2017 Staatstheorie...

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Politischer Humanismus und europäische Renaissance Prof. Dr. Alexander Thumfart

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Politischer Humanismus und europäische Renaissance

Prof. Dr. Alexander Thumfart

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Francesco Petrarca:

04.2017 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus 2

Geboren: 20. Juli 1304; Arezzo Gestorben: 19. Juli 1374; Arquà (nahe Padua) Ausbildung: Jura in Bologna und Montpellier Leben: Zunächst aufgewachsen in Florenz, folgt er 1310 seinem verbannten Vater nach Avignon. Während seines Jura Studiums in Montpellier kommt er mit der Dichtkunst in Kontakt. 1326 bricht er sein Studium ab, kehrt nach Avignon zurück und begegnet der verheirateten Laura, welche seine Inspirationsquelle wird. 1336 besteigt er den Mont Ventoux 1337 erwirbt er ein Anwesen in Vaucluse an der Sorgue 1341 wird er in Rom zum Dichter gekrönt Kontakte: Giovanni de’ Dondi; Cola di Rienzo; Boccaccio; Pietro da Moglio Werke: Canzoniere, Secretum meum, De viri illustribus; De remediis utriusque fortunae; De sui ipsius et multorum ignorantia, Epistolae;

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Francesco Petrarca:

04.2017 3 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Satius est autem bonum velle quam verum nosse. Illud enim merito nunquam caret; hoc sepe etiam culpam habet, excusationem non habet. Itaque longe errant qui in cognoscenda virtute, non in adipiscenda (...) tempus ponunt. Besser aber ist es, Gutes zu wollen als das Wahre zu erkennen. Ersteres nämlich entbehrt nie des Lohnes, letzteres ist oft mit Schuld verbunden und lässt keine Entschuldigung zu. Darum verfehlen diejenigen den rechten Weg, die sich damit beschäftigen, das Wesen der Tugend zu erkennen, anstatt selbst tugendhaft zu werden. Petrarca, Über seine und vieler anderer Unwissenheit

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Francesco Petrarca:

04.2017 4 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Weder ist nämlich Sprache ein unbedeutender Ausdruck des Geistes, noch der Geist ohne lenkenden Einfluss auf Sprache. Eines hängt vom anderen ab“. Petrarca 1338 in einem Brief an Tommaso Caloria

„Eine wohlgeordnete Vernunft hingegen ist immer gelassen ruhig, gleichsam in unaufgeregter Heiterkeit: sie weiß, was sie will, und sie hört nicht auf anzustreben, was sie einmal gewollt hat; wenn aller rhetorischer Schmuck am Ende ist, lockt sie aus sich selber die prächtigsten und bedeutungsvollsten Wörter hervor – Wörter, die gewiss mit der Vernunft in Einklang stehen.“ Ebda.

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Francesco Petrarca:

04.2017 5 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Ich habe mit diesen großen Geistern (magnis ingeniis) gespielt (lusi), unüberlegt vielleicht, aber freundlich, mit Wehmut, aber – wie ich bekunden muss – aufrichtig; (...) Vieles an ihnen hat mir gefallen, weniges hat mich gestört“. Petrarca: Brief von 1345

So soll man sich mit Büchern „nicht mit dem Ziel beschäftige(n), Wissen zu erwerben, sondern um gut (boni) zu werden.“ Petrarca: De sui ipsius et multorum ignorantia

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Francesco Petrarca:

04.2017 6 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Unsere Philosophen dagegen (...) stacheln unsere Seele mit den feurigsten Worten und glühendsten Reden an: so werden die Trägen aufgescheucht, die Kalten erhitzt, die Schlafenden geweckt, die Schwachen gestärkt, die Niedergeworfenen aufgerichtet und die am Boden Liegenden zu den höchsten Gedanken und ehrenvollsten Wünschen ermuntern. Und so erreichen sie, dass alles Irdische jeden Reiz verliert, dass man die Laster (vitia) durchschaut und von unendlichem Hass auf sie erfüllt wird, dass man die Tugend (virtus) mit inneren Augen sieht (...) und (...) von wunderbarem Verlangen (...) zum tugendhaften Leben erfüllt wird“. Petrarca, De sui ipsius …

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Francesco Petrarca:

04.2017 7 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Wenn ich an die Angelegenheiten und Schicksale der Menschen denke, die ungewissen und plötzlichen Veränderungen der Dinge betrachte (subitos rerum motus), finde ich kaum etwas Zerbrechlicheres (fragilius) und Ruheloseres (inquietius) als das Menschenleben (mortalium vita). Sehe ich doch, daß die Natur für alle Lebewesen durch ein wunderbares Hilfsmittel gesorgt hat (animantibus naturam miro remedii genere consuluisse), nämlich durch ein Vonsichnichtswissen;“

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Francesco Petrarca:

04.2017 8 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„dass aber allein bei uns Menschen Gedächtnis, Verstand und Voraussicht, göttliche und herrliche Gaben unseres Geistes (animi nostri), zu Verderben und Mühsal ausgeschlagen sind. Wir sind ja immerfort so überflüssigen, nicht nur nutzlosen, sondern schädlichen und unheilbringenden Sorgen verfallen, quälen uns ebenso mit dem Gegenwärtigen (praesenti) wie mit dem Vergangenen (praeterito) herum und schweben in Angst um die Zukunft (futuro)“. Petrarca: De remediis utriusque fortunae

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Francesco Petrarca:

04.2017 9 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Um zunächst aus vielem die Summe zu ziehen: habt ihr denn so wenig Grund zur Freude? Da ist jenes Bildgleichnis Gottes, des Schöpfers, im Inneren der menschlichen Seele (imago illa similitudo Dei Creatoris humana intus in anima); da sind Talent, Gedächtnis, Voraussicht, beredter Ausdruck, so viele Erfindungen (tot inventa), so viel Künste (tot artes), die teils dem Geist, teils dem Körper behilflich, infolge göttlicher Wohltat alle eure Bedürfnisse umfassen! Ferner: soviel Gunst der Umstände und der Bedürfnisbefriedigungen, dazu die ganze Mannigfaltigkeit der Dinge (variae rerum species), die euch nicht nur der Notdurft wegen, sondern auch zur Ergötzung dienen und das auf wunderbare und unaussprechliche Weisen!“ Petrarca: ebda.

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Francesco Petrarca:

04.2017 10 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Wohl lenkt Vernunft (ratio) den Anfang der Ereignisse; doch das Geschehen wird durch das Schicksal (fatum) verändert, und nichts steht der Vernunft mehr entgegen als das Schicksal. So zerreißt dieses ein Gewebe, wie geschickt auch begonnen (ordita), mit Gewalt, noch ehe es fertig ist (ante tempus).“ Petrarca, Reisetagebuch zum Heiligen Grab.

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Francesco Petrarca:

04.2017 11 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Mont Ventoux

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Francesco Petrarca:

04.2017 12 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Mont Ventoux

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Francesco Petrarca:

04.2017 13 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Mont Ventoux

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Francesco Petrarca:

04.2017 14 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Mont Ventoux

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Francesco Petrarca:

04.2017 15 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Mont Ventoux

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Francesco Petrarca:

04.2017 16 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„In der Tat liegt das Leben (vitam), das man das selige nennt (beatam dicimus), auf hohem Gipfel (celso loco), und ein schmaler Pfad, so heißt es, führt zu ihm hin. Auch viele Hügel ragen dazwischen auf, und von Tugend zu Tugend (de virtute in virtutem) muss man mit erhabenem Schritt wandeln; auf dem Gipfel ist das Ende aller Dinge und des Weges Ziel, auf das hin unsere Pilgerreise ausgerichtet ist (in summo finis est omnium et vie terminus ad quem peregrinatio nostro disponitur).“ Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux

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Francesco Petrarca:

04.2017 17 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Und es gehen die Menschen hin, zu bewundern die Höhen der Berge und die gewaltigen Fluten des Meeres und das Fließen der breitesten Ströme und des Ozeans Umlauf und die Kreisbahnen der Gestirne – und verlassen dabei sich selbst“. So die Worte des Augustinus, die Petrarca auf dem Mont Ventoux liest.

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Francesco Petrarca:

04.2017 18 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„In keiner Weise nämlich ist es in diesem Leben (in hac vita) möglich, Gott (...) zu erkennen, die Möglichkeit aber, ihn fromm und glühend zu lieben, besteht; diese Liebe jedenfalls ist immer segensreich (felix semper), die Erkenntnis (cognitio) aber stürzt uns bisweilen ins Unglück (miseria), wie es den Dämonen ergangen ist.“ Petrarca: De sui ipsius …

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Francesco Petrarca:

04.2017 19 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Brief aus Avignon vom Juli 1347 an Cola di Rienzo in Rom: „Et quoniam tu in agendo occuparis, (...) ego tibi, (...) in eam rem ingeniolum hoc et hunc calamum spondeo“. „Und weil Du der Tätigkeit obliegst, (...), will ich selbst, (...), für die gleiche Sache dieses mein Geistlein und diese Feder Dir weihen“. Petrarca, Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises.

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Francesco Petrarca:

04.2017 20 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Doch wie das günstige, so hat auch das widrige Schicksal (fortuna) sein Ende, und wie der früheren so ist auch Eurer eigenen Freiheit ein Verteidiger (uestre libertati defensor) unerwartet erschienen, so dass jede Epoche (etas) ihren besonderen Brutus hat.“

Ebda.

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Francesco Petrarca:

04.2017 21 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Iunior Brute, senioris imaginem ante oculos semper habe!“ Junger Brutus, halte Dir das Leitbild des alten (Brutus) immer vor Augen. „Auf der Freiheit, das müssen alle begreifen, beruht für Euch alles. Dank ihr wird der Händler Sicherheit, dank ihr der Soldat Ehre, der Bauer Fruchtbarkeit, (...) die Studierenden Muße, die Alten Ruhe, die Kinder Grundlagen der Wissenschaft (...), die Frauen sittliche Würde und allesamt Freude (gaudium) erlangen“. „Durch dieses Band (die Liebe zur Freiheit, A.T.) verknüpft, sollt Ihr zusammen-halten, beharrlich, friedfertig, und die Euch von Euren Vätern überlieferten Waffen gegen niemanden als gegen Eure gemeinsamen Feinde richten“. Ebda.

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Francesco Petrarca:

04.2017 22 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Und niemand darf sich fälschlicherweise einreden, diejenigen, die über die Freiheit wachen (pro libertate excubant) und der bisher schutzlosen Republik (deserte Reipublice) beistehen, würden ein Unternehmen, das ihn nichts angehe, betreiben. Seine Sache betreiben sie (suum agunt) (...) Auf dieses dem öffentlichen wie privaten Leben heilsame Unternehmen solltet Ihr, römische Bürger (Romani cives), mit allen öffentlichen und privaten Mitteln bedacht sein“. Ebda.

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Francesco Petrarca:

04.2017 23 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Untersuche, ich bitte Dich, mit größter Sorgfalt, was Du tust; durchforsche (...) welche Rolle (personam) Du übernommen, welchen Namen Du Dir gegeben, welche Hoffnung auf Dich Du geweckt und was Du versprochen hast! Du wirst Dich nicht als Herrn (dominum) des öffentlichen Lebens (Reipublice) erkennen, sondern als seinen Diener (ministrum).“

Ebda.

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Francesco Petrarca:

04.2017 24 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Zu Dir aber sage ich, weil die Geschicke (fata) Dich bei so grossem Werk zum Führer (ducem) bestellen (constituunt): Vollende, wie Du begonnen hast; nichts hast Du zu fürchten“.

Ebda.

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Francesco Petrarca:

04.2017 25 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Kaum von der Kurie abgereist, haben mich Freundesbriefe eingeholt, in denen verlautet, was in grellem Gegensatz zu Deinem Pflichten steht (rerum tuarum discolor) und von Deinem früheren Ruf vollständig abweicht; dass Du nämlich nicht mehr wie früher dem Volk (populum) verbunden seist, sondern der schändlichsten Volksschicht (partem populi pessimam), nur dieser gehorchest, diese umsorgest und diese bewundertest.“ Ebda.

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Francesco Petrarca:

XX.XX.2017 26 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Antwortbrief Cola di Rienzos aus Rom an Petrarca in Vaucluse vom 28. Juli 1347:

„Dank Eurer hochwillkommenen Ermahnungen mittels lobenswerter Beispiele vorbildlicher Ahnen (per exempla laudabilia bonorum veterum) und mittels Vernunftgründen für den Entschluss zu mannhaften Taten, empfinden und empfanden wir uns in höchstem Maße gekräftigt“.

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Francesco Petrarca:

XX.XX.2017 27 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Etsi enim uiri omnes illustres imitandi, non tamen omnia

uirorum illustrium amplectenda sunt. Nemo est qui aliqua in parte non erret sitque sibi ipse dissimilis”.

Auch wenn alle herausragenden Männer nachzuahmen sind, so ist ihnen deshalb doch nicht in allem blind zu folgen (wörtlich: sind sie doch nicht in allem zu umarmen). Denn es gibt niemand, der in Teilen nicht irre und immer so (tugendhaft) handelt, wie er handeln könnte (wörtlich: nicht sich auch unähnlich sei). Ad magnificum Franciscum de Carraria Padve Dominum

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Francesco Petrarca:

XX.XX.2017 28 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Petrarca optiert von Beginn an für eine autokratisch-paternalistische Herrschaftsform, in der es zwar zu einer Art harmonischen Korrespondenz zwischen dem einen Herrscher und den vielen Beherrschten kommen soll, gleichwohl die Bürger insgesamt politisch entmündigt und partizipativ nicht eingebunden sind

Diese institutionell wenig ausdifferenzierte, in ihrer Machtdimension ebenso wenig strukturierte Regierungsform und Handlungspraxis bleibt terminologisch mehr als undeutlich. Trägt sie mit Blick auf Cola di Rienzo und Rom den emphatischen Namen einer „Republik“ (der Freiheit), verzichtet Petrarca im Brief an den Alleinherrscher von Padua auf jegliche Festlegung und spricht nur ganz allgemein vom Gemeinwesen.

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Francesco Petrarca:

XX.XX.2017 29 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Diese Regierungsform unterliegt einer übergeordneten ethischen Norm, die im Kontext des „römischen Experiments“ als Freiheit (libertas), im Gefüge paduanischer Politik als Gerechtigkeit (iustitia) bezeichnet wird. In beiden Fällen dient die ethische Norm als Richtschnur primär politisch-institutionellen Regierungshandelns und zielt weniger auf die Anleitung der Herrschaftsunterworfenen. Beide Leitnormen sind als politische Tugenden bzw. als die jeweilige zentrale politische Tugend (des Herrschers) bestimmt, deren konkrete handlungspraktische Darstellungen zugleich Schritte, Vollzüge sind auf dem Weg ihrer immer deutlicheren Realisierung. Eine vollständige Verwirklichung dieser Leittugend und Leitnorm in dieser Welt der Veränderung wird allerdings nie gelingen.

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Francesco Petrarca:

XX.XX.2017 30 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Beide Leitnormen können von ihrem Status und Inhalt nicht mehr als apriori allgemein und universal-notwendig gültig ausgewiesen werden. Sondern Tugend/Norm werden als historisch begründbar, kontingent, vorläufig und situationsabhängig vorgeführt. Die Norm/Tugend gewinnt Geltung nur über ihre historische Faktizität. Zur praktischen Konkretisierung der Leitnormen ist institutionell verfasstes politisch-tugendhaftes Handeln auf geschichtliche Exempla verwiesen und angewiesen. Diese Orientierung an exemplarischen Verkörperungen politischer Tugendhaftigkeit bleibt jedoch in das Gefüge von imitatio und inventio verspannt. Deshalb dringt auch von dieser Seite der Rezeption und Ausbildung die Kontingenz und Pluralität der Geschichte ein. Die Exempla sind lediglich der (selbst schon kontingenten) Norm verbundene Vorschläge und Orientierungshilfen zur Bewältigung der Gegenwart, keine Sollens-Vorschriften.

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Francesco Petrarca:

XX.XX.2017 31 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Politisch-tugendhaftes Handeln erweist sich gerade in seiner ethischen Normativität, Allgemeinverbindlichkeit und Vorbildhaftigkeit als defizitär. Was politisch-tugendhaftes Handeln in all seinen Dimensionen und Facetten (inklusive möglicher Akteursgruppen) ist und was nicht (mehr), bleibt prinzipiell unbestimmbar und institutionell wie situativ offen.

Nicht eine ewige rationale Ordnungsstruktur, eine Offenbarung, eine gesetzliche Vernunft oder eine überzeitliche Tugendordnung begründet und sichert die Stadt oder das politische Gemeinwesen. Vielmehr gilt nun unauflösbar: Historia magistra res publicae.

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus 32

Geboren: 16. Februar 1331; Stignano Gestorben: 4. Mai 1406; Stignano Ausbildung: Jura in Bologna Leben: Salutati wuchs mit seiner Familie in Bologna auf. Nach seinem Studium arbeitete er als Notar in Bologna, 1351 musste er die Stadt verlassen. 1367 wurde er Kanzler von Todi, 1371 von Lucca. 1375 dann Kanzler von Florenz, was er bis zu seinem Tod blieb. Kontakte: Manuel Chrysoloras (Diplomat/Lehrer von Bruni); Francesco Petrarca; Leonardo Bruni; Pietro da Moglio Werke: Epistolario; De Tyranno; De nobilitate legum et medicinae

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 33 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 34 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Brief an Poggio Bracciolini vom 17. Dezember 1405: „Du wirst mit Freuden sehen, dass diese beiden Jahrhunderte (duo saecula), in die wir geboren wurden, sich ganz beträchtlich von den übrigen unterscheiden und hinter so wenigen zurückstehen (non mediocriter emerserunt sicque sint minora paucis), dass du sie mit gutem Grund bedeutender als die meisten anderen nennen kannst und musst“.

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 35 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Brief an Poggio Bracciolini vom 17. Dezember 1405: „Du wirst mit Freuden sehen, dass diese beiden Jahrhunderte (duo saecula), in die wir geboren wurden, sich ganz beträchtlich von den übrigen unterscheiden und hinter so wenigen zurückstehen (non mediocriter emerserunt sicque sint minora paucis), dass du sie mit gutem Grund bedeutender als die meisten anderen nennen kannst und musst“.

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 36 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Ich dagegen sehe überhaupt keinen Grund für diese Unterscheidung, da ich es nicht für begründet (rationabile) halte, das Wissen oder die Wissenschaft (…) nach dem Wesen der Dinge einzuteilen, die gewusst werden und unter die Wissenschaften fallen.“

Salutati, Vom Vorrang der Jurisprudenz oder Medizin, 1399.

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 37 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Folglich ist der Wille edler als das Erkenntnisvermögen durch die Bedeutung (dignitate) der Befehlsgewalt. Und das das Erkenntnisvermögen nach dem Prinzip seiner Natur derart passiv ist, dass es sich selbst nicht zum Tätigsein (ad agendum) bringen kann, wenn es der Wille nicht befiehlt, und in der Tätigkeit (in actione) nicht verharren kann, wenn es nicht fortlaufend ein Willensakt (voluntatis actus) unterstützt (…), so ergibt sich, dass der Wille, der ja das Treibende und Bewegende ist (agens sit atque movens), edler als das Erkenntnisvermögen ist, das nichts tut, es sei denn auf Geheiß des Willens. Hinzukommt, dass der Wille immer frei ist (voluntas est semper … libera)“.

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 38 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Denn Wissen oder Wissenschaft ist weder ein Erleiden noch eine Haltung noch ein Tun des Dinges, das gewusst wird, sondern ganz allein des erkennenden Intellektes, der der Träger einer solchen Haltung des Wissens ist.“

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 39 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Von dieser Gleichheit im Geist des Menschen wird konstatiert, dass sie als natürliches Gesetz das „gemeinsame Prinzip der menschlichen Handlungen“ sei (communis est ratio actuum humanorum). Dieses Prinzip lasse sich als die goldene Regel oder das Reziprozitätsprinzip formulieren, das etwa auch „die Posaune des Evangelisten (gemeint ist Matthäus) verkündet: ‚Was immer ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tuet auch ihnen’.“

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 40 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Aber, sagst du (Bernardo, A.T.), findet man nicht andere Gesetze (leges) bei anderen Menschen und verschiedene bei verschiedenen und meistens sogar einander entgegengesetzte? Das findet man, ich gebe es zu. Aber wenn sie jenen höchsten Gleichheiten widersprechen und auf diese nicht bezogen werden können, so sind sie überhaupt keine Gesetze (leges omnino non sunt). Wenn sie dagegen am Prinzip der Gleichheit teilhaben, dann stimmen sie im Prinzip überein und unterscheiden sich nur in der Ausgestaltung (instituto).“

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 41 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Was immer hiervon dem menschlichen Geist eingepflanzt ist, muss natürliches Gesetz und Prinzip der Politik genannt werden (naturalis lex et politica ratio dici debet). Was immer die menschliche Erfindung aufstellt (inventio humana constituit), ohne sich von diesem Prinzip zu entfernen, ist die gleiche Sache, vorgeschrieben durch die Verkündigung des menschlichen Gesetzes. Die Politik (politica) zielt auf den Erhalt der menschlichen Gemeinschaft (conservationem humane societatis); auf das gleiche zielt auch das Gesetz“.

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 42 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

„Gehen die Gesetze vielleicht nicht unmittelbar (immediate) aus Erkenntnisvermögen, Verstand und Wille hervor? (…) Nicht das Geringste sucht oder macht er (der die Gesetze aufstellt, A.T.) außerhalb seiner selbst (extra se), um das Prinzip des Gesetzes zu finden. Der erkenntnismäßige Anteil der Seele ist ja für sich selbst genug, um die Gesetze zu begründen (intellectualis portio sufficit ut leges condat).“

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Coluccio Salutati

XX.XX.2017 43 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus

Damit hat Coluccio Salutati der Politik nicht nur ein festes normatives Fundament geschaffen. Sondern er hat auch jenes Defizit gebannt, das sich beim „Vater des Humanismus“ gerade in der Politik so dramatisch gezeigt hat. Politisches Handeln ist nicht mehr auf die Pluralität und Kontingenz von Exempla angewiesen, um an ihnen die immer prekären Orientierungen abzulesen. Ganz im Gegenteil ist es gerade die Politik (als Jurisprudenz), in der sich angesichts der Geschichtlichkeit des Wissens die Normativität des Handelns erweisen lässt. Damit lässt sich politisches Handeln auch nicht mehr durch einen schieren Faktizitätsdiskurs legitimieren. Nicht weil es immer schon so war (Tradition), oder durch diese oder jene Konstellation so geworden ist (Geschichte), nicht durch Abstammung und altehrwürdiges Herkommen ist politisches Handeln gerechtfertigt. Vielmehr liegen Legitimation und Legitimität politischen Handelns einzig in seiner Passung zum und Verankerung im Prinzip der Gleichheit.

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Coluccio Salutati

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“und ihm auf ewig in jener Liebe anzuhängen, die so den Liebenden und den Geliebten vereint, dass, wer in ihr Gott anhängt, ein Geist ist mit ihm, und weil wir dies nicht durch menschliche Wissenschaft oder Spekulation erlangen können, sondern mit Gottes Gnade durch unsere Tugenden und Taten - so ist es sicher, dass auf jenes wahre Glück sich das tätige Leben bezieht, dessen Grundsatz der Wille ist und nicht das spekulative Leben, das vom Erkenntnisvermögen verwirklicht wird.“

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„nulla enim caritas est, que sit cum caritate patrie comparanda“. Salutati (Brief an Andrea di Ser Conte vom 2. Juni 1366). Im selben Sinne auch: „patriam (…), cuius caritas non solum omnes necessitudines amplexa est, sed preterit et excedit“ (Brief an Pietro Turchi vom 11. September 1403). So heißt es im Brief an Ugolino Orsini de’ Conti di Manupello vom 30. September 1369: „incitamur enim exemplo et quodam quasi stimulo ad virtutem impellimur, cum aliorum benefacta legimus vel audimus“. Liebe/Hochschätzung des “Vaterlands” (caritas pro patria) als höchste Tugend. Die Liebe zum Vaterland als Ausfaltung der göttlichen Liebe.

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„Denn obgleich (…) das, was dem Fürsten (principi) gefallen hat und unerschütterliches Recht ist, Gesetzeskraft hat, so ist doch zu beachten, dass hier vom wahren Fürsten (vero principe) die Rede ist, der selbstverständlich nicht durch seine Macht (potentia), nicht durch die Ermächtigung des Volkes allein (auctoritate solum populi) Fürst ist, sondern durch Weisheit und Tugend (sed sapientia, sed virtute). Wer sich nämlich aus Vorsatz oder Irrtum gegen das ewige Prinzip des Gesetzes vergeht (contra legis eternam rationem … commiserit), von dem kann nicht gesagt werden, er habe sich wie ein Fürst verhalten, sondern wie ein Tyrann (tyrannum) oder ein Tor (hominem insensatum).“

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In einem Brief von 1381 an „Carlo di Durazzo, Re di Sicilia e Gerusalemme“ heißt es folgerichtig und ohne jeglichen Widerspruch: „o beatas respublicas, o felicia regna, quorum reges et principes iusti sunt et (…) se legibus subiciunt“. Alle Staatsformen sind dann gerechtfertigt und rechtfertigbar, wenn sie die Idee der Gleichheit im Recht zur Darstellung bringen. Gleichheit in der Herrschaftsbeteiligung ist damit nicht essentiell.

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Salutati beseitigt das Normativitätsdefizit humanistischer Handlungsleitung, indem er die Idee der Gleichheit (equitas) als die einzige a priori gültige Norm allen legitimen sozialen, vor allem aber politischen Handelns und tugendhaften Agierens ausweist. Politisches Handeln hat dem Prinzip zu folgen und in Gesetzen darzustellen. Diese Gesetze sind nur Gesetze, wenn sie dem Prinzip entsprechen, also gleiche Gesetze für prinzipiell Gleiche und für gleiche Handlungsverknüpfungen finden, erlassen und durchsetzen. Mit dieser Herrschaft der Gesetze unter dem Diktat universaler Gleichheit institutionalisiert sich ein Gemeinwesen (res publica), das von sich legitim behaupten kann, frei zu sein bzw. die Freiheit (libertas) zu haben.

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Unter diesen normativen Bedingungen bleibt die Frage der Staatsform innerhalb eines gewissen Bereiches offen. Zwar verfallen alle Staatsformen dem Verdikt, die politisch-soziales Handeln nicht unter die Norm der Gleichheit stellen bzw. sich – wie bei Petrarca – durch nichts anderes als Tradition, Geschichte oder schiere Faktizität zu legitimieren versuchen. Ob eine gleichheits-respektierende Monarchie einer gleichheits-respektierenden Aristokratie oder beiden eine Popolanenherrschaft vorzuziehen ist – um von einer Demokratie gar nicht erst zu reden –, vermag normativ nicht entschieden zu werden. Siehe 19. Jahrhundert: Rechtsstaat ohne Demokratie möglich.

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Der Verbindung von politisch-universeller Norm und spezifischen Staatsformen korrespondiert eine formale Tugendstruktur, die innerhalb legitim verfasster Politik den Bestand und die Einheit der civitas oder res publica garantieren kann. Freundschaft und vor allem die Liebe zum Vaterland sind Haltungen und Handlungsorientierungen, die die Liebe, den Willen zur Gleichheit und letztlich die Liebe zu Gott im (politischen) Sozialverhältnis darstellen. Die notwendige Verknüpfung von Prinzip und Wille, Wissen und Handlungsmovens vermag jedoch nicht die Unschärfen im Tugenddiskurs zu beseitigen. Zwar normativ fixiert, steht die Bestimmung dessen, was hier und jetzt angemessenes tugendhaftes Handeln sei, weiterhin im Geschichtlich-Ungefähren.