Postoperativehandtherapeutische ... · usfraktur, die häufigste Fraktur der oberen Extremität,...

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FACHARTIKEL 6 Zeitschrift für Handtherapie 1/2015 Zusammenfassung Schmerzen, Bewegungseinschrän- kungen im Handgelenk und Kraftver- lust. Dies sind häufige und stark im Alltag einschränkende Symptome einer Instabilität des distalen Radioul- nargelenkes (DRUG). Diese kann als Begleitverletzung einer distalen Radi- usfraktur, die häufigste Fraktur der oberen Extremität, resultieren, oder durch eine isolierte Verletzung des TFCC (triangulärer fibrocartilaginärer Komplex) bedingt sein. Eine Möglich- keit der Stabilisierung des wichtigen Drehgelenkes ist ein operativer Ein- griff in der Technik nach Adams. Anhand eines konkreten Fallbeispiels aus der täglichen Praxis wird nach den anatomischen Grundlagen und der durchgeführten Operationstech- nik unter Verwendung der Gracillis- sehne als freies Sehnentransplantat, die handtherapeutische Nachbehand- lung erläutert. Schlüsselwörter Distales Radioulnargelenk Palmare Instabilität OP-Technik nach Adams Handtherapie Einleitung Mit einer Inzidenz von 2-3 auf 1.000 Einwohner pro Jahr [5] zählt die Frak- tur des distalen Radius mit einem Anteil von 17% zur häufigsten knö- chernen Verletzung des Menschen [10]. Durch einen Sturz auf das pal- mar flektierte (Smith-Fraktur) oder extendierte Handgelenk (Colles-Frak- tur) kommt es, abhängig von der Intensität der Krafteinwirkung und der Handgelenksstellung, zu extra- oder intraartikulären Frakturmustern. Diese werden anhand der Klassifika- tion der Arbeitsgemeinschaft Osteo- synthese (AO) nach ihrer Komplexität eingeteilt. Bei ca. zwei Dritteln aller distalen Radiusfrakturen kommt es zum Auftreten von ossären und liga- mentären Begleitverletzungen des Karpus. Dabei schwanken die Anga- ben zur Häufigkeit abhängig von der Patientengruppe, zwischen 25% und 98% [3]. Dazu gehören Verletzungen des karpalen und radiokarpalen Bandapparates sowie Frakturen der Handwurzelknochen [6]. Zu den häu- figsten Begleitverletzungen zählen Läsionen des Discus ulnocarpalis und des TFCC, die mit einer Destabilisie- rung des distalen Radioulnargelenkes (DRUG) einhergehen. Diese oft schwerwiegenden Begleit- verletzungen können sofort posttrau- matisch symptomatisch werden oder sich erst Jahre später als chronische Instabilität des DRUG manifestieren. Klinisch geben die Patienten Belas- tungsschmerzen und Funktionsein- schränkungen des Handgelenkes an, welche sich erheblich auf das Aktivi- tätsverhalten der Betroffenen auswir- ken und in der Handlungsfähigkeit und Partizipation einschränken. Postoperative handtherapeutische Behandlung nach operativer Stabilisierung des distalen Radioulnargelenkes bei chronischer palmarer Instabilität Johanna Ismaier Praxis für Ergotherapie Felzmann, Unterhaching (München) Dr. Christian Kindler Zentrum für Hand- und Ellenbogenchirurgie, Mikrochirurgie und Plastische Chirurgie, Schön Klinik München-Harlaching Ein Fallbeispiel

Transcript of Postoperativehandtherapeutische ... · usfraktur, die häufigste Fraktur der oberen Extremität,...

  • F A C H A R T I K E L

    6 Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    Zusammenfassung

    Schmerzen, Bewegungseinschrän-

    kungen im Handgelenk und Kraftver-

    lust. Dies sind häufige und stark im

    Alltag einschränkende Symptome

    einer Instabilität des distalen Radioul-

    nargelenkes (DRUG). Diese kann als

    Begleitverletzung einer distalen Radi-

    usfraktur, die häufigste Fraktur der

    oberen Extremität, resultieren, oder

    durch eine isolierte Verletzung des

    TFCC (triangulärer fibrocartilaginärer

    Komplex) bedingt sein. Eine Möglich-

    keit der Stabilisierung des wichtigen

    Drehgelenkes ist ein operativer Ein-

    griff in der Technik nach Adams.

    Anhand eines konkreten Fallbeispiels

    aus der täglichen Praxis wird nach

    den anatomischen Grundlagen und

    der durchgeführten Operationstech-

    nik unter Verwendung der Gracillis-

    sehne als freies Sehnentransplantat,

    die handtherapeutische Nachbehand-

    lung erläutert.

    Schlüsselwörter

    • Distales Radioulnargelenk

    • Palmare Instabilität

    • OP-Technik nach Adams

    • Handtherapie

    Einleitung

    Mit einer Inzidenz von 2-3 auf 1.000

    Einwohner pro Jahr [5] zählt die Frak-

    tur des distalen Radius mit einem

    Anteil von 17% zur häufigsten knö-

    chernen Verletzung des Menschen

    [10]. Durch einen Sturz auf das pal-

    mar flektierte (Smith-Fraktur) oder

    extendierte Handgelenk (Colles-Frak-

    tur) kommt es, abhängig von der

    Intensität der Krafteinwirkung und

    der Handgelenksstellung, zu extra-

    oder intraartikulären Frakturmustern.

    Diese werden anhand der Klassifika-

    tion der Arbeitsgemeinschaft Osteo-

    synthese (AO) nach ihrer Komplexität

    eingeteilt. Bei ca. zwei Dritteln aller

    distalen Radiusfrakturen kommt es

    zum Auftreten von ossären und liga-

    mentären Begleitverletzungen des

    Karpus. Dabei schwanken die Anga-

    ben zur Häufigkeit abhängig von der

    Patientengruppe, zwischen 25% und

    98% [3]. Dazu gehören Verletzungen

    des karpalen und radiokarpalen

    Bandapparates sowie Frakturen der

    Handwurzelknochen [6]. Zu den häu-

    figsten Begleitverletzungen zählen

    Läsionen des Discus ulnocarpalis und

    des TFCC, die mit einer Destabilisie-

    rung des distalen Radioulnargelenkes

    (DRUG) einhergehen.

    Diese oft schwerwiegenden Begleit-

    verletzungen können sofort posttrau-

    matisch symptomatisch werden oder

    sich erst Jahre später als chronische

    Instabilität des DRUG manifestieren.

    Klinisch geben die Patienten Belas-

    tungsschmerzen und Funktionsein-

    schränkungen des Handgelenkes an,

    welche sich erheblich auf das Aktivi-

    tätsverhalten der Betroffenen auswir-

    ken und in der Handlungsfähigkeit

    und Partizipation einschränken.

    Postoperative handtherapeutischeBehandlung nach operativer Stabilisierungdes distalen Radioulnargelenkes beichronischer palmarer Instabilität

    Johanna IsmaierPraxis für Ergotherapie Felzmann, Unterhaching (München)

    Dr. Christian KindlerZentrum für Hand- und Ellenbogenchirurgie, Mikrochirurgie und Plastische Chirurgie,Schön Klinik München-Harlaching

    Ein Fallbeispiel

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    F A C H A R T I K E L

    Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    Anatomie und Biomechanik

    Neben dem proximalen (PRUG), ist

    das distale Radioulnargelenk (DRUG)

    besonders wichtig für die Prona-

    tions- und Supinationsbewegung des

    Armes. Erst diese Umwendbewegun-

    gen ermöglichen der Hand, in allen

    Freiheitsgraden eingesetzt zu werden

    rentia articularis des Ulnarkopfes,

    welche die Gelenkfläche bilden (Abb.

    1). Diese knöchernen Strukturen bie-

    ten nur eine geringe Stabilität, sodass

    ein ligamentärer Bandkomplex die

    Hauptstabilitätsaufgabe übernimmt.

    Der dreidimensional aufgebaute

    ulnokarpale Bandkomplex (TFCC), der

    zwischen dem Ulnakopf und der

    dazugehörigen Handwurzelreihe liegt,

    besteht aus unterschiedlichen Kompo-

    nenten, die zusammen eine funktio-

    nelle Einheit bilden und neben der

    Stabilisation, der axialen Kraftübertra-

    gung auch als Puffer dienen [9].

    Folgende anatomische Strukturen

    beinhaltet der TFCC (Abb. 2):

    • Palmare und dorsale radioulnare

    Bänder (Ligg. radioulnaria palmare

    et dorsale)

    • Discus articularis

    • Ulnokarpale Bänder (Lig. ulnoluna-

    tum, Lig. ulnotriquetum, Lig. colla-

    terale carpi ulnare)

    • Meniscus homologue

    • Sehnenscheide der Sehne des M.

    extensor carpi ulnaris

    Knöchern betrachtet, handelt es sich

    beim distalen Radioulnargelenk um

    ein Rad- bzw. Eigelenk. Während der

    Pro- und Supination bewegt sich

    der im proximalen Radiolunargelenk

    bewegliche Radius gegenüber dem

    unbewegten Ulnakopf. Innerhalb der

    Bewegung kommt es zu einer Trans-

    lationsbewegung des Ulnakopfes von

    der Insisura ulnaris des Radius gegen-

    über, deren Stabilität von extrin-

    sischen Strukturen übernommen

    wird. Neben diesen stabilisierenden

    Kapsel-Band-Strukturen sind für die

    Biomechanik des DRUG ebenfalls die

    Längenvariationen der Ulna im Ver-

    hältnis zum Radius von großer Bedeu-

    tung [2].

    Abb. 1: Schematische Darstellung des DRUG, Ismaier 2015

    Abb. 2: Der trianguläre fibrocartilaginäre Komplex (TFCC), 2003; mit freundlicherGenehmigung durch Prof. Dr. U. Lanz

    und eine Interaktion mit der Umwelt

    einzugehen. Ein funktionierendes

    DRUG sorgt für Stabilität der Hand

    und ermöglich eine normale Kraft-

    übertragung im Handgelenk und

    Unterarm [9].

    Anatomisch besteht dieses distale

    „Umwendgelenk“ aus der Incisura

    ulnaris des Radius und der Circumfe-

  • F A C H A R T I K E L

    8 Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    Kommt es aufgrund einer Verletzung

    des Radius zur Beteiligung des TFCC,

    kann dies zu einer Instabilität des

    Handgelenkes und reduzierter Pro-

    und Supination des Unterarmes füh-

    ren sowie mit einer pathologischen

    Verschieblichkeit des Radius gegen-

    über der Ulna einhergehen. Die be-

    troffenen Patienten klagen klinisch

    über Belastungsschmerzen im DRUG,

    die in der Intensität variieren, einen

    Kraftverlust bei handmotorischen Tä-

    tigkeiten sowie einer eingeschränkten

    Pro- und Supination. Ein Großteil der

    Betroffenen gibt zudem ein Gefühl

    der Instabilität bei forcierten Drehbe-

    wegungen an (z.B. Handhabung

    eines Schraubenziehers, Öffnen fester

    Schraubverschlüsse).

    Fallbeispiel –präoperativer Befund

    Bei dem 34-jährigen Krankenpfleger

    im nachfolgenden Fall lag laut radio-

    logischer und handchirurgischer Dia-

    gnostik eine palmare Instabilität des

    linken distalen Radioulnargelenks vor.

    Diese resultierte aus einer Verletzung

    des TFCC im Rahmen einer 20 Jahre

    zurückliegenden distalen Radiusfrak-

    tur. Herr F. klagte über ein Subluxa-

    tionsphänomen im DRUG bei Belas-

    tung, welches über die Jahre zuneh-

    mend schmerzhaft wurde. Innerhalb

    der klinischen Diagnostik zeigte sich

    eine Einschränkung der Pronation um

    20° zur Gegenseite bei sonst norma-

    ler Beweglichkeit (Tab. 1), was eine

    palmare Instabilität im DRUG unter-

    mauerte. Hierbei kommt es typischer-

    weise durch maximale Supination zur

    dorsalen Luxation des Radius gegen-

    über der Ulna. Diese konnte einfach

    reponiert und das Gelenk auch passiv

    so stabilisiert werden, dass eine Luxa-

    tion vermieden werden konnte. Bei

    Relevante sekundäre degenerative

    Veränderungen (Knorpelschäden)

    waren nicht vorhanden. Daher stellte

    der behandelnde Handchirurg die

    Indikation für eine Stabilisierungsope-

    ration des DRUG.

    Operationstechnik

    Ziel einer operativen Stabilisierung

    des distalen Radioulnargelenkes ist

    das Herstellen einer belastungsstabi-

    len und schmerzfreien Funktion, um

    Tabelle 1

    Präoperativer aktiver ROM (Range of Motion) des Handgelenks

    Bewegungsrichtung rechte Hand(dominante Hand)

    Extension / Flexion

    Pronation / Supination

    70 - 0 - 70

    70 - 0 - 90

    linke Hand(betroffene Hand)

    70 - 0 - 70

    50 - 0 - 90

    der Pronation kam es zur Reposition

    des Gelenks. Ferner zeigte sich kli-

    nisch eine eindrücklich gesteigerte

    Translationsbewegung zwischen Ulna

    und Radius (Steinmann-Test). In der

    durchgeführten apparativen Diagnos-

    tik mittels Röntgen, MRT und CT

    zeigte sich diese Luxation deutlich.

    (Abb. 3).

    Abb. 3: CT der betroffenen Seite prä-operativ bei der Supination

    einen adäquaten Einsatz der Hand im

    beruflichen und privaten Alltag zu

    gewährleisten. Intakte Gelenkflächen

    ohne fortgeschrittene Knorpelschä-

    den sind die Voraussetzung eines

    jeden stabilisierenden Eingriffs.

    Als operative Behandlungsmethode

    mit guten Langzeitergebnissen hat

    sich das Verfahren nach Adams

    bewährt. Die Rekonstruktion der

    distalen radioulnaren Ligamente bie-

    tet laut Adams [1] die beste Möglich-

    keit, um die Ausgangsbedingungen

    und die normale Bewegung des

    DRUG wiederherzustellen. Dazu wird

    der Zugang zum distalen Radioulnar-

    gelenk mittels einer Inzision zwischen

    dem fünften und sechsten Streckseh-

    nenfach durchgeführt, direkt über

    dem streckseitigen Radius und dem

    dorsalen radioulnaren Ligament.

    Dabei wird die Sehne des M. extensor

    carpi ulnaris nicht abgehoben. Des

    Weiteren wird durch einen beugesei-

    tigen Zugang zwischen den Finger-

    beugern und dem ulnaren Gefäßner-

    venbündel der ulnare Rand des dista-

    len Radius von palmar dargestellt. In

    der Regel wird die Sehne des M. pal-

    maris longus über gesonderte Inzisio-

    nen am beugeseitigen Unterarm ent-

    nommen.

    Aufgrund der fehlenden Palmaris lon-

    gus Sehne wurde bei Herrn F. die

    Gracilissehne vom Oberschenkel ver-

    wendet. Diese Sehne wird oft zusam-

    men mit der Sehne des Semitendi-

    nous bei der Rekonstruktion des

  • F A C H A R T I K E L

    9Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    Kreuzbandes verwendet und eignet

    sich aufgrund der günstigen mecha-

    nischen Eigenschaften (Länge, Durch-

    messer, Belastbarkeit und Reißfestig-

    keit) gut als freies Sehnentransplantat

    [8, 11].

    Nach dem Abheben des 4. Streckseh-

    nenfaches erfolgt eine Lochbohrung

    durch den distalen Radius parallel zur

    Gelenkfläche des DRUG sowie eine

    zweite Bohrung durch die distale

    Ulna. Die entnommene Sehne wird in

    palmodorsaler Richtung durch den

    Radius geführt (Abb. 4, 5, 6), unter

    den Resten des TFCC in den Ulnakopf

    eingezogen und auf der Außenseite

    der Ulna wieder ausgeleitet (Abb. 7).

    Hier erfolgt die Fixierung der beiden

    Sehnenschenkel durch Umschlingen

    des Ulnaschaftes und Vernähen der

    beiden Schenkel mit sich selbst [1, 2,

    7]. (Abb. 8). Anhand dieser Technik

    werden die Hauptstabilisatoren des

    TFCC (Ligg. radioulnare dorsale und

    palmare) nahezu anatomisch rekon-

    struiert. In Abhängigkeit der damit

    erreichten Stabilität erfolgt die Fixa-

    tion von Ulna und Radius durch ein

    oder zwei K-Drähte. In diesem Fall

    konnte allein durch die Sehnenplastik

    eine hinreichende Stabilität erreicht

    werden, sodass keine Drähte not-

    wendig waren (Abb. 9).

    Im Anschluss an die Operation erfolg-

    te eine sechswöchige Ruhigstellung

    in leichter Pronationsstellung in einer

    Bowersschiene (Abb. 10). Diese ver-

    hindert eine Pro- und Supination,

    lässt aber eine Flexion und Extension

    im Ellenbogengelenk zu. Nach Ab-

    nahme der Schiene konnte mit den

    aktiven Umwendbewegungen und

    Bewegungsübungen ohne Belastung

    begonnen werden. Für die nächsten

    sechs Wochen musste darauf geach-

    tet werden, die Bewegungen ohne

    forcierten Widerstand durchzuführen.

    Abb. 4: Lage des radialen und ulnarenBohrtunnels nach Adams, Ismaier 2015

    Abb. 7: Intraoperatives Bild der aus-geleiteten Gracillissehne

    Abb. 8: Durchzug des Sehnentrans-plantats durch die Knochentunnelnach Adams, Ismaier 2015

    Abb. 9: seitliche Röntgen-aufnahme

    Abb. 5: Intraoperatives Bild derBohrung durch die Ulna

    Abb. 6: Intraoperative Röntgenauf-nahme Hr. F.

  • F A C H A R T I K E L

    10 Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    Anschließend wurde die zunehmende

    Belastung bis zur Vollbelastung frei-

    gegeben.

    Bei der häufigeren dorsalen Instabi-

    lität kommt es zu einer Luxation des

    Radius nach palmar bei der Pronation

    und einer Reposition des DRUG durch

    maximale Supination. Das operative

    Vorgehen ist identisch, allerdings

    erfolgt die postoperative Ruhigstel-

    lung in leichter Supination.

    HandtherapeutischeNachbehandlung

    Herr F. stellte sich Mitte November

    2014, sechs Wochen postoperativ

    nach der Stabilisierung des distalen

    Radioulnargelenkes in der Technik

    nach Adams, in unserer ambulanten

    Praxis für Ergotherapie zur handthe-

    rapeutischen Nachbehandlung vor.

    Resultierend aus dem handtherapeu-

    tischen Befund konnten folgende Ein-

    schränkungen auf Funktions- und

    Strukturebene festgehalten werden:

    • Eingeschränkter aktiver & passiver

    Range of Motion (Tab. 2, Abb.

    11-14)

    • Narbenadhäsionen am dorsalen

    sowie palmaren Handgelenk

    • Leichte Schmerzen bei Bewegung

    (NRS – Numeric Rating Scale:

    3/10)

    • Leichte Ulnardeviation des Hand-

    gelenks

    • Parästhesien ulnare Handkante

    Auf Aktivitäts- und Partizipationsebe-

    ne schilderte Herr F. vor allem große

    Probleme beim Anziehen und

    Waschen. Dies spiegelte sich auch im

    DASH-Wert (Disabilities of the Arm,

    Shoulder and Hand) mit 67/100,

    wider.

    Im Anschluss an die Befundung

    wurde mit einer Frequenz von 3 mal

    wöchentlich für jeweils 30 Minuten

    mit der Handtherapie begonnen.

    Handtherapeutisch lag der Schwer-

    punkt der Therapie zu Beginn auf ak-

    tiven Übungen, die der Patient selbst-

    ständig durchführen konnte (Ball-

    übung, Bewegen soweit möglich

    ohne Gewicht über die Tischkante)

    sowie auf manualtherapeutischen

    Behandlungstechniken. Auf Grund

    der quantitativ stark eingeschränkten

    Beweglichkeit der Extension und Fle-

    xion, als auch der Pro- und Supina-

    tion durch die lange Immobilisation,

    kamen Gelenktechniken wie Traktion

    und translatorisches Gleiten zum Ein-

    satz. Beginnend mit Traktionsstufe 1

    (Lösen der kapsulären Gleitstörung)

    bis hin zu Traktionsstufe 3 (Dehnen

    der Kapsel) führte dies im Therapie-

    verlauf zu einem gesteigerten aktiven

    und passiven Bewegungsausmaß

    (ROM). Ergänzend wurden Weichteil-

    techniken wie Funktionsmassage,

    Dehnung der Muskulatur, die auf das

    Handgelenk einwirkt, angewandt.

    Durch die operativen Zugänge dorsal

    wie palmar am Handgelenk wirkten

    sich Narbenadhäsionen ebenfalls

    ungünstig auf die Beweglichkeit des

    Handgelenkes und des DRUG aus.

    Mittels manueller Narbenbehandlung

    und Friktionsmassage der Narbe, als

    auch der Anwendung eines gepuls-

    ten Ultraschalls, wurden diese Verkle-

    bungen nach und nach gelöst und

    Abtransportprozesse im Gelenk un-

    terstützt.

    Im Therapieverlauf und nach Belas-

    tungsfreigabe durch den behandeln-

    Tabelle 2

    Postoperativer aktiver / passiver ROM des Handgelenks

    nach der Neutral-Null Methode (aktiv entsprach passiv)

    Bewegungsrichtungrechte Hand

    (dominante Hand)

    Extension / Flexion

    Pronation / Supination

    Radial-, / Ulnarduktion

    70 - 0 - 70

    70 - 0 - 90

    20 - 0 - 30

    linke Hand(betroffene Hand)

    20 - 0 - 30

    30 - 20 - 0

    0 - 0 - 20

    Abb. 10: Bowersschiene

  • Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    F A C H A R T I K E L

    11

    Tabelle 3

    Verlaufs,- und Abschlussmessungen des aktiven ROM

    Bewegungsrichtungrechte Hand

    (dominante Hand)

    Extension / Flexion

    Pronation / Supination

    Radial-, / Ulnarduktion

    70 - 0 - 70

    70 - 0 - 90

    20 - 0 - 30

    linke Hand Nov. 2014Anfangsbefund

    linke Hand Dez. 2014Zwischenbefund

    linke Hand Feb. 2015Abschlussbefund

    20 - 0 - 30 50 - 0 - 45 55 - 0 - 50

    30 - 20 - 0 30 - 0 - 25 80 - 0 - 70

    0 - 0 - 20 20 - 0 - 35 20 - 0 - 35

    Abb. 11: Anfangsbefund Extension

    Abb. 12: Anfangsbefund Flexion

    Abb. 15: Pro-Supinationsbogen aus der neurokognitiven Therapie

    Abb. 13: Anfangsbefund Pronation

    Abb. 14: Anfangsbefund Supination

    den Handchirurgen konnte mit der

    Kräftigung der/des linken Hand/Ar-

    mes begonnen werden. Dafür eigne-

    ten sich therapeutische Medien wie

    verschieden schwere Hanteln (0,5 kg

    bis 3 kg) als auch ein Theraband, ein

    Flexistab oder der Hand-Helper gut

    zur Stabilisierung des Handgelenkes

    und zum Kraftaufbau. Diese Übun-

    gen waren neben der Dehnung, auch

    das häusliche Trainingsprogramm des

    jungen Mannes, welches er gewis-

    senhaft absolvierte.

    Ergänzend zur „klassischen“ Hand-

    therapie wurden Übungen der neuro-

    kognitiven Therapie verwendet.

    Strukturelle Veränderungen durch

    traumatische Verletzungen und gege-

    benenfalls lange Immobilisation füh-

    ren nachweislich nicht nur zu Verän-

    derungen auf Struktur- und Funk-

    tionsebene, sondern auch zu kortika-

    len Veränderungen im Gehirn. Über

    Erkennungsprozesse mit fokussierter

    Aufmerksamkeit, wie das Erkennen

    von Richtung, Distanz, Richtungs-

    wechsel und der Gelenkstellung wäh-

    rend einer Übung, wird die Reorgani-

    sation der betroffenen Extremität im

    zentralen Nervensystem (ZNS) unter-

    stützt, was das physiologische Be-

    wegen erleichtert [4].

    Eingesetzt wurde aus der neurokog-

    nitiven Therapie der Pro- und Supina-

    tionsbogen für die Umwendbewe-

    gungen des linken Armes. Dazu

    wurde der Unterarm passiv von der

    Therapeutin auf vorher besprochene

    Positionen des Rundbogens positio-

    niert. Herr F. sollte ohne visuelle Kon-

    trolle erkennen, in welcher Stellung

    sich sein Arm befindet (Abb. 15).

    Nach kurzer Zeit (10 Minuten) konnte

    Herr F. seinen Unterarm um drei Posi-

    tionen (entspricht ca. 20°) weiter

    supinieren (aktiv & passiv).

  • F A C H A R T I K E L

    12 Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    Nach 30 Behandlungseinheiten konn-

    te aufgrund des normalen Handein-

    satzes im Alltag und Beruf (DASH 30)

    sowie einer sehr guten Verbesserung

    der Gelenkbeweglichkeit (Tab. 3) die

    handtherapeutische Intervention be-

    endet werden.

    Schlussfolgerung

    Entgegen der üblichen Praxis wurde

    als freies Sehnentransplantat die Gra-

    cillissehne verwendet. Diese ist auf-

    grund ihrer mechanischen Eigen-

    schaften sehr gut geeignet, falls die

    Sehne des Palmaris longus fehlt.

    Nachteilig ist die zweite Entnahme-

    stelle an einer weiteren Extremität.

    Durch die Ansatzstelle am Knie kön-

    nen somit als Komplikation Bewe-

    gungseinschränkungen des Knies auf-

    treten.

    Dieses Fallbeispiel zeigt ein besonders

    gutes postoperatives Ergebnis schon

    nach relativ kurzer Nachbehandlungs-

    zeit. Dies beruht sicherlich auf der

    sehr postiven Compliance des Patien-

    ten und seiner intensiven Mitarbeit,

    was als eine entscheidende Grundla-

    ge für einen guten Behandlungsver-

    lauf anzusehen ist. Zudem profitieren

    die Patienten davon, wenn der Thera-

    peut sie intensiv in das therapeuti-

    sche Geschehen mit integriert und sie

    in ein individuelles häusliches Trai-

    ningsprogramm eingewiesen werden.

    Wichtig ist auch das Anstreben eines

    regelmäßigen Informationsaustau-

    sches zwischen Therapeut und be-

    handelndem Handchirurg, wie es bei

    diesem Patienten der Fall war. Herr F.

    profitierte zudem von der Verknüp-

    fung der verschiedenen manuellen,

    thermischen oder neurokognitiven

    Therapiemethoden und Behandlungs-

    konzepte, was sich positiv auf den

    Heilungsverlauf auswirkte.

    Weiterführende Literatur

    1. Adams BD et al. (2002): An

    Anatomic Reconstruction of the

    Distal Radioulnar Ligaments for

    Posttraumatic Distal Radioulnar

    Joint Instability. The Journal of

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    Anzumerken ist, dass eine Verallge-

    meinerung der Nachbehandlungser-

    gebnisse auf andere Fälle nicht eins

    zu eins möglich ist, da viele indivi-

    duelle Komponenten (OP, Therapeut,

    personenbezogene Faktoren des

    Patienten, Umwelt) sich fördernd

    oder hemmend auf den Genesungs-

    prozess auswirken können. Das the-

    rapeutische Vorgehen kann jedoch

    eine Strukturierungshilfe innerhalb

    der handtherapeutischen Nachbe-

    handlung nach Stabilisation des dista-

    len Radioulnargelenkes darstellen.

  • F A C H A R T I K E L

    13Zeitschrift für Handtherapie 1/2015

    Korrespondenzadressen:

    Johanna IsmaierPraxis für Ergotherapie FelzmannOttobrunner Straße 1a82008 Unterhaching / Mü[email protected]

    Johanna Ismaier

    Dr. med. Christian Kindler

    Autoren

    Beruflicher Werdegang

    07/2006 Staatsexamen zur Ergotherapeutin, Erlangen

    08/2006 - 04/2007 angestellte Ergotherapeutin, Praxis für Ergotherapie, Adelsdorf

    04/2007 - 12/2010 fachliche Leitung, Praxis für Ergotherapie, Gräfenberg

    12/2010 zertifizierte Handtherapeutin der Akademie für Handrehabilitation (AfH)

    seit 01/2011 Praxis für Ergotherapie / handtherapeutische SchwerpunktpraxisDAHTH Felzmann, Unterhaching/München,seit 03/2013 fachliche Leitung

    03/2012 Bachelor of Health in Occupational Therapy, Hogeschool Zuyd,Heerlen (Niederlande)

    seit 06/2013 Mitglied im erweiterten Vorstand des Vereins für kognitiveRehabilitation e.V. (VFCR)

    seit 04/2014 Regionalgruppenleiterin der DAHTH in München

    seit 10/2014 2. Vorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft fürHandtherapie e.V. (DAHTH)

    12/2014 Handtherapeutin DAHTH

    Lebenslauf

    07/2003 – 06/2005 Department Chirurgie, Kantonspital Olten (Schweiz)

    07/2005 – 08/2008 Orthopädie, Schön Klinik München Harlaching

    09/2008 – 02/2010 Unfallchirurgie, RoMed Klinikum Rosenheim

    Seit 05/2010 Zentrum für Hand- und Ellenbogenchirurgie, Mikrochirurgie und

    Plastische Chirurgie, Schön Klinik München Harlaching

    09/2010 Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie

    11/2013 Zusatzbezeichnung Handchirurgie

    04/2013 Funktionsoberarzt

    04/2014 Oberarzt

    Dr. med. Christian KindlerZentrum für Hand- und Ellenbogenchirurgie,Mikrochirurgie und Plastische ChirurgieSchön Klinik München-HarlachingHarlachinger Straße 5181547 Mü[email protected]