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Versicherungswirtschaft Heft 7/2006 552 Potenzial des Versicherungs- managements wird verkannt Empirische Studie untersucht das Versicherungsmanagement von Großunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz Sebastian Fischer, Felix Timm, Dr. Sven Wolter, alle Zürich Eine Vielzahl von Risiken wie z.B. stra- tegische, operationelle, legale, politische und andere Risiken gefährden Erfolgsfaktoren von Unternehmen wie Liquidität, Rentabilität und Wachstum. Die Anzahl und Komplexität dieser Unternehmensrisiken steigt durch zunehmende Globalisierung, verzweigte arbeitsteilige Wert- schöpfungsketten, kürzere Innovationszyklen, heterogene Produktportfolios, zunehmende Na- turkatastrophen- und Terrorgefahren. Als Folge wachsen Bedeutung und Aufgabenumfang des Risikomanagements als ergänzende und entlas- tende Funktion der Unternehmensführung. Das Risikomanagement beschäftigt sich mit den Prozessen der Identifikation, Bewertung, Steue- rung und Überwachung von Risiken. Im Rah- men der Risikosteuerung entwickelt es Strategi- en und Maßnahmen zur Vermeidung, Vermin- derung, Überwälzung und Eigentragung der Ri- siken. Das Versicherungsmanagement als Be- standteil des Risikomanagements fokussiert dabei Risiken, die sich prinzipiell einem Trans- fer durch Versicherung erschließen. Aufbau- und ablauforganisatorisch ist das Versicherungsmanagement jedoch in den meis- ten Unternehmen vom Risikomanagement ge- trennt. Häufig werden diese Themen in eigen- ständigen Organisationseinheiten verantwortet, deren Risikobewertungs- und -steuerungspro- zesse unabgestimmt ablaufen. Dabei erfordert die Verschärfung der Risikobedrohung aller- dings die explizite Formulierung und Umset- zung einer integrierten Risiko- und Versiche- rungsstrategie. Zur Überprüfung dieses Postulats hat die De- tecon (Schweiz) AG gemeinsam mit der Universi- tät Hamburg, der Wirtschaftsuniversität Wien und der Universität St. Gallen 54 in Deutschland, Österreich und der Schweiz ansässige Großunter- nehmen aus sieben Branchen zum gegenwärti- gen Stand ihres Versicherungsmanagements be- fragt. Dabei richtete sich der Fokus auf börsenno- tierte und/oder international tätige Unterneh- men, deren Kernkompetenz nicht im Finanz- dienstleistungsbereich angesiedelt ist. Zentrales Ergebnis der Untersuchung: Die ökonomischen und strategischen Potenziale des Versicherungsmanagements werden bisher überwiegend nicht genutzt. Oft dominiert noch die Assoziation, dass sich das Versicherungs- management vorrangig mit dem Einkauf von Versicherungsschutz sowie dem Schadenma- nagement beschäftigt. Dabei kann eine aus den übergeordneten Unternehmenszielen abgeleitete Versicherungs- strategie neben Bilanzschutz und Planungssi- cherheit auch zur Realisierung nachhaltiger Kosteneinsparungen, wie z.B. durch Verringe- rung der Abhängigkeit von den Zyklen des Ver- sicherungsmarkts, beitragen. Die hierzu erfor- derliche fortlaufende Evaluation, Steuerung und Nutzung diverser Optionen der internen und externen Risikohandhabung hat sich noch nicht durchgesetzt. Bilanzschutz und Planungssicher- heit als Hauptmotivation Grundsätzlich stellt sich die Frage, mit wel- cher Motivation Unternehmen Versicherungs- deckungen nachfragen. An erster Stelle nannten die befragten Unternehmen den Bilanzschutz Abbildung 1 Alternative Risikotransferinstrumente zur Optimierung der Risikoabsicherung Abbildung 2 Absicherung vs. Relevanz der versicherbaren Risiken (52 Nennungen), an zweiter die Gewährleistung der Planungssicherheit (35 Nennungen). Beide Aspekte zielen darauf ab, die Ergebnisse des Un- ternehmens zu verstetigen. Während der Bi- lanzschutz auf eine Absicherung von Eventrisi- ken, die über eine geringe Eintrittswahrschein- lichkeit und ein hohes Schadenausmaß defi- niert sind, abzielt, steht bei Planungssicherheit eher die Absicherung gegen die Auswirkungen von Frequenzrisiken, die über eine hohe Ein- trittswahrscheinlichkeit und ein geringes Scha- denausmaß definiert sind, im Vordergrund. Auffällig ist die starke Gewichtung der Pla- nungssicherheit. Es spiegelt die im Manage- ment vieler Unternehmen vorherrschende kon- servative Einstellung im Umgang mit Risiken wieder. Dies impliziert, dass erstens ökonomi- sche Aspekte der Evaluation oft nicht betrachtet werden, zweitens innovative Optionen des Risi- kotransfers oder der -finanzierung zwar be- kannt, aber kaum etabliert sind. Am weitesten verbreitet ist das Instrument des Selbstbehalts (39 Nennungen). Hiernach folgen Instrumente wie Captive (25) und Pools (18). Weitere Trans- feroptionen wie Multi-Line-/Multi-Trigger- Produkte (8 Nennungen), Run-Off- (5 Nen- nungen), Risk-Retention- (4 Nennungen) und Finite-Risk-Lösungen (4 Nennungen) werden kaum eingesetzt. Die Potenziale all dieser Ins- trumente sind damit bei weitem noch nicht ausgeschöpft (s. Abbildung 1). Erst mit einigem Abstand zum Argument der Planungssicherheit folgen auf die offene Fra- ge Aspekte wie Einkauf von Versicherungs- Know-how (10 Nennungen), Bedingung aus Lieferverträgen (9) und rechtliche Vorgaben (6). Fokussierung der klassisch versicherbaren Risiken und Fehleinschätzung nicht- versicherbarer Risiken Die meisten Versicherungsmanager richten ihr Augenmerk vor allem auf die klassisch ver- sicherbaren Haftpflicht-, Sach- und Betriebs- Report

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Versicherungswirtschaft Heft 7/2006552

Potenzial des Versicherungs-managements wird verkanntEmpirische Studie untersucht das Versicherungsmanagementvon Großunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Sebastian Fischer, Felix Timm, Dr. Sven Wolter, alle Zürich

Eine Vielzahl von Risiken wie z.B. stra-tegische, operationelle, legale, politische undandere Risiken gefährden Erfolgsfaktoren vonUnternehmen wie Liquidität, Rentabilität undWachstum. Die Anzahl und Komplexität dieserUnternehmensrisiken steigt durch zunehmendeGlobalisierung, verzweigte arbeitsteilige Wert-schöpfungsketten, kürzere Innovationszyklen,heterogene Produktportfolios, zunehmende Na-turkatastrophen- und Terrorgefahren. Als Folgewachsen Bedeutung und Aufgabenumfang desRisikomanagements als ergänzende und entlas-tende Funktion der Unternehmensführung. DasRisikomanagement beschäftigt sich mit denProzessen der Identifikation, Bewertung, Steue-rung und Überwachung von Risiken. Im Rah-men der Risikosteuerung entwickelt es Strategi-en und Maßnahmen zur Vermeidung, Vermin-derung, Überwälzung und Eigentragung der Ri-siken. Das Versicherungsmanagement als Be-standteil des Risikomanagements fokussiertdabei Risiken, die sich prinzipiell einem Trans-fer durch Versicherung erschließen.

Aufbau- und ablauforganisatorisch ist dasVersicherungsmanagement jedoch in den meis-ten Unternehmen vom Risikomanagement ge-trennt. Häufig werden diese Themen in eigen-ständigen Organisationseinheiten verantwortet,deren Risikobewertungs- und -steuerungspro-zesse unabgestimmt ablaufen. Dabei erfordertdie Verschärfung der Risikobedrohung aller-dings die explizite Formulierung und Umset-zung einer integrierten Risiko- und Versiche-rungsstrategie.

Zur Überprüfung dieses Postulats hat die De-tecon (Schweiz) AG gemeinsam mit der Universi-

tät Hamburg, der Wirtschaftsuniversität Wienund der Universität St. Gallen 54 in Deutschland,Österreich und der Schweiz ansässige Großunter-nehmen aus sieben Branchen zum gegenwärti-gen Stand ihres Versicherungsmanagements be-fragt. Dabei richtete sich der Fokus auf börsenno-tierte und/oder international tätige Unterneh-men, deren Kernkompetenz nicht im Finanz-dienstleistungsbereich angesiedelt ist.

Zentrales Ergebnis der Untersuchung: Dieökonomischen und strategischen Potenzialedes Versicherungsmanagements werden bisherüberwiegend nicht genutzt. Oft dominiert nochdie Assoziation, dass sich das Versicherungs-management vorrangig mit dem Einkauf vonVersicherungsschutz sowie dem Schadenma-nagement beschäftigt.

Dabei kann eine aus den übergeordnetenUnternehmenszielen abgeleitete Versicherungs-strategie neben Bilanzschutz und Planungssi-cherheit auch zur Realisierung nachhaltigerKosteneinsparungen, wie z.B. durch Verringe-rung der Abhängigkeit von den Zyklen des Ver-sicherungsmarkts, beitragen. Die hierzu erfor-derliche fortlaufende Evaluation, Steuerungund Nutzung diverser Optionen der internenund externen Risikohandhabung hat sich nochnicht durchgesetzt.

Bilanzschutz und Planungssicher-heit als Hauptmotivation

Grundsätzlich stellt sich die Frage, mit wel-cher Motivation Unternehmen Versicherungs-deckungen nachfragen. An erster Stelle nanntendie befragten Unternehmen den Bilanzschutz

Abbildung 1 Alternative Risikotransferinstrumente zur Optimierung derRisikoabsicherung

Abbildung 2 Absicherung vs. Relevanz der versicherbaren Risiken

(52 Nennungen), an zweiter die Gewährleistungder Planungssicherheit (35 Nennungen). BeideAspekte zielen darauf ab, die Ergebnisse des Un-ternehmens zu verstetigen. Während der Bi-lanzschutz auf eine Absicherung von Eventrisi-ken, die über eine geringe Eintrittswahrschein-lichkeit und ein hohes Schadenausmaß defi-niert sind, abzielt, steht bei Planungssicherheiteher die Absicherung gegen die Auswirkungenvon Frequenzrisiken, die über eine hohe Ein-trittswahrscheinlichkeit und ein geringes Scha-denausmaß definiert sind, im Vordergrund.

Auffällig ist die starke Gewichtung der Pla-nungssicherheit. Es spiegelt die im Manage-ment vieler Unternehmen vorherrschende kon-servative Einstellung im Umgang mit Risikenwieder. Dies impliziert, dass erstens ökonomi-sche Aspekte der Evaluation oft nicht betrachtetwerden, zweitens innovative Optionen des Risi-kotransfers oder der -finanzierung zwar be-kannt, aber kaum etabliert sind. Am weitestenverbreitet ist das Instrument des Selbstbehalts(39 Nennungen). Hiernach folgen Instrumentewie Captive (25) und Pools (18). Weitere Trans-feroptionen wie Multi-Line-/Multi-Trigger-Produkte (8 Nennungen), Run-Off- (5 Nen-nungen), Risk-Retention- (4 Nennungen) undFinite-Risk-Lösungen (4 Nennungen) werdenkaum eingesetzt. Die Potenziale all dieser Ins-trumente sind damit bei weitem noch nichtausgeschöpft (s. Abbildung 1).

Erst mit einigem Abstand zum Argumentder Planungssicherheit folgen auf die offene Fra-ge Aspekte wie Einkauf von Versicherungs-Know-how (10 Nennungen), Bedingung ausLieferverträgen (9) und rechtliche Vorgaben (6).

Fokussierung der klassischversicherbaren Risikenund Fehleinschätzung nicht-versicherbarer Risiken

Die meisten Versicherungsmanager richtenihr Augenmerk vor allem auf die klassisch ver-sicherbaren Haftpflicht-, Sach- und Betriebs-

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unterbrechungsrisiken. Sie werden in ihremAusmaß als relevant eingeschätzt und dement-sprechend über Versicherungen überwiegendkomplett abgesichert. Haftpflichtrisiken besit-zen dabei die größte Relevanz. Eine eher unter-geordnete Rolle spielt dagegen die wirtschaft-liche Bedrohung durch einen Forderungsaus-fall oder Vertrauensschäden durch Mitarbeiter.Andere Gefahren wie Vermögensschäden durchManagementfehler oder Transportrisiken wer-den nur in einzelnen Branchen versichert(s. Abbildung 2).

Überrascht hat die Einschätzung der Versi-cherungsmanager bezüglich des Anteils derversicherbaren Risiken gemessen am Gesamt-volumen aller Unternehmensrisiken. Die Theo-rie geht von einem 10-15%igen Anteil der versi-cherbaren Risiken am gesamten Risikoportfo-lio des Unternehmens aus, folglich kann durchden alleinigen Transfer der versicherbaren Ri-siken der Bilanzschutz nicht erreicht werden.

Ausgenommen der Firmen der Chemie-und Energiebranche schätzen die Befragtenden Anteil dieser Risiken überraschend geringein: 40 Prozent der Unternehmen gaben an, derAnteil der nicht versicherbaren Risiken läge beimaximal 20 Prozent (s. Abbildung 3).

Begründbar ist diese Fehleinschätzungeinerseits durch die Zusammensetzung des in-terviewten Personenkreises, der mehrheitlichaus Versicherungs- und weniger aus Risikoma-nagern bestand und somit den Fokus auf dieklassisch versicherbaren Risiken hat, sowiezweitens in der geringen aufbau- und ablaufor-ganisatorischen Verzahnung von Risiko- undVersicherungsmanagement und dem dadurcheingeschränkten Dialog dieser Funktionen.Begünstigt wird dies durch den von vielen Un-ternehmen verfolgten Nettoansatz des Risiko-managements, der die Verantwortung für dieklassisch versicherbaren Risiken in das Ver-sicherungsmanagement delegiert, währenddas Risikomanagement die unversicherbarenund stark unternehmensbedrohenden Risikenidentifiziert, bewertet und steuert. Eine inte-grierte Abbildung aller Risiken findet dadurchin vielen Fällen nicht statt.

Die offene Frage nach den bedeutendstenunversicherbaren Risiken wurde mit Unter-nehmensexistenzrisiken, Markt- und Wettbe-werbsrisiken, Reputation und Imageverlust,Regulierungsrisiken, technologische Verände-rungen, Verlust von Schlüsselpersonen, Natur-gewalten, Terror und Krieg beantwortet.

Überversicherungbei Frequenzrisiken

Bei der Entscheidung, welche Deckungs-summen sie für versicherbare Risiken einkau-fen, beziehen Unternehmen in der Regel (1) ge-schätzte Schadenhöhen und (2) Schadenquo-ten (Schäden/Prämie) in ihre Überlegungenein. Das Forschungsteam hat die Unternehmenbefragt, welche Risiko-Bewerbungsverfahrenzur Einschätzung möglicher Schadenhöhenverwandt werden. Aufgrund der einfachenHandhabung hat sich hier weitgehend die Um-satzbewertung etabliert. Sie wird vor allem be-nutzt, um Haftpflicht- und Betriebsunterbre-chungsrisiken einzuschätzen. Sachrisiken be-werten Unternehmen dagegen in erster Liniedurch die Wiederbeschaffungskosten oder denNeuwert. Weniger häufig setzen die BefragtenBenchmarkings ein. Diese auf Erfahrungsaus-tausch basierende Methode wird vor allem ge-nutzt, um Risiken zu bewerten, die durch Ma-nagementfehler entstehen. Schließlich liegenhier in der Regel kaum auswertbare Schaden-daten vor. Kaum etabliert haben sich bisherSzenario- oder Simulationsmethoden. Diesweist erneut auf eine mangelnde Verzahnungdes Versicherungsmanagements mit den klas-sischen Methoden des Risikomanagements hin.

Die einführend dargestellte Motivationzum Einkauf von Versicherungsdeckungenspiegelt sich in den Schadenquoten wider. DieErhebung über die vergangenen drei Jahrezeigt, dass vereinzelte Unternehmen Schaden-quoten von über 100 Prozent aufweisen. DerGroßteil der Unternehmen bezifferte die Scha-denquoten jedoch mit Ausnahme der Haft- undTransportrisiken mit kleiner als 20 Prozent(s. Abbildung 4).

Die Interpretation bedarf einer Detailana-lyse. Der Fokus auf Bilanzschutz, also Ab-sicherung gegen Eventschäden, implizierteine möglichst geringe Schadenquote alsZielgröße, der Fokus auf Planungssicherheithingegen eine möglichst hohe. Die Detailana-lyse ergab, dass auch Unternehmen mit demZielfokus Planungssicherheit geringe Schaden-quoten angaben. Diese Erkenntnis stützt dieThese der Überversicherung von Unternehmenim Bereich der Frequenzrisiken. Eine Optimie-rung der Risikohandhabung durch kennzah-lenbasierte Steuerungsmodelle kann in diesemBereich Kostensenkungspotenziale heben.

Geringe Ausprägung vonSteuerungsmodellen undrudimentäre Datenlage

Um das Versicherungsmanagement steu-ern zu können, überwachen 98 Prozent der be-fragten Unternehmen ihre Versicherungssitua-tion kontinuierlich in den Kategorien Risiken,Schäden und Kosten. Unterschiede werden je-doch bei der Qualität der Informationserhe-bung und -aufbereitung deutlich. Für das Cont-rolling verwenden die meisten Unternehmensowohl externe als auch interne Datenquellen.Der Schwerpunkt liegt jedoch in allen drei Ka-tegorien (Risiken, Schäden, Kosten) deutlichauf internen Informationen, die in erster Liniedie Controlling-Abteilungen, das Risikoma-nagement und die Qualitätssicherung zur Ver-fügung stellen. Externe Daten beziehen die Ver-antwortlichen überwiegend aus dem direktenAustausch mit Kollegen, Foren oder Verbänden,durch Marktbeobachtung oder aus den Statisti-ken der Versicherer. Diese externen Quellen ver-mitteln jedoch häufig sehr allgemeine Infor-mationen, die sich nur bedingt auf das eigeneUnternehmen übertragen lassen. Ratsamerwäre vielmehr ein kontinuierliches Benchmar-king auf Basis fester Größen.

Die Zeitintervalle, innerhalb derer die be-fragten Unternehmen regelmäßig Daten für dasControlling bereitstellen, betragen bei denSchäden ein Quartal, bei der Ermittlung der Ri-

Abbildung 3 Einschätzung der unversicherbaren Risiken Abbildung 4 Entwicklung der Schadenquoten

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sikosituation und der Kosten ein Jahr. Auffälligist jedoch, dass die Mehrzahl der Daten unre-gelmäßig nach Bedarf erhoben wird. Dies legtdie Schlussfolgerung nahe, dass sich routine-mäßig ablaufende, professionelle Prozesse fürdie Steuerung, das Monitoring und das Repor-ting der Versicherungssituation bisher nur inwenigen Unternehmen etabliert haben.

Untermauert wird diese Erkenntnis, wennman betrachtet, dass nur wenige Unternehmenüber ein ausgefeiltes Kennzahlensystem verfü-gen. Ein Drittel der Befragten ermittelt sogarüberhaupt keine Kennzahlen. Um das Versiche-rungsmanagement dennoch steuern zu kön-nen, stützen sich die meisten Unternehmen aufandere Größen. Den Schwerpunkt bilden dabeiabsolute Werte wie Schadenprognosen oderSchaden-, Risiko- und Prämienstatistiken. We-niger als zehn Unternehmen gaben an, zusätz-lich kombinierte Verfahren wie die Ermittlungvon Risikokosten (Cost of Risk) oder andererKey Performance Indikatoren (KPI) einzuset-zen.

Befragt nach dem Aufwand für die Bereit-stellung von Risiko-, Schaden- und Kostenda-ten antwortete knapp die Hälfte der Unterneh-men, dass die Erhebung der Risikodaten sehraufwendig ist. Die Informationen für die Kate-gorien Schäden und Prämien scheinen sichvergleichsweise einfach ermitteln zu lassen.

Unterversicherung bei Eventrisiken

Die rudimentäre Datenlage und der Auf-wand für die Bereitstellung aktueller Informa-tionen scheinen die Haupthindernisse dafür zusein, ein periodisches Controlling im Versiche-rungsmanagement zu etablieren. Neben dieserpauschal geringen Ausprägung des Control-lings kommt speziell bei Eventrisiken hinzu,dass aufgrund ihrer geringen Eintrittswahr-scheinlichkeit kaum Daten für eine Quantifizie-rung und Modellierung vorliegen. Dies führt inder Praxis tendenziell zu einer Unterversiche-rung von Groß- und Katastrophenrisiken. ZurAbsicherung von Großrisiken greifen die Un-ternehmen überwiegend auf Angebote traditi-oneller Erstversicherungsgeber zurück. Mög-lichkeiten der Risikoteilung (sog. Risk SharingFacilities) werden nur durch wenige Unterneh-men genutzt.

Verbesserungspotenzialder IT-Unterstützung

8,5 Mitarbeiter beschäftigen sich im Durch-schnitt bei den befragten Unternehmen mit derDatenerhebung und -auswertung für das Cont-rolling. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dassnur ein Teil der Unternehmen die Datenerfas-sung durch IT-Lösungen unterstützt. Vor die-sem Hintergrund ging das Forschungsteam zu-

nur 33 Prozent über einen Inhouse-Broker.Dementsprechend erfolgt der Einkauf von Ver-sicherungen bei etwa 30 Prozent der Firmen di-rekt beim Versicherer, 35 Prozent kaufen dieseüber einen externen Makler ein. Rund 35 Pro-zent arbeiten mit beiden Varianten. Bei knapp90 Prozent der Unternehmen, die einen Maklereinsetzen, ist dieser gleichzeitig auch für dasVersicherungsmanagement zuständig. Er ver-antwortet damit nicht nur Deckungseinkauf,sondern auch Beratung, Weiterbildung, Cont-rolling und Risikoermittlung.

60 Prozent der Inhouse-Broker werden alsCost Center geführt, die verbleibenden 40 Pro-zent immer noch als Profit Center. Bei 70 Pro-zent der Unternehmen besteht dabei auch derZwang für alle Unternehmensbereiche, Versi-cherungsleistungen ausschließlich über den in-ternen Versicherungsmakler zu beziehen. Dader Makler überwiegend provisionsabhängigbezahlt wird, hat er, als Profit Center organi-siert, das Bestreben, möglichst hohe Versiche-rungsdeckungen einzukaufen. Das Versiche-rungsmanagement hingegen sollte auf Basisökonomischer Ziele im Sinne einer wertorien-tierten Unternehmenssteuerung die Minimie-rung der gesamten Risikokosten verfolgen.Eine bedeutende Steuerungsgröße ist dafür dieRisikoeigentragung, die viele Unternehmen op-timieren wollen. Der dargestellte, aus der Pro-fit-Center-Organisation des Inhouse-Brokersresultierende Zielkonflikt wird durch das For-schungsteam als kritisch betrachtet.

Erfolg einer ganzheitlichenVersicherungsstrategie

Die Entwicklungen der Risikobedrohung,Ausweitung der Optionen der Risikofinanzie-rung, Intensivierung der Zyklen des Versiche-rungsmarkts, Transformation unversicherba-rer in versicherbare Risiken sowie Steuerungs-modelle sind nur einige Gründe, warum die Be-deutung und der Umfang des Versicherungs-managements in deutschsprachigen Großun-ternehmen zunehmen werden.

Die Unternehmensleitung ist daher gefor-dert, professionelle Strukturen zu schaffen undeine unternehmensweite, aus der Unterneh-mensstrategie abgeleitete Versicherungsstrate-gie zu entwickeln. Zur Realisierung strategi-scher und ökonomischer Potenziale sollten Un-ternehmen vor allem auf eine gezielte Datener-hebung, -archivierung und -analyse setzen undSteuerungsmodelle entwickeln, die sämtlicheOptionen der internen und externen Risiko-handhabung evaluieren. Erfolgskritisch wirddie enge Verzahnung des Versicherungsma-nagements mit dem Risikomanagement. Nureine ganzheitliche Identifikation, Bewertung,Steuerung und Kontrolle der Unternehmensri-siken versetzt das Management in die Lage, ein

sätzlich der Frage nach, ob und welche Art vonIT-Systemen in den Unternehmen genutzt wer-den. Knapp 70 Prozent der Befragten setzenüberwiegend selbst entwickelte Software ein.Dabei schätzen mehr als 60 Prozent der Unter-nehmen den Automatisierungsgrad ihrer IT-Lösungen als gering ein. Das lässt sich dadurcherklären, dass die hauptsächlich genutzten In-dividuallösungen fast ausschließlich auf Of-fice-Programmen beruhen und damit bei wei-tem nicht der Leistungsfähigkeit modernerStandardsysteme oder Data Warehouses ent-sprechen.

Versicherungsmanagementals zentrale Aufgabe

Eine entscheidende Rolle für die Effektivi-tät und Effizienz des Versicherungsmanage-ments spielt auch dessen aufbauorganisatori-sche Verankerung in der Unternehmung. AlleBefragten gaben hierbei an, dass diese Funkti-on in ihrem Unternehmen zentral angesiedeltund mehrheitlich dem Geschäftsleitungsres-sort „Finanzen“ zugeordnet ist. Bei 61,5 Pro-zent der Firmen ist sie auf der zweiten Füh-rungsebene verankert mit einer Berichtsliniezur höchsten Führungsebene. Hinterfragt wur-de auch, welche wesentlichen Aufgaben des Ver-sicherungsmanagements (Festlegung der Ver-sicherungsstrategie, Risikobewertung, Versi-cherungseinkauf, Schadensabwicklung, Moni-toring, Reporting) zentral, dezentral oder ex-tern wahrgenommen werden. Mehrheitlichzentral erfolgen die Festlegung der Versiche-rungsstrategie, das Monitoring und das Repor-ting. Die Aufgabenfelder Risikobewertung, Ein-kauf von Versicherungsleistungen und Scha-densabwicklung sind zwar bei der Mehrheit derBefragten ebenfalls zentral organisiert, werdenjedoch dezentral bzw. extern unterstützt.

Die zentrale Definition und Durchsetzungder Versicherungsstrategie wird durch denGroßteil der Unternehmen als wesentlicher Er-folgsfaktor für ein effektives und effizientesVersicherungsmanagement betrachtet. Dabeiist die enge Zusammenarbeit mit den Fachab-teilungen unabdingbar.

Doch hat das Versicherungsmanagement ineinigen Fällen noch nicht den geforderten Pro-fessionalisierungsgrad: Die Aufgaben des Ver-sicherungsmanagements werden zusätzlich zuanderen, primären Funktionen wahrgenommen.

Potenzielle Zielkonflikte beiVersicherungsstrategieund Versicherungseinkauf

Während in der Schweiz etwa 50 Prozentder Unternehmen einen Inhouse-Broker ein-setzen, sind es in Deutschland über 60 Prozent.Bei der österreichischen Stichprobe verfügen

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realistisches Bild der tatsächlichen Risikolagezu erstellen. Und nur dann haben Firmen dieChance, sich fallweise von der klassischenÜbertragung auf Erstversicherer zu lösen undgünstigere Optionen der internen und externenRisikohandhabung zu nutzen.

Bei vielen Unternehmen lässt sich eine Op-timierung der Risikokosten durch Erhöhungder Eigentragung erzielen. Die Erhöhung derEigentragung führt jedoch kurzfristig zu einerErhöhung des finanziellen Risikos. Emotionaleund anreizgetriebene Faktoren begünstigen ein

risikoaverses Verhalten des Managements. Die-se psychologische Hürde kann nur überwun-den werden, wenn die Risikodiskussion konso-lidiert geführt wird. Nur gemeinsam durch Ver-sicherungsmanagement, Risikomanagementund Treasury können eine ökonomische Argu-mentation durch Gegenüberstellung von Risi-kotransferprämien und Finanzierungskondi-tionen des Unternehmens geführt und die rea-len Eigentragungsvorteile dargestellt werden.So erfolgt bei Best-Practice-Unternehmen dieDiskussion mit Unternehmensleitung und

Treasury über „Risk Exposure“ und „Risk Hed-ging“. Die Nutzung dieser strategischen undökonomischen Potenziale ist somit nur durchein integriertes Risiko- und Versicherungsma-nagement realisierbar.

Die Autoren: Sebastian Fischer (ProjektleiterFinance & Risk Management), Felix Timm (GroupHead Finance & Risk Management), Dr. Sven Wolter(Group Head ICT Management), alle Detecon(Schweiz) AG.