Präzisionsmessung der Gravitations-Rotverschiebung

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164 | Phys. Unserer Zeit | 4/2010 (41) www.phiuz.de © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim TREFFPUNKT FORSCHUNG | Störung wurde die Strömung direkt stromaufwärts des Puffs verwirbelt. Somit existiert keine laminare Strö- mung mehr, die den Puff mit Energie versorgen und neue Wirbel erzeugen könnte. Folglich kann sich die Tur- bulenz nicht weiter ausbreiten und verliert stromabwärts kontinuierlich Energie, bis die Strömung wieder vollständig laminar ist. Der Zerfall des Puffs findet auf ei- ner Strecke von etwa 60 Rohrdurch- messern statt. Die Zeit die dabei ver- geht, hängt vom Rohrdurchmesser und der Reynolds-Zahl ab. In unse- rem Beispiel betrug sie etwa 3 s. Letztendlich konnte vollständig verhindert werden, dass turbulente Puffs in das Gebiet hinter der Kon- trollstelle vordringen. In dem rest- lichen Rohr reduziert sich hierdurch der Reibungswiderstand um circa 15 %. Die Kontrollstörung kostet nur etwa ein Fünftel der eingesparten Energie, so dass schon bei niedrigen Geschwindigkeiten die Energiebilanz positiv ist. Im Experiment ließ sich diese Kontrollmethode nur für Strömungs- geschwindigkeiten anwenden, bei denen sich Turbulenz nicht im gesam- ten Rohr ausbreitet. Allerdings gelang es in Computersimulationen durch eine gezielte Beeinflussung des Geschwindigkeitsprofils die Wirbel- produktion auch bei erheblich höhe- ren Geschwindigkeiten zu unter- binden, was zum sofortigen Zerfall der Turbulenz führte (Abbildung 2, einen Film dazu können Sie auf www.phiuz.de, Zusatzmaterialien zum Heft, downloaden). Die Heraus- forderung besteht nun darin Wege zu finden, diese Kontrollmethode auch experimentell bei höheren Fluss- geschwindigkeiten zu realisieren. [1] B. Hof et al., Science 2010, 327, 1491. [2] B. Hof et al., Nature 2006, 443, 59. [3] B. Eckhardt et al., Physik in unserer Zeit 2006, 37 (5), 212. Björn Hof, MPI für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen; Tobias M.Schneider, Harvard University, Cambridge, USA. radioaktiver Gammastrahlung in ei- nem 20 m hohen Turm. Sehr anschau- lich war das Experiment von Joseph Hafele und Richard Keating, die mit vier Atomuhren um die Welt flogen [2]. Der bisher genaueste Test [3] erreichte eine Genauigkeit von 7 10 –5 . Hier wurde eine Atomuhr in einer Scout-Rakete auf eine Höhe von 10 000 km geschossen. Da die Rakete sich schnell bewegte, musste zudem die Zeitdilatation, die die spezielle Re- lativitätstheorie für bewegte Objekte vorhersagt, abgezogen werden. Eine neue Bestimmung [4] der Rotverschiebung beruht auf dem Welle-Teilchen-Dualismus der Quan- tenmechanik. Die Frequenz von Ma- teriewellen beträgt nach de Broglie E/h, wobei E die Energie und h die Planck-Konstante bezeichnen. Für die Energie des Teilchens setzen wir Einsteins Relation E = mc 2 mit der Teilchenmasse m ein. Die resultieren- de Frequenz f C = mc 2 /h wird Comp- ton-Frequenz genannt. Sie ist so groß, dass sie nicht direkt messbar ist. Für Dieser Effekt sollte beispielsweise die Frequenz von Strahlungsübergän- gen in Atomen auf der Sonne relativ zu Atomen auf der Erde verringern, da an der Sonnenoberfläche ein we- sentlich geringeres Potential U vor- liegt. Die Verringerung der Frequenz (entsprechend einer Verlangsamung der Zeit) entspricht einer Vergröße- rung der Wellenlänge. Man bezeich- net diesen Effekt deshalb als Gravita- tions-Rotverschiebung. Der erste Test im Jahre 1965 er- reichte etwa 1 % Genauigkeit [1]. Er beruhte auf der Frequenzänderung RELATIVITÄTSTHEORIE | Präzisionsmessung der Gravitations-Rotverschiebung Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie verlangsamt die Schwerkraft den Ablauf der Zeit. Diese Vorhersage konnten Wissenschaftler aus Berkeley, Berlin und Washington, D.C. mit einem Atominterferometer an der Stanford University bis auf 7 10 –9 bestätigen. Es ist damit der bislang genaueste Test der Gravitations-Rotverschiebung. Bringt man eine Uhr in das Gravita- tionsfeld U eines schweren Körpers, so wird sich die Frequenz f ihres Tickens im Vergleich zur Frequenz einer gleichen, aber weiter von dem schweren Körper entfernten Uhr verlangsamen. Die Frequenzänderung berechnet sich nach Δf/f = ΔU/c 2 , wobei ΔU den Unterschied des Gra- vitationspotentials und c die Licht- geschwindigkeit bezeichnen. Nahe der Erdoberfläche ist ΔU = gh durch die Fallbeschleunigung g = 9,8 m/s 2 und den Höhenunterschied h ge- geben. Abb. 2 Zerfallende Turbulenz in numerischen Simulationen (Strömung von links nach rechts). Die Bilder zeigen die Wirbelstärke zu sechs verschiedenen Zeitpunkten. Die Kon- trolle wird zwischen Bild 1 und 2 angeschaltet und kurze Zeit später (unterstes Bild) ist die Turbulenz zerfallen (Bild: M. Avila, MPI Göttingen).

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Störung wurde die Strömung direktstromaufwärts des Puffs verwirbelt.Somit existiert keine laminare Strö-mung mehr, die den Puff mit Energieversorgen und neue Wirbel erzeugen

könnte. Folglich kann sich die Tur-bulenz nicht weiter ausbreiten undverliert stromabwärts kontinuierlichEnergie, bis die Strömung wiedervollständig laminar ist.

Der Zerfall des Puffs findet auf ei-ner Strecke von etwa 60 Rohrdurch-messern statt. Die Zeit die dabei ver-geht, hängt vom Rohrdurchmesserund der Reynolds-Zahl ab. In unse-rem Beispiel betrug sie etwa 3 s.

Letztendlich konnte vollständigverhindert werden, dass turbulentePuffs in das Gebiet hinter der Kon-trollstelle vordringen. In dem rest-lichen Rohr reduziert sich hierdurchder Reibungswiderstand um circa15 %. Die Kontrollstörung kostet nuretwa ein Fünftel der eingespartenEnergie, so dass schon bei niedrigenGeschwindigkeiten die Energiebilanzpositiv ist.

Im Experiment ließ sich dieseKontrollmethode nur für Strömungs-geschwindigkeiten anwenden, bei

denen sich Turbulenz nicht im gesam-ten Rohr ausbreitet. Allerdings gelanges in Computersimulationen durcheine gezielte Beeinflussung desGeschwindigkeitsprofils die Wirbel-produktion auch bei erheblich höhe-ren Geschwindigkeiten zu unter-binden, was zum sofortigen Zerfallder Turbulenz führte (Abbildung 2,einen Film dazu können Sie aufwww.phiuz.de, Zusatzmaterialienzum Heft, downloaden). Die Heraus-forderung besteht nun darin Wege zufinden, diese Kontrollmethode auchexperimentell bei höheren Fluss-geschwindigkeiten zu realisieren.

[1] B. Hof et al., Science 2010, 327, 1491.[2] B. Hof et al., Nature 2006, 443, 59.[3] B. Eckhardt et al., Physik in unserer Zeit

2006, 37 (5), 212.

Björn Hof, MPI für Dynamik undSelbstorganisation, Göttingen;Tobias M. Schneider, Harvard

University, Cambridge, USA.

radioaktiver Gammastrahlung in ei-nem 20 m hohen Turm. Sehr anschau-lich war das Experiment von JosephHafele und Richard Keating, die mitvier Atomuhren um die Welt flogen[2]. Der bisher genaueste Test [3]erreichte eine Genauigkeit von7 ⋅ 10–5. Hier wurde eine Atomuhr ineiner Scout-Rakete auf eine Höhe von10 000 km geschossen. Da die Raketesich schnell bewegte, musste zudemdie Zeitdilatation, die die spezielle Re-lativitätstheorie für bewegte Objektevorhersagt, abgezogen werden.

Eine neue Bestimmung [4] derRotverschiebung beruht auf demWelle-Teilchen-Dualismus der Quan-tenmechanik. Die Frequenz von Ma-teriewellen beträgt nach de BroglieE/h, wobei E die Energie und h diePlanck-Konstante bezeichnen. Für dieEnergie des Teilchens setzen wirEinsteins Relation E = mc2 mit derTeilchenmasse m ein. Die resultieren-de Frequenz fC = mc2/h wird Comp-ton-Frequenz genannt. Sie ist so groß,dass sie nicht direkt messbar ist. Für

Dieser Effekt sollte beispielsweisedie Frequenz von Strahlungsübergän-gen in Atomen auf der Sonne relativzu Atomen auf der Erde verringern,da an der Sonnenoberfläche ein we-sentlich geringeres Potential U vor-liegt. Die Verringerung der Frequenz(entsprechend einer Verlangsamungder Zeit) entspricht einer Vergröße-rung der Wellenlänge. Man bezeich-net diesen Effekt deshalb als Gravita-tions-Rotverschiebung.

Der erste Test im Jahre 1965 er-reichte etwa 1 % Genauigkeit [1]. Erberuhte auf der Frequenzänderung

R E L AT I V I T Ä T S T H EO R I E |Präzisionsmessung der Gravitations-Rotverschiebung Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie verlangsamt die Schwerkraftden Ablauf der Zeit. Diese Vorhersage konnten Wissenschaftler ausBerkeley, Berlin und Washington, D.C. mit einem Atominterferometeran der Stanford University bis auf 7 ⋅ 10–9 bestätigen. Es ist damit derbislang genaueste Test der Gravitations-Rotverschiebung.

Bringt man eine Uhr in das Gravita-tionsfeld U eines schweren Körpers,so wird sich die Frequenz f ihresTickens im Vergleich zur Frequenzeiner gleichen, aber weiter von demschweren Körper entfernten Uhrverlangsamen. Die Frequenzänderungberechnet sich nach Δf/f= ΔU/c2,wobei ΔU den Unterschied des Gra-vitationspotentials und c die Licht-geschwindigkeit bezeichnen. Naheder Erdoberfläche ist ΔU = gh durchdie Fallbeschleunigung g = 9,8 m/s2

und den Höhenunterschied h ge-geben.

Abb. 2 Zerfallende Turbulenz in numerischen Simulationen(Strömung von links nach rechts). Die Bilder zeigen dieWirbelstärke zu sechs verschiedenen Zeitpunkten. Die Kon-trolle wird zwischen Bild 1 und 2 angeschaltet und kurze Zeitspäter (unterstes Bild) ist die Turbulenz zerfallen (Bild: M.Avila, MPI Göttingen).

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Cäsiumatome beispielsweise beträgtsie 3 · 1025 Hz.

In unserem Experiment [5]wurden Cäsiumatome im Grundzu-stand mit Hilfe einer magnetoopti-schen Falle präpariert. Dort befindensie sich zunächst im freien Fall. ZumZeitpunkt t0 trifft sie entgegen derFallrichtung ein kurzer Laserpuls (Ab-bildung 1). Wenn ein Atom mit die-sem Laserblitz wechselwirkt, dannerfährt es einen Rückstoß durch denPhotonenimpuls hc/λ, der durch dieWellenlänge λ des Lasers gegeben ist.(In der Praxis werden zwei Photonenausgetauscht, der Impulsübertragbeträgt also 2 hc/λ.)

Die Intensität des Pulses wird sogewählt, dass jedes Atom mit etwa50 % Wahrscheinlichkeit ein Photonabsorbiert. Das Atom tritt nun ineinen Überlagerungszustand ein: Esbehält entweder die alte Flugbahnbei, oder es bewegt sich mit einerzusätzlichen Geschwindigkeit voncirca 7 mm/s nach oben. Zu einemspäteren Zeitpunkt t0+T wird einzweiter Laserpuls eingestrahlt, der dieAtome auf dem oberen Pfad wiedernach unten lenkt, während der unte-re Pfad einen Rückstoß nach obenerfährt. Wenn die Pfade sich zumZeitpunkt t0+2T wieder treffen, wirdein dritter Puls eingestrahlt, der dieMateriewellen wieder vereinigt.

In der Zeit zwischen dem erstenund dem dritten Puls erhöht die

Gravitations-Rotverschiebung dieFrequenz der Materiewellen desoberen Pfades um fC(ΔU/c2) relativzum unteren. Das führt insgesamt zu einer Phasenverschiebung ϕ =2πcgT2/λ. Hinzu kommen nochPhasenverschiebungen als Folge derspeziell-relativistischen Zeitdilatationund der Laser-Atom-Wechselwirkung.Diese heben sich aber gegenseitigauf. Das gilt auch dann noch, wenndie Rotverschiebung oder auch dieFallbeschleunigung auf Grund modi-fizierter physikalischer Gesetze ver-ändert sind [4].

Je nach der Phasendifferenz ϕ derWellen kommt es bei der Zusammen-führung der beiden Atomwolken zurInterferenz. In Abhängigkeit von derPhasendifferenz ϕ entsteht so eineWelle mit großer oder kleiner Ampli-tude. Die Wahrscheinlichkeit P dasAtom zu detektieren, hängt vomQuadrat dieser Amplitude ab, wobeiP proportional zu cos2(ϕ) ist.

Im Experiment haben wir P über die Fluoreszenz der Atome be-stimmt und daraus ϕ und schließlichdie Rotverschiebung ermittelt. DasErgebnis ist Δf/f = (1,090322683 ±0,000000003) · 10–16 pro MeterHöhenunterschied. Dies ist im Rah-men eines Messfehlers von 7 · 10–9 inÜbereinstimmung mit dem theore-tischen Wert von (1,090322675 ±0,000000006) · 10–16 / m, der auseiner genauen Messung der Fall-

beschleunigung ermittelt wurde(Abbildung 2).

Die beiden Atomwolken sind indem Experiment nur für 2T = 0,32 sgetrennt. Dabei vergeht für dieAtome auf der oberen Bahn nur etwa2 · 10–20 s mehr Zeit als für die aufder unteren. Würde man diese Zeit-spanne auf das Weltalter von etwa14 Mrd. Jahren ausdehnen, so betrügedie relativistische Zeitdifferenz nuretwa 1/50 s. Dieser winzige Effektließ sich nur wegen der hohenCompton-Frequenz messen.

Die Messung bestätigt also dieAllgemeine Relativitätstheorie unddie Vorstellung, dass Schwerkrafteine Folge der gekrümmten Raumzeitist. Gleichzeitig setzt sie möglichenalternativen Theorien enge Grenzen.Daneben ist die Gravitations-Rotver-schiebung für den internationalenVergleich von Atomuhren oder auchfür das Global Positioning System vonpraktischer Bedeutung.

[1] R. V. Pound, J. L. Snider, Phys. Rev. B 1965,140, 788.

[2] J. Hafele, R. Keating, Science 1972, 177,168.

[3] R. F. C. Vessot et al., Phys. Rev. Lett. 1980,45, 2081.

[4] H. Müller, A. Peters, S. Chu, Nature 2010,463, 926.

[5] A. Peters, K. Y. Chung, S. Chu, Nature 1999,400, 849.

Holger Müller, Uni Berkeley, USA;Achim Peters, HU Berlin

A B B . 1 | ATO M I N T E R F E RO M E T E R

In dem Schema des Atominterferometers symbolisieren dieblauen Wellen die Schwingungen der Materiewellen auf denbeiden Pfaden. Die roten Pfeile deuten die Laserstrahlen an.

10-7

10-5 10-3 10-1 101 103 105 10710-9

10-7

10-5

10-3

10-1

Mössbauer [1]

GP-A [3]

Cs-Interferometer (diese Analyse)

Atomuhren auf Reise [2]

Bloch-Oszillationen

Bloch-Oszillationen

Höhe / m

Gen

auig

keit

A B B . 2 | M E S S U N G E N I M V E RG L E I C H

Genauigkeit verschie-dener Messungen derRotverschiebung überdem vertikalen Ab-stand der verwendetenUhren. Bloch-Oszilla-tionen von Atomen in optischen Gitternermöglichen eineweitere Messung derRotverschiebung fürextreme kleine Distan-zen (nach [4]).