Pressekonferenz: Statement von Dr. Jens Baas zur TK-Stressstudie "Bleib locker, Deutschland!" (30....

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Statement Dr. Jens Baas Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse zur Vorstellung der TK-Stressstudie "Bleib locker, Deutschland!" am 30. Oktober 2013 in Berlin ____________________________________________________________________ __________________________________________________________________________ Seite 1 von 4 Gestresst zu sein, gehört heute fast zum guten Ton – und als "Workaholic" zu gelten, scheint beinahe ein Kompliment zu sein. Denn wer Stress hat, ist gefragt. Und: Stress ist ja auch nicht per se negativ. Richtig dosiert steigert er unsere Leistungsfähigkeit und kann geradezu beflügeln. Der Mensch braucht Adrenalin, um leistungsfähig zu sein, und die Gesellschaft braucht Stress, um sich weiterzuentwickeln. Positiver Stress und Kreativität hängen eng zusammen. Wir dürfen Stress also keinesfalls von vornherein verteufeln. Gleichzeitig müssen wir akzeptieren, dass Menschen höchst unterschiedliche Ressourcen und Fähigkeiten haben, mit Belastungen umzugehen. Was für den einen eine Herausforderung ist, bei der er über sich hinauswächst, erscheint dem anderen als ein nicht zu bewältigendes Problem, das ihm den Schlaf raubt oder sogar krank macht. Deshalb haben wir die Menschen in Deutschland gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa gefragt, wie sie ihre Belastungssituation einschätzen. Was löst bei ihnen den größten Stress aus? Wie gehen sie mit dem Druck um? Und was sind seine gesundheitlichen Folgen? Das Ergebnis: In Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die ihre Belastungsgrenze spüren oder sie bereits überschritten haben. Fast sechs von zehn Deutschen empfinden ihr Leben als stressig – jeder Fünfte steht sogar unter Dauerdruck. Und der Stresspegel steigt: Mehr als die Hälfte der Menschen sagt, dass ihr Leben in den letzten drei Jahren stressiger geworden ist. Besonders betroffen ist die Generation der Mitte 30- bis Mitte 40-Jährigen – im Spagat zwischen Kind und Karriere und nicht zuletzt den eigenen Eltern, die auch immer mehr Hilfe brauchen. In dieser Rushhour des Lebens sind acht von zehn gestresst, jeder Dritte sogar ständig. Der größte Stresstreiber der Menschen ist – wenig überraschend – der Job. Zwei Drittel der Berufstätigen nennen ihn als Stressfaktor. Allerdings: Schon an zweiter Stelle stehen die hohen Ansprüche der Menschen an sich selbst, die den Stresspegel in die Höhe treiben. Frauen geben dies sogar noch häufiger als Ursache an als ihren Beruf. Hier sieht man: Nicht immer sind äußere Umstände die Ursache für die Anspannung, oft ist es auch eine Frage der inneren Einstellung. Und das ist doch ermutigend, denn hier kann schließlich auch jeder selbst etwas tun, um seinen Stresspegel zu senken. Schaut man im Job genauer hin, sind es das als zu hoch empfundene Arbeitspensum, der Termindruck und unfreiwillige Arbeitsunterbrechungen, die am meisten stressen. Erst dann folgen die weicheren Faktoren wie mangelnde Anerkennung, zu wenig Handlungsspielraum und Konflikte mit Kollegen oder dem Chef. Allerdings: Auch wenn weniger Menschen diese als Belastung angeben – sie sind es, die die drastischeren Konsequenzen nach sich ziehen. Jeder zweite, der unter diesen sozialen Stressoren leidet, fühlt sich ausgebrannt, etwa jeder fünfte leidet unter niedergedrückter Stimmung oder sogar Depressionen.

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Deutschland ist im Stress. Doch während der Druck so manchen erst richtig beflügelt, geraten immer mehr Menschen an ihre Belastungsgrenze – oder gehen sogar darüber hinaus. Das zeigt eine aktuelle bevölkerungsrepräsentative Studie der TK und des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Gemeinsam sind wir der Frage nachgegangen, wie stark Männer und Frauen, Jung und Alt, Arm und Reich, Eltern und Singles, Großstädter und Landbevölkerung tatsächlich unter Druck stehen. Was löst bei ihnen den größten Stress aus? Wie gehen die Menschen mit dem Druck um? Und: Welche gesundheitlichen Folgen hat er? Dieses Dokument zeigt das Statement von TK-Chef Dr. Jens Baas zur neuen Stressstudie, die anlässlich der Pressekonferenz am 30. Oktober 2013 in Berlin zusammen mit Skisprungweltmeister Sven Hannawald veröffentlicht wurde. Das Dokument kann für redaktionelle Zwecke und mit dem Hinweis "Quelle: Techniker Krankenkasse" honorarfrei verwendet werden. Eine Nutzung zu Werbezwecken ist ausgeschlossen.

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Gestresst zu sein, gehört heute fast zum guten Ton – und als "Workaholic" zu gelten, scheint

beinahe ein Kompliment zu sein. Denn wer Stress hat, ist gefragt. Und: Stress ist ja auch

nicht per se negativ. Richtig dosiert steigert er unsere Leistungsfähigkeit und kann geradezu

beflügeln. Der Mensch braucht Adrenalin, um leistungsfähig zu sein, und die Gesellschaft

braucht Stress, um sich weiterzuentwickeln. Positiver Stress und Kreativität hängen eng

zusammen. Wir dürfen Stress also keinesfalls von vornherein verteufeln.

Gleichzeitig müssen wir akzeptieren, dass Menschen höchst unterschiedliche Ressourcen

und Fähigkeiten haben, mit Belastungen umzugehen. Was für den einen eine

Herausforderung ist, bei der er über sich hinauswächst, erscheint dem anderen als ein nicht

zu bewältigendes Problem, das ihm den Schlaf raubt oder sogar krank macht. Deshalb haben

wir die Menschen in Deutschland gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa

gefragt, wie sie ihre Belastungssituation einschätzen. Was löst bei ihnen den größten Stress

aus? Wie gehen sie mit dem Druck um? Und was sind seine gesundheitlichen Folgen?

Das Ergebnis: In Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die ihre Belastungsgrenze

spüren oder sie bereits überschritten haben. Fast sechs von zehn Deutschen empfinden ihr

Leben als stressig – jeder Fünfte steht sogar unter Dauerdruck. Und der Stresspegel steigt:

Mehr als die Hälfte der Menschen sagt, dass ihr Leben in den letzten drei Jahren stressiger

geworden ist. Besonders betroffen ist die Generation der Mitte 30- bis Mitte 40-Jährigen – im

Spagat zwischen Kind und Karriere und nicht zuletzt den eigenen Eltern, die auch immer

mehr Hilfe brauchen. In dieser Rushhour des Lebens sind acht von zehn gestresst, jeder

Dritte sogar ständig.

Der größte Stresstreiber der Menschen ist – wenig überraschend – der Job. Zwei Drittel der

Berufstätigen nennen ihn als Stressfaktor. Allerdings: Schon an zweiter Stelle stehen die

hohen Ansprüche der Menschen an sich selbst, die den Stresspegel in die Höhe treiben.

Frauen geben dies sogar noch häufiger als Ursache an als ihren Beruf. Hier sieht man: Nicht

immer sind äußere Umstände die Ursache für die Anspannung, oft ist es auch eine Frage der

inneren Einstellung. Und das ist doch ermutigend, denn hier kann schließlich auch jeder

selbst etwas tun, um seinen Stresspegel zu senken.

Schaut man im Job genauer hin, sind es das als zu hoch empfundene Arbeitspensum, der

Termindruck und unfreiwillige Arbeitsunterbrechungen, die am meisten stressen. Erst dann

folgen die weicheren Faktoren wie mangelnde Anerkennung, zu wenig Handlungsspielraum

und Konflikte mit Kollegen oder dem Chef. Allerdings: Auch wenn weniger Menschen diese

als Belastung angeben – sie sind es, die die drastischeren Konsequenzen nach sich ziehen.

Jeder zweite, der unter diesen sozialen Stressoren leidet, fühlt sich ausgebrannt, etwa jeder

fünfte leidet unter niedergedrückter Stimmung oder sogar Depressionen.

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Das soziale Umfeld im Job ist also eine entscheidende Stellschraube, um Stress und seinen

Folgen vorzubeugen. Eine wichtige Aufgabe unseres betrieblichen

Gesundheitsmanagements ist es deshalb, Führungskräfte und Personalverantwortliche

genau dafür zu sensibilisieren. Dabei gilt es, nicht allein auf die Belastungsfaktoren zu

schauen. Mindestens genauso wichtig sind die persönlichen Ressourcen, die die Menschen

dem Stress entgegensetzen können. Von ihnen hängt ab, ob Stress zu einem

Gesundheitsrisiko wird oder abgepuffert werden kann. Dazu gehören persönliche

Kompetenzen und das Gesundheitsverhalten genau wie das soziale Miteinander zwischen

Kollegen, der Führungsstil, die Aufgabengestaltung und die Arbeitsorganisation. Auch der

Blick auf den Faktor Spaß bestätigt dies: Wer Spaß an der Arbeit hat, ist gesünder, hat

weniger Stress und nimmt diesen auch deutlich positiver wahr. Beschäftigte, die keinen Spaß

bei der Arbeit empfinden, haben dagegen ein doppelt so hohes Risiko für seelische

Beschwerden. Ermutigend ist dabei: Insgesamt geben 70 Prozent der Befragten an, dass

ihnen ihr Job Spaß macht und ein wichtiger Teil ihres Lebens ist. In Nordrhein-Westfalen

haben die Menschen übrigens am meisten Spaß, in Bayern und im Nordosten leider am

wenigsten.

Ein kurzes Zwischenfazit: Ein stressfreier Arbeitsplatz ist eine Utopie – und auch kein

erstrebenswertes Ziel. Was sich dagegen jedes Unternehmen mit höchster Priorität auf die

Fahnen schreiben sollte: die persönlichen Ressourcen und die seiner Beschäftigten zu

stärken, um die alltäglichen Aufgaben erfolgreich zu bewältigen und dem Stress am

Arbeitsplatz wirksam zu begegnen. Denn die Unternehmenskultur beeinflusst den

Krankenstand in den Betrieben mindestens ebenso wie ergonomische Arbeitsplätze und das

Arbeitspensum.

Unsere Studie zeigt allerdings auch: Der Stress beschränkt sich längst nicht nur auf die

Arbeitswelt. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass sich Arbeit und Freizeit immer

schlechter trennen lassen. Vier von zehn Berufstätigen geben an, dass sie ständig erreichbar

sind, mehr als jedem Dritten gelingt es auch nach Feierabend und am Wochenende nicht,

richtig abzuschalten. Und „always on“, stets im Bereitschaftsmodus zu sein, geht auf Dauer

an die Substanz. So bleibt der Stresspegel auch in der Freizeit oben, die so wichtigen

Regenerationsphasen für Körper und Seele kommen zu kurz.

Schwierig wird es auch, wenn zum beruflichen Druck auch noch privater oder familiärer

Stress hinzukommt. Dies ist besonders oft bei berufstätigen Eltern der Fall: Sieben von zehn

geben an, dass sie gestresst sind, fast jeder vierte von ihnen sogar dauerhaft. Dass sie Job

und Familie nicht unter einen Hut bekommen, gibt dabei für viele den Ausschlag. Denn unter

dem Strich ist es die Work-Life-Balance, die insgesamt stimmen muss. Steht einem

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fordernden oder auch monotonen Job ein entsprechender Ausgleich in der Freizeit

gegenüber, kann das vieles kompensieren. Umso gefährlicher ist der Teufelskreis, in den

viele Menschen mit einem hohen Stresslevel geraten: Von ihnen sagt jeder Zweite, dass

seine Familie aufgrund des Jobs zu kurz kommt. Auch für ein abwechslungsreiches

Privatleben, aus dem sie Energie ziehen könnten, fehlt besonders vielen Gestressten die

Zeit. Dabei hat unsere Umfrage gezeigt: Gerade hiervon hängt die Lebenszufriedenheit ab!

Menschen, die mit ihrem Leben glücklich sind, haben besonders oft ein privates Umfeld, das

ihnen Energie gibt, und Ausgleich durch ein im Engagement in ihrer Freizeit.

Insgesamt gilt: Der Zusammenhang zwischen dem Stresslevel und der Gesundheit ist

frappierend. Nicht ohne Grund bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Stress als

eines der größten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts. Und auch unsere Ergebnisse

belegen: Je höher ihr Stresslevel, desto kränker sind die Menschen. Nur sieben Prozent der

stark Gestressten geht es sehr gut – gegenüber jedem Vierten mit niedrigem Stresslevel (24

Prozent). Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden – bei allen Diagnosen

dasselbe Bild: Je gestresster, desto mehr Menschen sind betroffen. Eindeutig ist auch der

Zusammenhang mit psychischen Leiden: Gestresste Menschen haben gegenüber

entspannten ein fast viermal so hohes Risiko für seelische Beschwerden. Von den

Dauergestressten fühlen sich sieben von zehn abgearbeitet und verbraucht und zwei Drittel

ausgebrannt. Mehr als vier von zehn Menschen mit hohem Stresslevel hatten in den letzten

Jahren psychische Beschwerden wie Burn-out oder Depressionen – gegenüber nur einem

von zehn mit niedrigem Stressniveau.

Schauen wir in unserem Gesundheitsreport auf die psychischen Erkrankungen, sind neben

den Fallzahlen vor allem auch die Trends beunruhigend. Insgesamt haben psychisch

bedingte Fehlzeiten seit 2006 um mehr als 75 Prozent zugenommen. Von den 14,2 Tagen,

die statistisch gesehen 2012 jeder Beschäftigte durchschnittlich krankgeschrieben war, waren

2,5 Tage psychisch bedingt. Zudem bekam jede TK-versicherte Erwerbsperson 12,9

Tagesdosen Psychoanaleptika, also Antidepressiva und Co. für fast zwei Wochen. Und auch

die Anzahl stationärer Behandlungen aufgrund von psychischen Erkrankungen ist innerhalb

der letzten fünf Jahre um 25 Prozent angestiegen – die Kosten dafür sogar um 33 Prozent.

Das heißt: Die Fälle werden nicht nur mehr, sondern auch langwieriger.

Diese Zahlen belegen noch einmal: Wir müssen die Menschen zu einem

gesundheitsförderlichen Umgang mit Belastungen befähigen, damit Stress und

Stressempfinden nicht krank machen. Dass sich bereits jeder dritte Berufstätige selbst als

ausgebrannt bezeichnet, ist ein echtes Alarmzeichen. Hier muss jeder einzelne

eigenverantwortlich aufpassen, dass er nicht in eine Burn-out-Falle gerät. Tatsächliche oder

empfundene Anspannung darf kein Dauerzustand sein, der Pegel nicht stets am Anschlag

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bleiben. Mit unserer Studie wollen wir einen Anstoß dazu geben, bewusster mit positivem und

negativem Stress, aber auch mit den persönlichen Ressourcen umzugehen. Denn

entscheidend ist, dass Belastungsfaktoren auch Energiequellen gegenüberstehen.

Gesundheitsmanagement heißt immer Verhältnis- und Verhaltensprävention, Betriebe und

Beschäftigte sind gleichermaßen gefordert. Hier die richtige Balance zu finden, ist nicht nur

für jeden einzelnen Stressgeplagten wichtig, sondern auch für die Betriebe in Deutschland,

denen Tag für Tag viele Tausend Beschäftigte aufgrund von Stressfolgen in den Büros und

an den Werkbänken fehlen – und natürlich auch für uns als Krankenkasse, der dadurch hohe

Kosten entstehen.