Privatsphäre 2.0 - Zur Ethik der Kapitalisierung sozialer Beziehungen

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Privatsphäre 2.0 Zur Ethik der Kapitalisierung sozialer Beziehungen [im Social Web] Dr. Jan-Hinrik Schmidt Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation Berlin, 8.10.2010

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Vortrag beim "Forum PR" des Gesamtverband Kommunikationsagenturen, 8.10.2010, Berlin

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Privatsphäre 2.0Zur Ethik der Kapitalisierung sozialer Beziehungen [im Social Web]

Dr. Jan-Hinrik Schmidt

Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation

Berlin, 8.10.2010

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„Kapitalisierung sozialer Beziehungen“?

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Worüber spreche ich?

I. Social Web: Drei Nutzungspraktiken, eine neue Form von Öffentlichkeit

II. Wer kapitalisiert auf welche Weise soziale Beziehungen im Social Web?

III. Informationelle Selbstbestimmung als Richtschnur

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(I) Was geschieht im Social Web?

Das Social Web senkt die Hürden für onlinebasiertes…

www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/

– Identitätsmanagement (Darstellung individueller Interessen, Erlebnisse, Meinungen, Kompetenzen, etc.) z.B. Weblogs, YouTube

http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/

– Beziehungsmanagement (Pflege von bestehenden und Knüpfen von neuen Beziehungen)

z.B. Facebook, studiVZ, XING, Wer-kennt-Wen

http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/

– Informationsmanagement (Selektion und Weiterverbreitung von relevanten Daten, Informationen, Wissen- und Kulturgütern)

z.B. Wikipedia, Twitter

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(I) Struktur von Öffentlichkeit

• Im Social Web verschwimmt die Trennung zwischen den „Sender“- und „Empfänger“-Rollen, die die Massenkommunikation kennzeichnen

• Twitter, Facebook u.ä. Angebote haben Konzept des „streams“ popularisiert – der konstante Informationsfluss, der an die Seite bzw. Stelle von statischem Text tritt

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(I) Entstehen persönlicher Öffentlichkeiten

• Das Social Web unterstützt das Entstehen von persönlichen Öffentlichkeiten, in denen

• (a) Informationen nach Kriterien der persönlichen Relevanz ausgewählt werden,[anstatt nach journalistischen Nachrichtenfaktoren]

• (b) man sich an ein (intendiertes) Publikum richtet, das aus sozialen Kontakten besteht,[anstatt des verstreuten, unbekannten, unverbundenen Publikums der Massenmedien]

• (c) und sich im Kommunikationsmodus des „Konversation betreibens“ befindet

[anstatt im Modus des „Publizierens“]

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(I) Holländische Wohnzimmer

Persönliche Öffentlichkeiten liegen somit im Grenzbereich von Privatsphäre und Öffentlichkeit… …in Bezug auf die Inhalte: persönliche

Erlebnisse, journalistische Artikel, Produktempfehlungen etc.

…in Bezug auf die Größe des Publikums: Kneipe < Durchschnittliche Anzahl der Facebook-Kontakte: 130 < Tagesschau

…in Bezug auf die Abgrenzbarkeit des

Publikums: intendiertes und faktisches Publikum können auseinander fallen

http://www.flickr.com/photos/mrlerone/2360572263/

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Worüber spreche ich?

I. Social Web: Drei Nutzungspraktiken, eine neue Form von Öffentlichkeit

II. Wer kapitalisiert auf welche Weise soziale Beziehungen im Social Web?

III. Informationelle Selbstbestimmung als Richtschnur

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(II) Wer kapitalisiert welche Beziehungen?

(a) Betreiber von Social-Web-Plattformen

(b) Nutzer

(c) Unternehmen inkl. ihrer Kommunikationsagenturen

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(II) Wer kapitalisiert welche Beziehungen?

(a) Betreiber von Social-Web-Plattformen

- Beziehungsdaten (und Aufmerksamkeit) sind Währung, mit der Nutzung bezahlt wird

- Ethisch problematisch: Intransparenz des Umfangs und Potenzials der gespeicherten Daten; u.U. Missbrauch von Daten

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(II) Wer kapitalisiert welche Beziehungen?

(b) Nutzer

- Nutzer pflegen und knüpfen Beziehungen, bauen mithin Sozialkapital auf (strong & weak ties)

- Ethisch problematisch: Konflikte im persönlichen Umgang (Mobbing, Privatsphäre); echte Freundschaft vs. Mittel zum Zweck?

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Social Games – Asoziale Spiele?

http://photoopia.com/view/7037-Denkblase+mit+Fragezeichen.html

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(II) Wer kapitalisiert welche Beziehungen?

(c) Unternehmen inkl. ihrer Kommunikationsagenturen

können aus unterschiedlichen Interessen an den persönlichen Öffentlichkeiten des Social Web teilhaben wollen, z.B. um…

1. …. sie als Raum für Werbung zu nutzen; ethisch problematisch: unerwünschte Werbung / Spam

2. … an den dort ablaufenden Konversationen im Sinne von Dialog / Feedback / Marktforschung teilzunehmen; ethisch problematisch: Intransparenz (Astroturfing/sock puppets); Rolle der eigenen Mitarbeiter (privat vs. beruflich)

3. … dort Personalrekrutierung zu betreiben; ethisch problematisch: Verletzung der persönlichen Sphäre

4. … dort Transaktionen zu tätigen oder von Nutzern bereit gestellte Inhalte zu vermarkten; ethisch problematisch: fehlende bzw. unangemessene Kompensationder Nutzer

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Worüber spreche ich?

I. Social Web: Drei Nutzungspraktiken, eine neue Form von Öffentlichkeit

II. Wer kapitalisiert auf welche Weise soziale Beziehungen im Social Web?

III. Informationelle Selbstbestimmung als Richtschnur

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(III) Informationelle Selbstbestimmung im Social Web

• Öffentlichkeiten des Social Web erfordern Rückbesinnung auf das Prinzip der „informationellen Selbstbestimmung“, das drei Facetten hat:

– normatives Konzept

– ausgeübte Praxis

– notwendige Kompetenz

• Informationelle Selbstbestimmung in digitalen vernetzten Umgebungen ist mehr als das Wahrnehmen des „Rechts auf Privatheit”, sondern umfasst z.B. auch

– die informierte Einwilligung in die Verarbeitung der eigenen personenbezogen Daten– die selbstbestimmte Übertragung des eigenen Wissens an die Gemeinschaft („creative

commons“) oder einen marktlichen Akteur– die informationelle Autonomie im Sinne der freien Wahl von Quellen und

Kommunikationsräumen• All diese Facetten informationeller Selbstbestimmung setzen nicht nur voraus, dass

Akteure entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, sondern vor allem, dass Interaktionspartner wahrhaftig und transparent kommunizieren

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Fazit

Das Social Web lässt einen neuen Typ von Öffentlichkeit entstehen: Persönliche Öffentlichkeiten bestehen aus Informationen von persönlicher Relevanz, die an vergleichsweise kleine Publika gerichtet sind; es geht eher um Konversation als um Publizieren

In persönlichen Öffentlichkeiten werden soziale Beziehungen gepflegt und geknüpft; die aus den Interaktionen resultierenden Konversationen und Daten sind nicht nur für die Nutzer selbst wertvoll, sondern auch für die Betreiber entsprechender Plattformen und andere marktorientierte Organisationen

Unternehmen und ihre Kommunikationsagenturen treten mit unterschiedlichen Interessen in diese persönlichen Öffentlichkeiten ein und sollten aus ethischer Perspektive den kommunikativen Kontext respektieren, in dem die Nutzer agieren

Als ethische Richtschnur muss dabei die informationelle Selbstbestimmung der Nutzer gelten, die zu respektieren und, wo möglich, zu fördern ist

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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Jan-Hinrik Schmidt

Hans-Bredow-Institut

Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg

[email protected]

www.hans-bredow-institut.de

www.schmidtmitdete.de

www.dasneuenetz.de

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Weiterführende Literatur

– Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How social production transforms markets and freedom. New Haven/London.

– Boyd, Danah/ Nicole Ellison (2007). Social network sites: Definition, history, and scholarship. Journal of Computer-Mediated Communication, 13(1), article 11.http://jcmc.indiana.edu/vol13/issue1/boyd.ellison.html

– Bruns, Axel (2008): Blogs, Wikipedia, Second Life, and beyond. From production to produsage. New York.

– Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where old and new media collide. New York.– Lange, Patricia G. (2007): Publicly private and privately public: Social networking on YouTube.

In: Journal of Computer-Mediated Communication, Vol. 13, Nr. 1, Artikel 18. Online verfügbar: http://jcmc.indiana.edu/vol13/issue1/lange.html

– Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Konsequenzen des Web 2.0. Konstanz.

– Schmidt, Jan/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.) (2009): Heranwachsen mit dem Social Web. Berlin.